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„Die Welt ist mir ein Rätsel“

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„Wie heißt der Vater von …? A, B, C oder D?“ – Quizsendungen auf allen Kanälen. Keine Tageszeitung ohne Kreuzworträtsel, ohne Schach- oder Knobelaufgaben. Der Mensch – nicht nur das rätselhafte, sondern vor allem das rätselnde Wesen? Was unbekannt ist oder geheimnisvoll, rätselhaft oder verschlossen – es lockt unsere Neugier. Verbotene Früchte reizen nicht weniger als verschlossene Türen, unbekannte Gänge nicht weniger als unerschlossene Landschaften. Kein Geheimnis ist vor unserer Neugier sicher. Klatschblätter leben ebenso davon wie unser wissenschaftlicher Fortschritt. Ja – wir sind von Natur aus neugierig – und das ist gut so. Um in dieser Welt überleben zu können, sind wir darauf angewiesen sie zu verstehen. Wir sind darauf angewiesen, uns ein Bild von ihr zu schaffen. Erst durch ein „Weltbild“ können wir das, was wir erleben ein- und zuordnen. Was wir nicht verstehen,

verunsichert. Wir sind sinnbedürftige Wesen. Die Bausteine aus denen wir unser Weltbild bauen - das sind die Erfahrungen, die wir machen. Schritt für Schritt, Baustufe für Baustufe entsteht so im Laufe des Lebens ein ganz persönliches Bauwerk – unser ganz persönliches Bild von der Welt. Jede neue Erfahrung will dabei eingefügt und zugeordnet werden. Das ist nicht immer leicht. Manches passt, anderes nicht. Ich „krieg das dann nicht auf die Reihe“. Das macht nicht nur unsicher, sondern vor allem auch ärgerlich. „Warum gerade ich?“ oder „Wie kann Gott so etwas zulassen?“ – solche Fragen verlangen nicht zuerst nach Antworten. Zu allererst sind sie da, um dem Ärger Raum zu geben, Wut und Zorn abzulassen. Es passt einfach nicht in mein Weltbild, dass Kinder sterben, dass tausende Menschen plötzlich von Flutwellen hinweggerissen werden, dass ich unheilbar krank sein soll. All das erschüttert mein Weltbild. Zu allererst bin ich sprachlos. Dann

kommen der Ärger, der Zorn und die Wut.

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Erst viel später lassen sich diese Erfahrungen einordnen – sich in mein Weltbild einfügen. Doch manches lässt sich einfach nicht unterbringen. Wer auf einfache Antworten verzichtet und den Blick vor der Realität nicht verschließt, dessen Weltbild wird immer in Bewegung sein – niemals abgeschlossen. Mir hilft es, wenn ich dabei nicht allein bin. Es ist leichter gemeinsam ratlos, wütend und suchend zu sein. Es ist leichter gemeinsam am Weltbild zu basteln. Der Gottesdienst ist dafür eine gute Gelegenheit. Aber auch Kaffeekränzchen, Stammtisch oder Debattierclub können hilfreich sein - jedes Gespräch über „Gott und die Welt“.

Rolf-Michael Turek


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