Download pdf - Wissenschaft

Transcript

Der WinterschIaf ist genomisch reguliert Physiologische Untersuchungen haben seit langem ergeben, dafi bei Winterschlafern eine ganze Anzahl von Funktionen jahres- zeitlich geregelt sind. Kreislauf- und Nervensystem, Stoffwechsel und Korpertemperatur werden auf Schongang gestellt. Dabei wird die Calciumionen-Homoo- stase des Herzens vor dem Win- terschlaf nach unten geregelt, die Immunreaktivitat und das Endo- krinium verringert und wahrend der Schlafphase auf diesem nied- rigen Niveau gehalten. Aber auch die Proliferation von Endothel- zellen wird vermindert. Dies deutet auf endogene Regulations- faktoren hin, welche die Winter- schlafmcchanisrnen betreiben. Das wurde bedeuten, dafi die Kalteadaptation von Saugern unter molekularer und geneti- scher Kontrolle stehen mug - und man gtaubt nun, dafur Indi- zicn zu haben. Im asiatischen Baumhornchen fanden N. und J. Kondo vier Scrumproteine, die spezifisch mit den Winterschlafperioden oszil- lieren. Sie beginnen im Blut vor dem Winrerschlaf abzunehmen, verschwinden wahrend der Ruhe ganz und steigen beim Erwachen wieder an. Irn Sommer bleiben sie auf konstanter Hohe. Sie wurden gereinigt, und drei von ihnen, mit 20,25 und 27 kDa, enthielten eine ahnliche, aber bisher unbekannte Aminosaure- sequenz, stellen somit eine Typenfamilie dar, wahrend das vierte, von 55 kDa M , rnit

a,-Antitrypsin stark homolog ist, sornit seinerseits der Serpin- Superfamilie angehort. Bei allen ist der Aminotcrminus dem Kol- lagen ahnlich, und am Carboxy- terminus sind die Sequenzen SAFAVL und VWLE konser- viert. Diese Sequenz kommt auch im Komplernentprotein C,q vor. Man kann also vermuten, dag die Winterschlafproteine etwas rnit dem Immunsystern zu tun haben, womit auch die friiheren Befunde der Immunologen ubereinstim- men. Die Serpin-Superfarnilic enthalt mehrere Hormonbinde- proteine - das deutet darauf hin, da13 Hormone den Winterschlaf endogen kontrollieren, was eben- falls in umgekehrter Kausalitat bekannt war. Die vier Proteine sind Untereinheiten cines ge- meinsamen 140 kDa-Oligomers im Serum. Es findet sich nur bei winterschlafenden Nagern, nicht bei Ratte und Flughornchen. Man nimmt an, da8 die Winter- schlafproteine nicht durch Abbau aus dem Serum verschwinden, sondern ins Gewebe rransioziert werden und dort ihre Funktion in der Vorbereitung und Erhal- tung der Winterruhe ausuben. Mit den unspezifischen Strefipro- teinen haben sie strukturell nichts zu tun, aber funktionell gehoren sie wohl auch zur Gruppe der aktiven Adaptions- und Regel- proteine, die unmittelbar oder mittelbar Kern-Information modulieren.

[N. Kondo, J. Kondo (1992) J. Biol. Chem. 267,473-478.1

L. Jacnicke, Koln

Nackt und kaltbliitig Der Nacktmull (Heterocephabs glaber) ist ein sozialcs, maus- grofles Nagetier und lebt in den trockenen Steppen und Savannen Nord-Ostafrikas. Sein eigcntum- liches Aussehen erinnert an neu- geborene Tiere: die faltige Haut ist bis auf wenige Tasthaare nackt, Augen und Ohren sind schr klcin. Er lebt in Kolonien von 60-100 Individuen in unterirdi- schen Hohlen, die er zeitlebens nicht verlafit. Nur ein Weibchen der Kolonie sorgt fur den Nach- wuchs. Die Nahrung ist knapp und besteht aus Wurzeln und Insekten. Die Rohren sind feucht und nur schwach venriliert, sie haben einen geringen Sauerstoff- und einen hohen Kohlendioxid- gehalt. Die Ternperatur liegt gleichbleibend zwischen 28 und 32 "C. Bisher wurde der Nackt- mull als schwach regulierender Hornoiothermer eingestuft, neue- re Untersuchungen zcigen je- doch, da8 er alle typischen Zei- chen der Poikilothermie aufweist.

