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Zur Person

Dipl.-Ing TadejBrezina (*17. 2. 1976in Ljubljana) studiertean der TU Wien.Mitarbeiter diverserBaufirmen und

Ingenieursbüros. Seit 2008Projektassistent am Institut fürVerkehrsplanung und Verkehrs-technik der Technischen UniversitätWien. Zahlreiche Publikationen zuverkehrspolitischen Fragen,insbesondere Fahrradverkehr. [ privat ]

DEBATTE 27MONTAG, 20. JUNI 2011DIEPRESSE.COMDie Presse

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In der Politik ist das Fahrradnoch nicht angekommenGastkommentar. Die österreichische Politik hat noch immer große Problememit der strukturellen Förderung nachhaltiger Verkehrsmittel.

VON TADEJ BREZINA

Ü ber die Notwendigkeiteiner ökologisch und sozialverträglichen Gestaltung

der Verkehrssysteme der Zukunftherrscht in der Fachwelt relativbreiter Konsens. Für die Umset-zung gibt es jedoch ambivalenteAnsichten. Hier zeigen sich dieSchwächen des föderal aufgesplit-teten Systems der österreichischenPolitikrealverfassung deutlich. Dieösterreichische Verkehrspolitik hatmit der strukturellen Förderungnachhaltiger Verkehrsmittel nochimmer große Probleme – mit demRadverkehr im Speziellen.

Ende April hat der Nationalratdie 23. Novelle der Straßenver-kehrsordnung verabschiedet. Siekann bestenfalls als Rumpf dessenbezeichnet werden, was möglichgewesen wäre. Den guten Ansät-zen im Vorfeld folgte lediglich einpolitischer Kuhhandel – das aller-kleinste, gemeinsame Vielfache.

Im zugehörigen Unteraus-schuss des Verkehrsministeriumssind über lange Zeit von den Ver-tretern der breit gestreuten Inter-essen produktive Vorschläge zurgesamtheitlichen Attraktivierungdes Radverkehrs diskutiert und he-rausgearbeitet worden. Einen ver-kehrsministeriellen Fernsehvor-stoß später, in der Tasche eine bes-tenfalls mangelhafte Studie – undschon ist mithilfe der parlamen-tarischen Vertretung des Automo-bilismus auch nichts mehr übrigvom ohnehin zaghaften Begutach-tungsentwurf.

Helmpflicht – eine „Belohnung“?Wie passend, dass auch noch in-transparente, aber stark bekräf-tigende Umfragewerte nachge-schossen werden können. Nur dieschwächsten Glieder in der Kette,die Rad fahrenden Kinder werdenmit einer Helmpflicht „belohnt“,wider die Vernunft aus interna-tionalen Erfahrungen, die zeigen,dass Helmpflichten den Radver-kehr nachhaltig verringerten.

Keine Spur von Maßnahmenzur Reduktion des Risikos, das vonden Erwachsenen durch motori-sierte Fahrzeuge ausgeht, keineFahrradstraßen, keine Aufhebungder Radwegbenützungspflicht. Cuibono? Soll hier nur der Weg für

eine generelle Radhelmpflicht inein paar Jahren geebnet werden?

Es ist zweifelsfrei feststellbar,dass es gute, erste Ansätze gibt. Soetwa der Masterplan Radfahrenaus 2006 mit der brandaktuellenRevision 2011. Hierin werden vomLebensministerium wichtige undrichtige Maßnahmen für eine Stär-kung ressourcenschonender Mo-bilitätsformen identifiziert.

Im Zustand der SystembeharrungDie anderen Player, die für dieföderalistische Umsetzung vongesetzeswirksamen Maßnahmenwichtig sind, wie beispielsweisedas Verkehrsministerium, die Bun-desländer und selbst die eigenePartei des Umweltministers ziehenja auch am selben Strang – aller-dings in die andere Richtung!

Die Kernmaßnahmen desMasterplans – Novellierung vonStVO und FahrradVO sowie derLandesbauordnungen und Wohn-bauförderungen – harren noch im-mer einer Inangriffnahme. Ledig-lich Oberösterreich hat seit 2006durch die Verpflichtung zur Er-richtung von Radstellplätzen imRahmen der Bauordnung eineVorreiterrolle eingenommen.

