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Bestandsmarktreport 2014: Nutzen teurer Präparate nicht belegbar Arzneimittelverordnungen der TK in Deutschland untersucht Patentgeschützte Medikamente haben oft keinen Zusatznutzen für Patienten. Dies ist das Ergebnis des Bestands- marktreports des Zentrums für Sozial- politik der Uni Bremen. Mit Unterstüt- zung der Techniker Krankenkasse (TK) hat das Team um Professor Dr. Gerd Glaeske Arzneimittel anhand von Krite- rien der evidenzbasierten Medizin und auf Basis von TK-Verordnungsdaten analysiert. men sind. Davon ist der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit wie- der abgerückt. Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK: „Politisch mag diese Entschei- dung nachvollziehbar sein. Der vorlie- gende Bestandsmarktreport zeigt jedoch, dass es aus fachlicher Sicht kei- neswegs entbehrlich ist, auch bereits auf dem Markt befindliche Arzneimittel auf ihren Zusatznutzen hin zu untersu- chen. Dabei geht es nicht allein um Geld, das möglicherweise unnötig aus- gegeben wird, sondern ganz wesent- lich auch um die Versorgungsqualität der Patienten.“ Die TK verspricht sich von dem Report eine größere Transparenz und einen Beitrag zur Verbesserung der Arznei- mitteltherapie. „Wir möchten mit dem Report die Zusammenarbeit mit den Ärzten vertiefen und ihnen Daten in die Hand geben, auf deren Grundlage Wirkstoffe auch untereinander ver- glichen werden, sodass die Mediziner die bestmögliche Therapie für den Pati- enten wählen können“, so Simone Hartmann, Leiterin der Landesvertre- tung Sachsen der TK. Kein Grün bei der Ampel-Bewertung Die Wissenschaftler bewerteten die Arzneimittel anhand eines Ampel- schemas in drei Kategorien: Vorliegen einer verfügbaren Therapiealternative, patientenrelevanter (Zusatz-)Nutzen und Kosten im Vergleich zu bisher verfügbaren Arzneimitteln. „Keiner der Arzneimittel: Nutzen teurer Präparate nicht belegbar Simone Hartmann: Im Zweifel Zweitmeinung spezial Nr. 4 2014 Informationsdienst der Techniker Krankenkasse SACHSEN Für den Bestandsmarktreport wurden 17 Arzneimittel aus drei Wirkstoffgruppen untersucht. Dr. Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse „Der vorliegende Bestandsmarktre- port zeigt jedoch, dass es aus fach- licher Sicht keineswegs entbehrlich ist, auch bereits auf dem Markt befindliche Arzneimittel auf ihren Zusatznutzen hin zu untersuchen. Dabei geht es nicht allein um Geld, das möglicherweise unnötig ausge- geben wird, sondern ganz wesent- lich auch um die Versorgungsquali- tät der Patienten.“ KOMMENTAR Frühe Nutzenbewertung nur für Marktneuheiten Seit Einführung des Arzneimittelmarkt- neuordnungsgesetzes (AMNOG) regelt die sogenannte frühe Nutzenbewer- tung, dass Pharmaunternehmen nur für Präparate mit einem Zusatznutzen auch einen höheren Preis verlangen dürfen. Ursprünglich sollten nicht nur neu auf den Markt kommende Medika- mente bewertet werden, sondern auch Präparate des sogenannten Bestands- markts – also Arzneimittel, die vor dem 1. Januar 2011 auf den Markt gekom-

"TK spezial" für Sachsen 4-2014

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Bestandsmarktreport 2014: Nutzen teurer Präparate nicht belegbar

Arzneimittelverordnungen der TK in Deutschland untersucht

Patentgeschützte Medikamente haben oft keinen Zusatznutzen für Patienten. Dies ist das Ergebnis des Bestands-marktreports des Zentrums für Sozial-politik der Uni Bremen. Mit Unterstüt-zung der Techniker Krankenkasse (TK) hat das Team um Professor Dr. Gerd Glaeske Arzneimittel anhand von Krite-rien der evidenzbasierten Medizin und auf Basis von TK-Verordnungsdaten analysiert.

men sind. Davon ist der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit wie-der abgerückt.

Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK: „Politisch mag diese Entschei-dung nachvollziehbar sein. Der vorlie-gende Bestandsmarktreport zeigt jedoch, dass es aus fachlicher Sicht kei-neswegs entbehrlich ist, auch bereits auf dem Markt befindliche Arzneimittel auf ihren Zusatznutzen hin zu untersu-chen. Dabei geht es nicht allein um Geld, das möglicherweise unnötig aus-gegeben wird, sondern ganz wesent-lich auch um die Versorgungsqualität der Patienten.“

Die TK verspricht sich von dem Report eine größere Transparenz und einen Beitrag zur Verbesserung der Arznei-mitteltherapie. „Wir möchten mit dem Report die Zusammenarbeit mit den Ärzten vertiefen und ihnen Daten in die Hand geben, auf deren Grundlage Wirkstoffe auch untereinander ver-glichen werden, sodass die Mediziner die bestmögliche Therapie für den Pati-enten wählen können“, so Simone Hartmann, Leiterin der Landesvertre-tung Sachsen der TK.

Kein Grün bei der Ampel-Bewertung

Die Wissenschaftler bewerteten die Arzneimittel anhand eines Ampel-schemas in drei Kategorien: Vorliegen einer verfügbaren Therapiealternative, patientenrelevanter (Zusatz-)Nutzen und Kosten im Vergleich zu bisher verfügbaren Arzneimitteln. „Keiner der

Arzneimittel: Nutzen teurer Präparate nicht belegbar • Simone Hartmann: Im Zweifel Zweitmeinung

spezialNr. 4 2014Informationsdienst der Techniker Krankenkasse

SAc H S E N

Für den Bestandsmarktreport wurden17 Arzneimittel aus drei Wirkstoffgruppenuntersucht.

Dr. Jens Baas, Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse

„Der vorliegende Bestandsmarktre-port zeigt jedoch, dass es aus fach-licher Sicht keineswegs entbehrlich ist, auch bereits auf dem Markt befindliche Arzneimittel auf ihren Zusatznutzen hin zu untersuchen. Dabei geht es nicht allein um Geld, das möglicherweise unnötig ausge-geben wird, sondern ganz wesent-lich auch um die Versorgungsquali-tät der Patienten.“

KommeNtar

Frühe Nutzenbewertung nur für Marktneuheiten

Seit Einführung des Arzneimittelmarkt-neuordnungsgesetzes (AMNOG) regelt die sogenannte frühe Nutzenbewer-tung, dass Pharmaunternehmen nur für Präparate mit einem Zusatznutzen auch einen höheren Preis verlangen dürfen. Ursprünglich sollten nicht nur neu auf den Markt kommende Medika-mente bewertet werden, sondern auch Präparate des sogenannten Bestands-markts – also Arzneimittel, die vor dem 1. Januar 2011 auf den Markt gekom-

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In Sachsen werden weniger Medikamente (Tagesdosen) verordnet als im Bundesdurchschnitt.

Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske

Professor für Arzneimittelversor-gungsforschung im Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen. Seit 2007 co-Leiter der Abteilung für Gesundheitsökono-mie, Gesundheitspolitik und Versor-gungsforschung im ZeS.

Funktionen und Mitgliedschaften: Seit 2010 Hauptgeschäftsführer und Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des Deutschen Netz-werks Versorgungsforschung; Mit-glied der Fachgesellschaft für Arz-neimittelanwendungsforschung und Arzneimittelepidemiologie (GAA); seit 2003 Mitglied im Wis-senschaftlichen Beirat der BZgA; Mitglied in der Deutschen Gesell-schaft für Epidemiologie, in der WHO-Drug Utilization Research Group, in der Deutschen Pharma-zeutischen Gesellschaft und in der Gesellschaft für klinische Pharmako-logie; seit 2009 Mitglied des Aus-schusses für den rationalen Einsatz von Arzneimitteln des Arzneimittel-beirates beim Bundesministerium für Gesundheit in Wien; 2003 bis 2009: Mitglied im Sachverstän-digenrat zur Begutachtung der Ent-wicklung im Gesundheitswesen.

ZUr PerSoNbewerteten Wirkstoffe hat es in der Ampel-Bewertung auf Grün geschafft“, fasst Studienautor Glaeske zusammen. Allen Präparaten mangelt es an direkten Vergleichen zu Therapiealternativen, wodurch belastbare Aussagen über einen Zusatznutzen für den Patienten oft nicht möglich sind.

Im Ländervergleich liegt Sachsen bei den Verordnungen der untersuchten Präparate meist in der Spitzengruppe. Zusätzlich wurde untersucht, über welche Wege die Arzneimittel in den Markt gelangen. Im Ergebnis ist es vom jeweiligen Wirkstoff abhängig, ob Krankenhäuser häufig „Einfallstore“ für teure Arzneimittel sind. Die TK stellt neben dem Bestandsmarktreport

den niedergelassenen Medizinern weitere Informationsangebote zur Ver-fügung. Dazu gehören in erster Linie der sogenannte TK-Arzneimittelreport (TK-AMR) und der Innovationsreport.

