Jürgen Sauer (1931–2011)

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J�rgen Sauer (1931–2011)

Wissenschaftlich identifiziert man J�rgen Sauer,den erstberufenen Chemieprofessor an der neuenUniversit�t Regensburg, mit bedeutsamen Er-kenntnissen zur Diels-Alder-Reaktion und Aus-fl�gen in das Reich kurzlebiger Zwischenstufen.

J�rgen Sauer wurde am 11. Juni 1931 in Halle(Saale) als Sohn des Volkswirts Dr. Hans Sauer undseiner Frau Thea geboren. Die Erblindung derMutter erzog die Kinder zur fr�hen �bernahmevon Verantwortung. Die Abiturnote 1.0 (1950)verschaffte J�rgen Sauer ein Stipendium derBayerischen Begabtenfçrderung und ermçglichteihm ein Chemiestudium an der Ludwig-Maximili-ans-Universit�t M�nchen.

Die Doktorarbeit, im Laboratorium des Refe-renten ausgef�hrt, behandelte „Nucleophile Sub-stitutionen �ber Arine“; die Erkenntnis, dass dieFreisetzung der Arine (Dehydroaromaten) ausArHal mit Lithiumpiperidid rascher erfolgt als mitdem basischeren Phenyllithium,[1] wird noch heutegenutzt. In einem Postdoktorat beteiligte er sich ander Totalsynthese des Chlorophylls bei dem schondamals legend�ren Robert B. Woodward an derHarvard University; mit der Verwendung einerThioaldehydgruppe gelang ihm eine wichtige Stufe.

Zur�ck in M�nchen, w�hlte Sauer „Kinetik undMechanismus der Diels-Alder-Reaktion“ f�r seineHabilitationsarbeit. Maleinanhydrid diente demVergleich der Geschwindigkeitskonstanten von 1,3-Dienen, w�hrend die Reaktivit�t der Dienophilegegen�ber Cyclopentadien und 9,10-Dimethyl-anthracen gemessen wurde.[2] Tetracyanethylen(TCNE) und 1,2,4-Triazolin-3,5-dione �berragenMaleinanhydrid um viele Zehnerpotenzen.

Im Jahr 1968 wurde Sauer an die neue Univer-sit�t Regensburg berufen und zum Dekan der Na-turwissenschaftlichen Fakult�t (1968–1970) er-nannt. Mit der Berufung weiterer Fachvertreterverteilte sich die Last der Bau- und Unterrichts-planung auf mehrere Schultern. Die ersten Che-miestudenten wurden 1972 in einem Verf�gungs-geb�ude unterrichtet, und 1975 zog man in denNeubau ein. Der zweite Organiker (1971), Gott-fried M�rkl, brachte Erfahrungen aus W�rzburgmit. Das „Integrierte Organische Praktikum“, vonS. H�nig, G. M�rkl und J. Sauer verfasst, erschien1979 als Buch.

Umsetzungen elektronenreicher 1,3-Diene mitelektronenarmen Dienophilen entsprechen der„Alder-Regel“. Sauer entwickelte 1962 das Ge-genst�ck, die „Diels-Alder-Reaktion mit inversemElektronenbedarf“, d.h. die Bildung sechsgliedri-ger Ringe aus elektronenarmen 1,3-Dienen mitelektronenreichen Dienophilen.[3] Nun diente1,2,4,5-Tetrazin-3,6-dicarbonester als Standard-Dien, und f�r die Aktivit�t der Dienophile gilt:

Enamine> Vinylether> Ethylen> Styrol>Acrylester. F�r die Umsetzung des Cyclopentadi-ens mit Maleins�uredimethylester wurde eine Ste-reospezifit�t von > 99.98% beobachtet, ein Krite-rium f�r konzertierte Cycloadditionen. Die MO-stçrungstheoretische Behandlung der Diels-Alder-Reaktivit�t lehrte, dass der einstufige konzertierteMechanismus auch dem sehr großen Substituenten-Einfluss Rechnung zu tragen vermag (mit R. Sust-mann[4]).

