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Lernstrategien als grundlegendes
Element von Grundbildung
Vortrag für den Norddeutschen Fachtag Alphabetisierung und Grundbildung
am 19. Mai 2006 in Oldenburg
Dr. habil. Gertrud Kamper, Berlin
Grundbildung für Erwachsene
• ist NICHT das verspätete Nachholen von Grundschul-Bildung
• ist NICHT NUR das Erlernen von Lesen und Schreiben (Alphabetisierung)
• ist NOCH KEIN fest definierter Begriff
• ist ein unverzichtbarer Baustein im Fundament des Lebenslangen Lernens (LLL)
• ist konstitutiver Teil der Erwachsenenbildung (EB) und damit ein wesentliches Element im gesamten Bildungssystem
• ist in dynamischen Gesellschaften unverzichtbar
• ist für EU-Mitgliedsländer eine Pflichtaufgabe
• Ist - da noch nicht ausgearbeitet - eine Gestaltungsaufgabe und -chance
Lebenlanges Lernen (LLL)
• die Gesamtheit allen formalen, nicht-formalen und informellen Lernens über den gesamten Lebenszyklus eines Menschen hinweg
• Verknüpfung dieses Lernens, der einzelnen Elemente
– sowohl auf Seiten der Individuen:Selbstmanagement der eigenen Lernbiographie, selbstorganisiertes Lernen
– als auch auf Seiten der Angebote: Bildungsintegration, strukturelle Veränderungen des Bildungssystems, Portfolios, neue Formen der Bestätigung von Lernleistungen/Qualifikationen
WAS IST LEBENSLANGES LERNEN?
• Der sozio-ökonomische Wandel, der schnelle Übergang zur Wissensgesellschaft und der von der Alterung der Bevölkerung ausgelöste demographische Wandel sind Herausforderungen, die ein neues Konzept der Aus- und Weiterbildung erfordern, und dies im Rahmen des lebenslangen Lernens.
• Lebenslanges Lernen bietet auch "zweite Chancen" zum Erwerb und zur Auffrischung von Grundfähigkeiten und Lernmöglichkeiten auf höherem Niveau.
http://europa.eu.int/comm/education/policies/lll/life/what_islll_de.html
EU-Memorandum über LLL 6 Grundbotschaften mit jeweils spezifischen Fragen 1. Botschaft: Neue Basisqualifikationen für alle
5 neue Basisqualifikationen wurden in Lissabon benannt:
– IT-Fertigkeiten – Unternehmergeist– Fremdsprachen – soziale
Fähigkeiten
– Technologische Kultur
aus den Fragen zu Botschaft 1 (Neue Basisqualifik. für alle): Wie lässt sich ein Instrumentarium für die Prüfung auf Basisqualifikationen und eine entsprechende Selbst-bewertung weiterentwickeln?www.lebenslangeslernen.at/siteUser/sitePageTypes/Site_Call.asp?strPageType=SiteC.asp&strPageID=38
Aus der österr. Diskussion zum EU-Memorandum:
• Betont wird die Bedeutung der Basisqualifikationen, deren Erwerb daher auch im Rahmen des Zweiten Bildungsweges kostenfrei ermöglicht werden sollte. (Verband Wiener Volksbildung)
• Als zentrale Grundkompetenzen wiederum werden all jene Fähigkeiten eingestuft, die "den konstruktiven Umgang mit Komplexität und Widersprüchen" in unserer Gesellschaft fördern. (Österr. Institut für Erwachsenenbildung)
• http://www.lebenslangeslernen.at/
Explaining Student Performance Evidence from the international PISA, TIMSS and PIRLS surveys
Eine Arbeitsgruppe (aus 31 Ländern) hat für die EU-Komm. die internationalen Studien zu SchülerInnen-Leistungen untersucht. Im Ergebnis wird der Begriff „Grundfertigkeiten“ (Basic Skills) als zu eng bezeichnet:
– In PISA nur die Lese- und mathematische Literarität
– In TIMMS nur Mathematik und Naturwissenschaften
– In PIRLS nur Lesen
Statt dessen Plädoyer für den Begriff „Schlüsselkompetenzen“ (Key Competences) in
verschiedenen Fähigkeitsbereichen (skills
domains)
Final Report by Jens Henrik Haahr et al., Nov. 2005 (im Auftrag der EU-Komm.)
