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Zentrum für innovative Gesundheitstechnologie an der Technischen Universität Berlin
Innovationsimpulse der Gesundheitswirtschaft -
Auswirkungen auf Krankheitskosten, Wettbewerbsfähigkeit
und Beschäftigung
Kurzfassung
Forschungsprojekt im Auftrag des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi)
(Projekt-Nr. 08/09)
Autoren:
Prof. Dr. rer. pol. Klaus-Dirk Henke, Dipl.-Ing. Sabine Troppens (TU Berlin)
Dr. rer. pol. Grit Braeseke, M. A. Birger Dreher , M. A. Meiko Merda (IEGUS Institut)
Berlin, den 17. Dezember 2010
Zentrum für innovative Gesundheitstechnologie an der Technischen Universität Berlin
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Die beteiligten Projektpartner:
IEGUS Institut für Europäische
Gesundheits- und Sozialwirtschaft
GmbH
Dr. rer. pol. Grit Braeseke
M. A. Birger Dreher
M. A. Meiko Merda
Reinhardtstr. 31
10117 Berlin
Tel.: 030 / 983 122 24
Fax: 030 / 983 122 25
braeseke@iegus.eu
www.iegus.eu
Technische Universität Berlin
Fachgebiet Finanzwissenschaft und
Gesundheitsökonomie und ZiG
Prof. Dr. rer. pol. Klaus-Dirk Henke
Dipl.-Ing. Sabine Troppens
Zentrum für innovative Gesundheitstechnologie
an der Technischen Universität Berlin
Straße des 17. Juni 135
10623 Berlin
Tel.: 030 / 314 25 466
Fax: 030 / 314 26 926
klaus-dirk.henke@tu-berlin.de
http://www.finance.tu-berlin.de
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1 Projektauftrag
Am Anfang des Jahres 2009 schrieb das Bundeswirtschaftsministerium die Studie „Innova-
tionsimpulse der Gesundheitswirtschaft – Auswirkungen auf Krankheitskosten, Wettbewerbs-
fähigkeit und Beschäftigung“ aus. Ziel war es aufzuzeigen, welchen Beitrag die Gesund-
heitswirtschaft als Branche in ihrer erweiterten, auf den Ergebnissen des Projektes zum
Gesundheitssatellitenkonto (GSK) fußenden Abgrenzung zur Wertschöpfung, Beschäftigung
und zum Innovationspotenzial der Volkswirtschaft leistet.
Im Mittelpunkt der Betrachtungen sollten dabei die von Innovationen in der Gesundheitswirt-
schaft ausgehenden Wirkungen auf die Gesundheitsversorgung selbst, aber auch auf andere
Branchen außerhalb der Gesundheitswirtschaft stehen (Abbildung 1). Das Umfeld für das
Entstehen von Innovationen, wie z. B. die Forschungsförderung oder der Zugang zu Wag-
niskapital, waren nicht Gegenstand der Untersuchung.
Es galt deshalb zu ermitteln, welche Wirkungen der medizinisch-technische Fortschritt ins-
gesamt auslöst, über die direkten Behandlungserfolge beim Patienten hinaus. Wie verändern
sich die Kosten der Behandlung? Lassen sich krankheitsbedingte Fehlzeiten verringern und
damit Produktionsausfälle vermeiden? Welche Umsatz- und Beschäftigungswirkungen
gehen mit Produkt-, Prozess- und Systeminnovationen in der Gesundheitswirtschaft einher?
Was bedeutet es letztlich für die Volkswirtschaft, wenn die Bevölkerung gesünder und auch
leistungsfähiger wird?
Abbildung 1: Im Rahmen der Studie untersuchte Zusammenhänge
Innovationen in der Gesundheitswirtschaft
Gesundheitszustand der Bevölkerung (Humankapital)
Strukturwandel und Wirtschaftswachstum
Wirkung internEffizienzsteigerung, Erhöhung der WertschöpfungErschließung neuer AbsatzmärkteBeschäftigungswirkungen, neue Berufsbilder
Wirkung extern (andere Branchen)direkte und indirekte KrankheitskostenProduktivität/ Wettbewerbsfähigkeit LohnnebenkostenBeschäftigung
©IEGUS, ZiG, TU Berlin
4
Die Studie wurde im Zeitraum Juli 2009 bis Dezember 2010 erstellt. Das Projektteam aus
Mitarbeitern der TU Berlin, Lehrstuhl für Finanzwissenschaft und Gesundheitsökonomie, und
des IEGUS Instituts für Europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft GmbH, hat auf der
Basis von Sekundäranalysen und der Auswertung statistischer Daten die vielfältigen Wirkun-
gen medizinisch-technischer Innovationen untersucht und systematisch dargestellt. Die ab-
schließenden wirtschaftspolitischen Handlungsempfehlungen basieren auf den im Rahmen
des Projektes gewonnenen Erkenntnissen und auf den Ergebnissen eines Expertenwork-
shops, der im November 2010 in Berlin stattfand. Sie sind darauf gerichtet, die positiven
Wachstumsimpulse der Branche künftig noch stärker zum Tragen kommen zu lassen.
