View
1
Download
0
Category
Preview:
Citation preview
Blutige200 Jahre
Befreiungskriege
Romantik
Ka
talo
gB
lutig
e Rom
antik
RomantikBlutige
200 Jahre
Befreiungskriege
katalog
Herausgegeben von Gerhard Bauer,
Gorch Pieken, Matthias Rogg
Militärhistorisches Museum der Bundeswehr
Sandstein Verlag
Inhalt 6
Vorwort
Gerhard Bauer
8
Leihgeber
10
KrIegsbIlder
20
KrIegsromantIK
28
KrIegsparteIen
30
Frankreich
45
Heere der Koalition
74
KrIegsalltag
76
Leben im Feld
82
Verheerung und Überlebenskampf –
Soldaten und Zivilbevölkerung
90
Kampf und Schlachtentod
98
Verwahrlosung, Krankheit,
Verwundung, Gefangenschaft
102
Biografien
118
KrIegserInnerungen
120
Deutschland
197
Frankreich
204
Erinnerungskultur 1913
208
»All die schönen Schlachten« –
Das Heer der Reenactors
218
KrIeg en mInIature
220
Dioramen
229
Modelle und Figuren
233
anhang
235
Personenregister
243
Abkürzungen
244
Autoren
246
Impressum
248
Bildnachweis
KriegsbilderNoch zu Lebzeiten Napoleons entwickelten bildende Künstler und Schriftsteller einen Kanon von Ereignissen, die
Napoleons Lebenslauf in Form eines Dramas vom Aufstieg bis zum Zenit der Macht hin zu Niedergang und Sturz
darboten. Die Historienmalerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts erweiterte die Bandbreite der behandelten
Themen und bezog nationale Perspektiven mit ein. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts diente die napoleonische
Epoche auch als unerschöpflicher Ideenfundus für Genremaler und akademische Militärmaler. Die hier gezeigten
Gemälde vermitteln einen Eindruck davon, wie vielfältig diese Interpretationen sein konnten. Gleichzeitig illus
trieren sie die Epoche von 1806 bis 1815, vom Triumph Frankreichs über Preußen bis zur endgültigen Niederlage
bei Waterloo. GB
12K R I E G S B I L D E R K R I E G S B I L D E R1312
1
»LA VIctoIRE ESt à nouS« (DER
SIEG ISt unSER!) oDER »SoIR D’IEnA«
(ABEnD Von JEnA), 1806
Jean-Baptiste-Édouard Detaille (1848 – 1912)
1894, Öl auf Leinwand, 80 × 130 cm
Musée de l’Armée, Paris
Am Abend des 14. oktober 1806 war mit
den Siegen der französischen Haupt-
armee unter napoleon bei Jena und des
III. Korps der Großen Armee bei Auerstedt
unter Marschall Davout die Moral des
preußischen Heeres gebrochen. Dessen
endgültige niederlage war eine Frage der
Zeit. Viel mehr: Der nimbus der unbe-
siegbarkeit des preußischen Heeres war
endgültig zerstört. Seit den triumphen
der Heere Friedrichs des Großen in den
Schlesischen Kriegen des 18. Jahrhun-
derts hatte Europa die militärische
Schlagkraft Preußens gefürchtet und
bewundert. So hatte der Sieg des
friderizianischen Heeres über die
überlegene Armee des Herzogs von
Soubise bei Roßbach im november 1757
Frankreich zutiefst gedemütigt. napoleon
ließ am 15. oktober im 5. Bulletin der
Großen Armee verlautbaren: »Die
Schlacht von Jena hat die Schmach von
Roßbach weggewaschen, und sie hat
innerhalb von sieben tagen einen Feldzug
entschieden und vollkommen die
Kriegsbegeisterung gedämpft, welche die
Sinne der Preußen umfangen hatte.«
nachdem die Kämpfe bei Jena
abge flaut waren, ritt napoleon, wie es am
Abend eines Sieges seine Gewohnheit
war, über das Schlachtfeld. Er verschaffte
sich dabei ein Bild der Lage und rekapi-
tulierte an Hand der nun zugänglichen
gegnerischen Positionen den Verlauf der
Ereignisse. Darüber hinaus nutzte er die
Gelegenheit, seine truppen zu besichti-
gen, Beförderungen auszusprechen und
Auszeichnungen zu verteilen. Édouard
Detaille wählte diese Momente, in denen
der Feldherr und seine Soldaten gemein-
sam ihren Sieg auskosteten, als thema
für sein Jena-Gemälde.
