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Zur Person Dipl.-Ing Tadej Brezina (*17. 2. 1976 in Ljubljana) studierte an der TU Wien. Mitarbeiter diverser Baufirmen und Ingenieursbüros. Seit 2008 Projektassistent am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrs- technik der Technischen Universität Wien. Zahlreiche Publikationen zu verkehrspolitischen Fragen, insbesondere Fahrradverkehr. [ privat ] DEBATTE 27 MONTAG, 20. JUNI 2011 DIEPRESSE.COM Die Presse Die abgedruckten Leserbriefe müssen nicht der Meinung der „Presse“ ent- sprechen. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. Je kürzer die Zuschrift, desto höher die Chance auf Veröffentlichung. Impressum: Debatte Leitung: Burkhard Bischof E-Mail: [email protected] Redaktion Leserbriefe: Ursula Mayer, Henriette Riegler-Adrigan E-Mail: [email protected] Debatte im Internet DiePresse.com/debatte In der Politik ist das Fahrrad noch nicht angekommen Gastkommentar. Die österreichische Politik hat noch immer große Probleme mit der strukturellen Förderung nachhaltiger Verkehrsmittel. VON TADEJ BREZINA Ü ber die Notwendigkeit einer ökologisch und sozial verträglichen Gestaltung der Verkehrssysteme der Zukunft herrscht in der Fachwelt relativ breiter Konsens. Für die Umset- zung gibt es jedoch ambivalente Ansichten. Hier zeigen sich die Schwächen des föderal aufgesplit- teten Systems der österreichischen Politikrealverfassung deutlich. Die österreichische Verkehrspolitik hat mit der strukturellen Förderung nachhaltiger Verkehrsmittel noch immer große Probleme – mit dem Radverkehr im Speziellen. Ende April hat der Nationalrat die 23. Novelle der Straßenver- kehrsordnung verabschiedet. Sie kann bestenfalls als Rumpf dessen bezeichnet werden, was möglich gewesen wäre. Den guten Ansät- zen im Vorfeld folgte lediglich ein politischer Kuhhandel – das aller- kleinste, gemeinsame Vielfache. Im zugehörigen Unteraus- schuss des Verkehrsministeriums sind über lange Zeit von den Ver- tretern der breit gestreuten Inter- essen produktive Vorschläge zur gesamtheitlichen Attraktivierung des Radverkehrs diskutiert und he- rausgearbeitet worden. Einen ver- kehrsministeriellen Fernsehvor- stoß später, in der Tasche eine bes- tenfalls mangelhafte Studie – und schon ist mithilfe der parlamen- tarischen Vertretung des Automo- bilismus auch nichts mehr übrig vom ohnehin zaghaften Begutach- tungsentwurf. Helmpflicht – eine „Belohnung“? Wie passend, dass auch noch in- transparente, aber stark bekräf- tigende Umfragewerte nachge- schossen werden können. Nur die schwächsten Glieder in der Kette, die Rad fahrenden Kinder werden mit einer Helmpflicht „belohnt“, wider die Vernunft aus interna- tionalen Erfahrungen, die zeigen, dass Helmpflichten den Radver- kehr nachhaltig verringerten. Keine Spur von Maßnahmen zur Reduktion des Risikos, das von den Erwachsenen durch motori- sierte Fahrzeuge ausgeht, keine Fahrradstraßen, keine Aufhebung der Radwegbenützungspflicht. Cui bono? Soll hier nur der Weg für eine generelle Radhelmpflicht in ein paar Jahren geebnet werden? Es ist zweifelsfrei feststellbar, dass es gute, erste Ansätze gibt. So etwa der Masterplan Radfahren aus 2006 mit der brandaktuellen Revision 2011. Hierin werden vom Lebensministerium wichtige und richtige Maßnahmen für eine Stär- kung ressourcenschonender Mo- bilitätsformen identifiziert. Im Zustand der Systembeharrung Die anderen Player, die für die föderalistische Umsetzung von gesetzeswirksamen Maßnahmen wichtig sind, wie beispielsweise das Verkehrsministerium, die Bun- desländer und selbst die eigene Partei des Umweltministers ziehen ja auch am selben Strang – aller- dings in die andere Richtung! Die Kernmaßnahmen des