Chemie en miniature

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Chemie en miniature

Herbert W Roerky

,,Neben dem Psalter lag, gleich- falls offenbar erst vor kurzem fertiggestellt, ein zierliches gol- denes Biichlein, so unglaublich klein, dai3 man es in der Hand- flache hatte halten konnen. Die Miniaturen an den Seiten der winzigen Schrift waren auf den ersten Blick kaum zu erkennen und verlangten Betrachtung aus nachster Nahe, u m ihre game Schonheit zu offenbaren (und staunend fragte man sich, mit welchem iiberrnenschlichen Werkzeug der Kiinstler sie ge- malt haben mochte, u m auf SO

engem Raum so lebendige Wir- kungen zu erzielen)."

Umberto Eco ,,Der Name der Rose"

hemie en miniature - klein C aber fein - wie immer man es auch nennt, einer neuen Art dcs Expcrimentierens wird die Zukunft gehoren, dem Experi- mentieren in^ Klcinstformat.

Beim praktischen Arbeiten in dcr Chemie, so- wohl in den Praktika als auch in der Vorle- sung, wird immer mehr Wert auf umweltbc- wufltes Handeln gelegt. Das bedeutct ver- antwortungsvollen Umgang mit den ein- gesetiten Chemikalien und einc umweltge- rechte Entsorgung dcr Vcrsuchsruckstande. Je klcincr die eingesewten Mengen an Chemika- lien sind, desto leichtcr sind sie zu entsorgen und desto geringer ist die Belastung der Um- welt. Beim Arbeiten im Praktikum ist es rela- tiv einfach, kleine Mengen einzusetzen, da je- der Student unmittelbar vor seincn Versuchen steht und sic auch im Kfeinformat uberwa- chcn und beobachten kann. Schwieriger ist es,

in Vorlesungen oder Vortragen Experimente ,,en miniature'' durchzufiihren, da sie ,,Betrach- tung aus nachster Nahe verlan- gen, um ihre game Schonheit zu offenbaren". Diescs Problem wird gelost durch den Einsatz modernster Computer, Projekto- ren und Kamcras.

Der Daten- und Video-Grog- bildprojektor Online DV 8300 (Sanyo) verbindec eine brillante Daten- und Videoprojektion in einem kompaktcn, mobil einsct7- baren Gerat, fur das kein zusatz- licher Overheadprojektor not- wendig ist. Auch kleinste Details und Schriften werden klar und verzeichnungsfrei dargestcllt. An dicscs Gerat laiit sich unter anderem eine Videokamera an- schlieflen.

Fur unsere Zwecke schlieaen wir an den Online DV 8300 die Flcx- Cam-Vidcokamera an. Diese Kleinstkamera hat einen fle-

xihlen, um 30" schwenkbaren ,,Schwaneii- hals". Sie kann zwischeii 1 cm und unendlich fokussieren und damit eine effektive Ver- grofierung um bis das 50fache erreichen. Kleinste Details werden erfaflt und uber ein Datcndisplay grog auf eine Leinwand proji- ziert. Dies ist unter fast allen Lichtverhaltnis- sen moglich. So sind Experimente im Kleinst- format auch fur den in einem groaen Horsaal in der letzten Bank sitzenden Studenten deut- lich sichtbar. Selbst Experimente im uberdi- mensionalen Maastab wiirden sich wesentlich schlechter verfolgcn lassen, abgesehen von den ungeheuren Mengen an Chemikalien, dic dabei eingesctzt wcrden miifiten. Auch die Videoiibertragung des Reaktionsablaufs von

Oben: Projektion der unten rechts ge- zeigten Kuvette. Unten: Linke Kiivette: 0,1 M HCI-Losung und zwei Tropfen Phe- nolphthalein-Losung; rechte Kiivette: die gleiche Menge Indikator und 0,l M NaOH- Losung, Farbbildkamera.

