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Public Health Forum 22 Heft 83 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
Kennziffern fur Performanz von Gesund-heitssystemen an, die gerne bei internatio-nalen Landervergleichen herangezogenwerden, so muss zugegeben werden, dasswir eher im oberen Mittelfeld rangieren.Ganz weit oben sind wir bei den Kostenunseres Gesundheitssystems und noch im-mer bei der Anzahl an Krankenhausbettenpro Einwohner, aber schon bei der mittlerenLebenserwartung belegen wir einen mitt-leren Platz. Hinsichtlich der Sauglings-sterblichkeit finden wir Deutschland mit3,5 je 1000 Lebendgeburten unter den 20Landern mit der niedrigsten Kindersterb-lichkeit im ersten Lebensjahr, jedoch nichtim Spitzenfeld (Statista 2014). Die Arzte-dichte pro 1000 Einwohnern ist in Deutsch-land mit 3,6 (2009) vergleichsweise gut,ahnlich wie z.B. in der Schweiz (4,1)oder in Schweden (3,8)(DESTATIS Statis-tisches Bundesamt). Aber bei genaueremHinsehen offenbaren sich doch deutlicheUnterschiede zwischen armeren landlichenund reicheren stadtischen Regionen inDeutschland.Und damit nahern wir uns letztlich auch indiesem Text der zentralen und essenziellenFrage nach der Gerechtigkeit unseres Ge-
sundheitssystems, denn Kosten oder mittlereVersorgungsdichte sagen wenig bis garnichts uber Qualitat aus. Ist denn unser Ge-sundheitssystem gerecht finanziert? Kannman von einer gerechten Allokation der Res-sourcen sprechen? Hat jeder von uns diegleichen Gesundheitschancen? Ist der Ge-samtkomplex der gesundheitlichen Versor-gung nicht zu einem eintraglichen Geschafteinflussreicher Akteurs-Gruppen verkom-men, in dem der Patient nur noch Mittelzum Zweck ist? Weshalb sind wichtige Ver-sorgungsbereiche wie z.B. die Pflege undAltenpflege chronisch unterfinanziert mitmittlerweile zum Teil desastrosen Arbeits-bedingungen?Undweshalb ist der Notarzt inmanchen Regionen schon in funf Minutenam Ort, in anderen braucht er eine halbeStunde?Und weiter gefragt: Wer steuert eigentlichunser Gesundheitssystem, wer bestimmtuber die Verwendung der Gelder, wer setztdie Anreize? Eine weitere zentrale Frage istdie nach der Qualifikation der in der gesund-heitlichen Versorgung tatigen Personen.Oder was will eigentlich der Patient? Wasist eigentlich der Patientennutzen und ist erangemessen berucksichtigt?
Selbstverstandlich konnen nicht alle dieseroder anderer wichtiger Fragen in diesemHeft umfassend beantwortet werden. Viel-leicht gibt es ja auch an manchen Stellenkeine Antworten. Aber Sie finden hier Bei-trage vor, die sich damit beschaftigen, inwie-weit sich die vielseitigen Bemuhungen umQualitatssicherung, Qualitatsmanagementoder Qualitatsberichterstattung aus unter-schiedlicher Perspektive in Versorgungsqua-litat ubersetzen lassen. Weiterhin wird dieRolle des Patienten hinterfragt oder auchinwieweit die Organisationsqualitat, ge-meinhin Arbeitsbedingungen, Folgen furdie Versorgungsqualitat haben konnen.Was sagen uns die real vorhandenen regio-nalen Versorgungsunterschiede und konntenandere Strukturen oder Vergutungssystemezu einer besseren Allokation der Ressourcenund damit zur Verbesserung der Qualitatbeitragen? Auch eine ehemalige Bundesge-sundheitsministerin bezieht Stellung zurQualitat. Insgesamt erwartet Sie ein bunterStrauß, der Verstand und Gefuhl ansprechenwill. Aber stellen Sie selbst die entscheiden-de Frage: ,,Where’s the beef?‘‘
http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2014.03.016
Die Qualit€at der gesundheitlichen Versorgung
Max Geraedts
Mit der Qualitat der gesundheitlichen
Versorgung in Deutschland scheint et-
was nicht in Ordnung zu sein. Obwohl
schon zwei Institute auf der Bundes-
ebene, IQWiG und AQUA, die Quali-
tat im Gesundheitswesen im Fokus
haben, plant die große Koalition die
Grundung eines neuen Instituts fur
Qualitat und Transparenz im Gesund-
heitswesen. Das Institut soll fur den
Burger verstandliche, vergleichende
Informationen zur Qualitat der ambu-
lanten und stationaren Gesundheits-
versorger bereithalten. Langfristig
soll wohl eine qualitatsorientierte
Auswahl und Vergutung medizi-
nischer Leistungserbringer etabliert
werden.
