Ein Au sflug in den Ka lten Krieg - darc.de · uf ge nau 11 11M etern üb er de mM eer be hi nder t...

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8 REGION SONNTAG, 7. APRIL 2019

uf genau 1111 Metern über dem Meer behindertnichts den Blick in den BayerischenWald und hi-nüber nach Tschechien. Den Erbauern des Riesen-turms über Neukirchen beim Heiligen Blut ginges allerdings nicht um die Aussicht – sie wolltenSignale aus demOsten abhören, den Funkverkehrrussischer Migs und feindlicher Kommandozent-ralen jenseits der Grenze. Deutsche, amerikani-sche und französische Soldaten hörten 40 Jahrelang mit. Angeblich reichten ihre Ohren fast biszumSchwarzenMeer.

Gut zwei Drittel aller in Westdeutschlandgeführten Telefongespräche abhörbar

Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, am1042 Meter hohen Cerchov, nur ein paar Kilome-ter Luftlinie vom Hohenbogen entfernt, standpraktisch auf Augenhöhe einer der wichtigstenSpionageposten desWarschauer Pakts. Er rühmtesich, Funk- und Richtfunkverbindungen der Natobis nach Paris abhören zu können. IrrwitzigeMengen an Informationen aus dem Militär, derPolitik und derWirtschaft desWestens schöpftendie russischenund tschechischenLauscher ab.

Mit dabei war das DDR-Ministerium für Staats-sicherheit, dessenHauptabteilung III denTelefon-,

AFax- und Fernschreibverkehr in der Bundesrepub-lik anzapfen und dabei reiche Beute machenkonnte. Was über Richtfunk lief, war für das Mi-nisterium (ab)hörbar – gut zwei Drittel aller inWestdeutschlandgeführtenTelefongespräche.

Es herrschte der klare Befehl,auf Eindringlinge zu schießen

Damals war es lebensgefährlich, sich dem Cer-chov-Gipfel zu nähern. Das Wachpersonal hatteBefehl, auf Eindringlinge zu schießen. Das Gelän-de war zum Teil vermint, zwischen Stacheldrahtund Elektrozäunen liefen scharfe Hunde. Heutelassen sich die Anlagen des Warschauer Pakts beieiner etwa zweistündigen Wanderung vom baye-rischen Waldmünchen oder bequem per Bus er-reichen. Wo einst Soldaten patrouillierten, wer-den heute in einer zum Bistro umgewandeltenMilitärbaracke Pilsner Bier und Schnitzel mitPommes verkauft.

Drüben im bayerischen Neukirchen waren dieNato-Türme, wie sie in der Bevölkerung genanntwurden, weithin sichtbar. Es gab allerlei Gerüch-te: Mal war von Raketensilos die Rede, mal vonGerätschaften, die Strahlung aussenden. Dochwas wirklich auf demHochsicherheitsgelände ge-schah, wussten unten im Tal die Wenigsten. Dasänderte sich erst, als der Lauschposten 2004 aufge-geben und später zu einem symbolischen Preis anden jungenMichael Schreiner verkauftwurde.

Der heute 36-Jährige baute auf den höchstender verbliebenen zwei Nato-Türme nicht nur einegroßeAussichtsplattform, auf die 262 Stufen einerkühnen, stählernen Außentreppe führen. Schrei-ner organisiert auch Besichtigungen des „Sek-tor.f“. Das war die militärische Bezeichnung der

EinAusflug indenKaltenKriegAUSFLUGSTIPP Einst konnteman sich ihnen nur unterLebensgefahr nähern. Heute kann jeder die Horch- undSpionagetürme auf den Bergen des BayerischenWaldesbesichtigen – eine Reise in die Zeit des Kalten Krieges.VON JOACHIM HAUCK

BAYERWALD

Geschichte erleben: Nato-Türme im BayerischenWald

Beidseitiger Lauschangriff: Auf demCerchov befindet sich ein ehemaligerSpionageturm, über den die Sowjetsin denWesten lauschten.

FOTO: ANDREASMEYER/LANDRATSAMTCHAM

Früher Spionageort, heute Touristen-ziel: Die ehemaligen „Nato-Türme“ imBayerischen Wald locken viele Besu-cher an.

FOTOS: STEFAN GRUBER/LANDRATSAMTCHAM

REGION 9SONNTAG, 7. APRIL 2019

Geschichte erleben: Nato-Türme im BayerischenWald

„DieTürmewarendasNato-Cyber-CenterderSiebzigerjahre, dasmit immensemAufwandbetriebenwurde.MICHAEL SCHREINERVerein Sektor.f e. V.

Das Schild mit der Aufschrift „Vor-sicht Schusswaffengebrauch“ ist nochein Überbleibsel aus der Zeit des Kal-ten Krieges. Vom Hohenbogen aushörten die westlichen Mächte wäh-rend des Kalten Krieges den Funkver-kehr imOsten ab.FOTO: JOACHIM HAUCK / STEFAN GRUBER/LAND-RATSAMTCHAM

Lauschangriff: Auf dem Cerchov befindet sich einehemaliger Spionageturm, über den die Sowjetsin denWesten lauschten.

