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10 Jahre XMM

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German-language brochure on XMM-Newton by EADS Astrium.

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Vom Holzmodell . . .

. . . zur Flugeinheit

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Zehn Jahre Röntgenastronomie mit XMM-Newton

• Mission des Röntgenobservatoriums bis mindestens 2012 gesichert • Jährlich 300 wissenschaftliche Veröffentlichungen zu XMM-Ergebnissen

Von Astrium gebauter Satellit liefert Aufsehen erregende Forschungsergebnisse

zu explodierenden Sternen, Schwarzen Löchern und Galaxienhaufen Eine der erfolgreichsten europäischen Weltraummissionen feiert Geburtstag: das von Astrium entwickelte und gebaute Röntgenobservatorium XMM-Newton wird zehn Jahre alt. Am 10. Dezember 1999, brachte eine Trägerrakete vom Typ Ariane 5 den Forschungssatelliten ins All. Das fast elf Meter hohe und knapp vier Tonnen schwere Superteleskop XMM-Newton ist der größte Forschungssatellit, der bisher im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation ESA gebaut wurde. Es gehört heute zu den erfolgreichsten Weltraumobservatorien überhaupt. Seine vertraglich zugesicherte Leistung über mindestens zwei Jahren hat es längst geschafft, und seine geplante Einsatzzeit von zehn Jahren hat es nun ebenfalls er-reicht. Doch wegen des überwältigenden wissenschaftlichen Erfolgs und des exzel-lenten Zustands des Teleskops, hat die ESA die Mission zunächst bis 2012 verlän-gert; ein Betrieb bis 2018 ist aus technischer Sicht möglich.

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Aber nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht ist XMM-Newton herausragend, sondern auch in technologischer Hinsicht und in der Projektabwicklung, denn das Vorhaben wurde in nur 38 Monaten realisiert. Der rund 230 Millionen Euro teure XMM-Newton-Satellit entstand unter der Leitung von Astrium (Friedrichshafen), während Astrium (UK) für das Bahn- und Lageregelungssystem (AOCS) verantwortlich zeichnete. Astrium (Spanien) baute die Struktur des Service-Moduls, Thermalkontrollsystem und AOCS-Computer stammenebenfalls aus Spanien. Insgesamt gehörten 45 europäische Firmen und eine US-amerikanische zum Industriekonsortium. XMM-Newton, aufgrund der schwarzen Thermalschutzfolie von seinen Erbauern auch liebevoll "Schwarze Schönheit" genannt, besteht aus drei parallel zueinander montierten

Spiegelsystemen, die die Röntgenstrahlung in drei Brennebenen bündeln. Das ermöglicht es, Himmelskörper gleichzeitig mit einer Kamera sowie zwei Spektrometern zu beobachten. Letztere zerle-gen Röntgenstrahlung auf ähnliche Weise, wie Glas-prismen das Sonnenlicht in seine Regenbogenfarben auffächern. Aus den Röntgen-„Farben“ können die Astrono-men wichtige physikalische Größen, wie Temperatur, Dichte, relative Bewegung oder chemische Zusammen-setzung der Materie ermitteln. Röntgenstrahlung ist genau wie Licht eine Form von elektromagnetischer Strah-lung, jedoch hundert bis einige tausendmal energie-reicher. Sie wird von Körpern

oder Gasen abgestrahlt, die zwischen etwa einer Million und hundert Million Grad heiß sind. Mit XMM-Newton beobachten Astronomen also den heißen Teil des Universums. Der bisherige wissenschaftliche Erfolg lässt sich an einigen Zahlen demonstrieren. Im Feb-ruar 2009 wurde die zweitausendste Arbeit mit Daten von XMM-Newton veröffentlicht. Jedes Jahr kommen rund 300 neue hinzu. Zwischen 1500 und 2000 Wissenschaftler arbeiten welt-weit mit XMM-Daten. Das ist ungefähr jeder fünfte professionelle Astronom. Das Interesse an Beobachtungen mit dem europäischen Weltraumteleskop ist ungebrochen. So gehen jedes Jahr Anträge für rund siebenmal mehr Beobachtungszeit ein, als zur Verfü-gung steht. Mit dieser Überbuchungsrate befindet sich XMM-Newton auf demselben Niveau wie das Weltraumteleskop Hubble.

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Wissenschaftliche Highlights von XMM-Newton aus den vergangenen zehn Jahren.