Wie auf einer Bühne reitet napoleon in
seinem legendären grauen Mantel, der
Gardejägeruniform und dem schmuck-
losen Zweispitz auf einem Schimmel die
Reihen jubelnder Linieninfanteristen ab,
die rechts und links die Straße säumen
und erbeutete preußische Fahnen
schwenken. Den Vortrab des kaiserlichen
Zuges bildet eine Eskorte der Gardejäger
zu Pferd. Dem Kaiser folgen Generale,
ordonnanzen, Adjutanten und Kavalle-
risten verschiedener Regimenter mit
weiteren trophäen. Links im Vordergrund
intonieren Spielleute und Musiker eines
Infanterieregiments, so kann man es sich
vorstellen, eine Siegesfanfare.
Detaille war Mitbegründer und der erste
Vorsitzender der militärhistorischen
Forschungsgemeinschaft »La Sabretache«,
die heute noch existiert. Auf Initiativen
dieser Vereinigung ging auch die Grün-
dung des Musée de l’Armée 1896 zurück.
Detaille engagierte sich bei der Einrich-
tung dieses weltweit am reichsten mit
Erinnerungsstücken der Großen Armee
ausgestatteten Museums, das zudem
zahlreiche seiner Gemälde und Grafiken
bewahrt. GB
2
»PRISE D’un DRAPEAu PRuSSIEn
PAR LE 4E RÉGIMEnt DE DRAGonS«
(ERoBERunG EInER PREuSSIScHEn
FLAGGE DuRcH DAS 4. DRAGonER-
REGIMEnt)
Jean-Baptiste-Édouard Detaille (1848 – 1912)
1898, Öl auf Sperrholz, 65,5 × 44,5 cm
Musée de l’Armée, Paris
Detaille, der für seine präzise Darstellung
von Einzelheiten bis hin zum berühmten
»Gamaschenknopf« bekannt war, befolgte
1
Das Gemälde entstand rund neunzig
Jahre nach den dargestellten Ereignissen.
Es zeigt keine Szene, die der Künstler
selbst gesehen haben konnte oder die
genau so überliefert war. Es ist also eine
Interpretation von Geschichte, die auf die
Menschen ihrer Entstehungszeit eine
bestimmte Wirkung haben sollte.
Deutlicher als mit einer konventionellen
Schlachtendarstellung transportiert
Detaille eine Botschaft, die nach dem
verlorenen Krieg von 1870/71 in Frank-
reich ebenso tröstlich wie aufrüttelnd
wirkte. Der Künstler schuf ein antipreu-
ßisches Propagandabild, das Bewunderer
in den Reihen derer fand, die seit 1871
von einer Revanche für die niederlage
Frankreichs im Deutsch-Französischen
Krieg träumten: Auf Sedan sollte wieder
ein Jena folgen.
Auf das Jahr 1894 datiert, wurde das
Gemälde 1899 zunächst als Skizze im
»cercle de l’union artistique« (»Kreis der
künstlerischen Vereinigung«) gezeigt. Im
Jahr darauf konnte man es, nunmehr
vollendet, auf der Weltausstellung unter
dem titel »La victoire est à nous!« (»Der
Sieg ist unser!«) – vermutlich in Anspie-
lung auf einen napoleonischen Marsch
– betrachten. Édouard Detaille bezichtigte
François Flameng, den urheber eines mit
»Soir d’Iéna« (» Abend von Jena«)
betitelten Gemäldes, das bei derselben
Gelegenheit ausgestellt wurde, ihm sein
thema gestohlen zu haben. Während er
selbst eine »Synthese des epischen
Zeitalters« geschaffen habe, sei Flamengs
Gemälde »anekdotisch« und sein
napoleon »zu jung«.
Detaille war wie stets bestrebt, ein
heereskundlich getreues Abbild der
Großen Armee zu vermitteln. Die akri-
bische Darstellung der gezeigten
uniformen und Fahnen vermittelt den
Eindruck von Wahrhaftigkeit. Im Laufe
dieses letzten Jahrzehnts des 19. Jahr-
hunderts etablierte sich Detaille gemein-
sam mit dem Historiker und Sammler
Frédéric Masson als eine der zentralen
Figuren der napoleonischen Szene.
