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Mitteilunqen ] ]6GAlA 5 (1996) no. 2

Die mit Namen unterzeichneten Beiträge decken sich nicht unbedingt mit der Meinung der Gesellschaft

Gedanken zur 8. Internationalen Tagung der Society for Human Ecology (SHE).Tahoe City, CA, USA, 19. bis 22. Oktober 1995.und zu einem Besuch bei Richard B. Norgaard, University of California, Berkeley

muß. Nun ist der gegenwärtige Trendzur wirtschaftlichen Globalisierung einProzeß, der gerade der Anerkennungsolcher Notwendigkeiten entgegenläuft.Zwar vertreten die Anhänger derTheorie der Mainstream-Ökonomie dieThese, daß ein möglichst deregulierter,globaler und also freier Markt die besteVoraussetzung für die Überwindung derökologischen Krise sei. Denn mit derMög]ichkeit internationaler Arbeitstei-lung könnten komparative Vorteile vollausgenützt und somit die Ressourcenüberall effizient verwendet werden [31.

Tatsächlich dürfte, den einleitendenBemerkungen entsprechend, die Ver-folgung dieses Weges viel eher einerbeschleunigten Fahrt in Richtung Ab-grund gleichkommen [4]. Zum erstenwissen wir, daß die herkömmliche öko-nomische Theorie die Naturgrundlagenvöllig ausblendet beziehungsweise sieals unerschöpflich betrachtet. Erst mitder neueren Umweltökonomie könnensie durch die Hintertür ins ökonomischeKa]kül eintreten, womit sie zwar be-rücksichtigt werden, aber nicht imSinne eigenständiger Phänomene miteigener Gesetzlichkeit. Zum zweitenbaut die ökonomische Theorie aufeinem atomistischen Weltbild auf: Diemenschlichen Individuen sind aufge-fordert, sich an nichts anderem alsihrem persönlichen. Eigennutz zu orien-tieren und dazu die Informationen,die das Wirtschaftssystem über seinenPreismechanismus liefert, zu benützen.Irgendeine Verantwortung, die über denganz persönlichen Bereich hinausgehenwürde, ist nicht gefragt. Freilich be-hauptet die Ökonomie, daß gerade beidieser Art von Verhalten im Aggregatdas Bestmögliche für die Menschheitinsgesamt wie auch für die Umweltherausschaue - nachdem die letztereeben in die monetäre Bewertung hinein-genommen worden ist. In dieser Vor-stellung liegt durchaus eine tiefgründige,geflissentlich immer wieder überseheneTragik verborgen: Indem wir unsereVerantwortung für das Gute an dieMechanik eines anonymen Systems de-legieren, liefern wir uns seiner Eigen-dynamik aus, verlieren damit die vonder Ökonomie so viel geprieseneFreiheit des HandeIns und ersetzen siedurch zwanghaftes Tun. Hier kannnur - dies meine These - ein Gegen-programm helfen, das zu überschau-

I) Gegenwärtig wird zum Beispiel bei beidenGesellschaften die Idee diskutiert, dieJahresveranslaltungen 1997 dem Thema"Nachhaltigkeit" beziehungsweise"Zukunftsfahigkeit" zu widmen.

rückgeworfen unser Überleben organi-sieren. Intelligenter wäre es allerdings,es gar nicht so weit kommen zu lassenund jetzt schnellstens nach Mitteln undWegen zu suchen, die uns von denZwängen des außer Rand und Bandgeratenen Wirtschaftssystems befreienkönnten. Die Aufgabe danach wäreimmer noch dieselbe, nämlich eineder Selbstorganisation, aber sie kämevermutlich mit einer wesentlich abge-schwächten Dramatik einher.

