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Düsse
ldorf
MDS
MDK
GKV
ONKOLOGIEC
Off-Label-Use in der Onkologie
Axel Heyll
Kompetenz Centrum Onkologie
der Medizinischen Dienste
Düsseldorf
Dortmund 20. November 2013
10. Diskussionsforum der SEG 6
Off-Label Use in der Onkologie
• Häufigkeit
– Bis zu 60 % bei onkologischen Patienten
– Schmitz S, et al., Dt Ärztebl 100 (30): A1995-A1997, 2005
• Fragestellungen
– Ursachen
– „Off-Label-Use“ entspricht wissenschaftlich gesichertem Standard
– „Off-Label-Use“ als Heilversuch
– „In-Label-Use“ immer sicherer?
– Perspektiven
• Ursachen
– Je lebensbedrohlicher die Erkrankung umso dringender deren Behandlungs-
bedürftigkeit.
– Aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten wird bei fortgeschrittener
Erkrankung häufig ein Stadium erreicht in dem anerkannte Behandlungen bzw.
zugelassene Medikamente nicht mehr verfügbar sind.
– Je ungünstiger die Prognose ist umso eher sind Behandlungsrisiken bzw. eine nicht
optimale oder weniger gut gesicherte Nutzen-Risiko-Relation ärztlich zu vertreten.
– Medikamente werden nur sehr eingeschränkt zugelassen. Die Zulassungskriterien
entsprechen in der Regel den Einschlusskriterien der Zulassungsstudie.
Off-Label Use in der Onkologie
„Off-Label-Use“ entspricht wissenschaftlich
gesichertem Standard
Lo-Coco F et al., N Engl J Med 369: 111-121, 2013
n = 77
n = 79
Akute Promyelozytenleukämie (APL) Niedrig-Risiko Erstlinientherapie
Altersmedian 46 Jahre
Abbildung wegen Urheberschutz entfernt
Verglichen wurde Arsentrioxid (ATO) + ATRA
versus
Chemotherapie plus ATRA als Standard
Lo-Coco F et al.,N Engl J Med 369: 111-121, 2013
Akute PromyelozytenleukämieATRA / ATO in der Erstlinie
Unter ATRA/ATO
CR 100 %Median 32 Tage
1 Todesfall nach CR wg.„Protokollverletzung“
2 Rezidive nach 22 bzw. 27 Monaten
nach 2 Jahren 97 % EFS
Toxizität
Abbildungen wegen Urheberschutz entfernt
Signifikanter Überlebensvorteil für ATO / ATRA
bei geringerer Hämatotoxizität
• Zulassungsstatus
– Tretinoin (= Alltransretinsäure, ATRA, Vesanoid®)
• zur Induktion der Remission bei akuter Promyelozytenleukämie (APL)
• Eine Chemotherapie mit Anthracyclinen in Standarddosierung sollte zu dem Therapieschema
mit Tretinoin … hinzugefügt werden.
– Arsentrioxid (ATO, Trisenox® )
• zur Induktion einer Remission und Konsolidierung bei erwachsenen Patienten mit
rezidivierender / refraktärer akuter Promyelozytenleukämie (APL) … .Die Patienten sollten
zuvor mit einem Retinoid und Chemotherapie behandelt worden sein.
• 10 Ampullen zu 10 ml (= 100 mg) 3.880 € laut Lauertaxe Oktober 2013,
• pro Behandlung ca. 55.000 € (bei 80 kg Körpergewicht), bei ambulanter Therapie noch teurer
� ATO sicher Off-Label-Use, hohe Medikamentenkosten
� ATRA möglicherweise auch Off-Label-Use
� Kombination mit Anthrazyklinen in Fachinfo empfohlen („sollte“)
� Kombination ATO und ATRA durch Zulassungsstudie nicht geprüft
Akute PromyelozytenleukämieATRA / ATO in der Erstlinie
• Kriterien des BSG (19.03.2002, B 1 KR 37/00 R) für Off-Label-Use zu Lasten der GKV erfüllt?
– Lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigende Erkrankung?
– Eher nein
• In 3 Jahren nur 1 von 79 Patienten verstorben
• CR-Rate 100 %, damit völlig unbeeinträchtigte Lebensqualität
– Keine andere Therapie verfügbar?
