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Der Beitrittskandidat zur EU, Mazedonien, droht in ein autoritäres Regime abzurutschen. Die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt, die Opposition regelmäßig Repressionen ausgesetzt. Im Interview spricht Goran Milevski, Präsident der Liberaldemokratischen Partei LDP, über die Menschenrechtssituation in Mazedonien.
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Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit | Fokus Menschenrechte
Fokus Menschenrechte
Nr. 11 / Mai 2015
Mazedonien: Bald eine Diktatur in Europa?
Daniel Kaddik & Lukas Bieber
Der Beitrittskandidat zur EU, Mazedonien, droht in ein autoritäres Regime abzurutschen. Die
Pressefreiheit ist stark eingeschränkt, die Opposition regelmäßig Repressionen ausgesetzt.
Im Interview spricht Goran Milevski, Präsident der Liberaldemokratischen Partei LDP, über
die Menschenrechtssituation in Mazedonien.
Die Hybris von autoritären Machthabern spiegelt
sich oft in pompösen Bauwerken wider. So ist es
auch in Skopje, der Hauptstadt Mazedoniens, wo
man nahezu an jeder Ecke neu gestaltete ne-
oklassizistische Fassaden erblickt. Während das
Dictator‘s Wonderland bei Besuchern mit Erstau-
nen und Belustigung aufgenommen wird, bleibt
die Modernisierung einer Fassade, die den Blick
von der politischen und Situation ablenkt.
Tatsächlich droht der Beitrittskandidat zur EU,
Mazedonien, in ein autoritäres Regime abzurut-
schen. Die rechtskonservative Regierungspartei
VMRO-DPMNE um Premierminister Nikola Grue-
vski konzentriert zunehmend alle staatliche Ge-
walt auf sich. Dabei gewinnen ihre Aktionen
zunehmend an autoritären Zügen, die Men-
schen- und Bürgerrechte aushöhlen.
EU-Kandidat mit dunklen Schatten Nicht regierungsnahe Journalisten werden auf-
grund zweifelhafter Beweislage zu drakonischen
Haftstrafen verurteilt. So erging es beispielsweise
Tomislav Kezarovski, dem vorgeworfen wird, er
habe Namen von Zeugen in einem Mordprozess
veröffentlicht. Die fadenscheinige Argumentation
der mazedonischen Gerichte suggeriert jedoch,
dass eher Kezarovskis investigatives Arbeiten
Auslöser für die Inhaftierung waren. REPORTER
OHNE GRENZEN hat bereits die sofortige Freilas-
sung Kezarovskis gefordert. In der Pressefrei-
heitsrangliste der Organisation von Anfang die-
sen Jahres, rangiert Mazedonien auf Platz 117
von 180 und liegt somit noch hinter Mon-
tenegro, Moldawien, Kosovo und zahlreichen
afrikanischen Krisenstaaten. War das Land 2009
noch auf Platz 34 haben zunehmende Kontrolle
der staatlichen Organe über die Medienland-
schaft, gewaltsame Übergriffe und Schließung
unbequemer Medien ein Klima der Unfreiheit
geschaffen. In diesem ist die seit 2008 regieren-
de VMRO-DPMNE medial allgegenwärtig.
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Gleichzeitig müssen Bürger, die zu einem nicht
unerheblichen Teil in staatlichen Institutionen
und Betrieben arbeiten, mit schwerwiegenden
Konsequenzen rechnen, falls sie sich dem Grue-
vski-Clan gegenüber nicht als loyal erweisen. Mit
einer außerordentlich hohen Arbeitslosenrate
von offiziell über 30 Prozent, ergeben sich so
direkte Abhängigkeiten fast jeder Familie von
staatlichen Leistungen. Dramatisch daran ist,
dass vor allem junge Menschen von Arbeitslosig-
keit betroffen sind, hier sind es über 50 Prozent.
Auf diese offensichtlichen innenpolitischen Prob-
leme reagiert Gruevski mit Repression. So wur-
den beispielsweise Abgeordnete der oppositio-
nellen Parteien Ende 2012 von Mitgliedern des
Sicherheitsapparates aus dem Parlament geprü-
gelt, um der Regierung genug Ruhe für einen
Nachtragshaushalt zu geben. Nach den letztjäh-
rigen Parlamentswahlen verweigerte die Opposi-
tion parteiübergreifend, die Mandate auszuüben.
