Grundsätzliche Fragen zur Ernährung des Kindes

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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT 6. J A H R G A N G Nr. 28 9- J U L I I927

0BERSICHTEN. GRUNDSATZLICHE FRAGEN ZUR ERNAHRUNG

DES KINDES. V o n

Prof . Dr . E m c H MI~'LLER. Aus der Kinderkrankenstation der Stadt Berlin im Waisenhause Rummelsburg.

Die Ern~hrungsvorschr i f ten , die wit Kinder~rzte im Laufe tier J ah re vorgeschlagen haben, sind, ich m6chte sagen, n icht gerade immer mi t Begeis terung von den Arzten aufgenommen worden, in der Haup t sache wohl, well sie nach Zeit und Autor e twas schwankten. Unsere verh~Itnism~Big j unge Fachwissen- schaf t mach te selbst erst ihre Kinderkrankhe i t en dnrch, ihr Kurs verl ief n icht immer graden Weges, sondern vietfach im Zickzack. Aber heute, das soll ten auch die gr6gten Skept iker zugeben, sind wir Kinder~rz te uns doch fiber viele wicht ige F ragen einig. U m einige For t schr i t t e hervorzuheben, m6chte ich zuerst daran erinnern, dab der al te steile Sommergipfel in de r Jahreskurve der S~uglingssterbl ichkeit -- bedingt durch D a r m e r k r a n k n n g e n -- so flach geworden ist, dab heute der sog. Winterg ipfe l -- auf Grund von Infe!ktionskrankheiten (Grippe, Keuchhusten , Masern u. a.) -- in dieser Kurve vor- herrscht .

D a n n ist der frfiher so geffirchtete Brechdurchfal l -- also die Cholera in fan tum oder unsere heut ige In tox ika t ion -- sehr vie l sel tener geworden, und die r icht ige Atrophie der Sfi.uglinge rnit ihren greisenhaf ten Gesiehtern ist eigentl ich ganz ver- schwunden. Ich selbst habe seit Jahren einen solchen S~ug- l ing nicht mehr gesehen.

Also Erfolge ha t schon die Kinderhe i tkunde auf ihrem Kon to zn buchen, abe t es bleibt gewiB noch viel zu tun fibrig. So kennen wir z. B. noch keine Kuhmilchn~thrmischung, die die Frauenmi lch so weir ersetzen kann, dab sie die En twick lung der wei tes tverbre i te ten Stoffwechsels t6rung des jungen Kin- des, der Rachit is , zu verh indern vermag.

Die al ten vier N/ ihrs toffgruppen -- die EiweiBstoffe, die Fet tgemische , die Koh lenhydra t e und die Mineralstoff- gemische -- umfassen auch heute noch alle N~thrstoffe und alle die verschiedenen Formen oder Formzus t~nde von NXhr- stoffen, deren Kenntn i s wir der erfolgreich vorsehre i tenden Forschung der le tz ten J ah re verdanken. Bisher ist keine ta t - s~ichliche Beobach tung bekannt , die uns veranlassen k6nnte, nnsere al te N~hrs toffe in te i lung zu erwei tern und ihr etwa eine ffinfte oder gar sechste Gruppe anzugliedern. Und ich m6chte, sozusagen, den neu en tdeckten N~hrstoff sehen, der sich vor- l~ufig n icht zwanglos in unsere al te Gruppierung einffigen lieBel).

Es ist ffir uns Arzte nur notwendig, die vier al ten NShr- s to f fgruppen yon einem erwei ter ten Gesichtspunkte aus zu be t rachten , als es bisher der Fal l war, und als Grundlage ffir al le Ern~ihrungsfragen die natfir l ichen N~ihrstoffmisehungen nnserer Nahrungsmi t t e l zu nehmen, und dann sie nicht nur nach ihren Differenzen im chemischen, sondern auch in ihrem physikal ischen Aufbau zu bewerten. Un te r diesem Gesichts- p u n k t e werden wir allen neueren Nfihrs toffentdeckungen mi t g r68erem Verst~ndnis gegenfiberstehen.

Die 1G'iweifl~zot/e entha l ten a!s Faus te ine die Aminos~iuren (es sind heu te e twa 2o genauer bekannt) , die im al lgemeinen m i t einer bemerkenswer ten Regelmfil3igkeit das groBe EiweiB- molekfi l zusammensetzen . Die Mehrzahl dieser Aminos/ iuren kann der K6rper selbst aus ihren Grundstoffen aufbauen, sie s ind deshalb ernahrungs technisch weniger interessant . Bei e in igen wenigen kann er abe t diese Synthese nicht vollbringen, sie geh6ren dami t zu den exogenen Nfihrstoffen (im Sinne yon FRANZ HOFMEISTER), die das Kind yon auBen rnit seiner

*) Vortrag.

IKlinische Woehensehrift, 6. Jahrg.

Nahrung zugeffihrt erhal ten mug. Zu diesen wer tvol len Aminos~iuren geh6ren das Tryp tophan , das Cystin (die einzige schwefelhalt ige Aminosgure), das Thyros in und viel le icht das Lysin. Wir k6nnen yon diesem Gesichtspnnkte aus hochwert ige und unterwer t ige EiweiSstoffe unterscheiden, wobei der Gehal t ~n exogenen Aminos&uren einem Eiweii3stoff gewissermaBen den Stempel seiner Wer t igke i t aufdrtickt.

Nun haben MAX RUBNER und CARL THOMAS eine Wer t ig - keitsskala der Eiweigk6rper aufgestell t , auf der die t ier ischen EiweiBstoife -- des Rindfieisches und der Milch -- an der Spitze stehen, dann folgen die vegetabi l ischen, zuerst die des Reises und der Kartoffe l und dann schnell abfal]end in ihrer Wer t igke i t die der Hfilsen- und KSrnerfrf icht6 und die der Gemfise.

Un te r den EiweiBstoffen der Milch ist das Albumin, be- sonders wegen seines hohen Gehaltes an Tryp tophan , hoch- wert iger als das Casein, und es ist bemerkenswer~, dab die Frauenmi lch verh~iltnism~iBig reich an Albumin ist.

Ffir den Kinderarz t ist natfir l ich die Frage von entschei- dender Bedeutung, ob die EiweiBstoffe der Nahrung eines Kindes ffir den Aufbau seiner Gewebe geeignet sind, also die Frage, ob sic die Aminos~turen enthal ten, die das Kind ffir sein physiologisches W a c h s t u m gebraucht .

