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Zitiervorschlag: von Roetteken, jurisPR-ArbR 45/2014 Anm. 1 ISSN 1860-1553 juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected] Der juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nicht auszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden. © juris GmbH 2014 Herausgeber: Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D. Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D. 45/2014 Erscheinungsdatum: 12.11.2014 Erscheinungsweise: wöchentlich Bezugspreis: 10,- € monatlich zzgl. MwSt. Inhaltsübersicht: Anm. 1 Schuldner des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG Anmerkung zu BAG, Urteil vom 23.01.2014, 8 AZR 118/13 von Dr. Torsten von Roetteken, Vors. RiVG Anm. 2 Anwendbarkeit von § 366 Abs. 2 BGB auf die Urlaubsgewährung bei Zusammentreffen von gesetzlichem und tariflichem Urlaub Anmerkung zu LArbG Nürnberg, Urteil vom 27.05.2014, 7 Sa 32/14 von Christoph J. Burgmer, RA, FA für Arbeitsrecht und FA für Medizinrecht, burgmer rechtsanwälte, Düsseldorf Anm. 3 Akzessorietät der Bürgenhaftung des Generalunternehmers Anmerkung zu LArbG Frankfurt, Urteil vom 30.04.2014, 18 Sa 1169/13 von Prof. Dr. Burkhard Boemke, Kooperationspartner Boemke und Partner mbB, Leipzig Anm. 4 Keine abstrakte Feststellung der Tendenzeigenschaft eines Unternehmens oder Betriebs Anmerkung zu BAG, Beschluss vom 22.07.2014, 1 ABR 93/12 von Stephan Gräf, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Würzburg Anm. 5 Keine Mitbestimmung des Personalrats bei der Bestellung des Vertreters des behördlichen Datenschutzbeauftragten Anmerkung zu VGH Kassel, Beschluss vom 22.07.2014, 22 A 2226/13.PV von Dr. Eugen Ehmann, Regierungsvizepräsident von Mittelfranken Anm. 6 Kündigung wegen exzessiver privater Internetnutzung am Arbeitsplatz Anmerkung zu LArbG Kiel, Urteil vom 06.05.2014, 1 Sa 421/13 von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP, Frankfurt a.M. / Emily Jäschke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

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Zitiervorschlag: von Roetteken, jurisPR-ArbR 45/2014 Anm. 1ISSN 1860-1553

juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected] juris PraxisReport sowie die darin veröffentlichten Anmerkungen sind urheberrechtlich geschützt. Kein Teil darf (auch nichtauszugsweise) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden.© juris GmbH 2014

Herausgeber: Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.

45/2014

Erscheinungsdatum:12.11.2014 Erscheinungsweise:wöchentlich Bezugspreis:10,- € monatlichzzgl. MwSt.

Inhaltsübersicht:

Anm. 1 Schuldner des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGGAnmerkung zu BAG, Urteil vom  23.01.2014, 8 AZR 118/13von Dr. Torsten von Roetteken, Vors. RiVG

Anm. 2 Anwendbarkeit von § 366 Abs. 2 BGB auf die Urlaubsgewährung beiZusammentreffen von gesetzlichem und tariflichem UrlaubAnmerkung zu LArbG Nürnberg, Urteil vom  27.05.2014, 7 Sa 32/14von Christoph J. Burgmer, RA, FA für Arbeitsrecht und FA für Medizinrecht, burgmerrechtsanwälte, Düsseldorf

Anm. 3 Akzessorietät der Bürgenhaftung des GeneralunternehmersAnmerkung zu LArbG Frankfurt, Urteil vom  30.04.2014, 18 Sa 1169/13von Prof. Dr. Burkhard Boemke, Kooperationspartner Boemke und Partner mbB, Leipzig

Anm. 4 Keine abstrakte Feststellung der Tendenzeigenschaft eines Unternehmensoder BetriebsAnmerkung zu BAG, Beschluss vom  22.07.2014, 1 ABR 93/12von Stephan Gräf, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Würzburg

Anm. 5 Keine Mitbestimmung des Personalrats bei der Bestellung des Vertretersdes behördlichen DatenschutzbeauftragtenAnmerkung zu VGH Kassel, Beschluss vom  22.07.2014, 22 A 2226/13.PVvon Dr. Eugen Ehmann, Regierungsvizepräsident von Mittelfranken

Anm. 6 Kündigung wegen exzessiver privater Internetnutzung am ArbeitsplatzAnmerkung zu LArbG Kiel, Urteil vom  06.05.2014, 1 Sa 421/13von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA und FA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP,Frankfurt a.M. / Emily Jäschke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin

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Schuldner des Entschädigungsanspruchsnach § 15 Abs. 2 AGG

Orientierungssatz zur Anmerkung:

Der Entschädigungsanspruch des § 15 Abs. 2AGG kann sich nur gegen den Arbeitgeberrichten.

Anmerkung zu BAG, Urteil vom  23.01.2014,8 AZR 118/13von Dr. Torsten von Roetteken, Vors. RiVG

A. Problemstellung

Der Achte Senat des BAG hatte sich unter ande-rem mit der Frage zu befassen, wer als Schuld-ner eines Entschädigungsanspruchs wegen Ver-stoßes gegen das Diskriminierungsverbot in § 7Abs. 1 AGG in Betracht kommt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger hatte seinen Anspruch gegen die fürden Arbeitgeber tätige Personalberatungsfirmagerichtet. Die Klage blieb in allen Instanzen oh-ne Erfolg.

Das BAG sieht nur im tatsächlichen (oder frü-heren) bzw. im Falle einer Bewerbung den po-tenziellen Arbeitgeber als Schuldner eines Ent-schädigungsanspruchs aus § 15 Abs. 2 AGG undschließt sich damit der h.M. in der Literatur an,ohne allerdings auf die Mindermeinung einzu-gehen. Eingeräumt wird zwar, dass § 15 Abs. 2AGG im Gegensatz zu § 15 Abs. 1 Satz 1 AGGden Anspruchsgegner nicht bezeichnet. Unge-achtet dessen legt das BAG § 15 AGG dahin aus,die Regelung befasse sich ausschließlich mitAnsprüchen, die sich aus Pflichtverstößen desArbeitgebers ergäben. Ansprüche gegen Dritteseien dort nicht vorgesehen. Dem entsprechenauch die Entstehungsgeschichte und der Zweckder Regelung, eine wirksame verschuldensun-abhängige Sanktion für eine Verletzung des Be-nachteiligungsverbots durch den Arbeitgebervorzusehen. Hinsichtlich des in Anspruch ge-nommenen Personalberaters verweist das BAGergänzend darauf, eine Benachteiligung im Zi-vilrechtsverkehr habe der Kläger nicht geltendgemacht.

C. Kontext der Entscheidung

Das Urteil des Achten Senats des BAG ist dieerste Entscheidung eines Bundesgerichts zurFrage, wer Schuldner eines Entschädigungsan-spruchs nach § 15 Abs. 2 AGG sein kann. Im Hin-blick auf die Reihenfolge der zum Ersatz für ein-getretene Benachteiligungen verpflichtendenRegelungen in §  15 Abs.  1, 2 AGG erscheintdie Auslegung naheliegend, auch wenn sich dasBAG auf diesen rechtssystematischen Aspektgerade nicht beruft. Hatte der Entwurf für einADG in der 15. Legislaturperiode die Entschädi-gungspflicht – ohne Angabe des dazu verpflich-teten Personenkreises – noch als Abs. 1 aufge-führt (BT-Drs. 15/4539), ging der Regierungs-entwurf zum AGG zur heutigen Reihenfolge derErsatztatbestände über (BT-Drs. 16/1780). Auchdieser Entwurf hielt aber in seiner Begründungdaran fest, die verschuldensunabhängige Ent-schädigungspflicht enthalte die zentrale Rege-lung zur Umsetzung der Art.  15 RL 2000/43/EG, Art.  17 RL 2000/78/EG und Art.  6, 8d RL76/207/EWG, heute ersetzt durch Art.  18 RL2006/54/EG. Darauf nimmt zwar die Urteilsbe-gründung Bezug, misst diesem Ziel jedoch kei-ne wirkliche Bedeutung zu. Wäre dies der Fallgewesen, hätte in Übereinstimmung mit demWortlaut erkannt werden müssen, dass sich dasBenachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG kei-neswegs nur an den Arbeitgeber bzw. i.V.m.§ 24 AGG an den Dienstherrn richtet, sondernschlicht für alle Personen gilt, die eine verbote-ne Benachteiligung i.S.d. § 3 AGG vornehmen.Insoweit unterscheidet sich § 7 Abs. 1 AGG klarvon §  611a Abs.  1 BGB a.F., der nur Benach-teiligungen durch Arbeitgeber verboten hatte.Insbesondere Belästigungen und sexuelle Be-lästigungen finden regelmäßig nicht im Auftragoder in einer sonstigen Mitverantwortung desArbeitgebers/Dienstherrn statt, von einer man-gelnden Beachtung der sich aus § 12 AGG er-gebenden Pflichten abgesehen. Folglich kön-nen Verstöße gegen § 3 Abs. 3, 4 AGG jeden-falls in der Regel nicht zu einer Entschädigungs-haftung des Arbeitgebers/Dienstherrn führen,wenn man ihn nicht einer dem Dienstunfallrechtvergleichbaren Haftung allein dafür unterwirft,mit welchen anderen Beschäftigten die benach-teiligte Person zusammenarbeiten muss. Eben-so ist das Verhalten von Personalberatungsfir-men keineswegs immer einem konkreten Ar-beitgeber/Dienstherrn zurechenbar, insbeson-dere wenn zunächst ohne konkreten Auftragnach Personal gesucht wird. Soweit andere Be-

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schäftigte oder Personalberater eigenständiggegen § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, können sich– die Auslegung von §  15 Abs.  2 AGG durchdas BAG zugrunde gelegt – Haftungslücken er-geben, die mit den unionsrechtlichen Anfor-derungen unvereinbar sind, weil es letztlichan einer verschuldensunabhängigen Entschädi-gungspflicht der diskriminierenden Person fehlt.Die entsprechende Fragestellung hat das BAGfür seine Auslegung von §  15 Abs.  2 AGG of-fenbar für irrelevant gehalten und damit dieunionsrechtlichen Anforderungen an eine natio-nale Haftungsregelung zur Sanktionierung vonDiskriminierungen – jeglicher Art und unabhän-gig von der Person des Täters bzw. der Täterin– nicht ausreichend berücksichtigt.

