Kultur & Leben

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} Münchner Merkur

Kultur & LebenMONTAG, 2. MAI 2011 SEITE 17www.merkur-online.de Telefon: (089) 53 06-447 Telefax: (089) 53 06-86 55 kultur@merkur-online.de

UNSEREKURZKRITIKEN

BUCH

Unvermittelt taucht einBild im Kopf der Autorinauf, das sie nicht mehr loswird. In diesem Buch siehtAngelika Kopecny einMädchen in Männerklei-dung auf einem Frachter,deren Leben sie nun er-zählt. Doch das letzteViertel des Buches ist inte-ressanter: Kopecny verrät,wie sie als SchriftstellerinWelten erschafft, wie sie„schreibend die Menschenin ihren Geschichten um-kreist“ und sich selbst un-ter Druck setzt, den fikti-ven Charakteren gerechtzu werden. Erstaunlichehrliche Worte. vb

Lesenswert

Angelika Kopecny: „Auf derSuche nach dem Ultramarin“.

Edition Terra Incognita,288 Seiten; 14,90 Euro.

Simone Wendel/ Mario A.Conte: „Record 12”(Epix).

Glauben Sie an Untote,die als Geister in Häusernweiterleben? Ein „Fein-stoffobjekt-Test“, als Zu-satzmaterial auf der DVDvon „Record 12“ zu fin-den, macht schnell klar,ob sich in Ihrer Umgebungübernatürliche Wesen be-finden. Die beklemmendeBeobachtungsweise deseinstündigen deutschenFilmprojekts wirkt jeden-falls spannender als der al-lenfalls nett gemeinte Bo-nusteil, zu dem auch eine„interaktive Kamerasteue-rung“ gehört. bsz

Annehmbar

DVD

CD

St. Pauli kann einem leid-tun – die Kicker sind so gutwie abgestiegen. ZumGlück sorgen die musikali-schen Lokalmatadoren fürKontrast: Ohrenfeindt, dasRock’n’Roll-Trio vom Kiez,haben ein kraftvolles Al-bum eingespielt: DeutscherHardrock, der tief im Blues-sumpf watet. Sänger ChrisLaut, der ruhig öfter zurHarp hätte greifen dürfen,wandelt in den Texten wie-der sicher zwischen Gosseund großer Lyrik. Bleibt dieFrage, wann die Herren ausSt. Pauli endlich bei „Rockam Ring“ auf der Bühne ste-hen. Denn nirgends andersgehören sie hin. leic

Hörenswert

Ohrenfeindt:„Schwarz auf Weiß“

(Soulfood).

Reigen der KlassikpromisDas fünfte Aids-Konzert des Münchener Kammerorchesters

Eine Ehrensache ist das mitt-lerweile für die Klassikpromis– davon kündet die lange Lis-te großer Namen aus den ver-gangenen Jahren. Und auchheuer, genauer gesagt amFreitag, den 6. Mai, kann dasMünchener Kammerorches-ter mit bemerkenswertenGästen wuchern, die für ei-nen guten Zweck ins Prinzre-gententheater kommen. Zumfünften Mal veranstaltet dasEnsemble ein „Aids-Kon-zert“. Schlagzeug-Star MartinGrubinger ist mit Tangos vonAstor Piazzolla zu erleben,Alice Sara Ott spielt MozartsKlavierkonzert KV 415, San-drine Piau singt Mozart-Arienaus „La finta giardiniera“,„Don Giovanni“, „Mitridate“und der „Zauberflöte“. Abge-rundet wird das Programmdurch Ouvertüren von Mo-zart und Rossini, ChefdirigentAlexander Liebreich steht wieimmer am Pult.

Der Erlös des Konzerts istwie in den vergangenen Jah-ren für die Münchner Aids-Hilfe bestimmt, die sich seitdem Jahr 1984 um die Bera-tung, Betreuung und Pflegevon Aids-Kranken kümmert.Das Konzert beginnt um19.30 Uhr, Karten gibt es un-ter der Telefonnummer 089/46 13 64 30 oder via E-Mailunter der Adresse ti-cket@m-k-o.eu thAlice Sara Ott ist Solistin in Mozarts Klavierkonzert KV 415.

