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Liebe Studierende, liebe Kollegen und Mitglieder der TU Braunschweig, liebe Gemeinde, Liebe – und was Du willst, das tue. Das klingt einfach. Liebe. Das klang auch schon vor vielen Jahren für mich attraktiv – als Abiturientin. Als man mich zum Abschluss meiner Abiturprüfung in Religion fragte, was denn mein Lieblingszitat aus der Bibel sei. „Liebe und dann tue was Du willst“ – so hatte ich das gelesen in meiner Vorbereitung und so fand ich das gut für mich. Damals fingen meine Prüfer an zu lächeln und meinten, ich hätte das falsch verstanden – es müsse heißen, „Liebe Gott und dann tue was Du willst“. Nun, tatsächlich sagte der heilige Augustinus in seinem Kommentar zum ersten Brief Johannes – den wir gerade hörten – so etwas wie „Liebe – und dann tue was Du willst“ – es muss nur mit den richtigen Nuancen aus dem Lateinischen in das Deutsche übersetzt werden. Und dann ist die Liebe, von der er spricht, weniger das Gefühl, das einen im Verliebtsein überfällt – es ist mehr die Liebe zu meinen Mitmenschen, die ich als Grundsatz meines Handelns, als wissentliche Wahl sehe. Wie Johannes sagt: Wenn Gott uns so sehr geliebt hat, dann müssen auch wir einander lieben. Die Liebe untereinander ist damit eine Wegweisung oder ein Auftrag, wenn ich die Entscheidung habe, jemandem skeptisch oder gar feindselig – in Konkurrenz – entgegen zu treten, oder aber herzlich und mit dem Vorsatz, wenn möglich lieber gemeinsam etwas zu erreichen als gegeneinander zu arbeiten. Liebe – und was Du willst, das tue wird, so betrachtet, wieder zu einem ganz wichtigen Satz in meinem Leben. Denn dieser Satz ist so etwas wie die Antwort auf die Frage, was sich in privaten Beziehungen, in Gesellschaft und Beruf mehr lohnt: Konkurrenz oder Kooperation. Nun sitzen wir hier, beseelt, am Wochenende, mit schönem Gesang – und natürlich, entscheiden wir uns für „Kooperation“. Aber so einfach war das sicher gestern Nachmittag noch nicht, als man im Supermarkt an der Schlange oder auf der Autobahn im Stau stand und natürlich danach strebt, so schnell wie möglich – auch an allen anderen vorbei zum Zuge zu kommen. Oder vorgestern, in Arbeit oder Studium, wenn es natürlich darum geht, als Einzelner aufzuzeigen, was man leisten kann. Konkurrenz oder Kooperation. Was nun. Was sagt denn die Bibel dazu? Sie sieht – vor allem im Alten Testament – den Menschen sehr realistisch und dementsprechend seinen Hang zur Konkurrenz. Schon im ersten Buch Mose treffen wir auf Kain und Abel, deren Konkurrenz zum Tod des einen Bruders führt. Trotzdem wird ganz klar, insbesondere im Neuen Testament, dass ein Zusammenhalten die bessere Idee ist. Und hier nehmen wir deutlich die Botschaft der Liebe wahr – hinausgehend sogar über den Freund oder Nächsten, wie wir es in der Bergpredigt lesen (Matthäus 5, 43) Ihr habt gehört, was gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben

Predigt Susn Mai 2014

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Liebe - und was Du willst das tue. Prof. Dr. Susanne Robra-Bissantz spricht in der Katharinenkirche Braunschweig. Eigentlich über Kooperation.