Die EiweiBstoffe sind ja in he rvor ragendem AusmaBe plastische N:ihrstoffe im Sinne yon AuGusT LIEBm, w~hrend die Kohlenhydra te und zum Teil auch die Fe t t e wei tgehend a t s Energiequel le ftir die Arbei ts le is tungen des K6rpers in Be- t rach t kommen. Die EiweiBk6rper spielen deshalb in der Er- nXhrung des Kindes eine besonders wieht ige Rolle. Es ha t aber im allgem~inen keinen groBen Zweck, dem Kinde un- beschrXnkte Mengen yon EiweiB zuzuffihren, es ist v iehnehr richtiger, ihm hochwert iges EiweiB in dem Sinne, wie ich es auseinandergesetz t habe, zu reichen, das es plast isch zum Aufbau seines wachsenden K6rpers bent i tzen kann, und das geschieht in erster Linie in F o r m yon Fleiseh und Milch.

Wir Kinder/~rzte kennen alle -- SIt~GERT ha t uns besonders darauf au fmerksam gemach t -- die Kinder unvers t~ndiger Miitter, die un te r e inem l~bermage des Eiweiggenusses, be- sonders yon un te rwer t igem EiweiB, blab werden und einen kranken, z u m T e i l a u f g e s c h w e m m t e n E ind ruckmachen . U n t e r einer s tarken Reduk t ion des NahrungseiweiBes und bei vege- tabi ler Kost blfihen dann solche eiweiBgeseh~digten K i n d e r schnell auf. Die Stoffwechselschlacken des re t in ier ten E i - weiBes (sie sind s tark sauer) h~tufen sich in den Geweben auI, well sie yon den Zellen nieht assimilier~ werden, und weil siel n icht immer schnell genug yon den Nieren ausgeschieden werden k6nnen.

Es ist immer wieder bemerkenswert , einerseits wie auBer- ordent l ich eiweiBarm die F rauenmi lch ist, und andersei ts wie hochwert ig ihre Eiweif3stoffe sind, wie also das Kind zur Zeit der Stillperiode, w~thrend der es so s tark w~tchst, wie nie wieder in seinem Leben, auch nicht w~hrend der PubertXt, sehr wenig, abe t ffir seine Bedfirfnisse hochwert iges EiweiBi erh~tlt.

Andersei ts wissen wir aus der klinischen Er fah rung heraus, dab die debilen, s tark abgemager ten Kinder 6fters bei Frauen- milch nicht gentigend gedeihen, nnd erst ein kleines Plns von KuhmilcheiweiB in i rgendeiner F o r m bringt, manchmal schlag- artig, die \ u zu dauer l ldem Gedeihen. Das s tark unter- gewichtige Kind soll nicht nur normal wachsen, sondern es mug Verlorenes nachholen, and die leer gewordenen EiweiB- depots seiner Gewebszellen wieder ffilten, und dafiir re ieht die knappe Eiweigzufuhr mi t der F rauenmi lch nicht aus.

Nun scheint aber die Frage des verschiedenen qua l i t a t iven \u der EiweiBstoffe durch ihren unterschiedl ichen Gehal t an Aminos~uren noch nicht gel6st zu sein. Offenbar ha t die

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physikalische Struktur des Rieseneiweil3molekfils mit seinen ungeheuerlichen M6glichkeiten verschiedener physikatischer Konstellation seiner Aminos~turenbausteine untereinander eine Bedeutung. K. FELIX, Mtinchen, hat neuerdings darauf auf- merksam gemacht, und wir wissen schon von anderen N~hr- stoffen, dab bei ihnen die physikalisehe Struktur yon groBem Einflusse auf ihre physiologische Wirkung ist.

So stellt sieh heute d ie Wertigkeitsfrage der Eiweigk6rper ftir das Kind als ein komplexer Begriff dar, in dem aber doch wohl der Gehalt an exogenen Aminos~uren einen sehr wesent- lichen Faktor bildet.

Es ist notwendig, dab diese Eiweil3wertigkeitsfragen bei der Ern~hrung des Kindes mitberiicksiehtigt werden, well dann schnelte Ern~hrungserfolge in einfacher Weise ihre Er- kl~rung finden k6nnen, ohne dab wir in spekulativer Weise nach neuen N~hrstoffen zur Begr/indung zu suehen brauchen.

Die 1%tte nehmen wegen ihres hohen Brennwertes eine be- vorzugte Stellung unter den N~hrstoffen ein und werden bei der Aufstellung yon Kostordnungen Itir Kinder entsprechend hoch bewertet. Es ist nun Itir die Praxis wichtig, sich immer vor Augen zu halten, dab unsere natfirlichen Nahrungsfette keine chemisch reinen Fet te sind, sondern vielgestattige Ge- mische, die zum Tell sogar in engen Verbindungen mit Eiweil3- bausteinen und Mineralstoffen stehen.

Dann ist es bekallnt, dab unsere Nahrungsfette zum grogen Teile aus verseifbaren Fetten, zum kleinen Teile abet aus uli- verseifbaren Stoffen bestehen. Diese fettartigen Stoffe, oder die sog. Fettbegleitstoffe, wurden frtiher offenbar zu wenig bei Ern~hrungsfragen beriicksiehtigt lind sind erst dutch neuere Forschnngen in das rechte Licht gertickt worden.

Unter diesen Stoffen ist besonders bemerkenswert und wichtig die Gruppe der Lipoide, die vorl~ufig allerdings noch einen Sammeltopf ftir mehr oder weniger gut definierte N~hr- stoffe bildet. Die verschiedenen Sterine (unter ihnen das Cholesterin lind nelierdings vielleicht das Ergosterin) und die Lecithine sind helite ihre bekanntesten Vertreter. W~Lhrend die reinen Fet te linserer natfirlichen Fettgemische weitgehend energetischen Zwecken im Haushalte des K6rpers und zur Ftillung der Fettdepots im. K6rper dienen, scheinen die fett- artigen Stoffe einmal wichtige t3austeine fiir den Zellaufbau, also ffir plastische Zwecke, zu liefern, dann abet deuten neue Unterslichungsergebnisse darauf hin, dab diese Stoffe alich aktivierend, f6rdernd und richtunggebend in den Stoffwechsel eingreifen.

