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Samstag/Sonntag, 2./3. Dezember 2000 Nr. 282 LITERATUR UND KUNST

durch die Ausweisung weltweit bekannt. SeineLyrik ist in mindestens 25 Sprachen übersetzt. Alsbisher einziger Chinese kam er in die Runde derfünf «aussichtsreichsten Kandidaten» für denLiteraturnobelpreis. Was die chinesische Regie-rung dazu sagt, ist Bei Dao egal: «Ich möchteüber Politik nicht mehr öffentlich sprechen. DieIntellektuellen sollten sowieso lieber nach sichselber fragen. Seit hundert Jahren versuchen dieIntellektuellen, Chinas Probleme zu lösen­abersie sind selbst ein Problem.»

Von Bei Dao ist auf Deutsch der Band «Notizen vomSonnenstaat» bei Hanser erhältlich. Das Buch «Post Bellum»,

ebenfalls von dem Bonner Sinologen Wolfgang Kubin über-setzt, soll nächstens bei Hanser erscheinen. Weitere Werke fin-den sich­zum Teil unter dem bürgerlichem Namen Zhao Zhen-kai oder weiteren Pseudonymen­in Anthologien wie der Suhr-kamp-Ausgabe «Hundert Blumen».

NeuöZürcörZäitung

sche Gewaltfreiheit praktiziert sie keineswegs.Individualpsychologisch gesehen, ist sie eine aus-geprägte Narzisstin, sozialpsychologisch eineHerrin aus dem Westen, eine Pariser Dame ge-blieben, die ihre tibetischen Domestiken schlag-kräftig Mores lehrt.

Im Oktober 1923 setzen die beiden alles aufeine Karte: Sie versuchen Lhasa auf einer bishervon Weissen nicht begangenen Route durch dassagenhafte Land Po zu erreichen. Sie reisen wieschon zuvor als Pilgerpaar. Die Quelle des Po-Tsangpe wird von ihnen entdeckt. Und EndeJanuar 1924 wird Lhasa erreicht, jenes Ziel, dasSven Hedin immer verschlossen blieb. Diese tri-umphale Pointe kann sich die nun als Abenteure-rin und Forschungsreisende praktizierende Femi-nistin natürlich nicht entgehen lassen: «Wo sinddie grossen Verkünder der weiblichen Zerbrech-lichkeit! Jenes berühmte <Ewig Weibliche> . . .Was für Eseleien!» So unglaublich ist diese Leis-tung,

dass Jahrzehnte später, nach AlexandrasTod, die Französin Jeanne Denys behauptenwird, Alexandra habe Lhasa nie erreicht, eineHochstaplerin, eine Betrügerin.

Ernsthaftere Gefahr droht von einer anderenSeite. Denn war Lhasa nun wirklich die Erfül-lung? Die «Sonnenstadt», der atemberaubendePotala, der goldene Jokhang­das alles, natürlich,ist eindrucksvoll. Doch just auf dem Gipfel ihresWanderlebens macht Alexandra die Erfahrung,

die vom Buddha bis zum Euro-Buddhisten Scho-penhauer das Zentrum der Lehre von der Leerealler Dinge, der Ziellosigkeit aller Wünsche, derNichtigkeit aller Erfüllungen ist: dass Wünschenoch nicht erkannte Illusionen und ErfüllungenDesillusionierungen sind.

1925 die Rückkehr, die Heimkehr nach Europa.

Aber was heisst schon das Wort «Heimkehr» füreine Nomadin wie Alexandra, was kann es nacheinem Weltkrieg, einem Zivilisationsbruch son-dergleichen

heissen? Und was soll nach einer fast15-jährigen Trennungdas «Heim» sein? Nacheinigem Suchen findet sie 1928 in Digne in der

Hochprovence ein Anwesen, das zu ihr undYongden passt. Die Berge halten zwar keinenVergleich mit der Heimat des Schnees aus, aberman kann sich an die Vorberge von Sikkim undNepal erinnert fühlen. Das Klima ist günstig. Und«Samten Dzong», die «Feste der Meditation»,bald im Stil eines tibetischen Klosters ausgebaut,

bietet meditative Ruhe. Heute residiert dort unternicht mehr so ruhigen Verhältnissen die Fonda-tion Alexandra David-Neel.