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Liebe  Studierende,  liebe  Kollegen  und  Mitglieder  der  TU  Braunschweig,  liebe  Gemeinde,    Liebe  –  und  was  Du  willst,  das  tue.    Das  klingt  einfach.  Liebe.  Das  klang  auch  schon  vor  vielen  Jahren  für  mich  attraktiv  –  als  Abiturientin.  Als  man  mich  zum  Abschluss  meiner  Abiturprüfung  in  Religion  fragte,  was  denn  mein  Lieblingszitat  aus  der  Bibel  sei.  „Liebe  und  dann  tue  was  Du  willst“  –  so  hatte  ich  das  gelesen  in  meiner  Vorbereitung  und  so  fand  ich  das  gut  für  mich.  Damals  fingen  meine  Prüfer  an  zu  lächeln  und  meinten,  ich  hätte  das  falsch  verstanden  –  es  müsse  heißen,  „Liebe  Gott  und  dann  tue  was  Du  willst“.      Nun,  tatsächlich  sagte  der  heilige  Augustinus  in  seinem  Kommentar  zum  ersten  Brief  Johannes  –  den  wir  gerade  hörten  –  so  etwas  wie  „Liebe  –  und  dann  tue  was  Du  willst“  –  es  muss  nur  mit  den  richtigen  Nuancen  aus  dem  Lateinischen  in  das  Deutsche  übersetzt  werden.        Und  dann  ist  die  Liebe,  von  der  er  spricht,  weniger  das  Gefühl,  das  einen  im  Verliebtsein  überfällt  –  es  ist  mehr  die  Liebe  zu  meinen  Mitmenschen,  die  ich  als  Grundsatz  meines  Handelns,  als  wissentliche  Wahl  sehe.  Wie  Johannes  sagt:  Wenn  Gott  uns  so  sehr  geliebt  hat,  dann  müssen  auch  wir  einander  lieben.      Die  Liebe  untereinander  ist  damit  eine  Wegweisung  oder  ein  Auftrag,  wenn  ich  die  Entscheidung  habe,  jemandem  skeptisch  oder  gar  feindselig  –  in  Konkurrenz  –  entgegen  zu  treten,  oder  aber  herzlich  und  mit  dem  Vorsatz,  wenn  möglich  lieber  gemeinsam  etwas  zu  erreichen  als  gegeneinander  zu  arbeiten.    Liebe  –  und  was  Du  willst,  das  tue  -­‐    wird,  so  betrachtet,  wieder  zu  einem  ganz  wichtigen  Satz  in  meinem  Leben.  Denn  dieser  Satz  ist  so  etwas  wie  die  Antwort  auf  die  Frage,  was  sich  in  privaten  Beziehungen,  in  Gesellschaft  und  Beruf  mehr  lohnt:  Konkurrenz  oder  Kooperation.  Nun  sitzen  wir  hier,  beseelt,  am  Wochenende,  mit  schönem  Gesang  –  und  natürlich,  entscheiden  wir  uns  für  „Kooperation“.      Aber  so  einfach  war  das  sicher  gestern  Nachmittag  noch  nicht,  als  man  im  Supermarkt  an  der  Schlange  oder  auf  der  Autobahn  im  Stau  stand  und  natürlich  danach  strebt,  so  schnell  wie  möglich  –  auch  an  allen  anderen  vorbei  -­‐  zum  Zuge  zu  kommen.  Oder  vorgestern,  in  Arbeit  oder  Studium,  wenn  es  natürlich  darum  geht,  als  Einzelner  aufzuzeigen,  was  man  leisten  kann.      Konkurrenz  oder  Kooperation.  Was  nun.  Was  sagt  denn  die  Bibel  dazu?  Sie  sieht  –  vor  allem  im  Alten  Testament  –  den  Menschen  sehr  realistisch  und  dementsprechend  seinen  Hang  zur  Konkurrenz.  Schon  im  ersten  Buch  Mose  treffen  wir  auf  Kain  und  Abel,    deren  Konkurrenz  zum  Tod  des  einen  Bruders  führt.  Trotzdem  wird  ganz  klar,  insbesondere  im  Neuen  Testament,  dass  ein  Zusammenhalten  die  bessere  Idee  ist.  Und  hier  nehmen  wir  deutlich  die  Botschaft  der  Liebe  wahr  –  hinausgehend  sogar  über  den  Freund  oder  Nächsten,  wie  wir  es  in  der  Bergpredigt  lesen  (Matthäus  5,  43)    Ihr  habt  gehört,  was  gesagt  worden  ist:    Du  sollst  deinen  Nächsten  lieben  

