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Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

18.12.2015

neuropsychodynamische

Psychiatrie? Geschichte(n)

eines Psychiaters

Prof. Dr. med. Heinz Böker

Zentrum für Depressionen, Angsterkrankungen und Psychotherapie

Abschiedssymposium

Depressionen – Herausforderungen in

Klinik und Forschung

Psychiatrisches Kolloquium

Herbstsemester 2015

Adoleszentenpsychiatrie

PUK Zürich, 18.12.2015

Seite Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Zentrum für Depressionen,

Angsterkrankungen und Psychotherapie

18.12.2015

1. Biographischer Kontext

2. Politischer und gesellschaftlicher Kontext

3. Im Kontext des Unbewussten und der Psychosomatik

4. Frühe Erfahrungen mit der Psychiatrie

5. Im Kontext der psychodynamischen Psychiatrie

6. Im Kontext der Wissenschaft: Das Selbst im Fokus von

Psychoanalyse und Neurowissenschaften

7. Im Kontext der neuropsychodynamischen Psychiatrie

8. Ausblick

Warum neuropsychodynamische Psychiatrie?

Geschichte(n) eines Psychiaters

18.12.2015 3

Biographischer Kontext

18.12.2015 4

18.12.2015 5

Verdun: Die «Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts»

«Wir wissen heute noch nicht, wofür wir

kämpfen»

Walter Rathenau, deutscher Industrieller und

Politiker (1917)

«Wenn es überhaupt eine angemessene

Reaktion auf diese Katastrophe gab, dann

bestand sie im Dadaismus»

Jakob Tanner, Professor für Geschichte der

Neuzeit, Universität Zürich (2014) Kampf um den Festungsring von Verdun

Nach der grossen Flandernschlacht, 1917

(Aufnahme des australischen Fotografen Captain

Frank Hurley)

18.12.2015 6

Otto Dix: «Flandern» (1934)

18.12.2015 7

Die Stadt Hannover vor dem Zweiten Weltkrieg

Die zerstörte Innenstadt von Hannover, 1945

18.12.2015 8

Politischer und

gesellschaftlicher Kontext

18.12.2015 9

Die Novemberprogrome, 09. – 10.11.1938

(«Reichskristallnacht»)

18.12.2015 10

Adolf Eichmann-Prozess (11.04. – 15.12.1961)

18.12.2015 11

Ausschwitz-Prozess,

Frankfurt am Main, 1963

18.12.2015 12

Fritz Bauer,

Generalstaatsanwalt in den

Frankfurter Ausschwitz-

Prozessen, 1963

18.12.2015 13

18.12.2015 14

Der Spiegel Nr. 49/1966

18.12.2015 15

Mord an Benno Ohnesorg, Berlin, 02.06.1967

18.12.2015 16

Der Vietnamkrieg

(1955 – 1975)

18.12.2015 17

Georgios Papadopoulos war einer der Führer des Militärputsches vom 21. April 1967

Studentenproteste vor dem Polytechnikum in Athen 1973

18.12.2015 18

Schöne Anarchie:

Blockierte Strassenbahn in

Hannover (Der Spiegel, 23.06.1969)

18.12.2015 19

Dr. Hagemann

18.12.2015 20

18.12.2015 21

Im Kontext des

Unbewussten und der

Psychosomatik

18.12.2015 22

Anleitung Grundwehrdienst

18.12.2015 23

Alexander Mitscherlich

• Studien zur

Psychosomatischen

Medizin

• Krankheit als Konflikt

18.12.2015 24

18.12.2015 25

Zur ehrenden Erinnerung an

Una & Rudolf Kiefert

Sie bewahrten unter Lebensgefahr im April

1945 einen KZ-Flüchtling vor der Verhaftung

Auf dem Gelände der

Psychiatrischen Klinik

Langenhagen / Hannover

18.12.2015 26

Psychiatrie Langenhagen

18.12.2015 27

Hauptgebäude der Albert-Ludwig-Universität, Freiburg im Breisgau

18.12.2015 28

Erika Krecji

18.12.2015 29

Die Freiburger Bächle

18.12.2015 30

Frühe Erfahrungen mit der

Psychiatrie

18.12.2015 31

Laienhilfe-Gruppen in psychiatrischen Kliniken

18.12.2015 32

Horst-Eberhard Richter

18.12.2015 33

Die Psychiatrie-Enquete

(1975)