Das System des AGG zwingt nicht zu der vomBAG gewählten Auslegung, da die mangeln-de Bezeichnung des Anspruchsgegners in § 15Abs.  2 AGG nur die logische Fortsetzung derFassung von §  7 Abs.  1 AGG ist. Das dort anjedermann gerichtete Verbot nimmt keine Be-schränkung des auf die Einhaltung von § 3 AGGverpflichteten Personenkreises vor. Warum sollfür die daran anknüpfende Sanktionsregelung in§ 15 Abs. 2 AGG etwas anderes gelten?

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Praxis wird sich auf die einschränkende Aus-legung von §  15 Abs.  2 AGG einstellen. DenPersonalberatungsfirmen wird dies zugutekom-men, da gegen sie allenfalls noch mit Unter-lassungsansprüchen, gestützt auf §  7 Abs.  1AGG oder §  1004 BGB analog, vorgegangenwerden kann. Welche Anforderungen die Recht-sprechung künftig daran stellen wird, das diskri-minierende Verhalten einer Personalberatungs-firma dem Arbeitgeber zuzurechnen, ohne ihmgleichzeitig die Möglichkeit einer Entlastung we-gen fehlenden Eigenverschuldens zuzubilligen,wird sich noch zeigen müssen. Völlig offen ist,welche Ansprüche belästigten oder sexuell be-lästigten Beschäftigten gegen die dafür verant-wortliche Person zustehen, und wie insoweitden unionsrechtlichen Haftungsanforderungengenügt werden kann. Hier wird vermutlich ersteine Entscheidung des EuGH im Rahmen einesVorabentscheidungsverfahrens die nötige Klar-heit bringen.

Das Urteil des BAG ist Teil der schon länger er-kennbaren Tendenz, vorhandene Auslegungs-spielräume meist zulasten der Opfer einer Dis-

kriminierung auszugestalten und damit die Ef-fektivität des Diskriminierungsschutzes konti-nuierlich zu verringern.

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Anwendbarkeit von § 366 Abs. 2BGB auf die Urlaubsgewährung beiZusammentreffen von gesetzlichem undtariflichem Urlaub

Orientierungssatz:

Auslegung des § 18 Manteltarifvertrag Me-tall- und Elektroindustrie.

Anwendbarkeit des § 366 Abs. 2 BGB bei Ge-währung von Urlaub, wenn der tarifliche dengesetzlichen Mindesturlaub übersteigt.

Anmerkung zu LArbG Nürnberg, Urteil vom 27.05.2014, 7 Sa 32/14von Christoph J. Burgmer, RA, FA für Arbeits-recht und FA für Medizinrecht, burgmer rechtsan-wälte, Düsseldorf

A. Problemstellung

Die Entscheidung befasst sich mit der Frage derAnwendbarkeit von § 366 Abs. 2 BGB auf die Ur-laubsgewährung und den Verfall von Urlaubsan-sprüchen sowie mit der Auslegung einer tarif-lichen Norm als eigenständige tarifliche Rege-lung oder als Norm mit rein deklaratorischemCharakter.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten um Resturlaubsansprüche.

Der Kläger ist seit September 1968 bei der Be-klagten als Technikumsmitarbeiter beschäftigt.Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Haustarif-vertrag Anwendung, der seinerseits bezüglichder Urlaubsansprüche auf den Manteltarifver-trag der Bayrischen Metall- und Elektroindustrie(TR 5/10 - 300 ab 145; im Folgenden MTV) ver-weist. Die Urlaubsdauer beträgt 30 Tage. § 18MTV regelt unter Punkt A. die Allgemeinen Be-stimmungen und unter B. die Urlaubsdauer. Un-ter § 18 A Ziff. 7 heißt es:

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„Der Anspruch auf Urlaub erlischt drei Mona-te nach Ablauf des Urlaubsjahres, es sei denn,dass er erfolglos geltend gemacht wurde.“

Unter § 18 B Ziff. 1 heißt es:

„Die Urlaubszeit beträgt 30 Tage, wenn die in-dividuelle wöchentliche Arbeitszeit des Arbeit-nehmers auf 5 Tage je Kalenderwoche verteiltist.“

Der Kläger brachte 2012 von seinem Jahres-urlaub für 2012 insgesamt zwölf Urlaubstageein. Für den Zeitraum vom 20.12.2012 bis zum18.01.2013 beantragte er erneut Urlaub, derihm von der Beklagten genehmigt wurde. Je-doch erkrankte der Kläger am 14.12.2012 ar-beitsunfähig bis zum 07.06.2013. Ihm stan-den zu Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit am14.12.2012 noch 18 restliche Urlaubstage zu.Wieder genesen beantragte er, ihm Urlaub ausdem Jahr 2012 für den Zeitraum 10.06.2013bis 03.07.2013 zu gewähren. Die Beklagte ge-nehmigte ihm Urlaub für den Zeitraum vom10.06.2013 bis lediglich 21.06.2013, wobei sievon acht restlichen Urlaubstagen aus dem Jahr2012 ausging und dem Kläger mitteilte, die wei-teren zehn Tage des Urlaubs für 2012 seien ver-fallen.

Erstinstanzlich erhob der Kläger am 24.07.2013Klage zum ArbG Bamberg, mit der er geltendmachte, er habe aus dem Jahr 2012 noch An-spruch auf Urlaub in Höhe von zehn Tagen. DasArbeitsgericht wies die Klage ab.

Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung einund beantragte, die Beklagte zu verurteilen,ihm auf seinem Urlaubskonto zehn weitere Ur-laubstage gutzuschreiben. Die Beklagte wider-setzte sich der Klageänderung und beantragte,die Berufung zurückzuweisen. Der Kläger ver-trat die Auffassung, der MTV enthalte kein eige-nes Urlaubsregime. Soweit man von zwei unter-schiedlichen Urlaubsregimen (Tarifvertrag undUrlaub nach dem BUrlG) ausgehe, müsse zumin-dest zugestanden werden, dass die Erfüllung inseiner, des Klägers, Hand liege. Die Beklagtemeinte, die Tarifvertragsparteien hätten sich in§ 18 MTV von dem gesetzlichen Fristenregimegelöst. Stichtag für den Verfall des Urlaubsan-spruchs sei der 31.03. des Folgejahres, nichtder 31.12. des Urlaubsjahres. Dies stelle eineeigenständige, den Arbeitnehmer besser stel-

lende Regelung dar. Auch hätten die Tarifver-tragsparteien zwischen dem gesetzlichen unddem tariflichen Urlaub unterschieden. Der Rest-urlaub 2012 sei deshalb verfallen.

Das LArbG Nürnberg erachtete die Berufungfür zulässig und begründet, der Kläger habeAnspruch auf zehn Tage bezahlter Freistellung(§§ 282, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 366 Abs. 2 BGBi.V.m. § 18 A Ziff. 1 und 7 MTV). Die unstreitigbestehenden zehn restlichen Urlaubstage seiennicht zum 31.03.2013 verfallen.

Der Urlaubsanspruch des § 18 A Ziff. 7 MTV geheüber den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchhinaus. Eine tarifvertragliche Bestimmung, diebezüglich des Verfalls von Urlaub, der überden gesetzlichen Mindesturlaub hinausgeht, ei-ne von der Rechtsprechung des EuGH zur Richt-linie 2003/88/EG abweichende Regelung ent-hält, sei grundsätzlich zulässig, insbesonderefür Fragen des Verfalls sowie der Abgeltung. Fürdie Annahme einer eigenständigen abweichen-den tariflichen Regelung bedürfe es allerdingseindeutiger, über das Regelungsziel des §  7BUrlG hinausgehender Bestimmungen im Tarif-vertrag. Dieser Wille müsse im Tarifvertrag ei-nen hinreichend erkennbaren Ausdruck finden.Dieser sei regelmäßig anzunehmen, wenn eineim Gesetz nicht oder anders enthaltene Rege-lung getroffen oder eine gesetzliche Regelun-gen übernommen worden sei, die sonst nicht fürdie betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten wür-de. Für einen rein deklaratorischen Charakterspreche es, wenn gesetzliche Regelungen wört-lich oder inhaltlich übernommen werden. Eineeigenständige Regelung könne sich daraus er-geben, dass die Tarifvertragsparteien ausdrück-lich zwischen dem gesetzlichen Urlaub und demtariflichen Mehrurlaub unterschieden, oder dar-aus, dass die Tarifvertragsparteien das gesetz-liche Urlaubssystem durch die Vereinbarung ei-ner eigenständigen Regelung verließen.

Das LArbG Nürnberg konnte auf dieser Grundla-ge nicht erkennen, dass die Tarifvertragspartei-en eine eigenständige Regelung getroffen hät-ten. Zwar sei in § 18 A Ziff. 7 MTV eine Übertra-gung des Urlaubsanspruchs auf die ersten dreiMonate des Folgejahres geregelt, wonach ab-weichend von § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG betrieb-liche oder in der Person des Arbeitnehmers lie-gende rechtfertigende Gründe nicht erforderlichseien. Der Rechtsprechung des BAG folgend,vermochte das Gericht hierin indes kein eigen-

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ständiges Fristenregime zu erkennen. Es werdelediglich auf die ansonsten notwendige Prüfungder Übertragungsvoraussetzungen verzichtet.

Doch selbst wenn davon auszugehen sei, dassder MTV eine eigenständige Regelung zum Ver-fall des Urlaubsanspruchs enthielte, sei im vor-liegenden Fall der Urlaub des Klägers gleich-wohl nicht verfallen. Denn die eigenständigeVerfallsregelung könne sich nur auf die tarifli-chen (Mehr-)Urlaubsansprüche beziehen. Ledig-lich der tarifliche Mehrurlaub unterliege demtariflichen Urlaubsregime. Die zum Zeitpunktdes Beginns der Arbeitsunfähigkeit des Klägersnoch offenen Urlaubsansprüche seien indes ge-setzlicher Natur gewesen, was sich aus § 366Abs.  2 BGB ergebe. Daher habe die Beklagte2012 zunächst den tariflichen Urlaubsansprucherfüllt. Der tarifliche Mehrurlaub sei, gehe mandavon aus, dass die Tarifvertragsparteien ein ei-genes Urlaubsregime aufgestellt haben, der ge-genüber dem gesetzlichen Urlaub weniger si-chere Anspruch.