2
14K R I E G S B I L D E R K R I E G S B I L D E R15
stets die Gebote seines Lehrers Ernest
Meissonier: »Die natur, nichts als die
natur«. Seine Werke beruhen auf intensi-
ven Quellenrecherchen. Er las Memoiren,
Zeitungen und Gedenkliteratur, die zu
dieser Zeit zahlreich herausgegeben wurde
und seine private Bibliothek füllte. Detaille
sammelte auch Waffen und uniformen,
die 1915 dem Armeemuseum vermacht
wurden. Er ließ sich darin fotografieren
und diente sich auf diese Weise selbst als
Anschauungsobjekt, beging historische
Schlachtfelder oder ließ Pferde in seinem
Atelier Modell stehen. SH
3
nAPoLEon (1769 – 1821)
BEGRÜSSt SäcHSIScHE KÜRASSIERE
nAcH DER ScHLAcHt BEI FRIEDLAnD
Friedrich Leopold Schubauer (1795 – 1852),
zugeschrieben
1829, Öl auf Leinwand, 87,5 × 118 cm
MHM
Solange die deutschen Staaten militärisch
eigenständig waren, feierten sie die Höhe-
punkte ihrer eigenen Militärgeschichte.
Selbst im Kaiserreich konnte dies im
Gegensatz zu den Grundzügen der natio-
nalgeschichte geschehen. Bei Friedland
hatten sächsische truppen im Verband
der napoleonischen Großen Armee 1807
zu den Siegern über eine russische Armee
gezählt. napoleon lobte persönlich die
sächsischen Königs- Kürassiere für ihren
Einsatz. GB
4
SäcHSIScHE PIonIERE untER
GEnERAL REynIER nAcH
DEM ÜBERGAnG ÜBER DEn BuG
AM 1. oKtoBER 1812
Rudolf trache (1866 – 1948)
um 1910, Öl auf Leinwand, 112 × 200 cm
MHM
Der Einsatz des sächsischen Korps im
napoleonischen Russlandfeldzug war für
die Soldaten geprägt von Frustrationen
und seltenen Erfolgen. Die zur Haupt-
macht der Großen Armee abkomman-
dierte schwere Kavallerie ging bei Boro-
dino unter. Das Gros des sächsischen
Korps stieß aufgrund heftiger russischer
Gegenwehr nie so weit ins russische
Kernland vor. traches Gemälde feiert
folglich einen Erfolg in der niederlage,
nämlich die Rettung der Reste des Korps
über Pontonbrücken am Bug. Das Bild
gehörte bereits zur Königlichen Arsenal-
Sammlung. GB
5
DER ÜBERGAnG ÜBER DIE BERESInA
Jerzy Kossak (1886 – 1955)
1929, Öl auf Leinwand, 138 × 55 cm
MHM
Jerzy Kossak, Spross einer seit dem
frühen 19. Jahrhundert tätigen und
ein flussreichen Krakauer Dynastie von
Pferde- und Schlachtenmalern, illus-
trierte mit vielen seiner Werke den
Mythos napoleons. Für ihn und zahlreiche
andere polnische Literaten und Künstler
seiner Zeit war der Kaiser eine Symbol-
figur des polnischen unabhängigkeits-
strebens. napoleons Scheitern in Russ land
hatte den untergang des durch ihn erst
1807 begründeten Herzogtums Warschau
eingeleitet. GB
6
»cHARGE DE cuIRASSIERS
En 1812. ÉtuDE.«
(AnGRIFF DER KÜRASSIERE
IM JAHRE 1812. StuDIE.)
Jean-Baptiste-Édouard Detaille (1848 – 1912)
o. J., Gouache und Aquarell auf Karton,
72 × 100 cm
Musée de l’Armée, Paris
Édouard Detaille wuchs mit den Erzäh-
lungen über die ruhmreichen taten der
französischen Armee auf und speziali-
sierte sich auf die Militärmalerei. Etwa
seit 1890 galt sein besonderes Interesse
der napoleonischen Epoche. neben den
großen Historienbildern fertigte er auch
Aquarelle mit weniger ambitionierten
Kompositionen an, die jedoch von der
gleichen Sorgfalt hinsichtlich des
Realismus und der Details geprägt sind.