– Im MDK umstritten
• Im MDK häufig Verweis auf zugelassene Therapie, also hier: Mit ATRA plus Chemotherapie international
anerkannte, in Leitlinien empfohlene und arzneimittelrechtlich zugelassene Therapie verfügbar.
• KC Onkologie: Verweis nicht möglich, da medizinisch nicht gleichwertig
– Die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt und die Ergebnisse einer klinischen Prüfung der
Phase III veröffentlicht, die einen klinisch relevanter Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen?
– Nein!
• Hersteller hat bislang keinen Antrag auf Zulassungserweiterung gestellt.
– Außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht, die über Qualität und
Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich
nachprüfbare Aussagen zulassen und auf Grund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens
über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht?
– Ja!
Akute PromyelozytenleukämieATRA / ATO in der Erstlinie
• Auch § 2 Abs 1a SGB V ist nicht eindeutig erfüllt:
– Lebensbedrohliche, regelmäßig tödliche oder wertungsmäßig vergleichbare
Erkrankung?
– Nein
– Allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Leistung
verfügbar?
– Im MDK umstritten
– Nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung?
– Ja
Akute PromyelozytenleukämieATRA / ATO in der Erstlinie
Sachverhalt
• Off-Label-Use von ATRA / ATO entspricht einem erheblichen Behandlungsfortschritt, da es bei verringerter
Toxizität die Prognose der Patienten mit AML-M3 verbessert.
• Die BSG-Kriterien für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV und die Kriterien nach § 2 Abs 1a
SGB V sind nicht oder zumindest nicht eindeutig erfüllt.
Lösungsvorschlag des KC Onkologie
� Entscheidendes Kriterium bei einer MDK-Prüfung zum Off-Label-Use sollte die wissenschaftliche gesicherte
Datenlage zum Nutzen der Behandlung für Patienten sein.
� Dies entspricht nach Bewertung des KC Onkologie der Intention von Gesetzgeber und BSG, auch wenn das
dem Wortlaut nach – wie in diesem Fall – nicht immer eindeutig abzuleiten ist.
� Ist durch Phase 3-Studien in der Onkologie eine Überlebenszeitverlängerung oder eine Verbesserung der
gesundheitsbezogenen Lebensqualität gesichert, z. B. auch durch Reduktion der klinisch relevanten Toxizität
der Behandlung, sollte der MDK der GKV diese Behandlung auch bei „off label use“ als Leistung empfehlen.
Akute PromyelozytenleukämieATRA / ATO in der Erstlinie
• Weitergehende Fragen
� Was sollte der MDK empfehlen, wenn als überlegen getestetes Medikament nur im Ausland
zugelassen?
• Beispiel: Pferde-ATG bei Erstlinientherapie der SAA, signifikanter Überlebensvorteil im Vergleich zu Kaninchen-
ATG (Gesamtüberleben nach 3 Jahren 68% vs. 37%, p< 0,001).
� Wie wird ein „dramatischer Effekt“ in einer klinischen Studie der Phase 2 bewertet?
• Imatinib bei Erstlinie PH+ ALL, Crizotinib bei Zweitlinie ALK+ NSCLC
� Entscheidung nach Kriterien der evidenz-basierten Medizin. Wenn ein überlegener Nutzen ausreichend
gesichert wurde, sollte der MDK der GKV die Leistung für diese Behandlung empfehlen.
� Daten für MDK-Gutachten auch relevant, wenn nur als Kongresspublikation verfügbar?
� Wenn orale Präsentation auf renommiertem Kongress und ausreichende Daten z. B. auch durch
Veröffentlichung der Vortragsvorlagen verfügbar, als Grundlage für sozialmedizinische Empfehlung
ausreichend. Onkologischen Patienten sollte möglichst schnell eine Teilhabe am medizinischen
Fortschritt ermöglicht werden. Andere Situation als bei Grundsatzgutachten z. B. des IQWIG.
� Nach Erfahrung des KC Onkologie folgt die GKV auch regelhaft entsprechenden Empfehlungen.
