Bense 1960 Grundlagenforschung Und Existenzbestimmung

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    Max Bensein: Merkur 14 ( I I ) , 1960, 687-690

    GRUNDLAGENFORSCHUNG UND EXISTENZBESTIMMUNG

    Sucht man heute den Sinn und die Aufgabe der Philosophie im Rahmen dertechnischen Zivil isation zu bestimmen, so stt man vor allem auf zweiThemenkreise: Philosophie als Grundlagenforschung und Philosophie alsExistenzforschung. Spezielleren Problemstellungen zugewendet, spricht man auchvon Wissenschaftstheorie und Existenzphilosophie.

    Philosophie als Grundlagenforschung dient der Untersuchung der logischen,erkenntnistheoretischen und seinstheoretischen Fundamente und Methoden in deneinzelnen Wissenschaften, vor allem in der Naturwissenschaft und Mathematik,neuerdings aber auch in der Linguisik und sthetik. Philosophie alsExistenzforschung versucht eine Bestimmung des Wesens und desSelbstverstndnisses menschlichen Daseins, sofern es uns selbst bewut wird, alsonicht in einem physisch-vitalen, sondern in einem metaphysisch-geistigen Sinne.

    Es ist leicht einzusehen, da sowohl die Grundlagenforschung wie auch dieExistenzforschung im Rahmen der technischen Zivil isation von groer Bedeutungsind. Denn diese Zivil isation hat einerseits eine ausgesprochen wissenschaftl icheGrundlage, an deren rationaler Sicherheit oder Widerspruchsfreiheit bestndiggearbeitet werden mu, wenn die technischen Mglichkeiten erweitert undvervollkommnet werden sollen. Andererseits aber sieht sich der Mensch mehr undmehr in eine Welt gestellt, die er selbst hervorgebracht hat und deren Strukturenund Konsequenzen er selbst verantworten mu, und eine solche Verantwortung istnur mglich, wenn sich der Mensch ber sein eigenes inneres und ueres Daseinim klaren ist. Die zunehmende Technizitt der Welt bentigt auch die greremetaphysische Klarheit.

    Doch ist die Philosophie, die ja programmatisch auf eine Vereinbarung desGegenstzlichen und Unterscheidbaren aus ist, auch daran interessiert, zwischender philosophischen Grundlagenforschung und der philosophischenExistenzforschung zu vermitteln. Ihrer ganzen traditionellen und methodischenVeranlagung nach knnte sie auf die Dauer einer derartigen Trennung ihrerAufgabenstellung nicht zustimmen. Es widersprche ihrem Universalittsanspruch.

    Ich finde nun, da Gotthard Gnther, der, aus Deutschland stammend, jetzt inAmerika arbeitet, einer der ganz wenigen modernen Philosophen ist, die nicht nurdie grundlegende Wichtigkeit jener beiden philosophischen Aufgaben im Rahmenunserer technischen Zivil isation begriffen haben, sondern auch erfolgreich dasProblem ihrer Vereinbarung, als der Vereinbarung von Grundlagenforschung undExistenzbestimmung, in Angriff genommen haben. Dabei zeichnet sich dasbisherige Werk Gnthers durch eine groe Kontinuitt aus. Schon in den"Grundzgen einer neuen Theorie des Denkens in Hegels Logik", die 1933 inLeipzig erschienen, l iegen die Anstze zu "Idee und Grundri einernicht-Aristoteli8chen Logik" vor, offenbar dem Hauptwerk dieses Philosophen,dessen erster Band Ende des vorigen Jahres publiziert worden ist (Felix Meiner,Hamburg 1957). Dazwischen gibt es den berhmten Aufsatz "Logistik undTranszendentallogik", der 1940 in der "Tatwelt" verffentlicht wurde, einige

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    logistische Spezialarbeiten und vor allem "Das Bewutsein der Maschinen' ' , das1959 wieder in Deutschland herauskam (Agis, Krefeld),

