Geschichte/Prinzipien/Strategien der Krankheits-Eradikation · Public Health Aspekte: Die Pocken...

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Olaf Müller

Institut für Public Health Klinikum

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Geschichte/Prinzipien/Strategien der Krankheits-Eradikation

Wie sind Krankheits-

Ausrottung/Eradikation und

Elimination gegenüber der

Krankheitskontrolle definiert ?

Frage 1

Eradikation: Reduktion der Inzidenz einer

Erkrankung auf unserem Globus auf Null

(Cave: Extinktion)

Beispiel - Pocken

Definitionen

Elimination: Reduktion der Inzidenz einer

Erkrankung in einer definierten geographischen

Region auf Null

(Cave: Spezielle Definitionen, z. B. Lepra)

Beispiel – Malaria in Deutschland

Definitionen

Kontrolle: Reduktion der Inzidenz einer Erkrankung

in einer definierten geographischen Region oder

global auf ein Niveau das keine Bedrohung mehr für

Public Health bedeutet

Beispiel – Flussblindheit

in Burkina Faso

Definitionen

Eradikations-Programme im 20. Jahrhundert

Hakenwürmer (1909 – 1925)

Gelbfieber (1915-77)

Yaws (Frambösie) (1954-67)

Malaria (1955-69; 2007 - )

Pocken (1958/67-80)

Poliomyelitis (1988 - )

Guinea Wurm (1991 - )

Was wissen Sie über Hakenwürmer ?

Frage 2

Erreger: Ancylostoma duodenale und Necator americanus

Klinik: Anämie

Epidemiologie: Weitverbreitet unter schlechten

Hygienebedingungen in warmen Ländern, Larven bohren sich

durch Fusshaut, erwachsene Würmer saugen Blut an

Darmkapillaren

Interventionen: Massenbehandlung mit Chemotherapetika

Hakenwurm-Programm

Hakenwurm-Programm

Warum Eradikation?

Anfang 20. Jahrhundert großes Problem in den

landwirtschaftlichen und industriellen Wachstums-

Regionen der US Südstaaten

Rockefeller Stiftung

Dr. Fred Soper testete primär Medikamenten-

Programme in Lateinamerika

Regional begrenzte Programme, 1925 beendet

Hakenwurm-Programm

Paradigma-Entwicklung:

Der hier erstmals propagierte Ansatz vertikaler Krankheits-

Bekämpfung bei Erkrankungen, die primär sozio-ökonomische

Determinanten haben und eher durch eine Verbesserung der

Lebensbedingungen (z.B. Schuhe, Wasserversorgung,

Toiletten) bekämpft werden können, wurde im weiteren

Verlauf der Geschichte auf zahlreiche andere Infektions-

krankheiten von Public Health Bedeutung übertragen.

Hakenwurm-Programm

Was wissen Sie über Gelbfieber ?

Frage 3

Erreger: Gelbfieber-Virus

Klinik: Hämorrhagisches Fieber mit hoher Letalität

Gelbfieber-Programm

Epidemiologie:

Im tropischen Afrika und Lateinamerika von Aedes-Mücken

übertragene Erkrankung (früher auch Südeuropa; nie Asien)

(1) Epidemisches urbanes Gelbfieber, Vektor-Übertragung

Mensch zu Mensch

(2) Endemisches Dschungelgelbfieber, Affen u. a. Wirte,

Mensch artefizieller Wirt

Virus-Import durch Sklavenhandel in USA

Schwere Epidemien in USA, Panama und Karibik

Gelbfieber-Programm

Gelbfieber-Programm

Epidemiologie:

Walter Reed entdeckt die Aedes-Übertragung (Kuba)

William Gorgas eliminiert Gelbfieber in Kuba durch

systematische Mückenbekämpfung; Fred Soper entwickelt Aedes-

Bekämpfung in Brasilien zur Perfektion

Regionales, später globales, Gelbfieber-Eliminations-Programm

(obwohl seit 1930 wirksamer Impfstoff)

1977 Einstellung, da Zoonose

Gelbfieber-Programm

Interventionen: Vektor-Kontrolle

Paradigma-Weiterentwicklung:

Auf der Basis dieser Erfahrung wurden quasi-militärisch

ausgerichtete vertikale Mückenbekämpfungsprogramme gegen

Gelbfieber dann auch erfolgreich in den USA, Panama, Mexiko

und Brasilien durchgeführt und entwickelten sich zum globalen

Modell vertikaler und zentralisierter Eliminations und

Eradikationsprogramme

Gelbfieber-Programm

Paradigma-Weiterentwicklung:

Die Programme basierten auf einer strikt hierarchischen

Organisation, auf standardisierten Methoden, auf detailliertem

Datenmanagement, und auf rein bio-medizinischen

Interventionen.