Obwohl unklar ist, inwieweit diese
Idee tatsachlich umgesetzt wird,
kann dennoch hinterfragt werden, ob
dieser Ansatz grundsatzlich geeignet
ist, die Qualitat der gesundheitlichen
Versorgung zu verbessern oder ob an-
dere Ansatze zu praferieren waren.
Zur Beantwortung dieser Frage sollen
im Folgenden einige grundlegendere
Fragen geklart werden:
-
Was ist die ,,Qualitat der gesundheit-lichen Versorgung‘‘?
-
Wie steht es derzeit um die Qualitatder gesundheitlichen Versorgung in
Deutschland?
-
Welche Maßnahmen zur Qualitats-verbesserung werden mit welchen
Effekten eingesetzt?
Qualitatsdefinition
Eine allgemein anerkannte Definition
von ,,Qualitat der gesundheitlichen
Versorgung‘‘ fur Deutschland existiert
nicht. Vielfach werden daher allge-
meine bzw. internationale Qualitats-
definitionen genutzt. Wolfgang Han-
sen, ehemaliger Prasident der Deut-
schen Gesellschaft fur Qualitat,
definiert: ,,Qualitat ist die Uberein-
stimmung von Ist und Soll und was
das Soll ist, das bestimmt der Kunde.‘‘
Ubertragen auf die Gesundheitsver-
sorgung gilt es, die verschiedenen
,,Kunden‘‘ des Gesundheitssystems
und deren jeweilige Sollwerte zu be-
achten (Geraedts und Selbmann,
1997). Auf den Punkt gebracht bedeu-
tet Qualitat fur Patienten bzw. Burger,
dass sie sicher behandelt werden, Er-
krankungsfolgen und fruhe Mortalitat
verhindert sowie Lebensqualitat und
Patientenzufriedenheit aufrechterhal-
ten werden. Fur die Leistungserbrin-
ger ist Qualitat dann gegeben, wenn
die Behandlung nach dem ,,Stand der
Kunst‘‘, also evidenzbasiert erfolgt.
Die Kostentrager betonen zusatzlich
2.e1
Public Health Forum 22 Heft 83 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
die Effizienz des Ressourceneinsatzes.
Und aus der Public Health Perspektive
sollten auf der Basis des Konzepts
der WHO zur Performanzmessung
von Gesundheitssystemen noch die
Aspekte ,,Patientenorientierung‘‘ und
,,Finanzierungsgerechtigkeit‘‘ einbe-
zogen werden (Murray und Frenk,
2000).
Situation in Deutschland
Beachtet man diese verschiedenen
Perspektiven, resultieren unterschied-
liche Situationsbeschreibungen. Die
einen argumentieren, es gebe im Hin-
blick auf die Zuganglichkeit und den
solidarisch finanzierten Leistungska-
talog kaum ein besseres Gesundheits-
system. Andere sehen allerorten Qua-
litats- und Patientensicherheitsdefizi-
te, fehlende Patientenorientierung und
Ressourcenverschwendung.