Die Gemälde zeugen von der Erneuerung
des napoleonischen Mythos und regten
Detaille auch zu den »cavaliers de
napoleon« (»Die Reiter napoleons«) an,
einem gemeinsam mit Frédéric Masson
realisierten Werk. Diese Gouache, die im
Atelier verblieben war, gehört zum
Vermächtnis des Künstlers, der seinerzeit
an der Gründung des Armeemuseums
mitgewirkt hatte. SH
3
4
5
90
Napoleonische Schlachten waren Vernichtungsschlachten. Die Gefechts
taktik basierte auf Schnelligkeit und Schwerpunktbildung und zielte auf
die Zerstörung der gegnerischen Kampfkraft. Das von Kavallerie, Infan
terie und Artillerie eingesetzte Waffenarsenal – Hieb und Stichwaffen,
Vorderladermusketen und geschütze – war auf dem Stand des 18. Jahr
hunderts. Da mit Ausnahme von Schützen und Jägern alle Truppen in
Linie oder Kolonne kämpften, richteten Gewehrfeuer und die Geschosse
der oft in großen Batterien zusammengefassten Artillerie fürchterliche
Verheerungen an. Die Stärke der beteiligten Heere wirkte sich auf die
Verlustzahlen aus. Von 460 000 Teilnehmern der Völkerschlacht starben
an vier Tagen 130 000.
Viele junge Kämpfer der Befreiungskriege fanden einen Tod, der nicht
»süß und ehrenvoll« kam, sondern in Gestalt zerfetzender Granatsplit
ter, einhauender Säbel oder zerschmetternder Kugeln. GB
K A M P F u N D
S c H L A c H T E N T o D
136
»tIRAILLIREn FRAnZ. unD
RuSS. VoRPoStEn«
Leopold Beyer (1789 – 1877)
1813, Radierung, 11,2 × 15,2 cm
Kupferstich-Kabinett,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
137.1 – 137.2
ZWEI ScHuTZBrIEFE
unbekannter Verfasser
um 1813
Dr. oliver Stein
137.1
KuGELABWEISunG,
BEScHWÖRunGStExt ZuM ScHutZ
GEGEn VERWunDunG, toD
unD GEFAnGEnnAHME
137.2
ScHuSSStELLunG,
BEScHWÖRunGSFoRMEL
ZuR ABWEHR Von
ScHuSSVERLEtZunGEn
Im nachlass der Familie Merz haben
sich zwei Zettel erhalten, die ihren träger
unter göttlichen Schutz stellen sollten.
Es handelt sich um so genannte »Schutz-
briefe« oder »Himmelsbriefe«. Da sie die
Verschonung vor Kugeln und Verwundung
erbitten, liegt es nahe, dass sie jeman-
dem mitgegeben wurden, der in den Krieg
zog. In der Familie Merz kann das nur
Peter Merz gewesen sein. Vermutlich trug
er die Zettel während seiner Dienstzeit in
der französischen Armee, möglicherweise
auch in so manchem Gefecht, bei sich. Sie
stammen weder von seiner Hand noch
von der seiner Mutter. Ihr text lautet:
137.1
92K R I E G S A L LtA G K A M P F u n D S c H L A c H t E n to D93
»Ewigkeit Amen
Eine Kugel Abweisung
Die heulische und heilige Posaune der
blasen alle Kugeln und unglück von mir,
und gleise gleich von mir ab, ich fliehe
unter dem Baum des Lebens, der
zwölferlei Früchte trägt, ich stehe heute
[?später?] am Heiligen Altar der christli-
chen Kirchen, t..... [unleserlich] verberge
mich hinter des frohen Leichnams Jesus
christus, das ich von keines Menschen
Hand werde gefang noch gebunden, nicht
gehauen, nicht geschossen, nicht gesto-
chen, nicht geworfen, nicht geschlagen,
eben überhaupt nicht verwundet werde,
des hilf mir, im namen Gottes, des Vaters
des Sohnes des Heiligen Geistes Amen,
Amen, Azaria und Michael, lobet den
Herrn, denn er hat uns erlöset aus der
Höllen und hat uns im feuer erhalten,
also wolle es der Herr kein feuer geben
lassen.
I.
n.I.R.