Das Berufungsgericht rechnete also die nochoffenen zehn restlichen Urlaubstage aus demJahr 2012 dem Urlaub für 2013 zu. Da sie nichtbis 31.03.2014 gewährt wurden, verfielen siezu diesem Zeitpunkt. Insoweit stünde dem Klä-ger gegenüber der Beklagten ein Schadens-ersatzanspruch zu. Die Beklagte habe schuld-haft gehandelt, indem sie den für den Zeitraum10.06.2013 bis 03.07.2013 beantragten Urlaubverweigerte. Der Schadensersatzanspruch ge-he auf die Gewährung von zehn Tagen bezahl-ter Freistellung von der Arbeitsleistung im We-ge der Naturalrestitution nach § 249 BGB.

Die Revision wurde zugelassen. Von grundsätz-licher Bedeutung sei die Klärung der Fragen derAuslegung von § 18 MTV und der Anwendbarkeitvon § 366 BGB bei der Urlaubsgewährung (Az.des BAG: 9 AZR 507/14).

C. Kontext der Entscheidung

Die Behandlung von Urlaubsansprüchen unddie Unterwerfung ihres Verfalls unter ein eige-nes Fristenregime der Tarifvertragsparteien warbereits Gegenstand höchstrichterlicher Recht-sprechung, auf die sich das erkennende Ge-richt in seiner Entscheidung auch bezog (BAG,Urt.  v. 16.07.2013 - 9 AZR 914/11). Insoweithob es eine vergleichbare Entscheidung zu Ver-fall und Übergang des Urlaubsanspruchs be-

sonders hervor, in der Kriterien für die Ausle-gung tariflicher Normen aufgestellt wurden, an-hand derer festzustellen war, ob die Tarifver-tragsparteien hierdurch eine selbstständige, inihrer normativen Wirkung von der außertarifli-chen Norm unabhängige, eigenständige Rege-lung treffen wollten (BAG, Urt. v. 12.04.2011 -9 AZR 80/10). Die hierin aufgestellten Kriteri-en zur Feststellung eines eigenen, selbststän-digen Fristenregimes hat das Berufungsgerichtbei der Entscheidungsfindung angewandt. Eskam hier richtigerweise zu dem Ergebnis, dassdie Tarifvertragsparteien kein eigenes Fristen-regime aufgestellt hatten.

Hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 366 BGBauf Urlaubsansprüche bot sich dem Berufungs-gericht keine einheitliche Rechtsprechung desBAG. In seiner Entscheidung vom 07.08.2012(9 AZR 760/10) verneinte das BAG eine unmit-telbare und auch eine analoge Anwendung derVorschrift, da es sich bei dem Zusammentref-fen von gesetzlichen und tariflichen Urlaubs-ansprüchen um einen einheitlichen Anspruchauf Erholungsurlaub handele. In späteren Urtei-len vom 16.07.2013 (9 AZR 914/11) und vom15.10.2013 (9 AZR 302/12) ging es indes von ei-ner Anwendbarkeit des § 366 Abs. 1 BGB bei An-sprüchen auf Urlaubsabgeltung aus. Dort hattees jedoch ein Leistungsbestimmungsrecht desArbeitgebers angenommen. Demzufolge wärees konsequent, in den Fällen, in denen der Ar-beitgeber bei der Urlaubsgewährung keine Til-gungsbestimmung trifft, von einer Anwendungdes § 366 Abs. 2 BGB auszugehen.

So hat auch das Berufungsgericht entschieden.Offen blieb, ob die Bestimmung des § 366 BGBauch auf Urlaubsansprüche anzuwenden war,die teils auf dem Gesetz, teils auf einer tarifli-chen oder sonstigen Rechtsgrundlage beruhenund eine unterschiedliche Behandlung erfah-ren. Das Berufungsgericht hat hier § 366 BGBanalog angewendet und dies mit den unter-schiedlichen Verfallsfristen der Urlaubsansprü-che begründet. Daher hat es die Zulassung derRevision zum BAG als geboten angesehen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Tarifvertragsparteien sind nach der Recht-sprechung des BAG bei der Regelung tariflichenMehrurlaubs auch vor dem Hintergrund unions-rechtlicher Vorgaben nicht gehindert, die Be-handlung von Urlaubsansprüchen einer eigen-

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ständigen Regelung zu unterwerfen. Sie könnenUrlaubsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 derArbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und vonden §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruchauf Mindestjahresurlaub von vier Wochen über-steigen, frei regeln (BAG, Urt. v. 12.04.2011 - 9AZR 80/10 Rn. 21 und BAG, Urt. v. 16.07.2013- 9 AZR 914/11 Rn. 22). Sie sind gut beraten,dies sorgfältig und vor dem Hintergrund derhöchstrichterlichen Rechtsprechung zu tun, al-so darauf zu achten, dass für den Fall, dass eineigenständiges Fristenregime gewollt ist, auchein solches aufzustellen. Tarifvertragliche Par-allelregelungen, die sich inhaltlich auch im Ge-setz (Bundesurlaubsgesetz) wiederfinden, oderan dieses anlehnen, sind rein deklaratorisch undführen nicht zu der beabsichtigten Eigenstän-digkeit, sondern verhindern sie nach der Recht-sprechung des BAG. Weiterhin ist auf eine aus-drückliche Differenzierung zwischen dem ge-setzlichen Urlaub und dem tariflichen Mehrur-laub zu achten.

Arbeitgeber, die Urlaub gewähren, sollten hier-bei ausdrücklich mitteilen, welchen Urlaubs-anspruch sie damit erfüllen wollen. Dabei istdem Wortlaut des §  366 Abs.  1 BGB entspre-chend darauf zu achten, dass diese Bestim-mung „bei der Leistung“ erfolgt. Nach überein-stimmender Rechtsprechung von BAG und BGHist eine nachträgliche Bestimmung grundsätz-lich unwirksam (BAG, Urt. v. 16.07.2013 - 9 AZR914/11 Rn. 18, BGH, Urt. v. 26.03.2009 - I ZR44/06 Rn.  46). Fehlt eine ausdrückliche oderrechtzeitige Bestimmung, droht die Anwendungder Tilgungsbestimmung des § 366 Abs. 2 BGB.Danach wird im Regelfall der tarifliche Mehrur-laub als die ungünstigere Forderung erfüllt.

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Akzessorietät der Bürgenhaftung desGeneralunternehmers

Leitsatz:

Auch der selbstschuldnerisch haftende Bür-ge nach § 1a AEntG a.F. (jetzt: § 14 AEntG)kann sich nach § 768 Abs. 1 BGB darauf beru-fen, dass die Hauptschuld gegenüber der U-LAK (mittlerweile) verjährt ist, die Haftungist nicht subsidiär, aber akzessorisch (BGHv. 12.03.1980 - VIII ZR 115/79 - NJW 1980,1460; BGH v. 28.01.2003 - XI ZR 243/02 - NJW2003, 1250).

Anmerkung zu LArbG Frankfurt, Urteil vom 30.04.2014, 18 Sa 1169/13von Prof. Dr. Burkhard Boemke, Kooperations-partner Boemke und Partner mbB, Leipzig

A. Problemstellung

Ein Generalunternehmer, der ein Bauvorhabendurch Subunternehmer im Rahmen von Werk-verträgen realisieren lässt, trägt in einem ge-wissen Umfang gleichwohl für die Arbeitnehmerder Subunternehmer Arbeitgeberrisiken. Nach§ 14 AEntG (§ 1a AEntG a. F.) haftet er für dieVerpflichtungen des Subunternehmers zur Zah-lung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer wieein selbstschuldnerischer Bürge. Dies gilt auchfür Zahlungen von Beiträgen an eine gemein-same Einrichtung der Tarifvertragsparteien, wiez.B. Urlaubs- und Lohnausgleichskassen im Bau-gewerbe.

Das LArbG Frankfurt hatte zu entscheiden, obdie Haftung auch dann noch eingreift, wennzwar gegen den Generalunternehmer als Bür-gen rechtzeitig Klage erhoben worden war, aberdie Forderung gegen den Subunternehmer alsHauptschuldner inzwischen verjährt ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Bürginfür Urlaubskassenbeiträge eines Nachunterneh-mers in der Zeit von Oktober 2007 bis Febru-ar 2008 in Anspruch. Die Beklagte ist ein inder Baubranche tätiges Unternehmen. Sie be-auftragte das Unternehmen H. mit der Erbrin-gung von Trockenbauarbeiten, Reinigungsar-beiten und Holzarbeiten im Zeitraum von Okto-ber 2007 bis Februar 2008. Der Geschäftsfüh-rer von H. wurde im Mai 2009 rechtskräftig derSteuerhinterziehung und des Vorenthaltens so-wie der Veruntreuung von Arbeitsentgelt schul-dig gesprochen.

Die Klägerin, die im Jahr 2009 von diesen Vor-gängen Kenntnis erlangte, verlangte daher mitSchreiben vom Februar 2010 von der Beklagtenals Auftraggeberin von H. ca. 5.000 Euro ausBürgenhaftung. Da die Beklagte nicht zahlte, er-hob die Klägerin im Dezember 2011 Klage, diesie im Januar 2012 begründete. Die Beklagte hatu.a. die Einrede der Verjährung erhoben.

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Die Klage hatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg.Auf die Berufung der Beklagten hat das LArbGFrankfurt die Entscheidung aufgehoben und dieKlage abgewiesen.