Einige Belege fur beide Argumenta-
tionslinien seien hier angefuhrt. Der
Euro Health Consumer Index 2013
(EHCI) bestatigt anhand eigener Be-
fragungen und der Analyse offizieller
Statistiken die gute Zuganglichkeit
des deutschen Gesundheitssystems –
moniert aber Praventionsdefizite
(Health Consumer Powerhouse,
2013). Schaut man in die Vergleichs-
datenbanken der WHO (WHO, 2014)
oder OECD (OECD, 2014), dann liegt
Deutschland bei typischen Public
Health Indikatoren wie Lebenserwar-
tung oder perinatale- undMuttersterb-
lichkeit nur im oberen europaischen
Mittelfeld. Die Wirtschaftsberatung
KPMG hat die Daten des EHCI auf
die relativen Gesundheitsausgaben
bezogen und attestiert Deutschland
bei der ,,Ausgabeneffizienz‘‘ eine der
europaweit schlechtesten Noten
(KPMG, 2013). Konkrete Qualitatsda-
ten aus dem akutstationaren Bereich
liefern die externen Qualitatssiche-
rungsdaten des AQUA-Instituts. Im
Bericht zum Jahr 2012 wird einerseits
konstatiert, dass sich die Qualitat in
2.e2
vielen Bereichen uber die letzten Jah-
re hinweg kontinuierlich verbessert
hat. Jedoch werden auch fortbestehen-
de Qualitatsdefizite berichtet, so zum
Beispiel im Bereich der Indikation
zum kathetergestutzten Aortenklap-
penersatz oder Todesfalle bei der
Erstimplantation eines kunstlichen
Kniegelenks (AQUA, 2013). Weitere
Hinweise auf Qualitatsdefizite sind
regionalen Versorgungsanalysen zu
entnehmen, die Unterschiede in der
Versorgung aufzeigen, welche allein
aufgrund unterschiedlicher Erkran-
kungshaufigkeiten nicht zu erklaren
sind (Bertelsmann Stiftung, 2011).
Aus dem ambulanten Sektor zeigen
Daten der Disease Management
Programme sowohl Verbesserungen
der Versorgungsqualitat, als auch fort-
bestehende Defizite (z. B. NGE-DMP,
2012). Und was die Patientenzufrie-
denheit angeht, so wird niedergelasse-
nen Arzten fast durchweg eine hohe
Fachkompetenz und ein gutes bis sehr
gutes Vertrauensverhaltnis zu den
Patienten bescheinigt (FGW, 2013).
Maßnahmen zur
Qualitatsverbesserung
Das heterogene Qualitatsbild zur deut-
schen Gesundheitsversorgung spiegelt
sich in einem ebenso heterogenen
Bundel an Maßnahmen wider, das
der Qualitatsverbesserung im deut-
schen Gesundheitswesen dienen soll.
Grob zu unterscheiden sind gesetzlich
verpflichtende Maßnahmen und frei-
willige. Nachdem die Qualitatssiche-
rung erstmals 1989 im funften Sozial-
gesetzbuch (SGB V) erwahnt wurde,
sind entsprechende Anforderungen
Bestandteil jeder SGB V-Anderung.
Genauso finden sich Qualitatsanforde-
rungen bei der Pflege (SGB XI) und
Rehabilitation (SGB IX). Unter den
bedeutsamsten nun geltenden gesetz-
lichen Strukturanforderungen sind zu
nennen, dass alle medizinischen Leis-
tungserbringer verpflichtet sind, ein
internes Qualitatsmanagement einzu-
fuhren und dass Arzte einer nachzu-
weisenden Fortbildungspflicht unter-
liegen. Im ambulanten Sektor wird
eine Fulle an Nachweisen als Voraus-
setzung zur Erbringung bestimmter
Leistungen verlangt. Darunter Min-
destmengenvorgaben, wie es sie
auch im stationaren Bereich gibt.
Zudem sind alle Leistungserbringer
verpflichtet, sich an externen Quali-
tatsvergleichen (EQS) zu beteiligen.
Von der Ruckmeldung der Ergebnisse
erhofft man sich, eine Orientierung
an den jeweils Besten zu motivieren.
Die Ergebnisse der EQS werden
großtenteils auch in den gesetzlich
vorgeschriebenen Qualitatsberichten
der Krankenhauser veroffentlicht.
Diese sollen vor allem eine qualitats-
orientierte Auswahl von Leistungser-
bringern ermoglichen.
