Diabetes – Gefahr für die Füßemedizin-muenchen-west.eu/images/mmw-images/Med... · nik für...

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Münchner Merkur Nr. 237 | Montag, 14. Oktober 2013

Redaktion Medizin: (089) 53 06-425wissenschaft@merkur-online.de

Telefax: (089) 53 06-86 61 19Leben

Prof. Dr. Christian Stief

Als Chefarzt im Münchner Klinikum Großhadernerlebe ich täglich, wie wichtig medizinische Auf-klärung ist. Meine Kollegen und ich (www.face-

book.de/UrologieLMU) möchten den Lesern daherjeden Montag ein Thema vorstellen, das für ihreGesundheit von Bedeutung ist. Im Zentrum der

heutigen Seite steht Diabetes mellitus, die Zucker-krankheit sowie ihre Folgeerkrankung. So leiden

Patienten oft an schwer heilenden Wunden an denFüßen, dem sogenannten diabetischen Fuß-Syn-

drom. Der Experte des heutigen Beitrags istDr. Makarios Paschalidis. Er ist Oberarzt an der Kli-nik für Endokrinologie, Diabetologie und Angiolo-

gie am Städtischen Klinikum in Bogenhausen.

Leserfragen an den Experten:wissenschaft@merkur-online.de

TIPPS FÜRGESUNDE FÜSSE

Nicht rauchen: Werraucht, vervielfacht seinRisiko für Folgeerkran-kung des Diabetes. Dennauch Tabakrauch schadetden Gefäßen – und fördertdaher die Entstehung ei-nes diabetischen Fußes.Also: Finger weg vomGlimmstängel!

Passende Schuhe: Augenauf heißt es für Diabetikerbei jedem Schuhkauf. Zu-ckerkranke neigen dazu,Schuhe zu klein zu wäh-len. „Die Zehen stoßen oftvorne an“, sagt Diabetes-Experte Dr. Makarios Pa-schalidis. Zuckerkrankesollte unbedingt daraufachten, dass diese Raumhaben und der Schuhnicht zu eng ist.

Füße kontrollieren: Weran Diabetes leidet, mussseine Füße täglich bewusstauf Verletzungen hin kon-trollieren, am besten miteinem Spiegel. Gerade Zu-ckerkranke neigen dazu,dies zu vernachlässigen.„Sie haben das Gefühl,dass die untere Körper-hälfte kaum zu ihnen ge-hört“, sagt Paschalidis. Ei-ne Ursache sind die ge-schädigten Nerven. Etwadie Hälfte der Diabetikerleidet irgendwann an einerNeuropathie.

Nicht barfuß laufen: Einkleiner Kiesel, eine winzi-ge Scherbe: Rasch ist beiungeschützten Füßen eineVerletzung passiert. Dassollte man unbedingt ver-meiden. Für Diabetiker istdaher das sonst so gesun-de Barfußlaufen tabu.

Besuch beim Experten:Wer bereits Probleme mitschwer heilenden Wundenhatte, sollte regelmäßigzum Podologen gehen.Denn vor allem an denNarben können raschneue Wunden entstehen.Podologen sind dafür aus-gebildet, diese zu pflegen.Hat sich erneut eine Wun-de gebildet, heißt es: So-fort zum Arzt! Am bestenzu einem Spezialisten.

Schuhe kontrollieren:Auch die Schuhe müssenregelmäßig genau unter-sucht werden. Hat dasFußbett eine Falte gebildetoder ist gar ein Nagel ausdem Absatz getreten, führtdas rasch zu Wunden. We-gen der geschädigten Ner-ven spüren Diabetiker diesoft nicht.

Füße richtig pflegen: DieHaut von Diabetikernneigt dazu, trocken zuwerden und Hornhaut zubilden. Risse können ent-stehen, durch die Bakte-rien eindringen. Die Füßesollten daher täglich miteiner Creme gepflegt wer-den, die Urea enthält. Dasmacht die Haut geschmei-dig. Zehennägel solltennicht geschnitten, sonderngefeilt werden.

Für Diabetiker leider tabu:barfuß laufen. DPA

Diabetiker sollten nur be-queme Schuhe tragen. FOT

können diese den Diabetesauch zum Ausbruch bringen.