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und  deinen  Feind  hassen.  Ich  aber  sage  euch:  Liebt  eure  Feinde,  und  betet  für  eure  Verfolger,  werdet  so  Söhne  eures  Vaters  in  den  Himmeln.    Liebe  –  und  was  du  willst  das  tue.  Ist  das  dann  schon  die  Lösung?    Nun:  höre  ich  da  fast  den  einen  oder  anderen  denken  -­‐  da  hätte  man  vielleicht  etwas  weniger  Naivität  in  der  Predigt  einer  Professorin  erhofft  –  Liebe  ...  Es  ist  nun  einmal  leider  nicht  so,  dass  jeder  für  den  anderen  einsteht,    es  ist  sich  jeder  selbst  der  Nächste.  Und  das  hat  auch  seinen  Grund.  Denn  der,  der  sich  durchsetzt  auf  den  verschiedenen  Märkten  –  vom  Arbeitsmarkt  über  den  Gütermarkt  bis  zum  Markt  der  Eitelkeiten  –  hat  sich  abgesichert,  ihm  wird  es  hier  gut  gehen.    Aber  ist  das  nachhaltig  so?  Denken  wir  da  noch  richtig?  Unsere  Ressourcen  geraten  schon  seit  Jahren  an  ihre  Grenzen.  Unsere  Märkte  sind  gesättigt  und  konsummüde,  die  junge,  moderne  Gesellschaft  kauft  nicht  mehr  –  man  tauscht  und  teilt.  Die  Work-­‐Life-­‐Balance  (ein  Begriff,  der  schrecklich  ist,  aber  darüber  möchte  ich  heute  nicht  sprechen)  soll  immer  häufiger  in  Richtung  „Life“  ausschlagen  –  manche  Gesellschaften  diskutieren  schon  über  einen  Brutto-­‐Glücks-­‐Index  statt  über  das  Bruttosozialprodukt.      Wo  führt  das  hin?  Wir  glauben,  unser  Weg  führt  in  eine  Gesellschaft,  in  der  Kooperation  eine  deutlich  größere  Rolle  spielt  als  heute.  Warum?  Nun  –  fragt  man  uns  –  als  Wirtschaftsinformatiker  –  dann  liegt  das  insbesondere  an  den  Medien,  die  uns  umgeben.  Diese  Medien  sind  keine  Massenmedien  mehr,  wie  Radio  oder  Fernsehen.  Sondern  es  sind  so  genannte  Soziale  Medien,  im  Internet,  in  welchen  jeder  eine  Stimme  hat  und  nicht  nur  wenige  senden  und  viele  lediglich  zuhören.  Diese  neuen  Medien  kann  man  durchaus  positiv  interpretieren.  Denn  durch  sie  sind  nicht  mehr  die  Stimmen  und  Meinungen,  die  sich  an  hierarchisch  hoher  Position  befinden,  die  alleinig  hörbaren.  Wir  sind  in  der  Kommunikation  viel  gleichberechtigter  als  jemals  zuvor  und  diese  Gleichheit  ist,  so  haben  wir  das  analysiert,  am  Besten  mit  Kooperation  lebbar.      Nur  leider,  wenn  man  ehrlich  ist,  kommt  man  häufig  gar  nicht  darauf,  über  eine  kooperative  Lösung  nachzudenken,  denn  so  sind  wir  in  den  letzten  Jahren  einfach  sozialisiert.  In  einer  Leistungsgesellschaft,  in  einer  Gesellschaft  der  Abgrenzung,  der  Kontrolle  bis  hin  zur  Überwachung,  in  der  Sorge  und  Misstrauen  eine  große  Rolle  spielen.      Gut.  Dann  probieren  wir  das  in  Zukunft.      Liebe  –  und  was  Du  willst,  das  tue.  Dann  ist  es  doch  so  einfach?    Nun  ja:  höre  ich  schon  wieder  den  einen  oder  anderen  denken:  Liebe  und  Kooperation,  schön  und  gut,  aber  ich  kann  doch  jetzt  nicht  einfach  „lieben“  oder  „kooperieren“  entscheiden?  Gibt  es  da  nicht  vielleicht  Hinweise,  wie  ich  Kooperation  leben  kann?  Denn  so  einfach  ist  das  ja  nicht  ...    Die  Forschung,  sei  sie  aus  den  Wirtschafts-­‐  oder  Sozialwissenschaften  bis  hin  zur  Evolutionstheorie,  gibt  uns  Anhaltspunkte  dafür,  was  denn  Kooperation  ausmachen  könnte.    