I.«
Auf der Rückseite befindet sich folgende
notiz: »1822 1788 34«. Sie stammt
vermutlich aus dem Jahr 1822 und hält
das Lebensalter des 1788 geborenen
Bruders Joh. Jakob Merz fest. Dieser war
seit 1815 preußischer Soldat. Womöglich
sollte der Schutzbrief seine Wirkung auch
auf ihn übertragen – wenngleich er in
Friedenszeiten diente. Die Beschwö-
rungsformel aber ist hoher Wahrschein-
lichkeit nach für Peter Merz bestimmt
gewesen.
Der zweite text könnte von der gleichen
Hand wie der obige stammen:
»Schußstellung.
Es sind 3. heilige Blutstropfen Gott dem
Herrn über sein heiliges Angesicht
geflossen, die 3. heilige Blutstropfen sind
vor das Zündloch geschoben, so rein als
unsere Liebe von allen Männern war,
ebenso wenig soll ein Feuer oder Rauch
aus dem Rohr gehen. Rohr gieb du weder
Feuer noch Flamme noch Hitze, jetzt gehe
ich aus dem Gott der Herr geht vor mir
hinaus, Gott der Sohn ist bei mir, Gott der
heilige Geist, schwebt um mir alle Zeit.
Amen.
In Gottes namen, preise ich an mein
Erlöser welche mir beistehen, auf die
heilige Hülfe Gottes verlasse ich mich von
Herzen grausam sehr, Gott mit uns allen,
Jeher [?] Heil und Segen [?], unter deinem
Schirm bin ich vor allen Sturme deiner
Feinde …. [unleserlich].
Freude [?] und Heiligkeit Gottes des
Vaters erquicke mich die Weisheit Gottes
des Sohnes erleuchte mich, die tugend
und Gnade Gottes des Heiligen Geistes
stärke mich bis zu der Stunde bis in [Rest
des Blattes ist abgeschnitten; Rückseite
ist als notizzettel für Berechnungen
genutzt].«
Solche Beschwörungstexte vermischten
Aberglaube mit christlicher Religiosität,
wie es in jener Zeit bei der Landbevölke-
rung üblich war. Beide Zettel drücken
aber auch die tiefe Sorge aus, den Krieg
ohne derartigen Beistand nicht heil
überstehen zu können.
Die allgemeine politische und militäri-
sche Lage, die in dieser Zeit das Schicksal
unendlich vieler Familien auch auf dem
Hunsrück beeinflusste, hatte sich deutlich
zu ungunsten napoleons gewendet. War
er noch Mitte 1812 unumstößlicher Herr-
scher über Europa gewesen, so begann
seine Macht nach der verheerenden
niederlage seiner Armee in Russland zu
wanken. Erst im Dezember 1812, als
napoleon selbst aus Russland über Mainz
nach Paris gereist war, drangen auch die
nachrichten von der niederlage nach und
nach in die Öffentlichkeit. Der Verlust
seiner Großen Armee nötigte den Kaiser
zu immer weiteren Aushebungen. Im
Januar 1813 wurde die Aushebung von
350 000 Mann angeordnet sowie verfügt,
dass 100 000 Mann der nationalgarde in
das aktive Heer zu überführen seien.
oSt / GB
138
BERIcHt ZuM ScHIcKSAL
DES KÖnIG LIcHEn WEStPHäLIScHEn
GARDE JäGERREGIMEntS
IM JAHR 1812
Friedrich Michael Peine (Lebensdaten unbekannt)
Wolmirstedt
14. Juli 1844
MHM
Das Blatt ist auf der Rückseite eines Bil-
derrahmens befestigt. Dessen Schauseite
zeigt eine Szene des Übergangs der Gro-
ßen Armee über die Beresina vom 26. bis
zum 29. november 1812 in der Darstel-
lung eines unbekannten Künstlers. Der
Druck stammt aus dem »conversations-
blatt«, Beilage nr. 8 zu nr. 32, um 1844.
