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Entwicklungszusammenarbeit - Technologieeinsatz beim Lernen und Lehren

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Kapitel des L3T Lehrbuch (http://l3t.eu)

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2  —  Lehrbuch  für  Lernen  und  Lehren  mit  Technologien  (L3T)

1. Lernen  und  Lehren  in  der  Entwicklungszusammen-­‐arbeit:  Capacity  Building

Zunächst stellen sich bei diesem Thema die Frage:Was ist Entwicklungszusammenarbeit bzw. Entwick-lungshilfe? Der Begriff der „Entwicklungszusam-menarbeit“ betont, im Gegensatz zum veraltetenKonzept der „Entwicklungshilfe“, den partnerschaft-lichen Charakter der Beziehungen zwischen Entwick-lungs- und Industrieländern. In der Entwicklungszu-sammenarbeit heute steht das gemeinsame Bemühenvon Industrieländern und Entwicklungsländern imVordergrund weltweite Unterschiede in der sozio-ökonomischen Entwicklung und in den allgemeinenLebensbedingungen dauerhaft und nachhaltig abzu-bauen. Ein zentraler Begriff ist hier das „CapacityBuilding“, dessen Verständnis wichtig für die späterbeschriebenen Ausführungen zum Einsatz von tech-nologiegestützten Lernszenarien ist.

Capacity Building (engl. für „Aufbau von Kapa-zität“) ist eine der Methoden, die sich in den letztenJahren als erfolgversprechend (und oftmals auch er-folgreich) für die Entwicklungszusammenarbeit ge-zeigt hat. Es gibt zahlreiche Definitionen für CapacityBuilding. Eine davon deutet Capacity Building als dieVermittlung von Handlungskompetenzen undWissen, frei nach dem Montessori-Grundsatz: „Hilfmir, es selbst zu tun“. Capacity Building bedeutet indiesem Sinne, die Handlungskompetenzen des Ein-zelnen zu stärken und ihn zu befähigen, sein Wissenweiterzugeben. Teilnehmende an Capacity-Building-Programmen tragen ihre neuen Kompetenzen undErfahrungen in ihre Behörden, Verbände, Kammernund Unternehmen, in regionale und überregionaleInstitutionen. Sie tragen ihr Wissen an jene Stellen, andenen Veränderungsprozesse angestoßen werdenkönnen.

Strukturelle Veränderungen können sich aber nurdann langfristig durchsetzen, wenn die entspre-chenden Rahmenbedingungen stimmen. Das be-deutet letztlich, dass Veränderungsprozesse vertikalauf allen Ebenen greifen und horizontal alle Sektorenumfassen sollten, also politische Akteure ebenso wieVertreter/innen aus der Wirtschaft sowie der Zivilge-sellschaft.

2.Warum  technologiegestütztes  Lernen  in  der  Entwick-­‐lungszusammenarbeit?  

Auch Entwicklungszusammenarbeit entwickelt sich,im wahrsten Sinne des Wortes. Die Frage, warum nunauch technologiegestütztes Lernen Einzug in Ca-pacity-Building-Maßnahmen der Entwicklungszusam-menarbeit findet, lässt sich sowohl aus der Sicht derGeberländer als auch der Empfänger/innen beant-worten.

Im Folgenden werden wir von den Vorteilen techno-logisch gestütztem Lernen berichten, wie sie sich inbisherigen Projekten darstellten.