    Das eigentl iche Problem, das Gnther in seinen Publikationen mit zunehmenderDeutlichkeit formuliert und das er, sehr methodisch, gleichzeitig mit logistischenund metaphysischen Mitteln darzustellen und zu lsen versucht, lt sich, etwasvereinfacht, etwa folgendermaen beschreiben: Wir mssen von einer Wissenschaft,genauer von einer wissenschaftl ichen Theorie verlangen, da ihre Stzewiderspruchsfrei und vollstndig aufgebaut werden knnen. Es darf also nicht sosein, da mit Hilfe der Regeln der Logik innerhalb einer Wissenschaft oder einerTheorie zwei einander widersprechende Stze bewiesen werden knnen, und es darfweiterhin auch nicht der Fall sein, da in einer solchen Wissenschaft oder Theoriepltzlich Stze erscheinen, von denen es unmglich ist zu entscheiden, ob sie wahroder falsch sind. Denn es ist klar, da das Auftreten von Widersprchen undunentscheidbaren Stzen das gesamte Gefge einer Wissenschaft oder Theorie insWanken bringen wrde. Wissenschaft beruht ja wesentlich darauf, wahre vonfalschen Stzen zu trennen, die Unsicherheit der menschlichen Aussagen zumindern, die Ungewiheit mehr und mehr aufzuheben. Es kommt also fr dieGrundlagenforschung oder die Wissenschaftstheorie darauf an, Kriterien zu haben,durch die die Widerspruchsfreiheit und die Vollstndigkeit aller ihrer Stze imSinne der Entscheidbarkeit sichergestellt werden kann. Nun ist aber durch diebeiden groen in Amerika lebenden Logiker und Mathematiker Kurt Gdel undAlonzo Church schon in den dreiiger Jahren unseres Jahrhunderts bewiesenworden, da diese wichtigen Ziele prinzipiell nicht erreicht werden knnen, da esalso immer die Mglichkeit gibt, in einer Theorie Widersprche zu konstruieren,da sie immer unentscheidbare Stze enthlt, also im strengen Sinne niemalsvollstndig aufgebaut werden kann. Fr den Fortgang der Wissenschaften in einempraktischen Sinne ist dieses sensationelle Resultat nicht so niederschmetternd wiefr den Philosophen, der ber die Festigkeit in den Grundlagen der Wissenschaftenzu wachen hat. Fr die philosophische Grundlagenforschung bedeuteten dieberhmten negativen Theoreme von Gdel und Church geradezu eine intellektuelleKatastrophe.

    Gnther hat nun eigentlich als erster diese Katastrophe von einem philosophischenStandpunkt aus registriert und gedankliche Mittel entwickelt, ihr zu entgehen. Waser dabei tut, kann man zusammenfassend ganz einfach dahingehend formulieren,da man sagt, er rollt das gesamte Problem menschlicher Logik noch einmalinhaltl ich und metaphysisch auf, so wie die groen Begrnder der modernen Logik,Russell, Whitehead und Wittgenstein das Problem mathematisch und formalaufgerollt haben. Gnther begngt sich nicht wie die Mathematiker mit einer blotechnischen Begrndung der Logik, sondern er verlangt auch die metaphysische,und er sieht in der bloen Beschrnkung der Logik auf ihre formalen Mittel undihre operativen Verfahren die eigentliche Ursache fr jene Schwierigkeiten, die mitden Forderungen der Widerspruchsfreiheit, Entscheidbarkeit und Vollstndigkeitverbunden sind.

    Insbesondere der Ansatzpunkt zur Auflsung dieser Schwierigkeiten ist ganz undgar metaphysischer Natur. Gnther geht nmlich von einem gewissen Doppelantlitzmenschlicher Logik aus, das, wie er feststellt, indessen schon durch dieVernunftkrit ik Kants entdeckt worden sei. In der "Krit ik der reinen Vernunft", die1781 erschien, stellte Kant unter anderem ja auch formale und transzendentale

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    Logik gegeneinander. Dabei versteht er unter der formalen Logik jene Logik, die,angewendet in der natrlichen und wissenschaftl ichen Umgangssprache, als einfestes System von einsichtigen Regeln und Lehrstzen zur Beschreibung derobjektiven Welt seit Aristoteles entwickelt worden ist. In der modernenmathematischen Logik hat sie ihre bisher hchste Vollkommenheit gefunden.Dieser formalen Logik, die also, wie man sagt, eine "Logik fr Welt" ist, steht dietranszendentale Logik gegenber, die beschreiben soll, wie das Denken denkt, nichtwas das Denken denkt, und die also keine "Logik fr Welt" ist, sondern eine Logikals unmittelbare Selbstdarstellung des Denkens oder des dieses Denken tragendenBewutseins und Ichs.