Masterplans Novellierung von StVO und FahrradVO sowie der Landesbauordnungen und Wohn- bauförderungen – harren noch im- mer einer Inangriffnahme. Ledig- lich Oberösterreich hat seit 2006 durch die Verpflichtung zur Er- richtung von Radstellplätzen im Rahmen der Bauordnung eine Vorreiterrolle eingenommen. Wie es J. Howard Kunstler in „The End of Suburbia“ analysiert hat, befindet sich die Verkehrspoli- tik im Zustand der Systembehar- rung eines technologischen, raumplanerischen und letztlich auch sozialen Lock-in. In dieser Systembeharrung werden vielerlei gut gemeinte Pläne geschmiedet – Konzepte und Pläne zu Verkehr, Siedlungsplanung oder gar Ener- gieautarkie. Wenn es aber um die effektive Umsetzung geht, um das Gießen in Gesetze und Finanzen, bleibt wenig übrig. Viel zu häufig sind die Maßnahmen gänzlich kontraproduktiv. Klar gibt es die nicht von der Hand zu weisenden Teilerfolge, von denen punktuell berichtet wird – meistens auf kommunaler Ebene. Hier konnte der Verkehrsmittelan- teil des Rades ein wenig gesteigert werden, dort eine Radabstellanlage eröffnet werden. Diese Maßnah- men sind aber nicht in einem sys- temrelevanten Ausmaß mit Ein- fluss auf das gesamte Verkehrssys- tem wirkend. Es sind punktuelle Maßnahmen an der Oberfläche. Was sind die Zeichen der Sys- tembeharrung anstatt eines Sys- temwechsels? Einerseits ist es der aktuell ganz besonders stark tech- nologisch motivierte Business- as-usual-Trend: etwa dem ener- getisch effizientesten Fortbewe- gungsgerät nun einen Stromruck- sack umzuhängen. Andererseits sind es die groben Mängel bei der Umsetzung von geäußerten Vor- haben in Normen, die struktur- und verhaltenswirksame Änderun- gen nach sich ziehen. Eine Kultur des Langsamverkehrs Übrig bleiben lediglich Oberflä- chenkosmetik und Marketing- schienen mit stark emotional para- digmatischem Einschlag und we- nig Rationalität. Eine Vielzahl an Labels und Aktionen ist vorhan- den: ein bisschen Radverleihsys- tem hier, manche Verkehrsspar- aktionen da, Radaktionstage dort – an einem Tag, aber den Rest des Jahres und in den Gesetzen domi- niert die Autoverkehrspolitik. Bewusstseinskampagnen sind zu wenig, damit das umweltver- trägliche Verkehrsmittel Fahrrad dauerhaft im Kopf der Verkehrs- teilnehmer und Entscheidungs- träger ankommt. Es bedarf einer gleichzeitigen Verankerung in un- seren Gesetzen und Budgets. Nur mit dem Ingangsetzen dieser posi- tiven Spirale zwischen Bewusst- sein einerseits und möglichst uni- versellen Handlungsanweisungen andererseits kann eine Kultur der Verkehrspolitik in Gang gesetzt werden, die den Langsamverkehr vorsieht und auch einsetzt. E-Mails an: [email protected] staaten auf dem Gipfel ih- res Reichtums angekom- men sind und eine Sätti- gung des Konsums erreicht haben, die nicht mehr quantitativ, son- dern nur noch in zunehmendem Raffinement und luxuriöser Verfei- nerung zu steigern ist, empfehlen sie der restlichen Welt, doch aus diesem Modell auszusteigen und eine „Glückswirtschaft“ anzustre- ben. Da werden sich die Menschen in Moldawien oder Weißrussland und anderen Armutszonen der Welt aber freuen! „Zwangsjacke des Wachstums“ Wenn sich ein Moldawier oder Afrikaner vielleicht eine Woh- nung wünscht, die er nicht mit seiner einzigen Kuh teilen muss, oder fließendes Wasser im Haus oder womöglich gar den Luxus eines Kühlschranks, werden ihm Friedman und Gilding antworten: Wozu denn dieser irdische Tand, das macht Sie doch nicht glück- lich! Wie gern werden sie dann darauf verzichten und zufrieden damit sein, dass zwar die beiden Herren in Amerika das alles und noch viel mehr haben, sie selbst aber schon auf Glückswirtschaft gesetzt sind. Es wären nicht die deutschen Grünen, wenn