Vorteile  aus  Sicht  der  Geber/innen  und  Anbieter/innen

Aus der Sicht der Geber/innen bzw. der Anbieter/in-nen der Bildungsangebote ist technologiegestütztesLehren nur eine von vielen Möglichkeiten, Infor-mation und Wissen zu transferieren und damit zurEntwicklung von Staaten beizutragen. Es macht nichtin jedem Fall Sinn und sollte nicht zum reinen Selbst-zweck werden. Technologiegestütztes Lernen kannfolgende Vorteile haben: Reisekosten für Exper-tinnen und Experten entfallen, Inhalte könnenleichter adaptiert und angepasst werden; darüberhinaus stehen die Lerninhalte den Teilnehmern je-derzeit, auch nach Beendigung des Programms zurVerfügung. Weitere Vorteile sind, dass Fachwissenvon Expertinnen und Experten vermittelt werdenkann, die ansonsten vielleicht nicht zur Verfügungstehen würden: Wer reist schon gerne in ein vonKrieg, Unruhen und Krisen geschütteltes Land wieAfghanistan oder den Irak? Zudem können Lernin-halte vergleichsweise einfach an verschiedenste Ziel-gruppen, unterschiedliche individuelle Bedarfe undunterschiedliche kulturelle Umgebungen angepasstwerden.

Was  bedeuten  „Veränderungsprozesse“  und  „Verände-­‐rungsmanagement“?   Recherchieren   Sie   dazu.   Inwelcher  Weise   kann   technologiegestütztes   Lernen   inder   Entwicklungszusammenarbeit   solche   Verände-­‐rungsprozesse   unterstützen?   Entwerfen   und   disku-­‐Keren  Sie,  am  besten  im  Gespräch  mit  einer  Partnerinoder  einem  Partner,  ein  mögliches  Szenario.  

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Wo  sehen  Sie  die  größten  Vorteile  von  technologiege-­‐stützten  Lernangeboten  im  Rahmen  der  Entwicklungs-­‐zusammenarbeit?   Warum   kann   es   beispielsweisesinnvoll   sein,   dass   eine   EntwicklungsorganisaKon   fürTeilnehmer/innen   aus   Namibia   eine   Schulung   zumThema   HIV/AIDS-­‐PrävenKon   als   E-­‐Learning   anbietet?Warum   kann   das   für   die   Teilnehmer/innen   aus   Na-­‐mibia  vorteilhaWer  sein,  als  an  einer  Präsenzschulungteilzunehmen?  

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Vorteile  für  die  Teilnehmer/innen

Mit E-Learning-Angeboten können Zielgruppen an-gesprochen werden, die geographisch nicht ohne wei-teres erreichbar sind. Entscheidungsträger/innen,beispielsweise in der Mongolei, haben so nicht immerZeit und Lust, für ein Seminar eine Anreise von einerWoche auf sich zu nehmen. An einem webbasiertenTraining würden sie eher teilnehmen und somit Ver-änderungsprozesse mittragen können. Es ist auchimmer noch schwierig, Männer für Kindererzie-hungskurse in Aserbaidschan zu begeistern, obwohlsich auch dort die Rollenverteilung drastisch ändert.Aber an E-Learning-Kursen, bei denen sie nicht per-sönlich teilnehmen müssen, sich also nicht „outen“müssen, nehmen sie rege teil, zeigten Evaluierungser-gebnisse der Universität in Baku (Selbstauskunft derUniversität Baku).

Ein weiterer Vorteil liegt in der möglichen Einbe-ziehung von benachteiligten Gruppen durch dieNutzung von Technologien. So haben Frauenmachmal keine Möglichkeit an Präsenztrainings teil-zunehmen, erhalten aber durch E-Learning Zugangzu einzelnen Fortbildungen, sogar Bachelor- undMaster-Programmen. Besonders eindringlich lässtsich dieses an einem Beispiel aus Afghanistan ver-deutlichen: So können dort Frauen, selbst wenn sie inhohen Positionen in Ministerien sitzen, nur an Prä-senztrainings teilnehmen, wenn ein männlicher Ver-wandter sie zumindest begleitet. Es ist dem Seminar-verlauf oft nicht dienlich, wenn hinter jeder Teilneh-merin ein Bruder oder Onkel sitzt. E-Learning isthier eine mögliche Lösung für alle Beteiligten. Wiezahlreiche weitere Beispiele aus Ländern des NahenOstens zeigen, trägt der Austausch mit Angehörigenanderer Kulturen in Foren und Chats weiter zurSelbstbestimmung teilnehmender Frauen bei.