Einblicke in die Kinderstube der Sterne In der Milchstraße entstehen ständig neue Sterne. Die Geburtsorte sind große Staubwolken, in denen sich kleinere Bereiche unter der eigenen Schwerkraft zusammenziehen. Dabei er-hitzt sich die Materie. Sobald im Zentrum der sich zusammenballenden Wolke eine Tempe-ratur von einigen Millionen Grad erreicht ist, zündet die Kernfusion von Wasserstoff, wobei Energie frei wird. Der Stern ist geboren. Dieser Vorgang läuft jedoch im Innern dichter Staubwolken ab und lässt sich deshalb nur schwer beobachten. Röntgenstrahlung kann diesen dichten Nebel durchdringen. Beobachtungen in diesem Spektralbereich sind von großer Bedeutung, weil sich daraus entscheidende Rück-schlüsse auf die Entstehung unseres eigenen Sonnensys-tems ableiten lassen. Eines der umfangreichsten Beobachtungsprojekte mit XMM-Newton war die Unter-suchung des Sternentste-hungsgebietes im Sternbild Taurus (Stier). Mit einer Ent-fernung von 500 Lichtjahren ist es das nächstgelegene Nest junger Sterne, das eine Ausdehnung von fast 100 Lichtjahren besitzt. Mehr als 17 Tage lang wurde XMM-Newton insgesamt auf verschiedene Bereiche dieser Himmelsregion ausgerich-tet. Es ist damit die bislang genaueste Studie eines Sternentstehungsgebietes im Röntgen-bereich. Viele Phänomene konnten die Astronomen damit erstmals beobachten. So fanden sie her-aus, dass selbst ganz junge Sterne Magnetfelder erzeugen, die sich mit anderen Methoden nur schwer nachweisen lassen. Theoretiker vermuten aber, dass diese Felder einen wichti-gen Einfluss auf die Entstehung von Planeten haben können. Ein Teil der Röntgenstrahlung entsteht zudem, wenn ein junger Stern Materie aus der Um-gebung anzieht. Dieses Gas erhitzt sich beim Einsturz auf den jungen Himmelskörper bis auf mehrere Millionen Grad und sendet dabei Röntgenstrahlung aus, was zeitweise auch in Form von heftigen Ausbrüchen passieren kann. Das Aufsammeln von Materie ist für die Entwicklung des jungen Sterns von entscheidender Bedeutung, weil er dadurch wächst.

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Das Sternentstehungsgebiet im Taurus bleibt weiter interessant. Als nächstes sind kombi-nierte Beobachtungen von XMM-Newton und dem neuen - am 14. Mai 2009 gestarteten - europäischen Infrarotobservatorium Herschel geplant, an dessen Bau und Entwicklung Astri-um ebenfalls maßgeblich beteiligt war. Eine überraschende Entdeckung gelang im Orion-Nebel, in dem ebenfalls Tausende von Sternen entstehen. Dort fanden Astronomen mit XMM-Newton zwei Millionen Grad heißes Gas. Ursache hierfür sind die vier sogenannten Trapez-Sterne im Zentralgebiet des Orion-Nebels. Sie sind extrem massereich und blasen einen heißen Teilchenwind ins All. Der bahnt sich seinen Weg durch den Orion-Nebel und schießt aus einer Öffnung wie Champagner aus der Flasche heraus. Diese heiße Gasblase ist vermutlich Teil eines verzweigten Netzes aus solchen Blasen, die andere Sternentstehungsgebiete erzeugt haben. Damit besäße die Struktur der Milchstraße Ähnlichkeit mit der eines Schweizer Käses. Die wiederentdeckte Sternexplosion im Zufallskatalog XMM-Newton wird wie ein irdisches Observatorium betrieben: Das Teleskop wird auf einen bestimmten Himmelskörper ausgerichtet und erfordert aufgrund der großen Entfernungen lange Belichtungszeiten vor. Danach wechselt es zu einem anderen Objekt und so weiter. Bei jedem dieser Schwenks streift das Bildfeld des Teleskops über einen Himmelsstreifen hinweg. Auch diese Zeit zwischen zwei Beobachtungen ist nicht verloren. Die Kamera bleibt dabei nämlich angeschaltet, so dass ein zufällig ins Bildfeld geratender Himmelskörper etwa zehn Sekunden lang aufgenommen werden kann. Auf diese Weise entstand bis 2007 ein Katalog mit 2700 Röntgenquellen. Über die Hälfte davon konnte bislang als Sterne, Galaxien und Galaxienhaufen identifiziert werden. Doch dann ging einigen Astronomen ein dicker Fisch ins Netz. Im Sternbild Puppis (Hinterdeck des Schiffes) entdeckten sie eine ungewöhnlich helle Röntgenquelle. Beobach-tungen im optischen Bereich offenbarten dann an der Stelle der Röntgenquelle einen Stern. Offenbar handelte es sich um eine Nova, die dort kurz vor XMM-Newtons Entdeckung explo-diert sein musste. In den Daten eines automatisch arbeitenden Teleskops fand man schließ-lich die Nova. Sie war am 5. Juni 2007 – vier Monate vor XMM-Newtons Nachweis – am Himmel aufgeleuchtet und hatte ihre Helligkeit um das 600-Fache gesteigert. V 598 Puppis – so die offizielle Bezeichnung – die hellste Nova des letzten Jahrzehnts; man hätte sie sogar mit bloßem Auge sehen können. Erstaunlicherweise hatte sie kein Mensch auf der Erde be-merkt.

