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Transformationen der Arbeit Roland Atzmüller (Abteilung für theoretische Soziologie und Sozialanalysen/JKU) 1

Roland Atzmüller: Transformationen der Arbeit

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Vortrag von Roland Atzmüller, Abteilung für theoretische Soziologie und Sozialanalysen an der Johannes Kepler Universität Linz, im Rahmen der Vorlesung "Arbeitswelt! Beschäftigte und Unternehmen in der Globalisierung" (http://arbeitswelt.gpa-djp.at) am 06.11.2012 an der Universität Wien

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Transformationen der Arbeit

Roland Atzmüller (Abteilung für theoretische Soziologie und

Sozialanalysen/JKU)

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Entwicklungen der Arbeit in der Krise

Anstieg der Arbeitslosigkeit

Zunahme der prekären und atypischen Beschäftigungsverhältnisse und der

working poor

Flexibilität des Arbeitsmarktes wird als Krisenpuffer genutzt

Intensivierung der Arbeit, Verlängerung der Arbeitszeiten,

Arbeitskräfte müssen permanent in ihr Humankapital investieren, um ihre

Employability zu sichern.

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Aufbau

1. Grundlegende Überlegungen zur (Lohn-)Arbeit im Kapitalismus

2. Arbeitsteilung und Dequalifikation: Die „politics of production“ des

Taylorismus und der wissenschaftlichen Betriebsführung

3. Transformationen der Arbeit und die Rekonstruktion des

Arbeitsvermögens

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1. Grundlegende Überlegungen zur (Lohn-)Arbeit im

Kapitalismus

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Arbeit

Im Arbeitsprozess setzen Menschen ihre Kräfte und Fähigkeiten in Bewegung und transformieren ihre äußere Natur: Erzeugung von Produkten und Dienstleistungen aber auch sozialen Beziehungen (Reproduktion der PV)

Gleichzeitig: Entwicklung ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten.

„Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eigenen Botmäßigkeit.“ (Marx 1972, 192)

Arbeit stets Einheit von intellektuellen und manuellen/praktischen Tätigkeiten. Dies betrifft nicht nur fachliche/technische Aspekte, sondern auch die Fähigkeit mit organisatorischen, sozialen und auch wirtschaftlichen Aspekten der Produktion umzugehen. Nicht aus Technologie ableitbar.

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Arbeit als fiktive Ware

Besondere Qualität der Ware Arbeitskraft – Fähigkeit Mehrwert für das Kapital zu produzieren.

— Arbeit wird im Sozialtypus Arbeiter(in) personifiziert— Trennung: Haushalts-Erwerbssphäre (Änderung der Geschlechterverhältnisse)— Trennung: Eigentum und Erwerbsarbeit, — Lineares Zeitverständnis— Neutralisierung normativer Fürsorgeverhältnisse und Verpflichtungsbeziehungen

„Arbeit ist bloß eine andere Bezeichnung für eine menschliche Tätigkeit, die zum Leben an sich gehört, das seinerseits nicht zum Zwecke des Verkaufs, sondern zu gänzlich anderen Zwecken hervorgebracht wird; auch kann diese Tätigkeit nicht vom restlichen Leben abgetrennt, aufbewahrt oder flüssig gemacht werden.“ (Polanyi 1978, 107)

Reproduktion der Ware Arbeitskraft erfolgt nicht auf dem Markt sondern in anderen gesellschaftlichen Sphären und hat andere Zwecke als Erzeugung einer Ware.

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Das „Transformationsproblem“ der Arbeit

Unternehmen kaufen nicht Arbeit, sondern ein bestimmtes Potenzial am Arbeitsmarkt ein (Arbeitskraft). (Potenzial: Produktion von Mehrwert).

Wie kann Kapital sicherstellen, dass Arbeitskräfte ihr Potenzial realisieren, wenn Fähigkeit zur Arbeit an TrägerInnen gebunden bleibt und immer durch den Kopf der ArbeiterInnen hindurch muss?

„Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war.“ (Marx 1972, 193)

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Kontrolle und Zustimmung

Das Kapital muss Kontrolle über den Arbeitsprozess ausüben - Herrschaft des Kapitals über den Produktionsprozess .