Off-Label Use in der Onkologie
„Off-Label-Use“ als Heilversuch
• Off-Label-Use bei Heilversuchen
– Große Mehrzahl der Off-Label-Use-Fälle in der Onkologie
– Grundlage für die sozialmedizinische Bewertung ist immer § 2 Abs 1a SGB V
– Meist eindeutig, dass „lebensbedrohliche Erkrankung“ vorliegt.
– Standardtherapie verfügbar?
• Nach Bewertung des KC Onkologie kann nicht ohne weitere Prüfung auf alle für diese Indikation
zugelassenen Medikamente verwiesen werden.
• Ein Verweis setzt voraus, dass medizinische Gleichwertigkeit möglich ist.
• Bei direktem Vergleich beider Medikamente in klinischer Studie nur dann Verweis auf zugelassenes
Medikament wenn überlegen oder gleichwertig.
• Auf ein nur Phase 2-geprüftes, zugelassenes Medikament kann nicht verwiesen werden, wenn
„off-label“-Medikament Phase 3 geprüft wurde (höhere Evidenzklasse schlägt niedrigere
Evidenzklasse).
• Auch ein Verweis auf nicht medikamentöse Behandlungen wie z. B. Bestrahlung ist möglich.
• So lange medizinische Gleichwertigkeit möglich ist, ist bei mehreren OLU-Medikamenten oder nicht
medikamentösen Therapien der preisgünstigsten Behandlung der Vorzug zu geben.
• So lange medizinische Gleichwertigkeit möglich ist, geht Off-Label-Use vor Importarzneimittel.
Off-Label Use in der Onkologie
• Off-Label-Use bei Heilversuchen
– Nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder spürbar positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf?
• Am meisten umstrittener Punkt
• In der Regel zumindest Auswertungen klinischer Studien der Phase 2 notwendig
– Bei palliativer Therapie relevante Ansprechrate z. B. > 20 % und möglichst Korrelation
von Ansprechen und Überleben
– Bei potenziell kurativer Therapie Langzeitüberleben von mindestens 10 % (LSG Baden-
Württemberg, 26.06.2012, L 11 KR 5856/09)
• Nur bei sehr seltenen Indikationen auch Berücksichtigung von Kasuistiken
• Hypothesen zu pathophysiologischen Wirkmechanismen oder Ergebnisse von
Tierversuchen sind nicht ausreichend.
Off-Label Use in der Onkologie
Off-Label Use in der Onkologie
• Heilversuch
– Nicht beliebig oft in vergleichbarer Indikation möglich
• Durch „serielle“ Heilversuche würden Patientenschutzrechte ausgehebelt
• Ab spätestens 10 Heilversuchen klinische Studie notwendig
(Bender D, MedR 2005 (9), Seite 511 - 514)
– Die Zahl der Heilversuche in der Onkologie ist hoch
• Völlige Intransparenz über Häufigkeit und Behandlungsergebnisse
• Verstoß gegen Patientenschutzrechte durch serielle Heilversuche ist nach
Beobachtung des KC Onkologie sehr häufig
• Möglichkeiten zum Erkenntnisgewinn werden nicht genutzt
„In-Label-Use“ immer sicherer?
• Selbst bei „In-Label-Use“ häufig unzureichende Erkenntnisse für die Versorgung
• Beispiel: Medikamente mit Zulassung für kastrationsresistentes Prostatakarzinom
– Docetaxel, Cabazitaxel, Abirateron, Enzalutamid, Zoledronat, Denosumab, Radium 233
– Zulassungsstudien:
• Medianes Alter ca. 67 – 71 Jahre
• AZ ECOG 0-1: 86 % - 100 % der eingeschlossenen Patienten
• Keine relevanten Einschränkungen der Organfunktionen (Blutbildung, Leber, Niere, Herz)
oder relevante Begleiterkrankungen
• Medianes Alter der Patienten bei Tod an Prostatakarzinom 79 Jahre (Yancik R. Cancer J
11 (6): 437–41, 2005)
• Auch bei „In-Label-Use“ werden häufig Patienten behandelt, die nicht die Merkmale der in
die Zulassungsstudien eingeschlossenen Patienten aufweisen
� Häufig vergleichbare Unsicherheit wie bei „Off-Label-Use“, da viele Patienten nicht
die Einschlusskriterien der Zulassungsstudien aufweisen.