Bei wechsclwarmen oder poikilo- thermen Organismen variiert die Korpertemperatur mit der Aufientemperatur, die Stoffwech- selaktivitat folgt weitgehend der RGT-Regel: cine Temperatur- erniedrigung fuhrt zur Verlangsa- mung des Stoffwechsels. Die Bezeichnung ,,kaltblutig" fur solche Tiere ist insofern irre- fuhrcnd, als ihre Korpertempe- ratur bei hohen Aufientempera- turen durchaus uber der von ,,Warmblutigen" (Homoiother- men) liegen kann. Vogel und Saugetierc gelten als gleichwarme oder homoiotherme Tiere, sie verfugen uber eine effektive Therrnorcgulation und haben daher unabhingig von der Augentemperatur eine weitge- hend konstante Korpertempera- tur. Sei Placentaliern liegt der Sollwerr des Temperaturregel- kreises zwischen 36 und 38 "C,

das Regelglied befindet sich im Hypothalamus, und als MeRglie- der dienen Warme- und Kaltere- zcptorcn. Von der Skelettmusku- latur, der Leber und dcrn nuto- chondrienreichen, durchbluteten braunen Fettgcwebe wird Warme produziert, uber die Schweddrii- sen Warrne abgegeben (Stellglie- dcr). Einc Absenkung der Aufien- temperatur fuhrt bei gteichwar- men Tieren zur Erhohung der Stoffwechselaktivitat, wodurch die Solltemperatur wieder einge- regelt wird.

Anders beim Nacktmull: Sinkt die Auflentemperatur von 37 auf 12 "C, so kuhlt auch sein Korper bis auf 12,5 OC ab, und der Sauer- stoffverbrauch sinkt - genauso, wie es eigentlich fur ein wechsel- warmes Tier zu erwarten ware. Die fur homoiotherme Saugetiere typische Isolationsschicht aus Fell und Unterhautfcttgewebe feh1t;die Haut ist frei von Schweifldrusen, aber hoch per- meabel fur Wasser. Physiologisch gesehen ist der Nacktmull also poikilotherm. Das Fehlen jegli- cher Thermoregulation scheint in konstant temperierten Hohlen energetisch sogar gunstig, denn der Sauerstoffbedarf in der sticki- gen Umgebung wird nicht unnotig erhoht.

Die fur ein Saugetier kuriose Eigenschaft, da8 die Korpertem- perarur auf ein beliebiges Niveau abgesenkt werden kann, scheint jedoch sein Schicksal als Labor- tier zu besiegeln: aus der Unter- suchung der Hypothermie er- hofft man sich Fortschritte in der Kaltekonservierung von Trans- plantationsorganen. [A. R. Cos- sins (1991) Arattrre 353,699.1

Inge Kronberg, Kiel

Biologie in unserer Zeit / 22. Jahrg. 1992 / Nr. 2 71

Eine mikrosomale Fettsaure-Synthetase und die Panzerwachse der Scha be

Methylverzweigte Lipide Iierr- schen in Insektenwachsen vor, die sich dadurch charakteristisch von den Wachsen anderer Tiere und dcr Pflanzen untcrscheiden. Vor allem die Integumentlipide sind reich daran. Sic cntstehcn durch Verlangerung von kurzen Fettsauren (bis C,?) untcr cin- oder mehrfachem Einbau von Methylmalonyl-CoA (aus Pro- pionat). Die Analyse solcher Fettsauregemische erfolgt durch chemische Reduktion dcr freien Fettsaurcn zu den Kohlcnwasser- stoffen, Abtrennung dcr n;Alka- ne in i-Oktan mit einem 5A Mo- lekularsicb und anschlieflendcs GUMS-Screening der spezifi- schen Fragmenticrun, ~smustcr . Die Hauptkomponentcn sind 3,7-, 3,9- und 3,11-Dimcthylno- nacosan und die in 3 ,4 ,5 , 7 und 9 methyliertcn n-Alkane C, bis C,9. Aus diesen Strukturen ergibt sich, dai3 dcr Einbau voii Methyl- malonyl-CoA im allgcineinen fruhzeitig in der Fettsaure-Syn- these geschieht.

