Biotechnologische Leckerbissen || Kommunismus im Darm

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Bekommt man etwa einen roten Kopf, wennman Tomaten isst? Vonden Tomaten-Genen?Diese rhetorische Fragestellen wir in unserem Lehrbuch Biotechnologie für Einsteiger– um sie zu verneinen. Heute müssten wir wohl anders for-mulieren.

Wir wissen schon lange: Die Mikroben im Darm helfenuns, unverdauliches Pflanzenmaterial (Polysaccharide) abzu-bauen.

Neu ist, dass sie dabei aus der Nahrung Gene aktiv über-nehmen! Das nennt man horizontalen Gentransfer.

Sein Entdecker, der Amerikaner Carl Woese, sagt dazu: »Esgab einmal eine Zeit auf der Welt, da wurden die Gene frei getauscht. Gene für alle!«

Aha! Der Ur-Kommunismus der Bakterien...Dann (immerhin drei Milliarden Jahre vor Bill Gates & Co.)

kam eine »kapitalistische« Bakterie auf die Idee, ihre Erbin-formation nur noch an ihre eigenen Nachkommen zu verge-ben. Das Gen war nun »privat« und begründete damit dieerste biologische Art.

Der menschliche Verdauungstrakt beherbergt Billionen vonBakterien (ein reichliches Kilogramm!), den Großteil davon imDickdarm. Eine Lebensgemeinschaft (Symbiose) zwischenWirt und Bakterium wie im tropischen Regenwald. Man nenntdas Mikrobenvolk auch Mikrobiom.

Im Fachblatt Nature berichten Mikrobiologen der PariserUniversité Pierre et Marie Curie von einem Meeresbakterium,das sich von Rotalgen ernährt – genauer gesagt vom enthalte-nen Polysaccharid namens Porphyran.

Als die Forscher um Mirjam Czizek die für das Abbau-Enzym verantwortliche Gensequenz suchten, wurden sie an

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67R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen,DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_20, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

einem unerwarteten Ort fündig: Bacteroides plebeius, der andere Träger der Gensequenz, lebt im menschlichen Darm!

Datenbanken zeigen allerdings, dass sich die Gene bzw. Bakterien nur im Darm japanischer Spender finden, nicht beiMcDonald’s-Amerikanern.

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Die Forscher vermuten deshalb, dass die unterschiedlicheEsskultur für die Ungleichverteilung verantwortlich ist. Wahr-scheinlich sind die Nori -Algen (lecker!) die »Überträger«. Noriwird vor allem mit Sushi und Maki verzehrt, die bekanntlichin Ostasien erfunden wurden. Im Darm trat der Gast jeden-falls mit Bacteroides plebeius in Kontakt und überließ ihm of-fenbar sein Gen.

Justin Sonnenburg von der Stanford Universität sieht in derStudie auch eine evolutionäre Komponente. Ähnliche Anpas-sungen der Darmflora könnten sich bereits viel früher ereignethaben, beispielsweise mit der Erfindung des Kochens und derVerbreitung der Landwirtschaft.

Falls das zutreffe, sei zu erwarten, dass die Evolution desÖkosystems Darm in Zukunft rasant weitergehe.

Diesmal müssten sich die Bakterien eben der aktuellen In-dustrienahrung anpassen. Haben wir deshalb zunehmendAllergien?

Als bekennende Marxisten sind wir natürlich fasziniert vonWoeses Theorie des horizontalen Gentransfers: Darwin wirdso eingebettet in ein umfassenderes Bild. Fortschritt durch denfreien Austausch unter Gleichgestellten. Schenken und be-schenkt werden erweist sich als eine bessere Strategie zur Be-schleunigung der Entwicklung.

Und heute? Die menschliche Kultur wird eher horizontalals vertikal weitergegeben ... Also auf zum horizontalen Gentransfer, zum Japaner:Sushi -Gene tanken!

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