Bei Helfensteller zeigt dieDuplexsonografie: Die Beinesind noch gut durchblutet.Sein Glück: „Sonst hat mankeine Chance, dass so eineWunde heilt“, sagt Paschali-dis. Dann bleibt oft nur eineAmputation. Stimmt dieDurchblutung, lässt sich indesfast jede Infektion in den Griffbekommen. Die Ärzte wolltenversuchen, den Fuß zu retten.Helfensteller kam auf die In-tensivstation, erhielt Antibio-tika-Infusionen. Das zerstörteGewebe mitsamt dem großenZeh wurde entfernt. Zurückblieb eine etwa zehn Zentime-ter große Wunde. Sie musstesich von selbst schließen – einlanger Prozess.

Helfensteller durfte seinenFuß monatelang nicht belas-ten. Zum Einsatz kam zu-nächst die sogenannte VAC-Therapie. Ein Sog erzeugt da-bei in der Wunde ständigenUnterdruck. Sekret wird ab-gesaugt, die gesunden Zellengleichzeitig zum Wachsen an-geregt. Die Wunde begannsich zu schließen, Millimeterfür Millimeter. „Ich saß fastein Jahr im Rollstuhl“, erzähltHelfensteller. Er hielt sichstrikt an die Anweisungen derÄrzte, wollte seinen Fuß un-bedingt behalten.

Er schaffte es. Doch kam eszu einem Rückfall – wie beivielen Patienten mit diabeti-schem Fuß-Syndrom. Wiederbegann es mit einer kleinenWunde. Doch hatte sich dieInfektion innerlich schon aus-gebreitet und den Knochen

Dort wartete der nächsteSchock auf ihn: Er hatte eineBlutvergiftung, glühte vor Fie-ber. „Ich hatte das gar nichtgemerkt“, sagt er. Schon im-mer sei er „hart im Nehmengewesen“. Doch jetzt war esernst: Die Ärzte befürchteten,dass sie bis zum Unterschen-kel amputieren müssen.

„Leider passiert es oft, dassPatienten lange warten“, sagtDr. Makarios Paschalidis, beidem Helfensteller im Klini-kum Bogenhausen noch heu-te in Behandlung ist. Vieleachteten wenig auf ihre Füße,nähmen Verletzungen nichternst. Mit teils verheerendenFolgen: Mehr als 50 000 Am-putationen infolge des diabe-tischen Fußsyndroms, an demetwa 15 Prozent der Diabeti-ker erkranken, werden inDeutschland jedes Jahr vorge-nommen. Die Zuckerkrank-heit ist damit die häufigste Ur-sache für Amputationen.

Das hat verschiedene Ursa-chen: Zum einen erfordernschwer heilende Wunden einelangwierige Behandlung. Dienötige Erfahrung – und Ge-duld – hat man oft nur in spe-zialisierten Zentren wie demin Bogenhausen. Dass Zu-ckerkranke generell häufigProbleme mit Wunden haben,liegt zum einen an den geschä-digten Nerven. Denn ein zuhoher Blutzuckerspiegel führtlangfristig oft zu einer Neuro-pathie. Die Patienten verlie-ren das Gefühl und damitSchmerzempfinden, vor allemin den Beinen.

Doch gerade hier kommt esleicht zu kleinen Verletzun-

Erhöhter Blutzucker istoft nicht zu spüren. VieleDiabetiker nehmen ihreKrankheit daher nichternst genug – teils mitverheerenden Folgen.Häufig sind etwa schwerheilende Wunden. Her-bert Helfensteller hättedadurch fast seinen Fußverloren. Mit 45 Jahren.

VON SONJA GIBIS

Zucker? Mit 43? Herbert Hel-fensteller konnte es kaum fas-sen. „Mir hat nie was gefehlt“,sagt er. 15 Jahre lang habe erin der Arbeit keinen Tag ge-fehlt. Wegen eines Abszesseshatte er die Ambulanz einerKreisklinik aufgesucht. EinBluttest ergab: Der Zucker-spiegel lag bei über 300 Milli-gramm pro Deziliter. Normalsind nüchtern etwa 100. Diag-nose: Diabetes Typ 2.