sie nicht auf diesen Trend aufgesprungen wären. Die Vizepräsidentin des deutschen Bundestags, Katrin Göring- Eckardt, nebenbei auch Präsiden- tin des Evangelischen Kirchentags schwärmt davon, die Welt aus der „Zwangsjacke des Wachstums“ zu befreien. Dieser Gedanke hat auch unter Angehörigen der katholi- schen Hierarchie viele Sympathi- santen. Göring-Eckhard bemüht den alten Kalauer, dass auch ein Verkehrsunfall zum Wirtschafts- wachstum beitrage, weil er Rotes Kreuz, Reparaturwerkstätten und Krankenhäuser beschäftige. Wer soll auf was verzichten? Wie Deutschland nach dem auch von ihr begeistert begrüßten Aus- stieg aus der Atomkraft und an- gesichts der Konkurrenz auf den Weltmärkten sich als Industriena- tion und Exportland neu erfinden soll – ohne Wirtschaftswachstum –, darauf hat sie keinen Gedanken verschwendet. Ähnlich wie die beiden Ameri- kaner von Glückswirtschaft faselt Göring-Eckhardt von einer „Kultur des Weniger“, einer Kultur, die „le- bensweltlich geerdet“ ist – was im- mer das heißen mag. Wie alle, die solches propagieren, sagt auch Gö- ring-Eckhardt wohlweislich nicht, wie und wo das „Weniger“ stattfin- den soll, wer auf was verzichten soll. Die Politiker auf Dienstreisen in der Businessclass, das einfache Volk auf das Auto, die Fernreise aus dem feuchtkalten Deutschland in ein warmes, sonniges Land? Und vor allem: Wer muss anfan- gen, und wer bestimmt, worauf die anderen verzichten müssen? Ein staatliches Glücksamt, besetzt mit grünen Ideologen? „Metaphorische“ Antworten Auf jeden Fall sollen wir weniger Energie verbrauchen, das ist eine Binsenweisheit. Unseren „Energie- hunger“ müssten wir eindämmen, schrieb mir ein Theologe aus Salz- burg, „SIE und ICH“. Auf meine Frage, welches der Elektrogeräte im Haushalt ich stilllegen müsse, bekam ich keine Antwort. Die ein- schlägigen Appelle seien ja ohne- hin nicht wörtlich zu verstehen, schrieb er weiter, sondern „meta- phorisch“, um die Menschen auf- zurütteln und „auf der emotiona- len Ebene“ anzusprechen. Es ist also alles ohnehin nicht ernst ge- meint. In Wirklichkeit kommt es über- haupt nicht darauf an, was ER und ICH tun, auch nicht einmal, was acht Millionen Österreicher tun. Eine Milliarde Chinesen, eine Mil- liarde Inder und eine weitere Mil- liarde Menschen im übrigen Asien, in Afrika und Lateinamerika möchten in etwa zu dem Lebens- standard aufschließen, den West- europäer, Amerikaner und Austra- lier haben. „Marshallpläne“ gegen Armut Mit bloßem „Glück“ werden sie sich nicht zufriedengeben wollen, und sie werden auch die Europäer und Amerikaner nicht fragen, ob sie das dürfen. Wenn man ihnen eine „Kultur des Weniger“ andre- hen möchte, werden sie das zu Recht für eine lächerliche Anma- ßung halten. Die vom „Weniger“ schwär- men, sind dieselben, die die Welt mithilfe von „Marshallplänen“ von Armut befreien möchten. Also was? Allein die Versorgung von Milliarden Menschen mit Wasser, Strom und elementaren Dingen des täglichen Lebens wird nicht ohne ein gewaltiges Wachstum zu bewerkstelligen sein. Und wenn diese Länder – was zu hoffen ist – aus den Erfahrungen der Indus- trieländer lernen und andere Sys- teme etwa für Verkehr und die Be- wohnbarkeit ihrer Megacitys fin- den müssen, wird das Wirtschafts- wachstum auslösen. Bei uns. Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“. Emails an: [email protected] gebotene Option bezeichnete. Im Übrigen hat Bayern Homeschoo- ling gestattet. An der rechtlichen Beurteilung eines „Zwangskindergartens“ für alle als Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben ändert dies nichts, da es hier um Drei- bis Fünfjährige handelt. Martin Hartig, 1060 Wien *** „Die Millionäre und der soziale Friede“ „Österreich ,blutet‘ für EZB-Ris- ken“, Analyse von C. Höller, 11. 