Peine war ein Veteran des napoleoni-
schen Russlandfeldzugs und der Befrei-
ungskriege, als einer von neun seines
ursprünglich 861 Mann starken Regiments
aus Russland heimgekehrt. Er mahnt,
seiner Leiden und der Leiden seiner
Kameraden zu gedenken. Die Überleben-
den könnten auf gegenseitige Hilfe bauen,
denn die Erfahrung des Krieges habe sie
auf immer verbunden. GB
139
»DES REItERS ABScHIED
Von SEInEM RoSS«
Friedrich August Schneider (1799 – 1855)
1812, Aquarell, 21,2 × 23,6 cm
Kupferstich-Kabinett,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
137.2
138
98 V E R W A H R Lo S u n G , K R A n K H E I t, V E R W u n D u n G , G E FA n G E n S c H A F t99
Napoleonische Heere trugen die prächtigsten uniformen der Militärge
schichte. Dieser Glanz verblasste im Verlauf eines Feldzugs schnell. Die
Bekleidung der Mannschaften war von schlechter Qualität. Schuhe lös
ten sich rasch auf, Mäntel und Hosen zerschlissen. Die Träger dieser
Monturen litten unter den Anstrengungen endloser Märsche, unter
Durst, Hunger, unter Schmutz, Parasiten und Krankheiten. 1813 tötete
der Typhus Zehntausende Soldaten und Zivilisten. Nach Schlachten blie
ben Verwundete oft tagelang unversorgt. Es gab zu wenig Ärzte und gut
eingerichtete Lazarette. um Wundinfektionen zu verhindern, wurden
verletzte Gliedmaßen meist amputiert. Schmerzmittel gab es nicht.
Kriegsgefangene wurden 1813 auf dem deutschen Kriegsschauplatz ge
nerell gut behandelt. offiziere entbehrten gewöhnlich nichts außer ih
rer Bewegungsfreiheit. Kombattanten, die nicht als reguläres Militär
anerkannt waren, mussten jedoch Misshandlungen fürchten. GB
V E r W A H r L o S u N G ,
K r A N K H E I T, V E r W u N D u N G ,
G E FA N G E N S c H A F T
140
GRAVIERtE MEtALLPLAKEttE
An EInER ARMPRotHESE FÜR
EInEn AnGEHÖRIGEn DER VELItEn
DER BERIttEnEn JäGER
DER KAISER LIcHEn GARDE
MHM
Auf der gezeigten Metallplakette befindet
sich eine Gravur, welche ort und Datum
der Verwundung festhält. Der unbekannte
träger der Armprothese wurde am
8. Dezember 1810 zwischen colgrenar
und cautalojas in Spanien angeschossen.
Vermutlich musste ihm nach dem Durch-
schuss der Arm amputiert werden. IB
141
KoSAKEn unD FRAnZÖSIScHE
KRIEGSGEFAnGEnE
Heinrich Gaede (Lebensdaten unbekannt, um 1814)
1814, Öl auf Leinwand, 38 × 53 cm
MHM
Der ort und eine Datierung dieser Szene
sind nicht überliefert. Die Landschaft im
Hintergrund legt allerdings nahe, dass es
sich hier um eine Episode im Gefolge der
Schlacht bei Kulm in Böhmen handeln
könnte. Dort war das französische Korps
des Generals Vandamme bei der Verfol-
gung der zuvor bei Dresden geschlagenen
Alliierten nahezu vernichtet worden.