    Gnther spricht, indem er diese Dinge unterscheidet, von zwei Arten vonReflexionen. Unter Reflexion versteht er dabei zunchst ganz einfach denbewutseinsmigen Vorgang des Denkens. Die erste Reflexion, also die erste Artdes Denkens, die unser Bewutsein durchluft, wendet sich der Spiegelung derbestehenden Welt in den Begriffen und Verknpfungen des Denkens zu. Diese ersteReflexion wird also beherrscht von einer formalen Logik fr Welt. Diese Logikzeichnet sich nun nach Gnther im Prinzip dadurch aus, da alle Stze, die ihrverfallen, die Eigenschaft besitzen, entweder wahr oder falsch zu sein, und zwar so,da das, was nicht wahr ist, eben falsch ist. Diese Eigenschaft wird auch. alsEigenschaft der Zweiwertigkeit bezeichnet und man spricht von einer zweiwertigenLogik. Die zweite Reflexion jedoch bezieht sich nicht auf die erkennbaren Dinge,sondern eben auf das Denken, sie fragt danach, wie das Denken eigentlich denke,d.h. also die zweite Art menschlichen Denkens, die es neben der ersten Art gibt,versucht, das Denken selbst zu denken, wie es Gnther ausgedrckt hat. DasEntscheidende seiner Darlegung besteht aber darin, da er zeigt, da diezweiwertige formale "Logik fr Welt" nicht ausreichend ist, um das Denken desDenkens zu beschreiben, sondern da dafr die von den mathematischen Logikernder dreiiger Jahre, nmlich von Post und Lukasiewicz geschaffene dreiwertigeLogik herangezogen werden mu, und in dieser dreiwertigen Logik haben die Stzenicht die Eigenschaft, nur wahr oder falsch sein zu knnen, sondern ihr logischerWert kann auch noch ein dritter sein, der etwa als mglich oder unbestimmtgedeutet werden kann. Doch knnen wir hier diese rein operativen Fragen natrlichnicht behandeln, sie gehren ins Gebiet der mathematischen Technik der Logik.Wichtig ist fr uns lediglich die Tatsache, da Gnther auch die transzendentaleLogik des Denkens des Denkens technologisch beschreibt und da er das Rstzeugdieser Beschreibung den bekannten dreiwertigen Logiken entnimmt. Aber damitallein ist es nicht getan. Gnther weist nach, da man bei Anwendung einerdreiwertigen Logik stets die zweiwertige, die der natrlichen Denkweiseentsprche, voraussetzen mu. Er deutet auf Grund dieser Voraussetzung hchstgenial die dreiwertige Logik um in eine dreimal zweiwertige Logik und nennt dasGanze Stellenwert-Logik. Er drckt mit diesem Terminus aus, da die gesamtenTechniken der dreiwertigen Logik, aus denen der zweiwertigen Logiken aufgebautwerden knnen, hnlich wie wir in unserem Zahlensystem in der dezimalenSchreibweise die Aufeinanderfolge der Einer, Zehner, Hunderter usw. durchStellenwerte bezeichnen knnen. Da Resultat des Buches besteht alsozusammengefat darin, da Gnther die transzendentale Logik als eine Logik desDenkens des Denkens aufbaut und mit seiner Stellenwert-Logik die Technik diesesDenkens des Denkens beschreibt. Diese transzendentale Stellenwert-Logik aber solldann weiterhin angewendet werden, um Licht in die von Gdel und Churchaufgedeckten prinzipiellen logischen Schwierigkeiten zu bringen.