Wie es J. Howard Kunstler in„The End of Suburbia“ analysierthat, befindet sich die Verkehrspoli-tik im Zustand der Systembehar-rung – eines technologischen,raumplanerischen und letztlichauch sozialen Lock-in. In dieserSystembeharrung werden vielerleigut gemeinte Pläne geschmiedet –Konzepte und Pläne zu Verkehr,Siedlungsplanung oder gar Ener-gieautarkie. Wenn es aber um dieeffektive Umsetzung geht, um das

Gießen in Gesetze und Finanzen,bleibt wenig übrig. Viel zu häufigsind die Maßnahmen gänzlichkontraproduktiv.

Klar gibt es die nicht von derHand zu weisenden Teilerfolge,von denen punktuell berichtet wird– meistens auf kommunaler Ebene.Hier konnte der Verkehrsmittelan-teil des Rades ein wenig gesteigertwerden, dort eine Radabstellanlageeröffnet werden. Diese Maßnah-men sind aber nicht in einem sys-temrelevanten Ausmaß mit Ein-fluss auf das gesamte Verkehrssys-tem wirkend. Es sind punktuelleMaßnahmen an der Oberfläche.

Was sind die Zeichen der Sys-tembeharrung anstatt eines Sys-temwechsels? Einerseits ist es deraktuell ganz besonders stark tech-nologisch motivierte Business-as-usual-Trend: etwa dem ener-getisch effizientesten Fortbewe-gungsgerät nun einen Stromruck-sack umzuhängen. Andererseitssind es die groben Mängel bei derUmsetzung von geäußerten Vor-haben in Normen, die struktur-und verhaltenswirksame Änderun-gen nach sich ziehen.

Eine Kultur des LangsamverkehrsÜbrig bleiben lediglich Oberflä-chenkosmetik und Marketing-schienen mit stark emotional para-digmatischem Einschlag und we-nig Rationalität. Eine Vielzahl anLabels und Aktionen ist vorhan-den: ein bisschen Radverleihsys-tem hier, manche Verkehrsspar-aktionen da, Radaktionstage dort –an einem Tag, aber den Rest desJahres und in den Gesetzen domi-niert die Autoverkehrspolitik.

Bewusstseinskampagnen sindzu wenig, damit das umweltver-trägliche Verkehrsmittel Fahrraddauerhaft im Kopf der Verkehrs-teilnehmer und Entscheidungs-träger ankommt. Es bedarf einergleichzeitigen Verankerung in un-seren Gesetzen und Budgets. Nurmit dem Ingangsetzen dieser posi-tiven Spirale zwischen Bewusst-sein einerseits und möglichst uni-versellen Handlungsanweisungenandererseits kann eine Kultur derVerkehrspolitik in Gang gesetztwerden, die den Langsamverkehrvorsieht und auch einsetzt.

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staaten auf dem Gipfel ih-res Reichtums angekom-men sind und eine Sätti-

gung des Konsums erreicht haben,die nicht mehr quantitativ, son-dern nur noch in zunehmendemRaffinement und luxuriöser Verfei-nerung zu steigern ist, empfehlensie der restlichen Welt, doch ausdiesem Modell auszusteigen undeine „Glückswirtschaft“ anzustre-ben. Da werden sich die Menschenin Moldawien oder Weißrusslandund anderen Armutszonen derWelt aber freuen!

„Zwangsjacke des Wachstums“Wenn sich ein Moldawier oderAfrikaner vielleicht eine Woh-nung wünscht, die er nicht mitseiner einzigen Kuh teilen muss,oder fließendes Wasser im Hausoder womöglich gar den Luxuseines Kühlschranks, werden ihmFriedman und Gilding antworten:Wozu denn dieser irdische Tand,das macht Sie doch nicht glück-lich! Wie gern werden sie danndarauf verzichten und zufriedendamit sein, dass zwar die beidenHerren in Amerika das alles undnoch viel mehr haben, sie selbstaber schon auf Glückswirtschaftgesetzt sind.

Es wären nicht die deutschenGrünen, wenn sie nicht auf diesenTrend aufgesprungen wären. DieVizepräsidentin des deutschenBundestags, Katrin Göring-Eckardt, nebenbei auch Präsiden-tin des Evangelischen Kirchentagsschwärmt davon, die Welt aus der„Zwangsjacke des Wachstums“ zubefreien. Dieser Gedanke hat auchunter Angehörigen der katholi-schen Hierarchie viele Sympathi-santen. Göring-Eckhard bemühtden alten Kalauer, dass auch einVerkehrsunfall zum Wirtschafts-wachstum beitrage, weil er RotesKreuz, Reparaturwerkstätten undKrankenhäuser beschäftige.

