Können durch Übergabekonzepte Fehler reduziert werden? · Persönlich erscheint mir das SBAR-...

Preview:

Citation preview

Können durch Übergabekonzepte

Fehler reduziert werden?

Intensivfachpflege Symposium Saarbrücken 17.11.2017

Vorstellung

Markus Assenheimer, Diakonie- Klinikum Schwäbisch Hall

Fachkrankenpfleger für

Intensivpflege und Anästhesie

Physiotherapeut

B.A. Angewandte

Pflegewissenschaften

Praxisanleiter

Intensiv- und

Überwachungsstation H1.2

mit 29 Betten

Intermediate Care und High

Care / Dialyse

Neubau: 35 Intensivbetten

Motivation zur Themenwahl

Neubau mit

Personaleinsparungen

Sinkende

Fachkraftquoten

Zunehmender Einsatz

von Frischexaminierten

direkt auf die

Intensivstation

Kürzere Liegedauer

Informationsdefizite

bei Übergaben

Übergabe und neue Mitarbeiter

Verjüngung der Mitarbeiterschaft:

Jahr Mitarbeiter der H1.2 davon aus Generation Y Prozent

2012 58 17 29,30%

2013 65 18 27,70%

2014 67 21 31,30%

2015 69 21 30,49%

2016 70 24 34,30%

Quelle: aus PEP- Dienstplanprogramm /Diakonie- Klinikum Schwäbisch Hall

Übergaben bei sinkender Fachkraftquote

2011 2012 2013 2014 2015 2016

Gesamt 58 58 65 67 69 70

Fachkräfte 40 40 41 41 41 41

Prozent 69 69 63 61 59 58

Quelle: Diakonie- Klinikum- Schwäbisch Hall

Übergabe auf der Intensivstation

Kurzübergabe von ca. 8 Minuten

Bettübergabe von ca. 7-10 min. pro Patientenplatz auf der Highcare-Station und 2-3 min. auf der Intermediate Care

Keine Übergabestrukturen vorgegeben

Teilweise ausschmückend und zu lange, Ablesen von der Kurve, Wiederholungen…

Teilweise sachlich und präzise

Nicht Schwerpunkt in der Krankenpflegeausbildung:

nur 8 % der medizinischen Schulen unterrichten, wie man Patienten

nach einem formalen Konzept übergibt

Untersuchung an 125 US-amerikanischen medizinischen Hochschulen

Darell (2005)

Wie lange dauert eine Übergabe?

Bislang kein Zusammenhang zwischen Patientenanzahl, Pflegebedürftigkeit und der Dauer der Übergabe

Übergaben dauern im Allgemeinen immer gleich lang

(Walter 1997)

Die „verbliebene Zeit“ wird allenfalls mit Problemen gefüllt, die ohnehin nicht für die Patienten, sondern nur für die Pflegenden existieren(Spiller 2000)

…und die Lösung dieser Probleme kommt den Patienten auch nicht zugute(Mason 2000)

Übergaben haben einen enormen Zeitbedarf

Mittagsübergabe: 52% Weitergabe an Informationen

Frühübergabe: 23%

Spätübergabe: 25%

2400 Stunden pro Jahr auf einer 30-Betten- Station

Entspricht 1,5 Vollzeitstellen

Kosten von 61500 Euro/ Jahr

In einer mittelgroßen Klinik mit 12 Stationen gehen demnach 18 Vollzeitstellenmitarbeiter durch die Übergabezeit verloren

Lauterbach (2008)

Definition von Übergabe

Übergaben „dienen der gegenseitigen Kommunikation

und Information innerhalb der Pflege- und

Behandlungsgruppe und sind ein wichtiger Teil der Pflege

(Juchli 1983)

Die Dienstübergabe ist ein Informationsinstrument

für die Arbeitsschichten mit dem Zweck, den kontinuierlichen

Arbeitsablauf zu gewährleisten“

(Lingenberg/Reimann, 1991)