Neben diesen verpflichtenden Quali-
tatsmaßnahmen setzen Leistungser-
bringer in Medizin und Pflege eine
Vielzahl weiterer Maßnahmen der
Qualitatsforderung ein. Kursorisch er-
wahnt seien hier nur die Teilnahme an
Qualitatszirkeln, Fehlerberichtssyste-
men, Qualitatsregistern und Peer
Review Verfahren, die Qualitatsbe-
richterstattung auf der Grundlage
von Patientenbefragungen und GKV-
Routinedaten mit anschließendem
Benchmarking, die Erprobung
qualitatsorientierter Vergutung im
Rahmen integrierter Versorgungsver-
trage und die Zertifizierung von
Gesundheitseinrichtungen.
Unerfreulich wird es, wenn man nach
der Evidenz fur die Effektivitat und
Effizienz dieser qualitatsfordernden
Maßnahmen fragt. Zwar gibt es Bele-
ge fur die Wirksamkeit einzelner
Maßnahmen, jedoch kommen alle
Ubersichtsarbeiten zu dem Schluss,
dass die methodische Qualitat bisheri-
ger Studien nicht ausreicht, um
eine generelle Wirksamkeit und
Public Health Forum 22 Heft 83 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
Wirtschaftlichkeit bislang erprobter
Verfahren abzusichern (Pietsch, 2013;
Øvretveit, 2009; Nicolay et al., 2012;
Simoes et al., 2004; Glattacker und
Jackel, 2007).
Dennoch, der Grundsatz primum nihil
nocere verlangt, dass die Qualitat der
Gesundheitsversorgung von jedem
Leistungserbringer kontinuierlich hin-
terfragt wird. Dazu ist eine systema-
tische Messung notig, die den Ist-Zu-
stand mit dem Soll der verschiedenen
Akteure vergleicht und bei Abwei-
chungen Abhilfemaßnahmen auslost.
Nichts anderes bezwecken die einge-
fuhrten Maßnahmen der Qualitatsfor-
derung. Da die fehlende Evidenz fur
die Wirksamkeit nicht als Evidenz fur
die fehlendeWirksamkeit interpretiert
werden darf, kann nur dringlich dazu
aufgefordert werden, die Forschung
zur Qualitat in der Gesundheitsversor-
gung zu starken. Wenn das neue Insti-
tut fur Qualitat und Transparenz im
Gesundheitswesen dazu beitragt, die
Wissenschaftlichkeit der Qualitatsbe-
wertung und Qualitatsforderung zu
fordern, kann man dessen Einrichtung
nur befurworten.
Der korrespondierende Autor erklart, dasskein Interessenkonflikt vorliegt.
http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2014.03.017
Univ.-Prof. Dr. med. Max GeraedtsUniversitat Witten/HerdeckeInstitut fur GesundheitssystemforschungAlfred-Herrhausen-Straße 5058448 Wittenmax.geraedts@uni-wh.de
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Public Health Forum 22 Heft 83 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
Einleitung
Mit der Qualitat der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland scheint etwas nicht in Ordnung zu sein. Obwohl schon
zwei Institute auf der Bundesebene, IQWiG und AQUA, die Qualitat im Gesundheitswesen im Fokus haben, plant die
große Koalition die Grundung eines neuen Instituts fur Qualitat und Transparenz im Gesundheitswesen. Das Institut soll
fur den Burger verstandliche, vergleichende Informationen zur Qualitat der ambulanten und stationaren Gesundheits-
versorger bereithalten.
Summary
Something seems to bewrong with the quality of care in Germany. In spite of two institutions on the federal level – IQWiG
and AQUA - focussing quality of care, the new government plans to install a new institute for quality and transparency in
health care. The institute is assigned to provide citizens with comprehensible and comparative information on the quality of
health care providers.
Schlusselworter:
Qualitat der Gesundheitsversorgung = Quality of care, Qualitatssicherung = quality assurance, Qualitatsbewertung =
quality assessment, Qualitatsverbesserung = quality improvement, Deutschland = Germany
2.e4
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