Dabei lässt die Kammer dahinstehen, ob An-sprüche dem Grunde nach entstanden waren;diese seien jedenfalls inzwischen verjährt. DieBeklagte hafte zwar nach § 1a Satz 1 AEntG a.F.(jetzt § 14 AEntG) für die Ansprüche der Kläge-rin gegen seine Subunternehmer wie ein Bür-ge, der auf die Einrede der Vorausklage verzich-tet hat. Hierdurch werde aber nur auf die Ein-rede der Vorausklage nach § 773 Abs. 1 Nr. 1BGB verzichtet und damit die Subsidiarität derBürgenhaftung aufgehoben, nicht hingegen de-ren Akzessorietät. Der Bürge kann Einreden ge-gen die Hauptschuld erheben (§ 768 BGB) undinsbesondere die Verjährung der Hauptschuldgeltend machen (BGH, Urt. v. 12.03.1980 - VIIIZR 115/79; BGH, Urt.  v. 28.01.2003 - XI ZR243/02). Die nach dem maßgeblichen Tarifver-trag einschlägige Verjährungsfrist von vier Jah-ren sei spätestens zum 31.12.2013 abgelaufen.Die Klägerin hat nämlich im Jahr 2009 Kennt-nis von ihrer Forderung gegenüber H. erhalten.Die Verjährung der Forderung gegenüber derHauptschuldnerin H. sei auch nicht gehemmtworden. Es ist unstreitig, dass die Klägerin ge-gen die Hauptschuldnerin H. keine Klage erho-ben hat. Dies wäre entgegen der Auffassungder Klägerin erforderlich gewesen, obwohl diesedie Bürgenschuld gegen die Beklagte rechtzei-tig geltend gemacht hat. Der Bürge kann sichauf die Verjährung der Hauptforderung näm-lich auch dann berufen, wenn die Bürgschafts-klage vor Vollendung dieser Verjährung erho-ben wurde, dies gilt auch bei einer selbstschuld-nerischen Bürgschaft (BGH, Urt. v. 12.03.1980- VIII ZR 115/79 Rn.  15  f.). Nach dem Grund-satz der Akzessorietät hafte die Beklagte dahergemäß § 768 Abs. 1 BGB zumindest seit dem01.01.2014 nicht mehr. Die Klage war daher aufdie Berufung abzuweisen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung fügt sich in die allgemeineRechtsprechung und Systematik zur Bürgen-haftung ein. Der Gläubiger hat sich auch ge-genüber dem selbstschuldnerischen Bürgen mitzwei Verjährungsproblemen auseinanderzuset-zen. Das unmittelbare betrifft die Verjährungder Bürgenschuld, hier kann durch eine Klage

gegenüber dem Bürgen gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1BGB die Verjährung der Bürgschaftsschuld ge-hemmt werden. Die Klage gegenüber dem Bür-gen hat dabei keinen Einfluss auf die Verjäh-rung gegen den Hauptschuldner (OLG Düssel-dorf, Urt. v. 30.06.2005 - 10 U 28/05 - NJW-RR2005, 1495; Schmidt-Räntsch in: Erman, BGB,§  204 Rn 4; Boemke, demnächst in GK-ArbR,2015, § 204 Rn. 3). Das mittelbare betrifft dieVerjährung der Hauptschuld, die nach §  204Abs.  1 Nr.  1 BGB nur durch eine Klage ge-gen den Hauptschuldner, nicht aber den Bür-gen gehemmt werden kann (OLG Celle, Urt. v.10.09.2008 - 14 U 2/08; Staudinger/Horn, BGB,§ 765 Rn. 273; Boemke, demnächst in GK-ArbR,§ 204 Rn. 3). Wird nur gegen den Bürgen ge-klagt, dann läuft die Verjährung der Haupt-schuld weiter, worauf sich auch der selbst-schuldnerische Bürge berufen kann, weil die-se Form der Bürgschaft dem Gläubiger zwardie Last abnimmt, zunächst den Hauptschuld-ner zu verklagen. Sie ändert, weil der Bürge nurfür die Schuld des Hauptschuldners einstehenwill, aber nichts daran, dass dem Bürgen wei-terhin alle Einreden und Einwendungen zuste-hen, die der Hauptschuldner auch erheben kann(BGH, Urt. v. 08.12.2009 - XI ZR 181/08; Haber-sack in: MünchKomm BGB, 6. Aufl. 2013, § 773Rn. 2; Schlachter in: ErfKomm, 14. Aufl. 2014,§ 14 AEntG Rn. 6). Verzichtet der Gläubiger da-her, z.B. aus Kostengründen, auf eine Klage ge-gen den (insolventen) Hauptschuldner und er-greift er auch sonst keine verjährungshemmen-de Maßnahmen, kann es ihm passieren, dasssein anfänglicher Erfolg in der ersten Instanz inder zweiten Instanz kassiert wird, weil der An-spruch inzwischen wegen des Eintritts der Ver-jährung nicht mehr durchsetzbar ist (vgl. BGH,Urt. v. 09.07.1998 - IX ZR 272/96; Habersack in:MünchKomm BGB, § 768 Rn. 5).

D. Auswirkungen für die Praxis

Bei einem ausschließlichen Vorgehen gegenden Bürgen läuft der Gläubiger Gefahr, dassseine bestehenden Ansprüche letztlich nichtdurchgesetzt werden können, weil die Haupt-forderung verjährt ist. Daher sollte der diesbe-zügliche Fristenlauf stets im Auge behalten wer-den. Insoweit kann es auch erforderlich wer-den, offensichtlich aussichtslose Maßnahmengegen einen insolventen (Haupt-)Schuldner zuergreifen, um den Anspruch gegen den Bürgenrealisieren zu können. Selbst ein vollstreckba-rer, rechtskräftiger Titel schützt den Gläubiger

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nicht. Der Bürge kann nämlich eine Vollstre-ckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) darauf stützen,dass die verbürgte Hauptforderung nach seinerrechtskräftigen Verurteilung verjährt ist (BGH,Urt. v. 05.11.1998 - IX ZR 48/98; Habersack in:MünchKomm BGB, 6. Aufl. 2013, § 768 Rn. 5).

4

Keine abstrakte Feststellung derTendenzeigenschaft eines Unternehmensoder Betriebs

Orientierungssätze:

1. Die Frage, ob ein Betrieb unmittelbaroder überwiegend karitativen Bestimmun-gen i.S.d. §  118 Abs.  1 Satz 1 Nr.  1 Be-trVG dient, betrifft allenfalls eine (nicht fest-stellungsfähige) Vorfrage eines Rechtsver-hältnisses i.S.d. §  256 Abs.  1 ZPO. Sie istnicht geeignet, das zwischen den Beteilig-ten bestehende betriebsverfassungsrechtli-che Rechtsverhältnis einer Klärung zuzufüh-ren.

2. Ein Unternehmen dient unmittelbar undüberwiegend karitativen Bestimmungen inForm der Hilfeleistung am leidenden Men-schen, wenn es nach dem Gesellschaftsver-trag anstrebt, behinderte Menschen in dasArbeitsleben einzugliedern oder wiederein-zugliedern. Dabei ist es unerheblich, ob die-se Hilfe schon dadurch wirksam wird, dassdie behinderten Menschen bei der Arbeit-geberin sinnvoll, d.h. mit einem wirtschaft-lich verwertbaren Ergebnis beschäftigt wer-den, oder ob dieses Ziel erst dann erreichtist, wenn die behinderten Menschen nacheiner Beschäftigung bei der Arbeitgeberinwieder in das allgemeine Arbeitsleben ein-gegliedert werden können.

3. Das Unternehmen "dient" karitativen Be-stimmungen i.S.v. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1BetrVG auch dann, wenn in einer Werk-statt für behinderte Menschen Leistungster-mine bei der Auftragsbearbeitung verein-bart werden und einzuhalten sind und Quali-tätskontrollen durchgeführt werden. Ebensoschließt die Mitarbeit von Arbeitnehmern beider Auftragsausführung den Tendenzzwecknicht aus.

4. Das Anstreben wirtschaftlicher Arbeitser-gebnisse und das etwaige Ziel der Arbeit-geberin, Erlöse aus ihrer Betätigung stei-gern zu können, führt nicht zur Bejahungeiner Gewinnerzielungsabsicht. Die Tenden-zeigenschaft ist anhand des Unternehmenszu bestimmen; gesellschaftsrechtliche Ver-flechtungen mit anderen Unternehmen blei-ben außer Betracht. Sind mehrere Unterneh-men in einem Konzern oder in anderer Wei-se verbunden, kommt es ausschließlich aufdas Unternehmen an, dessen Tendenzeigen-schaft jeweils gesondert zu prüfen ist.

Anmerkung zu BAG, Beschluss vom  22.07.2014,1 ABR 93/12von Stephan Gräf, Wissenschaftlicher Mitarbei-ter, Universität Würzburg

A. Problemstellung

I. In prozessualer Hinsicht behandelt die Ent-scheidung die umstrittene Frage, ob abstraktdie Feststellung der Tendenzeigenschaft einesUnternehmens oder Betriebs (§ 118 Abs. 1 Satz1 HS. 1 BetrVG) beantragt werden kann. Es han-delt sich um ein Zulässigkeitsproblem im Be-reich des § 256 Abs. 1 ZPO (Vorliegen eines fest-stellungsfähigen Rechtsverhältnisses).

II. In materieller Hinsicht geht es um die Tenden-zeigenschaft (§ 118 Abs. 1 BetrVG) von Werk-stätten für Behinderte.

Die sog. „Werkstätten für behinderte Men-schen“ (WfbM) im Sinne der §§ 136  ff. SGB  IXsind Einrichtungen zur Teilhabe behinderterMenschen am Arbeitsleben und zur Eingliede-rung in das Arbeitsleben (vgl. § 136 Abs. 1 Satz 1SGB IX). Die Rechtsträger der Werkstätten kön-nen auch Arbeitgeberfunktion ausüben.

Hinsichtlich der kollektiven Interessenvertre-tung der in einer solchen Einrichtung beschäf-tigten Menschen ist zu unterscheiden: Be-hinderte Menschen, die nicht als Arbeitneh-mer zu qualifizieren sind, stehen nach §  138Abs. 1 SGB IX in einem „arbeitnehmerähnlichenRechtsverhältnis“ mit der Werkstatt (sog. Werk-stattvertrag). Das BetrVG findet auf sie keineAnwendung. § 139 SGB IX sieht für diese Gruppeals besondere Vertretungsform die Bildung sog.Werkstatträte vor (näher geregelt in der Werk-stätten-Mitwirkungsverordnung v. 25.06.2001,

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BGBl I 2001, 1297). Für behinderte Menschen,die unter den allgemeinen Arbeitnehmerbegrifffallen, gilt hingegen das BetrVG, soweit nicht§ 5 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG eingreift (näher zur Ab-grenzung Raab in: GK-BetrVG, 10. Aufl. 2014,§ 5 Rn. 125, m.w.N.; anders wohl Thüsing in: Ri-chardi, BetrVG, 14. Aufl. 2014, § 118 Rn. 180: § 5Abs. 2 Nr. 4 BetrVG sei nie erfüllt). Das BetrVGist darüber hinaus für die Interessenvertretungsonstiger, nicht behinderter Arbeitnehmer ein-schlägig, die bei einer Werkstatt für behinderteMenschen beschäftigt sind.

Die vorliegende Entscheidung behandelt dieFrage, unter welchen Voraussetzungen es sichbei Werkstätten für Behinderte um sog. Ten-denzunternehmen bzw. -betriebe i.S.d. §  118Abs.  1 Nr.  1 BetrVG handelt („karitative“ Be-stimmung), mit der Folge, dass das BetrVG nureingeschränkt zur Anwendung kommt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Arbeitgeberin ist eine gemeinnützigeGmbH, die eine Werkstatt für Behinderte i.S.d.§§  136  ff. SGB  IX betreibt. SatzungsmäßigesZiel der GmbH ist die „wirksame Eingliederunggeistig und körperlich behinderter Menschen[…] zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplat-zes und der Förderung ihrer seelischen, geisti-gen und körperlichen Fähigkeit“. In der Werk-statt werden im Auftrag Dritter, insbesonderevon Industrieunternehmen, verschiedene Arbei-ten unter anderem im Bereich Produktion (Ver-packungsarbeiten, Metallverarbeitung etc.) undim Garten- und Landschaftsbau erbracht. DieWerkstatt nimmt jährlich mehr als 1.000 Aufträ-ge von über 100 Kunden an.