2 Ablauf der Untersuchung und Gliederung der Studie
Die Erarbeitung der Studie erfolgte in drei aufeinander aufbauenden Phasen:
Projektphase 1: Wachstum und Strukturwandel in der Gesundheitswirtschaft
Projektphase 2: Die Gesundheitswirtschaft als ein Wirtschaftszweig unter anderen
Projektphase 3: Die Gesundheitswirtschaft als Arbeitsmarkt
In Phase 1 wurden unterschiedliche Innovationsbegriffe ausführlich beleuchtet und die Wir-
kungen von Innovationen auf das Wirtschaftswachstum dargestellt. Dazu gehörten auch die
Zusammenhänge zwischen Strukturwandel, Wachstum und wissenschaftlich-technischem
Fortschritt in der Gesundheitswirtschaft. Aufgrund der besonderen Eigenschaften der Ge-
sundheit existieren in der Gesundheitswirtschaft verschiedene Teilmärkte mit privaten und
öffentlichen Akteuren, die mit Blick auf den Nutzen von medizinisch-technischen Innovatio-
nen z. T. ganz unterschiedliche Interessen verfolgen, wie im Einzelnen erläutert wird.
Anschließend wurden die nach epidemiologischen, makro- und mikroökonomischen
Gesichtspunkten differenzierten Wirkungen einer besseren Gesundheit analysiert. Dabei
standen krankheitsbedingte Fehlzeiten aus unternehmerischer Sicht im Vordergrund.
In Phase 2 wurde die Gesundheitswirtschaft als Branche mit ihren Verflechtungen zu ande-
ren Wirtschaftszweigen untersucht. Ausgangspunkt war dabei die im Rahmen des BMWi-
Projektes Gesundheitssatellitenkonto (GSK) erarbeitete volkswirtschaftliche Abgrenzung.
Die einzelnen Teilbranchen der Gesundheitswirtschaft (Medizintechnik, Pharmaindustrie,
Biotechnologie) und weitere Wirtschaftszweige, die Schnittmengen mit der Gesundheitswirt-
schaft aufweisen (u. a. die Informations- und Kommunikationstechnologie, die Wohnungs-
und Immobilienwirtschaft sowie die Tourismuswirtschaft) werden in der Studie ausführlich
dargestellt. Ein Schwerpunkt liegt dabei jeweils auf branchenspezifischen Innovationen und
deren Wirkungen.
Die volkswirtschaftlichen Wirkungen von Innovationen werden anhand einzelner, teils aus-
führlich beschriebener Beispiele aus den Bereichen Medizintechnik, Hilfsmittel, Arzneimittel-
industrie, Prävention und E-Health, aus der Automobilbranche, der Informations- und Kom-
munikationsbranche, der Fitness- und Wellnessbranche, der Ernährungs- sowie der Woh-
nungswirtschaft erläutert.
5
In der Phase 3 stand der Arbeitsmarkt im Mittelpunkt. Hier wurden die im GSK ermittelten
Beschäftigungswirkungen der Gesundheitswirtschaft um Auswertungen aktueller Gesund-
heitspersonaldaten erweitert. Personalbedarfe sind sowohl in traditionellen als auch in neuen
Berufen identifiziert worden. Eine Übersicht über gesundheitsrelevante Berufe zeigt die Viel-
falt an Berufsbildern, die der Gesundheitswirtschaft zurechenbar sind.
Die Studie schließt mit wirtschaftspolitischen Handlungsempfehlungen.
