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Die „Netzgeneration“ - Empirische Untersuchungen zur Mediennutzung bei Jugendlichen

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Kapitel des L3T Lehrbuch (http://l3t.eu)

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2  —  Lehrbuch  für  Lernen  und  Lehren  mit  Technologien  (L3T)

1. Das  Konzept  einer  „Netzgenera3on“  –  zentrale  Aus-­‐sagen  

Seit mehr als zehn Jahren wird von verschiedenenAutoren das Konzept einer „Netzgeneration“ ge-prägt (zum Beispiel Tapscott, 1997, Prensky, 2001,Paloff & Pratt, 2003, Oblinger & Oblinger, 2005).Weitere Autoren greifen das Konzept im Zusam-menhang mit eigenen Ausführungen zustimmend auf(für eine ausführlichere Übersicht Schulmeister, 2009,36f). Die Begrifflichkeiten und die Verwendung desKonzepts sind im Detail unterschiedlich, allen ge-meinsam sind jedoch die folgenden Thesen: ▸ Die derzeit aufwachsenden Kinder und Jugend-

lichen haben ein weitgehend homogenes Medien-nutzungsverhalten, das sich grundlegend von demder Generationen vor ihnen unterscheidet.

▸ Da sie in einer Zeit aufwachsen, die von einerweiten Verbreitung und Nutzung von digitalenTechnologien gekennzeichnet ist, gehen sie selbst-verständlich und kompetent mit den Technologienum.

▸ Ihr Lernverhalten unterscheidet sich daher quali-tativ von dem anderer Generationen und stelltunser gesamtes Bildungssystem vor große Heraus-forderungen.

Am stärksten rezipiert wurde Marc Prensky (2001),der die Thesen der „Netzgeneration“ zusätzlich mitdem plakativen Bild der „digitalen Eingeborenen“(engl. „digital natives“) für die heutigen Kinder undJugendlichen bzw. den „digitalen Einwanderern“(engl. „digital immigrants“) für die – älteren – Er-wachsenen belegt: Die „digitalen Eingeborenen“ be-wegten sich mühelos und kompetent wie „Mutter-sprachler“ in einer digitalen Welt der Computer, Vi-deospiele und Internettechnologien. Die „digitalenEinwanderer“ hingegen, ohne Computer und In-ternet aufgewachsen, würden zeitlebens „mitAkzent“ sprechen, d.h. im Umgang mit den digitalenTechnologien immer Anpassungsschwierigkeitenhaben und weniger kompetent agieren. Zur Unterfüt-terung seines Bildes beruft Prensky sich zusätzlichauf neurobiologische Erkenntnisse, die vermeintlichergeben hätten, dass Kinder und Jugendliche heuteInformationen komplett anders verarbeiten und ihrGehirn sich daher bereits auch physisch veränderthabe.

Dieses zugegebenermaßen wirkmächtige Bild istbesonders häufig in der mediendidaktischen Dis-kussion als Argument genutzt worden, digitale Tech-nologien, vor allem neue Webtechnologien, in Lehr-und Lernsettings einzuführen.

Neben den zuvor skizzierten Grundaussagen wirddas Bild der „Netzgeneration“ zudem noch mitmeist positiven Zuschreibungen an die Kinderund Jugendlichen auf der psychischen und sozialenEbene dieser Generation verbunden. Tapscott (1997)beispielsweise beschreibt die Kinder der „Netzgene-ration“ als besonders neugierig und aufnahmefähig,offen gegenüber ethnischen Minoritäten und selbst-bewusster als frühere Generationen. Oblinger undOblinger (2005) heben hervor, dass diese Kinder undJugendlichen schnelle Reaktionszeiten haben unddiese auch von anderen erwarten, stärker visuell ori-entiert seien, Multitasking beherrschen würden, Inter-aktivität und Entdeckungen beim Lernen suchen.Wiederum andere interpretieren die Konsequenzendes mediengeprägten Alltags weniger positiv und ver-muten Aufmerksamkeitsstörungen und andere ne-gative Auswirkungen (zum Beispiel Opaschowski,1999).