Das Kapital muss die Zustimmung der ArbeiterInnen sicherstellen – Hegemonie über den Produktionsprozess.

Beide Dimensionen ergeben zusammen die „politics of production“ (Michael Burawoy). D.h., Arbeit im Kapitalismus (i.e. die Realisierung des Gebrauchswertes der Ware AK in den Produktionsverhältnissen) ist ein umkämpftes Feld. Unterschiedliche Managementstrategien, Einfluss der Interessensvertretungen der Lohnabhängigen, nationale, sektorale etc Variationen etc.

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Arbeitspolitik (nach Naschold/Jürgens 1982, Bieling 2012)

„konstitutive Präsenz“ (N. Poulantzas) des Staates (Politik/Ideologie) in den Produktionsverhältnissen

— Staat „erzeugt“ Arbeitskräfte: Rechtssubjekte, Bildung etc

— Sicherung des Eigentums in seinen unterschiedlichen Formen

— Arbeitsverfassung, Sozialrecht, Arbeitszeit etc – Artikluation mit Regulierung der

Arbeitsmärkte, Familienstruktur

— Arbeitsvertrag etc

— Interessensvertretung und Aushandlungsprozesse

Nationale und historische Variationen unterschiedlicher Produktionssysteme bzw. Beschäftigungssregime

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Ideologische Dimensionen der Arbeitspolitik Gebrauchswert der Ware AK: Bündel von Fähigkeiten und Kompetenzen zum

Umgang mit technischen und gesellschaftlicchen Komponenten der Arbeit

Doppelte Zweckstruktur der Arbeit:— Fähigkeit konkrete, nützliche Arbeit zu leisten (Gebrauchswertorientierung).— Einrichtung ihres Arbeitsvermögens in der Art, dass der/die Lohnabhängige sich

als Ware Arbeitskraft verkaufen kann.

Die Fähigkeiten und Kompetenzen der Arbeitskräfte, die als Qualifikationen in den Arbeitsprozessen einsetzbar, bringen sie in ein “imaginäres Verhältnis” zu den kapitalistischen Produktionsverhältnissen. Sie sind die “Ideologie” (Althusser”), der Arbeitskräfte – wichtig für Konstruktion von Subjekten (Anrufung; Beruf) und für die Befähigung zum Handeln

Ideologien werden in Staatsapparaten (Bildung, Erziehung) reproduziert und sie konstituieren ein Feld sozialer Auseinandersetzungen, wie auch von Herrschaftsbeziehungen und von Klassenpolarisierungen.

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Der Arbeitsvertrag

Arbeitsvertrag ist uneindeutiger Rahmenvertrag Nachfrager kauft nicht Sache mit bestimmtem messbaren Gebrauchswert sondern

lebendige Arbeitskraft, welche faktisch unter der Kontrolle ihres Besitzers (ArbeitnehmerIn) bleibt. Aber Käufer hat rechtliche Disposition/ Verfügungsgewalt!

Regelt auch die sozialen Beziehungen zwischen Käufer und Verkäufer, aber nicht alle.

Käufer von Arbeitskraft: Verpflichtung für Dauer der Geltung des AV, Lohn zu zahlen

Anbieter von Arbeitskraft: Gegenleistung ist nicht klar festgelegt sondern nur umschrieben.

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Der Arbeitsvertrag

Unbestimmtheit des AV gibt dem Nachfrager Direktionsrecht als Nutzungsspielraum zur Anordnung von Arbeitsaufgaben

Arbeitskraft wird pauschal verpflichtet Arbeitsaufgaben einer bestimmten Kategorie zu verrichten.

