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Der Vertrag von Lissabon
und seine Auswirkungen auf die europäische (und nationale ?)
Forschungspolitik
Martin Schmid BMWF/StV Brüssel
Europa Forum Forschung, Wien, 3. März 2010
Ständige Vertretung Österreichs
bei der Europäischen Union
Die Entwicklung des Europäischen Primärrechts
1951 EGKS Vertrag in Paris (ausgelaufen im Jahr 2002)
1957 Römische Verträge: EWGV und EAGV
1965 „Fusionsvertrag“ gemeinsamer Rat und Kommission für EGKS, EWG und EAG
1987 EEA: Einführung des Binnenmarktes (4 Grundfreiheiten)
1992 V.v. Maastricht: Gründung der EU, 3-Säulen Modell, EG, WWU, GASP, Unionsbürgerschaft, Kodezisionsverf., AdR
1997 V.v. Amsterdam: Ausweitung der Komp. des EP, Mr. GASP
2000 V.v. Nizza: Ausweitung der Beschlüsse mit qual. Mehrheit
2007/2009 V.v. Lissabon
VvL – Chronologie
2002/2003: Der „Verfassungskonvent“ erarbeitet einen Entwurf für den „Vertrag über eine Verfassung für Europa (VVE)“
2003/2004: Regierungskonferenz erarbeitet Kompromiss über den VVE
29.10.2004: der VVE wird in Rom von den Vertretern der MS unterzeichnet
2005: Negative Referenden in F und NL – Reflexionsphase beginnt
28.5.2006: Sondergipfel in Klosterneuburg – neuer Zeitplan wird beschlossen
2007: Verhandlungsdiplomatie des D Ratsvorsitz und Regierungskonferenz (Verzicht auf den Verfassungsbegriff, weitgehende Beibehaltung des institutionellen Reformpakets des VVE)
13.12.2007 Unterzeichnung des VvL in Lissabon
2008/2009: Der Ratifikationsprozess dauert 23 Monate (Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde (CZ) am 13.11.2009
1.12.2009 Der VvL tritt in Kraft
Die wesentlichen Neuerungen durch den VvL I Struktur des Primärrechts
Einheitliche Rechtspersönlichkeit für die EU 2 Verträge:
1. Vertrag über die Europäische Union (EUV)2. Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV, vormals EGV)
Abschaffung des 3-Säulenmodells sowie des Gemeinschaftsbegriffs
Aber: EAG bleibt unberührt, besteht als eigene int. Org.
Außen- Sicherheits- und Verteidigungspolitik bleibt intergouvernemental, geregelt im EUV
Grundrechtscharta wird rechtlich verbindlich Austrittsklausel wird eingeführt, auch im EAGV
Die wesentlichen Neuerungen durch den VvL II Kompetenzordnung
Klarstellung der Kompetenzordnung - 3 Kategorien (nicht kompetenzbegründend)
1. ausschließliche Zuständigkeit der EU (3 AEUV; z.B.: Zollunion, Wettbewerbsregeln, Währungspolitik)
2. geteilte Zuständigkeit (4 AEUV; z.B.: Umwelt, Verkehr, Energie)
3. Unterstützungs- Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen (5 AEUV; z.B. Kultur, Tourismus, Bildung)
Sonderregel für Forschung und Raumfahrt: geteilte Zuständigkeit ohne Sperrwirkung (4/3 AEUV) Erklärung Nr. 34
Klarstellung der Kompetenzprinzipien in 5 EUV Begrenzte Einzelermächtigung Subsidiarität Verhältnismäßigkeit
Die wesentlichen Neuerungen durch den VvL III Stärkung des Europäische Parlaments
Ausdehnung der Legislativbefugnisse
Wahl des Kommissionspräsidenten
Volle Mitentscheidung im Haushaltsverfahren
Initiativrecht für Vertragsänderungen
Die wesentlichen Neuerungen durch den VvL IV Der Europäische Rat
Gründung des ER als Organ der EU Keine Legislativkompetenz Aber: Impulse, Ziele, Prioritäten Institutionelle Beschlussfassungsrechte
Zusammensetzung Staats- und Regierungschefs Gewählter Vorsitz – Ratspräsident Kommissionspräsident
Erste Auswirkung: Schwächung der Rolle der fachspezifischen Ratsformationen
bei der Entwicklung des EU-2020 Strategie
Die wesentlichen Neuerungen durch den VvL IIIRechtssetzungsverfahren
Ordentliches Gesetzgebungsverfahren entspricht im Wesentlichen dem Mitentscheidungsverfahren des
EGV Rat und EP entscheiden gemeinsam, der Rat mit qualifizierter
Mehrheit (ab 2014/2017 mit „doppelter Mehrheit“ (55/15/65)) Anwendung u.a. bei Forschungsrahmenprogramm,
Beteiligungsregeln, Gesetzesakten nach Art. 182/5
Besonderes Gesetzgebungsverfahren Im Einzelfall definiert Anwendung u.a. bei den spezifischen Programmen (Rat nach
Anhörung des EP)
Massive Ausdehnung der Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit
Exkurs: Europäische Atomgemeinschaft (EAG)
EAGV wird nur technisch angepasst
Erklärung von D, Irl, H, S und Ö für rasche Reform des EAGV
EAG bleibt eigene int. Organisation, nicht Teil der EU
Die Organe der EU werden auf der Grundlage des EAGV tätig
Das Haushaltsverfahren inkl. der Zuständigkeiten des EP gelten auch für die EAG
Austrittsmöglichkeit nur aus EAG umstritten