Die behinderten Mitarbeiter i.S.d. § 138 Abs. 1SGB IX haben einen Werkstattrat gebildet, dieArbeitnehmer einen Betriebsrat. Der Betriebs-rat beschloss die Gründung eines Wirtschafts-ausschusses i.S.d. § 106 BetrVG. Die Arbeitge-berin leitete daraufhin ein arbeitsgerichtlichesBeschlussverfahren ein und beantragte festzu-stellen, dass es sich bei ihrem Betrieb um einenTendenzbetrieb i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVGhandelt und dass die Bildung des Wirtschafts-ausschusses wegen § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVGunwirksam ist. Das Arbeitsgericht hat den An-trag abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hatihm vollumfänglich entsprochen.

Hinsichtlich des ersten Teils des Antrags (Fest-stellung der Eigenschaft als Tendenzbetriebi.S.d. §  118 Abs.  1 Satz 1 BetrVG) hob dasBAG die Entscheidung des Landesarbeitsge-richts auf. Der Antrag sei bereits unzulässig. DieEigenschaft als Tendenzbetrieb sei kein konkre-tes Rechtsverhältnis i.S.d. §  256 Abs.  1 ZPO,sondern nur eine Vorfrage und als solche nichtfeststellungsfähig. Sie sei nämlich nicht geeig-net das zwischen den Beteiligten bestehendebetriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältniseiner Klärung zuzuführen (Rn. 14).

Soweit der Antrag auf Feststellung der Unwirk-samkeit der Bildung des Wirtschaftsausschus-ses gerichtet war, hielt das BAG ihn für zulässigund begründet.

Das BAG bejahte die Zulässigkeit, da die „be-triebsverfassungsrechtliche Befugnis […], imUnternehmen der Arbeitgeberin einen Wirt-schaftsausschuss zu bilden oder nicht“, einRechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO darstel-le. Da für die Zukunft geklärt werde, ob ein Wirt-schaftsausschuss zu errichten ist, liege auch einFeststellungsinteresse vor (Rn. 16).

Der Antrag sei auch begründet. Die Arbeitge-berin sei tatsächlich ein Tendenzunternehmeni.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG („Unter-nehmen, das unmittelbar und überwiegend ka-ritativen Bestimmungen dient“), so dass nach§ 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Bildung einesWirtschaftsausschusses ausgeschlossen sei.

Die Eigenschaft als Tendenzunternehmen er-gebe sich allerdings nicht schon automatischaus der Anerkennung der Arbeitgeberin als ge-meinnützig im Sinne des Steuerrechts. Der Be-griff „karitativ“ entspreche nicht der „Gemein-nützigkeit“ i.S.d. §  52 AO, sondern eher demBegriff der „Mildtätigkeit“ i.S.d. § 53 AO. Aberselbst dieser sei allein für das Steuerrecht, nichtaber für die Anwendung des BetrVG maßgeblich(Rn. 22).

Allerdings sei das satzungsmäßige Ziel desUnternehmens, die Eingliederung behinderterMenschen in den Arbeitsmarkt, als „karitativeBestimmung“ anzusehen. Hierfür sei nicht er-forderlich, dass die behinderten Menschen be-reits in der Werkstatt selbst eine wirtschaftlichsinnvolle Beschäftigung ausüben. Es sei ausrei-chend, wenn ihnen die Eingliederung in den all-

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gemeinen Arbeitsmarkt nach der Beschäftigungin der Werkstatt ermöglicht werde (Rn.  24).Dem karitativen Zweck diene die Arbeitgebe-rin auch „unmittelbar“, da die Hilfe an denbehinderten Menschen direkt erbracht werde(Rn. 31).

Das BAG wies auch den Einwand des Betriebs-rats zurück, es handele sich um ein „Mischunter-nehmen“, bei dem die nicht-tendenzgeschütz-ten Zwecke (Produktion) überwögen. Zwar habedas Tatsachengericht festgestellt, dass auch dienicht behinderten Arbeitnehmer in erheblichemUmfang Aufgaben übernähmen (Qualitätskon-trollen, vollständige Erledigung bestimmter Auf-gaben zur Einhaltung von Lieferterminen). Diessei jedoch kein Gegensatz zum karitativen Un-ternehmenszweck, sondern Teil dessen. Wennnämlich die Förderung behinderter Menschengerade dadurch verwirklicht werden soll, dassAufträge Dritter angenommen werden, danngehöre hierzu auch, dass Leistungstermineeingehalten und Qualitätskontrollen durchge-führt werden. Die Einrichtung sei daher kein„Mischunternehmen“. Auf das Merkmal „über-wiegend“ brauchte das BAG damit nicht mehreingehen (Rn. 27).

Auch verneinte das BAG eine Gewinnerzielungs-absicht der Arbeitgeberin. Dass in der Werk-statt wirtschaftliche Arbeitsergebnisse ange-strebt werden, dass Einnahmen erzielt werdenund dass diese Einnahmen nach dem Willen derArbeitgeberin gesteigert werden, sei unschäd-lich, solange die Einnahmen nur der Kostende-ckung dienten (Rn. 30).

C. Kontext der Entscheidung

I. Mit seinen prozessrechtlichen Ausführungenknüpft das BAG an eine Entscheidung vom14.12.2010 an (BAG, Beschl. v. 14.12.2010 - 1ABR 93/09 - AP Nr. 84 zu § 118 BetrVG 1972). Be-reits hier hatte es das BAG abgelehnt, die Ten-denzeigenschaft eines Unternehmens oder Be-triebs i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 BetrVGals feststellungsfähiges Rechtsverhältnis i.S.d.§ 256 Abs. 1 ZPO anzuerkennen.

1. Dabei handelt es sich allerdings keineswegsum eine gefestigte Rechtsprechung. In Bezugauf diese Frage hat das BAG in der Vergan-genheit eine doppelte Kehrtwende vollzogen:Zunächst hat es im Jahr 1955 die Zulässigkeiteines auf Feststellung der Tendenzeigenschaft

(damals: §  81 BetrVG 1952) gerichteten An-trags abgelehnt (BAG, Beschl.  v. 13.07.1955- 1 ABR 31/54 - AP Nr.  2 zu §  81 BetrVG).In einer Entscheidung aus dem Jahr 1998 hates diese Rechtsprechung mit Hinweis auf dieveränderte Rechtslage (vgl. §  2a Abs.  1 Nr.  1ArbGG: umfassende Kompetenz der Arbeitsge-richte für Angelegenheiten aus dem Betriebs-verfassungsgesetz) aufgegeben und die Zuläs-sigkeit des Feststellungsantrags bejaht (BAG,Beschl. v. 21.07.1998 - 1 ABR 2/98 - AP Nr. 63 zu§ 118 BetrVG 1972). In einer Entscheidung ausdem Jahr 2010 ist das BAG zu seiner ursprüng-lichen Auffassung zurückgekehrt. Die abstrak-te Feststellung der Eigenschaft als Tendenzun-ternehmen oder Tendenzbetrieb sei nach § 256Abs.  1 ZPO ausgeschlossen (BAG, Beschl.  v.14.12.2010 - 1 ABR 93/09 Rn. 11 ff.).

Ähnliche Schwankungen sind in der Literatur zubeobachten. Die h.Lit. folgte vorübergehend derBAG-Entscheidung vom 21.07.1998 und bejahtedie Zulässigkeit des Feststellungsantrags (vgl.Nachweise bei Dahm, SAE 2011, 201 Fn. 5). In-zwischen hat sich das Schrifttum überwiegendder Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 an-geschlossen (vgl. nur Dahm, SAE 2011, 201;Fitting, BetrVG, 27.  Aufl. 2014, §  118 Rn.  63;Weber in: GK-BetrVG, 10.  Aufl. 2014, §  118Rn. 239, m.w.N.; so auch schon zuvor Jacobs,Der Gegenstand des Feststellungsverfahrens,2005, S. 300).

Mit dem vorliegenden Beschluss bestätigt dasBAG nun ausdrücklich seine Entscheidung vom14.12.2010 (Rn. 14). An die maßgeblichen Ar-gumente, die in der vorliegenden Entscheidungnicht noch einmal ausdrücklich wiederholt wer-den, sei hier kurz erinnert: Das BAG geht mit dertraditionell herrschenden Meinung (vgl. stattvieler Foerste in: Musielak, ZPO, 11. Aufl. 2014,§  265 Rn.  2, m.w.N.; a.A. Krause, Rechtskraf-terstreckung im kollektiven Arbeitsrecht, 1996,S. 300 f.) davon aus, dass bloße Vorfragen ei-nes Rechtsverhältnisses i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPOnicht feststellungsfähig sind (BAG, Beschl.  v.14.12.2010 - 1 ABR 93/09 Rn. 12). Bei der Ei-genschaft als Tendenzunternehmen bzw. -be-trieb i.S.d. §  118 Abs.  1 Satz 1 HS.  1 BetrVGhandele es sich um eine solche Vorfrage. DasGericht müsse nämlich bei zukünftigen Strei-tigkeiten über die Anwendbarkeit eines konkre-ten Mitbestimmungsrechts zusätzlich noch imRahmen der Relativklausel (§ 118 Abs. 1 Satz1 HS. 2 BetrVG) prüfen, ob das betroffene Mit-

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bestimmungsrecht „der Eigenart des Unterneh-mens oder des Betriebs entgegensteht“ (BAG,Beschl.  v. 14.12.2010 - 1 ABR 93/09 Rn.  14).Zwar gebe es verschiedene arbeitsrechtlicheVorschriften, die eine Feststellung von Vorfra-gen ausnahmsweise zulassen (das BAG nennt§ 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. b ArbGG, §§ 2a Abs. 1 Nr. 4,Abs. 2 i.V.m. 97 ArbGG und § 18 Abs. 2 BetrVG;Dahm, SAE 2011, 201, 203 ergänzt § 100 Abs. 2Satz 3 BetrVG); eine solche Regelung existie-re für die Feststellung der Tendenzeigenschafti.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 BetrVG aber ge-rade nicht (BAG, Beschl. v. 14.12.2010 - 1 ABR93/09 Rn. 15, 17; vgl. auch Dahm, SAE 2011,201, 203 f., die eine Analogiefähigkeit der ge-nannten Vorschriften ausdrücklich ablehnt).