Intensität der Arbeit nur als Rahmen (Stunden) festlegbar

Unbestimmtheit aufgrund der unvollständigen Voraussagbarkeit des Leistungsbedarfes (Möglichkeit der Innovation und Produktivitätssteigerung)

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Der Arbeitsvertrag „Der Gebrauchswert, den ein Betrieb aus der Arbeitskraft zieht, ist quantitativ und qualitativ an die Subjektivität des Arbeitenden, an seinen Arbeitswillen, seine Arbeitsbereitschaft usw. gebunden, und Art und Menge der Leistungshergabe des Arbeitnehmers als des Partners des Arbeitsvertrages sind daher rechtlich nicht in der Weise zu normieren, wie man etwa die Leistungswerte einer Maschine spezifizieren und zum Gegenstand von Kaufverträgen machen kann.“ (Offe, Claus 1984: 57)

Das gekaufte Subjekt muss in seiner Subjektivität erhalten bleiben und von sich aus zur Arbeit bereit seinSubjektivität der Arbeitskräfte wird Feld politischer Auseinandersetzungen: geht über Produktionssphäre hinaus (Bildung, Familie etc)

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Der Arbeitsvertrag

Subjektiver Faktor ist immer auch Störfaktor. Autonomie des Subjekts macht die Nutzung lebendiger Arbeitskraft für den Unternehmer attraktiv – daher Transformationsproblem

„Das Interesse des Arbeitnehmers an der Verteidigung seiner Autonomie, am Schutz und an der Erweiterung seines Arbeitsvermögens trifft auf das betriebliche Interesse an einer maximalen wirtschaftlichen Nutzung der „gekauften“ Arbeitskraft, deren produktiver Gebrauchswert ja noch keineswegs dadurch sichergestellt ist, dass sie, wie im Arbeitsvertrag bestimmt, am Arbeitsplatz erscheint und sich dort für die Dauer der betrieblichen Arbeitszeit aufhält.“ (Offe, Claus 1984: 58)

Permanenter Konflikt, der durch Überwachung, Kontrolle, Anweisung, Beaufsichtigung, Verantwortlichkeit etc kanalisiert wird

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2. Arbeitsteilung und Dequalifikation: Die

„politics of production“ des Taylorismus und

der wissenschaftlichen Betriebsführung

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Taylorismus und Dequalifizierung In kritischen/marxistischen Debatten lange Zeit dominante Annahme, dass

Entwicklung der Arbeitsteilung im Kapitalismus zu einer Dequalizierung der Beschäftigten führe.

— Zerstörung der handwerklichen Fähigkeiten – Trennung von Planung und Ausfühung

— Einführung des wissenschaftlichen Managements und Polarisierung der Klassenstruktur

— Zerlegung der Arbeitsprozesse in viele kleine Handgriffe (Fließband) und Konzentration des ProduzentInnenwissens beim Management. Vereinfachung, Monotonie, Austauschbarkeit. Ausschaltung der Subjektivität als Ziel

— Wissenschaft geht aus Fähigkeiten der AK hervor, tritt aber den Beschäftigten als feindliche Macht (Marx) gegenüber.

— Bürokratische Organisationsform des Großunternehmens. Verdoppelung der Prozess auf Papier.

— Fokus liegt auf Kontrollstrategien des Managements.— Arbeiterklasse als „Objekt“ dieser Prozesse – subjektiver Faktor wird unterschätzt

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Risse im dominanten Bild

Durchsetzung des Taylorismus ist rationalistische Phantasie des Managements – Annahme einer vollständigen top-down Kontrolle der Produktionsprozesse. Produktionsprozesse verändern sich permanent.

Tatsächlich: Organisation der Zustimmung der AK – Rolle der “politics of production” (z.B. Arbeitsverfassung, Schneidung von Tätigkeiten, Kollektivverträge und Mitbestimmung etc).

Arbeitskräfte halten Wissen zurück/nicht kodifiziertes/-bares Wissen entsteht immer wieder neu („tacit skills“) – Dienst nach Vorschrift als Kampfform der Beschäftigten.

DL – Arbeit nicht nur auf Tauschwertorientierung zu reduzieren (interaktive Arbeit etc)

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Das Wachstum der Dienstleistungsarbeit Dienstleistungsarbeit: Definition sehr schwierig, Residualkategorie,

massives Wachstum in den letzten Jahrzehnten Positive Utopien der Dienstleistungsgesellschaft werden der

Entfremdung im Taylorismus entgegengesetzt Dienstleistung als Arbeit zur Aufrechterhaltung der Kreisläufe

kapitalistischer Produktion (Claus Offe: Arbeit an der Reproduktion der kpW)