Dieses Thema beschäftigt mich seitlängerem, und ich erlaube mir deshalb,die Bemerkungen zur SHE- Tagung 1995mit dem Hinweis auf einen Beitragzu beginnen, den ich selbst unter demTitel "Self--determination as a basis Jorsustainable living" vorlegte [2]. Ich gingvon einem relationalen We]tbild aus, indem ein menschliches Individuum alsWesen gesehen wird, das in Beziehungzu sich selbst, zu Mitmenschen undzur nicht-menschlichen Umwelt steht,und nur dank dieser Beziehungenzu dem werden kann, was es ist. Dasheißt aber, daß menschliche Freiheitoder Selbstbestimmung nicht gleichbe-deutend mit Willkür sein kann, sonderninnerhalb der genannten Beziehungs-felder notwendige Grenzen anerkennen

Mitteilungen derSchweizerischen Akademischen Gesellschaft für

Umweltforschung und Ökologie (SAGUF)

UNDder

Deutschen Gesellschaft für Humanökologie (DGH)

Systemische Unverantwortlichkeit odergemeinschaftliche Verantwortung?

Für einmal legen die DHG und die SAGUF ihre Mitteilungs-Seiten zusammen.Damit sei symbolisch das beiderseitige Interesse markiert, in Zukunft die Möglich-keiten zur Zusammenarbeit auszuloten.l) Der Unterzeichnete ist im Vorstand beiderGesellschaften tätig; somit besteht auch eine personelle Verbindung.

»Stellt Euch vor, die Welt geht unte/;und wir bleiben zurück!« Vor Jahrenhing ein Spruchband dieses Wortlautsan einem besetzten Haus in Zürich.Absolut paradox? Bei näherer Betrach-tung eigentlich gar nicht. Hier eineHausbesetzung als Ausdruck einesverzweifelten Versuchs eigener Lebens-gestaltung von unten, im Widerstandgegen ein Wirtschaftssystem, in demWohnungsnot und leerstehende HäuserHand in Hand gehen. Dort eben diesesökonomische System, das zur Weltherr-schaft drängt und damit, wie denmeisten allmählich klar wird, gleich-zeitig eine globale Katastrophe herauf-beschwört. Dies, weil bei einem der-artigen System »die etablierten Regelnder Zurechnung und Verantwortung -Kausalität und Schuld - versagen«.Und »das heißt, deren unverdrosseneAnwendung ... bewirkt das Gegentei]:die Gefahren wachsen, ihre Anonymi-sierung wird legitimiert« [I]. Der "Welt-untergang" könnte also darin bestehen,daß das We]twirtschaftssystem an sei-nen eigenen ökologischen und sozialenFolgen zugrunde geht. "Wir" würdendann tatsächlich zurückbleiben undwären mit der Frage konfrontiert, wiewir regional gesondert auf uns selbstund auf nahegelegene Ressourcen zu-

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Mitteilunqen

baren regionalen Wirtschaftssystemenmit einem beträchtlichen Grad vonAutarkie fUhrt. Nur so wird es den Indi-viduen möglich sein, im Zuge direkterErfahrungen einen derartigen Umgangmit der Umwelt zu lernen, daß sie dafürauch Verantwortung übernehmen undso in Anerkennung der oben genanntennotwendigen Grenzen selbstbestimmendhandeln können.

Dies bringt mich zum Besuch beiRiehard Norgaard. Er ist Professor fürEnergie und Ressourcen an der Univer-sity of California in Berkeley und hattein verschiedenen Funktionen Gelegen-heit, sich Erfahrungen aus erster Handdarüber zu verschaffen, wie sich daszur Globalisierung drängende Wirt-schafts system in Entwicklungsprojek-ten auswirkt. In seinem Buch Develop-ment Betrayed diagnostiziert er dasgängige ökonomische Denken als einenwesentlichen Faktor, der das Wirt-schafts system in eine nicht-nachhaltigeEntwicklungsrichtung gedrängt hat:»There is good reason to suspeet thateeonomies, as it evolved within existinginstitutions, is at the heart 01 the pro-blem why development has been unsus-tainable.« (5) Allerdings, das wird durchNorgaards Ausftihrungen auch klar, ohnedie Beihilfe von Wissenschaft, Technikund Verwaltung mit ihren moderni-sierenden Rationalisierungsbestrebungenhätte das Wirtschaftssystem nie dieZerstörungskraft entwickeln können,die es nun tatsächlich hat. 1978-1979arbeitete Norgaard fUr die Ford Founda-tion an Ressourcen- und Umweltpro-blemen im Amazonasgebiet. Er warwährend dieser Zeit Mitglied einesPlanungsteams, und es war für ihn einSchock, feststellen zu müssen, daßseine brasilianischen Partner es nichtfür nötig hielten, die fraglichen Pla-nungsregionen jemals selbst zu besu-chen. Nein, sie operierten vom Schreib-tisch in Brasilia aus und wurden dabeiTeil eines Verwaltungssystems, das als"sichtbare Hand" ebenso distanziert,anonym und losgelöst von allen Kon-texten operierte wie die "unsichtbareHand" des Marktes [6]. Auch Norgaardplädiert deshalb für eine Befreiung vonSystemzwängen durch verstärkte Mög-lichkeiten regionaler und lokaler Selbst-verwaltung und Selbstverantwortung.Dabei, so meint er ausdrücklich, genügtein demokratisches System mit Wahl-und Abstimmungsbeteiligungsverfahrennicht. In einem solchen System wirdeigentlich nach ökonomischem Vorbildoperiert, indem es lediglich um eine jepunktuelle Partizipation der Individuen