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    Der Abschlu der ganzen Theorie einer solchen nicht-aristotelischen Logik ist demzuknftigen zweiten Band vorbehalten. Auch dieser zweite Band wird eine ebensotechnologische wie metaphysische Sensation werden. Doch nicht allein das: aucheine historische. Denn in glnzenden Interpretationen zu Fichte, Hegel undSchelling weist Gnther nach, da nicht nur die Unterscheidung zwischen formalerund transzendentaler Logik idealistischen Ursprungs ist, sondern da man bereits injener Epoche der deutschen Philosophie die Idee hatte, auch das Denken desDenkens, also die zweite Reflexion, wie Gnther sie nennt, nicht nur metaphysischzu bestimmen, sondern auch technologisch, also als bestimmbares Verfahrenmenschlichen Denkens zu beschreiben. Es ist klar, da sich Gnthers historischesAugenmerk dabei vor allem auf Hegels berhmte Dialektik richtet, die, ihresidealistischen Ballastes entkleidet, sowohl metaphysisch wie logisch neu begriffenwird. berhaupt kann man sagen, da nach Jahrzehnten uersten Mitrauensgegenber den als spekulativ abgewerteten Denkweisen der Fichte, Hegel undSchelling nicht nur Kant, sondern die gesamte Idee der transzendentalen Logik desdeutschen Idealismus wieder ernst genommen und in die Grundlagenforschungeingefhrt wird. Nicht nur die methodologischen Entdeckungen Gnthersvereinbaren also philosophische Grundlagenforschung und philosophischeExistenzforschung; vor allem auch die historischen Ausfhrungen, die seineverzweigten Untersuchungen begleiten, dienen dieser Aufgabe, die man, wie gesagt,gerade heute nicht vernachlssigen sollte.

    Max Bense

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    NACHWORT zu: "Beitrge zur Grundlegung eineroperationsfhigen Dialektik"

    Von Max BENSE

    Jedes Nachwort zu einem Werk fat Merkmale dieses Werks und seines Autorszusammen, die gem einem regulativen Prinzip ausgewhlt wurden, das nichtimmer ein Prinzip jenes Autors ist. Doch schon auf diese Weise wird dasspezifische Verhltnis dessen, der das Nachwort schrieb, zu dem bezeichnet, derdas Werk verfate. Eine solche Beziehung ist immer als der Versuch einerexperimentellen Auseinandersetzung mit den Gedanken eines Anderen zuverstehen. Denn nicht alles in der Rekonstruktion der "intell igiblen Welt" desAnderen - und jedes Verstehen ist eine solche Rekonstruktion - kann evident unddefinit iv sein. Aber wo das Definit ive und Evidente nicht vll ig erreichbar ist,beginnt die spekulative Kommunikation, die mit der sthetischen gemein hat, dasie nicht an jeder Stelle normiert oder konventionalisiert werden kann, besondersdann, wenn die Aporien, von denen die Rede ist, immer wieder die philosophischenFundamente streifen, und das ist in jedem der Aufstze Gotthard Gnthers der Fall.Da es Aufstze sind, erhht fr mich den experimentellen erkenntnistheoretischenReiz, der von ihrem Sujet ausgeht. Denn nach und nach mitraut man jederangekndigten Vollstndigkeit. Der Blick auf die Wahrheit setzt ein Facettenaugevoraus.

    Mario Bunge, der Physiker, sprach vom "technischen" Gebrauch, den man von derPhilosophie mache, wenn man heute gewisse Grundlagen der Physik erhellen wolle.Die Freunde Richard Montagues, die vor ein paar Jahren die "Selected Papers"dieses jung verstorbenen Logikers herausgaben, gaben ihnen den Titel "FormalPhilosophy". Gotthard Gnther, so scheint mir, hat beide Intentionen mit einerdritten, wahrscheinlich der ursprnglichsten, nmlich der "spekulativen"kombiniert, und diese dreifache Beziehung, besonders da sie sich aufinterdisziplinre Grundlagen erstreckt, kann wie selbstverstndlich durch denTerminus "nicht-Aristotelisch" charakterisiert werden, der im Titel der erstenzusammenfassenden Publikation "Idee und Grundri einer nicht-AristotelischenLogik" (1959) vorkommt. Bis zu diesem Werk wird Gnthers, brigens ebensoapplikative wie theoretisierende Denkweise, von der Vorstellung der"Mehrwertigkeits-Logik", wie sie am frhsten von Peirce, Post und Lukasiewiczerwogen wurde, beherrscht. Erst danach, um 1958, taucht die vll ig originaleKonzeption der "Stellenwert-Logik" auf, und beide Modifikationen knnen, wennauch in verschiedener Hinsicht, als "nicht-Aristotelische" Logiken bezeichnetwerden, was ihre formale Rekonstruktion betrifft. Aber ber die formalenunterschiedlichen Charakterisierungen der "Mehrwertigkeits-Logik" und der"Stellenwert-Logik" hinaus, gebraucht Gotthard Gnther beide zu einertechnologischen Interpretation kybernetischer Realisate, was sicherlich nicht imaristotelischen "0rganon" identif iziert werden kann. Ich wrde sagen, da dieSammlung der Aufstze Gotthard Gnthers die Vernderung der theoretischen undapplikativen Konzeption im Verhltnis zu "Idee und Grundri einernicht-Aristotelischen Logik" markant zum Ausdruck bringt, aber auch so, da derbergreifende Zusammenhang und die tieferliegendere Grundlage nicht unsichtbarbleibt.