6. Seit jeher gab es in der Gesellschaft Reiche und Arme. Dazwischen gab es jedoch immer einen breiten Mittelstand, der durch sein über- wiegendes Steueraufkommen den Frieden und die Stabilität der Ge- sellschaft garantierte. Die Globalisierung mit ihrer grenzenlos ungehinderten Finanz- spekulation hat diese Vermögens- schere jedoch unverantwortlich und erstmals sozial gefährlich wei- ter geöffnet. Österreich erhielt da- bei innerhalb nur eines Jahres zu seinen bereits vorhandenen 70.000 Millionären gleich 5000 neue hin- zu. Diese Millionäre besitzen 33 Prozent (!!) des gesamten Finanz- vermögens. Viele dieser Millionäre sind erst mit der Bankenkrise wirk- lich reich geworden. Ihre dabei er- littenen Spekulationsverluste hat ihnen Vater Staat ersetzt und sich dabei gleichzeitig schwer verschul- det. Um diese Schulden zu tilgen, braucht der Staat aber die Hilfe des Mittelstandes. Dieser wird sich je- doch auf Dauer die ungerechte Steuerverteilung zwischen Arbeit und Kapital zum krassen Nachteil der Lohneinkommen nicht länger gefallen lassen. Die ernstliche Bedrohung des sozialen Friedens in Europa sollte unsere Politiker zum Aufwachen und gerechten Handeln zwingen. Aber auch die Millionäre sollten sich Zeit zum Nachdenken neh- men. Denn Reichtum ohne sozia- len Frieden ist wenig wert. DI Dr. Arthur Traußnig, Bezirkshauptmann, 9400 Wolfsberg Griechenland: Politiker setzen auf Zeitgewinn „Kein Staat ist so pleite wie Grie- chenland“, 15. 6. Seit Wochen und Monaten hören wir von Politikern der gesamten EU, dass Griechenland gerettet werden müsse, weil sonst Fürch- terliches geschehen würde. Was ist das Fürchterliche? Vor gut einem Jahr wurde ein Rettungspaket in der Höhe von 110 Mrd. Euro be- schlossen; davon werden bis Ende des Monats wohl fünf Tranchen, in Summe 60 Mrd. Euro, überwiesen sein. Und schon ist die Rede von zusätzlichem Finanzbedarf zwi- schen 60 und 130 (!) Mrd Euro. Das griechische Bruttoinlands- produkt liegt bei 230 Mrd. Euro, die gesamten Staatsschulden bei 345 Mrd. Euro (mit den zusätzli- chen Krediten wohl bei 500 Mrd. Euro!), die Neuverschuldung wird etwa 25 Mrd. Euro betragen. Wie soll Griechenland jemals seine Schulden zurückzahlen? Es wird also mit jedem weiteren Kredit gu- tes Geld schlechtem Geld nachge- worfen. Die europäischen Bürger wissen das schon längst. Nur die Politiker tun so, als hätten sie es noch nicht verstanden. Obwohl wir wissen, dass sich Politiker mit dem Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge schwertun, glau- be ich, dass sogar sie es inzwi- schen begriffen haben. Es geht um etwas anderes: um Zeitgewinn. Die in Griechenland investier- ten Privatgläubiger, also viele euro- päische Banken, wehren sich da- gegen, die unvermeidliche Um- schuldung mitzutragen, und war- nen ihre Regierungen vor den in der Folge notwendigen nationalen Bankenrettungspaketen, die wie- der die Steuerzahler belasten wür- den; also setzen die Politiker auf Zeitgewinn. Warum tun sie das? Schon jetzt haben die invol- vierten Banken den größeren Teil ihrer griechischen Schrottanleihen der EZB angedreht. Wenn die Ban- ken das geschafft haben, werden sie mit Entrüstung einer Umschul- dung Griechenlands zustimmen. Die privaten Banken sind dann nicht mehr involviert, nur die EZB! Dann müssen die Steuerzahler al- lein die Zeche zahlen – die Banken müssen nicht „gerettet“ werden, sind also an der Misere nicht schuld. Nicht nur, dass die Banken, die als Gläubiger die Hauptlast zu tragen gehabt hätten, dann keinen besonderen Beitrag leisten, wer- den sie die EZB stützen – vermut- lich gegen saftige Zinsen, die wir bezahlen. DI Josef Koch, 1210 Wien