im Sinne von Präferenzäußerungen geht.Als Überbrückung des großen Grabenszwischen der individuellen Ebene unddem Staat taugt dies nicht viel; esbraucht eine Reinstallation der in derModerne vernachlässigten Zwischen-stufe der Gemeinschaft, auf der kom-munikative und partizipative VerfahrenPlatz finden können. Norgaard redethier von "diseursive eommunities" [7].

Ein Bezug zur Habermas'schen Dis-kurs idee liegt nahe, auch wenn Nor-gaard nicht direkt darauf verweist. Inden "Bibliographie Essays" im Anhangerwähnt er aber das Buch "RationalEcology" von John Dryzek, in dem die-ser sich ftir die Schaffung von dezentra-len Strukturen einsetzt, innerhalb derersich die Prinzipien einer "praktischenVernunft" (modelliert eben im Sinnevon Habermas) entfalten können [8J.

Die Möglichkeit gemeinschaftlicherVerantwortung ist eine unabdingbareVoraussetzung für jegliche Anstrengun-gen zur Erhaltung der Biodiversität.Denn es besteht, wie Norgaard betont,ein enger Zusammenhang zwischendem Artensterben und dem Auf-schwung des Welthandels, der sichim Zusammenwachsen eines früherenFlickenteppichs von nahezu unabhän-gigen landwirtschaftlichen Regionenzu einem Wirtschaftssystem mit welt-weitem Austausch manifestiert [9J. DerFlickenteppich bestand aus Agraröko-sytemen, in denen soziale und öko-logische Bedingungen in koevolutiverWeise aneinander angepaßt waren. Mitdem heutigen Trend zur Globalisierungnehmen die Wechselwirkungen zwi-schen Mensch und Umwelt immer mehrSignale aus dem Welthandelssystemauf, die eine Gleichförmigkeit bewir-ken. Konkurrenzdruck und Gewinnstre-ben führen zum Anbau weniger Nutz-pflanzen, die sich gut verkaufen lassen.Der Boden muß so behandelt werden,als könnte er ungeachtet der herrschen-den Umweltfaktoren fur die verschieden-sten Zwecke genutzt werden. Dadurchaber sterben auch viele Organismenaus, die sich über Jahrhunderte alsnatürliche Partner der Nutzpflanzen inden herkömmlichen Agrarökosystemenentwickelt hatten.

Lokal Verantwortung übernehmenheißt, mit dem Objekt der Verantwor-tung zusammenleben. Bedeutet dies,daß der in der Biodiversitäts- Debatteschwelende Streit zwischen dem Lagerder "Präservationisten", die fur dieAusscheidung von designierten, dermenschlichen Nutzung weitgehend oder