Chemie zn unserer Zeit / 29. Jahrg. 199s /A'z 3 0 V C H Verlagsgesellscbaft mbH, 69469 Weinheim, 1995 0009-28~1/9j/0306-0133 $ 5.00 + .25/0

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Experimenten auf Bildschirmc, wic wir und andere sie durchgefuhrt haben [I, 21, kann von der Qualitat her nicht mit der hicr bc- schriebenen Projcktion konkurrieren.

Fur die Vorlesung werden die Reaktioncn in 3-ml-UV-Kuvcttcn odcr in Probierglasern entsprechender GroRe durchgefuhrt. Die Probierglaser sind mit einein Septum und Schraubvcrschluli versehen, so daA keine to- xischen oder geruchsbelastigenden Darnpfe austreten konnen. U m die Standfestigkeit der Kuvcttcn und Probierglaser zu erhohen, sind einfache Kunststoffhalterungen angefertigt worden (Abbildung).

Die Volumina der verwendeten Losungen be- tragen 0,5-1,0 nd, und die Kcaktionslosung wird in der Regel tropfenweise mit einer Ein- wegspritze aus Kunststoff oder einer Mikro- pipette zugegeben. Fiir einc optimalc Ubcr- tragung der Versuche ist das Beleuchten der Probe mit einer Lampe wichtig. Dabei sollte dic Lichtstarkc rclativ schwach scin (15 W, 220 V) und kein Punktstrahler eingesetzt werden. Es eignet sich auch ein schwach be- lcuchtctcr Titricrtisch.

Einige Versuche

Eine Kuvette wird mit 1,5 ml 0,l M Saksaure gefiillt, eine weitere mit 1,5 ml 0,l M Natron- lauge. Zu beiden Losungen gibt man mit einer Tropfpipette ein bis zwei Tropfen Phenol- phthalein-Losung. Der uiitere Teil der Abbil- dung zeigt die Kuvettcn zusammcn mit der Farbbildkamera (Flex Cam). Dieser Versuch kann entsprechend mit weiteren Indikatoren wic Lackmus odcr Methylorangc in saurer oder alkalischer Losung demonstriert werden. Die Abbildung zeigt - direkt von der Projekti- onswand abfotografiert - die Kodarbuiig einer NaOH-lijsung nach Phenolphthalein-Zusatz.

Eindrucksvoll kann das Gleichgewicht Chro- mat-Dichromat vorgefuhrt werden. Dam gibt man in beide Kuvetten jeweils 1,5 in1 0,l M Kaliumchromat-I,osung. In eine Kuvette werden zusatzlich ein bis zwei Trop- fen einer 0,l M HC1,-Liisung gegeben. Der I.'arbumschlag nach Orange, der die Bildung von Dichromat anzcigt, hcbt sich dcutlich vom Gelh des Chromats ab. Die Zugabe eines Tropfens einer 1 M NaOH-Losung ist ausrei- chend, um Dichromat wieder in Chromat zu u berfuhren.

Die Sulfidfallung von Metall-Ionen wird am Bcispicl 17011 Cadmium, Blci und Arscn gc-

7eigt. Man legt jeweils 1 in1 der Metallsalzlo- sungen 0,l M in Probicrglascrn mit Septum vor. Mit einer Injektionssprit7e wird tropfen- weise 0,1 M Schwefelwasserstoff-Losung hin- zugegeben. Uabei fallen die Mctallsulfidc (CdS gclb, PbS schwarz, As2S3 gelb-orange) aus. Ein Geruch von H,S ist bei diesein Ver- such nicht wahrnehmbar. Das Expcrimcnt kann auch so gcfuhrt wcrdcn, dal3 man in den Probierglasern die H2S-Losung vorlegt und dann die Metallsalzlosungen zugibt. Der Nachtcil hicrbci ist, da8 man drei Spritzen fur die Metallsalzlosungen benotigt. Trotz der Ubertragung und der starkcn Vcrgrijiacrung sind die Farbunterschiede auf der Leinwand fur die Zuschauer gut zu erkennen.