Es gelten also die gleichen Argumente, wie sie inder europäischen Diskussion zum E-Learning ange-bracht werden, also beispielsweise die Zeitersparnis,Flexibilität und Kosteneffizienz. Hinzu kommen aberauch weitere, spezifische Vorteile, beispielsweise dieAnonymität der Teilnahme. Wird in multikulturellenLerngruppen gelernt, das heißt zum Beispiel in einerinternationalen Gruppe, können LerntechnologienWege eröffnen, die auf konventionellem Weg fast un-bezahlbar und unrealistisch sind. Teilnehmer/innenaus den verschiedensten Regionen der Welt könnensich austauschen, vernetzen und gemeinsam Lö-sungen erarbeiten. Es kommt vor allem auch zueinem Dialog, der das „Geber-Nehmer“-Schema derEntwicklungs„hilfe“ durchbricht und insofern in be-sonderem Maße die andere Perspektive der Entwick-

lungsländer in die Entwicklungszusammenarbeit ein-bringt. Dieses wäre auf „konventionellem Weg“ fastunbezahlbar.

3. Besonderheiten  des  technologiegestützten  Lernensin  der  internaKonalen  Entwicklungszusammenarbeit  

Die möglichen Vorteile des technologiegestütztenLernens können nur dann wirken, wenn sie für dieZielgruppe erreichbar sind. Zentral sind dabei dieFragen nach der Infrastruktur sowie Voraussetzungenfür den Umgang mit der Technologie und für dasverteilte Lernen, also die entsprechend notwendigenKompetenzen der jeweils angesprochenen Part-ner/innen und Teilnehmer/innen.

Technische  Infrastruktur

Der Zugang der Teilnehmer/innen zu Technologienist beschränkt und die Telekommunikationsinfra-strukturen sind häufig noch ziemlich schlecht undteuer. Während man in den USA beispielsweise füreinen Computer statistisch gesehen circa ein Monats-gehalt aufwenden muss, kostet dieser einen Ein-wohner von Bangladesch acht Jahresgehälter(Afemann, 2003). Ähnlich verhält es sich mit den In-ternetkosten. Computer mögen vorhanden sein, dieBandbreite des Internets aber ist sehr beschränkt;neue Software fehlt. Insgesamt besitzen wesentlichweniger Einwohner/innen der Entwicklungsländereinen Zugang zum Internet als in den Industriena-tionen (vgl. Abbildung 1).

Technologiegestützte   Lernangebote   können,   sofernsie   die   Zielgruppe   erreichen,   LernseYngs   ermög-­‐lichen,  die  im  Präzenzunterricht  unter  Umständen  garnicht  realisierbar  sind.  

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Abbildung  1:  Internetnutzer/innen  je  100Einwohner/innen.  Quelle:  ITU  World  Telecommunica-­‐tions,  URL:  http://www.itu.int/ITU-­‐D/ict/statistics/index.html  [2010-­‐12-­‐12]

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Eine große Hürde ist bei webbasierten Lern-angeboten das „Bandbreitenproblem“: Zahlreiche derheute genutzten und hoch gelobten, interaktiven undlernmotivierenden Angebote im Internet beruhen aufTechniken, die einen enormen Datentransfer inkurzer Zeit erfordern. Als Beispiel seien hier nurVideos, Audiowiedergabe oder gar bandbreitenin-tensive Angebote wie Videokonferenzen, genannt.Wenn Teilnehmer/innen aus Mali oder aus demmongolischen Gobi-Altai an einem Kurs teilnehmenmöchte, so stellen diese Techniken bei einer 9.600bit/s Modem-Anbindung eine unüberwindbareHürde dar und stellen die Zielerreichung des Pro-gramms der Entwicklungszusammenarbeit mehr alsnur in Frage (siehe Box „In der Praxis“ oben). EinAlternative ist in manchen Fällen, zumindest inLändern in denen die entsprechende Infrastrukturvorhanden ist, die Nutzung von Mobiltelefonen(siehe Box „In der Praxis“ unten). Freilich ergebensich in M-Learning-Szenarien wiederum besondereProbleme für die Aufbereitung des zu vermittelndenWissens.