Was ist nun dran am Bild der „Netzgeneration“?Auf welcher empirischen Basis beruht das Konzept?Deckt es sich mit den Ergebnissen aktueller Studienzum Mediennutzungsverhalten von Kindern und Ju-gendlichen? Die wissenschaftliche Debatte um denWahrheitsgehalt des Konzepts der „Netzgeneration“ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.

2.Mythos  „Netzgenera3on“  –  zentrale  Kri3kpunkte  amKonzept

Um das zentrale Ergebnis vorweg zu nehmen: die„Netzgeneration“ kann einer wissenschaftlichenÜberprüfung nicht standhalten. Sie erweist sich beigenauerer Betrachtung als unzulässige, stark über-zeichnete Generalisierung der Eigenschaften ein-zelner Subgruppen heutiger Kinder und Jugendlicher(Bennett et al., 2007). Die Kritik am Konzept der„Netzgeneration“ liegt dabei auf verschiedenenEbenen. Im deutschsprachigen Raum hat sich RolfSchulmeister (2009) mit einer mehrfach aktualisiertenInternet-Publikation detailliert der Kritik gewidmet.Im Wesentlichen werden folgende Punkte kritisiert(für eine detailliertere Darstellung der KritikpunkteSchulmeister, 2009):

Empirische  Datengrundlage  fehlt  

Betrachtet man die empirische Basis der Kernaus-sagen des Konzepts der „Netzgeneration“, wirdschnell deutlich, dass die Aussagen nicht gemäß wis-senschaftlicher Standards empirisch abgesichert sind.Die Beschreibungen basieren auf Einzelbeobach-tungen und anekdotischer Evidenz, nutzen alsogrundsätzlich nur sehr kleine Fallzahlen und beziehensich überwiegend auf die US-amerikanische weiße

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Mittelschicht. Die Ergebnisse können daher in keinerWeise als repräsentativ für eine ganze Alterskohortegesehen werden. Die Kernaussagen zur „Netzgene-ration“ sind daher vielmehr unzulässige Verallgemei-nerungen.

Jugendliches   Mediennutzungsverhalten   ist   differen-­‐zierter  

Betrachtet man den Mediengebrauch und die Me-dienkompetenz differenzierter, ergibt sich ein anderesBild: Die vermeintlich einheitliche „Netzgeneration“zerfällt in vielfältige Subgruppen, die ganz unter-schiedliche Nutzungsgewohnheiten, Kenntnisse undKompetenzen haben. Außerdem hebt die weite allge-meine Verfügbarkeit digitaler Technologien nichtzwangsläufig soziale Unterschiede auf (zum BeispielBMBF, 2010; Livingstone & Haddon, 2009, Palfrey &Gasser, 2008). Aktuelle empirische Studien zumMedien(nutzungs)verhalten zeigen komplexere Auf-teilungen und belegen Unterschiede in Zugang undNutzungsart in Abhängigkeit von soziokulturellenParametern (zum Beispiel EU Kids Online, 2009;JIM-Studie, 2009; ARD/ZDF-Onlinestudie, 2009;Treumann et al., 2007) Die in repräsentativen empiri-schen Studien belegte Diversität des Medienhandelns,der vorhandenen Kompetenzniveaus und der Nut-zungsarten wird in Abschnitt 3 skizziert.

