Andreas Mölder
Zur dauerhaften Sicherung der Habitatkontinuität von Eichenwäldern
Von der Vergangenheit lernen, für die Zukunft planen
Münster (Westf.), den 15. Februar 2018
Alle deutschen Regierungen sollten ihren
Forstbeamten streng anbefehlen und unnachsichtlich
darüber wachen, dass keine für die Höhlenbrüter
noch brauchbaren hohlen Bäume niedergehauen
werden, sowie auch: dass an geeigneten Stellen
solche Bäume neu gepflanzt werden, von denen man
einen ähnlichen Dienst erwartet.
Constantin Wilhelm Lambert Gloger, 1803-1863. Fotografie, abgebildet in Quantz (1926).
Gloger C.W. (1865): Die Hegung der Höhlenbrüter mit
besonderer Rücksicht auf die Nachtheile des Vogelfanges für die Land- und Forstwirthschaft. Allg. Deutsche Verlags-
Anstalt. Berlin: 28 S.
Gliederung
• (Projekt-) Hintergrund
• Bedeutung der Habitatkontinuität
• historische Einflussfaktoren auf
die Habitatkontinuität
• Beispiele zum Wirken dieser Einflussfaktoren
• Was lehrt uns die einstige für die zukünftige Eichenwaldnutzung?
NSG Breeser Grund,
Göhrde, Niedersachsen
Foto: Andreas Mölder
Übergeordnetes Projektziel:
Der forstlichen Praxis und
dem Naturschutz
Kompromisswege aufzeigen,
wie sich naturschutzfachliche
Werte und die ökonomische
Leistungsfähigkeit der
Eichenwirtschaft
gleichermaßen erhalten
lassen.
Waldbauliche und verjüngungsökologische Aspekte
• vor allem künstliche Bestandesbegründung (teuer!)
• Naturverjüngungsverfahren selten angewendet
• hohe lichtökologische Ansprüche
• vitale Jungpflanzen bei einer
durchschnittlichen relativen
Beleuchtungsstärke (PAR-Bereich) von ca. 11 %
des Freilandlichtes (Buche: ca. 1,5 %)
• früh kulminierendes Wachstum
• sehr lange Produktionszeiträume
• Eichenwertholz mit einem BHD >70 cm in 160
bis 200 Jahren
• hoher Anteil der Endnutzung am Gesamtwertertrag
(ca. 80 %)
• starke Konkurrenz durch Schattbaumarten
Naturwald Göhrder Eichen, Niedersachsen
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Eiche: Naturschutzfachliche Aspekte
• ausgesprochen hohe und mit dem Alter zunehmende Arten- und Strukturvielfalt
• kulturhistorisch bedingt oft lichte Bestände
• reichstes Arteninventar aller heimischen Baumarten
• besondere Bedeutung für ausbreitungsschwache Xylobionte
• Habitatkontinuität ist essentiell!
� Arbeitspaket: Analyse der Ursachen für die Entstehung artenreicher Eichenwälder in der Kulturlandschaft
� Was können wir aus der Vergangenheit der Eichenwirtschaft für deren Zukunft lernen?
NSG Stuckenstein-Eichen,
Solling, Niedersachsen
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1600
1800
2000
Der Faden der Habitatkontinuität
Eremitenabb.: http://www.sevin.ru/redbook/picsan_b/82sp_b.jpg
Der Faden der Habitatkontinuität
Naturschutzfachlich wertvolle Eichenwälder:
• Wissen um die Entstehung und
Bewirtschaftungsgeschichte
� wertvolle Hinweise für die
zukünftige Behandlung
• bedeutend: Maßnahmen in der
Vergangenheit, die zum Erhalt der
Habitatkontinuität beigetragen
haben
• Erhalt der Habitatkontinuität:
Welches waren die hauptsächlichen
Triebkräfte?
Zeichnung: Bertha v. Warnstedt, 1847
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1744 vs. 1844 (nach v. Wedekind 1844)
• Netto-Waldfläche ist etwa gleich geblieben
• Gesamtholzvorrat ist etwa gleich geblieben
• Die „Physiognomie der Waldungen“ hat sich sehr verändert
• 1744: Überbestockte vs. unterbestockte Bestände, Waldkernbereiche vs. ortsnahe Hutewälder
„Ungeheure Holzvorräte, welche der mindere Bedarf, Unkenntnis und mitunter – wie soll ich
es nennen? – Furchtsamkeit in vielen
Waldungen angesammelt hatten, wurden seit
1744 verzehrt.“
• 1844: ausgeglichenere Verteilung der Holzvorräte
Wedekind, G. W. von (1844): Das Forstwesen im Jahre 1944. In Pannewitz, J. von (Hrsg.),
Forstliches Cotta-Album, S. 288–306. Graß, Barth und Comp., Breslau und Oppeln.
