9. November 2009 KURZE WIEDERHOLUNG Die lateinische Grammatikographie der Neuzeit

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9. November 2009

KURZE WIEDERHOLUNGDie lateinische Grammatikographie der Neuzeit

DIE ANFÄNGE DER ITALIENISCHEN GRAMMATIKOGRAPHIE IM 15. JH.Leon Battista Albertis

Grammatichetta im sozio-kulturellen Kontext

Der sozio-kunturelle KontextDer Humanismus

Die philologische Beschäftigung mit antiken TextenDie Rekonstruktion des Lateinischen der klassischen Antike

(Goldene Latinität)Die Forderung nach der Modellhaftigkeit der klassischen

Latinität und die Reaktion der Gegner Die Frage nach der Beschaffenheit des Lateinischen in der

AntikeDie Frage nach der Entstehung des VolgareDie allmähliche Wiederaufwertung des Volgare

Der sozio-kulturelle Kontext

Der Humanismus (it. umanesimo)umanesimo latinoumanesimo volgare

Humanismus -Definitionhttp://www.umanesimo.com/ “L'Umanesimo è quell'epoca,

identificata col Quattrocento italiano, che segna l'uscita dal Medioevo in campo culturale e l'inizio del Rinascimento in cui l'uomo sarà il punto di riferimento dell'intera realtà.”

Humanismus - Merkmalehttp://www.umanesimo.com/ “Caratteristiche principali di

questo movimento sono: la riscoperta, da parte degli intellettuali, dei testi classici latini e greci e il conseguente superamento degli ideali medievali quali erano ad esempio quelli di un impero universale o di una religiosità’ troppo legata a riti e norme che poco rispecchiavano l’essenza vera del cristianesimo.”

Humanismus - Merkmalehttp://www.umanesimo.com/ „Tale corrente investì molti

campi del sapere. In particolare la letteratura umanista si basa sul concetto di imitazione e si sviluppa quasi interamente partendo dalle tematiche e dal linguaggio dei grandi scrittori antichi. “

Der HumanismusHalten wir folgende Merkmale des Humanismus fest:

Überwindung der Ideale und Wertvorstellungen des Mittelalters

übrigens: auch der Begriff des Mittelalters (lat. medium aevum) stammt von den italienischen Humanisten

Der Mensch rückte stärker ins Zentrum des InteressesBeschäftigung mit der klassischen Antike … und zwar nicht nur der lateinischen, sondern auch der

griechischen …

und ihre Protagonisten

Die Frage nach der Norm des LateinischenVerwendung des Mittellateinischen vs. Orientierung an

den Vorbildern der klassischen AntikeDiese Problematik entstand aus der gelungenen

Rekonstruktion der klassischen Latinität

In Abhängigkeit von jeweiligen Sprachideal

Wie sprachen die alten Römer?

Der situative Kontext des wissenschaftlichen DisputesIm März 1435 diskutiertenLeonardo Bruni und Flavio Biondo im Vorzimmer des Papstes Eugen

IV. (im Florentiner Exil)über die Beschaffenheit der

lateinischen Sprache in der Antike und Spätantike und ihr Verhältnis zum volgare.

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Wie sprachen die alten Römer?

Leon Battista Alberti

Zeuge des wissenschaftlichen Disputes war auch Leon Battista Alberti

… doch hierzu mehr an späterer Stelle …

Die sprachhistorische Auffassung von Leonardo Bruni (An vulgus et litterati…)

• Apud veteres: bei den Alten, d.h. in der Antike

• unum (…) sermonem omnium: nur eine einzige Sprache, d.h. das Lateinische

• nec alium vulgarem, alium litterarium: keine Vulgärsprache, nur die Gelehrtensprache (= klass. Latein)

• Ego autem (…) distinctam fuisse vulgarem linguam a litterata existimo: Ich bin der Auffassung, dass die Vulgärsprache von der Gelehrtensprache verschieden war