Dcr Einbau von Propionat in die Lipide von Insektcn wurdc be- sonders ini Puppenstadium beob- achtet, wenn dcr cytoplasmati- sche Fettsaurc-Spnthctase-Kom- plcx nicht aktiv ist. Dies IiclS nach einer mikrosomalcn Fettsaure- Synthetase suchen, wic sic nun auch nachgewicsen wurde [I]. N u r diescs neu entdecktc Enzym- system verwendet Propionat in grodercm Umfang, etwa 7 "/o der Gesa~ntprodukte, und auch nur in dicsem Konipartiinent werden die Fettsiuren ubcr dic cntspre- chenden Aldehyde zu dcn (n-1)- Kohlenwassersroffen abgcbaut [2], die dann voii den Mikro- somcn in das Integument trans- portiert werden. Die schwcr- fluchtigen verzweigten Kohlen- wasserstoffc sind hicr Vorliufer der Kontakt-Sexualpheromonc. Bei der Kuchenschabe Blutta germmica ist dies ~ wohl durch einen Oxigcnase-katalysicrten Sauerstoffeinbau - 3,l I-Di- methyl-nonacosan-2-on [3].

Cytoplastnatisch spnthetisicrte Fettsauren (auch die verzweigten) werden dagegen in die K6rperli- pide eingebaut. Dies kcnnt man von vielcn tierischen Fettsiure- Synthetasen, die allcin odcr zu- satzlich Mcthylmalonyl-CoA nutzen und damit mehr oder wenigcr verzweigte, meist uber- lange Fettsauren bilden, wic sie sich beispiclsweise irn Burzeldru-

scnwachs dcr Enrenvogel findcn [41.

[ l ] P. Juircz, J. Chase, G. J, Blomquist (1 992) Arch. Btocbem. Biophp 293, 333-341.

[2] M. W. Dennis, P, E. Kolattu- kudp (1991) Arch. Bzochem.

Beruf: Biologe . . . ,,Was sind Sie eigentlich yon Bcruf?" - ,,Biologe" - ,,Und w o arbeircn Sie?" - .,Bei der Polizei" - .,Was macht denn ein Biologc bci der Polizei?" - So oder d in - lich fangcn ~ i e l c Gesprache an, die meine bcrufliche Tatigkeit zum Thema machen.

Als ich 1975 bci der Polizci mcine Arbeit aufnahin, bestand das Referat aus zwci technischen Assistcnrinrien und zwei biolo- gisch intercssicrtcn Kriminal- bcamten. Da die Beschuldigten immer mchr ihr Recht auf Aus- sagcverweigerung nutzen, liegt es bei der Kriminaltechnik, die Unschuld oder Schuld zu bewei- sen. Modcrnstc Methodcn und bcste Spczialisten sind notwen- dig, um diescr Aufgabe gerecht zu awden . Hcute sind vier wcite- re Biologen, drci Textilingenieu- re, zchn technischc Angestelltc und vier Kriminalbearntc mit selir untcrschiedlichcn Fragestehn- gcn bctraut.

Die Krirninaltechnik Einige Worre miii allgenieinen Aufbau der Kriminaltechnik. Allc Bundeslander und das Bundcs- kriminalamt haben cine Krimi- naltechnik (KT). I k r Aufbau der KT ist in alleii Lindern ahiilicli. Sic bcsreht aus den klassischen rechiiikcn der Fingerabdruck-, Werkzeug-, Waffcn- und Form- jpurcnuntersucliiingen. Dazu ;choren auch die Untersuchun- ;en van Handscliriftcn und Ur- cunden. Zu dcn juiigeren Diszi- >linen dcr Kriminaltcchnik gc- nijren die Naturwissenschaften: Chcniie, Physik und Biologic.

Das Referat Biologic der Direk- :ion Polizcitechnische Untcrsu-

Biopbys. 268,268-275.

[3] C. Schal et al. (1991) Insect Biochem. 21,73-71.

[4] J. S. Bruckiier, P. E. Kolattu- kudy ( I 975) Biochemistry 14, 1774-1782.