Der Abszess heilte. Die Zu-ckerkrankheit aber blieb –und damit das Risiko für wei-tere Erkrankungen. „Ich habedas wohl unterschätzt“, sagtHelfensteller, heute 47. Als eran seinem Fuß eine Wundeentdeckte, klebte er ein Pflas-ter darüber – und hoffte, dasses von selbst heilt.

Stattdessen wurde dieWunde nur größer. Schließ-lich, nach zwei bis drei Wo-chen, suchte Helfensteller imInternet nach einer Spezialab-teilung für Diabetes-Kranke –und entschied sich für die desKlinikums Bogenhausen.

Diabetes – Gefahr für die Füße

Die Wunde ist gut verheilt: Dr. Makarios Paschalidis untersucht den Fuß von Herbert Helfensteller. KLAUS HAAG

durchblutet – es kommt zurperipheren arteriellen Ver-schlusskrankheit. Da das Blutauch Immunzellen transpor-tiert, ist die Abwehrkraft ge-schwächt. Zerstörtes Gewebewird nicht gut abtransportiert,Wachstumsfaktoren, die dieBildung von neuen Zellen för-dern, gelangen nicht hin.Doch auch, wenn die Beinegut durchblutet sind, fördertder erhöhte BlutzuckerspiegelEntzündungen. Andererseits

gen. Eine Blase, ein Riss in dertrockenen Haut, eine Druck-stelle – das genügt für krankmachende Keime, um in denKörper zu gelangen.

Zudem heilen Wunden beiDiabetikern oft schlecht.Schuld ist einerseits häufig dieDurchblutung. Ist der Zuckernicht gut eingestellt, führt daszu Arteriosklerose: Die Blut-gefäße verengen sich immermehr. Vor allem die Beinewerden dann schlechter

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des zweiten Zehs befallen.Die Ärzte entfernten ihn, er-hielten aber das Gewebe umihn herum.

Wieder begann ein langerWeg. Helfensteller musste iso-liert im Zimmer liegen. Dennin seinem Fuß hatte sich einschwer behandelbarer Keimeingenistet: MRSA, der Me-thicillin-resistente Staphylo-coccus aureus. Im Kampf ge-gen ihn zogen die Ärzte auchlebendige Helfer hinzu: medi-zinische Maden. Die steril er-zeugten Fliegenlarven fressennur krankes Gewebe. IhrSpeichel löst es auf und wirktzudem desinfizierend. „Manfühlt nur ein Bitzeln – undsieht sie nicht“, erzählt Hel-fensteller. Die millimetergro-ßen Helfer verrichten ihre Ar-beit unter einer Wundauflage.

Die Therapie hatte erneutErfolg. Heute kann der47-Jährige sogar wieder arbei-ten. Er achtet konsequent da-rauf, dass seine Füße gesundbleiben. Täglich kontrollierter sie, geht regelmäßig zumPodologen. Der kennt sichmit den speziellen Bedürfnis-sen diabetischer Füße aus.Maßangefertigte, gepolsterteSchuhe geben den Füßen Haltund schonen sie. So kann erselbst weite Strecken zu Fußgehen. „Was ich früher mitdem Auto gefahren bin, daslauf ich heut“, sagt er. Bewe-gung gehört bei Diabetes un-bedingt zur Therapie. Dazukommt eine Tablette am Mor-gen. Seinen Diabetes hat Hel-fensteller heute im Griff – unddamit ein geringeres Risiko fürdessen ernste Folgen.

die Krankheit auch Jüngere –und das leider immer öfter.

Doch auch Diabetes Typ 2lässt sich behandeln. Ein Wegführt über einen gesunden Le-bensstil. Wichtig ist es vor al-lem, Übergewicht abzubauenund sich viel zu bewegen. Gutist regelmäßiger Ausdauer-sport. Manche Patienten be-kommen allein damit dieKrankheit in den Griff. Wemdas nicht gelingt, der muss sei-nen Blutzucker mit Medika-menten einstellen. Vielen hilftbereits die regelmäßige Ein-nahme von Tabletten. Ist derInsulinmangel bereits zu groß,müssen auch Typ-2-Diabeti-ker Insulin spritzen.

