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Organisationstheoretische Perspektiven auf die Wissenschaftskommunikation 22.05.2015 Simone Rödder Universität Hamburg Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Institut für Soziologie & Exzellenzcluster „Integrated Climate Analysis and Prediction“ (CliSAP) [email protected]

Simone Rödder - Organisationstheoretische Perspektiven auf die Wissenschaftskommunikation

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Organisationstheoretische Perspektiven auf die Wissenschaftskommunikation

22.05.2015

Simone Rödder Universität Hamburg Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Institut für Soziologie & Exzellenzcluster „Integrated Climate Analysis and Prediction“ (CliSAP) [email protected]

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Gliederung

1. Gegenwartsdiagnose: Eine Gesellschaft von Organisationen

2. Grundlagen der Wissenschaftsdarstellung durch Organisationen

3. Typologie von Organisationsformen der Wissenschaftskommunikation

i. Wissenschaftsredaktion einer Tageszeitung (Medienorganisation)

ii. Pressestelle einer Forschungseinrichtung (Wissenschaftsorganisation)

iii. Science Media Centre (eigene Organisation)

4. Schlussfolgerungen aus dem Vergleich

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1. Gegenwartsdiagnose: Eine Gesellschaft von Organisationen

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Page 4: Simone Rödder - Organisationstheoretische Perspektiven auf die Wissenschaftskommunikation

Eine Gesellschaft von Organisationen

Politik Wissenschaft Massenmedien

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Page 5: Simone Rödder - Organisationstheoretische Perspektiven auf die Wissenschaftskommunikation

Organisierte Wissenschaftskommunikation

Wissensseite der Tageszeitung

Pressemitteilungen Medientrainings

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2. Grundlagen der Wissenschaftsdarstellung durch Organisationen

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Erfolgsdarstellung durch Organisationen

7 Perrow 1961, Kaube 2013

„indirect indices“ (Perrrow)

„Aus Sicht der Krankenbehandlung sind das zwar Leistungssurrogate, die aber den Vorteil haben, dass man sie sehr viel stärker unter Kontrolle hat als den Behandlungserfolg oder die Einsichtsfähigkeit der Klienten.“ (Kaube)

„Manche Patienten sterben doch, und wenn sich die Organisation noch so anstrengt“ (Kaube)

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Wissenschaftsdarstellung durch Organisationen

8 Quellen: http://www.futurestrategy.de, http://www.mpimet.mpg.de/en/science/models/mpi-esm.html

Adaptive Tsunami-Simulation (AG Behrens, CliSAP)

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Theorie der Organisation der Wissenschaftskommunikation

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• In- und außerhalb der Wissenschaft anschlussfähige Kommunikation klaffen

auseinander

• Forschungsleistung ist schwer vermittelbar

• Gleichzeitig: Legitimationsbedarf, Sichtbarkeit als Leitwert im Wettbewerb

• Darstellung der Wissenschaft nach ihr äußerlichen Relevanzgesichtspunkten

• In der Praxis wirkt eine Reihe relevanter Organisationen mit

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Theorie der Organisation der Wissenschaftskommunikation

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• Organisationstheoretisch: „Grenzstellen“ (Luhmann 1964, Tacke 1997),

journalismustheoretisch: „Gatekeeper“ (Tushman und Katz 1980)

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Empirie zur Organisation der Wissenschaftskommunikation

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• Wissenschaftsredaktionen der Nachrichtenmedien (Hömberg 1980, Wormer 2006,

Hettwer et al. 2008, Kap. IV, Vicari 2014)

• Wissenschaftsbezogene social media (Leßmöllmann 2012, Fischer 2012, Scheloske 2012)

• Pressestellen der Universitäten und Forschungseinrichtungen (Peters 2008, Kallfass

2009, Peters 2012, Friedrichsmeier et al. 2013, Marcinkowski et al. 2014)

• Redaktionen von Fachzeitschriften (Franzen 2011, Franzen 2014, Rödder & Franzen 2014)

• Science Media Centre (Fox 2011, Fox & St. Louis 2013, Haran 2012, Williams & Gajewijc 2012,

Rödder 2014a,b)

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3. Typologie von Organisationsformen der Wissenschaftskommunikation

i. Wissenschaftsredaktion einer Tageszeitung (Medienorganisation)

ii. Pressestelle einer Forschungseinrichtung (Wissenschaftsorganisation)

iii. Science Media Centre (eigene Organisation)

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i. Die Wissenschaftsredaktion einer Tageszeitung

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• Teil einer Medienorganisation, d.h. Adressierung von Laien des entsprechenden

Themengebietes charakterisiert alle Redaktionen

• Kriterien, die die Themenwahl steuern: Selektoren (Luhmann 1996),

Selektionsprogramme (Kohring 2005: 268ff), Nachrichtenfaktoren (klassisch:

Galtung und Ruge 1965; für den Wissenschaftsjournalismus (Badenschier und Wormer 2012); für die