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    Gotthard Gnther - Schlesier, Jahrgang 1900, ber Leipzig, Sdafrika (UniversittSteffenbosch), die Vereinigten Staaten (Universitt von Il l inois) als naturalisierterAmerikaner 1955 wieder nach Deutschland zu Vorlesungen in Hamburgzurckkehrend, wie aus seiner glnzenden "Selbstdarstellung im Spiegel Amerikas"(1975) zu erfahren ist - Gotthard Gnther also stellt in der angedeuteten Hinsichttatschlich eine neuartige philosophische Intell igenz dar. Es ist eine selteneVerbindung, wenn die Motivationen des Denkens zwischen historischer undtheoretischer Argumentation und in den dazwischen eingebetteten Spekulationentechnischer und theologischer Provenienz ihren entitativen Ort f inden. Diehistorisch-theologischen Motivation nen und Legitimationen seiner Argumentationreichen zweifellos in die Frhzeit zurck, als ihn die Schriften Heims, Spenglersund Sprangers beeindruckten. Hegels "Phnomenologie des Geistes" auf der einen,der substantiellen und seine "Wissenschaft der Logik" auf der anderen, dermethodologischen Seite vermitteln die "historische" der "theoretischen" Intell igenz,wie man leicht aus Gotthard Gnthers noch immer wichtigen Frhwerk "Grundzgeeiner neuen Theorie des Denkens in Hegels Logik" (1933) erkennen kann. Denndiese neue Theorie des Denkens, wie sie - so mu man jetzt sagen, um der von N.Hartmann vermuteten Zweideutigkeit des Gntherschen Titels zu entgehen - ausHegels "Logik" von Gnther prpariert wurde, ermglicht einen bergang von der"klassischen" Rationalitt (historisch-logisch ber der Epoche von Aristoteles biszum Idealismus definierbar) zu einer "trans-klassischen" Rationalitt, wie sie ebenvon Hegel wenn auch nicht formal und theoretisch, sondern inhaltl ich undspekulativ antizipiert worden sei. Die historisch-systematische Interpretation diesesVorgangs wird - 1933 - vom Autor noch nicht an der modernen formalisiertenLogik gespiegelt. Boole, Peirce, Frege, Peano und die Principia Mathematica vonRussell und Whitehead sind in der Untersuchung Gnthers bibliographisch nichtexistent und wurden wohl bewut ausgespart. Aber da Hugo Dinglers "Philosophieder Logik und Arithmetik" von 1931 und Hermann Weyls "Philosophie derMathematik und Naturwissenschaft" von 1927 zit iert werden, deutet die Richtungder zuknftigen Ausarbeitung des im Hegelbuch indirekt formulierten Programmsbereits an.