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völlig entzogenen Naturschutzgebieteneintreten, und dem Lager der "Integra-tionisten" , die nur in einem flächen-deckenden Zusammenwirken von Naturund Mensch eine Möglichkeit zur Öko-logisierung unseres Planeten sehen,zugunsten der letzteren entschiedenwerden muß? So ganz einfach ist dasnicht. Aber betrachten wir zunächst,welche Werthaltungen hinter den beidenPositionen stecken. Ich stütze michdabei auf zwei Vorträge an der SHE-Tagung, in denen das Thema der Erhal-tung der Artenvielfalt von philoso-phischer Seite aufgegriffen wurde, undzwar auf "Enhancing natural value"von Ned Hettinger (College of Charles-ton, Charleston, SC), und auf "Humansand the value 01 the wild" von BillThroop (St. Andrews College, Laurin-burg, NC). Da sich die bei den Referatesowohl in Inhalt wie auch Argumen-tation stark überlappten, mache ichbei den folgenden Bemerkungen keineUnterscheidung hinsichtlich der Quelle.Die präservationistische Position bautauf eine scharfe Spaltung zwischenNatur und Mensch, während die inte-grationistische Position den Menschenletztlich als Teil der Natur sieht. DasSchutzparadigma weist unberührterNatur einen Wert an sich zu, der durchmenschlichen Einfluß nur gemindertwerden kann. Daß der Mensch Naturauch "verbessern" könnte, wird nichtals möglich erachtet. Unter dem Integra-tionsparadigma wird hier die genaugegenteilige Auffassung vertreten. Zwarfindet unter menschlichem Einflußimmer eine Degradation natürlicherÖkosysteme statt, wenn man nur denAspekt der Wildheit betrachtet. DieserVerlust kann aber durch eine Steigerungvon zum Beispiel Diversität oderSchönheit kompensiert werden. Daßdem tatsächlich so ist, dazu müssenwir uns nur etwa an die traditionellebäuerliche Kulturlandschaft Miueleuro-pas erinnern, ein Beispiel fLir die vonNorgaard erwähnten koevolutiv ent-standenen Agrarökosysteme. Warum, sokann gefragt werden, soll die Schaffungvon Kunstwerken durch den Menschenals Wertvermehrung, jegliche Umge-staltung von Ökosystemen aber alsWertverminderung betrachtet werden?Eine Voraussetzung dafür, daß eineHumanisierung von Natur einen kunst-fertigen Charakter annehmen kann,dürfte allerdings sein, daß der Menschpositiv zu bewertende Reste von Wild-heit an sich selbst entdecken kann, dieeine gewisse Resonanz mit natürlichenKomponenten der Umwelt ermöglichen.Zwischen rationalem Denken und der

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GefLihlswelt kann sich dann ein Aus-gleich ergeben, der in Kombination mitpraktischem, kontextbezogenem Erfah-rungswissen fruchtbare Ergebnisse zuzeitigen vermag [101.

Die Präservationismus /Integrationis-mus-Kontroverse ist damit aber nichtentschieden. Ein weiterer Vortrag an derSHE- Tagung brachte dazu zusätzlicheinteressante Aspekte ins Spiel, indemer sich auf ein konkretes Fallbeispielbezog. Hierbei handelte es sich um"The optimal number 01 wolves inWiseonsin: interplay 01 biology, eeono-mies and ethies" von Dennis Palmini(University of Wisconsin, Stevens Point,WI). Es ging hier um die Erholung(oder Wiedereinwanderung) der Wolfs-population im US-Staat Wisconsin, unddiese ist weniger als ein Fall von"Rückeroberung" der Natur [li] zu sehen,sondern eher als eine Folge einer verän-derten menschlichen Einstellung. SeitI839 zahlte der Staat Abschußprämien;diese Praxis wurde erst I957 aufge-hoben, als der Wolf praktisch schonausgestorben war. Seither ist er aberunter Schutz gestellt worden, und seineWiederansiedlung wird staatlich geför-dert. Dabei hilft die zum großen Teilpositive Einstellung der Bevölkerung.Allerdings ist zu vermuten, daß hier diezunehmende Verstädterung eine Rollespielt: Die urbane Bevölkerung möchte,was an Natur in stark besiedelten Ge-bieten verlorengegangen ist, anderswokompensiert wissen, und sie kann sichauch, da sie mit dem Wolf nicht direktkonfrontiert ist, eine gewisse romanti-sierende Einstellung leisten [12]. Andersdie ländliche Bevölkerung der fragli-chen Counties, die den Wolf immernoch als Bedrohung fLir ihr Vieh emp-findet (vergleiche Wallis!). Besteht hiernicht ein Widerspruch mit der früherenBehauptung, wonach ein effektiverSchutz der Umwelt nur gelingen kann,wenn die Verantwortung in den Händender lokalen Bevölkerung liegt? Ichdenke nicht, denn es ist ja gerade dasWirken des Wirtschafts systems und desdamit assoziierten Denkens, das dieseSituation hervorruft: Solange sich einelokale Bevölkerung nach überregiona-len ökonomischen Zwängen ausrichtenmuß, kann sie natürlich eine ge-wünschte Verantwortung gerade nichtausüben. Zweifellos würde im Falle desWolfes eine rein ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse für seine Ausrottungsprechen. Was aber fLir die ländlicheBevölkerung ein Schadenproblem . ist,ist für die Bewohner urbanisierterGebiete ein Verlustproblem: Eine öko-