3 Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick
1) Die Gesundheitswirtschaft zählt zu den innovativsten Branchen. Ihre Innovationen erzeu-
gen, gepaart mit unternehmerischer Initiative (insb. Risikobereitschaft), branchenüber-
greifend Wachstum und Strukturwandel. Sie sind ein wesentlicher Faktor für die Wettbe-
werbsfähigkeit der Volkswirtschaft und wirken meist beschäftigungssteigernd. Das bele-
gen zahlreiche Studien der Innovationsforschung.
2) Innovationen ermöglichen die Erschließung neuer Märkte, insbesondere das Potenzial
des Zweiten Gesundheitsmarktes ist noch nicht ausgeschöpft. Durch Innovationen ge-
lingt den Unternehmen gleichzeitig die Anpassung an eine sich verändernde Nachfrage-
und Anbieterstruktur, die sich aus dem von globalen Megatrends getriebenen Struktur-
wandel in der Gesundheitswirtschaft ergibt.
3) Diese übergreifenden globalen Megatrends, vor denen sich auch die zukünftige Finan-
zierung und Versorgungsqualität des Gesundheitssystems beweisen muss, sind:
- die Globalisierung und Europäisierung
- der demografische Wandel
- die rapide Zunahme chronischer und psychischer Erkrankungen
- die Zunahme der Gesundheits- und Krankheitsausgaben und die wachsende Bedeu-
tung der Konsumenten im Gesundheitsmarkt
- der technologische Wandel (Verwissenschaftlichung der Medizin, Einsatz neuer
Informationstechnologien sowie prädiktive und personalisierte Medizin)
- die Individualisierung der Lebensweisen und
- ein neues aktives und ganzheitliches Gesundheitsverständnis bei informierten Ver-
sicherten und Patienten.
4) Der Strukturwandel in der Gesundheitswirtschaft findet statt
- intrasektoral durch Verschiebungen innerhalb eines Sektors (z. B. von der kurativen
zur präventiven Medizin),
- intersektoral, da in der heterogenen Gesundheitswirtschaft sowohl der sekundäre
Sektor, z. B. durch die Pharma- und Medizintechnikindustrie, als auch der tertiäre
Dienstleistungssektor mit seinen Versorgungsleistungen vertreten sind.
- regional durch die regional unterschiedlich starke Bedeutung der Gesundheitswirt-
schaft feststellbar (Abbildung 2).
6
Abbildung 2: Regionale Bedeutung der Gesundheitswirtschaft
Quelle: Prognos AG (2009): 8.
5) Für die Entwicklung der besonders technologie- und wissensintensiven Produkte und
Dienstleistungen bedarf es innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen, also offene ge-
sellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen1, innerhalb derer Gesundheit und Bildung
als Komponenten des Humankapitals ressortübergreifend eine besondere Bedeutung
zukommt.
6) Als Innovationsimpulse werden jene Wirkungen bezeichnet, die von Innovationen ausge-
hen und auf verschiedene Bereiche innerhalb und außerhalb der Gesundheitswirtschaft
wirken (Abbildung 3).
1 Z. B. innovationsfreundliche Ausgestaltung des Patent- und Wettbewerbsrechts, steuerliche Rahmenbedingungen, Grad an
Stabilität und Kalkulierbarkeit politischer Entscheidungen.
7
Abbildung 3: Schematischer Zusammenhang der Begriffe Innovationshemmnisse, -treiber und -impulse
Quelle: Eigene Darstellung.
7) Nachfrageimpulse, die zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum beitragen, beruhen auf der
Verflechtung der Gesundheitswirtschaft mit vielen anderen Wirtschaftsbranchen im In-
und Ausland (siehe GSK). Auf Basis der Berechnungen im GSK-Projekt (Tabelle 1) lässt
sich für die Gesundheitswirtschaft bzw. ihre Teilbranchen des Kern- und Erweiterten Be-
reichs die Nachfrage nach heimischen Vorleistungen, die Güterproduktion, der Beitrag
zur Bruttowertschöpfung sowie die Verwendung der Güter quantifizieren. Letztere ge-
schieht in Form von Zwischen- und Endprodukten, für den Export etc. Dabei wird deut-
lich, dass die Gesundheitswirtschaft selbst in Branchen des sog. Nichtgesundheitsberei-
ches, wie z. B. der Land- und Forstwirtschaft oder der Metallerzeugung, Vorleistungen
nachfragt oder auch Zwischenprodukte an diese Branchen liefert (Abbildung 4 für die
gesamte Gesundheitswirtschaft).