Weitere  Herausforderungen

Andererseits sind aber natürlich auch sprachlicheFragen zu beachten. Dabei gibt es besondere kultu-relle und interkulturelle Aspekte zu berücksichtigen.

Die Gegebenheiten des täglichen Lebens unddes Arbeitsalltags, beispielsweise die Zeit des islami-schen Fastenmonats Ramadan sind teilweise gänzlichanders als bei uns.

Eine Herausforderung stellen auch interkultu-relle Aspekte dar. An Programmen der Entwick-lungszusammenarbeit, und darin liegt ja oftmals auch

der besondere Nutzen und teilweise sogar das Zielbegründet, nehmen Teilnehmer/innen aus den unter-schiedlichsten Kontinenten, Regionen, Ländern, Reli-gionen, Ethnien teil, die verschiedenste Sprachensprechen und verschiedenste Lernerfahrungen ge-macht haben.

Die neuen Lerntechnologien, das Internet, Mobil-telefone, Computer und Kommunikationstechnik be-wegen sich besonders in den Entwicklungsländern ineinem dynamischen Spannungsfeld zwischen traditio-nellen, erprobten Lernmethoden und technologiege-stützten innovativen Lernformen.

All dieses spiegelt sich in der Aufbereitung undDurchführung der Kurse wider: die Didaktik, dasLayout, die Bebilderung und die Sprache stellen be-sondere Herausforderungen dar. Praktiker/innen be-richten dabei auch, dass die Begeisterung für tech-nische Innovationen und neue Medien in Entwick-lungsländern oftmals besonders hoch ist.

In der Praxis: Das Bandbreitenproblem 9600   bit/s   entspricht   der   mobilen   GSM-­‐Datenrate   und   be-­‐nennt  die  Übertragungsgeschwindigkeit   in   "bit  per   second".Nutzer/innen   in  Mibeleuropa   erleben   heute   Übertragungs-­‐

raten   die   etwa   Hundert   Mal   höher   sind,   also   bei   bis   zu   1Mbit/s  liegen,  als  unerträglich  langsam  und  würden  frustriertden  Web-­‐Browser  schließen.  

Welche  Technologien  kommen  in  Kursen  zum  Einsatz,die   Sie   kennen?   Recherchieren   Sie,   wie   viel   Band-­‐breite  diese  benöKgen.  Würden  Sie  diese  Technologienoch   nutzen,  wenn   Sie   eine   sehr   langsame   Internet-­‐verbindung  häben?

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Wählen   Sie   eine   Ihrer   Lehrveranstaltungen   aus:  Wiekönnte  der  Inhalt,  möglichst  textbasiert  und  leicht  ver-­‐ständlich,  auhereitet  werden?

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In der Praxis: Mobile HIV/Aids-Prävention in SüdafrikaIn   keinem   anderen   Land   gibt   es   mehr   Menschen,   die   anHIV/Aids  erkrankt  sind  als   in  der  Republik  Südafrika,  die  vonder  Europäischen  Union  nicht  eindeuKg  als  Entwicklungslandzugeordnet  wird.  Um  möglichst  viele  gefährdete  Menschen,also   vor   allem   Jugendliche   und   junge   Erwachsene   zu   er-­‐reichen,   wird   das  Mobiltelefon   eingesetzt,   das   die   meistenvon   ihnen   besitzen.   Im   Projekt   „Cellphones   4   HIV“   werden

daher   Kurznachrichten   verschickt:   Mit   Hilfe   solcher   SMSsollen   Jugendliche   sensibilisiert   werden,   auf   AkKonen   undUnterstützung  aufmerksam  gemacht  werden,  beispielsweiseauf  Kondomausgabestellen.