DIEPRES SE.COM DEB ATTE 27 In der Politik ist das Fahrrad ... · es sen produk tive Vor schläge zur ges amtheitlic hen A ttrak tivier un g des R adver ke hr s dis kutier t und he-rausge

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Zur Person

Dipl.-Ing TadejBrezina (*17. 2. 1976in Ljubljana) studiertean der TU Wien.Mitarbeiter diverserBaufirmen und

Ingenieursbüros. Seit 2008Projektassistent am Institut fürVerkehrsplanung und Verkehrs-technik der Technischen UniversitätWien. Zahlreiche Publikationen zuverkehrspolitischen Fragen,insbesondere Fahrradverkehr. [ privat ]

DEBATTE 27MONTAG, 20. JUNI 2011DIEPRESSE.COMDie Presse

Die abgedruckten Leserbriefe müssennicht der Meinung der „Presse“ ent-

sprechen. Die Redaktion behält sich vor,Leserbriefe zu kürzen. Je kürzer die

Zuschrift, desto höher die Chance aufVeröffentlichung.

Impressum: DebatteLeitung: Burkhard BischofE-Mail: [email protected] Leserbriefe:Ursula Mayer, Henriette Riegler-AdriganE-Mail: [email protected]

Debatte im Internet

DiePresse.com/debatte

In der Politik ist das Fahrradnoch nicht angekommenGastkommentar. Die österreichische Politik hat noch immer große Problememit der strukturellen Förderung nachhaltiger Verkehrsmittel.

VON TADEJ BREZINA

Ü ber die Notwendigkeiteiner ökologisch und sozialverträglichen Gestaltung

der Verkehrssysteme der Zukunftherrscht in der Fachwelt relativbreiter Konsens. Für die Umset-zung gibt es jedoch ambivalenteAnsichten. Hier zeigen sich dieSchwächen des föderal aufgesplit-teten Systems der österreichischenPolitikrealverfassung deutlich. Dieösterreichische Verkehrspolitik hatmit der strukturellen Förderungnachhaltiger Verkehrsmittel nochimmer große Probleme – mit demRadverkehr im Speziellen.

Ende April hat der Nationalratdie 23. Novelle der Straßenver-kehrsordnung verabschiedet. Siekann bestenfalls als Rumpf dessenbezeichnet werden, was möglichgewesen wäre. Den guten Ansät-zen im Vorfeld folgte lediglich einpolitischer Kuhhandel – das aller-kleinste, gemeinsame Vielfache.

Im zugehörigen Unteraus-schuss des Verkehrsministeriumssind über lange Zeit von den Ver-tretern der breit gestreuten Inter-essen produktive Vorschläge zurgesamtheitlichen Attraktivierungdes Radverkehrs diskutiert und he-rausgearbeitet worden. Einen ver-kehrsministeriellen Fernsehvor-stoß später, in der Tasche eine bes-tenfalls mangelhafte Studie – undschon ist mithilfe der parlamen-tarischen Vertretung des Automo-bilismus auch nichts mehr übrigvom ohnehin zaghaften Begutach-tungsentwurf.

Helmpflicht – eine „Belohnung“?Wie passend, dass auch noch in-transparente, aber stark bekräf-tigende Umfragewerte nachge-schossen werden können. Nur dieschwächsten Glieder in der Kette,die Rad fahrenden Kinder werdenmit einer Helmpflicht „belohnt“,wider die Vernunft aus interna-tionalen Erfahrungen, die zeigen,dass Helmpflichten den Radver-kehr nachhaltig verringerten.

Keine Spur von Maßnahmenzur Reduktion des Risikos, das vonden Erwachsenen durch motori-sierte Fahrzeuge ausgeht, keineFahrradstraßen, keine Aufhebungder Radwegbenützungspflicht. Cuibono? Soll hier nur der Weg für

eine generelle Radhelmpflicht inein paar Jahren geebnet werden?

Es ist zweifelsfrei feststellbar,dass es gute, erste Ansätze gibt. Soetwa der Masterplan Radfahrenaus 2006 mit der brandaktuellenRevision 2011. Hierin werden vomLebensministerium wichtige undrichtige Maßnahmen für eine Stär-kung ressourcenschonender Mo-bilitätsformen identifiziert.

Im Zustand der SystembeharrungDie anderen Player, die für dieföderalistische Umsetzung vongesetzeswirksamen Maßnahmenwichtig sind, wie beispielsweisedas Verkehrsministerium, die Bun-desländer und selbst die eigenePartei des Umweltministers ziehenja auch am selben Strang – aller-dings in die andere Richtung!