Tabelle 1: Eckwerte des GSK für Deutschland in Mrd. €, 2005
GW Gesundheitswirtschaft; KGW Kernbereich Gesundheitswirtschaft; EGW Erweiterter Bereich Gesundheitswirtschaft, Quelle: Henke, Neumann, Schneider et al. (2010).
8
Abbildung 4: Verflechtung der Gesundheitswirtschaft branchenintern (KGW, EGW) und branchenextern (NG), 2005
Quelle: Eigene Darstellung.
8) Eine weitere Wirkung von Innovationen in der Gesundheitswirtschaft ist die bessere
Gesundheit(sversorgung) und steigende Lebenserwartung der deutschen Bevölkerung.
Auch bezüglich der Selbsteinschätzung stieg seit Mitte der 1990er Jahre der Anteil jener
Personen, die ihre Gesundheit als „sehr gut“ beurteilen.
9) Innovationen können mit einer Senkung der direkten und indirekten Krankheitskosten
einhergehen. Bis 2037 ist es laut einer Simulation des Hamburgischen Weltwirtschaftsin-
stituts (2007) möglich, so 910 Mrd. € einzusparen, das sind 8 % der für den Zeitraum
insgesamt geschätzten Gesundheitsausgaben. Ein großer Teil der Einsparungen lässt
sich auf eine Senkung der indirekten Krankheitskosten zurückführen, weil Erwerbstätige
weniger krankheitsbedingte Fehlzeiten aufweisen. Tabelle 2 zeigt für ausgewählte Diag-
nosegruppen, wie sich die indirekten Krankheitskosten im Zeitraum 2003 – 2008 bereits
verringerten.
9
Tabelle 2: Vermiedene indirekte Krankheitskosten für ausgewählte Diagnosen im Zeitraum 2003 – 2008 (nominal, Vergleichsjahr 2002)
ICD 10
Verringerung verlorener
Erwerbsjahre
Vermiedene Produktionsaus-
fallkosten
Vermiedener Ver-lust an Brutto-wertschöpfung
Jahre in Mio. €
B20-B24 HIV-Krankheit (Humane Immundefizienz-Viruskrankheit) 12.500 426,25 775,00
C91-C95 Leukämie 11.000 375,10 682,00
E10-E14 Diabetes mellitus 15.500 528,55 961,00
I50 Herzinsuffizienz 23.500 801,35 1.457,00
I60-I69 Zerebrovaskuläre Krankheiten 8.500 289,85 527,00
K20-K31 Krankheiten des Ösophagus, des Magens und des Duodenums 49.000 1.670,90 3.038,00
M54 Rückenschmerzen 239.000 8.149,90 14.818,00
Summe 359.000 12.241,90 22.258,00
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Statistik „Verlorene Erwerbstätigkeitsjahre“ des Statisti-schen Bundesamtes. Methode: Vergleichsjahr für verlorene Erwerbsjahre: 2002, für die in der Statistik nicht ausgewiesenen Werte der Jahre 2003, 2005 und 2007 wurde jeweils der Mittelwert der beiden angrenzenden Jahre herangezogen, Produktionsausfallkosten mit durchschnittlichem Arbeitnehmerentgelt von 34.100 € und durchschnittliche Bruttowertschöpfung mit 62.000 € (Werte entnommen aus: Statistisches Bun-desamt, VGR, 2008).
10) Ausgewählten Fallbeispiele, an denen die Wirkungen von Innovationen der Gesund-
heitswirtschaft im Detail gezeigt werden, sind:
- die Einführung eines neuen Vergütungssystems für Krankenhausleistungen (DRGs)
als Systeminnovation,
- Neue Entwicklungen in der Endoprothetik und bei Biopharmaka als Produktinnova-
tionen,
- Telemedizin in der Betreuung von Herzinsuffizienz-Patienten als Produkt- und
Prozessinnovation,
- Risk-share-Verträge und Innovationen im Beschaffungsbereich als Organisations-
innovationen.
11) Zwei Tabellen mit weiteren Einzelbeispielen und Berechnungen nach Diagnosen finden
sich im Anhang der Studie. Fallbeispiele aus anderen Branchen (Ernährungswirtschaft
und Automobilindustrie) ergänzen das Spektrum: Functional Food und Fahrassistenzsys-
teme sind Reaktionen des Marktes auf die steigende Nachfrage nach Gütern, die der
Förderung und des Erhalts der Gesundheit dienen.