Quelle:  hbp://www.cell-­‐life.org/cellphones-­‐4-­‐hiv  [2010-­‐12-­‐12];  Schneider  et  al.,  2010,  88f

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4. PragmaKscher  Umgang  mit  der  TechnikEs gilt also Lösungen zu finden, sich technisch zu be-schränken und eine spezielle Methodik und Didaktikzu entwickeln, die diesen Umständen Rechnung trägt.Dieses stellt eine große Herausforderung für alle Be-teiligten dar, gleich ob Autor/in, Didaktiker/in, tech-nische Entwickler/in, Grafiker/in oder Tutor/in. ▸ Lernmaterialien auf CD-ROM sind vielfach eine

hilfreiche Option, wenn keine ausreichende Inter-netanbindung vorhanden ist.

▸ Häufig sind Mobiltelefone weit verbreitet undstellen damit eine Option in Sachen Erreichbarkeitder Teilnehmer/innen dar.

▸ Bei webbasierten Anwendungen ist ein Verzichtauf statt von bandbreitenintensiven Anwen-dungen, insbesondere Reduktion von Bildern undMultimedia, häufig notwendig.

Kursentwickler/innen haben die Erfahrung gemacht,dass die eingeschränkten Möglichkeiten oft die Kon-zentration auf das, was wirklich wichtig ist, nämlicheine saubere Konzeption und Umsetzung der Kursin-halte, forciert. Vielleicht auch, weil sich schlechte In-halte nicht mehr hinter Animationen, Videos oder Si-mulationen „verstecken“ können.

5. Sensibler  Umgang  mit  (inter-­‐)  kulturellen  Vorausset-­‐zungen

Nehmen wir als Beispiel einen Kurs, in dem Teil-nehmer/innen aus Bildungseinrichtungen in Zen-tralasien (Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan, Kir-gisistan) erlernen wollen, wie man mit dem ThemaHIV/AIDS im Gesundheitswesen umgehen kannund welche Konzepte in diesem Bereich bestehenund evtl. übernommen werden könnten.

Die potentiellen Teilnehmer/innen kommen zwaralle aus einer Region (Zentralasien), sprechen aberverschiedene Sprachen (mit Russisch als mögliche ge-meinsame Sprache, die man in allen Ländern, aller-dings in unterschiedlichem Maße, beherrscht), siehaben unterschiedliche Religionen in unterschied-lichen Ausprägungen mit unterschiedlichen Einstel-lungen zu Sexualität und der Rolle der Frau in derGesellschaft. Stereotype und historische Empfind-samkeiten beeinflussen die Wahrnehmung des jeweilsanderen. Im Kommunikationsverhalten, der Gestikund Mimik, Ritualen spiegeln sich unterschiedlicheTabus wider, beispielsweise welche Person eineandere zuerst grüßen sollte und wie dies auf keinenFall geschehen sollte. Auch unterscheidet sich bei-spielsweise eine Usbekin in ihrem Äußeren deutlichvon einer Kirgisin, ein Tschetschene deutlich von

einem Kasachen. Auch gibt es nationale politischeFreund- und Feindschaften sowie entsprechende Ste-reotypen und Vorurteile.

Nehmen wir als Beispiel nur die grafische Ge-staltung des Kurses: Im besten Falle sollte bei jedemBild ein Mensch aus jeder Bevölkerungsgruppe,beider Geschlechter, jedes Landes in jeder Rolle, alsobeispielsweise als Ärztin oder Patientin, zu sehensein. Wird eine die Diversität einer solchen Dar-stellung, sofern sie überhaupt gelingt, als positiv emp-funden? Oder schafft dies erst Raum für Fremden-feindlichkeit, Vorbehalte und entsprechende Refle-xionen der Teilnehmer/innen? Neutrale Strich-männchen sind eine naheliegende Lösung. Aber wäredas dann förderlicher für das Lernen?