Die LecitMngruppe der Lipoide ist sehr iliteressant zu- sammengesetzt, indem sich Fetts~uren, N-haltige Basen und Phosphors~u,e an ihrem Aufbau beteiligen. Diese N~hrstoff- kombination gewinnt immer mehr an Interesse. HANS MucI~, der sich um die Erforschung der Lipoide grol3e Verdienste er- worben hat, macht abet immer wieder darauf aufmerksam, dab unsere Reagensgtaslipoide keinen RfiekschluB auf die Form der K6rperlipoide gestatten, die sicher einen ganz anderen chemisch-physikalischen Zustand aufweisen.

Dann ist es bemerkenswert, dab diese fettartigen Stoffe in unseren Nahrungsmitteln offenbar in verschiedenen che- mischen und physikalischen Zustandsformen vorkommen, und zwar in einer physiologisch aktiven und einer inaktiven Form. ALEREI~ F. HESS und andere amerikanische Forscher konnteli z. B. zeigen, dab das liltraviolette Licht entscheidend in die Aktivit~tsverh~ltnisse der Fettlipoide einzugreifen im- stande ist. Vorsichtige Bestrahlnng aktiviert inaktive Zu- standsformen, starke inaktiviert sie wieder. Das ist ein be- merkenswerter t3efund. Diese Aktivierung bezieht sich auf die verschiedensten Nahrlingsmittel, ohne dab es bisher noch recht klar ist, welche N~hrstoffe lind N~hrstoffverbindungen aktiviert werden.

t3esonders interessant ist, dab verschiedene Pflanzenfette solche Stoffe in inaktiver Form enthalten, sie haben sich ftir den Stoffwechsel des Kindes als physiologisch linwirksam erwiesen; naeh/3estrahlling werden sie aktiv, besonders zeigen sie sich als kalkansatzf6rdernd bei Rachitis. Allderseits enth~tlt linser alter Lebertran solche Stoffe in aktiver Form, was ~rztliche empirische Erfahrung schon lange festgestellt hatte. Neu ist

aber das Ergebnis, dab bestrahlter Lebertran Wieder inakt iv wird, d. h. seine Heilkraft verliert.

Diese 13eobachtungen spreehen wohl mit groBer Wahr- scheinlichkeit daftir, dab es sich im allgemeinen nicht da tum handelt, dab die eine natiirliche Fettmisctlung besondere Stoffe enth~lt, die einer anderen fehlen. Es scheint vielmehr so zu sein, dab die gleichen Stoffe in dem einen Nahrungs- mittet in dieser und in einem anderen in jener Zustandsform vorkommen. Wir k6nnen es uns so vorstellen, dab es sich dabei vielleicht oder wahrscheinlich um verschiedelle physikalische Lagerung im Raume handelt, um Cis-trans-Isomerien, um Atemumlagerungen, also um labile Zust~tnde bekannter Stoffe mit verschiedener physiologischer Wirkung.

Im Vordergrunde des Interesses stehen jetzt die Sterine und unter ihnen das Cholesterin, dieser einwertige, sekun- d~re, unges~ttigte Alkohol mit seinen vielen Bindungs- und Anlagerungsm6glichkeiten. Er geh6rt zu den Sterinen und ist ein altbekannter und offenbar sehr wichtiger N~hrstoff, der nach den neuesten Forschungen die Rolle eines wichtigen Betriebsmittels im Stoffwechsel zu spielen scheint. Er kann im K6rper synthetisiert werden und wird gleiehfalls erst dutch Bestrahlung in eine physiologisch wirksame Zustandsform umgewandelt.

Einige amerikanisehe Autoren und such RAGNAR BERG neigen der Ansicht zu, dab es sieh bei dem wirksamen Chole- sterin um eine labile Sauerstoffanlagerung, abet nicht um ein gew6hnliches Oxyd handelt. Diese Vorstellung wird abet neuerdings yon WlNOAUS und PoI~L bestritten. Diese Autoren haben vielmehr ein neues Sterin, das Ergosterin, in der Hefe gefunden, die ja schon lange als stoffwechself6rderndes Mittel in der ~trztliehen Praxis geschXtzt wird, und sind der Meinung, dab es dem gew6hnlichen Chotesterin beigemengt ist nnd diesem seine physiologische Wirkung verteiht, abet auch nut nach vorheriger Bestrahlung mit ul traviolet tem Licht. Es soil in minimalen Spuren wirken, wie die G6ttinger Autoren an- geben, z. B. in einer Dosis von 1/500 mg bei Ratten. Die Ein- wirkung auf die Rattenrachitis ist angeblieh eine geradezn ph~nomenale, und auch bei der Rachitis des Kindes soll es anf den Kalkansatz einen sehr gnten Einflul3 haben: abet wit werden das Ergebnis ftir die Praxis noch vorsichtig und mit einiger Skepsis abzuwarten haben. Die Versuche an Kindern sind noell nictlt fiberzeugend genug, die angebliche Wirkung ist eine zu schnelle, als dat3 sie volles Vertrauen verdiente.

Es kommt aber noch eine weitere Beobachtung hinzu. Es sind Untersuchungen darfiber angestellt worden, ob die Bestrahlung yon Milehktihen einen EinfhB auf die antirachi- tische Wirkung ihrer Milch ausiibt, und PIRQIJET, Wien, glaubt einen solchen haben nachweisen zn k6nnen. Das w~re eine bemerkenswerte Feststellung, die in Para!lele gestellt werden k6nnte zu der gtinstigen Wirkung des Sonnenlichtes und des ultravioletten Lichtes auf die Rachitis bei direkter Bestrahlung. Ich komme darauf noeh zuriick. So w~re die n~chste Forderung der Zukunft, dab w~hrend des Winters hinter jeder deutschen Kuh eine H6hensonne steht, um eine ideale Kuhmilch zu bekommen.

Jedenfalls bilden aber alle diese Beobachtungen eine wei- tere Sttitze ftir die Ansicht, dab es sich bei allen diesen neuer~ Entdeckungen darum zu handeln scheint, dab alte, uns gut bekann te N~hrstoffe, z. B. wie die Sterine, in Zustands- formen verschiedener physiologischer Wirksamkeit vorhanden sind. Wenn wit Arzte uns daran gew6hnen, die Fet te vom Standpunkte der nattirlichen Fettgemenge unserer Nahrungs- mittel aus zu betrachten, denen also die Lipoide beigemengt sind, so werden wir neue Entdeckungen mit gr6Berer iRuhe einzuschXtzen in der Lage sein.