FOTO: ANDREASMEYER/LANDRATSAMTCHAM

SPIONAGETÜRME IM BAYERISCHEN WALD

Sektor.f: Zugänglich sind „Sektor.f“und die Aussichtsplattform (sechs Eu-ro Eintritt) imApril täglich von 10 bis16Uhr, vonMai bis September von 8bis 20Uhr.DasGelände ist über eineStraße erschlossen,die im letzten Teilnurmit Ausnahmegenehmigung be-fahrenwerden darf. Frei ist die Zufahrtbis zumWanderparkplatz bei derDiensthütte desHohenbogen.Vondort sind es noch rund vier Kilometerbis zumGipfel. Schöner ist jedoch dieetwa halbstündigeWanderung vonder Bergstation derHohenbogen-Ses-selbahn bei Neukirchen.www.sektor-f.de/aussichtsplattform

Cerchov: Für denCerchov auf dertschechischenSeite empfiehlt sich ei-ne etwa zweistündigeWanderung abWaldmünchen über denCerchovsteig.Die Anlage auf demGipfel ist imMaiund Juni anWochenenden von 10 bis17Uhr geöffnet, im Juli undAugusttäglich außermontags von 10 bis 17Uhr, sowie imSeptember undOktobernur an Samstagen undSonntagen.Dasich die Zeiten immerwiedermal än-dern können, empfiehlt sich eineNachfrage bei der Tourist-Info FurthimWald Telefon: (0 99 73) 5 0980oder onlinewww.bayerischer-wald-ganz-oben.de

Anlage, die 1967 als Teil einer Kette vonfünf Abhörstationen zwischen Ostseeund Bayerwald in Betrieb genommenwurde. Und so heißt auch der Verein,der sich mit Schreiner inzwischen umErhalt und Entwicklung der Anlagekümmert.

5300 Tonnen Beton und 550 TonnenStahl wurden damals im „Sektor.f“ ver-baut, die Türme mit Technik vollge-stopft, die alle zehn Jahre auf den je-weils neuesten Stand gebracht wurde.Die Kosten, da ist sich Michael Schrei-ner sicher, dürften sich über die Jahrehinweg auf einen dreistelligen Millio-nenbetrag summiert haben.

„Sektor.f“ bot fast 200 amerikani-schen und französischenMilitärs Platz.Nochmal so viele SoldatenvonLuftwaf-fe und Heer sowie Mitarbeiter des Bun-desnachrichtendienstes kamen hinzu.Die konnten für damalige Verhältnisserecht komfortabel arbeiten, anders alsdie Konkurrenz jenseits des EisernenVorhangs, die in eher schäbigen Bara-cken schlafenundDienst tunmusste.

Alles musste vonMenschengehört und dokumentiert werden

„Die Türmewaren das Nato-Cyber-Cen-ter der Siebzigerjahre, das mit immen-sem Aufwand betrieben wurde“, sagtSchreiner. Denn anders als heute gab eskeine High-Tech-Geräte, die auf ver-dächtige Stichworte reagierten undselbstständig die Aufzeichnung vonmutmaßlich interessanten Gesprächenstarteten. Was immer auch ausspio-niert werden sollte, esmusste komplettvon Menschen abgehört und doku-mentiert werden – eine mühsame undzeitraubende Arbeit. Schreiner und sei-ne Helfer kümmern sich mit großem

persönlichen und finanziellen Auf-wand umden Erhalt der einst geheims-ten Teile des Militärkomplexes: Sie hal-ten die Abhör-Räume im Hauptturmund die düsteren, feuchten Gänge un-ter der Erde in Schuss, kontrollieren re-gelmäßig die großen Versorgungs- undKühlanlagen im Innernundnoch tieferunten den kleinen Atombunker. Diesersollte 50 Mann aufnehmen und ihnendie Chance geben, einen regional be-grenztenAtomwaffeneinsatz zuüberle-ben.

Schauergeschichten vonatomaremKrieg

Bei Schreiners Erzählung frösteln Besu-cher selbst an den heißesten Sommer-tagen: „Bei Furth im Wald ist der brei-teste Taleinschnitt im BayerischenWald, und über den sollten die russi-schen Panzer rollen. Diesen Vorstoßwollten die Amerikaner mit dem dras-tischstenMittel verhindern – durch dieatomare Verseuchung der ganzen Ge-gend.“ Die Erinnerung an den KaltenKrieg mit der am Hohenbogen nochsichtbaren Gefahr tödlicher atomarerAuseinandersetzungen halten MichaelSchreiner und der Verein „Sektor.f“ mitBedachtwach.

Mittelfristig möchten sie aus demMilitärkomplex ein Symbol des Frie-dens und der Völkerverständigung,nämlich ein Bildungs- und Begeg-nungszentrum für junge Leute ausganz Europa machen. Schon jetzt dientdie Anlage friedlichen Zwecken: Ama-teurfunker aus ganz Deutschland nut-zen sie gern für ihrHobby –undTouris-ten wie Einheimische freuen sich überdiewirklich grandioseAussicht vonder1111-Meter-Plattform.

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