„(Die) Qualität der Dienstübergabe gibt Auskunft über die

Pflegequalität eines Krankenhauses und einer Station und

über die Qualität der Organisation des Pflegedienstes“

(Lingenberg/Reimann, 1997,

Übergabe- Entwicklungen

Die „stumme Übergabe“

Arbeitsbeginn direkt am Patienten

Informationsabholung aus der Pflegedokumentation, Patienenakte oder –kurve

Einzelne Ergänzungen der Vorgängerschicht während dem Lagern oder Mobilisieren

Organisatorische Informationen im Aushang oder dem Stationshandbuch, wo sie als gelesen abgezeichnet werden

kein Teamgefühl

Funktion der Übergabe

Soziale Funktion

Lehrende Funktion

Belastungen thematisieren

Diskussion von Therapieregimen

Erwartung von emotionaler Unterstützung

Aufbau eines Gruppengefühls

Supervision

Kommunikation

National- und Berufskulturen prägen die Kommunikationsstrukturen

Pflegende bevorzugen Informationen von Patienten in Form von Geschichten, Ärzte in Form von Zahlen, Daten und Fakten

Pflegende über Ärzte: „die interessieren sich nicht für den Patienten“

Ärzte über Pflegekräfte: „die kommen nicht zum Ende bei ihrer Übergabe“

Kommunikation

Die Qualität der Kommunikation wird bei der

Kommunikation zwischen Ärzten in der Anästhesie und in

der Chirurgie in 50% der Fälle mit „schlecht“ und „sehr

schlecht“ eingestuft

deutliche Kommunikationsdefizite

Studie von Sexton, Thomas und Helmreich (2000)

94% der Piloten sprachen sich für flache Hierarchien aus, aber nur

55% der Chirurgen

Der Trans-Cockpit- Gradient

Einstellung des optimalen Hierachiegefälles zwischen

Kapitän (Cpt.) und erstem Offizier (F/O)

Jedes Teammitglied sollte zu einem optimalen

Gradienten beitragen

Aktivierende Rolle des Kapitäns

Ermutigung zu Kritik

Schaffung einer kooperativen Atmosphäre

Kommunikation in hierarchischen Teams

In der Akutmedizin sind Teams hierarchisch aufgebaut

Informationen fließen nicht ungehindert

Mitarbeiter äußern nicht alle Bedenken hinsichtlich der Patientensicherheit

Inhalt eines Arguments wird oft von der Berufsgruppe oder der Stellung in der Krankenhaushierachie abhängig gemacht

Führungsperson wird als negativ, unnahbar, streng oder arrogant erlebt

Das Shannon- Weaver- Modell

Abbildung aus St. Pierre (2014), Human Factors und Patientensicherheit in der Akutmedizin

Dekodierung von Nachrichten

Nur wenn Sender und Empfänger

dieselbe Sprache sprechen, kommt

die Nachricht auch exakt so an,

wie sie gesendet wurde

Auch jede Patientenübergabe

Verschlüsselt senderseitig die

Botschaften und nicht jeder

unerfahrene Mitarbeiter hat alle

Codes zur Entschlüsselung zur Hand.

CIRS- Fall des Monats April 2017

CIRS- Fall des Monats April 2017

Unzureichende Kenntnisse bzw. Hintergrundinformationen zum Geschehen der beteiligten Personen, um den Unterschied von „Suggi” und „Succi” zu erkennen

Oberärztin sagt zur Pflegekraft:

„Schwester …., bitte ziehen Sie 100 mg Sugammadex auf.”

Pflegekraft wiederholt die Anordnung:

„OK, ich gehe Sugammadex holen und ziehe 100 mg auf.”

(= Readback)

Oberärztin bestätigt:

„Korrekt, ich benötige 100 mg Sugammadex.” (= Hearback)

Übergabefehler im Team Krankenhaus

Die meisten Unternehmen stellen Teams aus festen

Mitarbeitern zusammen- stabile Teams

Im Krankenhaus werden die Teams durch

Schichtbesetzungen und Nachtdienste immer wieder neu

zusammengesetzt –

„ad hoc- Teams“ / flexible Teams

Wahrnehmung bei der Übergabe

Man spricht von unterschiedlichen

Wahrnehmungstypen:

Visuell (sehender)

Auditiv (hörender)

Kinästhetisch (spürender)

Olfaktorisch (riechender)

Dies kommt auch bei Patientenübergaben

Zum Tragen, bei dem der Erzähler nie genau

Wissen kann, auf welchem Kanal sein Gegenüber

am Besten wahrnehmen und verstehen kann.