neben dem Kommandeur gerieten
zahlreiche französische Soldaten in
Gefangenschaft. GB
142
FRAnZÖSIScHER VERWunDEtEn-
tRAnSPoRt
(aus einer Mappe mit 12 Radierungen
»Kriegsscenen aus den Jahren 1813 bis 1815«)
Leopold Beyer (1789 – 1877)
o. J., kolorierte Radierung, 12,9 × 15,7 cm
Kupferstich-Kabinett,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
143
GRuPPE ZERLuMPtER
FRAnZÖSIScHER SoLDAtEn
(aus einer Mappe mit 12 Radierungen
»Kriegsscenen aus den Jahren 1813 bis 1815«)
Leopold Beyer (1789 – 1877)
o. J., Radierung, 17,7 × 21,6 cm
Kupferstich-Kabinett,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
144
FRAnZÖSIScHE FÜSILIERE tRAGEn
EInEn VERWunDEtEn
(aus einer Mappe mit 12 Radierungen
»Kriegsscenen aus den Jahren 1813 bis 1815«)
Leopold Beyer (1789 – 1877)
o. J., Radierung, 17,7 × 21,6 cm
Kupferstich-Kabinett,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
145
»DER GEnERAL MoREAu
VERWunDEt oHnWEIt
DRESDEn DEn 27. AuG. 1813.«
christian Gottfried Heinrich Geißler (1770 – 1844)
um 1813, kolorierte Radierung, 15,3 × 22,1 cm
Kupferstich-Kabinett,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
140
141
100K R I E G S A L LtA G V E R W A H R Lo S u n G , K R A n K H E I t, V E R W u n D u n G , G E FA n G E n S c H A F t101
146
»EIn EDLES tEutScHES MäDcHEn
REttEt AM 5. noV. 1813
EInEn AM SPätEn ABEnD
nocH VoR DEM HoSPItAL HÜLFLoS
LIEGEnDEn KRAnKEn FRAnZoSEn
IM AnGESIcHt SEInER HARt-
HERZIGEn KAMERADEn
VoM WAHRScHEInLIcHEn toDE«
(Blatt 14 aus der Serie
»Dresdens not und Elend 1813«)
Alexander Sauerweid (1783 – 1844)
o. J., Radierung, 14,9 × 19,7cm
Kupferstich-Kabinett,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
147
GEFAnGEnE
Leopold Beyer (1789 – 1877)
o. J., Radierung, 12,5 × 15cm
Kupferstich-Kabinett,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
148
»WEGRäuMunG DER toDtEn
BEyM GRoSSEn GARtEn«
unbekannter Künstler
um 1813, Radierung, 11,6 × 18,2 cm
Kupferstich-Kabinett,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
149
»EPIDEMIScHE KRAnKHEItEn
unD StERBEn VERGRÖSSERn DAS
unGLÜcK DER BEDRänGtEn StADt«
(Blatt 18 aus der Serie
»Dresdens not und Elend 1813«)
Alexander Sauerweid (1783 – 1844)
1813, Radierung, 14,8 × 19,7 cm (beschnitten)
Kupferstich-Kabinett,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Das Blatt zeigt trauerzug, Leichenber-
gung und Sterbende vor dem Johanneum
während der Belagerung Dresdens durch
die Alliierten im Spätherbst 1813. GB
149146
102
Zwischen 1792 und 1815 leisteten nach heutigen Schätzungen etwa 4,5
Millionen Europäer Militär und Kriegsdienst. Die Konflikte der Franzö
sischen revolution und Napoleons wurden von Massenheeren ausge
fochten. Viele überlebende schrieben ihre Erinnerungen nieder oder
erzählten sie weiter. Von anderen Veteranen blieben hingegen nur ihre
Namen erhalten. unter den Angehörigen der Heere des napoleonischen
Zeitalters befanden sich so viele des Schreibens und Lesens Kundige,
dass nicht nur offiziere zu berichten vermochten, was sie erlebten. Die
Biografien der Kombattanten der Epoche repräsentieren einen Quer
schnitt der Menschen, die damals unter Waffen standen. Viele offiziere
waren Berufssoldaten. Manche waren aber auch aus einfachen Verhält
nissen bis zum General oder Marschall aufgestiegen. Andere wechsel
ten die Dienstherren wie in der Blütezeit des Söldnerwesens. Viele Ar
meen wurden dennoch durch die Anwendung der Wehrpflicht immer
mehr zu Völkerheeren. Allerdings gab es weiterhin Ausnahmeregelun
gen, die es Begüterten erlaubten, sich durch die Stellung gekaufter Er
satzleute der Einberufung zu entziehen. GB
B I o G r A F I E N
150
nAPoLEon I., KAISER
DER FRAnZoSEn
unD KÖnIG Von ItALIEn
In unIFoRM
unbekannter Künstler
erste Hälfte 19. Jahrhundert
Öl auf Leinwand, 40,2 × 30,8 cm
Lutz Reike
Das Gemälde wurde im Dresdner Kunst-
handel erworben, ist aber keiner histori-
schen Sammlung zuzuordnen. Vermutlich
lag ihm als Vorlage der Stich eines Brust-
bildes zugrunde, das Robert Lefèvre
(1755 – 1830) wohl um 1806 gemalt hatte.