Die «Reise einer Pariserin nach Lhasa» w i rdzum vielfach übersetzten Welterfolg. «Heilige undHexer», «Mönche und Strauchritter» und die an-spruchsvollen «Initiations lama¨ques» sind ihreiweiteren Erfolgstitel. Als die «Frau auf dem Dachder Welt», die «Bezwingerin der verbotenenStadt», ja als «Ehrwürden Dame Lama» w i rd sievon den Zeitungen, den Akademien bis hin zumfranzösischen Präsidenten und zum allerheiligsten

Coll` ge de France gefeiert.e

Nach einem Jahrzehnt relativer Sesshaftigkeit

meldet sich der «Reisedämon», der nomadischeTrieb, 1937 wieder zurück. Die nun 68-jährige

Alexandra bricht mit Yongden noch einmal auf.Diesmal ist mit Hilfe der Transsibirischen Eisen-bahn, deren Distanzen man nun doch nicht mittrancehaftem Gehen bewältigen mag, zunächstPeking

das Ziel. Und es ist wie beim ersten Mal:Eine grosse, aber nicht zu lange

Reise soll es wer-den­und es werden neun Jahre daraus. Dochdiesmal ist die Verlängerung unfreiwillig. Derjapanisch-chinesische Krieg erzwingt sie. Nur dieGravitation ist dieselbe: In den Wirren derlebensgefährlichen Kriegswanderschaft nähertsich Alexandra wieder Tibet an, um schliesslich ineinem grenznahen Kloster in Ta-tsien-lu wenigs-

tens eine relativ sichere Bleibe zu finden.

1941 erhält sie die Nachricht vom Tod ihresMannes. 1946 kehren Alexandra und Yongden

nach Digne in den «Samten Dzong» zurück. Wie-der liegt ein Weltkrieg zwischen Abreise undRückkehr. Was folgt, sind fast unglaubliche wei-tere Lebensjahrzehnte. Ihren 80. Geburtstag feiertsie zusammen mit Yongden in einem Camp aufüber 2000 m Höhe. Dann spielt der Körper

immer weniger mit. Die Arthritis, die sie schonimmer geplagt hat, wird schlimmer. Ja, der böseHumor der Götter hat sich mit ihr etwas beson-ders Perfides, etwas Tragisch-Ironisches ausge-

dacht: Diese grösste Wanderin zwischen denWelten w i rd gehunfähig. Sie muss

getragen wer-den. Yongden steht ihr wie eh und je bei. Dochnach Philippe stirbt auch er 1955 vor ihr.

Mit 90 macht Alexandra den Führerschein. IhrGeist bleibt bis zum Ende intakt. Sie schreibt wei-terhin vorzügliche, unterhaltsame, geistreiche,witzige und gelehrte Bücher. Sie gibt Interviews,empfängt Besucher, die einen weiblichen Gurusuchen und auf eine «grand old dame» treffen,die sie unbarmherzig auf ihre Selbständigkeit

stösst. Der 100. Geburtstag wird gebührend gefei-

ert. Im September 1969 erkrankt sie. Ein schweig-

samer Todeskampf­und dann ist der unglaub-

lich Traum ihres Lebens zu Ende geträumt;sie

selber hat noch ihre Grabschrift formuliert: «Hierruht die Asche von Alexandra David-Neel, Erfor-scherin Tibets . . . und die Asche ihres Adoptiv-

sohnes Lama Yongden, ihres treuen Gefährtenund Begleiters

. . .»Jean Chalon: Alexandra David-Neel. Das Porträt einer Un-

bezähmbaren. Knaur-Taschenbuch, München 1998. 288 S., Fr.14.­.

Barbara und Michael Foster: Alexandra David-Neel. DieFrau, die das verbotene Tibet entdeckte. Die Biographie. Her-der-Verlag, Freiburg 1999. 416 S., Fr. 42.­.

unterstützt sich dort, aber man hasst sich auch. ImWesten konnte ich daraus ausbrechen und dieNichtigkeit der Dinge kennenlernen.»