16http://www.bibliotecaitaliana.it/repository/bibit/bibit000097/bibit000097.xml

Die sprachhistorische Auffassung von Leonardo Bruni

Hinweis auf die Unterschiede morphosyntaktischen, semantischen und phonetischen Unterschiede zwischen der „latina lingua“ und der „[lingua] vulgaris“

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Leonardo BruniDie Zwei-Sprachen-These

BrunisArgumentation

Das Volgare ist ebenfalls antiken Ursprungs und hat daher das Recht, mit dem Lateinischen zu konkurrieren

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Latein Volgare

Antike

Mittelalter

Neuzeit

Die sprachhistorische Auffassung von Flavio Biondo (De verbis romanae locutionis)

„barbarica mixtam loquelam habeamus vulgarem“:

die (ital.) Volkssprache ist durch den Kontakt mit den Barbaren (Germanen) entstanden

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http://www.uan.it/alim/letteratura.nsf/(testiID)/D962B070E2A9AEEEC12573E700689E7A!opendocument

Flavio Biondo Die Korruptionsthese Biondosdas Volgare ist aus einer

Mischung zwischen Latein und Gotisch/Langobardisch entstanden und daher minderwertig

Bevorzugung des Lateinischen, aber in modernisierter Form

Aber keine sklavische Imitation der Sprache Ciceros (im Gegensatz zu Lorenzo Valla)

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Diglossie

Antike

Völkerwanderung

Germanisch

Late

inVo

lgar

e

Mitt

elal

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Neuzeit

Korru

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… und ihre Konsequenzen – vom umanesimo latino zum umanesimo volgare

Lorenzo Valla (Rom, 1405/1407 – 1457)

Elegantiarum Latinae linguae libri VI (1471)

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Lorenzo VallaBegründer der TextkritikHat die sog. konstaninische Schenkung (Kirchenstaat)

aufgrund der schlechten Qualität des Lateinischen als mittelalterliche Fälschung

Kritiker der Scholastik und des scholastischen mittelalterlichen Lateins

Überlegenheit der lateinischen Sprache gegenüber dem Volgare

Grammatik als ars recte loquendi – d.h. als Lehre des guten Sprachgebrauchs

Die Rekonstruktion der klassischen Latinität und ihre Konsequenzen… Die Texte der modellhaften lat. Autoren gewinnen an

Bedeutung Dieses System wird später auf das Volgare

übertragen (Vorbildcharakter der Trecentisten) Durch die gelungene Rekonstruktion der klassischen

Latinität wird das Lateinische zur wirklich „toten Sprache“, da sie im Prinzip keine lexikalischen und semantischen Innovationen mehr zulässt

Dadurch gewinnt das Volgare zunehmend an Bedeutung, während die Bedeutung des Lateinischen mittel- und langfristig schwindet

zwischen Tradition und Innovation

Die Auseinandersetzung mit Dante und Petrarca

Leonardo BruniLeonardo Brunis Verhältnis

zum VolgareBiographien von Dante

Alighieri und Francesco Petrarca in toskanischer Sprache

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Druckausgabe aus dem 16. Jahrhundert

Leonardo BruniAuch in seinen (in lateinischer

Sprache vervassten) Dialogi ad Petrum Paulum Histrum setzt sich Bruni u.a. für die literarische Verwendung der (florentinisch geprägten) Volkssprache ein .