Es zeigt sich deutlich: Scheinbar simple Fragennach Inhalten und Darstellung müssen von den Be-teiligten je nach entwicklungspolitischer Zielsetzungdes Capacity Building und je nach regionalem odermultikulturellem Kontext neu gestellt und beant-wortet werden. Das Wissen darüber und ein sensiblerUmgang mit den kulturellen Besonderheiten der Ziel-gruppe ist dabei notwendige Voraussetzung.

6. Technologiegestütztes  Lernen  als  Empowerment

Das Potenzial von technologisch gestütztem Lernenund Lehren in der Entwicklungszusammenarbeit liegtvor allem darin, Know-How im Umgang mit den In-formations- und Kommunikationstechnologien auf-zubauen, also die Fähigkeit, auch in Entwicklungs-ländern selbstständig weltweit verfügbare Informa-tionen und vorhandenes Wissen für sich nutzbar zumachen. Informations- und Kommunikationstechno-logien sind für die Entwicklungszusammenarbeit in-sofern vor allem ein Instrument der Steigerung derAutonomie oder Selbstbestimmung (engl. „Empo-werment“). Sie sind ein Werkzeug, um die Bildungs-chancen der Armen zu erhöhen und um mehr Men-schen die Teilnahme am gesellschaftlichen und wirt-schaftlichen Leben zu ermöglichen. Je schneller dieMenschen, gerade Frauen und Mädchen, aus mög-lichst allen sozialen Schichten an die neue Techno-logie herangeführt werden, umso schneller wird derAnschluss an die globale Informations- und Wissens-gesellschaft gelingen. Und gerade in dieser Hinsichtstößt technologiegestütztes Lernen als Instrument fürEntwicklung und im Einsatz des Capacity Buildingauch an seine Grenzen, nämlich die politisch-wirt-schaftlichen Strukturen: Das Angebot darf nichtallein der städtischen Elite, der Schicht der Reichenund Mächtigen zu Gute kommen. Damit auch länd-liche Regionen und Menschen in Armut davon profi-tieren, bedarf es nationaler, umfassender E-Learning-

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Strategien bzw. einer nationalen E-Policy. Informati-onsfreiheit und Rechtssicherheit müssen gewähr-leistet sein.

Mit der „Global Campus 21 E-Academy“, die imAuftrag des deutschen Bundesministeriums für Wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung entwi-ckelt wurde, gibt es zudem ein umfassendes Angebotan freien und gebührenpflichtigen Kursen zu fastallen Themen der Entwicklungszusammenarbeit.Nachhaltigkeit spielt dabei eine entscheidende Rolle(siehe Abbildung 2).

7. Förderung  von  E-­‐Learning  als  Empowerment  

Vor dem Hintergrund, dass Kompetenzen imUmgang mit Informationstechnologien und imLernen mit technologischer Unterstützung die Auto-nomie und Selbstbestimmung unterstützen, gibt eszahlreiche Initiativen der Entwicklungszusammen-arbeit, die sich den Ausbau entsprechender Kompe-tenzen auf die Fahne geschrieben haben.

In der Praxis: One Laptop per ChildDas   Project   „One   Laptop   per   Child“,   kurz   OLPC,   hat   denAuWrag,   Bildungschancen   für   die   Ärmsten   der   Welt   zuschaffen,   indem  sie   jedes  Kind  mit  einem   robusten,   kosten-­‐günsKgen,   stromsparenden   Laptop   ausstabet.   Zu   diesemZweck  wurden  Hardware,  Inhalte  und  SoWware  für  kollabora-­‐Kves,   spannendes   und   selbstbesKmmtes   Lernen   entwickelt.Mit  dem  Zugang  zu  InformaKonen  und  Technologien  wird  esgelingen,   Kinder   lernen,   teilen   und   gestalten   zu   lassen.   Siewerden   miteinander   verbunden,   zur   Schaffung   einer   bes-­‐seren  ZukunW.  