Martin Grubinger spielt Tangos von Piazzolla. FOTOS: BROEDE, FKN

Eine wie keineFrankreichs Shootingstar Zaz in der ausverkauften Muffathalle

Wer zu spät kommt, den be-straft das Leben. Das gilt nichtnur für die, die sich nichtrechtzeitig um Karten für dasZaz-Konzert in der ausver-kauften Muffathalle geküm-mert haben. Gut zwei Dut-zend stehen noch an derAbendkasse, als der französi-sche Shootingstar für ein Pop-konzert überpünktlich umkurz nach 20 Uhr auf die Büh-ne tritt. Und dort ein Feuer-werk abbrennt, an das mansich noch erinnern wird.Schon, weil diese Isabelle Ge-offroy so frech und charisma-tisch rüberkommt wie LenaMeyer-Landrut. Zaz lächeltgrundsätzlich, wenn sie sich,auf Französisch natürlich, anihr Publikum wendet – was er-staunlich gut funktioniert. Sieunterhält grandios, hüpft rum,schreit lauthals, wenn es seinmuss. Und heult kurz, als dasBildungsbürgertum in derHalle ihr drei Stunden zu frühein „Joyeux Anniversaire“zum 31. Geburtstag schenkt.

Vor allem aber singt sie.Göttlich, wenn sie sich zu„Trop sensible“ nur von Akus-tikgitarren begleiten lässt,traumhaft, wenn sie zu „Lafée“ ins Mystische wechselt.Dabei hat Zaz’ Stimme in denNachtclubs und auf den Stra-ßen von Paris jahrelang gelit-ten. Sie hat etwas Unfertiges,Raues, letztlich Unverwech-

zu ignorieren. Stattdessenstreut sie viele neue Chansonsin ihr von einem hervorragen-den Jazz-Ensemble begleitetesProgramm ein. Bei anderenwürde das schiefgehen, bei ihrnicht. Dafür ist Geoffroy zu er-fahren, ja, zu gut. Für alle, diesie verpasst haben: Am 29. Ju-ni kommt Zaz auf das Toll-wood-Festival. THIERRY BACKES

Singt, springt – und unterhält wunderbar: Zaz. FOTO: FALKE

selbares. Zu bewundern istdas bei dem wunderschönen„Éblouie par la nuit“, das Ge-offroy mit unglaublicher In-tensität vorträgt, obwohl –oder gerade weil – ihre Stimmeimmer wieder abbricht. Zazleistet sich den Luxus, ihrenSuperhit „Je veux“ nicht alsZugabe zu spielen und einpaar Stücke von ihrem Debüt

Liebes-Pas-de-deux. Bei demetwas steif-langen Doziereneines Moderators über Spie-gelneuronen und ähnlich(Pseudo-)Wissenschaftliches,bei dem zudem die National-

Reiche entstehen und wiederzerfallen, Wolkenkratzer sichhochtürmen, eine Gummizel-le, gegen die ein Gefangeneranrennt, oder eine Laube füreinen eng umschlungenen

um-Rahmen bestehende hoh-le geometrische Objekte(großartig von Antony Gorm-ly auf die Choreographie zuentworfen), schieben sie in-und auseinander. Man sieht

VON MALVE GRADINGER

Keine bravouröse Terpsicho-re-Gala, wie traditionell. Ent-täuschung? Tränen? Im Ge-genteil. Euphorischer Ap-plaus im Münchner National-theater für „Babel“ (2010)von Sidi Larbi Cherkaoui undCo-Choreograph Damien Ja-let. Die Ballett-Festwochewar ausgesprochen dicht –und für Ivan Liskas Ensemblehochanstrengend: dreimalJohn Neumeiers „Illusionenwie Schwanensee“ (die Auf-takt-Premiere) und die beidenCrankos „Onegin“ und „Zäh-mung“, damit deckte dasStaatsballett die Sechziger-und Siebzigerjahre ab. Mitden Stücken von Nacho Dua-to und Terence Kohler/JörgMannes dann eine solide bisnoch tastende Ballettmoder-ne. „Babel“ war da genau derrichtige Schlusspunkt. Nichtweil Cherkaoui zur Zeit ge-hypt wird, sondern weil der inzwei Kulturen hineingebore-ne flämisch-marokkanischeCherkaoui mit diesem Stückeinen Nerv der Zeit trifft.