Kurzlebige Zwischenstufen waren bevorzugteForschungskonzepte der Nachkriegszeit. Sauersinteressanter Beitrag galt dem Auftreten des Ben-zoylnitrens, Ph-C(O)-N, bei der Photolyse desBenzazids und bei zwei neuen thermischen Reak-tionen. Die Freisetzung in 2-Methylbutan f�hrtezur Insertion des Nitrens in die C-H-Bindung mitder Reaktivit�tsreihenfolge tert-C-H > sec-C-H>prim-C-H; die Produktverh�ltnisse waren unab-h�ngig von der Natur des Nitren-Generators, wasdas Vorliegen einer gemeinsamen Zwischenstufesichert.[5] Die Oxidation von N-Aminoheterocyclenerbrachte Aminonitrene (RR’N-N), welche mitStyrol als (1þ2)-Cycloaddukte abgefangenwurden.[6]

Umsetzungen substituierter 1,2,4,5-Tetrazinemit Cyclopropenen ergaben unter N2-Abgabe 3,4-Diazanorcaradiene, die beim Erw�rmen mit 3,4-Diazacycloheptatrienen �quilibrieren. Mit diesemSyntheseprinzip waren Homotropilidene, Semi-bullvalene, und andere „fluktuierende“ Strukturenzug�nglich. Mit der noch jungen 1H-NMR-spek-troskopischen Analyse erfasste man die valenz-tautomeren Gleichgewichte. Auch Azomethinylidewurden auf dieser ertragreichen „Spielwiese“ be-reitet und Cycloadditionen unterzogen.

Schon in den fr�hen Assistentenjahren enga-gierte sich J�rgen Sauer mit Begeisterung und di-daktischem Geschick im Unterricht. Seine Aus-strahlung als akademischer Lehrer und Forscherf�hrte ihm viele Mitarbeiter zu. Er leitete 105Doktorarbeiten an, und die reiche wissenschaftli-che Ernte erbrachte 204 Publikationen. Einladun-gen zu Gastprofessuren an den Universit�ten vonNew Mexico (Las Cruces, 1976), Kalifornien (SantaCruz, 1982) und Colorado (Boulder, 1986) zeugenvon seiner Wertsch�tzung. Als Sauer eine grçßereErbschaft antrat, gr�ndete er darauf im Jahr 2000eine Stiftung, aus deren Ertr�gen sehr gute Ex-amensleistungen in der Regensburger Chemieausgezeichnet wurden und werden.

W�hrend vieler Jahre war Sauer Mitherausge-ber der Chemischen Berichte und des Cheminform ;zehn Jahre lang war er als DFG-Gutachter t�tig.Seine Bibliographie weist zahlreiche Beitr�ge zuUnterrichtsfragen auf.

Die gemeinsame Institutsarbeit des Referentenmit J�rgen Sauer war mit wechselseitiger Wert-sch�tzung verbunden, die sich zu dauerhafter

J�rgen Sauer

AngewandteChemieNachruf

9707Angew. Chem. 2011, 123, 9707 – 9708 � 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Freundschaft entwickelte. J. Sauer war seit 1958 mitThea, geb. Niklas, verheiratet, die ihn schon beimersten USA-Aufenthalt begleitete. Aus der gl�ck-lichen Ehe gingen die Kinder Maria, Georg undMonika hervor. Die Familie Sauer lebte in Sinzing,nahe Regensburg. In die freundschaftlichen Bandewurden auch die Familien einbezogen. Mit demTod von Thea Sauer und Trudl Huisgen brachte dasJahr 2005 schwere Schicksalsschl�ge f�r uns beide.

Sauer wurde 1999 emeritiert. Seine letzte Reisevon Sinzing nach M�nchen gab es 2007, als dieFakult�t f�r Chemie der LMU Sauers Doktor-diplom nach 50 Jahren erfolgreichen Wirkens er-neuerte; der ehemalige Doktorvater trug die Lau-datio vor.

Das letzte Jahr war f�r J�rgen Sauer vonKrankheit �berschattet. Seine Selbstdisziplinverbot dem Tiefgl�ubigen zu klagen; am 10. M�rz2011 verstarb er im achtzigsten Lebensjahr. Esbleibt die Erinnerung an einen Menschen, der

seinen Auftrag, zu lehren und zu forschen, ernstnahm und sein Leben beispielhaft gestaltete.

Rolf HuisgenLudwig-Maximilians-Universit�t M�nchen

[1] �bersicht: R. Huisgen, J. Sauer, Angew. Chem. 1960,72, 91.

[2] J. Sauer, H. Wiest, D. Lang, Z. Naturforsch. B 1962, 17,203, 206; J. Sauer, H. Wiest, A. Mielert, Chem. Ber.1964, 97, 3183.

[3] �bersichtsartikel: J. Sauer, Angew. Chem. 1967, 79,76; Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 1967, 6, 16.

[4] J. Sauer, R. Sustmann, Angew. Chem. 1980, 92, 773;Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 1980, 19, 779.

[5] E. Eibler, J. Sauer, Tetrahedron Lett. 1974, 15, 2565; E.Eibler, J. Sauer, Tetrahedron Lett. 1974, 15, 2569.

[6] K. K. Mayer, F. Schrçppel, J. Sauer, Tetrahedron Lett.1972, 13, 2899.

DOI: 10.1002/ange.201104885

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9708 www.angewandte.de � 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2011, 123, 9707 – 9708

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