Die 22.000 Lichtjahre entfernte Spiral-Galaxie M 81 - aufgenommen mit dem optischen Monitor von XMM-Newton. Das Bild ist eine Komposition aus drei Aufnah-men, die jeweils mehr als eine Viertelstunde belichtet wurden.

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Die älteste bekannte Supernova Wenn sehr massereiche Sterne ihren Brennstoff verbraucht haben, explodieren sie als Su-pernova. Dabei stoßen sie eine Gashülle ab, die sich mit mehreren zehntausend Kilometern pro Sekunde ausdehnt.

Einen solchen Supernova-Nebel namens RCW 86 beobachteten Astronomen mit XMM-Newton und kombinierten die Daten mit denen des amerikanischen Röntgenobservatoriums Chandra. Das ermöglichte es ihnen, die Ausdehnungsgeschwindigkeit der Gaswolke und damit deren Alter zu bestimmen. Das Ergebnis von 2000 Jahren lag weit unter dem bis dahin angenommenen Wert von 10 000 Jahren. Damit lösten sie ein altes Rätsel. Chinesische Ast-ronomen hatten nämlich im Jahre 185 n. Chr. einen Stern etwa an der Stelle des heutigen RCW 86 aufleuchten sehen. Bislang ließen sich die beiden Ereignisse wegen der fehlerhaf-ten Altersbestimmung nicht zusammenbringen. Jetzt sind sich die Astronomen sicher, dass RCW 86 die Wolke der Supernova aus dem Jahre 185 ist. Es ist damit der älteste bekannte Supernova-Nebel.

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Rekonstruktion eines Sternentods In vielen Fällen bleibt die Explosion eines Sterns unbemerkt. Doch ein trickreiches Verfahren ermöglicht es, ein solches Ereignis noch Jahrhunderte später zu rekonstruieren. Im Jahre 2008 beobachteten Astronomen mit XMM-Newton eine Staubwolke, die langsam immer hel-ler wurde. Schnell wurde klar, dass es sich um die Spiegelung von Röntgenstrahlung einer Supernova handelte, die 400 Jahre zuvor explodiert war. So lange hatte das Licht benötigt, um vom Explosionsort zu dieser Wolke zu gelangen. Mit XMM-Newton konnten die Forscher das reflektierte Licht sogar spektroskopisch untersuchen. Das ermöglichte es, die Supernova als sogenannten Typ Ia zu identifizieren.

Himmlisches Kunstwerk: die sternen-bildende Staubwolke NGC 346. Das Bild ist eine Kombination aus Aufnahmen von XMM-Newton und des Spitzer Tele-skops der NASA in verschie-denen Wellenlängen. Infrarot zeigt hier kalten Staub in Rot, die optischen Daten geben glühende Gase in Grün wieder, während die Röntgen-aufnahmen heißes Gas in Blau und junge Sterne als rote Punkte mit weißen Zentren zeigen.