logische Verarmung als Folge der zu-nehmenden Kommerzialisierung wirdnicht nur am Wohnort selbst erlebt, son-dern darüber hinaus, natürlich durchMedienberichte alimentiert, auch ingrößeren geographischen Zusammen-hängen wahrgenommen.

Umgekehrt gesehen [13]: Solange dasWirtschaftssystem gesellschaftlich do-miniert, scheint das Bestehen ökono-mischer Anreize eine unausweichlicheVoraussetzung für die Übernahme lo-kaler Umweltverantwortung zu sein.Tatsächlich ist ja, wie wir in der Schweizselbst erfahren, eine grundlegendeÖkologisierung der Landwirtschaft nurmit dem Instrument der Ausgleichs-zahlungen denkbar. Entsprechend sindKompensationszahlungen fur Wolfs-schäden in der Diskussion. Der Teufelmuß offenbar mit dem Beelzebub aus-getrieben werden, und dies bedeutet,daß eine echte Integration zwischenMensch und Natur unter heutigen Vor-zeichen wahrscheinlich noch nicht ohneweiteres möglich ist. Natürlich ist einerelativ intime Koexistenz von Menschund Wildtieren oft überhaupt nichtmöglich (Beispiel: Tiger), und von da-her ist die Ausscheidung von Natur-parks gerechtfertigt. Dabei zeigt sich,daß die Existenz ökonomischer Stimuliinzwischen auch für das Überleben vonSchutzgebieten beziehungsweise derLebewesen in diesen Gebieten zu einerNotwendigkeit geworden ist. Denkenwir an das Beispiel der Berggorillas inOstafrika, die touristisch vermarktetwerden müssen, damit Geld vorhandenist, sie vor Wilderern zu schützen, dieliebend gerne konservierte Gorillafiißeund -köpfe als ausgefallene Souvenirsan reiche Amerikaner und Europäerverkaufen würden [14]. Man muß sichalso auch hier mit wirtschaftlichenMaßnahmen gegen die Effekte des glo-balisierten Handels zur Wehr setzen.Das ist wohl akzeptabel, solange dielokale Bevölkerung daran irgend wiepartizipieren kann. Denn sonst bestehtdie Gefahr, daß sich solche Projekte zuFremdkörpern entwickeln, die einmalmehr von irgendeiner fernen Behördeverwaltet werden. Es ist dann möglich,daß sich von dieser Seite her wiederumsystemische Effekte bemerkbar ma-chen, die in irgendwelchen unbeabsich-tigten Folgen münden. Diese Tendenzdürfte um so stärker sein, je internatio-naler irgendwelche Schutzbestimmun-gen und -maßnahmen aufgezogen seinmüssen. Zusammenfassend läßt sichfeststellen, daß beide Ansätze, sowohlder präservationistische als auch der

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integrationistische, notwendig sind, daßaber damit unter heutigen Umständenweder ein wirklich effektiver Schutzvon Natur noch ein wirkliches Zusam-menleben von Mensch und Natur ge-währleistet ist.