Letzte Sitzung der Enquete-Kommission in Bonn

Prof. Dr. Caspar Kulenkampff,

Vorsitzender der Enquete-

Kommission

18.12.2015 34

Vor der Psychiatrie-

Enquete

Krankensaal in

psychiatrischer Klinik im

Jahre 1970

18.12.2015 35

Die Prinzipien der zukünftigen

Entwicklung der Psychiatrie

1. Das Prinzip der gemeindenahen Versorgung

2. Das Prinzip der bedarfsgerechten und

umfassenden Versorgung aller psychisch

Kranken und Behinderten

3. Das Prinzip der bedarfsgerechten Koordination

aller Versorgungsdienste

4. Das Prinzip der Gleichstellung psychisch

Kranker mit körperlich Kranken

18.12.2015 36

Die Psychiatrie-Enquete 1975 - 2015

Heinz Häfner

«Das Elend ist vorbei»

… aber es bleibt vieles zu tun,

um das zu bewahren und weiter

zu entwickeln, was wir

inzwischen erreicht haben!

18.12.2015 37

Im Kontext der

psychodynamischen

Psychiatrie

18.12.2015 38

18.12.2015 39

Psychiatrische Universitätsklinik Giessen

18.12.2015 40

18.12.2015 41

Odo Marquard

18.12.2015 42

Walter Ritter von

Baeyer

18.12.2015 43

18.12.2015 44

Stavros Mentzos (1930 – 2015)

18.12.2015 45

Psychosomatisches Denken - Wechselwirkungszusammenhänge -

- Zirkularität -

Prozess-Spirale der Neuropsychodynamik

18.12.2015 46

Stavros Mentzos

Lehrbuch der Psychodynamik: Die Funktion der

Dysfunktionalität

18.12.2015 47

Dreidimensionales Modell psychischer Störungen (Mentzos 1988, 2009)

C. Reifegrad der

psychischen

Struktur, aber

insbesondere auch

der Beziehungen

zum Objekt und

zum Ich

B. Art des (frühen)

Dilemmas oder des

späteren Konflikts

inklusive der

jeweils involvierten

Traumata

A. Art und Reifegrad des Modus

der Abwehr und Kompensation des

Konflikts und/oder des Traumas

und/oder der Deprivation bzw. des

Mangels

Northoff und Böker,

18.12.2015 48

Stavros Mentzos

Interpersonale und institutionalisierte Abwehr

18.12.2015 49

Psychiatrische Klinik

Lalipur / Kathmandu

18.12.2015 50

Kalinchok / Nepal

18.12.2015 51

Der Fall der Berliner Mauer

(09.11.1989)

18.12.2015 52

Otto Kernberg Peter Fonagy

Jim McCullough Martin Hautzinger

18.12.2015 53

Im Kontext der

Wissenschaft

18.12.2015 54

Eugen Bleuler (1857 – 1939)

18.12.2015

Soziale Wahrnehmung I

- Objektnähe / Objektferne -

KG D-Ges DU BIP UM DY SAP

Nähe Ferne

KG: Kontrollgruppe

D-Ges: Depression

gesamt

DU: Unipolare

Depression

BIP: Bipolare

affektive Störung

UM: Unipolare Manie

DY: Dysthymie

SAP: Schizoaffektive

Psychose

Prozentuale Verteilung der Stichproben auf „Nähe“ und „Ferne“

(Depressive in Remission und Kontrollgruppe im Vergleich)

Böker et al. PPmP Psychother. Psychosom. med. Psychol. (1997, 2000)

Böker et al. Journal of Affective Disorders (2000)

18.12.2015

Soziale Wahrnehmung II

- Idealisierung -

KG D-Ges DU BIP UM DY SAP

Idealisierung keine Idealisierung

KG: Kontrollgruppe

D-Ges: Depression

gesamt

DU: Unipolare

Depression

BIP: Bipolare

affektive Störung

UM: Unipolare Manie

DY: Dysthymie

SAP: Schizoaffektive

Psychose

Prozentuale Verteilung der Stichproben auf „Idealisierung“ und „keine

Idealisierung“ (Depressive in Remission und Kontrollgruppe

im Vergleich)