Diese Zusammenfassung ist auch nicht etwa eine Ver- gewaltigung der Begriffe zugunsten meiner Vorstellungen. Der bekannte physiologische Chemiker J. BAN~ rechnet die Fet te in physiologischem Sinne zu den Lipoiden, faBt also Fet te und Lipoide als ,,Lipoide" zusammen. Ich m6chte meinen, dab ein solcher ,,erweiterter Begriff" der Lipoide an sich physiologisch betrachtet sehr interessant, aber doch ttir uns ~rz te nicht zweckm~Big ist, und dab wir lieber vor- l~ufig die Fet te und Lipoide zwar auch zu einer Gruppe ver-

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einigen, aber besser yon ,,natfirlichen Fettgemischen" ffir Er- n~hrungsfragen sprechen sollten.

Die Kohlenhydrate dienen auch in der Nahrung des Kindes in der Hauptsache energetisehen Zwecken, aber auch sie ge- h6ren zu den plastischen NXhrstoffen, denn bei jeder Zell- vermehrutig des wachsenden Kindes werden auch Nohlen- hydrate, wenn auch in kleinsten Mengen, in d e n Zellinhalte investiert. Der Milchzucker der Frauetimilch wird fast nur zur Erffillung mechanischer Leistungen, also auch zur W~rme- bildung und nicht zur Fettbi ldnng verbraucht.

I]ber den Sonderwert verschiedener Kohlenhydrate wissen wir noch recht wenig, und ihre Chemie ist ein sehr schwieriges Kapitel. Aus klinischen Erfahrungen bei der Ern~hrung des S/iuglings ist es uns bekannt, dab eine Mischung verschiedener Kohletihydrate gtinstiger auI den Ansatz wirkt als die Ver- Ifitterung eines einzelnen Kohlenhydrates in gleicher Menge, auch abgesehen yon d e n bekannten t~inflnsse auf die Peri- staltik des Darmes.

Auch bei den Kohlenhydraten gibt es chemisch gleiche, aber physikalisch verschieden strukturierte Zucker -- Spiegel- bildisomerie der Zucker -- und wenn wir an die n i t der ver- schiedenen physikalischen Struktur verbundene verschiedene Wirksamkeit anderer N~ihrstoffe denken, so ist auch bei den Kohlenhydraten die M6glichkeit nicht ausgeschlossen, dat3 diese Isomerie der Zucker im Stoffwechsel eine Rolle spielt, vielleicht Ifir den Ansatz yon Zucker in den Zellen, also fiir die Assimilation, und damit auch ffir die Ern~ihrung des Kindes.

Die MineralstoNe sitid in der Ern~ihrung des lKindes lange Zeit etwas stiefmfitterlich behandelt worden, abet in letzter Zeit sind sie zu einer gerechten Bewertung gelangt.

Auch sie dienen einmal plastischen Zwecken, denn jeder Zellaufbau ist naturgem~if3 n i t der Einlagerung yon Mineral- stoffen in die Verbindungskomplexe des kolloidalen Zellinhaltes eng verktifipft. Im K6rper des Menschen sind bisher etwa 13 verschiedene Mineralstoffe nachgewiesen worden, und sie alle sind deshalb in der Nahrung notwendig, um einen physio- logischen Gewebsaufbau, der nach dem Minimumgesetz von LIEBIG erfolgt, zu gew~ihrleisten. Der Bedarf an den einzelnen Mineralstoffen ist ein sehr verschieden groBer, minimal z. 13. beim Jod (er wird auf 1/1000 mg ffir den Tag eingesch~itzt) und verh~iltnism/iBig hoch beim IKalk und der Phosphors~ure ftir den Aufbau der Knochengewebe beim Kinde.

Dann ist die Wirkting der Mineralstoffe im inneren Stoff- wechselgetriebe eine sehr wichtige. Ich erinnere an die Neutralisation der zumeist sauren Stoffwechselschlacken, be- sonders des EiweiBes n i t seinen starken anorganischen S~iuren, der Schwefel- und der Phosphors~iure, dutch die Alkalien und Erdalkalien, an die katalysatorische rind osmotische Wirkung, dann an die Hemmung und F6rderung vegetativer Leistungen, z. B. an die gegens~tzliche Wirkung yon Kalium und Calcium auf das Schilddrfiseninkret, nnd schlieBlich an die Bedeutung der Elektrolyten im Zellstoffwechsel.

Es ist bemerkenswert, dab wir ffir einige Mineralien sozu- sagen Sammelstellen im K6rper kennen, so z. 13. ftir das Eisen die roten Blk., ffir das Jod die Schilddriise und nach tieueren Untersuchungen fiir den Schwefel die 13auchspeichetdrtise. Dabei ist es interessant, dab n i t anorganischen Jodpr~iparaten ~ihnliche Wirkungen erzielt werden k6nnen wie mit Schild- drfisenpragparaten und nach EMIL BORGI /ihnliche Erfolge n i t anorganischen Schwefelpr~paraten wie mit Insulin bei Dia- betes. Zum mindesten ein Himveis ftir die wichtige Rolle dieser Mineralstoffe in den sehr kompliziert zusammengesetz- ten Inkreten.

Die ansgiebigste Quelle fiir die Mineralstoffe in unserer Nahrung sind die Gemfise und das Obst. Beide erfreuen sieh deshMb schon seit latiger Zeit des ~rztlichen Vertrauens bei der Ern~ihrung des Kindes. Der globe Erfolg der frfihzeitigen Eitiffihrung der Gemiise und des rohen Obstes in die Kost des S~itiglings durch OTTO HEUB~ER vor etwa 3 ~ Jahren beruhte in der Hauptsache auf ihrem Alkalireichtum, der eine not- wendige Erg~inzung der frtiher, bezfiglich der anorganischen Aschenbestandteile, zu sauren Ern~ihrungsweise des S~uglings braehte.