Proof of Principle: A. gambiae Elimination 1939 in Brasilien

Gelbfieber-Programm

Was wissen Sie über Yaws

(Frambösie) ?

Frage 4

Erreger: Treponema pertunae (verwandt mit Lues/Syphilis)

Klinik: Chronische Haut-Ulzera; Zerstörung von Knochen-

substanz; asymptomatische Infektionen

Epidemiologie: In warmer feuchter Umgebung durch Haut-

kontakt bei schlechten hygienischen Bedingungen übertragen.

Fred Soper startete extrem vertikales Programm auf Kuba

(Behandlungszentren, spezielle Teams, Inspektoren; Kosten teils

PAHO/UNICEF, großteils Haiti) – Prävalenz sank von 50% auf

0.3%

Yaws-Programm

Interventionen: Massenbehandlung mit Penicillin wenn

Prävalenz <10%, sonst individuelle Behandlung + Kontakte. 15

Jahre in 46 Ländern – 95% Senkung der Prävalenz (50-100 Mio

1948, 2.5 Mio 2007)

Das globale Programm wurde 1967 eingestellt!

- Aufgrund guter Kontrolle und damit geringer Priorität, latenter

Verläufe und neuer Prioritäten (Malaria)

Yaws-Programm

Was wissen Sie noch über Pocken ?

Frage 5

Pocken-Programm

Erreger: Pockenvirus (Variola major/minor)

Klinik: Febrile Erkrankung mit hohem Manifestationsindex,

hohe Letalität, Narben und Erblindung bei Überlebenden

Epidemiologie: Im 19. Jahrhundert ca 20% aller Todesfälle

(30% bei Kindern); noch 1966 ca 10 Mio

Fälle weltweit, davon 2 Mio Todesfälle

Pocken-Programm

Interventionen: Bereits vor 300 Jahren Impfansätze über

Einritzen der Haut mit Pustelmaterial (Mortalität 0.5-2%), in

SSA noch bis ins 20. Jh praktiziert. Der Landarzt Edward Jenner

entdeckte dann die Schutzwirkung der Kuhpocken (Arm-zu-

Arm Impfketten, auch auf Schiffen). Großer Optimismus -

Präsident Jefferson prophezeite Ausrottung bereits 1806. Im 19.

Jh wurde das Kuhpockenvirus durch das genetisch veränderte

Vaccinia Virus unklaren Ursprungs ersetzt, was dann auch auf

Tierhaut gezüchtet wurde (Qualitätsprobleme)

Pocken-Programm

Public Health Aspekte: Die Pockenimpfung war in

entwickelteren Ländern der erste kostenlose PH Service, wurde

aber auch zur Pflicht gemacht (z. B. Impfgesetz in England

1840), und führte dann zu massivem Wiederstand der

Bevölkerung und niedrigen Impfraten. Epidemien wurden dann

mit Massenimpfungen bekämpft.

PAHO beschloß bereits 1950 die regionale Elimination.

Mit dem Wiedereintritt der Sowjet Union in die WHO begann

auch ein globales, anfangs halbherziges Eradikationsprogramm.

Pocken-Programm

Public Health Aspekte: Die Pocken waren der ideale Kandidat,

da hohe Letalität, leichte Diagnose, kein anderer Wirt, keine

asymptomatischen und chronischen Verläufe, hohe Immunität

von einmaliger Impfung, und Verfügbarkeit einer

hochwirksamen gefriergetrockneten Vaccine ab Mitte des 20. Jh

(keine Kühlkette!). Die späte Erkenntnis, dass lokale

Maßnahmen (Surveillance, Quarantäne, Riegelimpfungen)

genauso wirksam sind wie Massenimpfungen, war auch

hilfreich.