1. Haupteinflussfaktor: Alte Nutzungsrechte
• Alte Nutzungsrechte und deren Fortbestand bzw. schwierige Ablösung− Mast
− Hute
Pascha Johann Friedrich Weitsch (1792):
Motiv aus dem Eichenwald bei Querum
Braunschweig, Herzog-Anton-Ulrich-Museum
www.kulturerbe-niedersachsen.de
� „The Power of Tradition“
Szabó & Hédl, 2011
1. Haupteinflussfaktor: Alte Nutzungsrechte
• Hessen: Eichen-Pflanzwälder im Reinhardswald
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2. Haupteinflussfaktor: Jagd
• Jagdbannwälder, Tiergärten, Jagdparks
• Mast für das Wild
Der Wolbecker Tiergarten bei Münster im Mai 1926Slg. Dr. Hermann Reichling, Naturschutzpionier und Direktor des Provinzialmuseums für Naturkunde, Münster
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2. Haupteinflussfaktor: Jagd
• Jagdbannwälder, Tiergärten, Jagdparks
• Mast für das Wild
500 m
500 m
Preußische Uraufnahme 1836-1850
Digitales Geländemodell (DGM)
Ackerstrukturen
3. Haupteinflussfaktor: Wirtschaftliche Entscheidungen des „modernen“ Forstbetriebs
• aktiver Erhalt (Nutzung lohnt sich)
• passiver Erhalt (Nutzung lohnt sich nicht)
Zum Schiffbau benötigte
Eichen-Krummhölzer
Blondeau & Vial du Clairbois, 1783 - 1787
3. Haupteinflussfaktor: Wirtschaftliche Entscheidungen
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Hofeichen bei Epe (Westfalen)
3. Haupteinflussfaktor: Wirtschaftliche Entscheidungen
Bayern: Hochspessart
Glaser, F.F. & Hauke, U. 2004. Historisch alte Waldstandorte und Hutewälder in Deutschland. Angewandte Landschaftsökologie 61: 1–193.
Spessart: Das erste Forsteinrichtungswerk unter bayerischer Verwaltung 1837/1838
• Hauptrichtung der Wirtschaft (u.a.):
- Buchen und Eichen sind die vorherrschenden Baumarten
� Beibehaltung eines hauptsächlich auf Laubholz-Hochwald gerichteten
Betriebes
- Bedeutende Eichenholzmassen von 300- bis 500jährigem Alter der Stämme
kommen zur Nutzung
� es muss dafür gesorgt werden, dass es in späteren Zeiten hieran nicht
gebreche
Anonymus (1847): Der Spessart und seine forstliche Bewirthschaftung. Druck der Dr. Fr. Wild’schen Buchdruckerei, München.Vanselow K. (1960): Die Waldbautechnik der Eiche im bayerischen Spessart in geschichtlicher Betrachtung. Forstw. Cbl. 79, 270–286
• Nachzucht und Nutzung der Eiche in Untermischung mit der Buche mittels
eines großartigen Compositionsbetriebes
- Umtriebszeit der Buche: 144 Jahre
- Umtriebszeit der Eiche: bis zu 432 Jahre (3x 144 Jahre)
- Natürliche und künstliche Verjüngung
- Sorgfältige Steuerung der Mischungsverhältnisse
Wirtschaftsregeln für gemischte Eichen- und Buchenbestände
Anonymus (1847): Der Spessart und seine forstliche Bewirthschaftung. Druck der Dr. Fr. Wild’schen Buchdruckerei, München.Vanselow, K. (1960): Die Waldbautechnik der Eiche im bayerischen Spessart in geschichtlicher Betrachtung. Forstw. Centralbl. 79: 270–286.
- Vorteilhaft: Ausgangsbestand mit Buchen
und Eichen von verschiedenem Alter
- Gängige Ausgangssituationen:
- Mischbestände aus Buche und Eiche
- Lichte Alteichenbestände mit
Einbringung der Buche
- Zeitlich gestaffelte Verjüngung der Eiche
- Intensive Jungwuchspflege
- Größe der Eichenverjüngungsflächen:
zunächst 0,02 bis 0,04 ha, später 0,06 bis
0,08 ha
144
144
288(0)
288432
0
4320
Ei: 144 // 288 / 432 � 0Bu: 144 � 0
Idealschema eines Bestandes im großartigen Compositionsbetrieb
Wedekind, G.W.F. von (1844): Das Forstwesen im Jahre 1944. In Pannewitz, J. von (ed.), Forstliches Cotta-Album, pp. 288–306. Graß, Barth und Comp., Breslau und Oppeln.