Theorie der Nachrichtenwerte Schulz (1976) und Staab (1990); für einen Überblick Eilders (1997) und

für eine journalistische Perspektive La Roche (1992)

• Aktualität, Relevanz, Prominenz, Konflikte, Krisen, Skandale, Erfolge, lokaler

Bezug und human interest

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i. Die Wissenschaftsredaktion einer Tageszeitung

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• Akademische Titel als Orientierungshilfe und zur Legitimation von Experten

• „Symbolische Forschung“ (Rödder 2009): farbige Reagenzgläser, überquellende

Bücherregale, Nerdbrillen, weiße Kittel…

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i. Die Wissenschaftsredaktion einer Tageszeitung

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• Betonung sachfremder Relevanzen Ausdruck journalistischer Professionalität:

„Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“ (Claus-Peter Simon)

• Konfliktpotential mit wissenschaftlichen Standpunkten: Wiss. beschweren sich

• Wissenschaftskommunikation ‚historisch‘: Akkuratheits-Studien (Charnley 1936)

• Verzerrungsperspektive heute v.a. in Studien zur Gesundheitskommunikation

• Medienkonstruktivistische Perspektive mainstream

„Man kann die ‚Realität der Massenmedien’ […] nicht begreifen, wenn man ihre Aufgabe in der Bereitstellung zutreffender Informationen über die Welt sieht und darin ihr Versagen, ihre Realitätsverzerrung, ihre Meinungsmanipulation misst – so als ob es auch anders sein könnte.“ (Luhmann 1996: 174)

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i. Die Wissenschaftsredaktion einer Tageszeitung

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• Konflikte werden an die Organisationsgrenzen verlagert

• in der Praxis etablieren sich „Kontaktsysteme“ (Luhmann 1964) bestehend aus

Wissenschaftlern und Journalisten, die sich gut kennen (Vertrauen!) und

wechselseitig Wert auf gute Beziehungen legen

• Hohe Zufriedenheit der Wissenschaftler mit Medienkontakten (Peters et al. 2008,

Peters 2012)

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ii. Die Pressestelle einer Forschungseinrichtung

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• Teil einer Wissenschaftsorganisation, d.h. Gesamtsystem adressiert winzige

Gruppen von Fachleuten in esoterischer Sprache

• Zweck: Herstellung und Darstellung wissenschaftlichen Wissens

• Selbst Lehre an Hochschulen ist Nachwuchsausbildung, nicht Popularisierung

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ii. Die Pressestelle einer Forschungseinrichtung

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• ABER: wissenschaftspolitisch gewünschte Nützlichkeit des Wissens, „große

gesellschaftliche Herausforderungen“ (z.B. Wissenschaftsrat 2015)

• Medienresonanz als Indikator für gesellschaftliche Relevanz wichtig im

Wettbewerb der Hochschulen untereinander

• „Neue Forschungs-Governance“: Management statt Selbststeuerung

• Veränderung der Personalstruktur (Meier und Schimank 2010)

• Zunehmend mehr Personal auch für Außendarstellung, Verhältnis 1:20 zu den

wissenschaftlichen Mitarbeitern, 1 PM pro Professur/a (Friedrichsmeier et al. 2013)

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ii. Die Pressestelle einer Forschungseinrichtung

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• Pressestelle meist eigene Abteilung, formal der Organisationsspitze zugehörig

• PR soll potentielle Studierende und Mitarbeiter, Politiker und Förderer,

Journalisten und lokale Öffentlichkeiten ansprechen und im Sinne der

Organisation beeinflussen (Agenda-Setting, Agenda Cutting)

• Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Experten

• Jedoch wenig formale Einflussmöglichkeiten auf Wissenschaftler als „notorisch

schwierige Organisationsmitglieder“ (Meier und Schimank 2010, Merton 1957)

• Wissenschaftler aber häufig intrinsisch motiviert

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ii. Die Pressestelle einer Forschungseinrichtung

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• Etwaige Konflikte werden systemintern entspannt

• Empirisch: Pressestellen orientieren sich an wissenschaftlichen Standards

(Kallfass 2009), Fachpublikation als Anlass für Pressemitteilung

• In der Praxis zurückhaltendes Management (teils gegen policies, Rowe und Brass

2011): Vermitteln von Medienkompetenzen, Ermuntern zu Medienkontakten,

Monitoring von Medienkontakten

Dezentrale Medienkontakte schlicht nicht kontrollierbar

Befürchtungen um den guten Ruf im Kollegenkreis disziplinieren Medienauftritte

• Gute Kontakte zu Wissenschaftlern und Journalisten zentral

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iii. Das Science Media Centre – Theorie

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• Versuch, aus den ‚Kontaktsystemen‘ (Luhmann 1983) an Außengrenzen von Wj und