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Nach diesen kurzen Hinweisen auf die Bedeutung unserer vier alten N~hrstoffgruppen fiir die Ern~ihrung des Kindes m6chte ich noch einige allgemeine Gesichtspunkte besprechem

Wir sollten uns immer vor Augen halten, dab unsere natfirlichen Nahrungsmittel eine Mischung aller vier N~hr- stoffe und ihrer Verbindungen untereinander enthalten, und dab es~.5.uBerst nnzweekm~iBig ist, diesen komplexen N~hr- stoffgehalt dutch ungeeignete MaBnahmen bei der Zuberei- tung in der Kfiche zu verringern. Es ist z. 13. notwendig, die Gemtise im eigenen Salt kochen zn lassen; um ihnen die Miner ralstoffe zu erhalten, die tins ja gerade die Gemiise ifir die Ern~hrung des Kindes wertvoll machen. Das noch immer beliebte Abwellen oder Abbrfihen der Gemfise ist ein grund- s~itzlicher Fehler, der ihren Wert stark herabsetzt. Es ist durchaus wiinschenswert, dab ein Kind n i t jeder Mahlzeit das natiirliche Gemisch von N~ihrstoffen aufnimmt, und nicht Nahrungsmittel, die durch die kfichenm~iBige Zubereitung des einen oder des andereti N/ihrstoffes beraubt sind.

Schon unser groBer Ern~ihrungsphysiologe G. v. BUNGE hat aus diesem Grunde n i t Recht vor einem iiberm~iBigen Genusse reiner Ntihrstoffe, wie z. B. des Kochzuckers, gewarnt.

Dann spricht sehr viel daffir, dab die Verbindungskomr plexe unserer N~ihrstoffe in unseren robert Nahrungsmitteln einmal in einem ffir den Stoffwechset des Kindes optimalen Zustande vorhanden sind, dann abet auch, dab sie sehr labiler Natur sind. Wit wissen heute, dab verschiedene Einfliisse, wie die Einwirkung des Lichtes, der Luft -- Oxydation durch ihren Sauerstoff ~ , Erhitzung (gew6hnliches Abkoehen) und besonders auch das Altern dutch Lagerung -- z. 13. der Gemfise dutch den Winter -- destruierend, wenigstens zumeist, aber auch gelegentlich f6rdernd und aktivierend auf diese N~ihr, stoffverbindungen einwirken k6nnen.

Aus alten, gewissermaBen instinktiv gewonnenen Volks- gewohnheiten rind alten empirischen ~irztlichen Erfahrungen heraus ist die Erkenntnis yon dem hohen Werte roller Nah- rungsmittel l~ingst sicherer ~irztlicher Besitz, und neue wissen- schaftliehe Forschungen vermochten sie eigentlich tiur zu stfitzen und zu erweitern.

Es bleibt auch immer bemerkenswert, wie gierig vielfach Kinder auf rohe Nahrungsmittel sind, so ist die Vorliebe des Kindes, rohes Sauerkraut oder rohe Gemfise in der Ktiche zu naschen, gut bekannt. Ich m6chte auch an den beliebtea rohen IKrautsalat erinnern," der in manchen Gegenden als be- sonders gesundheitsf6rdernd gesch~itzt wird, und auch an den , ,Radi" des Mfinchener Biertrinkers.

Wit sollien auch nicht achtlos an der Tatsache voriiber- gehen, dab bei alien S~ugefieren die natiirliche Nahrung roh und frisch aus der Mutterbrust in den Mund des Sguglings fiieBt, und der Kinderarzt RUDOLF FISCHL mag schon recht haben, wenn er behauptet, dab es einen Untersehied aus- macht, ob wit einem Siiuglitig die Muttermilch direkt aus der 13rust oder abgespritzt atis der Flasche verzapfen, wie das auf unseren S~uglingsabteilungen wegen der Syphilisprophylaxe mit Reeht fiblich ist. Nut sehr feine klinische Beobachtung an seinen S~iuglingen konnte den Autor zu dieser zuerst schwer verst~indlichen Feststellung bringen.

Die Milch ist ein sehr empfindliches Nahrungsmittel, das sich unter dem Einflusse yon Licht und Luft (Oxydation) schnell ver~itidert und erst recht unter einer so groben MaIL nahme, wie es schon das einfache Aufkochen darstellt. Die Ver~inderungen dabei sind schon leicht grob sinnlich einmal am Geschmacke und Geruche wahrnehmbar und dann an den deutliehen chemisch~n bzw. physikaliachen Ver~inderungen, welche die Milch erleidet. So fallen z. 13. die komplizierten, in der rohen Milch gel6sten Kalkeiweil3verbindungen aus.

Neuerdings hat E, FRIEI)BERGXR eitie groBe Reihe voti Tierversuchen atigestellt, bei denen er der eineti Gruppe yon Tieren rohes, einer anderen kurze Zeit erhitztes Gelbei ver2 fiitterte. Er glaubt, aus seinen Versuchen den SchluB ziehen zn dfirfen, dab robes Gelbei einen welt h6heren Ansatz- oder, wie er sich ausdrfickt, Ansehlagswert besitzt als das erhitzte. Er meint, dab die Denaturierung des Eiweil3es dutch die Er- hitzung -- und zwar soll der entscheidende Augenblick die Erhitzung auf 7 ~ ~ C, also die Koagulationstemperatur des Ei-

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weiBes, sein -- der Grund Itir die schlechte Ausntitzung des erhitzten Gelbeis set, was wohl ein etwas elnseitiger Stand- punkt ist; denn bet der Erhitzung werden, wie das auch HANS MIJCH mit Recht betont, nicht nur die Eiweigmolektile, son- dern auch andere Nghrstoffe, wie z. B. die Lipoide, desorga- nisiert.

Ich will auf diese und viele andere Beobachtungen, die im gleichen Sinne sprechen, nicht n~her eingehen, abet sie sttitzen doch alle alte grztliche Erfahrungen. Wir Kindergrzte kennen sch0n lange eine schwere Stoffwechselst6rung, die M611er- Barlowsche IKrankheie oder den S~uglingsskorbut, die durch den GenuB denatnrierter Nahrung hervorgerufen wird und durch die Umstellung der Ernghrung des Kindes auf frische, durch keine sch~digenden MaBnahmen vergnderte geheilt wird.