Argumenta3on  ist  von  technologischem  Determinismusdurchzogen  

Die Verfechter der „Netzgeneration“, insbesonderePrensky (2001), argumentieren, dass die behauptetenFormen des Medienhandelns und der Eigenschaftender Kinder und Jugendlichen der „Netzgeneration“unmittelbar aus dem Vorhandensein der digitalenTechnologien und dem selbstverständlichen Umgangdamit resultieren. Hier scheint eine Argumentations-figur des technologischen Determinismus auf: dieTechnologien scheinen quasi unabhängig von denhandelnden Subjekten eine Kraft und eigenmächtigeWirkung auf die Mitglieder der sogenannten „Netz-generation“ zu entfalten. Dass Mediennutzung immersoziales Handeln ist, das von verschiedenen soziokul-turellen Faktoren beeinflusst wird und in einem kom-plexen Zusammenspiel von Subjekt und Techno-logien entsteht, wird ignoriert. Damit werden alle Er-kenntnisse zu Sozialisationsprozessen einerseits undzur sozialen Konstruiertheit von Technologien ande-rerseits nicht berücksichtigt. Technologien scheinenmenschliches Handeln eindimensional zu bestimmen.Dieser Determinismus steht im krassen Widerspruch

zur Komplexität menschlichen Handelns allgemeinund der Medienaneignung im Speziellen (auch Buck-ingham 2006).

3. Ergebnisse  empirischer  Studien  -­‐  ein  weitaus  diffe-­‐renzierteres  Bild  

Hier sollen vier neuere, repräsentative Studien heran-gezogen werden, um die Diversität innerhalb der Me-diennutzung unter den Jüngeren zu belegen: EU KidsOnline (2009), JIM-Studie (2009), ARD/ZDF-Onli-nestudie (2009) und die Studie zum MedienhandelnJugendlicher von Treumann et al. (2007). DieseStudien beleuchten unterschiedliche Aspekte zumMedienhandeln und Mediennutzungsverhalten, unter-scheiden sich in Anlage und Detailzielen und entspre-chend auch in den Ergebnissen. Sie belegen aberdennoch deutlich, dass das Bild der „Netzgeneration“mit der pauschalen Vermutung eines einheitlichenund kompetenten Medienhandelns und einer eben-solchen Mediennutzung nicht aufrecht zu erhalten ist.

ARD/ZDF-­‐Onlinestudie  2009

Die ARD/ZDF-Onlinestudie 2009 zeigt zwar, dasssich das Mediennutzungsverhalten der unter 30-Jäh-rigen stark vom dem der darüber liegenden Alters-gruppen unterscheidet, aber dass die Gruppe derUnter-30-Jährigen dennoch mindestens in zwei ver-schiedene Subgruppen zerfällt: Unter Rückgriff aufdie Mediennutzertypologie der MNT-Justierungs-studie 2006 werden die Subgruppen „Junge Wilde“und „Zielstrebige Trendsetter“ unterschieden, derenMedienhandeln in zahlreichen Bereichen Differenzenaufweist. Diese können durch verschiedene Be-dürfnis- und Interessenlagen, Bildungsniveaus und le-bensweltliche Rahmenbedingungen erklärt werden(Oehmichen & Schröter 2009). Es zeigen sich deut-liche inhaltliche Unterschiede bei der Nutzung vonOnline-Informationsangeboten (zum Beispiel Nach-richtendienste: „Zielstrebige Trendsetter“ 51 % ge-

Das   Konzept   der   „Netzgenera>on“   hat   keine   empi-­‐rische  Basis,  die  einer  wissenschaMlichen  Überprüfungstand   hält.   Das   Mediennutzungsverhalten   der   jün-­‐geren   Genera>on   ist   wesentlich   diverser,   als   es   dasKonzept  der  „Netzgenera>on“  nahe  legt.   In  der  Argu-­‐menta>on  zur  Begründung  der  „Netzgenera>on“  wirddie  Komplexität  menschlichen  Handelns  unzulässig  re-­‐duziert:   es   scheint,   dass   Technologien   das   Handelnder  Menschen   einsei>g   bes>mmen   könnten.   Im   Ge-­‐gensatz  dazu  weiß  man  aber  aus  der  Sozialisa>onsfor-­‐schung,   dass   zahlreiche   soziokulturelle   Faktoren   dasMediennutzungsverhalten  beeinflussen  und  dass  Me-­‐dienhandeln   immer   komplexes   soziales   Handeln   mitTechnologien  ist,  die  ihrerseits  sozial  konstruiert  sind.