Die Jagd erfreut sich zwar in neuester Zeit
mancher günstigen Reaction; ihre Blüte ist aber
mit der fortschreitenden Kultur so
unverträglich, ihr Kostenaufwand wird so sehr
steigen, dass im Jahre 1944 die Beschwerden
über übermäßigen Wildstand und über
Jagddruck gewiss längst der Geschichte
angehören werden.
Georg Wilhelm von Wedekind, 1844
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6Wildstandsfrage
- Hohe Wilddichten vor 1800
- Starker Rückgang nach 1848
- Wiederanstieg ab 1871
Zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts:
• Wandel der Waldbauanschauungen (� Bodenreinertragslehre, Preßler 1858/59)
• Nadelholzanbau im Spessart wird verstärkt (� Mischbestände)
• vom großartigen Compositionsbetrieb nimmt man Abstand
Tempora mutantur…
Neue Mindestgröße für Eichenhorste: 1 Hektar
Das Hauptmotiv für die Erziehung der Eiche in großen Horsten und
unterbauten Beständen liegt … in der Unzulänglichkeit der Mittel, die
Bestandespflege im großen Betrieb bei einzeln- und gruppenweiser
Einmischung der Eiche nach Bedarf durchführen zu können.
Gayer, 1884
Grundzüge der Eichennachzucht ab ca. 1885
• Allmähliche Vergrößerung der Eichenverjüngungsflächen auf viele Hektar
• Herauslösung der Eichenverjüngung aus dem Verband mit der Buchenverjüngung
• Kunstverjüngung (dichte Eichensaat) statt Naturverjüngung
Karl Gayer
(1822-1907)
Gayer, K. (1884): Die neue Wirthschaftsrichtung in den Staatswaldungen des Spessarts. Rieger, München.
Vanselow, K. (1960): Die Waldbautechnik der Eiche im bayerischen Spessart in geschichtlicher Betrachtung. Forstw. Centralbl. 79: 270–286.
Erfolge der Eichennachzucht ab 1770
1954: 4553 ha an „Jungeichen“ im Alter von 1 bis 184 Jahren
Begründungszeitraum dieser Eichenflächen:
Hektar pro Jahr
Hektar pro Periode
Die dauerhafte Sicherung der Habitatkontinuität von Eichenwäldern – Lehren aus der Vergangenheit (I)
Die kleinflächige Verjüngung der Eiche in Eichen-Buchen-Mischbeständen wurde durchaus erfolgreich durchgeführt, erforderte aber
- aufwändiges waldbauliches Vorgehen (� „Waldgärtnerei“)
- ständige Beobachtung der Bestandesentwicklung
- wiederholte aktive Zurückdrängung der Buche
- effektiven Schutz vor Verbiss (passiv und aktiv)
� Der enorme finanzielle Aufwand ist heutzutage im Normalfall ebenso wenig dauerhaft leistbar wie im 19. Jahrhundert
Aber:
• Eine erfolgreiche Umsetzung des großartigen Compositionsbetriebs würde die Habitatkontinuität dauerhaft sichern
• Der großartige Compositionsbetrieb erscheint im Sinne der gegenwärtigen naturschutzfachlichen Diskussion moderner erscheint als Vieles, was danach kam
Mölder, A., Nagel, R.-V., Meyer, P., Schmidt, M., Rumpf, H. & Spellmann, H. (2017): Historischer Rückblick auf die Verjüngung von Eichen im Spessart des 19. Jahrhunderts – Bedeutung der angewandten Verfahren für die heutige Eichenwirtschaft. Forstarchiv 88: 67-78.
Meyer, P., Lorenz, K., Engel, F., Spellmann, H., & Boele-Keimer, C. (2015): Wälder mit natürlicher Entwicklung und Hotspots der Biodiversität - Elemente einer systematischen Schutzgebietsplanung am Beispiel Niedersachsen. Naturschutz und Landschaftsplanung 47: 275–282.
Die Idee des großartigen Compositionsbetriebs beeinhaltet:
• Eine kleinräumige Nachhaltigkeit der Altholzverfügbarkeit
• Den dauerhaften Erhalt von Altholzstrukturen im Bestand
• Die Bildung von „ökologischen Nachhaltigkeitseinheiten“
Begrenzte (Naturschutz-) Mittel in planvoller Weise fokussieren auf:
• Eichenwälder mit langer Habitat- und Strukturkontinuität (Hotspots)
• Eichenwälder mit typischer und/oder reicher Biodiversität (Hotspots)
• Den Erhalt auch lichter Eichenwälder (Mittel-, Nieder- und Hutewälder)
Sattenfelder Forst, Stormarn,
Schleswig-Holstein
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Natur- und Nutzbäume haben verschiedene Liebhaber.