Die klinischen Erscheinungen des Skorbuts beruhen haupt- s~chlich auf ether Sch~digung der Gef~Bwgnde, die undicht werden. Es tr i t t offenbar bet der Denaturierung der Nahrung eine Znstands~indernng wichtiger nattirlicher N~hrstoff- komplexe ein, die es dem iKinde nicht mehr erm6glicht, seine Blntgef~13e in physiologiseher Form aufbauen und erhalten zu k6nnen. Ich selbst habe wghrend des Krieges auf der mir unterstellten Kinder-Krankenabteilung Barlowsche Krank- heir bet der Ernghrung der Kinder mit Trockengemiisen auf- t reten und bei Ersatz derselben durch frische Gemttse heilen sehen.

Und auch die Rachitis, diese typische Stoffwechsel- und Ern~hrnngsst6rnng, beruht auf einer unphysiologischen Er- nghrung mit N~hrstoffen, die ftir die Entwicklung des iKindes nnzureichend sind, in dem Sinne, dab die Nghrstoffverbin- dungen seiner Nahrung sich in einem ungeeigneten Zustande befinden. Im besonderen ist es ja der Manget an geeignet zu- sammengeftigten Bausteinen fiir die Knochenbitdnng, der dieser Stoffwechselst6rung ihr Geprgge gibt.

Die Um~ndernng yon rachitogener, also rachitiserzeugen- der Nahrung durch ultraviolette Strahlen in eine antirachi- tische, also rachitisvorbeugende oder heilende ist die st~rkste Stfitze fiir die Vorstellnng, dal3 es sich bei dieser Entwicklungs- st6rung des Kindes auf alimentgrer Grundlage nur darum handeln kann, dab das Kind eine Nahrung erhalten hat, in der die ftir den Knochenaufbau notwendigen Bausteine wohl quant i ta t iv ausreichend vorhanden waren, aber nicht in einer quali tat iven Zustandsform, die sie ftir die Knochenneubildung brauchbar und verwendbar machte.

Und wenn wirklich einem besonderen Sterin, dem Ergo- sterin, aus der grol3en Gruppe der altbekannten Sterine nach den Untersuchungen yon WI~DAt:S und R. POHL eine I)e- sondere 1Rolle bet dem physiologischen Aufbau des Knochens zukommen sollte, set es nun, dab es eine Mittlerrotle im Stoffwechsel spielt, set es, dab es als ein integrierender Be- standteil in das komplizierte t(alk-Phosphors~ture-Kohlen- sgure-Molektil des Knochengewebes eintritt, so bedarf auch dieses Sterin nach unseren heutigen Kenntnissen noch der Bestrahlung durch Licht, um sich aus einem inaktiven in einen aktiven Zustand umzuwandeln, in dem es erst im K6rper des Kindes physiologisch wirksam werden kann.

Auch die tatsachlichen groBen Erfolge, die HI~LDSCHIXSKu dutch die Bestrahlung rachitischer Kinder mit der H6hen- sonne mit Bezug auf die Verkalkung der Knochen erzielt hat, lassen sich noch am besten mit der Vorstellung vereinigen, dab durch diese Bestrahlung ftir den Knochenaufbau un- zweckm/il3ige in der Haut lagernde N~hrstoffverbindungen bzw. Zustandsformen in zweckmgBige und wirksame um- gewandelt werden.

Wir wissen, dab die Haut eine Hauptniederlassungsstatte ftir Sterine (Cholesterin) und andere fettartige Stoffe bildet, u n d e s ist wohl m6glich, dab bet der direkten Bestrahlung der Haut inaktive Sterine in aktive umgewandett und fiber die Lymph- und Blutbahnen dem inneren Stoffwechsel zugefiihr~ werden. Der altbekannte Einflug der Sonne auf das Gedeihen des iKindes und besonders auf die tIeilung der Rachitis -- im Sommer gibt es so gut wie keine Rachitis -- k6nnte dann, wenigstens zum Tell, darauf beruhen, dab die Sonnenstrahlen ui~wirksame Stoffe der Haut in physiologisch wirksame um-

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formen k6nnen, so wfire die Sonne direkt ein wertvoller Er- nghrungsfaktor.

Dann k6nnen auch die bemerkenswerten Befunde yon OSKAR BAUDISCH und seinen Mitarbeitern die groi3e Be- deutung eines verschiedenen physikalischen Aufbaues von Stoffverbindungen ftir physiologische Wirkungen und damit auch ftir die Ern/ihrung scharf beleuchten.

Dieser Autor hat nachgewiesen, dab ein magnetisches Eisenoxyd nach starker Erhitzung, ohne chemisch eine Ver- Xnderhng zu erleiden, lediglich auf Grund einer physikalischen r~umlichen StrukturverXnderung seines Aufbaues in atomaren Dimensionen in eine neue Stufe iibergeftihrt wird. Dabei zeigten sich groBe Unterschiede zwischen diesen beiden Zu- standsformen. Die erste Stufe des Eisenoxyds war kubisch

aufgebau t (nach der R6ntgen-Interferenz-Photographie be- stimmt), war magnetisch und I/Srderte, in Spuren einem N~hr- boden zugesetzt, erheblich die Entwicklung yon Bakterien. In der zweiten Stufe war das chemisch gleiche Eisenoxyd rhomboedrisch strukturiert, unmagnetisch und physiologisch ftir Bakterienentwieklung unwirksam.

Vielleicht noch bemerkenswerter ist die Feststellung des- selben Autors, dab die nattirlichen frisch dem Erdboden ent- str6menden Mineralquellen eine grofle Aktivitfit besitzen, die sich z. B. durch spezifisch katalytische Eigenschaften offen- bart. Diese verlieren sich aber schnelI unter dem Einflusse von Lieht und Luft, wobei die nattirlichen Ferrobfcarbonat-Ver- bindungen in Hydroxyde iibergehen, die sich als feste Nieder- schl~tge abscheiden. (Parallele mit der Ammenmilch.)

BAUDISCK stellt sich im Anschlusse an diese physikalischen Befunde die Lage ftir die N~hrstoffe so vor, dab die Metalle in den Pflanzen mit organischen und unorganischen "Stoff- resten in einer derartig ansgezeichneten rgumlichen Anord- nung vorhanden sind, dab sie vom Organismus leicht resorbiert und mit dem Blute den verschiedenen Stellen des K6rpers zu- gefiihrt werden.