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genüber „Junge Wilden“ 37%), aber auch Diffe-renzen bei der aktiven Nutzung bestimmter Online-Anwendungen wie zum Beispiel beruflicher Netz-werke (Abb. 3).

Oehmichen und Schroeter (2009, 449) fassen dieUnterschiede zwischen den Gruppierungen auf derBasis der ARD/ZDF-Onlinestudie wie folgt zu-sammen: „Dem eher bildmedien-, spaß- und unter-haltungsorientierten Typus des Jungen Wilden stehtder rationaler gestimmte, erheblich breiter interes-sierte MedienNutzerTyp des Zielstrebigen Trend-

setters gegenüber. Zugespitzt könnte man dem eherpassiv-konsumistischen Mediennutzungsstil derJungen Wilden einen aktiveren, Mitgestaltung ein-schließenden Stil der Zielstrebigen Trendsetter ge-genüber stellen“.

JIM-­‐Studie  2009  

Auch die JIM-Studie zeigt im Bereich von Computer-und Internetnutzung ein differenziertes Gesamtbild:Alter, Geschlecht und Bildungsgrad führen zu Unter-

Abbildung  1:  Anteil  der  Internetnutzer/innen  unter  den  6-­‐  bis  17-­‐Jährigen  in  der  EUQuelle:  Eurobarometer  2005,  2008  nach  Livingstone  &  Haddon,  2009,  Sec.  1,  S.  6

Abbildung  2:  Inhaltliche  Verteilung  der  Internetnutzung  von  12-­‐  bis  19-­‐Jährigen  in  Deutschland  in  Prozent  (N=1.173)Quelle:  JIM-­‐Studie  2009  nach  Medienpädagogischer  Forschungsverbund  Südwest  (2009,  35)

Abbildung  3:  Aktive  Nutzung  von  Onlineanwendungen  von  Internetnutzern  ab  14  Jahre  in  Deutschland  Quelle:  ARD/ZDF-­‐Onlinestudie  2009  nach  Oehmichen  &  Schröter  (2009,  448)

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schieden im Nutzungsverhalten. Zum einen variiertdie Ausstattung bzw. der Zugang der Jugendlichenleicht je nach Bildungsniveau und Geschlecht:

Unterscheidet man zum Beispiel den Hauptzweckder jugendlichen Internetnutzung, zeigen sich klareDifferenzen zwischen Mädchen und Jungen: „Jungenund junge Männer verwenden jede vierte Minute imInternet auf Spiele, bei den Mädchen und jungenFrauen ist es nur jede zwölfte. Dafür fällt bei denweiblichen Internetnutzern der kommunikativeAnteil der Onlinenutzung um zehn Prozentpunktehöher aus“ (Medienpädagogischer Forschungs-verbund Südwest, 2009, 33)

EU  Kids  Online  2009  

In der Studie EU Kids Online 2009 (Livingstone &Haddon, 2009) werden die Internetnutzung sowie diedadurch entstehenden Risiken für Kinder und Ju-gendliche europaweit verglichen. Hier zeigen sicheinmal erhebliche Unterschiede zwischen den ein-zelnen Ländern, zum Beispiel in der Anzahl der In-ternetnutzenden unter den 6- bis 17-Jährigen (sieheAbb. 1).

Zusätzlich wurden zahlreiche Ungleichheiten inAbhängigkeit von Alter, Geschlecht und sozioökono-mischem Status festgestellt (vgl. auch Zimic, 2009).