Bestimmungen über das Euratom Rahmenprogramm für Forschung und Ausbildung bleiben unverändert 5 jährige Laufzeit Einstimmiger Beschluss des Rates (ohne EP) jedoch wesentlicher Einfluss des EP über das Haushaltsverfahren
Ziele der Forschungspolitik der EU
Bisher: Stärkung der wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der
Industrie der Gemeinschaft Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie
Neu - Vertrag von Lissabon: Stärkung der wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen der
Union Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Union
Schaffung eines Europäischen Raums der Forschung Verwirklichung der „5. Freiheit“ (Freizügigkeit für Forscher und freier
Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse und Technologien)
Zuständigkeitsverteilung im Forschungsbereich
Forschung ist geteilte Kompetenz, sowohl EU als auch MS können tätig werden,
jedoch mit folgenden Einschränkungen:
Regelungskompetenz der MS Die MS können im Rahmen ihrer nationalen Verfassungen Regelungen erlassen Eine Ausübung der Zuständigkeit der EU hindert die MS nicht daran im selben
Regelungsbereich Vorschriften zu erlassen (keine Sperrwirkung) Aber: Durch den unbedingten Vorrang des Gemeinschaftsrechts ergibt sich eine
materielle Beschränkung der Regelungskompetenz der MS dort, wo die EU Maßnahmen erlassen hat.
Einschränkung des Tätigwerdens der EU: Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung Grundsatz der Subsidiarität Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Art. 4/3 AEUV Erklärung Nr. 34 zu Art. 179 AEUV
Begrenzung der Unionskompetenzen I
Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung Ermächtigungsgrundlagen in den Art. 179-190 AEUV
Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der
Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit EK zur Durchführung von Konsultationen verpflichtet Gesetzesvorschläge müssen im Hinblick auf diese Grundsätze
begründet werden Nationale Parlamente können Einspruch erheben
Begrenzung der Unionskompetenzen II
Art. 4/3 AEUV:„
In den Bereichen Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt erstreckt sich die Zuständigkeit der Union darauf, Maßnahmen zu treffen, insbesondere Programme zu erstellen und durchzuführen, ohne dass die Ausübung dieser Zuständigkeit die Mitgliedstaaten hindert, ihre Zuständigkeit auszuüben.“
Erklärung Nr. 34 zu Art. 179 AEUV:
„Die Konferenz ist sich darüber einig, dass die Tätigkeit der Union auf dem Gebiet der Forschung und technologischen Entwicklung den grundsätzlichen Ausrichtungen und Entscheidungen in der Forschungspolitik der Mitgliedstaaten angemessen Rechnung tragen wird.“
Handlungsermächtigungen für die EU I
Artikel 180 AEUV
Art. 180 AEUV – unverändert, wie bisher Art. 164 EGVZur Erreichung dieser Ziele trifft die Union folgende Maßnahmen, welche die in den Mitgliedstaaten durchgeführten Aktionen ergänzen:
a) Durchführung von Programmen für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration unter Förderung der Zusammenarbeit mit und zwischen Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen;
b) Förderung der Zusammenarbeit mit dritten Ländern und internationalen Organisationen auf dem Gebiet der Forschung der Union, technologischen Entwicklung und Demonstration;
c) Verbreitung und Auswertung der Ergebnisse der Tätigkeiten auf dem Gebiet der Forschung der Union, technologischen Entwicklung und Demonstration;
d) Förderung der Ausbildung und der Mobilität der Forscher aus der Union.
Handlungsermächtigungen für die EU IIArt. 181 AEUV - Koordination d. Forschungspolitiken
Wie bisher (Art. 165 EGV):(1) Die Union und die Mitgliedstaaten koordinieren ihre Tätigkeiten auf dem Gebiet der Forschung und der technologischen Entwicklung, um die Kohärenz der einzelstaatlichen Politiken und der Politik der Union sicherzustellen.
(2) Die Kommission kann in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten alle Initiativen ergreifen, die der Koordinierung nach Absatz 1 förderlich sind,…
Neu ist die Konkretisierung der Koordinationsmaßnahmen:„…insbesondere Initiativen, die darauf abzielen Leitlinien und Indikatoren festzulegen den Austausch bewährter Verfahren durchzuführen und die erforderlichen Elemente für eine regelmäßige Überwachung und Bewertung
auszuarbeiten
„Das Europäische Parlament wird in vollem Umfang unterrichtet.“
Þ Konkretisierung der offenen Methode der KoordinierungÞ Praktische Konsequenzen sowie das Verhältnis zu Art. 182/5 sind unklarÞ Instrumente: Empfehlungen der EK nach Art. 292 AEUV, ?