Heiße Flecken auf einem Neutronenstern Im Zentrum eines Supernova-Nebels bleibt der „Rumpf“ des einstigen Sterns zurück. Das kann ein Neutronenstern sein. Diese exotischen Körper bergen noch viele Rätsel. Sie besit-zen nur 20 bis 30 Kilometer Durchmesser, beinhalten aber etwa so viel Masse wie unsere Sonne. Die Materie ist deswegen extrem stark komprimiert. Ein Teelöffel Neutronenstern-Materie würde auf der Erde mehrere hundert Millionen Tonnen wiegen. Diese Himmelskörper sind sehr heiß und erzeugen extrem starke Magnetfelder, in denen Teilchen beschleunigt werden und Strahlung entsteht. Auf welche Weise dies geschieht, ist in weiten Teilen noch ungeklärt. Mit XMM-Newton konnten Astronomen mehrere Neutronensterne mit bislang unerreichter Empfindlichkeit im Röntgenbereich untersuchen. Ein Neutronenstern erscheint wegen seiner Kompaktheit in allen Teleskopen stets nur als Punkt. Astronomen können aber aus der Ana-lyse von Spektren Modelle der Oberfläche erstellen. XMM-Newton-Spektren trugen dazu bei, die Struktur des Neutronensterns mit der Bezeichnung RBS1774 zu entschlüsseln. Demnach

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gibt es auf dessen etwa 500 000 Grad heißen Oberfläche zwei Flecken, die nur etwa vier Kilometer Durchmesser besitzen und mehr als eine Million Grad heiß sind. Aus diesen klei-nen Gebieten stammt jene Strahlung, die XMM-Newton über eine Entfernung von 1000 Lichtjahren hinweg registriert hat. Am Rande eines Schwarzen Lochs Schwarze Löcher sind wohl die exotischsten Objekte im Universum. Ihre Schwerkraft ist so groß, dass sie alles, was sich ihnen bis auf eine bestimmte Entfernung nähert, verschlucken – und nie wieder hergeben. Das betrifft auch Licht. Weil diese Objekte kein Licht ausstrahlen, sind sie nicht sichtbar. Dennoch lassen sie sich indirekt untersuchen: Gas, das sich in ihrer Umgebung befindet, sammelt sich normalerweise in einem scheibenförmigen Gebilde an und wirbelt um das Schwarze Loch herum. Störungen in dieser Scheibe bewirken, dass sich die Gasteilchen auf spiralförmigen Bahnen dem Schwarzen Loch nähern und schließlich darin verschwinden. Dabei erhitzt sich das Gas, und je näher es dem Schwarzen Loch kommt, desto höher steigt die Temperatur. In unmittelbarer Nähe erreicht es Millionen von Grad und sendet Röntgenstrahlung aus. XMM-Newton ist deswegen prädestiniert dafür, Materie am Rande des Schwarzen Lochs zu beobachten, die sich kurz vor dem endgültigen Absturz in den kosmischen Malstrom befindet. Die massereichsten Schwarzen Löcher befinden sich in Zentren von Galaxien, die viele Milli-onen bis Milliarden Lichtjahre entfernt sind. Im Jahre 2008 gelang es erstmals, Röntgenpulse zu empfangen, die regelmäßig mit einer Periode von einer Stunde eintrafen. Sie stammten aus dem Zentrum einer 500 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie. Die Astronomen vermu-ten, dass die Ursache hierfür ein heißes Gebiet in der Scheibe ist, das an deren Innenrand um den Schwerkraftgiganten herumrast. Aus diesen Beobachtungen ließ sich die Masse des Schwarzen Lochs zu einigen zehn Millionen Sonnenmassen ableiten. An den Rändern der Schwarzen Löcher ist die Schwerkraft so groß, dass Effekte von Ein-steins Relativitätstheorie besonders deutlich hervortreten. XMM-Newton eignet sich deswe-gen gut, um die Einsteinsche Theorie zu testen. Bei weit entfernten Galaxien, in deren Zent-ren sich Schwarze Löcher befinden, wurde dies getan – mit Erfolg für die Relativitätstheorie. XMM-Newton und die schwarzen Löcher - so wie sie der Künstler sieht.

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Die größte Galaxien-Ansammlung im jungen Universum Galaxien wie unsere Milchstraße entstanden einige hundert Millionen Jahre nach dem Ur-knall. Während das Universum sich ausdehnte, schlossen sich diese Sternsysteme zuneh-mend zu großen Verbänden zusammen. Die Frage, wann und bis zu welcher Größe sich die ersten Galaxienhaufen gebildet haben, ist für Kosmologen von großer Bedeutung. Zu ihrer Beantwortung hat XMM-Newton bereits einiges beigetragen.