Studie  zum  Medienhandeln  Jugendlicher  von  Treumannet  al.  (2007)

Auch diese Studie zum Medienhandeln kommt zueinem ausdifferenzierten Gesamtbild: Generalisie-rungen auf eine ganze Alterskohorte sind nach dieserStudie ebenfalls nicht angebracht, Kompetenzen undQualifikationen im Medienhandeln variieren er-heblich. Die Studie legt das Medienkompetenzmodellvon Dieter Baacke (1999) mit den Komponenten Me-dienkunde, Mediennutzung, Medienkritik und Me-diengestaltung zugrunde, wobei die Studie sich nichtauf Computer- oder Internettechnologien be-schränkt, sondern klassische wie digitale Medien ein-bezieht. Die Unterschiede kommen u.a. in einer Ty-pologie zum Ausdruck, die sieben verschiedeneTypen beinhaltet. Diese unterschieden sich hin-sichtlich ihrer Medienpräferenzen, ihrer Medienkom-petenz in den verschiedenen Bereichen des Medien-kompetenzmodells sowie ihren Nutzungsmotiven.Die Studie wählt folgende Kurzcharakterisierungenund gibt ihre prozentuale Verteilung unter den be-fragten Jugendlichen an: Bildungsorientierte (20,4%),Positionslose (20,3%), Konsum- (17,4%) bzw. Kom-munikationsorientierte (19,1%). Allrounder (12%),Deprivierte (7,8%) sowie Gestalter (3,1%).

4. Konsequenzen  für  das  Lehren  und  Lernen  mit  Tech-­‐nologien  -­‐  Diversität  unterstützen  Das Bild der „Netzgeneration“ wurde zahlreich alsBegründung für neue Lehr- und Lernsettings mitTechnologien genutzt. Was bedeutet die Erkenntnis,dass die generalisierende Annahme einer einheitlichkompetenten jüngeren Mediennutzergeneration nichtder Realität entspricht, nun für das Lernen undLehren mit Technologien? Entfällt die Herausfor-derung für das Bildungssystem? Die Antwort ist ein-deutig: Nein, die Herausforderung ist nur anders ge-lagert. Sie besteht nicht wie Prensky und andere argu-mentieren, in der Notwendigkeit digitale Medien inLern- und Lehrarrangements zu integrieren, um denmedienkompetenten Jugendlichen passende Lehran-gebote zu machen. Sie besteht vielmehr darin, die Di-versität der Kinder und Jugendlichen auch in punctoMediennutzung anzuerkennen und die unterschied-lichen Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, sozio-ökonomischer Status sowie Medienpräferenzen undvorhandene Medienkompetenzen in ihren unter-schiedlichen Ausprägungen bei der Einführung vonTechnologien in Unterricht und Lehre hinreichend zuberücksichtigen und so passgenaue Angebote zu ent-wickeln. Für Jugendliche, die von Exklusion in derMediengesellschaft bedroht sind, gilt es zusätzlich ge-eignete Fördersysteme zu entwickeln (BMBF, 2010).

5. Zusammenfassung  der  zentralen  Erkenntnisse  

Abschließend noch einmal eine Zusammenfassungzentraler Erkenntnisse dieses Kapitels. ▸ Zahlreiche Autor/innen behaupten, dass eine

jüngere Alterskohorte existiere, deren Mediennut-zungsverhalten weitgehend einheitlich und unbe-einflusst von soziodemographischen Faktoren istund die auf einem gleichsam hohen Medienkom-petenzniveau agieren („Netzgeneration” bezie-hungsweise. „digitale Eingeborene“).