Der biblische Turmbau zuBabel: In ihrer Hybris wollendie Menschen einen Turm bisin den Himmel bauen. ZurStrafe lässt Gott sie in vielenSprachen sprechen. Verstän-digung ist nicht mehr mög-lich. Uneinigkeit, Zwist, Krie-ge sind die Folge. Zu hartenmartialischen Trommelschlä-gen steckt Cherkaouis frontalaufgereihte „Babel“-Mann-schaft – dreizehn Tänzer un-terschiedlichster Nationalitä-ten, Sprachen und religiöserBekenntnisse – mit rhyth-misch gesetzten Händen amBoden Territorium ab. Dannhecheln sie mit aggressiv dy-namischen Breakdance- undAkrobatik-Bewegungen überdie Bühne. Und während diefünf Musiker hoch oben aufihrer Empore ein Konzert ausjapanischen, hindustani-schen, türkischen, andalusi-schen Klängen aufschwellenlassen, bewegen, drehen, kip-pen die „Babels“ fünf ver-schieden große, aus Alumini-

Den Nerv der Zeit getroffenZum Ende der Ballett-Festwoche war Sidi Larbi Cherkaouis „Babel“ im Münchner Nationaltheater zu Gast

gefunden für den babelscheSprachenwirrwarr und dienicht mögliche Verständi-gung: Ein haariger Neander-taler arbeitet sich ab an einerfuturistischen Über-Lara-Croft auf staksigen langenLackleder-Beinen. Seinbrünstiges Schlecken undBeißen wird mit leiden-schaftslosem Blick unterKunstwimpern und rasendenRobotgesten quittiert. Und inder „Flughafen-Szene“ checktsie die Flugpassagiere auf ge-schmuggelte Waffen, dabeihinreißend komisch Fantasie-sprachen hervorsprudelnd.Gegen Ende reden alle drei-zehn Tänzer laut in ihrer Mut-tersprache durcheinander,französisch, italienisch, islän-disch, schwedisch, portugie-sisch, arabisch, urdu, japa-nisch. Und dann formen siedoch eine geschlossene Reihe– verbrüdern sich. Cherka-ouis Anti-Babel-Botschaft:Eine friedliche Gemeinschaftist möglich, wenn man dieAndersartigkeit seiner Nach-barn akzeptiert.

Jede Kunst hat im Wandelder Zeit ihre eigene künstleri-sche Galionsfigur. Im Tanzwar es für die SiebzigerjahrePina Bausch: mit ihrem demMenschen und seiner Ver-letzlichkeit zugewandtenTanztheater; für die Achtzigerund Neunziger war es derAmerikaner William Forsy-the, der mit seiner urban-sportlichen Neoklassik fürSachlichkeit, Fortschritt undseine Risiken stand.

Und jetzt im jungen 21.Jahrhundert wird Sidi LarbiCherkaoui zum Symbol einerzusammenwachsenden Welt.Bei all unseren Ängsten undverrenkten Bemühungen umIntegration von uns fremd er-scheinender Zuwanderung,zeigt er uns – in seinen insge-samt an anderen Kulturen in-teressierten Arbeiten –, wiefruchtbar, wie spannend einesolche Auseinandersetzungsein kann. Darum war eswichtig, ihn und seine East-man-Company jetzt hier zusehen.

Genau der richtige Abschluss der Ballett-Festwoche: „Babel“ von Sidi Larbi Cherkaoui. FOTO: KOEN BROOS

theater-Tontechnik versagte,musste man ein Auge/Ohr zu-drücken. Aber sonst hat dasChoreographen-Duo ein paarwunderbar witzige, auch pa-rodistische theatrale Szenen

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