Skandale und politisches Chaos Derzeit erschüttern beispiellose Skandale das
Land, die einen Eindruck davon vermitteln, wie
sehr es sich von europäischen Werten entfernt
hat. Der Opposition um den Sozialdemokraten
Zoran Zaev zufolge gibt es Mitschnitte mit denen
bewiesen werden kann, wie die Gruevski-
Regierung das Land systematisch ausplündert,
indem sie staatliche Institutionen und Medien
kontrolliert. Der Oppositionsblock, in dem auch
die liberale Partei LDP vertreten ist, hat mit der
Veröffentlichung von eindeutigem Beweismate-
rial begonnen, welches die autoritären Praktiken
Gruevskis offenlegen soll und fordert dessen
Rücktritt. In bisherigen Pressekonferenzen hatte
Zaev Mitschnitte von Telefongesprächen von
Regierungsmitgliedern präsentiert, die Korrupti-
onsskandale und Machtmissbrauch belegen. So
soll Gruevski die systematische Abhörung von
Oppositionellen, Staatsanwälten, Bediensteten
ausländischer Botschaften sowie ca. 20.000 Bür-
ger angeordnet haben. Von Beginn an hat die
Regierung sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen.
Die Regierung behauptet, Zaev sei ein ausländi-
scher Agent, der mit der Hilfe von ausländischen
Geheimdiensten die aktuelle Regierung zu Fall
bringen wolle. Als Reaktion wurde Zaevs Reise-
pass konfisziert und der vorherige Geheimdienst-
chef, Zoran Verusevski, wurde verhaftet. Die
regierungstreuen Sender wiederholten diese
Behauptung und nutzten die Situation für Pro-
paganda gegen die Opposition.
Trotz immer weitergehender Enthüllungen wei-
gert sich Gruevski zurückzutreten. Dies obgleich
Der Index der Pressefreiheit bewertet die Pressefreiheit in 180 Staaten weltweit. Je höher der Indexwert, desto einge-
schränkter ist die Pressefreiheit. In Mazedonien zeigt sich seit der Machtübernahme von Gruevski ein deutlicher Rückgang
der Freiheit und Unabhängigkeit von Medien und Presse.
Grafik: FNF mit Daten von https://www.reporter-ohne-grenzen.de/
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Mitschnitte darauf hindeuten, dass Gruevski
Wahlen im großen Stil manipuliert hat. Zuletzt
wurden Aufnahmen veröffentlicht, in denen Gru-
evski Schmiergelder in Höhe von 20 Millionen
Euro von chinesischen Firmen für Auftragsverga-
ben angenommen haben soll.
Weiterhin droht die Opposition damit, die „große
Bombe platzen“ zu lassen. Die politische Situati-
on Mazedoniens wird zunehmend instabiler und
unübersichtlicher. In Anbetracht der bereits ver-
öffentlichten Daten ist nur schwer vorstellbar,
was noch kommen mag.
Die aktuellen Entwicklungen geben Anlass zu
großer Sorge, dass sich das Land zu einem auto-
ritär geführten System wandelt. So hat zuletzt
der britische Botschafter in Mazedonien, Charles
Garrett, die Einsetzung einer Übergangsregierung
gefordert.
Goran Milevski zur Lage in Mazedonien
FNF interviewt den Präsidenten der Liberalde-
mokratischen Partei (LDP) Goran Milevski.
Herr Milevski, die Zuspitzung der innenpoliti-
schen Lage Mazedoniens bleibt leider in den
Medien in Europa weitgehend unbemerkt.
Können Sie uns daher einen Überblick über die
aktuelle Gemengelage geben?
Hauptgrund für die Zuspitzung der Situation ist
der mangelnde Wille, um nicht zu sagen die Un-
fähigkeit, der aktuellen Regierung zu demokrati-
schen Prozessen. Dies spiegelt sich vor allem in
der miserablen Situation der Menschenrechte
oder der Pressefreiheit wider. So sind systemati-
sche Verhaftungen von Oppositionspolitikern und
Journalisten, die über politische Wettbewerber
berichten, an der Tagesordnung. Sämtliche Aktio-
nen auf Seiten der Zivilgesellschaft rufen heftige
Gegenreaktionen hervor, da die Bürger vom Re-
gime als illoyal eingestuft werden. Diese Gegen-
reaktionen richten sich sogar gegen Angestellte in
staatlichen Institutionen oder Betrieben, die auch
nur minimal von der Hauptlinie der VMRO-
DPMNE abweichen. Die Spitze des Eisberges ist
nun die Veröffentlichung von „Die Wahrheit für
Mazedonien“. Diese Dokumente, gesammelt und
veröffentlicht durch Zoran Zaev beweisen Abhör-
praktiken der Regierung gegen die Opposition,
Bürger und Journalisten.