Nun, alle Schuld an der Zerstörungder Artenvielfalt wollen wir dem glo-balen Wirtschaftssystem auch nicht indie Schuhe schieben. Natürlich gibt esnoch mindestens einen anderen wich-tigen Faktor, der hier eine wesentlicheRolle spielt: das Bevölkerungswachs-tum. Diesem Phänomen war an derSHE- Tagung ein Hauptvortrag vonJoel E. Cohen (RockefeIler University,New York) mit dem Titel "How manypeople can the Earth support?" gewid-met [15]. Der Titel deutet aber an, daßes Cohen nicht um die ökologischenAuswirkungen dieses Wachstums ging,sondern um die Frage, welche maxi-male Bevölkerungszahl auf diesem Pla-neten unter Tragfahigkeitserwägungenmöglich sein könnte. Richtiger- undnicht überraschenderweise kam er dabeizum Schluß, daß es dazu keine end-gültige Antwort geben kann, da dieTragfähigkeit offensichtlich davon ab-hängt, welche Art von Bedürfnissenmit welcher Art von Technik befriedigtwerden sollen [16].

Es war schade, daß ausgerechnet einHauptvortrag dazu benützt wurde, einzweifellos brisantes Thema in relativspezieller Weise abzuhandeln, stattseine vielseitige Verflechtung in einergewissen humanökologischen Breiteanzugehen. Überhaupt scheint dies einpersistierendes Problem humanökolo-gischer Konferenzen zu sein: eine ge-wisse Hilflosigkeit gegenüber dem An-spruch, zur Entwicklung ganzheitlicherPerspektiven beitragen zu wollen.Etwas überspitzt ausgedrückt, treffensich im Prinzip immer noch einfachSpezialisten und Spezialistinnen - diezwar alle an der Mensch-Umwelt-Problematik interessiert sind, aber ebenalle auf ihre eigene Weise - , diskutie-ren in themenzentrierten Sitzungen invorwiegend familiärem Umfeld, hörensich allenfalls, wenn sie einen "Seiten-sprung" auf fremdes Territorium wagen,wohlgesinnt zu und gehen dann wie-der nach Hause. Damit es wirklichzu fruchtbaren Grenzbegegnungen undGrenzüberschreitungen kommt, brauchtes bei den Teilnehmenden einen vielintensiveren Willen zur Entwicklungeines transdisziplinären Bewußtseinsund bei den Organisatoren eine ent-sprechende Bereitschaft zur Schaffung

Mitteilunqen

passender, verflechtender Strukturen.Eine humanökologische Tagung solltezu einem Erlebnis werden, das Anre-gungen dazu vermittelt, wie auch zuHause eine verstärkte Entwicklunghumanökologischer Perspektiven in dieWege geleitet werden könnte. Dies istunabdingbar, wenn wir von der Basiseiner alternativen Wissenschaft aus einenBeitrag zur Vermeidung oder minde-stens Milderung des "Weltuntergangs"leisten möchten.

Dieter SteinerGruppe Quantitative Geographie/Humanökologie

Geographisches Institut der ETH Zürich

[I] U. Beck: Gegengifte - Die organisierteUnveranlll'onlichkeit, Suhrkamp, Frankfurtam Main (1988), p. 9.

[2] Es handelte sich um die englische Kurz-fassung eines Artikels, der vor kurzem aufdeutsch erschienen ist: D. Steiner:"Umwelterhaltung durch Selbstbestim-mung", in H. Büchi, M. Huppenbauer (Ed.):Autarkie und Anpassung - Zur Spannungzwischen Selbs/beslimnHlllg und Umwel/-erhal/ung, Westdeutscher Verlag, Opladen(1996), p. 257-283.

[3] Vergleiche R. Weder: "Wirtschaft in derUmweltkrise: Globalisierung als Chancezur Lösung von Umweltproblemen",in [21. p. 289-309.

[4] So denkt auch der Alternativ-ÖkonomHerman Daly, daß die Wirtschaftsfachleutcsich zu einer Spezies entwickelt hätten, dicder Erde und ihren Bewohnern gefährlichwerde; verglciche H.E. Daly: 'The perils offree tradc", Seien/ißc Ameriean 269/5(1993) 24-29.