Erste  Überlegungen  bezüglich  eines  Wissenstransfers   in  Ent-­‐wicklungs-­‐  und  Schwellenländer  wurden  schon  in  den  1970er

Jahren   von   MIT-­‐Professor   Seymour   Papert   angestellt.   Ineinem  Forschungsprojekt  brachte  er  Computertechnologie  inein  afrikanisches  Dorf.  Er  beobachtete,  inwieweit  die  Kinder,die  vorher  keinen  Kontakt  damit  haben,   innerhalb  kürzesterZeit   lernten,   den  Computer   anzuwenden  und   sich   so  neuesWissen  aneigneten.  Bei  weiteren  Überlegungen  kam  am  MITdie  Idee  auf,  ein  100-­‐Dollar-­‐Laptop  speziell  für  Entwicklungs-­‐länder  zu  konzipieren.  Als   sich   abzeichnete,   dass   das   Projekt   den   Rahmen   einesreinen   Forschungsprojektes   sprengen   würde,   wurde   zudessen   Umsetzung   in   die   Praxis   die   gemeinnützige   Gesell-­‐schaW  One  Laptop  per  Child  gegründet.

In der Praxis: „Open Source and more IT for African Business“„Open   Source   and   more   IT   for   African   Business“   ist   eineSammlung  von  E-­‐Learning-­‐Kursen  zum  effekKven  Einsatz  vonOpen-­‐  Source-­‐SoWware  in  kleinen  und  mibelständischen  Un-­‐ternehmen.   Alle   Kurse   dieser   Suite   sind  mit   einer   CreaKve-­‐Commons-­‐Lizenz   veröffentlich   und   können   damit   auch   füreigene   Schulungsangebote   eingesetzt   werden.   Es   werdenhierdurch   erfolgreich   Unternehmen   in   die   Lage   versetzt,

Open-­‐Source-­‐SoWware  einzusetzen;  einerseits  direkt  und  an-­‐dererseits   indem   sie   andere   Unternehmen   in   der   Nutzungdieser  kostenlosen  und  dennoch  legalen  SoWware  schulen.  Esist   schon   Erfolg,   das   Verständnis   für   die   Nutzung   „legaler“SoWware  entwickelt  wird;   die   Legalisierung  der   SoWwarean-­‐wendung   ist   ein   Erfolg   in   der   Entwicklung   von   ganzenStaaten.

Abbildung  2:  Überblick  über  das  Kursangebot  bei  der„GC21  E-­‐Academy“.  Quelle:  http://www.gc21-­‐eacade-­‐my.org  [2010-­‐12-­‐12]

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Das Schaffen von E-Learning-Kapazitäten inPartnerländern, verfolgt einen dreiteiligen Ansatz.Hier geht es (a) um die Fortbildung von Einzelper-sonen zu E-Learning-Experten, (b) um den Auf- undAusbau von Bildungsinstitutionen zu E-Learning-An-wendern und -Anbietern, und (c) um die Einleitungvon Veränderungsprozessen in Bildungssystemenmittels neuer Lehr- und Lernmethoden. Die Ein-führung und Anwendung von E-Learning ist einidealer Ansatzpunkt für weitere Veränderungspro-zesse in Bildungssystemen. Durch die Einführungvon E-Learning auf institutioneller Ebene ergebensich früher oder später Auswirkungen auf der politi-schen Ebene, so zum Beispiel zur Akkreditierungund Zertifizierung von E-Learning-Institutionen und-Produkten. Damit bewirkt E-Learning mittelbarProzesse, die häufig zum grundlegenden Überdenkenvon Bildungssystemen führen. Ein gutes Beispielhierfür ist Kambodscha, das aktuell eine nationale„E-Policy“ erarbeitet, unter anderem auch zumEinsatz von technologiegestütztem Lernen im Bil-dungssystem. Diese Programme gehen also eineStufe weiter: Sie versetzen Institutionen in die Lage,in Zukunft selbständig E-Learning anzubieten undden Nutzen daraus nachhaltig zu ziehen. So machtEntwicklungszusammenarbeit sich irgendwann selbstüberflüssig, hat also ihr Ziel erreicht.