Heinrich Burckhardt, 1879
Burckhardt, H. (1879): Die Eiche im alten Mast- und Hutwalde (Pflanzwalde) und ihr Verschwinden aus dem Baumbetriebe. Aus dem Walde 9: 31–56.
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4. Haupteinflussfaktor: Ästhetik, Naturdenkmalschutz und früher Naturschutz
Rodehuths Eiche, Espeln bei
Hövelhof, Kreis PaderbornFoto aus Schlieckmann (1904)
Schlieckmann, E. (1904): Westfalens
bemerkenswerte Bäume. Ein Nachweis
hervorragender Bäume und Waldbestände
nebst Darstellung der Standortsverhältnisse,
des Verhaltens der einzelnen Baumarten und
deren historische Bedeutung. Velhagen &
Klasing, Bielefeld und Leipzig.
4. Haupteinflussfaktor: Ästhetik, Naturdenkmalschutz und früher Naturschutz
Niedersachsen: NSG bzw. Naturwälder
Neuenburger Urwald und Hasbruch
Hessen: NSG Urwald SababurgFoto
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rcus Sch
mid
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aus Meyer et al., 2006
Anzahl der Beiträge in der AFJZ, die sich zwischen 1825 und 1900 mit den Themen „Baumveteranen” und „Vogelschutz” befassten, ergänzt um maßgebliche geschichtliche Ereignisse. Die Daten wurden in 5-Jahres-Intervallen zusammengefasst.
nationales
Vogelschutzgesetz
Reichs-
gründung
Bodenrein-
ertragslehre
Polizeiverordnung zum Schutz
nützlicher Vögel im Reg.-Bez. Münster
Mölder, A., Schmidt, M. & Meyer, P. (2017): Forest management, ecologicalcontinuity and bird protection in 19th century Germany: a systematic review. Allgemeine Forst- und Jagdzeitung 188: 37–56.
Anzahl der Beiträge in der AFJZ, die sich zwischen 1825 und 1900 mit dem Thema „Schutz von Habitatbäumen“ befassten. Die Daten wurden in 5-Jahres-Intervallen zusammengefasst.
Mölder, A., Meyer, P. & Schmidt, M. (2017): „Festungen im Walde“ – Der Schutz von Habitatbäumen im 19. Jahrhundert. Natur und Landschaft 92: 302–309.
Mölder, A., Schmidt, M. & Meyer, P. (2017): Forest management, ecological continuity and bird protection in 19th century Germany: a systematic review. Allgemeine Forst- und Jagdzeitung 188: 37–56.
1860er Jahre: Anweisung
der forstlichen Zentralstelle
Preußens an alle
verwaltenden
Forstbeamten, „hohle
schadhafte Bäume hier
und da zu schonen, um den
so wichtigen
Höhlenbrütern ihre
Brutstätten zu erhalten"
Die dauerhafte Sicherung der Habitatkontinuität von Eichenwäldern – Lehren aus der Vergangenheit (II)
- Langfristiges und planvolles Denken ist nötig, kein Hin und Her
- Offenheit für neue Ideen ist dabei sinnvoll, diese
können zu etwas Bedeutendem wachsen
� Flexibilität in der Beständigkeit zeigen
- Kleinflächige Verjüngung der Eiche in Eichen-Buchen-Mischbeständen war immer schon teuer und aufwändig
- Auch älteres waldbauliches Wissen sollte genutzt werden
- Auch früher gab es Zeiten der Unsicherheit, trotzdem wurde die Eiche gefördert
- Unsere Vorfahren haben für uns investiert, wir
müssen für unsere Nachkommen investierenHöhlenreiche Alteiche, ausgestattet mit
Schlaf- und Brutkästen für Vögel und Fledermäuse. Lithographie von Paul
Meyerheim, Abb. in Gloger (1865).
Gloger, C.W.L. 1865. Die Hegung der Höhlenbrüter mit besonderer Rücksicht auf die Nachtheile des Vogelfanges für die Land- und Forstwirthschaft. Allgemeine Deutsche Verlags-Anstalt, Berlin.
Die Vergangenheit
gab uns das nachahmenswerte Beispiel,
die Eiche
zu schonen, zu hegen und zu pflegen.
Tuen wir desgleichen!
Carl Waldeck, 1860
Waldeck, C. 1860. Die Eiche. Allgemeine Forst- und Jagdzeitung 36: 301–305.
Foto
: An
dre
as M
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