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Was brodelt im Web?

Sind Maillard-Reaktionen f¸r die Braun-f‰rbung beim Garen von Fleisch verant-wortlich? Ja, die Maillard-Reaktionen tra-gen zur Farbe von Fleisch bei und auch zuseinem einzigartigen Aroma. Kˆche h‰t-ten es bei ihrer empirischen Aufgabesicherlich leichter, wenn sie nur einmaldie Braunf‰rbung einer hei˚en Lˆsungeiner Aminos‰ure und von Glucose sehenkˆnnten: Die zun‰chst farblose Lˆsungwird schnell braun und entwickelt einenbemerkenswerten Geruch. Nein, sie sindnicht allein verantwortlich. Eine Reiheanderer Prozesse wie Hydrolyse-, Kon-densations- und Strecker-Abbaureaktio-nen tragen zu Farbe, Geschmack undGeruch bei, und auch Lipide spielen einewesentliche Rolle.[1±3]

Im verneinenden Teil der Antworthabe ich die Worte πGeschmack™ undπGeruch™ anstelle von πAroma™ benutzt,welches zu ungenau ist, genauso wie dieBeschreibung der Br‰unung allein durchMaillard-Reaktionen.[4] Bin ich hier ¸ber-trieben genau? Nein. Den richtigen Be-griff f¸r ein Ph‰nomen zu benutzen er-leichtert das Leben und macht Ideenklarer, wie der gro˚e Chemiker AntoineLaurent de Lavoisier schrieb: πEs istunmˆglich, die Wissenschaft von der No-menklatur zu trennen oder die Nomenkla-tur von der Wissenschaft, denn jede Natur-wissenschaft ist auf drei S‰ulen gegr¸ndet:Die Kette der Tatsachen, die sie ausmacht,die Ideen, die sie beschreiben, und dieBegriffe, die sie ausdr¸cken. [. . .] Da dieWorte die Ideen konservieren und trans-portieren, folgt, dass man die Sprachenicht ohne die Wissenschaft verbessernkann und die Wissenschaft nicht ohne dieSprache.™ Versucht man, wissenschaftlicheInhalte weiterzugeben, sei es an Wissen-schaftler oder an ein Laienpublikum, ist es

dann schwieriger, ein Wort anstelle einesanderen zu benutzen, so lange diese Wortenicht technisch sind? Ist es f¸r ein Laien-publikum zu schwierig zu begreifen, dassnicht allein die Maillard-Reaktionen denGeschmack von Fleisch bestimmen? Nein.

Dies bringt mich auf das Problem derPopularisierung von Wissenschaft, wennich als Chemiker die Site πScience ofCooking™ entdecke (Abbildung 1). Siebasiert auf einem Buch von Anne Gardi-ner und Sue Wilson.[5] Die Zielgruppe istvermutlich mit der des Science Museum ofChicago (dem πExploratorium™) iden-tisch: ein interessiertes Publikum mit h‰u-fig begrenzten Fachkenntnissen. Der In-halt der Site ist attraktiv: Saftigkeit vonFleisch, Eiwei˚-Koagulation, Holl‰ndi-sche So˚e und mehr. Auf vielen Seitentragen Karikaturen zur Lebendigkeit bei.Alle Themen laden den Nutzer zu weitergehenden Erkl‰rungen ein, aber ich binmir nicht sicher, ob ich meinen Kindernund Studenten empfehlen w¸rde, sie allezu akzeptieren. Zum Beispiel: πBecausehigh heat toughens proteins, the ma-jor constituent of eggs, boiling quicklychanges an egg from a tender gel to aresilient sphere.™ Proteine sind nicht derHauptbestandteil von Eiern. Eiwei˚ undEigelb bestehen zu 90 bzw. 50 % ausWasser. Hohe Temperaturen f¸hren nichtzu einer Erh‰rtung von Proteinen, sondernzur Umwandlung einer Lˆsung in ein Gel.

Ich schlage den Autoren vor, Kinderzu einem einfachen Experiment einzula-den: Eiwei˚ in einem Glas auf einem Herdzu erhitzen. Die Messung der Temperaturunter- und oberhalb der Grenze zwischenfl¸ssigem und koaguliertem Eiwei˚ zeigt,dass Eier bei rund 60 8C πkochen™. Da diesnicht genau genug ist (die Umwandlungs-temperatur steigt w‰hrend der Messung),entwickeln sie mˆglicherweise die Idee,Einwei˚proben im Ofen auf unterschied-liche Temperaturen zu erw‰rmen. So w¸r-

den sie entdecken, dass die Koagulationbei 61 8C beginnt (Abbildung 2). Bei die-ser Temperatur koaguliert das Eiwei˚,aber das Gel ist sehr weich. Man kˆnnteihnen erkl‰ren, dass einige Proteine(Kn‰ule) sich teilweise ˆffnen und unter-einander vernetzen, sodass Wasser undnicht denaturierte Proteinmolek¸le einge-fangen werden. Bei 70 8C koaguliert einzweites Protein, sodass das Eiwei˚ h‰rterwird, weil sich ein zweites Netzwerk imersten bildet und alle anderen Molek¸lenoch weniger beweglich werden. Bei hˆ-heren Temperaturen erfolgen weitereDenaturierungen.

Zur¸ck zur Hauptfrage von Lehre undPopularisierung. Ist es ¸bertriebene Stren-ge zu sagen, dass unnˆtige Vereinfa-chungen nicht gew¸nscht sind? Erinnernwir uns auch an die Worte des gro˚en undanregenden Michael Faraday, der stets soviele Experimente wie mˆglich forderte.Ist dies nicht ein wunderbarer Weg, einLaienpublikum zu unserem wissenschaft-lichen Bankett einzuladen? Insbesonderesind Fragen wohl n¸tzlicher als vorgege-bene Antworten, zum Beispiel: Warumverdaut sich der Magen nicht selbst?

Herve¬ ThisColle¡ge de France, Paris

[1] H. This, Angew. Chem. 2002, 114, 87; An-gew. Chem. Int. Ed. 2002, 41, 83.

[2] D. S. Mottram, Food Chem. 1998, 62, 415.[3] A. Meynier, D. S. Mottram, 38th ICoMST,

Clermont-Ferrand, France, 1992.[4] A. J. Taylor, Crit. Rev. Food Sci. Nutr. 1996,

36, 765.[5] A. Gardiner, S. Wilson, the Exploratorium,

The Inquisitive Cook, Henry Holt and Co.,New York, 1998.

F¸r weitere Informationenbesuchen Sie:http://www.exploratorium.edu/cooking/

Abbildung 2. Eiwei˚ bildet bei 65 8C ein sehr wei-ches Gel.

Abbildung 1. Die Exploratorium-Site ™Science ofCooking∫.

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20 ¹ 2003 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 0044-8249/03/11501-0020 $ 20.00+.50/0 Angew. Chem. 2003, 115, Nr. 1

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