Zur Umsetzung des zweiten Ansatzes kommenzum Beispiel Kurz- und Langzeitprogramme derdeutschen Entwicklungszusammenarbeit zumEinsatz, die durch das deutsche Bundesministeriumfür Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-wicklung gefördert werden: „eLDI - eLearning Deve-lopment & Implementation“, „eLiP - eLearning inPractice“ und „eAST - eApplication Skills Transfer“.Die Kurse dauern drei Monat bis zu einem Jahr. Siebieten Fortbildungen zu allen zentralen Themen intechnologiegestützter Fernlehre an, beispielsweise zurCurriculumsentwicklung, zum Management vonOnline-Gemeinschaften und zur E-Moderation.Diese Kurse sind als Angebote in der Entwicklungs-zusammenarbeit einzigartig. Seit knapp zehn Jahrenwurden damit mehr als 1.200 Teilnehmer/innen vonmehr als 100 Institutionen aus Lateinamerika, Süd-Ost-Asien, Zentralasien, Sub-Sahara-Afrika und demKaukasus fortgebildet. Diese Länder setzen heute E-Learning als Methode ein und verbreiten eigeneLerninhalte auf diesem Wege. Die Inhalte der ge-nannten E-Learning-Programme wurden partner-schaftlich mit Institutionen aus Entwicklungsländern

entwickelt und sind alle frei zugänglich und nutzbar.Sie verfolgen den Ansatz freier Bildungsmaterialien(siehe Kapitel #openaccess); Bildungsinstitutionenaus Entwicklungs- und Transformationsländernkönnen die Materialien also für ihre eigenen Zweckeoder als Bildungsanbieter in ihrem Land bzw. ihrerRegion weiter verwenden.

8. Fazit

Technologiegestütztes Lernen und Lehren machtauch vor der Entwicklungszusammenarbeit heutenicht mehr Halt. Unter der Bedingung angepassterKonzepte, der richtigen Nutzung der Technik undmit speziell an die Zielgruppen und ihre Bedürfnisseangepassten Inhalten und didaktischen Methoden isttechnologiegestütztes Lernen heute ein wichtiges In-strument des Capacity Building und damit der inter-nationalen Entwicklungszusammenarbeit. Gleich-zeitig können zahlreiche speziell aus den Bedürf-nissen der Entwicklungszusammenarbeit entstandeneKonzepte auch in Industrieländern wertvolle Hin-weise und Anregungen für die weitere Nutzung vonTechnologien in verschiedensten Lernszenarien und-situationen geben.

Literatur

▸ Afemann, U. (2003). Internet als Entwicklungshelfer? DieDritte Welt und das Internet. In: Franziskaner Mission,Dortmund (Hrsg.), Franziskaner Mission, 3.

▸ Boas, T.; Dunning, T. & Bussell, J. (2005). Will the digital revo-lution revolutionize development? Drawing together thedebate. In: Studies in Comparative International Development,New York: Springer.

▸ Böhm, D. (2010). Lokale Barrieren der globalen Informations-gesellschaft. Zum Stellenwert der Informations- und Kommu-nikationstechnologien in Entwicklungsländern. Hamburg: Di-plomica Verlag.

▸ Niemann, J. (2007). Wesentlicher Inhalt. In: E+Z Entwicklungund Zusammenarbeit, Frankfurt am Main, 48.

▸ Schneider, C., Schön, S. & Wieden-Bischof, D. (2011). MobileLerngemeinschaften. In: S. Schön, D. Wieden-Bischof, C.Schneider & M. Schumann (Hrsg.), Mobile Gemeinschaften.Erfolgreiche Beispiele aus den Bereichen Spielen, Lernen undGesundheit. Salzburg: Salzburg Research, 61-80.

▸ Schönstedt, A. & Sangmeister, H. (2010). Entwicklungszusam-menarbeit im 21. Jahrhundert: Ein Überblick. Baden-Baden:Nomos.