2. Der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010ist ohne weiteres zuzustimmen. Die Arbeitge-berin hatte damals ausschließlich einen Antragauf die abstrakte Feststellung der Eigenschaftals Tendenzunternehmen bzw. -betrieb gestellt.Der vorliegende Fall ist allerdings etwas an-ders gelagert: Die Arbeitgeberin hat hier zu-sätzlich beantragt festzustellen, dass die Bil-dung des Wirtschaftsausschusses wegen § 118Abs. 1 Satz 2 BetrVG unwirksam ist. Hierfür istdie Frage der Eigenschaft als Tendenzunterneh-men i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 BetrVG vor-greiflich.

In solchen Fällen der Vorgreiflichkeit scheint esbedenkenswert, vom Grundsatz der fehlendenFeststellungsfähigkeit von Vorfragen eine Aus-nahme zu machen oder zumindest bei der (oh-nehin höchst diffizilen) Abgrenzung zwischenRechtsverhältnis und Vorfrage etwas großzügi-ger zu sein. Hierfür könnte der Rechtsgedankedes § 256 Abs. 2 ZPO sprechen, der bei vorgreif-lichen Rechtsverhältnissen aus Gründen derProzessökonomie und zum Schutz vor wider-sprüchlichen Entscheidungen das Vorliegen ei-nes Feststellungsinteresses verzichtbar macht(vgl. zum Sinn und Zweck des § 256 Abs. 2 ZPOetwa Foerste in: Musielak, ZPO, § 265 Rn. 39).Auch im vorliegenden Fall kämen diese Vortei-le zum Tragen, ließe man den Feststellungsan-trag zu. Auf die Tendenzeigenschaft i.S.d. § 118Abs. 1 Satz 1 HS. 1 BetrVG wird es nämlich auchbei zukünftigen betriebsverfassungsrechtlichenStreitigkeiten zwischen der Arbeitgeberin unddem Betriebsrat maßgeblich ankommen. DasGericht hätte dann im Einzelfall nur noch überdie Voraussetzungen der Eigenartsklausel nach§ 118 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 BetrVG zu entscheiden

(vgl. insoweit auch Dahm SAE 2011, 201, 204 f.,die eine Feststellungsfähigkeit im Ergebnis aberwohl auch bei Vorgreiflichkeit ablehnt).

II. Hinsichtlich der materiellen tendenzschutz-rechtlichen Fragen zur Auslegung des §  118Abs. 1 BetrVG bestätigt das BAG seine bisheri-ge Rechtsprechung. Das BAG hat bereits in zweiälteren Entscheidungen Werkstätten für Behin-derte als karitative Tendenzunternehmen bzw.-betriebe i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVGanerkannt (BAG, Beschl. v. 07.04.1981 - 1 ABR83/78 - AP Nr. 16 zu § 118 BetrVG 1972; BAG,Beschl. v. 31.01.1984 - 1 AZR 174/81 - AP Nr. 15zu §  87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; ebensodie Instanzrechtsprechung, vgl. zuletzt LArbGMainz, Beschl. v. 14.08.2013 - 8 TaBV 40/12).

Die Entscheidung bekräftigt zunächst, dassWerkstätten für Behinderte grundsätzlich un-ter die allgemeine Definition des Begriffs der„karitativen“ Bestimmung (sozialer Dienst zumWohle Hilfsbedürftiger, insbesondere körper-lich, geistig oder seelisch kranker oder materi-ell notleidender Menschen) fallen. Dies machtallerdings eine Einzelfallprüfung nicht verzicht-bar. Wie das BAG in einer früheren Entschei-dung betont hat, ist die öffentlich-rechtliche An-erkennung einer Einrichtung als Einrichtung fürBehinderte i.S.d. §§  136  ff. SGB  IX (vgl. hier-zu Pahlen in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pah-len, SGB  IX, 12.  Aufl. 2010, §  136 Rn.  2  ff.)von der Tendenzeigenschaft im betriebsverfas-sungsrechtlichen Sinne getrennt zu sehen. Ei-ne fehlende Anerkennung kann allenfalls ein In-diz für die fehlende Tendenzeigenschaft sein(BAG, Beschl. v. 07.04.1981 - 1 ABR 83/78, unterB.III.3.a). In der vorliegenden Entscheidung er-gänzt das BAG, dass auch von der steuerrecht-lichen Anerkennung als „gemeinnützig“ oder„mildtätig“ (§§ 52, 53 AO) nicht auf die Tenden-zeigenschaft geschlossen werden kann. Auchder besondere steuerrechtliche Status der Ein-richtung macht also eine Einzelfallprüfung nichtverzichtbar.

Im Gegensatz zu den übrigen Tendenzartensetzt § 118 Abs. 1 BetrVG im Rahmen der karita-tiven Bestimmung voraus, dass das Unterneh-men nicht mit Gewinnerzielungsabsicht betrie-ben wird. Dies wird zum einen mit dem Wort-laut („karitativ“), zum anderen damit begrün-det, dass die karitative Bestimmung als einzi-ge keinen Grundrechtsbezug aufweist und in-sofern restriktiv zu interpretieren ist (näher da-

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zu Weber in: GK-BetrVG, 10. Aufl. 2014, § 118Rn. 23 ff., 96, m.w.N.). Die vorliegende Entschei-dung zeigt, dass die sozialrechtliche Anerken-nung einer Einrichtung als Werkstatt für Behin-derte i.S.d. §§  136  ff. SGB  IX die gesondertePrüfung der fehlenden Gewinnerzielungsabsichtnicht verzichtbar macht (vgl. Rn. 30). Soweit sie,wie in der Regel (vgl. § 12 Abs. 3 Werkstätten-verordnung vom 13.08.1980, BGBl I 1980, 1365,zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes vom22.12.2008, BGBl I 2008, 2959), nur nach demKostendeckungsprinzip arbeitet, steht dies demTendenzschutz nicht im Wege.

D. Auswirkungen für die Praxis

I. Hinsichtlich der Zulässigkeit von Anträgen, dieauf die Feststellung der Eigenschaft als Ten-denzunternehmen bzw. -betrieb gerichtet sind,bestätigt das BAG mit der vorliegenden Ent-scheidung seine zuletzt eingeschlagene Linieund sorgt insofern für Rechtssicherheit. Mit ei-nem erneuten Meinungsumschwung des BAGist nicht zu rechnen. In Bezug auf die Anforde-rungen des § 256 Abs. 1 ZPO (feststellungsfä-higes Rechtsverhältnis) ist danach wie folgt zuunterscheiden:

1. Im Rahmen der unternehmerischen Mitbe-stimmung ist der Antrag auf Feststellung derEigenschaft als Tendenzunternehmen zulässig(vgl. §  1 Abs.  4, §  6 Abs.  2 MitbestG i.V.m.§  98 AktG). Die Tendenzeigenschaft ist hiernicht lediglich eine Vorfrage. Der Gesetzgeberhat in §  1 Abs.  4 MitbestG nämlich einen ab-soluten Tendenzschutz festgeschrieben. Andersals im Rahmen der Eigenartsklausel nach § 118Abs. 1 Satz 1 HS. 2 BetrVG bedarf es hier kei-nes zusätzlichen einzelfallbezogenen Prüfungs-schritts. Somit kann das Gericht mit der Fest-stellung der Tendenzeigenschaft bzw. der An-tragsabweisung das zwischen den Beteiligtenbestehende Rechtsverhältnis einer endgültigenKlärung (Anwendbarkeit oder Unanwendbarkeitdes gesamten Gesetzes) zuführen (BAG, Be-schl. v. 14.12.2010 - 1 ABR 93/09 Rn. 16).

2. Dies gilt gleichermaßen innerhalb des Be-triebsverfassungsrechts hinsichtlich der Religi-onsgemeinschaften und der ihnen zugeordne-ten karitativen und erzieherischen Einrichtun-gen (§ 118 Abs. 2 BetrVG). Auch insofern han-delt es sich bei der Tendenzeigenschaft des Un-ternehmens bzw. Betriebs nicht lediglich um ei-ne Vorfrage (BAG, Beschl. v. 23.10.2002 - 7 ABR

59/01 - AP Nr. 72 zu § 118 BetrVG 1972, unterB.I.1.; BAG, Beschl. v. 14.12.2010 - 1 ABR 93/09Rn. 16).

3. Steht hingegen die Anwendung des §  118Abs. 1 BetrVG in Frage, ist ein Antrag auf Fest-stellung der Tendenzeigenschaft eines Unter-nehmens oder Betriebs i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz1 HS. 1 BetrVG stets unzulässig. Dies gilt nachdem Ansatz des BAG unabhängig davon, ob dieTendenzeigenschaft im konkreten Fall vorgreif-lich für die Entscheidung über einen weiterenAntrag innerhalb desselben Prozesses ist.

Im Rahmen des §  118 Abs.  1 BetrVG ist al-lein ein Antrag auf Feststellung der Anwendbar-keit oder Unanwendbarkeit eines bestimmtenMitbestimmungsrechts denkbar. Dies gilt ohneweiteres für die Anwendbarkeit der in §  118Abs.  1 Satz 2 BetrVG angesprochenen Mitbe-stimmungsrechte (Rn.  16 der hier besproche-nen Entscheidung).

Problematisch und höchstrichterlich noch un-geklärt ist die Frage, ob die Anwendbarkeitoder Nichtanwendbarkeit einzelner der unter§  118 Abs.  1 Satz 1 BetrVG fallenden Mitbe-stimmungsrechte feststellungsfähig ist. Es ge-nügt jedenfalls nicht, wenn im Antrag nur einbestimmtes Mitbestimmungsrecht bezeichnetwird. Im Rahmen der Relativklausel des § 118Abs. 1 Satz 1 HS. 2 BetrVG ist nämlich nicht al-lein nach der Art des Mitbestimmungsrechts zudifferenzieren. Nach ständiger Rechtsprechungsetzt die Relativklausel nämlich weiterhin vor-aus, dass der von der konkreten Maßnahme be-troffene Arbeitnehmer Tendenzträger ist (vgl.zuletzt etwa BAG, Beschl.  v. 14.05.2013 - 1ABR 10/12 Rn.  18). Im Schrifttum wird daherdie Ansicht vertreten, dass ein Feststellungs-antrag zulässig ist, wenn er auf ein bestimm-tes Mitbestimmungsrecht und eine bestimmteGruppe von Arbeitnehmern konkretisiert ist (Fit-ting, BetrVG, § 118 Rn. 63; vgl. zu den Anfor-derungen an die Bestimmtheit bei der Bezeich-nung der Arbeitnehmergruppe BAG, Beschl. v.07.02.2012 - 1 ABR 58/10 - AP Nr. 58 zu § 253ZPO Rn. 16 ff.). Nach der herrschenden „unein-geschränkten Maßnahmetheorie“ muss aller-dings zusätzlich zur Tendenzträgereigenschaftdes Arbeitnehmers noch geprüft werden, ob essich im konkreten Fall auch um eine tendenzbe-zogene Maßnahme handelt (st. Rspr., vgl. nurBAG, Beschl. v. 28.08.2003 - 2 ABR 48/02 - APNr. 49 zu § 103 BetrVG, unter II.2.b.cc.[1]; stv.