Böker et al., Journal of Affective Disorders (2000)

18.12.2015

Objektnähe und Idealisierung

(Depressive in Remission und

Kontrollgruppe im Vergleich)

• „Nähe“ und „Idealisierung“ sind typische, jedoch nicht spezifische

Merkmale der sozialen Wahrnehmung depressiv Erkrankter

• Bedeutung der Partnerinnen und Partner für die Selbstidentität der

Depressiven

• Bedeutung der interpersonalen Dimension der Depression

• Einzelfallorientierte Forschung trägt zu einer

„Typendifferenzierung“ des Spektrums depressiver Erkrankungen

bei (Problem der fehlenden Homogenität der Stichproben in der

neurobiologischen Forschung!)

18.12.2015

Sind Depressionen

psychosomatische

Erkrankungen?

E. Jacobson (1971):

• „Multifaktorieller psychosomatischer Ansatz“

S. Mentzos (1995):

• Psychosomatosen der Antriebs-Stimmungs-Systeme

H. Böker (2002, 2011, 2015):

• Depressionen als Psychosomatosen der Emotionsregulation

18.12.2015

Depression als Psychosomatose der

Emotionsregulation

Vulnerabilität

gemischte biologische und

psychosoziale

Depressiver Affekt

signalisiert drohenden oder

eingetretenen intrapsychischen

Stillstand

(„Deadlock“ , Gut 1989)

Lebensereignisse Persönlichkeit

Depressives

Syndrom

Produktive

Änderung

Psychobiologische Stressreaktion

Dysbalance zwischen Stressachse,

serotonergem System und

Wachstumsfaktor

Präfrontale kortikale Dysfunktion

Negative affektive Tendenz

Stimmungsabhängige Erinnerung

Aktivierung des autonomen

Nervensystems

18.12.2015

Emotionales Erleben: Korrelation

mit Handlung/IGT

Zusammenhang zwischen emotionalem

Erleben, VMPFC, und

Handlungsentscheidungen

Northoff und Böker 2003

Böker und Northoff 2005

Northoff et al. 2005

Je mehr Aktivität im VMPFC, umso

günstiger war das

Entscheidungsverhalten

→ Gesunde: Langfristig

erfolgreichere Niedrigrisiko-Karten

→ Ehemals Stuporöse: Keine

Handlungsänderung trotz negativer

Konsequenzen

18.12.2015

VMPFC: Depressive >

Gesunde

Hyperaktivität im VMPFC =

Abnormes Negatives Erleben

DLPFC: Gesunde > Depressive

Hypoaktivität im DLPFC = Abnorme

Negative Beurteilung

Hirnaktivierung während “Erleben”

und “Beurteilung”

Depressive und Gesunde im Vergleich

Grimm et al. 2006, Neuroimage; Grimm et al. 2008, Biological Psychiatry;

Grimm et al. 2009, Neuropsychopharmacology; Grimm et al. 2009, Human Brain Mapping

18.12.2015 62

Im Kontext der

neuropsychodynamischen

Psychiatrie

18.12.2015

Linker DLPFC

Hypofunktion:

Negative

Kognitionen

Hyperaktivität:

Negative emotionale

Wahrnehmung

Rechter DLPFC

Hyperfunktion:

Aufmerksamkeit/Erwartung

negativer Emotionen

Schwere der Depression

(BDI, HAMD) korreliert mit

Aktivierung in der rechten

Amygdala und im VMPFC

Northoff et al. 2004

Böker, Northoff 2005, 2010

Northoff, Böker 2007

Böker, Northoff 2015

Psychiatry Research, 141(1):1-13, 2006

Depression: Abnorme reziproke Modulation

zwischen VMPFC/ACC und linkem und rechten

18.12.2015

Reduzierte Stimulus-Ruhe-Interaktion, verringerter

Umwelt-Fokus und erhöhter Selbst-Fokus

Erhöhte Ruhe-Zustands-Aktivität in anterioren kortikalen Mittellinien-Regionen

Reduzierte Verbindung

zwischen exterozeptiven und

interozeptiven/neuronalen

Stimuli: Sensorische Areale

Reduzierte Zielorientierung

und kognitive Elaboration:

Medialer und lateraler

präfrontaler Kortex

Verlust der Objektbeziehungen und verringerter Umwelt-Fokus:

Reduzierte Selbstobjekte exterozeptiven Ursprungs

Reduzierte Stimulus-Ruhe-Interaktion des aktuellen Objektes

Reduzierte Zuordnung des

Wert- und Belohnungssystems

an exterozeptive Stimuli:

Belohnungs-Regionen

Erhöhter Körper-Fokus mit vermehrten

Selbstobjekten interozeptiven Ursprungs:

Somatisch-vegetative Symptome

Erhöhter kognitiver Fokus mit

vermehrten Selbstobjekten kognitiven

Ursprungs: Erhöhter Selbst-Fokus

Böker und Northoff 2010

18.12.2015

Ein neuropsychodynamisches

Modell der Störung des emotionalen

Selbstbezuges Depressiver

Northoff, Böker (2002) Neuro-Psychoanalysis

Böker, Northoff (2005) Psyche

Northoff, Böker (2007) Psychother Psychosom

Böker, Northoff (2010) Psyche

Böker, Hartwich, Northoff (2015) Neuropsychodynamische Psychiatrie

ACHTUNG: BAUSTELLE! 65

18.12.2015 66

Dreidimensionale Diagnostik psychischer Störungen im

neuropsychodynamischen Kontext

Northoff und Böker,

C. Intrinsische

Aktivität mit ihrer

räumlich-zeitlichen

Struktur inkl. ihrer

Balance zwischen

Selbst- und

Objektspezifität

B. Balance zwischen

extrinsischen Stimuli

und intrinsischen

Aktivitäten und ihrer

räumlich-zeitlichen

Struktur

A. Neuronale Prozessierung in

Netzwerken und Regionen

und ihre Beziehung zueinander

18.12.2015

Wesentliche Elemente der Psychodynamischen Psychiatrie

• Die Bedeutung der subjektiven Erfahrung

• Die Bedeutung des Unbewussten

• Die Bedeutung des psychischen Determinismus: Verhaltensweisen

und Symptome werden sowohl durch bestimmte intrapsychische

Konstellationen ausgelöst, als auch durch eine Vielzahl anderer

ätiologischer Faktoren

• Die Bedeutung der Biographie: Temperament und Persönlichkeit,

Epigenetik

• Die Bedeutung der Übertragung

• Die Bedeutung der Gegenübertragung

• Die Bedeutung des Widerstands

18.12.2015

• Gabbard (2005): «Die Domäne des Geistes und die

Domäne des Gehirns sprechen verschiedene Sprachen.

Der moderne dynamische Psychiater sollte zweisprachig

sein – er muss sowohl die Sprache des Gehirns als auch

die Sprache des Geistes beherrschen, um dem Patienten

eine optimale Behandlung zukommen zu lassen»

18.12.2015

Was ist neuropsychodynamische Psychiatrie?

Definition

• Neuropsychodynamische Psychiatrie ist ein diagnostischer und

therapeutischer Ansatz und ein wissenschaftliches Modell, das im

Hinblick auf die Erklärung, das Verstehen, die Erforschung, die

Diagnostik und Behandlung psychopathologischer Phänomene

unbewusste Konflikte und Dilemmata und Verzerrungen der

intrapsychischen Strukturen und der verinnerlichten

Objektbeziehungen umfasst, auf die Funktionalität und

Dysfunktionalität psychischer und neuraler Mechanismen fokussiert

und diese Elemente im Zusammenhang mit den neuesten

Erkenntnissen der Neurowissenschaften integriert.

18.12.2015 70

Festgefahrensein in der Depression als Depressionsmodell

(«stuck in a rut», Holtzheimer und Mayberg, 2011)

18.12.2015 71

Ausblick

18.12.2015 72

18.12.2015 73

18.12.2015 74

18.12.2015 75

18.12.2015 76

18.12.2015 77

18.12.2015 78

Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik ... H_ Böker 18_12_2015.pdf · 35...

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