Können Sie uns erklären, wie Sie in der derzei-
tigen Situation Ihre Arbeit organisieren? Wie
sieht Ihre liberale Antwort aus?
Wie bereits erwähnt, beweist das veröffentlichte
Material die Einflussnahme der Regierung im
Justizsystem, beim Besetzen von Ämtern und bei
behördlichen Entscheidungen im Allgemeinen.
Auch beweist dieses Material Wahlfälschung im
großen Stil. Vor diesem Hintergrund ist es äußerst
schwierig demokratische Standards umzusetzen
und die liberale Idee zu verbreiten, so sehr wir uns
dies auch wünschen.
Johannes Hahn, der EU-Kommissar für Nach-
barschaftspolitik und Erweiterungsverhandlun-
gen, war vor kurzem in Skopje, um sich selbst
ein Bild von der derzeitigen Situation zu ma-
chen. Wenn Sie Hahn getroffen hätten, was
hätten Sie ihm mit auf dem Weg gegeben?
Wenn Sie mich fragen, dann sollte Hahn nicht
vorschnell Position beziehen, offen bleiben und
die Entwicklung der Geschehnisse weiterhin ver-
folgen. Europa steht für liberale demokratische
Werte. Weder Sie noch wir können es daher zu-
lassen, dass sich im Herzen Europas eine Diktatur
entwickelt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die
Europäische Union dies nicht bei einem Beitritts-
kandidaten sehen möchte. Daher hoffe ich auch
auf eine adäquate Antwort der internationalen
Staatengemeinschaft.
Wie schätzen Sie die Anteilnahme der europäi-
schen und internationalen Staatengemein-
schaft bislang ein?
Das aktuelle Interesse schätzen wir natürlich
sehr. Gerade der Besuch Hahns hat uns zuver-
sichtlich gemacht, dass unsere Lage nicht auf
Desinteresse stößt. Nichtsdestotrotz sind die
Statements seitens der EU indirekt und wenig
konkret. So hat man manchmal den Eindruck,
Goran Milevski, Präsident der Liberaldemokratischen
Partei (LDP)
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Impressum
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Bereich Internationale Politik
– Referat Asien und Menschenrechte –
Karl-Marx-Straße 2
D-14482 Potsdam
menschenrechte@freiheit.org
www.freiheit.org
dass die aktuelle Regierung sogar etwas in Schutz
genommen wird. Daher hoffen wir, dass wir durch
die Veröffentlichung von eindeutigem Beweisma-
terial die Augen der Staatengemeinschaft für die
Wahrheit öffnen können.
Im Laufe der letzten Wochen wurde über die
autoritären Praktiken scheibchenweise berich-
tet. Ist die so genannte „Bombe“ denn schon
tatsächlich explodiert? Was können wir in den
nächsten Wochen von den Liberalen in Maze-
donien erwarten?
Sagen wir es so: Alle Vorbereitung zur Explosion
der „Bombe“ sind getroffen. Wie bereits erwähnt
werden wir noch sensibleres und noch belasten-
deres Material in Bälde veröffentlichen. An dieser
Stelle bitte ich um Ihr Verständnis, denn wir ha-
ben in der oppositionellen Koalition Stillschwei-
gen über unsere nächsten Schritte vereinbart.
Was ich bereits preisgeben kann, ist, dass Sie mit
Sicherheit geschockt bzw. sogar angewidert sein
werden über die undemokratischen Praktiken
Gruevskis in den letzten zehn Jahren.
Goran Milevski ist seit Ende Januar dieses Jahres
Präsident der Liberaldemokratischen Partei Ma-
zedoniens. 2014 wurde er in das nationale Parla-
ment gewählt, allerdings trat er sein Mandat aus
Protest gegen die autoritäre Regierung Gruevskis
nicht an. Parteiübergreifend hatten sich die oppo-
sitionellen Kräfte zu diesem Schritt entschlossen.
Vor seiner Wahl unterrichtete Milevski zehn Jahre
lang Wirtschaft an einer weiterführenden Schule.
Daniel Kaddik ist Projektleiter der FNF für Südosteuropa.
Lukas Bieber ist Praktikant im Regionalbüro Südost- und Osteuropa der FNF in Sofia.
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