    Doch entsprechen solchen intell igiblen Vorgngen auch uere Entwicklungen. Ichmeine damit, da sich gerade in Amerika Gotthard Gnthers zunehmende undzugestandene Entfernung von der traditionalisierten "Kathederphilosophie"vollzogen hat. In seiner ebenso erstaunlichen wie tiefl iegenden Kulturkrit ikAmerikas, die sich in der zit ierten "Selbstdarstellung" findet, wird zwar einebedrckende Kluft zwischen europischer und amerikanischer Denkweiseaufgewiesen, aber gleichzeitig mit selbstverstndlichem Behagen die Tatsachenotiert, "da er seine letzten zehn bis elf Berufsjahre bis zur Emerit ierung alsProfessor fr Biologische Komputerlogik im Department of Electrical Engineeringan der Staatsuniversitt von Il l inois (USA) zugebracht hat". Aus jenen Jahrenstammen zwei Arbeiten, deren Titel fr diese nicht-kathederphilosophische Phasecharakteristisch sind. Bei der einen handelt es sich um die erste wissenschaftl ichePublikation zum bergang von der einfachen Stellenwertlogik (begrndet unddargstellt in "Die Aristotelische Logik des Seins und die nicht-Aristotelische Logikder Reflexion", 1958), unter der eine Distribution der klassischen zweiwertigenFregefunktionen auf eine Mehrzahl von Stellen im "Reflexionssystem desBewutseins" zu verstehen ist, zur generalisierten Stellenwertlogik. Sie erschien inden damals in Stuttgart redigierten "Grundlagenstudien / Aus Kybernetik undGeisteswissenschaft" unter dem Titel "Ein Vorbericht ber die generalisierte

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    Stellenwerttheorie der mehrwertigen Logik" (1960). Mit dieser Generalisierungstie Gnther auf Funktionen, die nicht, wie die Fregefunktionen eine Beziehunginnerhalb einer vorgegebenen ontologischen Thematik herstellen, sondern einesolche Thematik als ganze verwerfen - die "Transjunktionen". Die Theorie derTransjunktionen wurde in der anderen Arbeit, die 1962 vom "Electrical EngineeringResearch Laboratory/Engineering Experiment Station/University of Il l inois/Urbana,Il l inois unter dem Titel "Cybernetic Ontology and Transjunctional Operations"verffentl icht wurde, ausfhrlich entwickelt. (Vgl. das in deutscher Spracheabgefate Gegenstck: "Das metaphysische Problem einer Formalisierung dertranszendental-dialektischen Logik", 1. Beiheft der "Hegel-Studien", 1962.) BeideArbeiten kennzeichnen offensichtl ich Gotthard Gnthers bergang von der bloenmetaphysischen Begriffsbildung zu ihrer wissenschaftstheoretisch sicherenlogischen Einbettung. Darber hinaus aber auch seinen typisch modernen Weg zurGrundlagenforschung, die sich bei ihm auf die relativ junge und sehr verzweigteKybernetik (McCulloch-Pitts-Wienerscher Prgung) bezog. Wenn ich in Bezug aufGotthard Gnther schon auf Grund seiner anfnglichen methodologischen Vielfaltvon einer neuartigen philosophischen Intell igenz gesprochen habe, so kann ich dasjetzt und zwar mit einem Hinweis auf Peirce verschrfen, der (allerdings in einerfr einen ausgesprochen amerikanischen Denker einmaligen bestndigen Reflexionauf europische Philosophie) von einem Gegensatz zwischen "SeminaryPhilosophy" und "Laboratory Philosophy" gesprochen hat. Ich wrde dieEntwicklung Gotthard Gnthers von Leipzig nach Richmond und Urbana, von dermetaphysischen Ontologie zur "Cybernetic Ontology" als seinen Weg von der"Kathederphilosophie" zu einer Laboratoriumsphilosophie verstehen. Dabeiinteressiert mich in der ersten der beiden zit ierten Arbeiten Gnthers die meinesErachtens hchst innovative Einbeziehung des informationstheoretischenGesichtspunktes der "Strung", also das "noise problem", das "zwischenverschiedenen Reflexionsschichten des Bewutseins" existieren knne, wennzwischen den beiden klassischen Wahrheitswerten w und f infolge auftretendersemantischer Unbestimmtheiten ein dritter Wert, etwa "unbestimmt", plaziertwerden mu. Die Semiotiker sind nmlich gezwungen, gerade sofern sie dasZeichen als eine "triadische" Relation mit subtriadischen oder "trichotomischen"Stellenwerten eingefhrt haben, die enorme Strungsanfll igkeit solcherrelationalen "Gebilde", die ja nicht nur "reprsentieren", sondern auch"transferieren", zu bercksichtigen. Gnthers Hinweis, da die "noise problems"immer wieder einmal zur Erweiterung semantischer Wertigkeit der klassischenAussage in Richtung auf Mehrwertigkeit fhren, sollte auch in der semiotischenForschung beachtet werden.