Fähigkeitsbereiche (skills domains) - mit Bezug zur Europäischen Kommission 2004:
• Kommunikation in der Muttersprache• Kommunikation in einer Fremdsprache• Mathematische Literarität und
Grundkompetenzen in Naturwissenschaft und Technik
• Digitale Kompetenzen• Lernen zu lernen• Interpersonale und staatsbürgerliche
Kompetenzen• Entrepreneurship (Unternehmerische Ein-
stellungen und Fähigkeiten)• Kultureller Ausdruck
Schlüsselkompetenzen durch kulturelle Bildung
Äquivalenzen aus dem kulturell-künstlerischen Feld zu den in Unternehmen geforderten Schlüsselkompetenzen :
• Offenheit für das Neue und Fremde• konstruktiver Umgang mit Unsicherheiten• genaue Wahrnehmung der veränderten Realität• Bewertung dieser Realität• Auswahl von relevanten Informationen und Optionen• Zusammenführen von Elementen• Kommunikation und Produktion von Ideen etc.• Reflexionsvermögen• kreative Problemlösungskompetenz• ‚Navigationskompetenz’. http://schluesselkompetenzen.bkj.de/html/schluesselkompetenzen.php3?page=nachricht&id=42
„Lernen zu lernen“ (bißchen vereinfacht
) Voraussetzung:
selbstbestimmtes Lernen• Ziele bestimmen • Teilziele erarbeiten• Fortschritte evaluieren
Notwendig: Wissen/Können – WIE – wie erarbeitet man/frau z.B. Teilziele
– wie geht man/frau beim Lernen vor (z.B. Lernstrategien)
– usw.
Ergebnis: selbständiges Lernen
Lernstrategien
i.S. von Lerntechniken
• Zeiteinteilung • Rhythmus von
Wiederholungen • Ordnung in den
Unterlagen • Gedächtnistraining • Techniken des
Exzerpierens • etc.
• in der kognitiven Bedeutung
• Problemlöse-Strategien • „Denktraining“ • Geistige Werkzeuge
– Begriffe – Algorithmen – strukturieren beim
Wahrnehmen– systematisch
arbeiten– räumliche u. zeitliche
Orientierung – etc.
Bsp. für analytisches Herangehen: Vielfältige Lernbedingungen und „multifaktorielle Verursachung“ positiver wie negativer Lern-
Erfolge
Familie
kult./soz. GruppeArbeit Gesellschaft
Schule
Lehrerbildung
Anforderungen
sozio-ökon. Situation
Einstellung geg. Lernen
EmotionenBedeutung/persönl. SinnSelbstrespektLernvertrauenSelbstwertgefühl
Sprachemündl. Kommunik.schriftl. Selbstorg.
Denkwerkz.
KognitionWahrnehm. Aufnehm.)Denken Verarbeit.) von
Antworten Ausgeb. ) Inform.
Motorik / RhythmikKörper Grobmot. HandelnGlieder Feinmot. Kommunik.Artikulation Sprechmot. Interaktionetc.
KörpergefühlKörperbeherrschung
Vorstellung
Kreativität
Zwischenmensc
hl. Bezie
hungen
Informationen werden mit den Sinnen aufgenommen, intern verarbeitet und in Handlungssteuerung umgesetzt Aktivitäten eines Subjekts
eine Handlung kann man auf verschiedenen Ebenen ausführen:
– durch manuelles Tun – praktisch– sprechend – lautsprachlich
(die Handlung mündlich beschreibend)
– zeichnend – grafisch (eine Skizze der Handlung erstellend)
– schreibend – schriftlich (eine schriftliche Handlungsanleitung verfassend)
– in der Vorstellung – imaginativ (die Handlung in Gedanken ausführend)
z.B.Fähigkeiten in relativ elementaren Bereichen, wie etwa Verbo-Sensomotorik
Rhythmus
serial visuell
serial kinästh
et.
serial auditiv
visuelle Diff.
kinäst
h. Diff.
auditive Diff.