Die Kernmaßnahmen desMasterplans – Novellierung vonStVO und FahrradVO sowie derLandesbauordnungen und Wohn-bauförderungen – harren noch im-mer einer Inangriffnahme. Ledig-lich Oberösterreich hat seit 2006durch die Verpflichtung zur Er-richtung von Radstellplätzen imRahmen der Bauordnung eineVorreiterrolle eingenommen.

Wie es J. Howard Kunstler in„The End of Suburbia“ analysierthat, befindet sich die Verkehrspoli-tik im Zustand der Systembehar-rung – eines technologischen,raumplanerischen und letztlichauch sozialen Lock-in. In dieserSystembeharrung werden vielerleigut gemeinte Pläne geschmiedet –Konzepte und Pläne zu Verkehr,Siedlungsplanung oder gar Ener-gieautarkie. Wenn es aber um dieeffektive Umsetzung geht, um das

Gießen in Gesetze und Finanzen,bleibt wenig übrig. Viel zu häufigsind die Maßnahmen gänzlichkontraproduktiv.

Klar gibt es die nicht von derHand zu weisenden Teilerfolge,von denen punktuell berichtet wird– meistens auf kommunaler Ebene.Hier konnte der Verkehrsmittelan-teil des Rades ein wenig gesteigertwerden, dort eine Radabstellanlageeröffnet werden. Diese Maßnah-men sind aber nicht in einem sys-temrelevanten Ausmaß mit Ein-fluss auf das gesamte Verkehrssys-tem wirkend. Es sind punktuelleMaßnahmen an der Oberfläche.

Was sind die Zeichen der Sys-tembeharrung anstatt eines Sys-temwechsels? Einerseits ist es deraktuell ganz besonders stark tech-nologisch motivierte Business-as-usual-Trend: etwa dem ener-getisch effizientesten Fortbewe-gungsgerät nun einen Stromruck-sack umzuhängen. Andererseitssind es die groben Mängel bei derUmsetzung von geäußerten Vor-haben in Normen, die struktur-und verhaltenswirksame Änderun-gen nach sich ziehen.

Eine Kultur des LangsamverkehrsÜbrig bleiben lediglich Oberflä-chenkosmetik und Marketing-schienen mit stark emotional para-digmatischem Einschlag und we-nig Rationalität. Eine Vielzahl anLabels und Aktionen ist vorhan-den: ein bisschen Radverleihsys-tem hier, manche Verkehrsspar-aktionen da, Radaktionstage dort –an einem Tag, aber den Rest desJahres und in den Gesetzen domi-niert die Autoverkehrspolitik.

Bewusstseinskampagnen sindzu wenig, damit das umweltver-trägliche Verkehrsmittel Fahrraddauerhaft im Kopf der Verkehrs-teilnehmer und Entscheidungs-träger ankommt. Es bedarf einergleichzeitigen Verankerung in un-seren Gesetzen und Budgets. Nurmit dem Ingangsetzen dieser posi-tiven Spirale zwischen Bewusst-sein einerseits und möglichst uni-versellen Handlungsanweisungenandererseits kann eine Kultur derVerkehrspolitik in Gang gesetztwerden, die den Langsamverkehrvorsieht und auch einsetzt.

! E-Mails an: [email protected]

staaten auf dem Gipfel ih-res Reichtums angekom-men sind und eine Sätti-

gung des Konsums erreicht haben,die nicht mehr quantitativ, son-dern nur noch in zunehmendemRaffinement und luxuriöser Verfei-nerung zu steigern ist, empfehlensie der restlichen Welt, doch ausdiesem Modell auszusteigen undeine „Glückswirtschaft“ anzustre-ben. Da werden sich die Menschenin Moldawien oder Weißrusslandund anderen Armutszonen derWelt aber freuen!

„Zwangsjacke des Wachstums“Wenn sich ein Moldawier oderAfrikaner vielleicht eine Woh-nung wünscht, die er nicht mitseiner einzigen Kuh teilen muss,oder fließendes Wasser im Hausoder womöglich gar den Luxuseines Kühlschranks, werden ihmFriedman und Gilding antworten:Wozu denn dieser irdische Tand,das macht Sie doch nicht glück-lich! Wie gern werden sie danndarauf verzichten und zufriedendamit sein, dass zwar die beidenHerren in Amerika das alles undnoch viel mehr haben, sie selbstaber schon auf Glückswirtschaftgesetzt sind.

