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INDUSTRIEKULTUR IM KANTON BASEL-STADT
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Mai 1999
Seit Generationen ist er Gegenstand alljährlicher Schulausflügeim Rahmen des Heimatkundeunterrichts:Der Bernoulli-Silo mit seinen beiden aussichtsreichen Terrassenhoch über dem Rheinhafen undder Basler Industrielandschaftim Dreiländereck.
An schönen Tagen eröffnet sichdem Besucher ein weiter Blicküber die Stadt Basel, das badischeRheinland und den elsässischenSundgau bis zu den Vogesen.In diesem Sinne hat der Aussichtsturm auch symbolische und kulturelle Bedeutung für die Stadt imDreiland und seine Rheinhäfen.
Der Architekt Hans Bernoulli(1876-1959)
Blick von der Siloterrasse. Währenddes 2. Weltkrieges versammelte sichdie gesamte Schweizer Handelsflotteim Hafenbecken 1.
DER BASLER RHEINHAFENDer riesige rote Getreidespeicherwurde etwa gleichzeitig mit demAusheben des ersten Hafenbeckensam Kleinhüninger Ufer des ehemaligen Fischerdorfes erstellt. Dervom Architekten Hans Bernoulli(1876-1959) und dem IngenieurOskar Bosshardt (1873-1950)errichtete Nutzbau erfüllt nochheute seine ursprüngliche Funktion als Umschlagsanlage und
Lager von Getreide und Futtermitteln. Die Anlage ist seit 1926ununterbrochen in Betrieb. Dochdie jährlich rückläufigen Getreidetransporte und der teilweise desolate bauliche Zustand des Backsteinriesen veranlassen den industriekulturellinteressierten, überdie Zukunft dieses einmaligen Bauwerks zu reflektieren.
Zur Geschichtedes Basler Rheinhafens
Der Bernoulli-Silo gilt als Wahrzeichen der Basler Hafenanlagenin Kleinhüningen. Der Bau desHafens als neue Pforte der Schweiz .zum Meer ist ein wichtiges Zeug-nis für das wirtschaftliche undsoziale Klima der Zeit zwischenden zwei Weltkriegen.
Schweizerische GesellschafllürTechnik eschichle und Induslriekullur
INDUSTRIEKULTUR IM KANTON BASEL-STADT
Die Renaissance des Basler Rheinhafens
Die Tradition der baslerischenRheinschifffahrt reicht bis ins Mit-telalter zurück. Mit der Erfindungder Dampfmaschine als Antriebskraft erreichte sie in den dreissigerJahren des letzten Jahrhundertseinen letzten Höhepunkt, bis 1854die schnellere und günstigereEisenbahn zwischen Basel undStrassburg die kommerzielle ~Schifffahrt allmählich zum erlie- ~gen brachte. Um die Jahrhundert-wende führte eine starke Belebungdes Aussenhandels und ein technisch-romantisches Lebensgefühlzu einer lebhaften Diskussionüber die Wiederaufnahme desFlussverkehrs. Für einen rationellen Güterumschlag fehlten jedochdie Anlagen zum Löschen undLaden der Schiffe. Einzig die Gas-
Der Bernoullisilo vor der Aufstockung mit dem Hafenbecken 1.
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Das grosse Dach beherbergt die Verteilanlagen und war zugleich Werbeträger.
werke verfügten über eine provisorische Anlegestelle im unterenSt. Johann (heute Areal Novartis).Die starke Strömung am linkenFlussufer und optimistische Perspektiven für zusätzlichen Güterumschlag veranlasste die Rheinschifffahrtskommission, auf zweineu erworbenen Parzellen zwischen der badischen Grenze undder Wiesemündung eine Hafenerweiterung zu planen. Die Projektierung orientierte sich an denschon bestehenden Hafenanlagenin Mannheim und Strassburg.Unter der Leitung des Schiff-
fahrtspioniers Rudolf Gelpke(1873 -1940) wurde eine Kommission mit der Ausarbeitung vonPlänen betraut. 1910 konnte dieseein Projekt vorlegen, das einenstufenweisen Ausbau mit zweiHafenbecken vorsah. Der Regierungsrat erteilte dem BaslerIngenieur Oskar Bosshardt, derzuvor schon die Planung des Kraftwerks und der Schleuse in Augstgeleitet hatte, den Auftrag für dieAusarbeitung definitiver Bauplänedes ersten Hafenbeckens.Der erste Weltkrieg verursachteEngpässe in der Baumaterialver-
sorgung, die den Baubeginn bis1919 verzögerten. Mittels zweierriesiger Schaufelradbagger wurdedas 480 m lange und 75 m breiteBecken auf eine Tiefe etwa 8 mabgesenkt.Um die Vorzüge der Rheinschifffahrt einer breiten Bevölkerungvor Augen zu führen und denneuen Rheinhafen einzuweihen,fand im Jahr 1926 die Internationale Ausstellung für Binnenschifffahrt und Wasserkraftnutzungstatt. Die grösste Attraktion warneben der Ausstellung in denneuen Hallen der Mustermessevon Architekt Hermann Herter(Zürich) der Rheinhafen selbst:Um die Dimensionen dieser Ingenieurleistung überblicken zu können, erhielt der soeben fertiggestellte Bernoulli-Silo einen provisorischen Personenaufzug zurTerrasse des Maschinenhauses.Ende der dreissiger Jahre erfuhrder Kleinhüninger Hafen seinenletzten Ausbau: Mit Hilfe des
Basler Arbeitsrappens konnten80 Arbeitslose damit beschäftigtwerden, das schon von Gelpkevorgesehene Hafenbecken vonHand auszuheben. Über die desolate wirtschaftliche Situation imVorfeld des zweiten Weltkriegssprechen auch Demonstrationengegen den Einsatz von Baggernund Maschinen beim Bau dieserletzen Etappe.Mit dem Rückgang des Massengüterverkehrs und der Zunahmedes Containertransportes kündigtsich ein erneuter Wandel diesesfür die Schweiz einmaligen Industriequartiers an: Gigantische Kranbahnen bewegen sich ständig verändernde Kompositionen aus farbigen Normcontainern und verdrängen allmählich die grossenLagerhäuser entlang des Rheinsund der Hafenbecken. Noch istoffen, was mit den schon bald obsoleten Speicherbauten geschehensoll.