Galaxienhaufen verraten sich nämlich durch ein mehrere Millionen heißes Gas, dass sich zwischen den Galaxien befindet und Röntgenstrahlung aussendet. Deshalb gehört das Auf-spüren von Galaxienhaufen bis in mehrere Milliarden Lichtjahre Entfernung zur Routine. Doch die Entdeckung des 7,7, Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxienhaufens mit der Be-zeichnung 2XMM J083026+524133 verblüffte die Forscher dann doch. Er strahlt hundertmal mehr Röntgenstrahlung ab als normale Haufen in dieser Entfernung, und er beinhaltet unge-fähr tausendmal mehr Materie als unsere Milchstraße. Mit einer derart großen Ansammlung hatten die Astronomen nicht gerechnet. Ihr Modell von der Entwicklung des Universums ist damit um eine Facette reicher geworden.

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XMM-Newton – ein technisches Meisterwerk Die zentralen Komponenten eines Röntgenobservatoriums sind das Teleskop, das die Rönt-genstrahlung bündelt und die Detektoren, die in der Brennebene ein Bild erzeugen oder das Licht in seine spektralen Anteile zerlegen. Bei beiden Komponenten für XMM-Newton betra-ten die Wissenschaftler und Ingenieure Neuland. Ein Röntgenteleskop unterscheidet sich auf ganz charakteristische Weise von einem optischen Spiegel-teleskop. Wenn Röntgen-strahlen nämlich auf eine Spiegeloberfläche tref-fen, werden sie nicht an der Oberfläche reflektiert, sondern dringen ins Material ein. Mit herkömmlichen Spiegeln lassen sich daher keine abbildenden Röntgen-optiken bauen. Dies gilt allerdings nicht ganz genau: Wenn Röntgenstrahlen in sehr flachem Winkel von maximal zwei Grad auf eine Metalloberfläche treffen, werden sie doch reflektiert. Dies erinnert an das Verhalten eines glatten Steins, der über eine Wasseroberfläche hüpft, wenn man ihn nur sehr flach wirft. Der deutsche Physiker Hans Wolter wollte diesen Effekt nutzen, um Röntgenstrahlen zu fo-kussieren und ein Mikroskop zu bauen. Dieses Prinzip kam zwar bei Röntgenmikroskopen nie zur Anwendung, wohl aber bei Teleskopen. Sie bestehen prinzipiell aus einer kurzen Röhre, die mit der einen Öffnung auf einen Himmelskörper ausgerichtet wird und sich zum anderen Ende hin leicht verjüngt. Die Röntgenstrahlung wird dann an den Innenwänden re-flektiert und am Röhrenausgang fokussiert. Hier entsteht ein Röntgenbild. Heutige Röntgen-teleskope arbeiten alle nach diesem Prinzip. Sie werden daher auch Wolter-Teleskope ge-nannt. In der Praxis verwenden die Astronomen Röhren, deren vorderer Teil ein Paraboloid ist und an den sich ein Hyperboloid anschließt. Dies garantiert die besten Abbildungsqualitäten. Ge-nau wie bei den optischen Teleskopen möchten die Astronomen im Röntgenbereich so viel Strahlung wie möglich einfangen. Im sichtbaren Bereich vergrößert man hierfür den Haupt-spiegel. Bei Röntgenteleskopen baut man Röhren mit größerem Durchmesser und ver-schachtelt überdies mehrere von ihnen konzentrisch ineinander. Ein modernes Röntgentele-skop ähnelt vom Prinzip her den russischen Matrjoschka-Puppen.