Handlungsermächtigungen für die EU IIIArtikel 182 AEUV – Rahmenprogramm und EFR
Absätze 1-4 (Rahmenprogramm und spez. Programme) unverändert
Neu: Absatz 5„Ergänzend zu den in dem mehrjährigen Rahmenprogramm vorgesehenen Aktionen erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts‑ und Sozialausschusses die Maßnahmen, die für die Verwirklichung des Europäischen Raums der Forschung notwendig sind.
Weitreichende Legislativbefugnis auf den ersten Blick, aber: speziellere Regeln in anderen Regelungsbereichen – z.B. Sozialpolitik oder
Steuern können die durch die generelle Befugnis des 182/5 nicht umgangen werden
Beschränkt Art. 179 den EFR auf die „5. Freiheit“ und klammert damit andere in der EFR Vision 2020 genannte Themen aus der Legislativbefugnis aus?
Frage der Definition des EFR
AEUV Artikel 179:
„…dass ein europäischer Raum der Forschung geschaffen wird, in dem Freizügigkeit für Forscher herrscht und wissenschaftliche Erkenntnisse und Technologien frei ausgetauscht werden„
Vision 2020 strategische Partnerschaften gemeinsame Forschungs- und
Innovationspolitiken und -programme gemeinsame Außenpolitik Einbindung der assoziierten Länder Modernisierung der
Innovationssysteme Integration des Wissensdreiecks …
Verwendet der AEUV den Begriff des EFR in seiner Bedeutung die er seit 2000 bis hin zur Vision 2020 gewonnen hat ?
oder definiert er ihn neu mit der „5. Freiheit“ ?
Handlungsermächtigungen für die EU IVArtikel 183 – 188 und 190 AEUV
Die Artikel 183-188 und 190 AEUV (bisher Artikel 167-173 EGV) bleiben bis auf technische Anpassungen unverändert.
Handlungsermächtigungen für die EU VArtikel 189 AEUV – Europäische Raumfahrtpolitik
Artikel 189 AEUV
(1) Zur Förderung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und der Durchführung ihrer Politik arbeitet die Union eine europäische Raumfahrtpolitik aus. Sie kann zu diesem Zweck gemeinsame Initiativen fördern, die Forschung und technologische Entwicklung unterstützen und die Anstrengungen zur Erforschung und Nutzung des Weltraums koordinieren.
(2) Als Beitrag zur Erreichung der Ziele des Absatzes 1 werden vom Europäischen Parlament und vom Rat unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die notwendigen Maßnahmen erlassen, was in Form eines europäischen Raumfahrtprogramms geschehen kann.
(3) Die Union stellt die zweckdienlichen Verbindungen zur Europäischen Weltraumorganisation her.
(4) Dieser Artikel gilt unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Titels.
Regelungsinstrumente der EU im EFR
Verordnung, Richtlinie oder Beschluss nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (EP und Rat beschließen auf Vorschlag der EK) auf Grundlage von Artikel 182/5 AEUV
Empfehlung des Rates auf Vorschlag der EK auf Grundlage von Artikel 292 AEUV iVm Art. 182/5 AEUV (ohne Mitwirkung des EP)
Empfehlungen der EK nach Art. 292 AEUV
Resolutionen und Schlussfolgerungen des Rates Nur möglich, so lange die EK keinen Vorschlag zum selben
Regelungstatbestand vorgelegt hat
Komitologie
Neuregelung durch Artikel 290 und 291 AEUV
Für die Programmausschüsse kommt Artikel 291 AEUV zur Anwendung
Art. 291 AEUV erfordert zur Umsetzung eine Verordnung, die den Komitologiebeschluss aus 2006 ablösen wird
Diese VO soll noch im 1. Halbjahr 2010 angenommen werden
Bis zu ihrem Inkrafttreten gilt weiterhin der Komitologiebeschluss aus 2006
Ob die Komitologieregeln des RP7 nach Inkrafttreten der Komitologieverordnung nach Art. 291 AEUV geändert werden ist derzeit unklar
Zusammenfassung
1. Neue Ziele der EU Stärkung der wissenschaftlichen und technologischen
Grundlagen der Union Schaffung des EFR
2. Breite Handlungsermächtigung durch 182/5 AEUV Aber: Frage der Definition des EFR
3. Stärkere Rolle des EP Haushalt, Komitologie, Koordinierung
Fragen?Anmerkungen?Ergänzungen?
Martin Schmid
Wissenschaftsattaché
Ständige Vertretung Österreichs bei der EU
Brüssel
martin.schmid@bmeia.gv.at
Ständige Vertretung Österreichs
bei der Europäischen Union
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