Zum Nachweis von CO, in der Atemluft legt man 1 ml einer 0,1 M Bariumdichlorid-Lo- sung in einer Kiivette vor. Danii preflt man ausgcatmcte Luft uber einen Kunststoff- schlauch und eine angeschlossene Kapillare in die Losung. Bereits nach zwci Atcmzugcn fallt weifles Bariumcarbonat aus.

Selbst die geringen Farbunterschiede der Nie- dcrschliigc bcim Nachwcis von Chlorid, Bromid und Iodid mit Silbersalzen kiinnen anhand der Pillungsreaktioii v o ~ i 0,l M Ha- logcnid-Ioncn-Losungcn und 0,01 M Silbcr- nitrat-Liisungen gezeigt werden. Fur die Fal- lungen sind funf Tropfen der Silbernitrat-Lo- sungen eingesctzt wordcn. Vemendet nian bei diesen Versuchen im Gegensatz d a m die bekannte Durchlichtprojektion 131, so er- schcincn dic Nicdcrschlagc allc schwarz.

Zusammenfassung

Durch die Kombination von Experiment und Bildubertragung erleben die Zuschauer die Faszination von Farbanderungen und El lun- gen haufig sehr vie1 deutlicher als es bei her- kommlichen Experimenten der Fall war. In einem Hiirsaal mit 500 Zuschauern sind diese Experimente sehr vie1 besser wahrnehmbar, als wenn die Reaktion im 100- oder 200-1n1- Magstab durchgefuhrt wird.

Diese Rcaktioncn lasscn sich ohnc Gcfahr auch in Schulklassen oder Seminarraurnen durchfuhrcn. 'l'oxische odcr gcruchsintcnsivc Losungen konnen vorher unter einem Abzug in die mit einem Septum versehenen Glasge- falie gegeben werden.

Dcr Einsatz von Chcmikalicn wird drastisch gesenkt, die Abfallmengen um das 100- bis 200fachc rcduzicrt, und damit gewinnen che-

mische Experimente im Unterricht eini n neu- en okologischen Stellenwert. Dieses ri'ssour- censchoriende und abfallverrnindernde Vor- gehen ist ein praktisches Beispiel fur C hemie- ausbildung im Sinne von ,,sust iinable development".

Fur dic Fordcrung dicscr Arbcit dar kc ich dem Fonds der Chemischen Industrie.

Literatur

[11 H. W. Roesky, Kontukte 1984, 1, 18-25; ibid. 1984,2, 42-47; ibid. 1993 ,1 ,3543; ibid. 1993,2,1&-25.

[2] H . W. Roesky und K. Mockel, Cht rnische Kubinettstiicke, VCH, Weinheim, 199'.

[3] Vgl. dazu beispielsweise S. Hiinig und G. Witt, Chem. unserer Zeit 1972,6,27.

Professor Dr. I r . 1i.c. Herbert W. :toesky, geboren 1925 in Laukischken, s :udierte von 1957 bi:; 1961 Chemie an der Georg- August-Univer sitat in Gottingcn uii'l pro- movierte 1963 bei

0. Glcmscr. Als Postdoktorand arbcitete er bei der Firma DuPont, Wilmington, Iklawa- re/USA. 1967 habilitierte er sich bei 0. Glemser in Gottingem Von 1971 bis 1'@0 war er Professor am Lehrstuhl fur Anorganische Chcmic an dcr Univcrsitat FrankfL rt. Seit 1980 ist er Direktor im Institut fur Ar organi- schc Chcniic dcr Universitat Gottingen.

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. 1-1. W. Roesky, Institut fur fuiorga- nischc Chcniic dcr Univcrsitit, ' h r imam- strafle 4, D-37077 Gottingen; Telefxx: Int. +551/39-3373.

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