Auch sie sollten unbedingtdarauf achten, ihren Zucker-spiegel gut einzustellen. Sonstdrohen bei beiden Diabetes-Typen auf lange Sicht Folgeer-krankungen wie ein Herzin-farkt, ein Schlaganfall – oderein diabetischer Fuß. sog

genügend Insulin herzustel-len. Doch wirkt dies an denZellen immer schlechter. Eskommt schleichend zu einerInsulinresistenz, die der Be-troffene nicht bemerkt. DerKörper beginnt, immer mehrInsulin herzustellen. Schließ-lich ist die Bauchspeicheldrü-se oft überlastet, es entstehtebenfalls ein Insulinmangel.Auch bei Diabetes Typ 2 istder Blutzuckerspiegel dahererhöht. Doch bleibt das oftJahre unerkannt.

Die Gründe für DiabetesTyp 2 sind vielfältig. Generellsteigt mit dem Alter das Risi-ko. Da heute viele sehr altwerden, gibt es auch mehr Be-troffene. Doch das ist nichtder einzige Grund: Eine großeRolle spielt neben der Veran-lagung auch der Lebensstil.Wer übergewichtig ist, sichwenig bewegt und ungesundernährt, erhöht sein Risikoum ein Vielfaches. Dann trifft

Sklerose, steigt die Zahl derBetroffenen. Was die Krank-heit auslöst ist weitgehend un-bekannt. Doch weiß man, wasdabei im Körper passiert: DasAbwehrsystem sieht bestimm-te Strukturen des eigenenKörpers als Feind an – und be-ginnt, bestimmte Zellen zuzerstören. Bei Diabetes Typ 1sind die Inselzellen in derBauchspeicheldrüse Ziel-scheibe, die den lebenswichti-gen Botenstoff Insulin herstel-len. Der Körper braucht ihn,um Zucker in die Zellen ein-zuschleusen. Durch die Zer-störung kommt es zu einemInsulin-Mangel. Eine Folge:Der Zuckerspiegel im Blutsteigt an. Zucker wird dannauch mit dem Urin ausge-schieden. Die Betroffenenverlieren Gewicht, habenständig Durst und müssen oftWasser lassen. Unbehandeltverläuft die Krankheit tödlich.

Doch gibt es eine wirksame

Wie Herbert Helfensteller er-geht es immer mehr Men-schen: Sie erkranken an Dia-betes mellitus, der Zucker-krankheit. Die meisten davonleiden an Diabetes Typ 2, derjetzt auch bei dem Schauspie-ler Tom Hanks festgestelltwurde. Früher wurde er auchals Alterszucker bezeichnet.Doch die Patienten werdenimmer jünger. Selbst Kindersind in Einzelfällen bereits be-troffen. Erkrankt ein jungerMensch an Diabetes, handeltes sich allerdings in der Regelnoch immer meist um Diabe-tes Typ 1. Doch auch hiersteigt die Zahl der Betroffe-nen.

Die Ursachen der beidenKrankheiten sind völlig ver-schieden. So handelt es sichbei Diabetes Typ 1 um eine so-genannte Autoimmunerkran-kung. Wie bei vielen anderenderartigen Erkrankungen, wieetwa Rheuma und Multiple

Warum immer mehr Menschen zuckerkrank werden

Risiko für Langzeitschäden.Gefährlich ist aber ein zuniedriger Spiegel. Dieser kannrasch zu Ohnmacht und sogarzum Tod führen.

Die Entstehung von Diabe-tes Typ 2 verläuft anders: Beiden eher älteren Patienten istdie Bauchspeicheldrüse zu-nächst durchaus in der Lage,

Hilfe: Indem sie ihren Blutzu-ckerspiegel regelmäßig mes-sen und sich nach Bedarf In-sulin spritzen, können Patien-ten trotz Diabetes Typ 1 heuteein weitgehend normales Le-ben führen. Doch müssen siebei der Behandlung konse-quent sein. Ein erhöhter Zu-ckerspiegel erhöht eher das

Wer zuckerkrank ist, muss regelmäßig den Spiegel im Blutmessen: Kinder erkranken meist an Diabetes Typ 1. DPA

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