Es wären nicht die deutschenGrünen, wenn sie nicht auf diesenTrend aufgesprungen wären. DieVizepräsidentin des deutschenBundestags, Katrin Göring-Eckardt, nebenbei auch Präsiden-tin des Evangelischen Kirchentagsschwärmt davon, die Welt aus der„Zwangsjacke des Wachstums“ zubefreien. Dieser Gedanke hat auchunter Angehörigen der katholi-schen Hierarchie viele Sympathi-santen. Göring-Eckhard bemühtden alten Kalauer, dass auch einVerkehrsunfall zum Wirtschafts-wachstum beitrage, weil er RotesKreuz, Reparaturwerkstätten undKrankenhäuser beschäftige.

Wer soll auf was verzichten?Wie Deutschland nach dem auchvon ihr begeistert begrüßten Aus-stieg aus der Atomkraft und an-gesichts der Konkurrenz auf denWeltmärkten sich als Industriena-tion und Exportland neu erfindensoll – ohne Wirtschaftswachstum –,darauf hat sie keinen Gedankenverschwendet.

Ähnlich wie die beiden Ameri-kaner von Glückswirtschaft faseltGöring-Eckhardt von einer „Kulturdes Weniger“, einer Kultur, die „le-bensweltlich geerdet“ ist – was im-mer das heißen mag. Wie alle, diesolches propagieren, sagt auch Gö-ring-Eckhardt wohlweislich nicht,wie und wo das „Weniger“ stattfin-den soll, wer auf was verzichtensoll. Die Politiker auf Dienstreisenin der Businessclass, das einfache

Volk auf das Auto, die Fernreiseaus dem feuchtkalten Deutschlandin ein warmes, sonniges Land?Und vor allem: Wer muss anfan-gen, und wer bestimmt, worauf dieanderen verzichten müssen? Einstaatliches Glücksamt, besetzt mitgrünen Ideologen?

„Metaphorische“ AntwortenAuf jeden Fall sollen wir wenigerEnergie verbrauchen, das ist eineBinsenweisheit. Unseren „Energie-hunger“ müssten wir eindämmen,schrieb mir ein Theologe aus Salz-burg, „SIE und ICH“. Auf meineFrage, welches der Elektrogeräteim Haushalt ich stilllegen müsse,bekam ich keine Antwort. Die ein-schlägigen Appelle seien ja ohne-hin nicht wörtlich zu verstehen,schrieb er weiter, sondern „meta-phorisch“, um die Menschen auf-zurütteln und „auf der emotiona-len Ebene“ anzusprechen. Es istalso alles ohnehin nicht ernst ge-meint.

In Wirklichkeit kommt es über-haupt nicht darauf an, was ER undICH tun, auch nicht einmal, wasacht Millionen Österreicher tun.Eine Milliarde Chinesen, eine Mil-liarde Inder und eine weitere Mil-liarde Menschen im übrigen Asien,in Afrika und Lateinamerikamöchten in etwa zu dem Lebens-standard aufschließen, den West-europäer, Amerikaner und Austra-lier haben.

„Marshallpläne“ gegen ArmutMit bloßem „Glück“ werden siesich nicht zufriedengeben wollen,und sie werden auch die Europäerund Amerikaner nicht fragen, obsie das dürfen. Wenn man ihneneine „Kultur des Weniger“ andre-hen möchte, werden sie das zuRecht für eine lächerliche Anma-ßung halten.

Die vom „Weniger“ schwär-men, sind dieselben, die die Weltmithilfe von „Marshallplänen“ vonArmut befreien möchten. Alsowas? Allein die Versorgung vonMilliarden Menschen mit Wasser,Strom und elementaren Dingendes täglichen Lebens wird nichtohne ein gewaltiges Wachstum zubewerkstelligen sein. Und wenndiese Länder – was zu hoffen ist –aus den Erfahrungen der Indus-trieländer lernen und andere Sys-teme etwa für Verkehr und die Be-wohnbarkeit ihrer Megacitys fin-den müssen, wird das Wirtschafts-wachstum auslösen. Bei uns.

Hans Winkler war langjähriger Leiterder Wiener Redaktion der „KleinenZeitung“.

! Emails an: [email protected]

gebotene Option bezeichnete. ImÜbrigen hat Bayern Homeschoo-ling gestattet.

An der rechtlichen Beurteilungeines „Zwangskindergartens“ füralle als Eingriff in das Recht aufPrivat- und Familienleben ändertdies nichts, da es hier um Drei- bisFünfjährige handelt.Martin Hartig, 1060 Wien

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„Die Millionäre undder soziale Friede“„Österreich ,blutet‘ für EZB-Ris-ken“, Analyse von C. Höller, 11. 6.Seit jeher gab es in der GesellschaftReiche und Arme. Dazwischen gabes jedoch immer einen breitenMittelstand, der durch sein über-wiegendes Steueraufkommen denFrieden und die Stabilität der Ge-sellschaft garantierte.