    Da Ontologie, Probleme reiner Seinsthematik, im extensionalen wie im intensio-nalen, im "entitativen" wie im "existentialen" Sinne in den Nachbarschaften der In-formationstheorie und Kybernetik auftauchen, kann seit Lesniewskis "Grundzgeeines neuen Systems der Grundlagen der Mathematik" (1929), darin eine logistischformulierte klassenlogische "Ontologie" enthalten ist oder auch seit der "Metaphy-sik als strenge Wissenschaft" von Heinrich Scholz (1941) nicht verwundern. Dochmit seiner Einbeziehung der Formalismen mehrwertiger und stellenwertiger Logi-ken in nicht nur standardisierte Interpretantenbereiche der klassischen metaphysi-schen Ontologie geht Gotthard Gnther kreierend und fundierend weit ber die ge-nannten Autoren, auch ber Quine's berhmte Definit ion, hinaus. Denn Gnthermacht meines Erachtens vll ig evident, da, sofern berhaupt eine transklassischeRationalitt auf der Basis einer transklassischen (nicht-Aristotelischen) Logik (die

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    wiederum als mehrwertiges und stellenwertiges formales System eingefhrt ist) re-konstruiert werden kann, diese erweiterte Funktionalitt des Bewutseins auch eineerweiterte metaphysisch-ontologische Seinsthematik involviert.

    Es kann natrlich nicht die Aufgabe eines Nachworts sein, einen dermaenverzweigten und subtilen Autor reduziert und verdnnt wiederzugeben. Man mudie Details der Beschreibungen und Begrndungen, die er gibt, in den "Beitrgen"nachlesen. Wir haben uns hier hchstens auf die Umrisse zu konzentrieren. Dieerste, gewissermaen die krit ische Phase der von Gnther entwickeltentransklassischen Rationalittsthematik (der "Transzendenz" der gegebenen "Welt"wie auch der "Introszendenz" des reflektierenden "Ich") scheint mir am deutl ichstenund umfnglichsten in dem Aufsatz "Metaphysik, Logik und die Theorie derReflexion", verffentlicht 1957, dargestellt. Das mindestens bis auf Fichtes"Wissenschaftslehren" zurckgehende Prinzip der thetischen Einfhrung desWeltobjekts und die vor allem in seiner "Transzendentalen Logik" verfochtenenThese vom transzendentalen Abbildungscharakter der Reflexion sind die tiefstenGrundlagen der Gntherschen Krit ik der zweiwertigen Logik, die nur einreflexionsloses Sein statuiere, "das unfhig" sei, "sich ein Bild von sich selber zumachen aber auch die tiefsten metaphysischen Grundlagen der Legitimation allerneuen begriff l ichen Vorstellungen und apparativen Formalismen zur berwindungder Aporien der klassischen Rationalitt durch Rekonstruktion der transklassischen.Die volle Rekonstruktion der transklassischen Rationalitt vollzieht sich, wiegesagt, in einer zweiten, in der kreativen Phase, fr deren Kenntnis meinesErachtens die Arbeit "Logik, Zeit, Emanation und Evolution", die 1967 erschien,neben anderen, schon genannten die beste Quelle ist, die eine elementareEinfhrung in den Apparat der Kenogrammatik, der substitutierbaren "Leerstellen"fr "Wahrheitswerte" enthlt, deren Substitutionsfolgen den Operationalismus einerjeweils relevanten "Logik" determinieren. Das System der Kenogrammatik gabGnther die Basis fr Vorste, die er von 1971 an mehrfach in den Bereich vonGrundlagen einer transklassischen, "poly-kontexturalen" Arithmetik unternommenhat (programmatisch: "Natural Numbers in Trans-Classic Systems", Part I and II in"Journal of Cybernetics", 1971). Metaphysisch wesentlich an den GntherschenKonzeptionen und Lsungsversuchen zum Problem der Vollstndigkeit derRationalitt scheint mir vor allem dies zu sein, da die wachsende Verfeinerung inder Thematisierbarkeit der Rationalitt eine wachsende Umfnglichkeit derontologischen Thematisierung zur Folge hat. Den reicheren logisch-semantischenAusdrucksmitteln entspricht die reichere Mchtigkeit der Seinsthematik. Zubemerken ist dazu, da, wenn ich ihn richtig verstehe, bei Gnther dieVerfeinerung der semantischen Thematisierung der Rationalitt einer Leistung derBewutseinsfunktion entspricht, die in einer Art regulativer Auto-Iteration derReflexion besteht, deren Intention auf einer im Prinzip transfinit reproduzierbarenSelbstabbildung der Seinsthematik des (gedachten) Gedankens beruht.