Den in der Vorlage barhäuptigen napo-
leon versah der Schöpfer dieses Bildes
mit einem Zweispitz. Die Farbgebung des
Rocks ist nicht korrekt, wohl weil der
Stich nach dem Gemälde Lefèvres, auf
dem napoleon die uniform eines obers-
ten der Gardegrenadiere zu Fuß trägt,
nicht koloriert war. Der Künstler besann
sich offenbar auf die gleichfalls häufig von
napoleon getragene Montur eines obers-
ten der Gardejäger zu Pferd. Allerdings
gab er sie nur unvollkommen wieder: Der
Rock war grün, inklusive der Rabatten,
die hier weiß dargestellt sind. Die golde-
nen tressen an den ärmelaufschlägen
sind eine Erfindung des Künstlers.
Porträts dieser Art waren im 19. Jahrhun-
dert sowohl in adeligem als auch bürger-
lichem Besitz weit verbreitet. Sie verwie-
sen nicht zwangsläufig auf persönliche
Beziehungen der Auftraggeber zu den
dargestellten Personen. Vielmehr drückte
man, wenn man solche Porträts in priva-
ten Räumen aufhängte, politische Gesin-
nungen aus oder verwies schlicht darauf,
dass man selbst in einer bemerkenswer-
ten Epoche lebte. GB
150
104K R I E G S A L LtA G
151
unIFoRM DES FRIEDRIcH AuGuSt
PEtER Von coLoMB (1775 – 1854)
Dolman, Flügelmütze, Säbeltasche,
Säbel, Zaumzeug
Anfang 19. Jahrhundert
Familienarchiv von colomb
Der aus ostfriesland stammende von
colomb begann seine militärische Lauf-
bahn 1792 im preußischen 2. Husaren-
regiment von Eben und Brunnen (vormals
von Zieten). 1813 stellte er aus aktiven
Soldaten und Freiwilligen Jägern des
1. Brandenburgischen Husarenregiments
ein Streifkorps auf. Diese nur knapp neun-
zig Mann starke, äußerst mobile truppe
fügte dem französischen nachschub im
Vogtland schwere Verluste zu. Der um-
sicht colombs und der Disziplin seines
Korps war es zu verdanken, dass es kaum
eigene tote und Verletzte zu verzeichnen
hatte. Den größten Erfolg errangen co-
lombs Kavalleristen am 29. Mai 1813 bei
Zwickau, als sie einen französischen
Artilleriepark erbeuteten und seine Bede-
ckung zum Großteil gefangen nahmen. GB
152
tScHAKo, WEStE unD PELZJAcKE
MIt DEn RAnGABZEIcHEn
EInES oBERStEn,
GEtRAGEn Von JEAn-BAPtIStE
AntoInE MARcELLIn,
BARon DE MARBot (1782 – 1854)
Kaiserreich Frankreich, um 1812 – 1815
Musée de l’Armée, Paris
Marbot, dessen berühmte Memoiren
erstmals 1891 erschienen, gilt als typi-
scher »Haudegen« der Epoche: elegant
bis zur Extravaganz und ebenso kühn wie
aufschneiderisch. Husar ab 1799, diente
er von 1803 bis 1809 als Adjutant der
Generale bzw. Marschälle Augereau, 151
152 ®
brachendieHeerederantifranzösischenKoalitiondieVorherr
schaftNapoleonsüberMitteleuropa.Deutschlandwareinerderwichtigsten
SchauplätzedieserEreignisse.EntlangderMarschroutenderHeereundanden
OrtenvonSchlachtenhabensichzahlreicheRelikteerhalten,dazuDinge,deren
BedeutungaufLegendenbildungundVerklärungbasiert.
Über500ObjekteausöffentlichenundprivatenSammlungeninDeutschland,
Frankreich,ÖsterreichundBelgienwerdenhiergezeigtundbeschrieben.Neben
Uniformen,Feldzeichen,WaffenundKuriositätenfindensichpersönlicheZeug
nissevonMenschen,dieindenStromderEreignissegerieten.EinBereichsetzt
sichmitderminiaturisiertenDarstellungderSoldatenundSchlachtenderNa
poleonischenKriegeauseinander:mitPapiersoldateninUniformenderGroßen
ArmeeNapoleons,mitDioramen,ModellenundEinzelfiguren.
DerKatalogbieteteinenÜberblickdarüber,wieundinwelchenMediendie
ErinnerungandieBefreiungskriegebisheuteüberliefertist.
sandste i nISBN9783954980369
1813
Ka
talo
gB
lutig
e Rom
antik
Recommended