Auf Wunsch erhalten niedergelassene Ärzte mit dem TK-AMR für jedes Quartal einen individuellen Verord-nungsreport. Aus diesem geht her-vor, ob neue Arzneimittel tatsächlich bei solchen Erkrankungen verordnet wurden, bei denen das Präparat einen echten Zusatznutzen aufweist. Zudem erhalten Abonnenten des Arzneimit-telreports praxisrelevante Zusammen-fassungen der Ergebnisse zur frühen Nutzenbewertung – die sogenannten AMNOG-News.

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Von Simone Hartmann, Leiterin der TK-Landesvertretung Sachsen

Im Zweifel ZweitmeinungGesundheit ist ein hochbegehrtes Gut, das nicht ohne Weiteres käuflich ist. Während für junge Menschen zunächst die Grundbedürfnisse wie Arbeit, Wohnen oder Familie wichtig sind, verschieben sich mit zuneh-mendem Alter die Prioritäten. Ohne Gesundheit verlieren alle materiellen Werte ihren Sinn. Im Krankheitsfall sind wir sogar bereit, sehr viel zu leis-ten, nur um gesund zu sein.

Ganzheitliche Betrachtung von Patienten ist in den Mittelpunkt gerückt

In unserem Körper laufen hochkom-plexe, äußerst komplizierte Zusam-menhänge ab. Ärzte betrachteten daher die Medizin noch bis vor weni-gen Jahren unter ihrer ausschließlichen Hoheit. Die jeweiligen Symptome fie-len in die Kompetenz der jeweiligen Facharztgruppe. Bei schwerwiegenden Erkrankungen jedoch erreichte die Schulmedizin ihre Grenzen. Patienten begannen, sich zu informieren, ihren Körper besser zu verstehen und nach

Arztes nicht mehr nur hingebungsvoll entgegen. Sie wissen, dass es ihr Körper ist, für den sie selbst Verant-wortung tragen. Das bedeutet für Ärzte und Therapeuten zugleich eine anspruchsvollere wie zeitaufwendigere Aufgabe. Andererseits können sie vom Patienten dafür Mitwirkung erwarten. Der behandelnde Arzt hat dem Patienten die Kompetenz voraus, der Patient das Einfühlungsvermögen und die Zeit, Reaktionen seines Körpers wahrzunehmen. Wenn aus diesem Vertrauensverhältnis echte Zusam-menarbeit wird, steht die Behandlung auf einer erfolgversprechenden Basis.

Gerade in kritischen Situationen hilft dem Patienten ein weiterer fachärzt-licher Rat, die damit verbundenen chancen und Risiken besser einzu-schätzen. Die Überweisung ist die übliche, vom behandelnden Arzt veran-lasste Form der Zweitmeinung. Ange-sichts der Komplexität des medizi-nischen Wissens darf diese Mitbehand-lung nicht als Zweifel an der Kompetenz missverstanden werden, vielmehr als Vergewisserung bei Diagnose und The-rapie für den Patienten.

Gerade in kritischen Situationen hilft dem Patienten ein weiterer fachärztlicher Rat.

alternativen Behandlungsmöglich-keiten zu suchen. Inspiriert von den Erfolgen alternativer Behandlungs-methoden wie der Traditionellen chi-nesischen Medizin rückt heute die ganzheitliche Betrachtung des Pati-enten in den Vordergrund.

Die Selbstverantwortung der Patienten, ihre interessierte Nachfrage, ihre Kom-munikation mit dem Arzt auf Augen-höhe hat die Medizin verändert. Pati-enten nehmen die Anweisungen des

Diagnosesicherheit durch Vier-Augen-Prinzip

Sicherheit ist vor allem für Patienten mit Krebserkrankungen notwendig. Zur Früherkennung von Brustkrebs existiert in Sachsen die Reihenuntersuchung für Frauen ab 50 Jahren – das soge-nannte Mammographie-Screening. Die Röntgenbilder und weitere Aufnahmen werden regulär von zwei voneinander unabhängigen Radiologen befundet.