10
12) Neben rückläufigen Krankenständen und Fehlzeiten der erwerbstätigen Bevölkerung
(siehe Abbildung 5) wirkt sich auch positiv auf die Produktivität der Volkswirtschaft aus,
dass der Anteil älterer Arbeitnehmer infolge von Frühverrentungen gesunken ist und eine
deutlich verbesserte betriebliche Gesundheitsförderung existiert.
Abbildung 5: Krankenstand der Pflichtmitglieder der Gesetzlichen Krankenkassen ohne Rentner im Jahresdurchschnitt (in %)
Quelle: Eigene Darstellung, Daten des Statistischen Bundesamtes (2010).
13) Die Gesundheitswirtschaft ist ein stabilisierender Faktor des Arbeitsmarktes. Während
die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland insgesamt im Zeitraum 2000 - 2008 um
knapp 3 % zunahm, wuchs die Zahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen um über
12 %.2 Auch während der Wirtschaftskrise 2008/2009 stockten Krankenhäuser und am-
bulante Einrichtungen in Deutschland ihr Personal weiter auf, während in vielen Bran-
chen Stellen abgebaut wurden.
14) Das Beschäftigungswachstum der Gesundheitswirtschaft vollzieht sich vor allem in am-
bulanten Einrichtungen aller Art (Ärzte, Therapeuten und Pflege) sowie in der stationären
Pflege (Abbildung 6). Der Trend zu ambulanten Behandlungsformen beruht großenteils
auf dem medizinisch-technischen Fortschritt: Neue Medikamente und moderne Behand-
lungsmethoden verkürzen oder vermeiden Krankenhausaufenthalte und machen die
Betreuung innerhalb der eigenen Wohnung möglich (Telemedizin).
2 Bei der Interpretation der Daten ist zu beachten, dass die Erwerbstätigenrechnung auf dem Personenkonzept beruht, das Personen mit mehreren Beschäftigungsverhältnissen nur einmal mit ihrer Haupttätigkeit erfasst, während die GPR sog. Be-schäftigungsfälle zählt – Personen mit mehreren Tätigkeiten im Gesundheitswesen werden auch mehrfach erfasst.
0
1
2
3
4
5
6
7
1993 1995 2000 2005 2006 2007 2008
Gesetzliche Krankenkassen insgesamt
darunter: Ortskrankenkassen (AOK)
darunter: Betriebskrankenkassen (BKK)
darunter: Innungskrankenkassen (IKK)
11
15) Unter den von der Gesundheitspersonalrechnung (GPR) erfassten Vorleistungsindustrien
erweist sich vor allem die Medizintechnik als Beschäftigungsmotor mit einem Zuwachs
von 12.000 Vollkräfte im Untersuchungszeitraum – treibende Kraft dort war in erster Linie
die gestiegene Auslandsnachfrage.
Abbildung 6: Entwicklung der Zahl der Vollkräfte im Gesundheitswesen nach Einrichtungen von 2000 bis 2008 (in 1.000 Personen)
Legende: Rote Säule = Summe der rechts davon liegenden blauen Säulen, Quelle: Eigene Berech-nung und Darstellung, Daten des Statistischen Bundesamtes, www.gbe-bund.de (27.08.10).
16) Die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal stellt einen wichtigen wissensseitigen Inno-
vationstreiber dar. Der Personalbedarf in der Gesundheitswirtschaft kann zum Teil
bereits heute nicht gedeckt werden und er wird voraussichtlich weiter steigen, insb. bei
Ingenieuren, Ärzten, Pflegekräften, in therapeutischen und forschenden Berufen.
17) Die Ausbildung von Fachkräften muss in qualitativer und quantitativer Hinsicht am Bedarf
orientiert, angepasst und stärker gefördert werden. Hierin ist ein Zusammenhang
zwischen Innovationen (als Output) und der Beschäftigungswirkung der Gesundheitswirt-
schaft zu sehen.
-3
164,0
2613
73
3
-14
3825
33,0
-37
0
70
2
-24
32
14,0
-4
12 6
-40
10
60
110
160
12
18) Es gibt nach einer Abgrenzung durch die Autoren fast 500 verschiedene, der Gesund-
heitswirtschaft zurechenbare Berufsbilder. Auch hier zeigt sich die enge Verflechtung der
Gesundheitsbranche mit anderen Wirtschaftszweigen: 118 Berufe mit Bezug zur
Gesundheit finden sich in Berufsfeldern wie Dienstleistungen, Naturwissenschaften,
Soziales und Pädagogik, Technik und Technologie. In dieser Vielfalt spiegelt sich auch
der aufgrund medizinisch-technischer Entwicklungen große Bedarf an neuen Berufsbil-
dern und entsprechenden Ausbildungsgängen wieder, wie am Beispiel technischer Assis-
tenzberufe im Krankenhaus ausführlich dargestellt wird.