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INDUSTRIEKULTUR IM KANTON BASEL-STADT
Der Getreidespeicher von Hans Bernoulli und Oskar Bosshardt
Antriebe der Transportbänder im Dachraum mit darüber angeordnetenPendelrohrweichen
Bis in die zwanziger Jahre bildeteder Kohlentransport die finanzielleGrundlage der Basler Reedereien.Die erst 1919 gegründete Schweizerische Schleppschifffahrtsgesellschaft konnte sich nur noch wenigeKohlentransporte sichern undsuchte deshalb im Getreidetransport einen Ersatz. Da es sich beimGetreide um ein verderbliches Guthandelt, dessen Umschlag einesorgfältig ausgebaute Infrastrukturbenötigt, braucht man technischausgereifte Umschlagsmittel undLagerhäuser. Für den Bau einesSilos sprachen damals die starkenWechselkursschwankungen, dennselten hatte der Empfänger desGetreides beim Eintreffen derLadung dieses schon ganz verkauft. Das Schiff musste auf Lager
system endeten mit der Planungeines 10'000-Tonnen Speichers,ausgestattet mit den modernstenMaschinen und separaten LüftungszeIlen. Nach seiner Fertigstellunggalt der Silo als der modernsteund eines der schönsten Lagerhäuser im ganzen Rheingebiet undzudem als grösster der Schweiz:1926 wurde das Bauwerk zusammen mit dem Rheinhafen eingeweiht und erhielt aus diesemAnlass den oben erwähnten provisorischen Personenaufzug zurAussichtsterrasse. Das aussenliegende, hölzerne Liftgerüst warden damaligen Baumaterialaufzügen nachempfunden und wurdenach Ende der Ausstellung wiederdemontiert. Für das Eidgenössische Sängerfest von 1935 ist die
lichkeit gesperrt. Nach Kriegsende.beauftragte die Reederei ihre Bauabteilung mit der Projektierungeiner durchgehenden Liftanlage.In das bestehende Treppenauge
die mit Bögen abgeschlossenenMauervorlagen. Kleine Fenster imsüdlicheren Teil des Silotraktessollen die riesigen Wandflächendes Baukörpers auflockern und sie
erklären die innere Organisationdes Silos: Der fensterlose Teil umfasst die durchgehenden hohenLagerzellen, während die Öffnungen der Durchlüftung der kleinerenZellen, den sogenannten Trichterböden dienen.Die steil aufragende Satteldachkonstruktion dient als Schutz fürdie aufwendige Verteileranlageund ist jedoch auch wesentlicherBestandteil der vom Architektenangestrebten Erscheinung.Das vom Silokörper abgesetzteMaschinenhaus unterstreicht dieentwerferische Idee, Funktions-
Doppelte Drehrohrverteiler unter denTransportbändern im Dachraum.Anlagenbau der Fa. Gebr. Bühler,Uzwil
wurde ein neuer Aufzug eingebautund das Maschinenhaus mit einerAufstockung versehen.Die Zweiteilung des Hauptbausund die Oberfläche der Backsteinmauern erinnern den Betrachteran den Kirchenbau der Romanik:Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die Blendarkaden und
Für die Einweihung des RheinhafensI wurde 1926 dem Elevatorenturm ein
provisorischer Aufzug angebaut.