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Dieses Vier-Augen-Prinzip hat die TK in Sachsen auch für die Behandlung von Brustkrebs selbst eingeführt und bereits im Jahr 2006 die „Sächsische Brustkrebsinitiative“ gegründet. Gynä-kologen, Radiologen und Klinikärzte haben das gemeinsam abgestimmte Zweitmeinungsverfahren von vornhe-rein als Teamarbeit verstanden und unabhängig der örtlichen Distanz gelebt. In lediglich 12 Prozent der Fälle kommen Erst- und Zweitradiologe zu unterschiedlichen Urteilen, die in einem von drei ausgewählten Brustzentren mit zusätzlichen Untersuchungen abschließend bewertet werden. Dieses Ergebnis ist bundesweit erstklassig und bestätigt den Spitzenwert in der Behandlungsqualität in Sachsen. Die untersuchten Frauen sind auch außer-ordentlich zufrieden. Auf diesen Vertrag der TK, den wir nur in Sachsen abge-schlossen haben, bin ich besonders stolz. Sächsische Brustkrebsinitiative und Mammographie-Screening sind Beispiele für einen organisierten Behandlungsablauf mit regulärer Zweitmeinung, die auf vertraglicher Basis zwischen Ärzteschaft und Kran-kenkassen geregelt sind.

Unterstützung durch die Krankenkasse: das TK-Zweitmeinungstelefon

Krankenkassen unterstützen ihre Mit-glieder dabei, sich informieren zu kön-nen. So bieten wir für unsere Kunden ein ausführliches Gespräch mit Spezia-listen am TK-Zweitmeinungstelefon an. Wichtig ist, die Zweitmeinung bei Fachärzten zu erfragen, die selbst kein unmittelbares wirtschaftliches Interes-se an der Operation haben.

Ob operativ, konservativ, rehabilitativ oder alternativ – die Meinungen der Ärzte über eindeutige Erfolgsrezepte gehen teilweise auseinander. Der Pati-ent muss sich daraus sein eigenes

Urteil bilden und eine souveräne Ent-scheidung treffen. Der freie Zugang zum Arzt erlaubt es dem Patienten, sich im Zweifel nicht nur auf eine Mei-nung verlassen zu müssen. Für den Patienten ist dieses Kernelement in unserem Gesundheitssystem von höchstem Wert. Mithilfe der freien Arztwahl kann er sich im Bedarfsfall eine Zweitmeinung selbst verschaffen.

Eine zweite Meinung kann auch den behandelnden Arzt entlasten

Gegen die freie Arztwahl wird immer wieder ins Spiel gebracht, Patienten würden mehrere Ärzte gleichzeitig ohne deren Wissen in Anspruch neh-men und damit Mehrfachbehand-lungen verursachen. Mit der verpflich-tenden Inanspruchnahme eines Primär-arztes müsse dieses „Ärztehopping“ unterbunden werden. Ein Massenphä-nomen können die Krankenkassen-Daten nicht bestätigen, von Einzelfäl-len abgesehen. Tatsächlich haben über 90 Prozent der Patienten einen Haus-arzt, was einen hohen Vertrauensbe-weis darstellt. Sollte der Patient eine Facharztkonsultation wünschen, ist es sehr wichtig, dies offen gegenüber dem Hausarzt zu äußern. Nur so erhält der Hausarzt die chance, die Untersu-chungsergebnisse und Behandlungsre-gime der Fachkollegen in seine allge-meinärztliche Betreuung einzubeziehen. Die koordinierte Zweitmeinung von Kol-legen kann dem behandelnden Arzt auch zur eigenen Entlastung dienen.

Missverständnisse und Irrtümer sind menschlich, sogar von unserem Gehirn vorprogrammiert. Am besten begegnen wir ihnen mit offener Kom-munikation und Teamarbeit. Reguläre Zweitmeinungsverfahren, die kon-struktiven Umgang mit kritischen Fragen einschließen, haben genau das zum Inhalt.

Impressum

Herausgeber | Techniker Krankenkasse, Landesvertretung Sachsen

Verantwortlich | Simone Hartmann redaktion | Matthias Jakob telefon | 03 51 - 47 73 - 900 telefax | 03 51 - 47 73 - 908e-mail | [email protected] twitter | www.twitter.com/TKinSNInternet | www.tk.de/lv-sachsen

Simone Hartmann, Leiterin der TK-Lan-des vertretung Sachsen: „Ob operativ, konservativ, rehabilitativ oder alternativ – die Meinungen der Ärzte über eindeutige Erfolgsrezepte gehen teilweise ausein-ander. Der Patient muss sich daraus sein eigenes Urteil bilden und eine souveräne Entscheidung treffen.“

Der vollständige Artikel „Im Zweifel Zweit-meinung“ von Simone Hartmann erschien im Oktober 2014 in der Sächsischen Zeitung in der Rubrik „Perspektiven“.