L. Jaenickc, K61n

chungen ist in vier Arbeitsgrup- pen gcteilt: Serologic (Blutgrup- penkunde), Allgemcine Biologie, Textiltcchnik und eine auch refc- ratsubergreifend arbeitende Spu- rensic herungsgruppe.

Die Serologie befalit sich verglei- chend niic Blutuntcrsuchungen von Blutspuren und Vergleichs- blut von Geschadigtcn und Op- fern. Am Tacort gcsicherte blut- suspektc Spurcn wcrdcn ini La- bor daraufliin gepriift, ob cs sich tatsachlich urn Blur und hlen- schcnblut handclt. Anschlieaend werden die Blutgruppe des ABO-Systcms und die Serumfak- toreii bestimmt. Weircrc zu be- stimmcnde Merkmale sind die Enzymfaktorcn PGM, AK, Hp , Gc, EsD. Seit 1986 sind es die Molekulargenetiker u n d Biochc- inikcr der Linder Badcn-Wurt- temberg und Berlin sowie des BKA, die den ,,Genekchen Fingcrabdruck" nach Jeftreys in dic dcutsche Kriminaltechnik eingcfiihrr haben. Hcute sind es dieselben Lander im Verein mit Baycrn, wclchc die PCK-Technik als crste nutzen.

Allgemeine Biologie: hicr rei- chen die Untersuchungsobjckte von der Boranik (Blattcr, Pollcn, Samcn, Wurzeln und Rinden) uber die Zoologie (Fedcm, Haarc etc.) bis hin zur Mikrobiologie, und auch Aspekte dcr Boden- kunde sind mit abzudccken. Die Problcmatik bei all diescn Untcr- suchungcn liegt darin, da13 der Rriminaltcchniker im Vcrgleich zuni Biologen an dcr Universitat wcnigcr Material zur Vcrfugung hat. Trorzdem muD cr seine Auf- gabeii crfullen. Aus dicscm Grundc baut sich cin Biologc in der KT cine Viclzahl Yon Samm- lungen auf, die el. d a m fur vcr- gleichcnde Unrcrsuchungen

heranziehcn kann. Aunerdcm fuhrt dies d a m , dafl ganz neuc Bestimmungsmethoden entste- hen. So hat beispielsweise ein KoHege aus Hannover eincn REM-Bildkatalog zur Bestini- tnung von Mohnsamen ersrellt; cin Kollegc aus Stuttgart eincn Rastcrbildatlas uber die Spaltoff- nungen von Blattobcr- und untcrseiten der haufigsten Baunie in Deutschland. In Bcrlin bcstchr unter anderein eine Zigaretren- saminlung (iiber 400 Sorten), deren samtliche erfaabaren Daten der Umliullung in einem Com- puter gespcichert sind. So ist oft noch eine ldcntifizierung der Marke rnoglich, wenn nur noch Teile des Filtcrs vorhanden sind. Sind kcinc Sammlungen zur Hand, mu13 versucht werden, iiber Vcrgleichsmaterial voin Tatort und aus dcssen Unigcbung die Losung zu finden.

In der K T mu13 mit allem gci-ech- net werdcn. So gab cs in Bcrlin beispielsweise einen Tater, der mit nackten Fiiflcn durcli cin Fenster in cine Wohnung eingc- drungen war. Dabei hattc cr

Michael Goszdzirwski

FuDabdruckc hinterlassen. Bci der Untcrsuchung durch den Erke~inungsdienst wurden ,,merkwiirdigc" bluster fcstge- stellt. Dcr F'all kam in die Biolo- gic, und liicr crgaben incinc Un- tersuchungcn, daf3 es sich uni Lasioneii durch Fuflpilz handelte. Bei cincm Tatvcrdachtigcn noch am glcicheii Tage cntnonuiicne Vergleiclisabdrucke ergabcn bci dcr obcrpriifung dieselben M u - ster. Da die Lasioncn der Haut einc Momcntaufnalime dcs Krankheitsbildcs darstellcn, wurden so\vohl die Haurleistcn- sowic die Lisionsiiiustcr vom Gericht spltcr als eindeutigcr Bcweis fur die Taterschaft dcs Angcklagtcn bcwertet. So lieiien sich vicle Fillc anfuhrcn, bei dcnen der Biologe mit den selt- sanisten Bcwcismitteln konfroii- ticrt wird.

72


Recommended