Schlußfolgern
Sätze ver-
stehen
räumliche Orientierun
g
sprach-relevante Muster differenziert wahrzunehmen und zu erzeugen ist im Beginn an Motorik und Sinne gebunden
hier Focus auf: Kognition und die geistige Tätigkeit unterstützende Sprache
und die damit zus.hängenden Emotionen
• alle Handlungen und Operationen, die das Aufnehmen, Verarbeiten und Wiedergeben von Informationen betreffen bzw.
• Wahrnehmen und Denken und Umsetzen des Denkergebnisses in eine praktische Handlung oder eine Antwort
• hier speziell: Strategien der LernendenLernen als Spezialfall von Problemlösen – Lernstrategien sind genau genommen Problemlöse-Strategien
Menschliche Tätigkeit ist vermittelt Aufnehmen, Be- und Verarbeiten von Informationen
braucht geistige „Werkzeuge“
X
AnleiterInGegenstand
Kom
munikati
on
Ane
ignu
ng
Kooperation / Demonstration
Mittel/ Werk-zeug
Lernendes Subjekt
Über das Erzeugen von Lernschwierigkeiten im Unterricht
• Wir wollen die Menschen darin unterstützen zu lernen, wie man Suppe kocht und ißt
• wir stellen Gemüse und eine Schüssel Suppe in die Mitte des Tisches und erwarten ganz selbstver-ständlich, daß die Leute mit Küchenmesser und Löffel umgehen können
• und – diese Werkzeuge auch selbst mitbringen
• Ist jemand koch- und eßgestört, der nicht nur ohne Suppe sondern auch ohne Küchenmesser und Löffel aufgewachsen ist?
Oder sollten wir
- uns erst bewußt werden, was wir voraussetzen und
- ihnen dann helfen, die Werkzeuge zu erwerben und damit umzugehen?
Lernstrategien vermitteln z.B. mit dem Programm „Denktraining“
• Basis: „Instrumental Enrichment“, entwickelt von R. Feuerstein u.a. – ein wenig modifiziert durch G. Kamper
• IE ist in verschiedenen Sprachen verfügbar
• verwendet zunächst sehr wenig Schriftliches
• Die Arbeit damit kann in Reha wie in Förderung auf sehr niedrigem Niveau beginnen
Organisation von Punkten
In chaotisch erscheinenden Mengen (Daten, Informationen usw.) Zusammenhänge, Muster suchen, erkennen, projizieren etc., notfalls erfinden Ziel: sich besser orientieren zu können
Gleichzeitig:Prinzipien erfolgreichen Arbeitens finden und üben (habitualisieren)
Metakognition und Bewegung zwischen Verallgemeinerung und Besonderung
• Papier-Bleistift-Aufgaben bearbeiten
• herausfinden, was man dabei getan hat und in welcher Reihenfolge – also wie man die Aufgabe bearbeitet hat (z. B. „Das mit dem Quadrat ist richtig ... und wie haben Sie das herausgekriegt?“)
• Welches Vorgehen hat zu dem gewünschten Ergebnis geführt und welches nicht?
• Brauchbare Tätigkeiten u. Verhaltensweisen als Prinzip formulieren – verallgemeinern (z.B.: Wenn man vor einer Aufgabe steht, macht es Sinn, erst einmal herauszufinden, was eigentlich zu tun ist, was gefragt wird)
• Gilt dieses Prinzip nur für dieses Arbeitsblatt oder auch anderswo im Leben? – Besonderung („Brückenschlagen“)
Räumliche Orientierung 1Seiten und Richtungen, ihre Abhängigkeit von dem jeweiligen Bezugspunkt
Präpositionen für räumliche Beziehungen (Relationen)
Verständnis und genauer sprachlicher Ausdruck für Seiten und Richtungsangaben
Beweglichkeit bis auf die Ebene imaginativen Handelns
Einsichten/Erkenntnisse übertragen auf andere Bereiche
Pos.1 Pos.2 Pos.3 Pos.4
Es gibt viele weitere Kapitel oder „Instrumente“ des Programms IE
Mir scheinen nach „Organisation von Punkten“ und „Räumlicher Orientierung 1“ am wichtigsten:
• Vergleichen (Identität, Nicht-Identität, Ähnlichkeit)
• Kategorisieren (Gruppen bilden)
• Analytische Wahrnehmung (innere Gliederung von Ganzen, Zerlegen u.