DL-Arbeit ist schwer rationalisierbar DL-Arbeit ist interaktiv (persönliche Dienstleistungen) und oft

immateriell (Bearbeitung von Symbolen) Produktion und Konsumtion fallen zusammen (Friseur) DL-Arbeit fordert nicht nur technische sondern auch subjektive

Fähigkeiten (Verkauf, Beratung, Sozialarbeit)

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Dimensionen der Arbeitsteilung – die Entstehung des neuen KleinbürgerInnentums

Seit 1960er/70er Jahren Beobachtung, dass Annahme einer Polarisierung der Klassenstruktur nicht zutrifft. Zwischen ArbeiterInnenklasse und Kapital findet Veränderung der Mittelklassen statt – treten v.a. in den sozialen Kämpfen seit 1968 als Akteur auf.

Zentrale Funktion – Organisation der Kooperation („Intellektuelle der Produktion“ im Sinne Gramscis). Kooperation als wesentliche Produktivkraft des Kapitals.

Bedarf Planung und Kommando und Organisation des sozialen Zusammenhaltes: Techniker, Ingenieure, HR-Manager etc auf Ebene der Produktion.

DL-Arbeit: Organisation/Produktion der Voraussetzungen der gesellschaftlichen Austauschbeziehungen – Reproduktion der Bedingungen des Kapitalkreislaufes.

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PROZENTANTEIL DER WIRTSCHAFTSSEKTOREN AN DER GESAMTBESCHÄFTIGUNG (Eichmann u.a. 2009)

  1974 1984 1994 2004 2005 2006 2007 2008

Landwirtschaft Gesamt 12,6 9,5 6,6 5,0 5,5 5,5 5,7 5,6

Landwirtschaft Männer 10,5 8,6 6,0 4,8 5,5 5,4 5,6 5,6

Landwirtschaft Frauen 16,0 10,9 7,4 5,3 5,6 5,6 5,9 5,6

Industrie Gesamt 42,1 38,5 33,0 27,7 27,5 28,2 27,3 26,0

Industrie Männer 51,2 48,9 44,1 39,5 39,6 40,4 39,1 37,4

Industrie Frauen 27,9 22,4 17,5 13,2 12,9 13,4 12,9 12,4

Dienstleistungen gesamt 45,3 52,0 60,4 67,3 66,9 66,3 67,0 68,4

Dienstleistungen Männer 38,3 42,5 49,9 55,7 54,9 54,2 55,3 57,0

Dienstleistungen Frauen 56,1 66,6 75,1 81,5 81,5 81,0 81,2 82,0

Quelle: AKE, Statistik Austria, eigene Berechnungen. Gesamtbeschäftigung 1974 und 1984 ohne Kategorie „unbekannt“; Werte für 2008 nach ÖNACE 2003

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3. Transformationen der Arbeit und die

Rekonstruktion des Arbeitsvermögens

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Das Ende der Arbeitsteilung und die Rehabilitation des Arbeitssubjektes

Seit Anfang der 1980er Diskussionen zum „Ende der Arbeitsteilung(Kern/Schumann 19086) Rehabilitation der Arbeits-SUBJEKTE und ihrer Fähigkeiten (Bedeutung sogenannter außerfachlicher Qualifikationen nimmt zu).

Rehabilitierung der Facharbeit, neue Produktionskonzepte (gleichzeitig aber Verlust an Arbeitsplätzen>)

Rückgabe von Managementfunktionen an AK, Gruppenarbeit, Job-Enrichment etc Flexible Spezialisierung statt Massenproduktion standardisierter Güter. Integration „indirekter Aktivitäten“ in Produktionsprozesse (Qualitätssicherung,

KundInnenkontakt, Innovation etc) – Rationalisierung in Eigenregie

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Veränderungen der Ökonomie

Postfordistisches Akkumulationsregime beruht auf Flexibilität und Innovationsfähigkeit (zentrale Bedeutung des UnternehmerInnentums als besondere Form verändernden Handelns).

Innovation als Suche nach Extraprofit – Shareholder Value Wirtschaftspolitische Auffassung des Kapitalismus als instabil und dynamisch: Innovationen beruhen auf Bedingungen, die vorab nicht gewusst werden

können (da eben neu) – Frage der Entscheidungsfähigkeit (Stärkung der Rolle der UnternehmerInnen) bzw. Anpassungs-fähigkeit der Beschäftigten.

