Kuschelmobil“ - BSA G/W21 1000 sv Taxigespann 1924 · Die 770 wurde 1923 gegen das neue Model G...

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Die Lady steht am Straßenrand, sie kommtoffensichtlich vom Shoppen – neben ihr stehenzwei prall gefüllte Einkaufstaschen. Es nieseltleicht, was nichts ungewöhnliches ist in London zudieser Jahreszeit. Aber weit und breit ist kein Taxiin Sicht. Von der Gegenseite nähert sich einMotorradgespann. Der Fahrer sieht sie stehen,wendet flink sein Gefährt und sticht unerschrockendurch den Gegenverkehr auf sie zu. Er hält amStraßenrand neben ihr. „Taxi gefällig?“ Sie nicktverdutzt. Der Pilot springt behende von seinem Sitzund öffnet den Verschlag des Seitenwagens, sie

steigt ein und zieht ihre zwei Taschen auf denLedersitz neben sich. Der Fahrer schwingt sichwieder in den Sattel, nachdem er vorher noch denTaxameter eingeschaltet hat, der unmittelbar vorder Glaskanzel des mächtigen Bootes montiert ist.„5 Pennies die Meile“ hat er seiner Passagierinnoch zugerufen, die es sich mittlerweile im Abteilgemütlich gemacht hat, wo sie unter dem dichtenVerdeck vor dem Regen völlig geschützt sitzt. EinPreis, mit dem sie durchaus zufrieden ist, denn einAutomobil hätte sie zu diesen Konditionen niemalsmieten können.

„Kuschelmobil“ - BSA G/W21 1000 sv Taxigespann 1924

Fantasie eines Motorradfanatikers? Nein, Realitätim England der 20er Jahre des vergangenenJahrhunderts. Die County Cycle and MotorCompany of Broad Street mit Sitz in Birmingham(gleich neben dem BSA Werk) bot 1920 einGespann an, das von einer BSA Model E mit dem770er V2 Motor gezogen wurde. Das Motorrad warentsprechend den Anforderungen modifiziertworden, es verfügte über einen stärkeren Rahmenmit fünf anstelle der üblichen drei Ansatzpunktenfür die Seiten-wagenbefestigung und über 19 Zollgroße Räder (normal 18“). Die County Cycle andMotor Company war aber nicht das ersteUnternehmen, das auf die Idee mit dem Taxi-

Gespann gekommen war. Ähnliches hatten vorherschon die Nottingham Motor Cycle Company mitCampion Motorrädern und die Taxicabs Limited ofBirmingham mit Harley Davidsons auf die Rädergestellt. Bevor diese Unternehmen allerdings ihreGefährte ausliefern durften, mussten diese einerausgiebigen Prüfung unterzogen werden, und zwarvon der Polizei, von Scotland Yard und der TaxiLizenzierungsbehörde. Wichtig dabei war nicht nurdie Straßentauglichkeit der Maschine, sondernauch die Bequemlichkeit des zweisitzigenSeitenwagens und die Sichtbarkeit und Eichungdes Taxameters.

Die 770 wurde 1923 gegen das neue Model G mit986 ccm Hubraum eingetauscht, das wesentlichstärker und durchzugskräftiger war – die Maschinekonnte im dritten Gang fast bis zum Schritttempoheruntergenudelt und ruckfrei wieder hochbeschleunigt werden, wichtig im Straßenverkehrfür die Bequemlichkeit der Passagiere. Diese saßendurch Vorhänge vor den Blicken des Fahrersgeschützt, weshalb diese Gespanne auch denSpitznamen „Cuddler“ (vom englischen „tocuddle“, für „kuscheln“) verpasst bekamen. 100solcher Gespanne waren in Birminghamentstanden, nur mehr zwei sind bis in die heutige

Zeit erhalten geblieben. Sie sind ein Publikums-magnet bei Oldtimer Veranstaltungen, zumBroterwerb ihrer Besitzer dienen sie heute nichtmehr. Dabei hatte der Prospekt damals mehr alspositive Zukunftsperspektiven prognostiziert:„Werden sie ein selbständiger Unternehmer - siestarten ein Geschäft, das vom ersten Tag an seinenMann ernährt. Sie können zehn Pfund die Wocheverdienen und sind täglich an der frischen Luft“.Ganz dürften diese Erwartungen aber nicht erfülltworden sein, schon wenige Jahre später waren alleUnternehmen wieder auf Automobile umge-stiegen.

Text und Fotos: Hannes Denzel

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