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XMM-Newton besitzt gleich drei parallel angeordnete Wolter-Teleskope. Jedes von ihnen ist sechzig Zentimeter lang, und besteht aus 58 Röhren mit Durchmessern von 70 bis 30 Zentimetern. Damit diese nicht einen zu großen Teil der Eintrittsöffnung abdecken, wurden die Röhren aus 0,5 bis ein Millimeter dünnen Aluminiumblechen gefertigt, zwischen denen nur wenige Millimeter schmale Spalte offen bleiben. Sie reichen aus, damit die Röntgenstrahlung ins Teleskop eindringen kann. Wegen der enormen Ansprüche an die optische Qualität dieser Spiegel schieden herkömmliche Herstellungsverfahren, wie Fräsen und Schleifen, aus. Bei XMM-Newton wählte man daher ein neues, raffiniertes Verfahren. Hierbei wurden zunächst bei der Firma Carl Zeiss Spiegelformen aus Aluminium hergestellt und mit einer nickelartigen Schicht vergütet. Dann wurde die Oberflä-che bis auf die Glätte der späteren Spiegel poliert und exakt in deren Negativform gebracht. Eine italienische Firma brachte dann zunächst auf diese Abformkörper elektrolytisch eine dünne Goldschicht auf und schied darauf galvanisch eine Nickelschicht ab. Schließlich wur-de der Formkörper abgekühlt, wodurch sich dieser zusammenzog und von der äußeren Gold-Nickel-Schale absprang. Sie bildete dann einen der innen vergoldeten Röntgenspiegel. Auf diese Weise entstanden Spiegeloberflächen, die an Perfektion alles Bisherige übertref-fen und deren Form mit extra hierfür entwickelten Präzisionsoptiken vermessen wurde. Die verbliebenen Unebenheiten sind durchschnittlich nicht höher als wenige zehnmillionstel Mil-limeter. Diese perfekte Optik in Kombination mit der großen Spiegelfläche verlieh dem Tele-skop eine bis dahin unerreichte Empfindlichkeit. XMM-Newton verfügt jedoch nicht nur über ein Teleskop, sondern es gibt gleich drei dieser Spiegelsysteme, die gleichzeitig Strahlung vom Röntgenhimmel empfangen. Dies ermöglicht es, drei verschiedene Detektoren in deren Brennebene anzubringen. Auch hier hatte es entscheidende Fortschritte gegeben.

So kamen bei XMM-Newton erstmals sogenannten Charge Coupled Devices (CCD) zum Einsatz.

Diese lichtempfindlichen

Halbleiterdetektoren werden auch in digitalen Fotoappara-ten und Kameras verwendet, hier allerdings für sichtba-res Licht. Neue Entwicklungen waren nötig, um CCDs auch im Röntgenbereich einsetzen zu können.

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Die CCDs setzen sich mosaikartig aus zahlreichen einzelnen Bildelementen zusammen. Dringt ein Röntgenphoton darin ein, setzt es im Material eine elektrische Ladung frei. Ein Computer liest nach erfolgter Belichtung das CCD aus und setzt aus der pro Bildelement enthaltenen Ladung das Röntgenbild zusammen. Darüber hinaus lässt sich feststellen, wel-che Energie das entsprechende Röntgenphoton gehabt hat. Im sichtbaren Wellenlängenbereich entspricht eine bestimmte Energie einer Farbe des Lichts. XMM-Newton kann also „Farbbilder“ im Röntgenbereich aufzunehmen; eine wichtige Information für die Astronomen um herauszufinden, wie heiß die Röntgenquellen sind. XMM-Newton foto-grafiert die Himmels-körper nicht nur son-dern es verfügt darüber hinaus über zwei sogenannte Spektrometer. Diese für die moderne Astrophysik uner-lässlichen Instru-mente zerlegen Röntgenstrahlung auf ähnliche Weise, wie Glasprismen das Sonnenlicht in seine Regenbogenfarben auffächern. Spektrometer ma-chen also die beo-bachtende Astrono-mie zur analysieren-den Astrophysik. Ebenfalls ein Novum für ein Röntgen-observatorium war ein normales optisches Teleskop. Es bot erstmals die Möglichkeit, die Röntgenquellen gleichzeitig auch im sichtbaren Licht zu beobachten. Dies hat einen großen Vorteil: Eine Reihe von Himmelskörpern zeigt nämlich im Röntgenbereich plötzliche Helligkeitsaus-brüche. Für die Astronomen ist es von großem Interesse zu verfolgen, ob die Himmelskörper im sichtbaren Licht in gleichem Maße und zur gleichen Zeit aufflammen. Im Allgemeinen erfolgt erst der Röntgenanstieg und später der im sichtbaren Licht. Aus diesen Intensitätsver-läufen können die Forscher auf die Natur der Ausbrüche schließen.