Wer soll auf was verzichten?Wie Deutschland nach dem auchvon ihr begeistert begrüßten Aus-stieg aus der Atomkraft und an-gesichts der Konkurrenz auf denWeltmärkten sich als Industriena-tion und Exportland neu erfindensoll – ohne Wirtschaftswachstum –,darauf hat sie keinen Gedankenverschwendet.

Ähnlich wie die beiden Ameri-kaner von Glückswirtschaft faseltGöring-Eckhardt von einer „Kulturdes Weniger“, einer Kultur, die „le-bensweltlich geerdet“ ist – was im-mer das heißen mag. Wie alle, diesolches propagieren, sagt auch Gö-ring-Eckhardt wohlweislich nicht,wie und wo das „Weniger“ stattfin-den soll, wer auf was verzichtensoll. Die Politiker auf Dienstreisenin der Businessclass, das einfache

Volk auf das Auto, die Fernreiseaus dem feuchtkalten Deutschlandin ein warmes, sonniges Land?Und vor allem: Wer muss anfan-gen, und wer bestimmt, worauf dieanderen verzichten müssen? Einstaatliches Glücksamt, besetzt mitgrünen Ideologen?

„Metaphorische“ AntwortenAuf jeden Fall sollen wir wenigerEnergie verbrauchen, das ist eineBinsenweisheit. Unseren „Energie-hunger“ müssten wir eindämmen,schrieb mir ein Theologe aus Salz-burg, „SIE und ICH“. Auf meineFrage, welches der Elektrogeräteim Haushalt ich stilllegen müsse,bekam ich keine Antwort. Die ein-schlägigen Appelle seien ja ohne-hin nicht wörtlich zu verstehen,schrieb er weiter, sondern „meta-phorisch“, um die Menschen auf-zurütteln und „auf der emotiona-len Ebene“ anzusprechen. Es istalso alles ohnehin nicht ernst ge-meint.

In Wirklichkeit kommt es über-haupt nicht darauf an, was ER undICH tun, auch nicht einmal, wasacht Millionen Österreicher tun.Eine Milliarde Chinesen, eine Mil-liarde Inder und eine weitere Mil-liarde Menschen im übrigen Asien,in Afrika und Lateinamerikamöchten in etwa zu dem Lebens-standard aufschließen, den West-europäer, Amerikaner und Austra-lier haben.

„Marshallpläne“ gegen ArmutMit bloßem „Glück“ werden siesich nicht zufriedengeben wollen,und sie werden auch die Europäerund Amerikaner nicht fragen, obsie das dürfen. Wenn man ihneneine „Kultur des Weniger“ andre-hen möchte, werden sie das zuRecht für eine lächerliche Anma-ßung halten.

Die vom „Weniger“ schwär-men, sind dieselben, die die Weltmithilfe von „Marshallplänen“ vonArmut befreien möchten. Alsowas? Allein die Versorgung vonMilliarden Menschen mit Wasser,Strom und elementaren Dingendes täglichen Lebens wird nichtohne ein gewaltiges Wachstum zubewerkstelligen sein. Und wenndiese Länder – was zu hoffen ist –aus den Erfahrungen der Indus-trieländer lernen und andere Sys-teme etwa für Verkehr und die Be-wohnbarkeit ihrer Megacitys fin-den müssen, wird das Wirtschafts-wachstum auslösen. Bei uns.

Hans Winkler war langjähriger Leiterder Wiener Redaktion der „KleinenZeitung“.

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gebotene Option bezeichnete. ImÜbrigen hat Bayern Homeschoo-ling gestattet.

An der rechtlichen Beurteilungeines „Zwangskindergartens“ füralle als Eingriff in das Recht aufPrivat- und Familienleben ändertdies nichts, da es hier um Drei- bisFünfjährige handelt.Martin Hartig, 1060 Wien

* * *

„Die Millionäre undder soziale Friede“„Österreich ,blutet‘ für EZB-Ris-ken“, Analyse von C. Höller, 11. 6.Seit jeher gab es in der GesellschaftReiche und Arme. Dazwischen gabes jedoch immer einen breitenMittelstand, der durch sein über-wiegendes Steueraufkommen denFrieden und die Stabilität der Ge-sellschaft garantierte.