Zusammensetzen)
• Anweisungen (Instruktionen)
• Orientierung im Raum 2
• Zeitliche Beziehungen
• Zahlenreihen, -staffelungen
Methode - nicht Arbeitsblätter!• eine Methode –
ein vielfältiges System methodischer Schritte • Die kognitiven Veränderungen verlangen
auch Veränderungen in Einstellungen und Haltungen
• Der Kern des Programms besteht nicht und erschöpft sich (ausdrücklich) nicht in einem Ordner voller Arbeitsblätter
• Die Arbeitsblätter ohne die Methode wären uninteressant
• Mit der Methode könnte man auch ohne diese Arbeits-blätter erfolgreich arbeiten – sie machen „nur“ die Vorbereitung leichter
Bedenkenswerte Schwierigkeiten 1
• Die jeweils ersten Schritte beim Aneignen eines neuen „Denkwerkzeugs“ werden sinnvollerweise nicht am üblichen Unterrichts-Stoff erarbeitet – aber es wird Unterrichtszeit aufgewendet
• wie schnell „amortisiert“ sich diese Zeit? – oder: • Wie leicht oder wie schwer ist es, sich selbst und
dem Fach-Vorgesetzten und/oder den Lernenden einsichtig zu machen: – durch diese „Abweichung“ vom Lehrplan verliert
man nicht Zeit fürs Lesen- und Schreibenlernen etc.
– sondern: durch das Anwenden der Lernstrategien wird nicht nur besser sondern auch schneller gelernt - und zwar sehr bald
Bedenkenswerte Schwierigkeiten 2
• Das Vermitteln brauchbarer Lernstrategien läßt sich – nicht aus Büchern lernen – braucht praktisches Erfahren/Erleben– nicht in einer einzigen Wochenend-Fortbildung lernen
• Ob mit oder ohne begleitendes Mentoring – man muß sich damit über längere Zeit immer wieder beschäftigen
• Die Arbeitsblätter des Programms können nur nach einer einschlägigen Fortbildung käuflich erworben werden
• Das gemeinsame Erarbeiten von Lernstrategien verlangt Veränderungen (z.B. in Einstellungen) auch von den Lehrenden
Bedenkenswerte Schwierigkeiten 3
Gute Lernstrategien zu vermitteln kann nicht jeden Nachteil durch unzulängliche Rahmenbedingungen ausgleichen – beispielsweise:
– zu kurze Kursdauer – zu große Zahl an TeilnehmerInnen – zu wenig Unterrichtsstunden – keine bezahlte Vorbereitungszeit für die Lehrkräfte – weder Team-teaching noch Supervision
– etc.
Dennoch: – das Vermitteln von Lernstrategien verbessert die
Situation – und die damit erreichbaren Fortschritte erfreuen
und motivieren auch die Lehrkräfte
SchlußfolgerungenWenn es zutreffend ist,
daß• lebenslanges Lernen für
alle Menschen notwendig werden wird
• Lesen und Schreiben-können alleine - so wichtig es ist - nicht ausreicht
• jahrelange Alphabetisierungskurse den Notwendigkeiten lebenslangen Lernens nicht wirklich entsprechen
Dann ist es schlicht not-wendig, sich von Anfang an der Vermittlung der Fähig-keiten für selbständiges Lernen zu widmen
Ist ein anstrengender Einstieg (für die Lehr-kraft) – aber: Verbessert die Qualität, macht mehr Freude und spart aufs Ganze gesehen auch noch Zeit
Ich danke Ich danke für Eure für Eure
Aufmerksamkeit Aufmerksamkeit und und
wünsche wünsche uns allenuns allen
gute Orientierung gute Orientierung und und
viel Erfolg!viel Erfolg!
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