Überkonzepte –

ÜbergabestrukturenBoxenstopp-

Modell

Das SBAR- Konzept

1. Situation

2. Background (deutsch: Hintergrund)

3. Assessment (deutsch : Bewertung)

4. Recommendation.(deutsch: Empfehlung).

als standardisiertes Kommunikationswerkzeug ursprünglich von der US-Navy eingesetzt

von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) für die strukturierte Patientenübergabe in der perioperativen Phase empfohlen.

Tatsächlich konnte es in mehreren Studien eine signifikante Reduzierung unerwarteter Todesfälle zeigen.

Auch die Patientensicherheit konnte wesentlich verbessert werden

Vgl. De Meester (2013), S. 1192-1196

Das ISOBAR- Konzept

Der Western Australian Country Health Service, der für über 2,53

Millionen Quadratkilometer für eine weitverstreute Bevölkerung von

454000 Menschen zuständig ist, verzeichnete in einer Analyse bei

bis zu 70 % der Beinahe- Fehler eine mangelnde Kommunikation als

ursächlich

Auch im interklinischen Hospitalverkehr bei der Verlegung von

aufwändigen Intensivpatienten wird das ISOBAR- Schema

erfolgreich eingesetzt

ISOBAR- Konzept

I Identify Sich vorstellen und den Patient identifizieren sowie bei Übergaben das übergebende Team

S Situation Problem benennen bzw. unmittelbare medizinische Situation

O Observations Vitalparameter erkennen und klinische Übernahme, was kann beobachtet werden

B Background Patientenrelevante Informationen erheben, Anamnese, Hintergrund, Zusatzinformationen

A Agreed Plan Was muss passieren? Vorgesehene weitere Aktionen und Aktivitäten

R Read Back Check und versichern zum Verständnis: wer ist wofür und wann verantwortlich? Hier wird die

Möglichkeit gegeben, Informationsdefizite und Verständnisprobleme zu klären.

Hand me an ISOBAR

Betont die Wichtigkeit des ISOBAR- Konzeptes für die stattfindende Übergabe nochmals deutlich

Abholung des Klinikers

direkt an seiner viel-

beschäftigten Arbeitsstelle

Alle an der Übergabe

sinnvollerweise Beteiligten

sind anwesend

Ein Verantwortlicher wird

benannt

der notwendige örtliche und

zeitliche Rahmen wird gegeben

Das IPASS- Bundle

I = Illness severity: Information zur Erkrankung des Patienten

P = Patient summary: Patientenhistorie

A = Action list: to do- Liste für diesen Patienten

S = Situation awareness and contingency plans: Fallstricke, die zu beachten sind

S = Synthesis by receiver: Synthese durch den Empfänger (Zusammenfassung)

Ergebnisse nach Einführung des IPASS- Konzeptes

Als Ergebnis konnte die Inzidenz von Medikationsfehlern um 23 Prozent

gesenkt werden, die Häufigkeit vermeidbarer Ereignisse sogar um 30

Prozent.

Auch die Inzidenz von Beinahefehlern sowie Medikationsfehlern ohne

negative Konsequenz für den Patienten sank durch die

Schulungsmaßnahmen um 21 Prozent.

Im Allgemeinen zeigte die Einführung des IPASS- Bundles eine verbesserte

Struktur, einen geringeren Informationsverlust und einen nahezu

unveränderten Zeitaufwand:

Die Übergabezeit pro Patient stieg von 2,4 auf 2,5 Minuten.

Im Team stieg die Zufriedenheit mit Struktur und Ablauf der

Übergabe von 27,8 Prozent auf 72,3 Prozent.

Das BAUM- Schema

B Bestand: Patientenname, Alter, Leitsymptome,

Schmerzen

A Anamnese: Vorgeschichte, Unfallhergang,

Vorerkrankungen und Vor-OP`s, Nikotin- oder

Alkoholabusus, Medikamente

U Untersuchung: Bewusstsein, Atmung, Circulation, Body-

Check, DMS, EKG, BZ, Sauerstoffsättigung

M Maßnahmen: Zugang, Medikamente, Sauerstoffgabe,

Lagerung, Immobilisation

Ergebnisse beim Einsatz des BAUM- Schemas

In die Studie eingeschlossen waren 40 Rettungsassistenten vor und nach der Schulung.