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XMM-Newton - Realisierung in nur 38 Monaten Entwicklung und Bau eines solch komplexen Weltraumteleskops stellte eine enorme Heraus-forderung an die Astrium-Ingenieure dar. Um das ehrgeizige Ziel einer kompletten Satellitenentwicklung im Zeitraum von nur 38 Monaten zu erreichen, war der Bau von zwei Entwicklungsmodellen parallel mit sofort anschließender Fertigung des Proto-Flugmodells vorgesehen. In den ersten zwölf Monaten wurde die komplette Entwicklung des Satelliten mit allen Untersystemen abge-schlossen, so dass ab April 1997 beide Entwicklungsmodelle im Integrationszentrum der Astrium in Friedrichshafen integriert werden konnten. Zu diesem Zweck musste eigens ein Teil der Halle so umgebaut werden, dass sowohl die außerordentlichen Reinheits-anforderungen (100-er Klasse) erfüllt, als auch die ungewöhnlichen Dimensionen des Satelliten (elf Meter Höhe) integrierbar wurden. Ein thermisch und mechanisch flugidentisches Modell diente zur Erprobung der Integrations-prozedur und zum Nachweis der Leistungsdaten unter sämtlichen Lastbedingungen des Sa-telliten bei Start und im Weltraum. Zu diesem Zweck wurde der Satellit später zum Testzent-rum der ESA in Noordwijk / Niederlande transportiert, da er nur dort in den in ihrer Dimension in Europa einzigartigen Weltraumsimulationsanlagen den Belastungstests unterzogen wer-den konnte. Aber selbst dort mussten verschiedene Tests aus Dimensionsgründen an Teil-segmenten des Satelliten durchgeführt werden. Die Konfiguration des Satelliten zeichnete sich vor allem durch die extremen Forderungen bezüglich Formstabilität bei stark variierenden thermischen Belastungen aus. Da außerdem die Gesamtmasse des Satelliten an der Grenze der damaligen Startkapazität der Ariane 5 Rakete lag, ist die Struktur des Satelliten nahezu komplett aus Carbonfaser-beschichteten Aluminium-Waben gefertigt worden. Ebenfalls außergewöhnlich waren die Anforderungen der Röntgenoptiken und Instrumente an die Reinheit und Lichtdichtigkeit des Satelliten. Bei-des erforderte neuartige Lösungen und Konstruktionsprinzipien. Nicht zuletzt musste die Struktur mit begrenztem Aufwand in mehrere Segmente zerlegt und wieder integriert werden können, um ihren Transport zu den Testanlagen der ESA in Noordwijk/ zu ermöglichen.

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Das zweite sogenannte Ingenieursmodell diente zur Überprüfung sämtlicher elektrischer Schnittstellen und Funktionen sowohl innerhalb der Untersysteme, als auch zu den wissen-schaftlichen Instrumenten und dem Bodenbetriebssystem. Und natürlich nicht zu vergessen das Flugmodell, welches dann erfolgreich in den Orbit gelangte.

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XMM-Newton auf einen Blick

Länge: 10,80 Meter Gewicht: 3,8 Tonnen Durchmesser: 4,60 Meter Spannweite: 16,10 Meter Nominelle Lebensdauer: 2 Jahre, geplante Einsatzzeit: 10 Jahre Start: 10. Dezember 1999, 15:32 (MEZ) Launcher: Ariane 5 (Vol 504) - der erste kommerzielle Flug der AR 5 Startplatz: Kourou, Französisch-Guyana Umlaufbahn: 48 Stunden, elliptisch, 7.000km/114.000 km Öffnen der Teleskope: 17./18. Dezember 1999 Erste wissenschaftl. Daten: 19. Januar 2000 Gesamtkosten des Programms: 689 Mio. Euro; Kosten Satellit: 230 Mio. Euro.

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Folgt IXO auf XMM-Newton? Auch wenn XMM-Newton aus technischer Sicht bis mindestens 2018 weiterarbeiten kann, werden bereits Pläne für einen Nachfolger diskutiert. An dem International X-ray Observatory (IXO) beteiligen sich derzeit die Raumfahrtorganisationen Europas (ESA), der USA (NASA) und Japans (JAXA). Auf Industrie-Seite ist wiederum die Astrium mit Voruntersuchungen befasst. Untersucht wird derzeit ein Teleskop, dessen Spiegel 3,30 Meter Durchmesser und eine Brennweite von 20 bis 25 Metern (XMM-Newton = 7,50 m) besitzt. Der Start könnte 2020 erfolgen.

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Eine Ariane-5-Trägerrakete bringt den Röntgensatelliten XMM-Newton am 10. Dezember 1999 um 15:32 Uhr (MEZ) vom europäischen Weltraumbahnhof Kou-rou in Französisch Guyana ins Weltall. Der Flug 504 ist der erste kommerzielle Flug des damals neuen Ariane-5-Launchers.

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