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 Und  auch  wir,  an  meinem  Institut,  forschen  daran,  was  genau  kooperatives  Verhalten  ausmacht,  wie  man  kooperatives  Verhalten  fördern  kann,  und  wie  unsere  Medien  –  Apps,  Websites  oder  Foren  –  dies  unterstützen  können.  Normativ  übrigens.  Wir  zielen  auf  mehr  Kooperation  in  digitalen  Unternehmen,  Märkten  und  Gesellschaften.  Gleichzeitig  versuchen  wir  Kooperation  zu  leben,  weil  wir  sie  für  richtig  halten.  Für  uns  im  Beruf,  an  der  Universität,  am  Institut  und  im  Privaten.    Und  wenn  ich  im  Folgenden  darüber  berichte,  was  wir  über  Kooperation  wissen,  dann  sieht  man  da  viele  Parallelen  zu  Botschaften  aus  der  Bibel.        In  einer  Kooperation,  laut  Definition,  finden  sich  Gruppen  zusammen,  um  sich  gegenseitig  zu  unterstützen  oder  etwas  zusammen  zu  leisten.  Sie  tun  das,  statt  zu  konkurrieren.  Und  –  so  mehren  sich  die  Anzeichen  aus  der  Wissenschaft  –  weil  Kooperation  der  Konkurrenz  überlegen  ist.      Die  Bibel  sieht  das  ähnlich.  So  finden  wir  bei  Petrus  (1.  Petrus  4,  10)  die  Aufforderung:  Fördert  Euch  gegenseitig,  jeder  mit  der  Gabe,  die  Gott  ihm  geschenkt  hat.    Doch  wie  funktioniert  nun  dieses  Zusammenwirken  in  so  einer  Gruppe?  Wikipedia  macht  uns  das  ganz  gut  vor  –  man  hat  gemeinsam  erkannt,  dass  wir  die  Herausforderungen,  die  die  Welt  an  uns  stellt,  nur  bewältigen  können,  wenn  wir  unser  Wissen  zusammentragen  und  es  nicht  jeder  allein  für  sich  behält.  Es  gibt  ein  gemeinsames  Ziel.  Theoretisch  betrachtet  zeichnet  sich  die  Kooperation  genau  dadurch  aus,  dass  man  übergeordnet  gleiche  Ziele  hat.      Wiederum  sieht  die  Bibel  das  ganz  ähnlich,  und  liefert  uns  dabei  auch  ganz  klar  den  Zusammenhang  zwischen  der  Kooperation  und  der  Liebe.  So  schreibt  Paulus  an  die  Philipper:      „Ist  nun  bei  Euch  ...  herzliche  Liebe  und  Barmherzigkeit,  so  macht  meine  Freude  dadurch  vollkommen,  dass  ihr  "eines"  Sinnes  seid,  gleiche  Liebe  habt,  einmütig  und  einträchtig  seid  (Philipper  2,  2).      Eines  Sinnes  –  ein  Ziel  –  einmütig  und  einträchtig  –  die  Kooperation  –  und  das  verbunden  der  gleichen  Liebe.      Nun,  das  klingt  doch  schön.  Doch  wie  gelingt  es,  dass  eine  Gruppe  gemeinsam  einem  Ziel  entgegenstrebt?  Benötigt  diese  Gruppe  dann  nicht  einen  Leiter,  einen  der  Regeln  aufstellt,  wie  alle  zusammen  wirken  sollen?      Häufig  findet  sich  unser  Leben  heute  tatsächlich  in  Beziehungen,  die  hierarchisch  sind  und  auch  so  ausgestaltet  werden.  Chef  und  Mitarbeiter,  Professor  und  Studierender,  der,  der  etwas  gibt  und  der,  der  etwas  bekommt.    Jesus  sieht  das  im  Gespräch  mit  seinen  Jüngern  nicht  so,  dass  sich  einer  als  der  Größere  erheben  sollte  –  er  selber  tut  das  nicht.  Er  spricht,  niedergeschrieben  von  Lukas  22,  27:  Denn  wer  ist  größer:  der  zu  Tisch  sitzt  oder  der  dient?  Ist's  nicht  der,  der  zu  Tisch  sitzt?  Ich  aber  bin  unter  euch  wie  ein  Diener.    