50 m über dem Rhein gelegeneTerrasse für Hafenbesucher erneutgeöffnet worden, allerdings mussten sie die Terrasse über 242Treppentritte zu Fuss ersteigen.Im Zweiten Weltkrieg diente derTurm gar den Fliegerabwehrtruppen als Beobachtungsstützpunktund war deshalb für die Öffent-
löschen. Die Engpässe in der Getreideversorgung während desersten Weltkrieges zeigten ausserdem, dass es für die Unabhängigkeit der Schweiz von grossemVorteil war, einen eigenen Silo amRhein zu besitzen.Zahlreiche Studien über die Kapazität und das zu wählende Lager-
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Erhaltenswürdige Architekturqualitäten
Präsident: Prof. Dr. Daniel Vischer,ETH-Zentrum, 8092 ZürichVizepräsident: Prof. Dr. Hans PeterHaeberli, TWI 8401 Winterthur,Sekretariat: Dr. Hans-PeterBärtschi, Arias Industriekultur,Lokomotivdepot, Lindstrasse 358401 Winterthur
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Ausstellungen und Reisen• qas vierteljährlich erscheinende
technisch und technikgeschichtlich ausgerichtete VereinsorganIN.KU-Bulletin und weiterePublikationen. Horizontalschnitt durch das Siiogebäude.
das zeichenhafte Dach sind Teileiner umfassenden Strategie,Funktionsabläufe sichtbar zumachen und zugleich an dieTradition der Industriearchitekturanzuknüpfen. In dieser für dasVorfeld der Moderne charakteristischen Haltung liegt denn auchdie Qualität dieser Architektur.
Quellen (Auszug)
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abläufe architektonisch umzusetzen und gleichwohl das Bild einerKathedrale zu vermitteln. Ein Umbruch kündigte sich an: Der mitArkaden und Friesen besetzteLagerhaustrakt erinnert an das18. Jahrhundert, während derkubisch abstraktere Turm sicheher an der Moderne orientiert.Offensichtlich ist die AbsichtBernoullis, an die Traditionendes Industriebaus anzuknüpfen:Zweckbauten des 19. Jahrhundertsübernahmen oft sakrale Bauformen oder Fragmente von Palastarchitekturen. Die Innovationender Bautechnik um die Jahrhundertwende vermochten nicht ohneVerzug auch ein neues Formenvokabular zu erzeugen. In diesemSinne gibt der Bernoulli-Silo einhervorragendes Zeugnis ab: Aufden ersten Blick offenbart sich derMonumentalbau als Backsteinkonstruktion, doch der Schein trügt:es handelt sich um einen Stahlbetonbau, der zwecks Wärmeisolierung und aus formalen Gründenmit Backstein ummantelt wurde.Der Reederei, die ihre Tätigkeitenvorab ausserhalb der Landesgrenzen abwickelte, lag angesichts dieses konstruktiven Mehraufwandes viel daran, sich mitihrem Neubau in Basel in besterManier zu repräsentieren. Die
Bedeutung, die man diesem Bauwerk zumass, belegt den Beizugdes renommierten Architekturprofessors Hans Bernoulli für diearchitektonische Gestaltung.Bernoulli war durch seine Reihenhäuser im Hirzbrunnenquartier inBasel bekannt geworden und widmete sich damals vornehmlichstädtebaulichen Fragen. Er war jedoch auch als Unternehmer tätig,beteiligte sich am Bau des Silos,wobei er in arge finanzielleSchwierigkeiten geraten sein soll.Der Silo lehnt sich weniger andie von den Protagonisten derModerne gepriesenen Vorbilderan - Walter Gropius publizierteschon 1913 im Deutschen Werkbund die serielle Ästhetik amerikanische?t'etreidespeicher, uhdLeCorbusier hulqigte 1924dem,Pathos anonymer Silos des gebauten Aflahtis. Be'rnoulli suchteeher an die Kultur hanseatischerHafenarchitektur anzuknüpfen.Heute beeindruckt die Art, wie erauf Grund resoluter funktionalerVorgaben seiner Architektur einenAusdruck geben konnte, der denBetrachter sowohl über das Programm aufklärt, als auch eineeigenständige Aussage jenseitsder unmittelbaren Funktion vermittelt. Die Loslösung des Elevatorenturms vom Silokörper sowie
Mathias Frey, Die Speicherbautenvon Hans Bernoulli am BaslerRheinhafen, Zur Baugeschichtedes Rheinhafens und des BernoulliSilos, Arch.Abt. ETHZ 1995Paul Hugger, Kleinhüningen-von der Dorfidylle zum Alltageines Basler Industriequartiers,Birkhäuser, Basel 1969Hans R. Schwabe, Die Entwicklung der Schweizerischen Rheinschifffahrt, Helbing und Lichtenhahn, Basel 1954Karl und Maya Nägeli-Gschwind,Hans Bernoulli - Architekt undStädtebauer, Birkhäuser,Basel 1993Reyner Banham, Concrete Atlantis,MIT Press, Cambridge 1986INSA, Inventar der neuerenSchweizer Architektur 1850-1920Heinz Herold, 50 Jahre Schweizerische Reederei AG, Basel, 1969.
Impressum
Text Mathias E. Frey, dipl.Architekt ETH/SIA, BaselFotos Archiv Mathias Frey,Gesellschaft SiloterasseDreiländereckGestaltet von Andreas Fahrni,BülachGedruckt bei Peter Gehring AGWinterthur
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