Die Untersuchung konnte erhebliche Defizite in der Kommunikation zwischen Rettungsassistenten und der Weitergabe von Informationen an den Notarzt aufdecken.

Auffallend war, dass vor der Schulung 78 NKE (negative Kommunikationsereignisse) auftraten und nach der Strukturierung der Übergabe nur noch 36 NKE

Der Anteil der richtig weitergebenen Informationen stieg von 40,2% auf 46,1% an.

Die Studie ergab, dass das BAUM- Schema eine geeignete Gliederung zur Wiedergabe von Maßnahmen und Informationen bot.

Die WHO- OP- Checkliste

Im Rahmen der Inititiative „Safe Surgery saves Lifes“ wurde für die Patientenübergabe und die Kontrolle vor der Narkoseeinleitung, vor der Operation und nach dem Eingriff die WHO- Sicherheits- Checkliste Chirurgie entwickelt

Der initiale Check vor der Narkoseeinleitung beinhaltet die Patientenidentität, die Zustimmung des Patienten, die vorhandene Anästhesieaufklärung, den markierten Eingriffsort und auch die Frage nach Allergien, Intubationsschwierigkeiten sowie Aspirations- und Blutungsrisiken.

Vor dem Hautschnitt sollte ein sogenanntes

„Team Time Out“ stattfinden, bei dem alle

Teammitglieder sich mit Namen und Funktion

vorstellen, die Identität und Operation des

Patienten bestätigen und auch Eingriffsort und

Lagerung überprüfen.

Benefit der WHO- Checkliste

Der Benefit der WHO- Checkliste konnte in einer

internationalen Studie mit 7688 Patienten überprüft

werden.

Dazu wurden über 12 Monate an acht Krankenhäusern in

acht Ländern Komplikationen vor und nach Einführung

der Checkliste erfasst.

Dabei nahm die Inzidenz schwerster Komplikationen von

11 auf 7 % ab und die Rate von Komplikationen mit

Todesfolge sank von 1,5 % auf 0,8%.

Nach wie vor stellt die Hierarchie im OP- Saal eine Hürde

dar.

Boxenstopp- Modell für die postoperative Übergabe

Das Boxenstopp- Modell

Formel 1 Pit Stop

Das Boxenstopp- Modell

Patientenübernahme und -übergabe

Das Boxenstopp- Modell

Das Boxenstopp- Formel- 1- Motorsport- Team wurde als

Modellbeispiel angesehen, wie ein multiprofessionelles Team

zusammen in einer professionellen Einheit agiert, um eine komplexe

Aufgabe (Reifenwechsel und Auftanken in durchschnittlich

sieben Sekunden) unter enormem Zeitdruck mit minimaler

Fehlerquote zu erfüllen

Nach Einführung des neuen Übergabekonzeptes sank die Zahl der

technischen Fehler von 5,42 auf 3,15 Fehler, die Zahl der

Fehlinformationen bei der Übergabe von 2,09 auf 1,07.

Die durchschnittliche Übergabedauer konnte von 10,8 auf 9,4

Minuten reduziert werden

Zusammenfassung

Übergabekonzepte gibt es für den perioperativen Bereich und für das Notfallmanagement in vielfältiger Ausprägung.

Teilweise wurden sehr gute Untersuchungen hinsichtlich der Verbesserung von Übergaben durchgeführt.

Gerade für neue Mitarbeiter ist die strukturierte Patientenübergabe und die Einführung eines Übergabekonzeptes zur Fehlerreduzierung sehr geeignet.

Persönlich erscheint mir das SBAR- Konzept am besten umsetzbar. Es wurde auch hinsichtlich Verbesserungen im Bereich der Informationsweitergabe hinreichend untersucht und für geeignet erklärt, um hier Übergabeverlusten vorzubeugen.

Zusammenfassung

Eine strukturierte Übergabe vermeidet Fehler und verhindert, dass Wichtiges vergessen werden

Wenn nicht schematisch vorgegebem, darf sie auch im Kopf stattfinden

Verantwortliche benennen, Positionen klarstellen

Versichern, „Read back“ oder „Synthese“ als Feedback

„Hear back“

Vielen Dank für die

Aufmerksamkeit

Recommended