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Auch  Paulus  schreibt  weiter,  in  seinem  Brief  an  die  Philipper:  „Tut  nichts  aus  Eigennutz  oder  um  eitler  Ehre  willen,  sondern  in  Demut  achte  einer  den  andern  höher  als  sich  selbst“.      Wir  sollten  also  doch  noch  einmal  darüber  nachdenken,  ob  wir  nur  in  hierarchischen  Strukturen  zusammen  arbeiten  können.  Und  auch  wenn  das  so  ist,  dann  kann  man  zumindest  überdenken,  ob  diese  hierarchischen  Beziehungen  fast  wie  gegeben  ausdrücken,  dass  der  eine  auf  der  vermeintlich  höheren  Ebene  tatsächlich  bedeutsamer  ist,  oder  sich  tatsächlich  wichtiger  nehmen  sollte  -­‐    bis  dahin,  dass  er  berechtigt  ist,  Macht  auszuüben.      Paulus  scheint  hier  etwas  anderes  im  Blick  zu  haben.  „Demut“.  Das  kann  man  schnell  falsch  verstehen  und  für  sich  einmal  so  an  sich  ablehnen.  Jedoch  hat  Demut  nichts  mit  Unterordnung  zu  tun.  Psychologisch  gesehen  heißt  Demut  lediglich,  den  anderen  und  das  was  er  tut,  objektiv  zu  beurteilen  und  nicht  aus  einer  beschränkten  eigenen  Perspektive  als  gut  oder  schlecht  zu  befinden.  Wir  bezeichnen  das  als  Respekt:  sich  selber  nicht  höher  zu  stellen,  weder  per  se,  noch  aufgrund  unterschiedlicher  Perspektiven  oder  Ziele.  Man  wird  nicht  immer  genau  die  gleichen  Ziele  haben  können.  Das  ist  an  sich  nicht  tragisch.  Auch  sozialwissenschaftlich  kann  heute  ein  Diskurs  durchaus  ohne  Einigung  enden.  Die  Kunst  besteht  dann  darin,  trotz  dieser  Unterschiede  kooperativ  zu  einem  guten  gemeinsamen  Ziel  gelangen.  Das  ist  wichtig.  Und  das  ist  auch  mir  wichtig,  ganz  oft  und  insbesondere  auch  im  privaten  Leben  –  in  ganz  kleinen  Situationen.      Zum  Beispiel  neulich  beim  Einkauf  auf  dem  Markt,  gegen  Abend.  Natürlich  bin  auch  ich  nicht  begeistert,  wenn  ein  Großteil  der  Waren  bereits  weggepackt  ist.  Auf  der  anderen  Seite  verstehe  ich  durchaus,  dass  man  nach  einem  langen  Arbeitstag  auch  einmal  dringend  nach  Hause  möchte.  Unterschiedliche  Ziele?  Einfach  einmal  nicht  die  gute  Laune  verlieren  und  freundlich  fragen,  was  man  denn  kaufen  könnte,  was  für  die  Verkäuferin  noch  gut  zu  erreichen  ist  und  trotzdem  schmeckt.    Schauen  wir  zurück  in  heutige  Organisationen:  Hier  funktioniert  es  tatsächlich  –  aus  unterschiedlichsten  Gründen  –  immer  seltener,  autoritär  Macht  auszuüben  und  Mitarbeiter  über  feste  Regeln  zu  steuern.      Unserer  Meinung  nach  ist  das  eine  Chance,  auch  hier  über  eine  grundsätzlich  kooperative  Einstellung  nachzudenken.  So  etwas  wie  eine  kooperative  Führung,  oder  auch  eine  Teamorganisation,  die  dazu  führt,  dass  jeder  einzelne  freiwillig  und  zielgerichtet  beiträgt.  Hierzu  gibt  es  durchaus  neue  Ansätze  und  aktuelle  Forschung.    Und  diese  stellen  ganz  klar,  was  so  eine  kooperative  Einstellung  bedeutet.  Das  ist  dann  nicht  mehr  irgendwie  nett  und  aufgeschlossen  zu  sein,  sondern  –  leider  –  nicht  immer  einfach.    