PR eine eigene Organisation zu machen

• Begriff Kontaktsystem: erwartete Wiederholbarkeit der Kontakte ohne

vorhersehbare Hierarchie

• Effekt: Verzicht auf konkrete situative Interessen, Rücksicht auf gute

Gesamtbeziehung

„Die umfassenden guten Beziehungen erscheinen als solche im Blickfeld der Beteiligten und gelten ihnen als nützlich und erhaltenswürdig. Sie motivieren Vorstöße zu ihrer Stärkung und Vertiefung, Rücksichten, ja sogar Opfer und Verzichte. Die Gesamtheit der Kontakte, und nicht nur die einzelne Episode, gewinnt dadurch den Charakter eines sozialen Systems, das das dazugehörige Verhalten durch eine eigene normative Ordnung steuert.“ (Luhmann 1983: 76 )

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iii. Das Science Media Centre – Empirie

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• nationale Pressestelle für „Die Wissenschaft“

• Zweck: „Stimme der Wissenschaft“ medienöffentlich zu Gehör bringen, wenn

kontroverse Themen auf dem Weg in die Schlagzeilen sind

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Source: UK-SMC

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At:http://www.dti.gov.uk/ost/ostbusiness/puset/g_public.htm

Science Media Centre UK: where science meets the headlines “To provide, for the benefit of the public and policymakers, accurate and evidence-based information about science and engineering through the media, particularly on controversial and headline news stories when most confusion and misinformation occurs.”

(Mission statement, http://www.sciencemediacentre.org/about-us/)

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iii. Das Science Media Centre – Empirie

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iii. Das Science Media Centre – Empirie

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• Zweck: Public Understanding of Science

• Mittel: Unterstützung von Journalisten durch 24/7-Expertenservice

• Globales Netz: Großbritannien (SMC-UK 2002), Australien (2005), Neuseeland

(2007), Kanada, Japan (2010), USA, Dänemark, Deutschland, EU/Brüssel (in

Planung), SMC Deutschlang ab 2016 (Köln)

• Effektive Zielgruppenansprache: “To come back and find that the SMC is so

prevalent in British science journalism, everyone is getting their press releases.”

(I13:63, journal editor, returning from the US)

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iii. Das Science Media Centre

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• Expertenkommentare zu aktuellen Wissenschaftsnachrichten (per Email)

rapid reaction (tagesaktuelle Ereignisse)

round-up (neue Studien)

• fact sheets: Hintergrundinformationen (10 Fakten zum Klimawandel, per Email)

• briefing notes (‘crib sheets’): Fakten und Meinungen aus der Wissenschaft (Impfungen, Gentechnologie, Atomenergie, Klima, als download auf Webseite)

• Pressekonferenzen (Räume des SMC/Wellcome Trust in Central London)

• news briefings: „GM plants for omega-3 – announcement of new field trial“

• background briefings: „Pornography on the brain – are young people at risk?“

• Kerninfrastruktur: Expertendatenbank mit mehr als 3000 Einträgen

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• kleine Organisation (3-9 Mitarbeiter), aber umfangreicher Output

• 10-fache Outputsteigerung in den Kernformaten (21 in 2002, 276 in 2012)

• Ø 2-3 Emails/Tag an alle ‚wichtigen‘ Wissenschaftsjournalisten: keine Freien, keine Blogger

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2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Anzahl Rapid Reactions

iii. Das Science Media Centre

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iii. Das Science Media Centre – Empirie

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• Reaktion des Science Media Centre hat selbst Nachrichtenwert

• Nutzung des SMC ist selbstverständlicher Teil des journalistischen Alltags

• erleichtert Kontaktaufnahme zu wissenschaftlichen Experten

• Legitimiert Experten als Experten

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“Centre of attention” Nachrichtenwert des SMC-UK

Callaway, Nature 2013

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iii. Das Science Media Centre – Empirie

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• Mission: „speaking consensus to public & policy“

• Konsens kommt nur zustande wenn man nicht alle fragt

• Repression wissenschaftlicher Lehrmeinungen, die keinen Zugang zum

Kontaktsystem gewinnen, wird damit einerseits gesteigert und andererseits auch

in erhöhtem Maß sichtbar und angreifbar

• Hauptkritik: transportiert „mainstream view des Establishments“

Rödder 2014 Science Media Centres and Public Policy in: Science and Public Policy, doi:10.1093/scipol/scu057.

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4. Schlussfolgerungen aus dem Vergleich

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Schlussfolgerungen

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• Organisationen sind zentrale soziale Strukturen

• Typologie von Organisationen der Wissenschaftskommunikation nach

Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Bereichen

• Wissenschaftsredaktion als Teil von Medienorganisationen haben Konfliktpotential

in den Grenzverkehr mit Wissenschaftlern verlagert

• Pressestellen als Teil von Wissenschaftsorganisationen verfolgen einen Zweck

jenseits der Kernorientierung und müssen intern mit Konflikten rechnen

• SMCs als Kontaktsysteme sehr erfolgreich, aber Kritik an Monopolisierung der

Kommunikation und Repression von Meinungen zugunsten von ‚Konsens‘

• Perrow-Effekte?