Die Globalisierung mit ihrergrenzenlos ungehinderten Finanz-spekulation hat diese Vermögens-schere jedoch unverantwortlichund erstmals sozial gefährlich wei-ter geöffnet. Österreich erhielt da-

bei innerhalb nur eines Jahres zuseinen bereits vorhandenen 70.000Millionären gleich 5000 neue hin-zu. Diese Millionäre besitzen 33Prozent (!!) des gesamten Finanz-vermögens. Viele dieser Millionäresind erst mit der Bankenkrise wirk-lich reich geworden. Ihre dabei er-littenen Spekulationsverluste hatihnen Vater Staat ersetzt und sichdabei gleichzeitig schwer verschul-det. Um diese Schulden zu tilgen,braucht der Staat aber die Hilfe desMittelstandes. Dieser wird sich je-doch auf Dauer die ungerechteSteuerverteilung zwischen Arbeitund Kapital zum krassen Nachteilder Lohneinkommen nicht längergefallen lassen.

Die ernstliche Bedrohung dessozialen Friedens in Europa sollteunsere Politiker zum Aufwachenund gerechten Handeln zwingen.Aber auch die Millionäre solltensich Zeit zum Nachdenken neh-men. Denn Reichtum ohne sozia-len Frieden ist wenig wert.DI Dr. Arthur Traußnig,Bezirkshauptmann, 9400 Wolfsberg

Griechenland: Politikersetzen auf Zeitgewinn„Kein Staat ist so pleite wie Grie-chenland“, 15. 6.Seit Wochen und Monaten hörenwir von Politikern der gesamtenEU, dass Griechenland gerettetwerden müsse, weil sonst Fürch-terliches geschehen würde. Was istdas Fürchterliche? Vor gut einemJahr wurde ein Rettungspaket inder Höhe von 110 Mrd. Euro be-schlossen; davon werden bis Endedes Monats wohl fünf Tranchen, inSumme 60 Mrd. Euro, überwiesensein. Und schon ist die Rede vonzusätzlichem Finanzbedarf zwi-schen 60 und 130 (!) Mrd Euro.

Das griechische Bruttoinlands-produkt liegt bei 230 Mrd. Euro,die gesamten Staatsschulden bei345 Mrd. Euro (mit den zusätzli-chen Krediten wohl bei 500 Mrd.Euro!), die Neuverschuldung wirdetwa 25 Mrd. Euro betragen. Wiesoll Griechenland jemals seineSchulden zurückzahlen? Es wirdalso mit jedem weiteren Kredit gu-tes Geld schlechtem Geld nachge-

worfen. Die europäischen Bürgerwissen das schon längst. Nur diePolitiker tun so, als hätten sie esnoch nicht verstanden. Obwohlwir wissen, dass sich Politiker mitdem Verständnis wirtschaftlicherZusammenhänge schwertun, glau-be ich, dass sogar sie es inzwi-schen begriffen haben. Es geht umetwas anderes: um Zeitgewinn.

Die in Griechenland investier-ten Privatgläubiger, also viele euro-päische Banken, wehren sich da-gegen, die unvermeidliche Um-schuldung mitzutragen, und war-nen ihre Regierungen vor den inder Folge notwendigen nationalenBankenrettungspaketen, die wie-der die Steuerzahler belasten wür-den; also setzen die Politiker aufZeitgewinn. Warum tun sie das?

Schon jetzt haben die invol-vierten Banken den größeren Teilihrer griechischen Schrottanleihender EZB angedreht. Wenn die Ban-ken das geschafft haben, werdensie mit Entrüstung einer Umschul-dung Griechenlands zustimmen.Die privaten Banken sind dannnicht mehr involviert, nur die EZB!

Dann müssen die Steuerzahler al-lein die Zeche zahlen – die Bankenmüssen nicht „gerettet“ werden,sind also an der Misere nichtschuld. Nicht nur, dass die Banken,die als Gläubiger die Hauptlast zutragen gehabt hätten, dann keinenbesonderen Beitrag leisten, wer-den sie die EZB stützen – vermut-lich gegen saftige Zinsen, die wirbezahlen.DI Josef Koch,1210 Wien

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