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aus der Lit. Weber in: GK-BetrVG, § 118 Rn. 164).Soll für die Zukunft die Anwendbarkeit eines be-stimmten unter § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG fal-lenden Mitbestimmungsrechts geklärt werden,muss daher im Antrag auch der Kreis möglicherMaßnahmen ausreichend konkretisiert sein, umderen Mitbestimmungspflichtigkeit es geht. Ei-ne Ausnahme ist nur in Bezug auf die Mitbestim-mung bei Einstellungen nach § 99 BetrVG denk-bar. Hier wird der Tendenzbezug der Maßnah-me vermutet (BAG, Beschl.  v. 07.11.1975 - 1ABR 78/74 - AP Nr. 3 zu § 99 BetrVG 1972, unterIII.2.; weitergehend Weber, in: GK-BetrVG, § 118Rn. 211, der das Erfordernis des Tendenzbezugsder Maßnahme bei Einstellungen von Tendenz-trägern insgesamt für verzichtbar hält), so dassim Feststellungsantrag allein die betroffene Ar-beitnehmergruppe konkretisiert werden muss.

II. In materieller Hinsicht bleibt es bei der ständi-gen Rechtsprechung des BAG: Werkstätten fürBehinderte fallen zwar regelmäßig unter § 118Abs. 1 Nr. 1 BetrVG („karitative Bestimmung“),eine Einzelfallprüfung ist allerdings unverzicht-bar. Insbesondere ist zu prüfen, ob die Ein-richtung nicht ausnahmsweise mit Gewinnerzie-lungsabsicht arbeitet. Wirtschaftet die Einrich-tung – wie in der Regel – nach dem Kostende-ckungsprinzip, ist dies für den Tendenzschutzunschädlich.

5

Keine Mitbestimmung des Personalratsbei der Bestellung des Vertreters desbehördlichen Datenschutzbeauftragten

Leitsatz:

Das Mitbestimmungsrecht des Personalratsnach § 74 Abs. 1 Nr. 3 HPVG erstreckt sichnicht auf die Bestellung des Vertreters desbehördlichen Datenschutzbeauftragten ge-mäß § 5 Abs. 1 Satz 1 HDSG.

Anmerkung zu VGH Kassel, Beschluss vom 22.07.2014, 22 A 2226/13.PVvon Dr. Eugen Ehmann, Regierungsvizepräsi-dent von Mittelfranken

A. Problemstellung

Die Verfahrensbeteiligten streiten darüber, obdem Personalrat als Antragsteller nach hes-

sischem Landesrecht bei der gemäß §  5Abs.  1 Satz 1 HDSG gesetzlich vorgeschrie-benen Bestellung des Vertreters eines be-hördlichen Datenschutzbeauftragten ein Mit-bestimmungsrecht gemäß §  74 Abs.  1 Nr.  3HPVG zusteht. Gemäß dieser Regelung hat derPersonalrat mitzubestimmen bei der „Bestel-lung und Abberufung von Frauenbeauftragten,Datenschutzbeauftragten, Fachkräften für Ar-beitsschutz, Sicherheitsbeauftragten, Vertrau-ens-und Betriebsärzten“.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Beteiligte hatte mit Schreiben vom27.02.2013 vorsorglich die Zustimmung des an-tragstellenden Personalrats zur Bestellung ei-ner Beschäftigten zur stellvertretenden Daten-schutzbeauftragten beantragt, dabei aber zu-gleich zum Ausdruck gebracht, dass nach ihrerAuffassung insofern kein Mitbestimmungsrechtdes Personalrats aus §  74 Abs.  1 Nr.  3 HPVGbestehe. Der Antragsteller beantragt daher dieFeststellung, dass ihm ein solches Mitbestim-mungsrecht zusteht.

Mit diesem Antrag hatte der Antragsteller erst-instanzlich beim VG Frankfurt Erfolg. Der VGHKassel hält den Antrag dagegen zwar für zuläs-sig, jedoch nicht für begründet und verneint dasBestehen eines solchen Mitbestimmungsrechts.

Zur Begründung beruft sich das Gericht zu-nächst auf die Entstehungsgeschichte der maß-geblichen Regelungen. Das Mitbestimmungs-recht gemäß einer Vorgängerregelung aus demJahr 1959, die der jetzige §  74 Abs.  1 Nr.  3HPVG aufgegriffen habe, habe sich ursprüng-lich nur auf die „Bestellung von Vertrauens-und Betriebsärzten“ bezogen. Erst mit Wir-kung vom 01.10.1984 sei diese Vorgängerrege-lung dahingehend geändert worden, dass derPersonalrat mitzubestimmen gehabt habe beider „Bestellung und Abberufung von Daten-schutzbeauftragten, Fachkräfte für Arbeitssi-cherheit, Sicherheitsbeauftragten, Vertrauens-und Betriebsärzten.“

Diese Fassung der Vorgängerregelung sei mitWirkung vom 06.04.1988 unverändert in die da-mals geschaffene Vorschrift des §  74 Abs.  1Nr. 3 HPVG übernommen worden. Diese habemit Wirkung vom 31.12.1993 schließlich ihreheute geltende Fassung erhalten, indem ab die-sem Zeitpunkt auch die Bestellung und Abberu-

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fung von Frauenbeauftragten in die Mitbestim-mung einbezogen wurde.

Diese Entwicklung der Vorschrift zeigt nachAuffassung des Gerichts, dass der Gesetzge-ber mit der zum 01.10.1984 bewirkten Hinzu-fügung „von Datenschutzbeauftragten“ usw. le-diglich an den bereits geltenden Wortlaut unddie schon vorgegebene Verwendung des Plu-rals angeknüpft habe. Er habe dagegen mit derVerwendung des Plurals nicht zum Ausdruckbringen wollen, dass sich das Mitbestimmungs-recht des Personalrats auch auf die Vertreterder in dieser Regelung genannten Beauftragtenerstrecke.

Die jetzige Fassung von §  5 Abs.  1 Satz 1HDSG, wonach ein Vertreter des behördlichenDatenschutzbeauftragten zu bestellen ist, seimit Wirkung vom 10.11.1998 so gefasst wor-den. Gleichwohl habe der Gesetzgeber die Re-gelung des § 74 Abs. 1 Nr. 3 HPVG damals undauch danach unverändert gelassen. Dies spre-che dafür, dass er das Mitbestimmungsrecht ge-rade nicht auf den Vertreter des behördlichenDatenschutzbeauftragten habe erweitern wol-len. Dabei sei zu berücksichtigen, dass damalsbereits Rechtsprechung zum fehlenden Mitbe-stimmungsrecht bei der Bestellung von Stellver-tretern von besonderen Beauftragten vorgele-gen habe (VG Gießen, Beschl. v. 14.09.1998 - 22LG 1426/98, zur Bestellung der Stellvertreterineiner Frauenbeauftragten).

Dem fehlenden Mitbestimmungsrecht bei derBestellung des Vertreters eines behördlichenDatenschutzbeauftragten entspreche es, dass§ 5 Abs. 1 HDSG lediglich in seinem Satz 2 so-wohl den Datenschutzbeauftragten selbst alsauch dessen Vertreter in Bezug nehme, indemhiernach in beiden Fällen nur solche Beschäf-tigte bestellt werden dürfen, die dadurch kei-nem Interessenkonflikt mit sonstigen dienstli-chen Aufgaben ausgesetzt werden. Die nach-folgenden Sätze des Absatzes sprechen hinge-gen nur vom behördlichen Datenschutzbeauf-tragten, nicht jedoch von seinem Stellvertre-ter. Daraus sei zu schließen, dass der gemäߧ 5 Abs. 1 Satz 1 HDSG zu bestellende Vertre-ter als reiner Abwesenheitsvertreter anzusehensei. Wegen dieser Stellung als bloßer Verhinde-rungsvertreter habe der Gesetzgeber davon ab-gesehen, die Bestellung des Vertreters der Mit-bestimmungspflicht zu unterwerfen.

C. Kontext der Entscheidung

Die Ausführungen zur Verwendung des Pluralsin einer gesetzlichen Bestimmung wären dahinzu ergänzen, dass sie sich vorliegend in §  74Abs. 1 Nr. 3 HPVG ersichtlich lediglich aus demWunsch des Gesetzgebers erklärt, eine gram-matische Form zu verwenden, die sich rein äu-ßerlich weder als männlich noch als weiblichdarstellt, so dass sperrige Formulierungen wie„der Datenschutzbeauftragte/die Datenschutz-beauftragte“ usw. vermieden werden. Es fragtsich daher, ob es sachgerecht ist, hinter sol-chen Pluralformulierungen einen weitergehen-den, tieferen Sinn zu suchen.

Gleichwohl ist der Entscheidung im Ergebniszuzustimmen, da sich aus §  5 Abs.  1 HDSGin der Tat ergibt, dass vom Gesetzgeber einebloße Abwesenheits- und Verhinderungsvertre-tung gewollt ist. Diese hat aber schlicht nicht dieinhaltliche Bedeutung, die ohne klare Anhalts-punkte im Wortlaut der einschlägigen Bestim-mungen die Annahme eines Mitbestimmungs-rechts rechtfertigen würde.

D. Auswirkungen für die Praxis

Aus zwei Gründen beschränkt sich die Bedeu-tung der Entscheidung im Wesentlichen auf dasBundesland Hessen:

Das HPVG gehört zu den wenigen Personal-vertretungsgesetzen, in denen ein Mitbestim-mungsrecht bei der Bestellung eines Daten-schutzbeauftragten ausdrücklich geregelt ist.Parallelregelungen finden sich in §  79 Abs.  3Nr. 2 LPVG BW, § 67 Abs. 1 Nr. 9 NPersVG und§  80 Abs.  2 Nr.  8 LPersVG Rh-Pf (so Gürtler-Bayer, Der behördliche Datenschutzbeauftrag-te, 2014, S. 228 mit Fn. 864). Insofern bestandnach hessischem Landesrecht kein Zweifel dar-an, dass die Bestellung eines Datenschutzbe-auftragten an sich der Mitbestimmung unter-liegt. Zweifel warf lediglich die Frage auf, obdies auch im Hinblick auf die Bestellung desStellvertreters eines Datenschutzbeauftragtengilt.