Die gesamte Fülle an recherchierten Daten und Untersuchungsergebnissen ist dem End-
bericht der Studie zu entnehmen, der damit den Charakter eines Nachschlagewerks zur
Gesundheitswirtschaft gewinnt.
4 Handlungsempfehlungen für Innovationsimpulse in der Gesundheits-
wirtschaft
Die wirtschaftspolitischen Handlungsempfehlungen wurden auf Basis der im Laufe der Pro-
jektbearbeitung gewonnenen Erkenntnisse sowie unter Berücksichtigung der Ergebnisse ei-
nes Anfang November 2010 durchgeführten Expertenworkshops erarbeitet. Es wurden Maß-
nahmen identifiziert, die in der Gesundheitswirtschaft ein innovationsfreundliches Klima
erhalten bzw. schaffen, um weiter von den positiven Auswirkungen der Querschnittsbranche
Gesundheitswirtschaft auf die gesamte Volkswirtschaft zu profitieren.
Übergreifende wirtschaftspolitische Handlungsempfehlungen
Belange der Gesundheitswirtschaft werden aufgrund der Besonderheit des Gutes Gesund-
heit von unterschiedlichen Politikbereichen tangiert. Diese Situation muss sich künftig stärker
im Zuschnitt der Referate in den verschiedenen Bundesministerien widerspiegeln, die sich
mit Fragen dieser exportorientierten Leitbranche beschäftigen. Ressortübergreifend bedarf
es einer neuen Form der Zusammenarbeit, die zu wünschenswerten Veränderungen führt
und die Gesundheitspolitik auch als Teil der Wirtschafts-, Forschungs-, Bildungs-, Familien-,
Finanz- und Arbeitsmarktpolitik erkennt. Wirtschaft, Wissenschaft und weitere Ressorts unter
Leitung des Bundeswirtschaftsministeriums sind zu einer Gesundheitspolitik aus einem Guss
aufgerufen. Sie muss zu einem Treiber der Entwicklung werden und darf nicht zum bloßen
Kostendämpfer degenerieren. Gesundheit (zusammen mit Bildung) als Wachstumsfaktor
gehört ganz oben auf die politische Tagesordnung.
Ziel muss u. a. eine schnellere Umsetzung von der Idee zur erstattungsfähigen Leistung
sein. Dazu müssen Innovationsbarrieren erkannt und abgebaut werden, Werkstattgespräche
stattfinden und systemische Vorstellungen an die Stelle von Partialinteressen treten. „Ge-
sundheit neu denken“, eine „Kultur der Achtsamkeit im Umgang mit der Gesundheit“ und
„Gesundheitsfolgenabschätzung“ könnten neue Leitbilder werden. Auch ein Aktions- oder
Masterplan, der im Parlament oder Kabinett diskutiert werden muss, könnte wegweisend
wirken, ohne planwirtschaftliche Züge anzunehmen. Im Grunde benötigt Deutschland nur
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eine Grundsicherung für die gesamte Bevölkerung und darüber hinaus gesundheits- und
wirtschaftspolitische Freiheit im Sinne von Ludwig Erhard.
In dem Maße, wie die Methode des Satellitenkontos in andere Regionen, Branchen und
Unternehmen gebracht wird, ergeben sich neue empirische Informationen für die Gestaltung
der Wettbewerbs- und Wirtschaftspolitik. Es lassen sich dann die Treiber und die innovativ-
sten Branchen im Zeitablauf ermitteln und bewerten. Nach den bisher vorliegenden Erkennt-
nissen und Daten spielt die Gesundheitswirtschaft in diesem Vergleich eine überragende
Rolle. Ihre Bedeutung würde weiter wachsen, wenn die Finanzierung der Gesundheits-
ausgaben mehr und mehr von den Lohnkosten abgekoppelt wird.
Handlungsempfehlungen für Innovationsimpulse in der Gesundheitswirtschaft
1) Die Exportfähigkeit der Gesundheitswirtschaft lässt sich nach den Gütergruppen des
GSK ermitteln. Sie weist einen großen Exportüberschuss auf, der weiter ausgebaut wer-
den kann (siehe die Berechnungen aus dem GSK).