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Leon Battista Alberti – Leben und Werk

- *1404 in Genua - † 1474 in Rom- Die Familie Alberti war eine

florentinische Kaufmannsfamilie- 1420-25: Jurastudium in Bologna- ab 1428 kirchliche Laufbahn- Alberti ist „Universalgelehrter“,

d.h. vielseitig begabt und interessiert

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Leon Battista Alberti – Leben und Werk- Kunsttheoretische Schriften: - erste moderne Abhandlungen über Malerei und

Perspektive, Bildhauerei und Architektur - Literatur und Sprache- Alberti war der erste Verfasser einer italienischen

Grammatik: - La Grammatichetta vaticana bzw. Grammatica della lingua

toscana- Naturwissenschaften: Landvermessung, Mathematik - Bauten in Rimini, Florenz, Mantua

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Leon Battista Alberti – Leben und Werk

Die Fassade von Santa Maria Novella (Florenz)

Leon Battista Alberti – Leben und Werk

Die Fassade des Palazzo Rucellai (Florenz)

Leon Battista Alberti – Leben und Werk

Tempio Malatestiano (Rimini)

Leon Battista Alberti – Leben und WerkLiterarische Schriften Fachwissenschaftliche Traktate

- Philodoxeos (etwa 1422/24)- De commodis litterarum atque

incommodis (1428) - Momus oder De principe (1443-

50) - I libri della famiglia (ca. 1433-

40) - Theogenius (1442)

- De statua - De pictura (1435)- De re aedificatoria (etwa

1452/55)- Descriptio urbis Romae - Ludi matematici (1451-52) - De componendis cifris (1466)

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Leon Battista Alberti und das zeitgenössische Volgare

Organisator eines Certame coronario (1441), eines Dichterwettbewerbs zum Ruhme des Florentiner Volgare

Schirmherr: Piero de‘ Medici (Vater von Lorenzo il Magnifico)

AustragungsortSanta Maria del Fiore (Dom) in

Florenzam Ende wurde kein Sieger gekürt es kam zu Polemiken

Pier

o de

‘ Med

ici

Die Grammatichetta - keine Rezeption im 15./ 16. Jh.- 1850 fand A. Torri im Codice Vaticano Reginense

Latino 1370 eine Kopie eines Originalmanuskripts aus der Bibliothek von Lorenzo de‘ Medici

- 1908 veröffentlichte Ciro Trabalza den Text der Grammatichetta Vaticana erstmals im Anhang seiner Storia della Grammatica Italiana.

- Lange Zeit gab es eine Diskussion über die Autorschaft

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Die Grammatichetta - Entstehung nach 1435- deskriptive Ausrichtung - keine vollständige Beschreibung- die Grammatikbeschreibungen der spätantiken lat.

Autoren Priscianus und Donatus dienten als Vorbild

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Die Grammatichetta

Vorwort (Kopie des frühen 16. Jhs.)

Que' che affermano la lingua latina non essere stata comune a tutti e' populi latini, ma solo propria di certi dotti scolastici, come oggi la vediamo in pochi, credo deporranno quello errore vedendo questo nostro opuscolo, in quale io raccolsi l'uso della lingua nostra in brevissime annotazioni.

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Die Grammatichetta

Vorwort (Kopie des frühen 16. Jhs.)

Qual cosa simile fecero gl'ingegni grandi e studiosi presso a' Greci prima e po' presso de e' Latini, e chiamorno queste simili ammonizioni, atte a scrivere e favellare senza corruttela, suo nome, grammatica. Questa arte, quale ella sia in la lingua nostra, leggetemi e intenderetela.

Die Grammatichetta - Indirekte Bezugnahme auf den Disput zwischen Flavio

Biondo und Leonardo Bruni im Jahre 1435- Biondo: Völkerwanderung hat den Verfall der

lateinischen Sprache verursacht- Bruni: es gab schon in der Antike eine Form des Volgare- Alberti schloss sich der Debatte an (Proemio zum 3.

Buch des Traktats Della famiglia) sowie im Vorwort zur Grammatichetta

- er teilte die sprachhistorische Auffassung Flavio Biondos, aber setzte sich wie Leonardo Bruni für eine Wiederaufwertung des Volgare ein

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Die Grammatichetta Zielsetzung und Absicht

Alberti wollte zeigen, dass das Toskanische ebenso wie das Lateinische über eine grammatische Struktur verfügt

Die moderne Volkssprache kann von derselben Qualität wie das Lateinische sein

Wiederaufwertung des Volgare, aber nicht auf der Grundlage der Literatur des 14.