Dass ein Stellvertreter für den Datenschutzbe-auftragten zu bestellen ist, ordnen gleichfallsnur wenige Landesdatenschutzgesetze an (vgl.etwa § 19a BlnDSG, § 32a Abs. 1 Satz 1 DSGNRW).

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Auf Stellen, für die das BDSG gilt, lässt sich dieEntscheidung nicht übertragen. Insoweit wirdnämlich lediglich vereinzelt die Auffassung ver-treten, dass ein Stellvertreter für den Beauftrag-ten für den Datenschutz bestimmt werden müs-se (so Däubler in Däubler/Klebe/Wedde/Wei-chert, BDSG, 4. Aufl. 2014, § 4f Rn. 61). Im Wort-laut von §  4f BDSG findet sich für diese Auf-fassung keine Stütze. Somit kann sich die Fra-ge, ob gerade die Bestellung eines Stellvertre-ters des Beauftragten für den Datenschutz derMitbestimmung unterliegt, dort allenfalls dannstellen, wenn man der geschilderten Minder-meinung folgt. Im Übrigen besteht für den Gel-tungsbereich des BDSG Einigkeit darüber, dassdie Bestellung des Beauftragten für den Da-tenschutz als solcher keinen speziellen Beteili-gungsrechten des Betriebsrats unterliegt (Sche-ja in: Taeger/Gabel, Kommentar zum BDSG undzu den Datenschutzvorschriften des TKG undTMG, 2. Aufl. 2013, § 4f BDSG Rn. 34, m.w.N.),doch kann ein Mitbestimmungsrecht dann in Be-tracht kommen, wenn mit der Bestellung dieEinstellung oder Versetzung des (künftigen) Be-auftragten für den Datenschutz verbunden ist.

6

Kündigung wegen exzessiver privaterInternetnutzung am Arbeitsplatz

Leitsätze:

1. Bei einer ausschweifenden privaten Nut-zung des Internets während der Arbeitszeitkann eine ordentliche Kündigung eines seitmehr als 21 Jahren beschäftigten Mitarbei-ters auch ohne Abmahnung sozial gerecht-fertigt sein.

2. Löscht der Arbeitnehmer im Zusam-menhang mit der konkreten Nachfragedes Arbeitgebers nach einer Nutzung ei-nes bestimmten Programms (hier: Use-net/UseNeXT) die Teile der Festplatte seinesbetrieblichen PC, die private Dateien enthal-ten, kann er sich auf konkreten Vortrag desArbeitgebers zum Umfang der privaten Nut-zung nicht auf ein einfaches Bestreiten be-schränken.

3. Äußert sich der Arbeitnehmer zum Um-fang der Privatnutzung des dienstlichenPC wiederholt wahrheitswidrig, kann das

den Rückschluss auf ein insgesamt wahr-heitswidriges Bestreiten des vorgeworfenenSachverhalts rechtfertigen

Anmerkung zu LArbG Kiel, Urteil vom 06.05.2014, 1 Sa 421/13von Dr. André Zimmermann, LL.M., RA undFA für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP,Frankfurt a.M. / Emily Jäschke, WissenschaftlicheMitarbeiterin

A. Problemstellung

Private Internetnutzung am Arbeitsplatz istgrundsätzlich eine Verletzung arbeitsvertragli-cher Pflichten und kann den Arbeitgeber zu ei-ner verhaltensbedingten Kündigung berechti-gen.

Das LArbG Kiel hatte sich mit der Frage zu be-fassen, ob eine besonders exzessive Form derprivaten Internetnutzung eine Kündigung auchdann rechtfertigt, wenn eine Abmahnung aus-geblieben ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Entscheidung liegt die Kündigungsschutz-klage eines Arbeitnehmers zugrunde, der beider Beklagten über 20 Jahre tätig war und Un-terhaltspflichten gegenüber drei Personen hat.

Bei Nachforschungen zur Ursache einer merk-lichen Verlangsamung der Datenverarbeitungs-prozesse fiel auf, dass vom Firmenrechner desKlägers aus ein Zugang zu dem Internetportal„Usenet/UseNeXt“ installiert worden war. Dasstritt der Kläger zunächst ab, gab aber späterzu, das Portal genutzt zu haben. Eine anschlie-ßende Untersuchung des Rechners ergab, dasssich hierauf rund 17.000 Dateien befunden hat-ten, darunter eine Vielzahl von Musik- und Film-downloads sowie private Fotos. Sämtliche Da-teien waren gelöscht worden, konnten aber wie-derhergestellt werden. Zudem konnte die Nut-zung sozialer Netzwerke wie Xing und Facebooksowie diverser Chatportale nachgewiesen wer-den. Ausdrückliche Regelungen über die priva-te Internetnutzung existierten im Betrieb nicht.Nach Auswertung der Untersuchung sprach dieBeklagte eine ordentliche Kündigung aus. DerKläger bestritt, die Downloads vorgenommenund die Internetseiten besucht zu haben. Im Üb-

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rigen hätten auch andere Mitarbeiter sein Pass-wort gekannt.

Die Kündigungsschutzklage hatte in beiden In-stanzen keinen Erfolg. Die Kündigung sei auf-grund der massiven Verletzung arbeitsvertrag-licher Pflichten gerechtfertigt. Der Kläger ha-be nicht nur in besonderem Maß den Firmen-rechner zu privaten Zwecken genutzt, sonderndurch die Vielzahl von Downloads sogenannter„Share-Dateien“ auch eine erhebliche Gefahrder Infizierung des betrieblichen Datensystemsmit Viren geschaffen. Die private Internetnut-zung sei nur dann keine Pflichtverletzung, wennder Arbeitnehmer belegen könne, vom Arbeit-geber nicht genug Arbeit zugewiesen bekom-men zu haben, so dass eine Beeinträchtigungder geschuldeten Arbeitsleistung nicht gegebensei. Das sei hier aber nicht der Fall.

Trotz des Bestreitens des Klägers, mit den Da-teien und Protokollen in Zusammenhang zu ste-hen, lag zur Überzeugung des Gerichts eine pri-vate Internetnutzung vor. Angesichts glaubhaf-ter Zeugenaussagen und vielfach widersprüch-licher Einlassungen des Klägers hielt das Ge-richt auch eine etwaige Kenntnis Dritter vomPasswort des Klägers für unerheblich. Eine Ab-mahnung trotz der langen Betriebszugehörig-keit des Klägers sei entbehrlich, da die Abmah-nung nach Ansicht des Gerichts in Zukunft kei-ne Verhaltensänderung des Klägers bewirkt undsomit ihren Zweck verfehlt hätte. Der Klägerhabe nicht darauf vertrauen können, dass einederart ausschweifende Internetnutzung vom Ar-beitgeber gebilligt oder geduldet werden wür-de. Auch wenn bei der Beklagten keine Rege-lung zur Privatnutzung des Internets bestand,hätte der Kläger wissen müssen, dass die Be-klagte sein Verhalten nicht sanktionslos hinneh-men würde. Weder die Dauer der Betriebszu-gehörigkeit noch der Umstand, dass der Klägerdrei Personen zum Unterhalt verpflichtet ist undohne entsprechende Qualifikationen im Hinblickauf sein Lebensalter von 45 Jahren Schwierig-keiten auf dem Arbeitsmarkt haben mag, seiengeeignet, die Schwere der Pflichtverletzung zuüberwiegen.

C. Kontext der Entscheidung

Das Urteil reiht sich ein in die bisherige, in derTendenz strenge Rechtsprechung. Nach stän-diger Rechtsprechung des BAG (vgl. Urt.  v.07.07.2005 - 2 AZR 581/04; Urt. v. 12.01.2006

- 2 AZR 179/05; Urt.  v. 27.04.2006 - 2 AZR386/05; Urt.  v. 31.05.2007 - 2 AZR 200/06;Urt. v. 19.04.2012 - 2 AZR 186/11) ist eine Kün-digung wegen privater Nutzung des Internetsam Arbeitsplatz bei explizitem betrieblichemVerbot der privaten Nutzung oder nach Abmah-nung grundsätzlich gerechtfertigt, andernfallsjedenfalls dann, wenn eine private Nutzung inbesonders erheblichem Umfang nachgewiesenwerden kann, unbefugte Downloads getätigtwerden und die Nutzung die Gefahr einer Stö-rung des betrieblichen Systems beispielsweisedurch die Infizierung mit Viren birgt. Auch eineaußerordentliche Kündigung ist hier im Einzel-fall möglich (so etwa BAG, Urt. v. 07.07.2005 -2 AZR 581/04).

In allen Konstellationen bereitet der Nachweisdes vertragswidrigen Verhaltens Schwierigkei-ten. Wie weit die Kontrollbefugnisse des Arbeit-gebers reichen, ist nicht zweifelsfrei geklärt undhängt vor allem von der Rechtslage im Betriebselbst ab. Ist die Privatnutzung des Internetsuntersagt, so ist eine Kontrolle der Internetnut-zung durch den Arbeitgeber uneingeschränktmöglich. Fehlen solche betrieblichen Regelun-gen oder ist eine Internetnutzung durch be-wusste Duldung des Arbeitgebers kraft betrieb-licher Übung zulässig, können sich aus daten-schutzrechtlichen Vorschriften und dem Persön-lichkeitsrecht Beweisverwertungsverbote erge-ben, die den Nachweis eines vertragswidrigenVerhaltens erschweren. Bei der Einführung vonSoftware zur Überwachung der Internetnutzungist ferner §  87 Abs.  1 Nr.  6 BetrVG zu beach-ten: Dem Betriebsrat steht ein Mitbestimmungs-recht bei Installation und Verwendung derarti-ger Programme zu, dessen Nichtbeachtung Un-terlassungs- und Beseitigungsansprüche aus-löst und Verwertungsverbote nach sich zieht.

D. Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil des LArbG Kiel führt die tendenziellstrenge Rechtsprechung zur privaten Internet-nutzung am Arbeitsplatz fort. Arbeitgeber sindgleichwohl gut damit beraten, klare Regeln zurInternetnutzung im Betrieb aufzustellen. Derar-tige Regelungen können beispielsweise in ei-ner Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsver-trag erfolgen.