In den USA, nach verschiedenen nordeuropäi-

schen Staaten das siebte Exilland, übernahm BeiDao an der Universität von Kalifornien eine Zeit-dozentur für chinesische Gegenwartsliteratur undbegründete mit anderen exilierten Schriftstellerndie Zeitschrift «Jintian» wieder: «Wir sind eineArt Territorium zwischen China und der Aussen-welt­im Dialog mit der westlichen Kultur. Wirversuchen frei zu sein, von den Kräften der Ideo-logie, die China so

lange dominiert haben­undvom Kommerzialismus, der es

jetzt dominiert.»Während die chinesischen Behörden erfolg-

reich verhindern, dass Bei Daos neuere Werke inChina gelesen werden, machten sie den Autor

Eine Frau erforscht TibetDas abenteuerliche Leben der Alexandra David-Neel (1868­1969)

Von Ludger Lütkehaus

Sie ist die berühmtesteForschungsreisende

des 20. Jahrhunderts: die Französin Alex-andra David-Neel. Als erste Europäerin hat sie das verbotene Tibet erkundet undLhasa erreicht­ein Ziel, an dem um dieselbe Zeit Sven Hedin scheiterte. Ihre Reise-beschreibungen, Romane und ihre zahlreichen Bücher über die Religionen

des Ostens,

vor allem den lamaistischen Buddhismus, haben siezugleich

zu einer der lesenswer-testen Reiseschriftstellerinnen und Orientalistinnen dieses Jahrhunderts gemacht.

Ihr Leben «abenteuerlich» zu nennen, kommteiner Untertreibung gleich. Die deutsche Überset-zung ihrer «Voyage d'une Parisienne a Lhassa»`

ist überschrieben: «Mein Weg durch Himmel undHöllen». Das ist keineswegs zu viel gesagt. EinVierteljahrhundert ist sie, meistens zu Fuss, durchdie Wüsten und Steppen, über die Gebirge Zen-tralasiens und Chinas gereist. Das Erstaunlichstean diesem Leben war vor allem das lange Leben.Denn nur zu oft war sie dem Tode nah.

Aus dem Kloster Kumbum im wilden Nord-osten Tibets schreibt die 52-Jährige in einem ihrerReisebriefe im Februar 1920:

Ich könnte 90 Jahre alt werden wie mein Vater, 87wie meine Mutter oder sogar die Hundert überschrei-ten wie zwei meiner Urgrossväter, und ich könnte bisdahin auch durchaus bei klarem Verstand bleiben,

Bücher schreiben . . .

Und sie hat mit den Urgrossvätern Recht be-halten: Auf fast 101 Lebensjahre «bei durchausklarem Verstand» hat sie es

gebracht. Noch alsHundertjährigeliess sie sich ihren Reisepass ver-längern, um bei einem Anfall von Reiselust nichtohnmächtig dem Gefängnis der Sesshaftigkeit

ausgeliefert zu sein. Zwei Weltkriege neben demDeutsch-Französischen Krieg umfasst ihr Leben.Bei ihrer Geburt ist Napoleon III. noch an derMacht. Bei ihrem Tod hat die Studentenbewe-gung mit der Pariser Mai-Revolte gerade begon-nen, und die ersten Menschen landen auf demMond.

Am 24. Oktober 1868 wird Alexandra David inSt-Mand´ bei Paris geboren. 1873 zieht die Fami-elie ins liberalere Belgien um, wohin der Vater1851, nach dem Staatsstreich Napoleons III., füracht Jahre emigriert war. Frühe Fluchten sindcharakteristisch für das nicht still zu stellendekleine Mädchen, das die Einsamkeit sucht. Alex-andra w i rd an einer Klosterschule erzogen­diesicherste Methode, wie man Ketzerinnen, Re-bellinnen, «Apostatinnen» schafft. Sie distanziertsich prompt von Kirche und Christentum. Sieliest Platon, die stoischen Philosophen, Epiktet,Seneca, dazu den gelassen heiteren Epikur­undist so bestens für die östlichen Religionen vorbe-reitet, die auf das «Nichtanhaften», die Befreiung

von Gier, Hass und Verblendungsetzen.