Beginnen  wir  mit  dem  hären  Grundsatz,  dass  jeder,  so  die  Theorie  der  Kooperation,  freiwillig  beiträgt.  Warum  sollte  er  das  tun?  Nur,  dann,  wenn  es  gelingt  ihn  zu  motivieren  und  man  ihn  dazu  in  seinen  Bedürfnissen  berücksichtigt.  Jeder  leistet,  jeder  hat  einen  Nutzen.  Auf  diesem  Grundsatz  kann  man  ganz  neu  nachdenken,  auch  über  Organisationen.      Häufig  bestehen  in  Organisationen  Gruppen,  von  denen  eine  etwas  leistet  und  eine  andere  etwas  erhält.  Professoren  und  Studierende,  Unternehmen  und  Kunden,  Stiftungen  und  Notleidende.  Brechen  wir  diese  Kategorien  doch  einmal  auf!  Denken  wir  doch  einmal  neu  darüber  nach,  ob  man  es  nicht  schaffen  kann,  in  einer  Organisation  jede  Gruppe  als  aktiven  

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Partner  ernst  zu  nehmen  und  dann  wiederum  zu  versuchen,  verschiedene  Ziele,  die  vielleicht  zunächst  widerstrebend  erscheinen,  zusammen  zu  bringen  in  dem,  was  man  Neudeutsch  eine  Win-­‐win-­‐Situation  nennt.      Auch  in  der  Bibel  ist  das  gemeinsame  Suchen  nach  guten  Zielen  und  das  gegenseitige  Motivieren  verankert:  Insbesondere  in  Hebräer  10,24:  ...  und  lasst  uns  aufeinander  Acht  haben  und  uns  anreizen  zur  Liebe  und  zu  guten  Werken.    Gut.  Nehmen  wir  an,  es  gelingt,  eine  Gruppe  oder  eine  Organisation  in  dieser  Weise  neu  zu  gestalten.  Nun  wird  jeder  Einzelne  berücksichtigt.  Entscheidungen  werden  gemeinsam  getroffen,  jeder  Einzelne  kann  beitragen.  Das  klingt  gut,  aber  –  und  das  darf  dann  der  Einzelne  auch  nicht  vergessen  -­‐  es  ist  dann  auch  eine  Pflicht  beizutragen.  Wenn  ich  als  Einzelner  wichtig  bin,  dann  muss  ich  auch  Verantwortung  übernehmen.  Derjenige,  der  einmal  etwas  tut  und  es  dann  wieder  lässt,  ist  kein  Partner,  auf  den  man  sich  verlassen  kann.  Derjenige,  der  etwas  tut,  aber  dafür  nicht  auch  die  Verantwortung  übernimmt,  ebenso  nicht.      Übernimm,  lieber  Mitarbeiter,  endlich  Verantwortung  –  und  bitte  denk  dabei  daran,  die  ersten  von  mir  festgelegten  Teilergebnisse  nächste  Woche  vorzulegen.  Übernimm,  lieber  Sohn,  endlich  Verantwortung  –  und  lege  die  nächste  Prüfung  noch  in  diesem  Wintersemester  ab.    Funktioniert  das  so?  Ich  denke,  nein.  Und  die  Forschung  im  Bereich  der  Kooperation  sieht  das  ganz  ähnlich.      Sie  beschreibt,  unter  dem  Prinzip  der  Kohärenz,  dass  ein  Partner,  oder  auch  eine  Gruppe  von  Mitarbeitern,  dann  Verantwortung  übernimmt,  wenn  sie  selbst  gesteuert  entscheidet,  wie  sie  ihre  Teilaufgabe  in  der  Kooperation  erfüllt.  Mit  eigenen  Ideen  und  eigenem  Zeitplan.  Und  nun  wird  es  schwierig  mit  den  Eltern  und  Chefs  dieser  Welt.  Ich  kenne  das  durchaus  auch.  Denn  häufig  neigt  man  dazu,  etwas  schneller  die  Nerven  zu  verlieren,  als  das  Team  oder  das  Kind.  Hier  muss  man  vertrauen,  das  muss  man  dann  aushalten.  Ebenso  wie  Ideen  des  anderen,  die  plötzlich  ganz  anders  sind  als  die  Eigenen.  Denn  in  dem  Moment,  in  dem  man  einsteuert,  auf  seiner  Idee  beharrt  oder  nach  Teilergebnissen  fragt,  hat  man  das  mit  dem  Übernehmen  der  Verantwortung  ruiniert.  