Die gedankliche Verbindung zwischen diesen physikalischen Ph~nomenen und den Ern~hrungsgrundlagen des Kindes ist nicht ganz so welt hergeholt, wie es anf~nglich scheinen k6nnte. Schon die Tatsache der groBen Labil i tat und schnellen Verg~tngtichkeit natfirlicher Mineralstoffverbindungen ist yon grol3em Werte und weist, worauf es mir Itir meine Gedanken- g~nge ankommt, auf die grof3e Bedeutung besonderer Zu- standsformen altbekannter N~.hrstoffverbindungen ftir physio- logische Wirkungen bin.

Was dabei wirktich vorgeht, ist noch nicht klar. Oxy- dationen dutch Verbindungen, die locker gebundenen Sauer- stoff leicht abgeben, anderseits Reduktionsvorg~inge werden eine Rolle spielen. Aber es ist auch mgglich, dab solche be- sondere N~hrstoffkomplexe in die Zellen selbst ftir ihren physiologischen Aufbau eintreten mtissen.

Bet der grogen Bedeutung, die heute allgemein den endo- krinen Driisen fttr den Stoffwechsel und das Wachstum des Kindes zuerkannt wDd, ist es auch m/Sglich, dab besondere NXhrstoffe ihren Weg zum Stoffwechsel fiber diese Driisen nehmen, eine Vermutung, die ich schon vor Jahren ausge- sprochen habe~).

Der physio!ogische Chemiker F. V. vox HAHX glaubt, dab die physiologische Wirkung yon Nghrstoffkomplexen yon ihrer Oberfl~chenaktivit~tt abhgngig ist, eine Meinung, die sich gut in diesen Vorstetlungskreis einf/igt.

Abschliel3end m6chte ich noch einmal zusammen_fassen: Fiir die Ern~hrung des Kindes bildet eine quanti tat iv aus-

reichende Zufuhr der Nghrstoffe unserer bekannten 4 Gruppen die Grundlage. Dabei ist das nattirliche Verhgltnis der Nahr- stoffe untereinander zu beachten. Der Ansatz erfolgt physio- logisch nach dem Minimumgesetz yon AUOUST L*EBIG. ES ist unzweckmgBig, den einen oder den anderen Nahrstoff ein- seitig bei der Ernahrung zu bevorzugen, in Sonderheit nicht die Eiweil3stoffe.

Augerdem ist die Qual i t i t der I',-ghrstoffe yon groger Be- deutung, die durch neue Forschungen immer klarer zutage tritt. Ffir die Qualitfitsfrage scheint neben der chemisehen Zusammensetzung auch der physikalische Aufbau der Nghr-

9- JULI I927 K L I N I S C H E W O C H E N S C t l R I F T . 6. J A H R G A N G . Nr . 28 1317

stoffe bzw. ~hrer Verb indungen untere inander yon Wich t igke i t zu sein.

Die N/ihrstoffe f inden sich in unseren rohen, nat i i r l ichen Nahrungsmi t t e ln in sehr kompl iz ier ten Verbindungen, die sich zum Teil wenigstens, als op t imal zusammengese tz t und phy- siologisch ak t iv im Stoffwechsel des 1<indes erwiesen haben. Es liege eine Reihe yon 13eobachtungen dafiir nor, dab diese nat t i r l ichen NXhrstoffverbindungen sehr labiler und ver- g~nglicher N a t u r sind. Verschiedene Mal3nahmen, wie Be- l ichtung, Berf ihrung mi t der Luft , Al te rn du tch Lagerung, Erh i t znng , k6nnen den Aufbau dieser Nf ihrs toffverbindungen beeinflussen, sei es in gfinstigem, sei es in ungeinstigem Sinne.

]3esonders bemerkenswer t sind die wirkungsvol len Ver- ~nderungen, die Nahrungsmi t t e l durch Bel ich tung erfahren, die z. ]3. ein rachi togenes Nahrungsmi t t e l in ant i rachi t isches umformen , und ebenso in teressant ist die Vorstellung, dab die Sonne N/ihrstoffe, die in der H a u t in i nak t ivem Zus tande lagern, in ak t ive nmwande ln kann, die dann in den Stoff- wechsel gelangen, wo sie physiologisch wirksam werden k6nnen.

Offenbar is t es n ich t notwendig, zur Erkl/~rung yon Stoff- wechsel- und ~Vachstumsst6rnngen bei d e m Kinde den Mangel a n i rgendwelchen neuen, noch unbekann ten N/~hrstoffen heran- zuziehen, es scheint v ie lmehr , dal3 die verschiedene physio- iogische Wi rkung versehiedener Zus tandsformen unserer be- kann ten Nfihrstoffe zum Verst~ndnis ausreicht. Allerdings gewinnen dann Stoffe eine groBe Wicht igkei t , die fr/ iher nur wenig beach te t wurden, wie z. ]3. die Sterine, un ter diesen vie l le icht das Ergoster in, und andere Lipoide.

Diese Anffassung der Verhfiltnisse liege ~rzt l ichem Denken nfiher als die A n n a h m e neuer unbekann te r N~hrstoffe, zum mindes ten meinem Denken und war f/ir reich, dessert Kraus-

scher Tiefenmensch nach Vereinfachung dr/~nge, gewisser- m a g e n die Er16sung aus banger Qual gegeniiber den neu- zeitliehen, an und fiir sich hervor ragenden Forschungsergeb- nissen. Die Frage der Ern~hrungsbedfirfnisse des Kindes ist heu te fraglos auf eine vieI brei tere Grnndlage gestellt, als friiher.

Wenn man reich nun fragt, was k o m m t le tz ten Endes aus diesen neuen Forsehungen und ans den zum Tell noch recht hypothe t i schen Vorstel lungen fiber den Stoffwechsel des I( indes prakt isch heute schon ftir seine Ern~hrung heraus, so ist das bisherige Ergebnis noch diirftig.

Es bleibt schlieBlich vorl~ufig dabei, dab die Kost des Kindes eine m6glichst gemischte und vielseit ige sein soll, dab sie sich frei ha l ten soll yon Einsei t igkeit , v o n d e r einseit igen Bevorzugung einzelner N~thrstoffe, besonders der EiweiI3i stoffe. Die direkte Sonnenwirkung r t ickt in den Kreis der Ern~hrungsfak toren ein.