Die Globalisierung mit ihrergrenzenlos ungehinderten Finanz-spekulation hat diese Vermögens-schere jedoch unverantwortlichund erstmals sozial gefährlich wei-ter geöffnet. Österreich erhielt da-

bei innerhalb nur eines Jahres zuseinen bereits vorhandenen 70.000Millionären gleich 5000 neue hin-zu. Diese Millionäre besitzen 33Prozent (!!) des gesamten Finanz-vermögens. Viele dieser Millionäresind erst mit der Bankenkrise wirk-lich reich geworden. Ihre dabei er-littenen Spekulationsverluste hatihnen Vater Staat ersetzt und sichdabei gleichzeitig schwer verschul-det. Um diese Schulden zu tilgen,braucht der Staat aber die Hilfe desMittelstandes. Dieser wird sich je-doch auf Dauer die ungerechteSteuerverteilung zwischen Arbeitund Kapital zum krassen Nachteilder Lohneinkommen nicht längergefallen lassen.

Die ernstliche Bedrohung dessozialen Friedens in Europa sollteunsere Politiker zum Aufwachenund gerechten Handeln zwingen.Aber auch die Millionäre solltensich Zeit zum Nachdenken neh-men. Denn Reichtum ohne sozia-len Frieden ist wenig wert.DI Dr. Arthur Traußnig,Bezirkshauptmann, 9400 Wolfsberg

Griechenland: Politikersetzen auf Zeitgewinn„Kein Staat ist so pleite wie Grie-chenland“, 15. 6.Seit Wochen und Monaten hörenwir von Politikern der gesamtenEU, dass Griechenland gerettetwerden müsse, weil sonst Fürch-terliches geschehen würde. Was istdas Fürchterliche? Vor gut einemJahr wurde ein Rettungspaket inder Höhe von 110 Mrd. Euro be-schlossen; davon werden bis Endedes Monats wohl fünf Tranchen, inSumme 60 Mrd. Euro, überwiesensein. Und schon ist die Rede vonzusätzlichem Finanzbedarf zwi-schen 60 und 130 (!) Mrd Euro.

Das griechische Bruttoinlands-produkt liegt bei 230 Mrd. Euro,die gesamten Staatsschulden bei345 Mrd. Euro (mit den zusätzli-chen Krediten wohl bei 500 Mrd.Euro!), die Neuverschuldung wirdetwa 25 Mrd. Euro betragen. Wiesoll Griechenland jemals seineSchulden zurückzahlen? Es wirdalso mit jedem weiteren Kredit gu-tes Geld schlechtem Geld nachge-

worfen. Die europäischen Bürgerwissen das schon längst. Nur diePolitiker tun so, als hätten sie esnoch nicht verstanden. Obwohlwir wissen, dass sich Politiker mitdem Verständnis wirtschaftlicherZusammenhänge schwertun, glau-be ich, dass sogar sie es inzwi-schen begriffen haben. Es geht umetwas anderes: um Zeitgewinn.

Die in Griechenland investier-ten Privatgläubiger, also viele euro-päische Banken, wehren sich da-gegen, die unvermeidliche Um-schuldung mitzutragen, und war-nen ihre Regierungen vor den inder Folge notwendigen nationalenBankenrettungspaketen, die wie-der die Steuerzahler belasten wür-den; also setzen die Politiker aufZeitgewinn. Warum tun sie das?

Schon jetzt haben die invol-vierten Banken den größeren Teilihrer griechischen Schrottanleihender EZB angedreht. Wenn die Ban-ken das geschafft haben, werdensie mit Entrüstung einer Umschul-dung Griechenlands zustimmen.Die privaten Banken sind dannnicht mehr involviert, nur die EZB!

Dann müssen die Steuerzahler al-lein die Zeche zahlen – die Bankenmüssen nicht „gerettet“ werden,sind also an der Misere nichtschuld. Nicht nur, dass die Banken,die als Gläubiger die Hauptlast zutragen gehabt hätten, dann keinenbesonderen Beitrag leisten, wer-den sie die EZB stützen – vermut-lich gegen saftige Zinsen, die wirbezahlen.DI Josef Koch,1210 Wien