Dann  ist  man  wieder  selber  verantwortlich.      Verantwortung  zu  übernehmen  hängt  damit  ganz  eng  mit  der  Beziehung  zwischen  den  kooperierenden  Partner  zusammen.  Liebe?  –  tatsächlich  etwas  differenzierter:  Vertrauen.      In  einer  kooperativen  Beziehung  vertraue  ich  darauf,  dass  der  andere  gemeinsamen  Zielen  folgt  und  sich  kooperativ  verhält.  Spieltheoretisch  und  rational  stehen  die  Chancen  in  einer  Gruppe  dafür  nicht  schlecht.  Man  bezeichnet  das  als  Reziprozität  -­‐  jeder  weiß,  dass  sein  Verhalten  sehr  wahrscheinlich  zu  dem  gleichen  Verhalten  seiner  Partner  führt.  Sicher  ist  das  jedoch  nicht  und  einer  muss  immer  vorlegen.  Und  um  dann  vertrauen  zu  können,  benötigen  wir  Selbstvertrauen.  Wenn  ich  mir  nicht  vertrauen  kann,  dann  sicher  keinem  anderen.  Selbstvertrauen  wiederum  habe  ich,  wenn  ich  selbst  verantwortlich  etwas  geschafft  habe  und  darauf  vertraue,  dass  ich  das  wieder  schaffen  kann.  Und  das  wiederum  kann  ich  nicht,  wenn  ich  Dinge  auf  Befehl  und  aus  Angst  vor  Sanktionen  tue.      Johannes  –  wie  in  der  Lesung  gehört  –  spricht  sehr  ähnlich  von  dem  schlechten  Verhältnis  

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zwischen  Furcht  und  Liebe:  Furcht  ist  nicht  in  der  Liebe,  sondern  die  vollkommene  Liebe  treibt  die  Furcht  aus;  denn  die  Furcht  rechnet  mit  Strafe.  Wer  sich  aber  fürchtet,  der  ist  nicht  vollkommen  in  der  Liebe.      Sprechen  wir  also  von  Liebe,  dann  sprechen  wir,  ganz  ähnlich  wie  in  der  Kooperation  davon  keine  Furcht  zu  haben  aber  auch  keine  hierarchische  Macht  zu  verbreiten.  Nach  gemeinsamen  Zielen  zu  suchen  aber  auch  Respekt  oder  Demut  gegenüber  dem  anderen  Anderen  zu  haben.  Freiwillig  Verantwortung  zu  übernehmen  aber  auch  Verantwortung  abzugeben  und  zu  vertrauen.      Liebe  –  und  was  Du  willst,  das  tue.      Ich  habe  meine  Predigt  mit  einem  Zitat  begonnen,  das  mir  als  junger  Mensch  fast  intuitiv  und  emotional  wichtig  erschien  und  weitergehend  ganz  neu  noch  viel  wichtiger  wurde.      Ich  muss  sagen,  mir  geht  es  gut  damit,  mir  tatsächlich  jeden  Tag  mehrmals  den  Grundgedanken  der  Kooperation  –  der  Liebe?  –  klar  zu  machen.  Mein  Leben  ist  besser  geworden.  Und  nicht  weniger  frei  sondern  herzlicher  und  tatsächlich  mit  mehr  Freude.  Denn  Kooperation  bedeutet  für  mich  auch  im  ganz  Kleinen,  einfach  einmal  nicht  zu  schimpfen,  wenn  jemand  gefühlt  ewig  braucht,  bis  er  in  einen  Parkplatz  eingeparkt  ist  und  die  von  ihm  blockierte  Straße  wieder  frei  macht.  Ihn  lieber  anlächeln  –  und  wenn  es  gut  läuft,  lächelt  er  sogar  zurück.    Und  damit  passt  das,  was  ich  in  Kooperation  und  vielleicht  Liebe  lebe,  zu  einem  weiteren  ganz  persönlicher  Leitsatz,  der  anscheinend  ganz  besonders  umsichtig  zu  meiner  Konfirmation  gewählt  wurde:      Ich  will  mich  freuen  des  Herrn  und  fröhlich  sein  in  Gott  meinem  Heil.  Denn  der  Herr  ist  meine  Kraft.