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Public Health Forum 21 Heft 81 (2013)http://journals.elsevier.de/pubhef
20 Jahre RSA: der technische Kern der Wettbewerbsordnungin der GKV
Jurgen Wasem
Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz
(GSG) von 1992 hat der Gesetzgeber
die Moglichkeiten zur regelmaßigen
Kassenwahl ausgeweitet und damit
die Weichen fur eine wettbewerbliche
Ausrichtung der gesetzlichen Kran-
kenversicherung (GKV) gestellt.
Auch hat er seitdem zunehmend wett-
bewerbliche Gestaltungsoptionen fur
die Krankenkassen im Vertragsbe-
reich (z.B. Integrierte Versorgung)
und bei den Leistungen (z.B. Wahl-
tarife) geschaffen.
Zugleich aber hat die Gesundheitspo-
litik an der solidarischen Finanzierung
der GKV festgehalten: Die Beitrage
der Versicherten sollen sich an der
wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit
orientieren, nicht an dem zu erwarten-
den Ausgabenrisiko. Zwischen Soli-
daritat und Wettbewerb besteht ein
grundsatzliches Spannungsverhaltnis,
da die Krankenkassen finanziell umso
attraktiver dastehen, je weniger sie mit
den Ausgaben fur die Versorgung ins-
besondere chronisch Kranker belastet
sind. Risikoselektion ware deshalb fur
die Krankenkassen attraktiv, Engage-
ment in der Versorgung hingegen
nicht.
Zur Uberwindung dieses Spagats wur-
de in der Gesundheitsokonomie das
Konzept des Risikostrukturausgleichs
(RSA) entwickelt (Leber und Wasem,
1989, van de Ven und Ellis, 2000).
Dieses Konzept hat der Gesetzgeber
des GSG aufgegriffen und den RSA
zum 1.1.1994 eingefuhrt (Schneider,
1994, Wasem, 1993). Der RSA be-
stand dabei einerseits aus einem Fi-
nanzkraftausgleich, mit dem ein Aus-
gleich der Unterschiede in der Hohe
der Beitragspflichtigen Einnahmen
(BPE) je Versicherten zwischen den
Krankenkassen bewirkt werden sollte.
Der Ausgleich wurde hierbei aber
nicht vollstandig durchgefuhrt, so
dass Krankenkassen mit uberdurch-
schnittlichen BPE je Versicherten bei-
tragssatzrelevante Vorteile, solche mit
unterdurchschnittlichen BPE ceteris
paribus Nachteile im Beitragssatz be-
hielten (Jacobs et al., 2002). Erst mit
der Einfuhrung des Gesundheitsfonds
erfolgte eine Vervollstandigung des
Finanzkraftausgleichs.
Andererseits wurde im Rahmen des
RSA ein sogenannter Beitragsbedarfs-
ausgleich durchgefuhrt – mit diesem
Element sollten die unterschiedlichen
ausgabenseitigen Risikostrukturen
zwischen den Krankenkassen ausge-
glichen werden. Dem damaligen
Kenntnisstand in der Gesundheitsoko-
nomie entsprechend, wurden hierbei
Alter und Geschlecht sowie der Status
als Erwerbsminderungsrentner als
Ausgleichsvariablen festgelegt. Aller-
dings sollte sich nach wenigen Jahren
zeigen, dass dies unzureichend war,
da innerhalb der Alters- und Ge-
schlechtsgruppen die Versicherten
nach ihrem Gesundheitszustand sehr
ungleich zwischen den Krankenkas-
sen verteilt waren und insbesondere
Kassenwechsler im Durchschnitt
uberdurchschnittlich gesund waren
(Lauterbach und Wille, 2001).
Da zwischenzeitlich auch in der inter-
nationalen Gesundheitsokonomie
Modelle zu einer Berucksichtigung
des Gesundheitszustandes im RSA
entwickelt worden waren (Ash et al.,
1998, Ellis et al., 1996, Weiner et al.,
1998), schlug ein auf Beschluss des
Bundestages beauftragtes Gutachten
zu Stand und Perspektiven des RSA
vor, diesen bis 2007 morbiditatsorien-
tiert weiterzuentwickeln (Jacobs et al.,
2002). Der Gesetzgeber folgte mit
dem RSA-Reformgesetz von 2001
diesem Vorschlag eines Morbi-RSA
ebenso wie der Uberlegung (Jacobs
et al., 2001), ubergangsweise den Ein-
schreibestatus in Disease Manage-
ment-Programme als Variable im
RSA zu verwenden und einen Risiko-
pool einzufuhren.
Zwar verschob die Große Koalition
2006 den Ubergang zum Morbi-RSA
um zwei Jahre, zum 1.1.2009 wurde er
dann jedoch im Rahmen des GKV-
Wettbewerbsstarkungsgesetzes umge-
setzt. Seitdem ist das Ausgleichssys-
tem neben Alter, Geschlecht und
Bezug einer Erwerbsminderungsrente
um Risikomarker fur 80 Erkrankun-
gen erganzt.