▸ Diese Behauptung hat keine wissenschaftlich ab-gesicherte empirische Basis, sie ist aber dennoch

Diverse  empirische  Studien   zum  Mediennutzungsver-­‐halten   von   Kindern   und   Jugendlichen   belegen   einehohe  Mediennutzung  und  ebenso  einen  weit  verbrei-­‐teten   Umgang   mit   verschiedenen   Internetdienstenunter  Kindern  und  Jugendlichen.  Sie  zeigen  aber  aucherhebliche   Unterschiede   in   Nutzung   und   Gebrauchauf:   Soziodemographische  Daten  wie  Geschlecht,  Bil-­‐dungsabschluss,   Einkommen   beeinflussen   Art   undZweck   der   Nutzung   von  Medien   und   speziell   des   In-­‐ternets.   Eine   einheitliche   „Netzgenera>on“   belegensie  eindeu>g  nicht.

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stark rezipiert worden und vor allem als Argumentfür die Notwendigkeit des Lernens und Lehrensmit Technologien genutzt worden.

▸ Jüngere repräsentative empirische Studien zumMedienhandeln Jugendlicher zeigen ein weitausdifferenzierteres Bild. Medienkompetente Nutzerin allen Bereichen von Medienkompetenz (Me-dienkunde, Nutzung, Kritik und Gestaltung)bilden bestenfalls eine Subgruppe unter vielen an-deren Gruppierungen. Diese Studien zeigen wei-terhin Abhängigkeiten des Medienhandelns vonunterschiedlichen soziodemographischen Faktorenwie Alter, Geschlecht und sozioökonomischemStatus auf.

▸ Die Herausforderung für das Bildungssystem be-steht nicht darin, zwingend Lern- und Lehrformenmit Technologien einführen zu müssen, sondernbei ihrer Einführung die Diversität des Medien-handelns und der Kompetenzniveaus hinreichendzu berücksichtigen und entsprechende Lern und-Lehrarrangements zu gestalten, aber auch Förder-systeme bei Zugangs- oder grundsätzlichen Kom-petenzproblemen zu konzipieren.

Literatur

▸ Baacke, D. (1999). Medienkompetenz als zentrales Operati-onsfeld von Projekten. In: D. Baacke (Hrsg.), HandbuchMedien, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 31-35.

▸ Bennett, S.; Maton, K. & Kervin, L. (2007). The "digital na-tives" debate: A critical review of the evidence. In: BritishJournal of Educational Technology, 39(5), 775-786.

▸ Buckingham, D. (2000). After the death of childhood. Growingup in the age of electronic media. Malden: Blackwell PublishersInc.

▸ Bundesministerium für Bildung und Forschung (2010). Kom-petenzen in einer digital geprägten Kultur. Medienbildung fürdie Persönlichkeitsentwicklung, für die gesellschaftlicheTeilhabe und für die Entwicklung von ausbildungs- und Er-werbsfähigkeit. Bielefeld: W. Bertelsmann.

▸ Livingstone, S. & Haddon, L. (2009). EU Kids Online: Finalreport. LSE. London: EU Kids Online.(EC Safer Internet PlusProgramme Deliverable D6.5), URL:http://www2.lse.ac.uk/media@lse/research/EUKidsOnline/EU%20Kids%20I/Reports/EUKidsOnlineFinalReport.pdf[15-11-2010].

▸ Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2009). JIM2009. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zumMedienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart.

▸ Oblinger, D. & Oblinger, J. (2005). Is It Age or IT: First StepsToward Understanding the Net Generation. In: Oblinger, D. &Oblinger, J. (Hrsg.). Educating the Net Generation. Educause,URL: http://www.educause.edu/educatingthenetgen/ [15-11-2010].

▸ Oehmichen, E. & Schröter, C. (2009). Zur Differenzierung desMedienhandelns der jungen Generation. Eine Analyse aufBasis der ARD/ZDF-Onlinestudie 2009. MEDIA PERSPEK-TIVEN, 8, 2009, URL: http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/fi-leadmin/Online09/Schroeter_Oehmichen.pdf [15-11-2010].

▸ Palfrey, J. & Gasser, U. (2008). Generation Internet. Die DigitalNatives: Wie sie leben - Was sie denken - Wie sie arbeiten.München: Hanser Verlag.