2) Es sollte eine weitere Stärkung der mittelständischen Unternehmen erfolgen, die eine
tragende Säule der Gesundheitswirtschaft bilden.
3) Die Gesundheitswirtschaft benötigt einen konsistenten Ordnungsrahmen, der zusam-
men mit den anderen Bundesministerien erarbeitet werden muss.
4) Eine Innovationsplattform sollte auf Bundesebene und unter Federführung des BMWi
etabliert werden, bestehend aus Wirtschaftsvertretern, den Gesundheitswissenschaften
und den Vertretern aller Bundesministerium, die sich mit gesundheitsrelevanten Politik-
bereichen befassen (Gesundheits-, Forschungs-, Finanz-, Arbeits-, Verbraucher-,
Finanz- und Familienministerium).
5) Den privaten Haushalt als Gesundheitsstandort erkennen und die dafür erforderlichen
Rahmenbedingungen verbessern.
6) Verflechtungen zwischen Kernbereich und Erweitertem Bereich der Gesundheitswirt-
schaft sowie des Nichtgesundheitsbereichs erkennen und stärken (z. B. Automobilbran-
che, Ernährungswirtschaft, Wohnungswirtschaft, Tourismus etc. als Impulsgeber und
Impulsnehmer).
7) Verbesserung der Attraktivität der Gesundheitsberufe (Reform der Ausbildung,
Verbesserung der Arbeitsbedingungen)
8) Innovative Versorgungsformen und -modelle im Gesundheits- und Pflegebereich als
Exportdienstleistung entwickeln und vermarkten (Politik- und Unternehmensberatung).
14
Konkrete Handlungsempfehlungen
1) Förderung eines innovationsfreundlichen Klimas im Sinne einer neuen experimentellen
Kultur:
- Innovationsplattform zur Verbesserung des Know-how-Transfers,
- Bildung von Innovationspartnerschaften und Unternehmensnetzwerken,
- Werkstattgespräche
2) Neue Formen der Vergütung und der Innovationsfinanzierung, z. B. Bildung eines Inno-
vationsfonds zur Finanzierung innovativer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
3) Verbesserung des Verfahrens zur Kostenerstattung bei neuen Untersuchungs- und Be-
handlungsmethoden (NUB): befristete Zulassung und Vergütung von Innovationen mit
der Verpflichtung zur Datenerhebung sowohl stationär als auch ambulant mit anschlie-
ßendem Entscheid des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Übernahme in den
Regelleistungskatalog
4) Mehr Wettbewerb unter den Leistungserbringern: selektive Verträge (Regionalisierung,
weg von bundeseinheitlichen Preisen), integrierte Versorgungsmodelle, gleiche Preise
für vergleichbare Leistungen, unabhängig wo und vom wem sie erbracht wurden (Über-
windung der sektoralen Trennung)
5) Bessere Aus- und Weiterbildung: Entwicklung neuer Curricula für medizinisch-technische
Berufe, Ingenieure, Erschließung neuer Berufsfelder auch in Branchen mit Bezug zur
Gesundheitswirtschaft, Imagekampagne und bessere Entlohnung für Berufe der Pflege
(Attraktivität erhöhen, gezielte Ansprache von Jugendlichen)
6) Reform der Pflegeausbildung (Zusammenführung der drei Pflegefachberufe zu einem
neuen Beruf mit einer Berufsbezeichnung gem. EU-Richtlinie 36/2005) sowie Verbesse-
rung der Durchlässigkeit der Bildungsangebote verschiedener Stufen)
7) Erleichterter Zugang für ausländische Fachkräfte zum deutschen Arbeitsmarkt, insbe-
sondere Pflegekräfte
8) Förderung größerer betrieblicher Einheiten im ambulanten Bereich (u. a. Medizinische
Versorgungszentren MVZ)
9) Exportinitiative: Förderung des Exports von innovativen Produkten, aber auch Know-how
zu Versorgungsmodellen
10) Neue Geschäftsmodelle und Versorgungskonzepte für veränderte Strukturen (dünner
besiedelte Regionen, Fachkräftemangel, Einsatz moderner Technik wie altersgerechte
Assistenzsysteme zur Unterstützung der älteren Bevölkerung, zur Entlastung des
Gesundheitspersonals und als Lösung für Fragen der Logistik)
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