Innovation ist Reproduktionsweise der sozialen Verhältnisse der Produktion: Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft Anpassungsdruck ausgesetzt – zentrale Bedeutung des Lernens und der Anpassung der Qualifikationen

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Indirekte Steuerung und Vermarktlichung inner-betrieblicher Abläufe Reorganisation ökonomischer Dimensionen – z.B. Unternehmen:

Dezentralisierung und Fragmentierung (vertikale Kontrolle der Zentrale bleibt aber erhalten) – indirekte Steuerung, gesteuerte Autonomie

Benchmarking, Targets, Costcenter Verlagerung des Risikos, der Bewältigung von Unsicherheiten auf die

Beschäftigten Kontrollpotenziale der neuen Technologien (räumliche und zeitliche

Trennung von Kontrolle und Planung bzw. Ausführung) – Kontrolle nach Kennzahlen

Gruppenarbeit, Netzwerke – Kontrolle durch Gruppe und Interaktion Output und Performance abhängige Entgeltformen – Individualisierung der

Arbeitsverträge Flexibilisierung der Arbeit (Arbeitszeit, Entgelt etc) und Einsatz prekärer

Arbeitskräfte („flexible firm“: Kern-/Randbelegschaften)

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Gegentendenzen: Re-taylorisierung?

Experimente mit Gruppenarbeit und angereicherten Tätigkeiten werden in einigen wachsenden Bereichen (Montage, KfZ, einfache Tätigkeiten) wieder zurückgenommen.

Stärkere Standardisierung „ganzheitlich“ organisierter Produktionsabläufe

Hinweise darauf, dass stärkere Bedeutung „komplementärer Kompetenzen“ zu Bewältigung möglicher Probleme im Produktionsablauf – Einsatz von Beschäftigte, die für einfache Arbeiten überqualifiziert sind (Facharbeiterabschluss).

Korrespondiert mit prekären Arbeitsmärkten, Polarisierung der Beschäftigtenstruktur

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Prozentangaben Selbstbe stimmtes

Lernen

Schlanke „lean“

Produktion

Tayloristi sche

Arbeits organisation

Einfach

strukturierte

Arbeit

Gesamt

Nordeuropa Schweden 67,5 16,0 6,9 9,6 100

  Dänemark 55,2 27,1 8,5 9,2 100

Kontinentaleuropa Österreich 47,3 22,4 18,3 12,0 100

  Deutschland 44,3 19,9 18,4 17,4 100

Nordwesteuropa Großbritannien 31,7 32,4 17,7 18,2 100

  Irland 39,0 29,2 11,3 20,5 100

Südeuropa Italien 36,8 24,1 24,6 14,6 100

  Spanien 20,6 24,6 27,5 27,3 100

Osteuropa Slowakei 27,2 21,0 33,8 18,1 100

  Ungarn 38,3 18,2 23,4 20,1 100

  EU-27 38,4 25,7 19,5 16,4 100

Quelle: Valeyre et al. 2009, nur unselbständig Beschäftigte in Organisationen >10 MitarbeiterInnen in der Privatwirtschaft (n=9.300)

MUSTER DER ARBEITSORGANISATION IN EU-27, LÄNDERVERGLEICH (zit. in: Eichmann u.a. 2009),

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Der Arbeitskraftunternehmer

Arbeitskräfte als Unternehmer ihres Humankapitals – Investition in Ausbildung etc – der Arbeitskraftunternehmer (Voß/Pongratz)

Selbstkontrolle – Planung und Kontrolle der eigenen Tätigkeit, der “ganze Mensch” ist gefragt

Selbst-Ökonomisierung – eigene Fähigkeiten als Humankapital betrachten und in sie investieren

Selbst-Rationalisierung – Durchorganisation des Alltags und der Lebensführung, Verbetrieblichung der Lebensweise und der sozialen Beziehungen

Grenze zwischen Arbeit und Leben verschwimmt Allzeit verfügbarer Berufsmensch ohne private Verpflichtungen – Frauen

müssen sich an das männliche Modell der Erwerbstätigkeit anpassen Strategische Lebensführung: etwa bezüglich eigener Bedürfnisse, sozialer