In-Label Use in der Onkologie
Perspektiven
Mögliche Perspektiven
• Neue Konzepte notwendig
– Anwendung neuer Behandlungsmethoden, neu zugelassener Medikamente oder
„Off-Label-Use“ zu Lasten der GKV nur im Kontext mit Versorgungsforschung
• Nach Erstbeschreibung einer Methode, Zulassung eines Medikaments oder vermeintlicher
Notwendigkeit für regelmäßigen „Off-Label-Use“ klinische Studien durch Kooperation von GKV
und Studiengruppen
• Anwendung beschränkt auf angeschlossene Prüfzentren mit definierter Strukturqualität und
Einschluss in Studienprotokolle
• Heilversuche nach Kriterien von § 2 Abs 1a SGB V auch außerhalb von Studien möglich, aber
Behandlung nur in Prüfzentren mit Erfassung und Auswertung der Daten
• Einzelfallprüfungen durch GKV / MDK dann in der Regel nicht mehr notwendig
• Schwerpunkt des MDK verlagert sich auf Systemberatung
– Prüfung von Studienkonzepten und Konsequenzen von Studienauswertungen für Versorgung
– Prüfung von Struktur- und Prozessqualität der beteiligten Zentren
• Breite Anwendung bzw. allgemeine Verordnungsfähigkeit erst nach Klärung der
versorgungsrelevanten Fragen
• Versorgungsrelevante Fragestellungen
– Wissenschaftliche Sicherung des Nutzens für Patienten
• Einfluss der Therapie auf Überleben und gesundheitsbezogene Lebensqualität (einschließlich Toxizität)
– Erkenntnisse zur Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit
• Erprobung der Methode bzw. des Medikamentes an einer für diese Erkrankung repräsentativen Patientenpopulation
– Keine Ausschlüsse wegen Komorbidität, hohem Alter oder schlechtem AZ
• Identifikation von Prognosefaktoren für Therapieansprechen
– z. B. prospektiv geplante Untergruppenanalysen
– z. B. Therapiestratifikation durch Biomarker
� Verminderung der „number needed to treat“
• „Fairer“ Vergleich mit preisgünstigeren Medikamenten bzw. Behandlungsmethoden
• „Head to Head“ - Vergleich neuerer Präparate
Versorgungsforschung zur Nutzenbewertung
Aktuelle vertragliche Möglichkeiten zur Erprobung
neuer Behandlungen in klinischen Studien
• Ziel der Vereinbarung– GKV zahlt neue Behandlungsmethode bzw. Medikamente
– Leistungserbringer verpflichtet sich zur systematischen Evaluation in klinischen Studien
• Sozialrechtliche Möglichkeiten– Integrierte Versorgung nach § 140a SGB V
– Budgetvereinbarung
– Erprobungsrichtlinie nach § 137e SGB V
• Beispiele für Umsetzung– PET-Diagnostik bei Lymphomen
– Protronenbestrahlung
– Hyperthermie
– Brachytherapie Prostatakarzinom (PREFER-Studie)
� Nachholbedarf für Gesetzgeber zur Erweiterung der Möglichkeiten
Konsequenzen einer optimalen Datenlage zur Nutzenbewertung
• Veränderung der Wahrnehmung von Ärzten/innen, Patienten/innen und
Öffentlichkeit durch Verfügbarkeit gesicherter Daten zur Nutzenbewertung
• Durch Verzicht auf Behandlungen ohne gesicherten Nutzen Kosten-
einsparungen ohne Qualitätsverluste bei der onkologischen Therapie
• Erschließung neuer finanzieller Ressourcen für
– Angemessene Honorierung primär ärztlicher Leistungen
• Anamnese und körperliche Untersuchung
• Beratung von Patienten und Angehörigen
• Hausbesuche
– Ausweitung der palliativmedizinischen Angebote für onkologische Patienten
• Ambulante „Palliative Care Teams“ oder Hospize
• Qualifizierte ambulante onkologische Pflege
• Psychotherapie, Seelsorge, auch ambulant aufsuchend
Danke !!!
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