Jahrhunderts, sondern der modernen Sprache

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Aufbau und Struktur- Vorwort- Alphabet und Vokalsystem - Morphologie (unterteilt nach Wortarten): - nome- articolo- pronome- verbo- preposizione- avverbio- interiezione- congiunzione - Nachwort

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7. Ausgewählte InhalteDas lateinische Alphabet kann die toskanischen Silben

und Wörter nicht ausreichend wiedergeben

Ordine delle letterei r t d b vn u m p q gc e o a x z

l s f ç ch gh

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Vocali

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- Unterscheidung zwischen u und v - Akzente zur Unterscheidung zwischen offen und

geschlossenen Vokalen - Unterscheidung zwischen palatalen und velaren

Okklusiva: c und g: palatal ch und gh: velar

- Unterscheidung zwischen stimmhaftem und stimmlosem Frikativ z: ç: stimmlos z: stimmhaft

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Kasusflexion der Substantive

EL cielo, DEL cielo, AL cielo, EL cielo, O cielo , DAL cielo

Dieselbe Reihenfolge der Fälle wie in den Institutiones: Nom., Gen., Dat., Akk., Vok., Abl.

Es fehlt die Wortart Adjektiv

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Das Florentinische des Quattrocento

Das Florentiner Volgare im 15. Jahrhundert

Sprachlicher Wandel – rasche Entfernung von der Sprache der Trecentisten

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Das Florentiner Volgare im 15. JahrhundertDie Literatur des Quattrocento nahm zahlreiche

Innovationen aus der gesprochenen Umgangssprache sowie anderer toskanischer Dialekte auf und entfernte sich somit zunehmend von der Sprache Boccaccios und Petrarcas, die später von Pietro Bembo im frühen Cinquecento für modellhaft erklärt wurde.

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Das Florentiner Volgare im 15. JahrhundertInnovationen des 14. Jahrhunderts Die Endung -emo ist von -iamo weitgehend verdrängt

worden, aber noch nicht völlig außer Gebrauch (z.B. avemo bei Boccaccio).

Die Pronomina lei und lui wurden bereits im Nominativ verwendet, stellten aber noch nicht den Normalfall dar.

Die Endung der ersten Person Singular Indikativ Imperfekt lautete noch -a (io aveva, era, amava etc.).

Die Passato-remoto-Endungen -aro, -ero, -iro wurden durch -arono, -erono und -irono ersetzt.

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Das Florentiner Volgare im 15. JahrhundertEine intensive Veränderung manifestiert sich im

ausgehenden 14. Jahrhundert und beherrscht das gesamte 15. sowie das beginnende 16. Jahrhundert.

Manni (1979) hat nicht weniger als 38 morphosyntaktische Innovationen beobachtet (vgl. die Zusammenfassung in Alberti/Patota 1996, LII-LIII).

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Das Florentiner Volgare im 15. Jahrhundert Zu den markantesten Merkmalen gehören die

Ausdehnung von el auf Kosten von il (ohne dieses jedoch völlig zu verdrängen),

die Verwendung invariabler Possessivpronomina (Sg. mie, tuo, sua; Pl. mia, tua, sua),

die Ersetzung von -ano durch -ono (lavono), die durch Analogie mit dem Präsens entstandene erste Person Singular Imperfekt auf -o (io lavavo statt io lavava),

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Das Florentiner Volgare im 15. Jahrhundert Ersetzung der Passato-remoto-Endung -arono

durch -orono und -orno, Ersetzung von -iamo durch -iano in der ersten Person

Plural (laviano statt laviamo), Ersetzung von -ero durch -eno im Passato remoto,

Konditional und Konjunktiv Imperfekt (disseno, lavasseno, laverebbeno statt dissero, lavassero, lavarebbero) etc.

Diese innovativen Formen alternierten je nach Autor mit den älteren.

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