Beziehungen, Formen des Ausdrucks (Kleidungsstil etc)

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  Mitbestimmung Unterstützung

Prozentangaben

 

Kann bei der Arbeit meine eigenen Ideen umsetzen (fast immer, häufig)

Wurde im letz ten Jahr über Ände run gen im Ar beits ab lauf um Rat ge fragt

Habe im letz ten Jahr Ar beits pro ble me mit einem Ar beitnehmerIn nen vertreter be spro chen

Kann Hilfe von Vorge setz ten be kommen, wenn ich da nach frage (fast immer, häufig)

Kann Hilfe von KollegIn nen bekom men, wenn ich da nach frage (fast im mer, häufig)

Männlich 59 51 20 65 75

Weiblich 62 44 17 65 71

15-29 Jahre 49 33 17 72 85

30-49 Jahre 62 52 18 62 71

50+ Jahre 71 60 27 63 63

Selbständig 92     19 40

Unselbständig 53     73 81

Teilzeit (unter 35 Std.) 63 46 16 67 70

Vollzeit beschäftigt 59 48 20 66 75

Führungskräfte, hochqual. Fachkräfte 79 55 23 61 69

Bürokräfte, Dienstleistung 51 49 16 75 80

FacharbeiterInnen 57 44 18 64 75

Hilfsarbeitskräfte 33 33 15 57 64

1-9 Beschäftigte am Standort 77 54 18 53 61

10-49 Besch. am Standort 58 51 22 74 86

50-249 Besch. am Standort 33 38 13 67 76

Mehr als 250 Beschäftigte 61 50 22 78 81

Österreich gesamt 2005 60 48 19 65 73

EU-15 2005 59 47 20 55 66

PARTIZIPATION UND UNTERSTÜTZUNG, ERWERBSTÄTIGE, EWCS 2005 (zit. in Eichmann u.a. 2009)

Quelle: EWCS, Europ. Foundation, eigene Berechnungen, fett markierte Werte: Subgruppen-Unterschiede auf 5%-Niveau signifikant

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Prozentangaben Lernhältigkeit der Arbeit Arbeitsintensität Handlungsspielraum

Job ent hält Erler nen

neuer Kompe tenzen

Job ent hält kom ple xe Auf gaben

Job enthält mono tone Aufga ben

Job ver langt ho hes Ar beits tem po (zum. ¼

der Zeit)

Job ent hält Ar beiten mit en gen Dead lines (zum. ¼

der Zeit)

Habe ge nug Zeit zur Fer tig stel lung

der Arbeit (immer, oft)

Arbeitstem po ist ab hängig vom

Tempo von Maschinen (z.B.

Fließ band)

Kann die Reihung von

Arbeits schritten

selbst bestimmen

Männlich 77 84 23 73 74 58 26 62

Weiblich 77 82 31 72 62 62 16 69

15-29 Jahre 80 77 27 73 66 62 26 49

30-49 Jahre 76 84 27 75 73 57 20 67

50+ Jahre 74 87 23 65 61 63 18 74

Selbständig 83 94 25 71 67 65 19 89

Unselbständig 75 80 27 73 69 59 21 60

Teilzeit (unter 35 Std.) 68 78 26 63 50 72 9 70Vollzeit beschäftigt 79 84 27 75 73 58 24 64

Führungskräfte, hochqual. Fachkräfte

90 96 12 66 69 61 12 79

Bürokräfte, Dienstleis tung 79 82 28 72 65 62 12 63

FacharbeiterInnen 76 83 30 79 75 61 37 57

Hilfsarbeitskräfte 39 53 54 81 68 49 40 42

1-9 Beschäftigte am Standort 79 88 22 67 63 67 17 76

10-49 Besch. am Standort 75 83 25 74 70 58 16 66

50-249 Besch. am Standort 71 76 40 84 78 50 35 38

Mehr als 250 Besch. 85 86 22 78 72 60 25 66

Österreich 2005 77 83 26 72 69 60 21 65

Veränderung Österr. 1995-2005 in Prozentpunkten

+3 +8 -5 +8 -7 k.A. 0 +6

EU- 15 70 59 42 61 62 69 19 64

Quelle: EWCS, Europ. Foundation, eigene Berechnungen, fett markierte Werte: Subgruppen-Unterschiede auf 5%-Niveau signifikant

MERKMALE DER ARBEITSQUALITÄT, ERWERBSTÄTIGE, EWCS 2005 (zit. in Eichmann u.a. 2009)

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Die Rehabilitierung des Subjektes im Posttaylorismus?