Ob der Morbi-RSA geeignet sei, faire
Rahmenbedingungen des Kassenwett-
bewerbs zu schaffen, oder ob er um-
gekehrt nunmehr ,,ubersteuert‘‘, wur-
de zuvor kritisch diskutiert. Vor die-
sem Hintergrund fuhrten CDU, CSU
und FDP in ihrem Koalitionsvertrag
nach der Bundestagswahl 2009 aus:
,,Der Morbi-RSA wird auf das not-
wendige Maß reduziert‘‘ (CDU
et al., 2009). Der vom Bundesministe-
rium fur Gesundheit mit einer Uber-
prufung der Wirkungen des Morbi-
RSA beauftragte Wissenschaftliche
Beirat beim Bundesversicherungsamt
legte in 2011 eine umfassende empi-
rische Analyse auf Basis der Daten
von 2009 vor. Diese zeigt, dass
nach wie vor eine Uberdeckung fur
,,Gesunde‘‘ und eine Unterdeckung
insbesondere fur chronisch kranke
Versicherte vorliegt – auch wenn das
Ausmaß von Uber- und Unterdeckun-
gen gegenuber der Situation vor 2009
11.e1
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erheblich abgenommen hat. Zudem
bestehen mit steigendem Alter der
Versicherten zunehmende Unterde-
ckungen und Uberdeckungen fur jun-
ge Versicherte. Von einem ,,Uber-
maß‘‘ an Morbiditatsorientierung
kann insgesamt damit nicht die Rede
sein (Drosler et al., 2011).
Eine der Ursachen fur die nach wie
vor bestehenden Unter-/Uberdeckun-
gen ist ein entgegen den interna-
tionalen Standards der Gesundheits-
okonomie praktizierter Umgang mit
den Leistungsausgaben und Versi-
chertenzeiten Verstorbener, der zwi-
schenzeitlich vom Landessozialge-
richt NRW als rechtswidrig beurteilt
wurde (Landessozialgericht Nordrhein-
Westfalen, 2013). Allerdings bestehen
nochweitere ,,Baustellen‘‘, hinsichtlich
11.e2
derer der Morbi-RSA weiterentwickelt
werden muss. Besonders gewichtig
sind hier die Zuweisungen aus dem
Gesundheitsfonds fur das Krankengeld.
Diese berucksichtigen gegenwartig
nicht, dass die Zahlungsverpflichtung
der Krankenkasse beim Krankengeld
von der Hohe der BPE der Versicherten
abhangt. Andererseits wird hier die
Morbiditat nach wie vor nur uber Alter,
Geschlecht und Erwerbsminderungs-
status approximiert. Es gibt jedochHin-
weise, dass insbesondere der ausgeubte
Beruf einen erheblichen Einfluss
auf die Krankengeldmorbiditat hat
(Tebarts et al., 2012), wofur gegenwar-
tig im RSA-Routineverfahren jedoch
keine Daten zur Verfugungen stehen.
Insgesamt betrachtet, ist der RSA
20 Jahre nach seiner Einfuhrung ein
nicht mehr verzichtbarer Bestandteil
der GKV-Wettbewerbsordnung. Aller-
dings besteht die Notwendigkeit sei-
ner kontinuierlichen Weiterentwick-
lung.
Der korrespondierende Autor erklart, dasskein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur siehe Literatur zum Schwerpunkt-thema.http://journals.elsevier.de/pubhef/literatur
http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2013.09.027
Univ. Prof. Dr. rer. pol. Jurgen WasemUniversitat Duisburg-EssenAlfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungslehrstuhl furMedizinmanagementSchutzenbahn 7045127 Essenjuergen.wasem@medman.uni-due.de
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Einleitung
Im wettbewerblich ausgerichteten System der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland ist der 1994 eingefuhrte
Risikostrukturausgleich zur Organisation der Wettbewerbsordnung zwischen den Krankenkassen zentral. Anreize zur
Risikoselektion sollen vermieden und ein Interesse der Krankenkassen an Versorgung erzeugt werden. Die Empirie zeigt,
dass sich die Morbiditatsorientierung des RSA bewahrt hat. Es besteht allerdings weiter Handlungsbedarf zu seiner
Optimierung, insbesondere mussen die Unterdeckungen fur Altere abgebaut und die Zuweisungen fur Krankengeld neu
ausgestaltet werden.
Summary
Social health insurance in Germany is organized as a competitive system. Thus, risk adjustment, which was introduced in
1994, plays a crucial role to achieve a level playing field. Incentives for risk adjustment should be avoided and an interested
of sickness funds in managing care should be established. More recently health based risk adjustment replaced the former
demographic risk adjustment model. Empirical analysis demonstrates the improvement by health based risk adjustment.
Additional fine tuning is on the agenda. Underpayment for the elderly has to be reduced and risk adjustment with regard to
sick pay has to be rearranged.
Schlusselworter:
Gesetzliche Krankenversicherung = Social Health Insurance, Risikostrukturausgleich = Risk Adjustment, Wettbewerb =
Competition
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11.e3
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