[5] R.B. Norgaard: Development Betrayed-The End 0/ Progress and a Coevolu/ion(//J'Revisioning ofthe Future, Routledge,New York (1994), insbesondere p. 18.

[6] R.ß. Norgaard in [51. p. 138-139.[7] R.ß. Norgaard in [51. p. 165-166.[8] R.B. Norgaard in [51. p. 246.

Der Verweis betrifft J.S. Dryzek: RationalEcology - Environmenl and PolitiealEconomy. ß1ackwell, Oxford (1987).

[9] Vergleiche dazu die Darstellung beiR.B. Norgaard: "Der Aufschwung desWelthandels und der Verlust biologischerVielfalt", in E.O. Wilson (Ed.): Ende derbiologischen Vielfal/? Der Ver/ust an Arten,Genen und Lebensräumen und die Chancenfiir eine Umkehr, Spektrum AkademischerVerlag, Heidelberg (1992), p. 229-234.

[10] Hierzu mag der folgende Hinweis auf eineFeststellung von Georg Picht (vergleicheseine Arbeit "Ist Humanökologie möglich?"in C. Eisenbart (Ed.): Humanökologie undFrieden, Klett-Cotta, Stuttgart (1979),p. 106), von Interesse sein. Sie bezieht sichauf eine bei Kant und Hegel vorkommendeUnterscheidung von Gedankengebilde undKunstwerk. Das erstere hat die Struktur einer"Idee", die nach universeller Geltung drängtund dabei im Versuch der Anwendung aufpartikuläre Situationen Schaden stiften kann.das letztere aber die des "Ideals", in dem sich'Allgemeines mit Speziellem, Individuellem,Lokalem in harmonischer Weise verbinden

kann. Auch von daher kann deutlich werden,daß der Versuch, die Idee eines globalenWirtschaftssystems durchzusetzen,zum ökologischen Desaster fUhren muß.

[11] Anspielung auf die Erzählung vonFranz Hohler ("Die Rückeroberung", inDie Rückeroberung - Erzählungen,Luchterhand, Neuwied (1984), p. 5-17),in der die Natur von der Stadt Zürich wiederBesitz ergreift.

[12] Dies ist allgemein ein interessantes Phäno-men, das auch an der Konferenz diskutiertwurde. Tatsächlich setzen sich ja vicleMenschen fUr den Schutz zum Beispiel derWale, des Elefanten, des Pandabären, dcsTigers ein, obschon sie vielleicht mit diesenTieren noch gar nie in Kontakt gekommensind. Zweifcllos hat dies auch etwas mit derDoppeigesichtigkeit des menschlichenRaumbewußtseins zu tun, wie es etwa beiY.F. Tuan als Gegensatz von "space" und"place" thematisiert wird (Y.F. Tuan: Spaceand Place - The Perspeetive of Experienee,Edward Arnold, London 1979):Dem Bedürfnis nach ortsgebundener Ver-wurzelung steht immer auch das Bedürfnisnach dem ungebundenen Abenteuer gegen-über.

[13] Dieser Abschnitt bezieht sich nicht aufAussagen bei der SHE-Konferenz, sondernenthält meinen Kommentar zur Situation.

[14] Was nach den Kriegswirren und anhaltendenUnruhen in Ruanda von diesem Projekt undden Gorillas überhaupt noch übrig ist, ent-zieht sich meiner Kenntnis.

[15] Im gleichen Jahr hat Cohen zu diesemThema ein umfangreiches Buch publiziert:J.E. Cohen: Ho\\' Many People Can IheEar/h Support?, Norton, NewYork (1995).Vergleiche dazu auch die Rezension vonV Smil in Na/ure 379 (15 Feb. 1996),p.593-594.

[16] Eine relativ drastische Illustration hicrzu:Würden alle momentan lebcndcn Mcnscheneincn westlichcn Lebensstil annehmen, wäredic Erde schon jetzt um rund einen Faktor 3übcrbevölkert. VergleicheM. Wackernagel, W. Rees: Our EeologiealFoo/print - Redueing Human /mpaet onEanh, New Society Publishers, GabriolaIsland, BC (1995), p. 15.

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