Pocken-Programm

Public Health Aspekte: Das Auftreten von einer

abgeschwächten Form (Variola minor) in Europa und Amerika

ab 1930 war ein Problem, genauso wie Qualitätsprobleme beim

Impfstoff und das kleine Budget (0.2% des WHO Budget in den

60er Jahren). Ab 1967 wurde dann ein intensiviertes Programm

durchgeführt, und 1973 gab es nur noch 4 endemische Länder

(Indien, Bangladesh, Pakistan, Äthiopien). Die letzten Fälle

traten 1971 in Brasilien, 1975 in Bangladesh und 1977 in

Somalia auf.

Pocken-Programm

Public Health Aspekte:

1980 WHO Zertifizierung

1984 bekannte Laborbestände bis auf zwei (Atlanta/USA,

Moskau/Sowjetunion) zerstört und die Routineimpfungen

eingestellt.

Wiederbeginn der Impfung in USA nach September 11, 2001.

Bisher noch keine Einigung über Extinktion.

Der letzte Fall 1977(Somalia)

Die Erkrankung wurde am 8. Mai 1980 durch die Welt-Gesundheits-versammlung offiziell als ausgerottet deklariert

Pocken-Programm

“As I look back, I realize that smallpox eradication was achievedbut barely achieved. Had the biological and epidemiologicalcharacteristics of the disease, or the world political situation, beeneven slightly more negative, the effort might have failed.”

D. A. Henderson, Direktor des globalen Pocken-Programs

“There is no other candidate disease with adequate biologicaland socioeconomic criteria at the moment.”

F. Fenner, leitender Wissenschaftler des Pocken-Programs

Pocken-Programm

Voraussetzungen für Eradikation

Voraussetzungen für Eradikation

Drei Basis-Kriterien müssen reflektiert werden, bevor ein Eradikations-Programm begonnen wird:

1. Biologische und technische Machbarkeit 2. Kosten und Nutzen3. Soziale und politische Aspekte

Voraussetzungen für Eradikation

Die Krankheit muss von großer Public Health Bedeutung sein

Der Mensch muss der einzige Wirt für den Krankheitserreger sein

Effektive Interventionen müssen verfügbar sein

Die Interventionen müssen machbarsein (Gemeinde-Akzeptanz, Fall-Definitionen für Surveillance, Pathogen Reservoir etc)

Der politische Wille muss da sein Ausreichende Gelder müssen

verfügbar gemacht werden

Nutzen und Risiken

Eradikations-Befürworter: “Wenn es machbar ist, sollten wir es machen”; “Eradication is the Ultimate in Disease Control”; “Eradikation bekämpft Ungleichheit und ist daher die ideale Intervention zur Etablierung sozialer Gerechtigkeit”

Eradikations-Gegner: “Eradikationsprogramme sind Hoch-Risko-Programme”; “Eradikationsprogramme führen immer dazu, das Mittel und Kapazitäten verschoben werden und das die Aufmerksamkeit von umfassenderen Problemen wie Basisgesundheitsdiensten, angemessener Ernährung, sauberem Wasser etc abgelenkt wird.”

Nutzen und RisikenNutzen: Stark verringerte Kosten im Vergleich zu anhaltenden

Kontrollmaßnahmen Gesundheitssystem-Stärkung (Surveillance, Human Resources,

Management; e.g. EPI nach Pocken-Programm)

Risken: Begrenztes Verständnis von Politikern zum Ende der

Programme (niedrige Prävalenz, hohe Kosten) In Analogy zu anderen vertikalen Programmen (z. B.

HIV/AIDS), Ablenkung von Routine Arbeit, insbesondere zum Ende der Programme (z. B. Polio Programm)

Teures Scheitern (schädigt Eradikations-Konzept) Unzuverlässiger Erfolg (z. B. Pocken und Neustart des

Impfprogrammes nach September 11)

Nutzen und RisikenMasern: Großes Public Health Problem, nur der Mensch betroffen,

effektiver Impfstoff verfügbar Elimination in Amerika, 60% Senkung der Masern Todesfälle

1999-2005, Fall Definition Masern Impfung (Lebend-Vaccine) hat unspezifische positive,

DTP (Totimpfstoff) unspezifische negative Effekte

0%

2%

4%

6%

8%

10%

12%

14%

Bissau 6-35 mo Bandafassi 9-60 mo,Senegal

Zaire 7-21 mo

BeforeAfter

Vielen Dank !

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