▸ Palloff, R. & Pratt, K. (2003). Virtual Student. A Profile andGuide to Working with Online Learners. San Francisco: Jossey-Bass.

▸ Prensky, M. (2001). Digital Natives, Digital Immigrants. On theHorizon NCB University Press, 9(5), URL: http://www.mar-cprensky.com/writing/Prensky%20-%20Digital%20Natives,%20Digital%20Immigrants%20-%20Part1.pdf [15-11-2010].

Recherchieren   Sie   bei   einer   Publika>on,   die   das   Vor-­‐handensein   einer   „Netzgenera>on”   propagiert,   dieangegebene  empirische  Basis  sowie  die  Methode  derErkenntnisgewinnung.  Wird   ein   Forschungsdesign   er-­‐kennbar?   Welche   Fallzahlen   werden   genannt?   Wirdein  einheitliches  und   systema>sches  Vorgehen   trans-­‐parent  ausgewiesen?  

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Weiterführende  Literatur  und  andere  Lernressourcen▸ Website  des  Medienpädagogischen  Forschungs-­‐verbund  Südwest  mit  regelmäßigen,  aktuellen  em-­‐pirischen  Studien  zum  Mediennutzungsverhaltenvon  Kindern  und  Jugendlichenhhp://www.mpfs.de/  ▸ Blogeintrag   zum   Thema   von   Prof.   Dr.   GabiReinmann   vom   20.09.2009   mit   einer   lebendigenDiskussion   durch   zahlreiche   Kommentare:hhp://gabi-­‐reinmann.de/?tag=netzgenera>on  ▸ Weblog  „Netgenskep>c“  in  englischer  Sprache  mitzahlreichen   aktuellen   (kri>schen)   Beiträgen   zumKonzept  der  Netzgenera>on:  hhp://www.netgens-­‐kep>c.com/  

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Recherchieren  Sie  im  Detail  die  Ergebnisse  einer  aktu-­‐ellen   empirischen   Studie   zum   Medienhandeln   vonKindern   und   Jugendlichen.   Halten   Sie   s>chwortar>gfest,  ▸ wie   das   methodische   Design   und   die   empirischeBasis  beschrieben  werden  und▸ welche  Differenzierungen  im  Medienhandeln  bzw.mit   Blick   auf   die   Medienkompetenz   herausgear-­‐beitet  werden.  

Tragen  Sie   Ihre  Ergebnisse   in  einer  Arbeitsgruppe  zu-­‐sammen  und  disku>eren  Sie  gemeinsam,  welche  Kon-­‐sequenzen  die  Ergebnisse  für  die  Gestaltung  von  Lern-­‐und   Lehrarrangements   haben   könnten.   Wählen   Siedabei   einen   konkreten   Praxiskontext   aus   einem   Bil-­‐dungsbereich,  der  Sie  besonders  interessiert  

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▸ Schulmeister, R. (2009). Gibt es eine Net Generation? Erwei-terte Version 3.0. Hamburg, URL: http://www.zhw.uni-ham-burg.de/uploads/schulmeister_net-generation_v3.pdf [15-11-2010].

▸ Tapscott, D. (1997). Growing Up Digital: The Rise of the NetGeneration. New York: McGraw-Hill.

▸ Treumann, K.; Meister, D. M.; Sander, U.; Hagedorn, J. &Kämmerer, M. (2007). Medienhandeln Jugendlicher. Medien-nutzung und Medienkompetenz. Wiesbaden: VS Verlag für So-zialwissenschaften.

▸ Zimic, S. (2009). Not so ‚techno-savvy‘: Challenging the stereo-typical images of the ‚Net generation‘. Digital Culture & Edu-cation, 1(2), 129-144. URL: http://www.digitalcultureandedu-cation.com/cms/wp-content/uploads/2010/01/dce1020_zimic_2009.pdf [15-11-2010].