D a n n sprechen auch die neuesten Beobach tungen daffir, die rohe Kost mi t ihren wer tvol len natf ir l ichen N/~hrstoff- verb indungen mehr, als es in den le tz ten Jah rzehn ten der Fa l l war, bei der Ern~hrung des Kindes mt beriicksichtigen, aller- dings nur in 13est~tigung aIter Volksgewohnhei ten und .~trzt- i ieher empir ischer Erfahrungen.

Gewissermal3en t r6st l ich ist es, daf3 wir heute etwas mehr dari iber wissen, wa rum eine solche Kos to rdnung ftir das Ge- deihen des Kindes no twendig ist, und dab die Hof fnung be- steht, dab dieser Forschungsweg, an dessen Anfange wir heute gerade erst stehen, uns zu wei terer E rkenn tn i s ffihren wird.

L i t e r a t u r : Siehe ERIC~ N[t2LLER: 1) Arch. f. Kinderheilk. 77, 122. i925; Med. Klinik 1926, Nr. 19 u. 21. -- 2) Med. Klinik i92i , Nr. 25.

ORIGINALINN. ZUR ENTSCH.~DIGUNGSFRAGE BEI DEN SOGE-

NANNTEN UNFALLNEUROSEN*). V o n

Prof . K. KLEIST, F r a n k f u r t a. M.

Mit dem Aufh6ren der Inf la t ion fest igte sich auch der W e f t der Unfal l renten, w/~hrend gleichzeit ig eine Zunahme der Arbei ts losigkei t einsetzte. Beide Umst~tnde haben zu- sammen in den le tz ten J ah ren zu einer Vermehrung der Rentenanspr / i che und dami t de r / i rz t l i chen Gutachter tXt igkei t gefiihrt. So k a m es, dab auch die Frage der Unfal lneurose e rneut lebhaf t er6r ter t wurde.

Wenn ich hierzu ebenfalls das W o r t ergreife, so geschieht es aus zwei Gr i inden: U m den S t andpunk t der jenigen zu unters t i i tzen, die wie RmCHARDT und t30.','HOEFFEr< die sog. Unfal lneurosen nicht als urs/~chliche Folgen yon Unfal l- ver le tzungen be t r ach ten und die Gew~thrung von Ren ten wegen Unfal lneurosen fiir ungerechtfer t ige ha l ten ; ferner weil ich glaube, zur Begrf indung dieser Ansicht einen Gesichts- punk t beibr ingen zu k6nnen, der die Begu tach tung yon Unfal lneurosen wesent l ich er le ichter t und die Ren tenab- lehnung yon einem ihr zum Tell mi t Rech t gemachten Vorwurf befreit . D a m i t hoffe ich auch, der Ausbre i tung einer r icht igen Anschauung v o m \Vesen der Unfa l lneurosen zu dienen; denn die \Viderst~nde, die dieser Ansicht besonders bei den Prak t ike rn entgegenstehen, sind leider noch groB.

Ich beschrXnke mich hier auf das Grunds~tzl iche und ver- weise im einzelnen auf die ml t einer Arbe i t yon STR.aL-SS be- gonnene Ver6ffent l iehung von Gutach ten meiner Klinik.

]gs bes teh t heute, besonders naeh den Er fahrungen an den Kriegsneurosen, kein Zweifel mehr, dab die sog. Unfall- neurosen keine mater ie l l verursachten , organischen Nerven- krankhei ten, sondern /ur~ktionelle StSrungen sind, d . h . ab- norme seelische Funkt ionsweisen im Gefolge eines UnfalI- erlebnisses.

~) Nach einem am medizip.isch-biologisehen Abend der Frankfurter medizinischen Faku!tSt am 3. Dezember 1926 gehaltenen Vortrage.

Es ist auch erwiesen, dab nicht jeder Unfal l zu einer Neurose fi ihren kann, sondern nur ein Unfall , m i t dem grund- s~tzlich ein gesetzliches Entsch/ id igungsanrecht ve rbunden ist. Es gibt daher eigentl ich keine Unfal lneurosen, sondern nu t Entseh~digungsneurosen. Im gleichen Sinne spricht es, dab die neurot ischen Reak t ionen in der wei taus f iberwiegenden Mehr- zahl der F~lle nach Napi ta labf indung oder nach endgii l t iger A b l e h n u n g der Rentenanspr t iehe aufh6ren (RaNsE, STI~R).

Ausnahmen yon diesen Er fahrnngen sind nicht nur selten, sondern stei l ten sich auch, wenigstens im Bereiehe meiner E r f a h r u n g , als nu t scheinbare Widerspr/ iche heraus. So k6nnen zwar auch nach Unf~llen ohne Entsch/ idigungs- anspruch bei entsprechend Veranlageen gewisse leichte nervSse Nachwirkungen eine Weile bestehen, die aber k a u m die BeZ zeichnung einer Krankhei t , einer Neurose, verdienen, j eden , falls aber keine Erwefbsbeschr~tnkung bedingen; so wenn ein E inwohner einer w~hrend des Krieges yon Fl iegerangriffen he imgesuchten S t ad t noch einige Zeit nach Friedensschlul3 an Tachykard ien und zwangshaf ten Bef i i rchtungen bei pl6tzl ichen Ger~uschen leidet. In anderen F~llen von , ,Unfall- neurose" nach Unf/illen ohne Entsch/ id igungsanspruch lagen ~v'grwechslungen mi t organischen Unfal lsch~den oder mi~ anderen organischen Nervenkrankhe i t en vor, oder es handel te sich um konst i tu t ionel le Psychopathien, die zu Unrech t auf einen Unfal l bezogen wurden, oder die Ursache einer neuro- t ischen Reak t ion war n icht der Unfall , sondern ein anderes gemtits- und wunschbewegendes Erlebnis bzw. eine andere schwierige Lebenslage, so das Bestreben, einer Gef~ngnis- strafe wegen eines Diebstahls zu entgehen, in e inem der yon STRAUSS ver6ffent l ichten F/ille. Es geht daraus hervor, wie wicht ig ffir die Unfa l lbegu tach tung die sachkundige nnd zu- ver~l~ssige neurologisch-psychiatr isehe Untersuchung, eine ersch6pfende k6rperl iche Durchforschung und dari iber hinaus die AufklXrung der menschl ichen Pers6nl ichkei t und der ge- samten Lebensumgt~nde des zu Begu tach tenden ist.

A US der Gesamtheit yon Un/agl und Entsehiicligungsanrecht ist also nicht der Un/all, sondern das Entschiidigungsanrecht die

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