Immaterielle Fähigkeiten: Bearbeitung von Symbolen, Kooperation, Emotionsarbeit, Kommunikation (Biopolitik – Produktion von Leben)

Forderung der ganzen Person zu jeder Zeit und an jedem Ort (Verkauf, KundInnenkontakt etc) – fremdbestimmte Selbst-verwirklichung. Erweiterter Zugriff auf Fähigkeiten des Subjektes statt Ausschaltung des Subjektes

Bedeutung von „Tacit Skills“ und Schlüsselqualifikationen (Kommunikation, Kooperation, Problemlösung etc)

Dienstleistungscharakter vieler Tätigkeiten Anpassungsfähigkeit an neue Situationen (Innovationsprozesse),

Rationalisierung als subjektive Aufgabe Bereitschaft zur permanenten Mobilisierung des Wissens, Lifelong Learning

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Die Prekarisierung der Existenz Ausdehnung der Zone der Unsicherheit: Erosion des Normalarbeits-verhältnisses

korrespondiert mit Rekonfiguration des Wohlfahrtsstaates

Aktivierende Sozialpolitik als Regulationsweise prekarisierter Arbeitsmärkte Prekarisierung als Regulationsmodus gebrauchswertorientierter Tätigkeitsbereiche

Prekarisierung und Unsicherheit als „politics of production“ – Kontrolle der AK Permanente Entwertung von Fähigkeiten und damit von Identität.

Selbstprekarisierung, da Lernen gleichzeitig überkommene Qualifikationen entwertet Entwertung auch als Ergebnis der Aktivitäten andere Arbeitskräfte, die mehr gelernt haben. Prekarisierung der Identitätsbildung (Beruf) und der Biographien (Verlust der Planbarkeit

und Möglichkeiten der gesellschaftlichen Integration

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Pädagogisierung der Arbeit(steilung)

Veränderung des Kapitalismus, Veränderung der Arbeit und Veränderung von Bildung, Ausbildung und Wissen hängen eng miteinander zusammen.

Herrschaft des Kapitals über die Produktionsprozesse im Sinne Gramscis ein pädagogisches Verhältnis, da es um eine Veränderung der Qualifikationen, der Fähigkeiten und Kompetenzen der AK geht.

Nicht nur Problem der Kontrolle und der Zustimmung sondern des Wissens der Beschäftigten.

Veränderung der „Funktionen“ des Wohlfahrtsstaates und der Regulation der Arbeit.

— Funktion des WS ist die Erzeugung/Reproduktion von Arbeitskräften im umfassenden Sinne.— Widerspruch: temporäre Ausnahmen vom Zwang zur Lohnarbeit und Schaffung von

Institutionen, die der Verwertungslogik entzogen vs Reproduktion von Ware Arbeitskraft

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Pädagogisierung der Arbeit Pädagogisierung: gesellschaftliche Entwicklungen und Krisentendenzen

in pädagogische Fragen übersetzt. Werden zu Problem der Bildung- und Qualifizierung und damit der Lernfähigkeit/-bereitschaft der Individuen gemacht

„Das Pädagogische wird zur Rationalisierung in die Betriebssysteme eingeführt und die Rationalisierung mit betrieblicher Rationalität wird ins Pädagogische eingeführt. Das bedeutet auch die Verbetrieblichung des Pädagogischen.“ (Geißler/Orthey 1998, 87)

Forderung permanent zu lernen als Symptom des Machtverlustes der Beschäftigten. (Macht als Möglichkeit nicht lernen zu MÜSSEN nach Karl W. Deutsch)

Form des Krisenmanagements (Offe): Externalisierung der Bewältigung der Krisenerscheinungen auf Individuen

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!