    Ich mchte noch auf eine weitere Errterung des Autors aufmerksam machen unddie jene, im Rahmen der klassischen rationalen Denkweise auftretende,methodische Diskrepanz zwischen Logik und Ontologie oder Reflexionsthematikund Seinsthematik betrifft, die fast einer Auseinanderdrift nahekommt und indiesen Aufstzen eine vielflt ige Darlegung erfhrt. Denn genau diese Diskrepanzwird nun, wie Gnther entwickelt, indem er sie, das Problem historisch undexistenziell konkretisierend, als wissenschaftstheoretische Aporie zwischen demerkenntnistheoretischen Objekt und dem erkenntnistheoretischen Subjekt bestimmt,

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    ber den transklassischen logischen und semantischen Mitteln der Rationalittgewissermaen suspendiert, also sowohl wegquantif iziert als auch wegqualif iziert.Die Thematisierungen sind im Rahmen der transklassischen Rationalitt, wie sieGnther aufdeckt und beschreibt, dermaen (berhegelsch) vermittelt, da einerealittsthematische Ausdifferenzierung nicht mehr mglich ist und als einerfllbares Prinzip ausgeschlossen bleiben mu. Doch ist natrlich andererseits mitdieser Expansion der Seinsthematik auch Gnthers tiefgrndige Idee der"Pluralitt" und "Hierarchie" der Ontologien verknpft, wie sie wohl amprgnantesten in "Many-valued Designations and a Hierarchy of First OrderOntologie" umrissen wurde und im Rahmen des "Internationalen Kongresses frPhilosophie" 1968 vorgetragen und publiziert worden ist. (Vgl. die philosophischausfhrlichere Darstellung in "Strukturelle Minimalbedingungen einer Theorie desobjektiven Geistes als Einheit der Geschichte".) Der entscheidende Aspekt dieserUntersuchung liegt darin, da, vom Standpunkt einer transklassischen Rationalittdie Theorie des Seienden in eine Hierarchie von "first order ontologies" als derenerste Stufe eingebettet ist. Es ist eine Idee, deren Konstituierung sicherlich auchvon Seiten der kategorietheoretischen Konzeption der "Ontologien", wie sie etwa J.Lambeck 1972 mit den Mitteln intuit ionistischer und kombinatorischer Logik zuformulieren versuchte, oder von Seiten der triadisch-trichotomischen Semiotik, zuderen Voraussetzungen das Prinzip gehrt, da mit wachsender trichotomischerSemiotizitt des triadischen "Reprsentamen" auch die kategoriale Ontizitt(Peircescher ordinaler Charakteristik) ansteigt, untersttzt werden kann. Manbemerkt: Gotthard Gnther gehrt zu den individuellsten und kreativsten Denkerneines Kreises philosophischer Grundlagenforscher, die sich vermutlich lngst derTatsache bewut sind, eine gewisse, vielleicht sogar revolutionierende Umbildungmethodologischer und entittischer Fundamente des "Prinzips Forschung"eingeleitet zu haben. Mir scheint wesentlich, solchen Unternehmen nicht nur mitkonservativ motivierter Krit ik und mit dem Widerstand des Totschweigens zubegegnen. Derartige Verfahren gehren nicht zum "Prinzip Forschung".

    Im Frhjahr 1980 Max Bense

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