Im Westen haben östliche Weisheitslehren umdiese Zeit Hochkonjunktur. Die 20-Jährige machtsich zunächst nach London auf, auch um für diegeplanten Weltreisen perfekt Englisch zu lernen.Bald liest sie, einstweilen noch in der englischenÜbersetzung, die Upanishaden, die BhagavadGita, die Tantras. In der Londoner Society of theSupreme Gnosis, der «Gesellschaft der aller-höchsten Erkenntnis», dann der Londoner undPariser Niederlassung der Theosophischen Ge-sellschaft wird sie mit allerlei Esoterikern undSpiritisten bekannt.

Alexandra David ist durchaus neugierig aufOkkultes, auf die obligaten «Mysterien». Daswird ein Impuls ihrer Asienreisen, ihres Interesseszumal am tibetischen Buddhismus mit seinenmagischen Praktikern sein. Aber sie ist noch mehrein wacher, kritisch-nüchterner Geist, der durchdie Schule der französischen Aufklärung,

deseuropäischen Atheismus mit seiner Priestertrug-

theorie gegangen ist. Sie ist der einen Kirche nichtentlaufen, um flugs in der nächsten unterzugehen.

Eine rationale Mystikerin ist sie und wird das ihrLeben lang bleiben. Und sie beobachtet gnaden-

los genau. Sie amüsiert sich über die westlichenMystagogen und ihre Jünger, die nichts glaubwür-diger als das Unglaubliche finden.

Hier kann die noch suchende Alexandra ihrenHafen jedenfalls nicht finden. Sie gerät in einetiefe existenzielle Krise, aus der sie erst in einemAkt der Selbstbefreiung herausfindet. Sie studiertin Paris, in der Bibliothek des Mus´ e Guimet, aneder Sorbonne, dem Coll` ge de France Sanskriteund intensiviert vor allem ihre Buddhismus-Stu-dien. In ihnen findet sie das, was sie als rationaleMystikerin braucht: nicht eigentlich eine Religion

und schon gar keinen neuen oder alten Götter-glauben, sondern eine Philosophie der Selbst-befreiung, der Selbsterlösung. Von 1891 bis 1893

reist sie erstmals nach Asien, nach Ceylon undIndien. Auf Ceylon ist der ursprüngliche, derTheravada-Buddhismus noch am ehesten anzu-treffen. In Indien, in Adyar bei Madras, wo zweiJahrzehnte später der Stern eines anderen ratio-nalen Mystikers, derjenige Krishnamurtis, auf-gehen wird, tritt sie im Juni 1892 der Theosophi-

schen Gesellschaft bei.

Nach der­vorläufigen­Heimkehr nimmt ihrLeben indes erst einmal eine scheinbar über-raschende Wendung. An den Konservatorien vonBrüssel und Paris schliesst sie die schon vor ihrerAsienreise begonnene Gesangsausbildung ab. Siefeiert Triumphe in den französischen Koloniendes Fernen Ostens, in Vietnam, von Hanoi überHue und Da Nang bis nach Saigon­im Mai 1968werden diese Namen um einiges dissonanter inihren Ohren klingen

. . . Dann wird sie nacheinem erfolgloseren Pariser Zwischenspiel 1900nach Tunis engagiert, bevor ihre Karriere wegen

einer Stimmerkrankung abbricht. In Tunis begeg-

net sie dem Eisenbahningenieur Philippe Neel,einem bestens aussehenden, äusserst

gepflegten,

überaus charmanten Mann in wohl dotierter Posi-tion. Eigentlich sind beide nicht für die Ehe ge-

schaffen. Trotzdem heiraten sie 1904. Sie liebensich, wenigstens scheint es am Anfang so. Nochmehr zanken sie sich. Und doch harren sie un-geschieden 37 Ehejahre aus. Es ist eine Art vonKorrespondenz-Ehe. Denn an Philippe gehenjene zahllosen Reisebriefe, die unter allenBüchern Alexandras wohl ihr Hauptwerk sind,brillant geschrieben, witzig, ironisch, drastisch,geistreich, voll von Abenteuern, Beobachtungen,Reflexionen, Porträts, Geschichten von Götternund Menschen. Oft genug scheint es so, als seidiese Ehe geschlossen und so oft, für so

lange

unterbrochen worden, um diese Briefe zu ermög-

lichen. Alexandras französischer Biograph JeanChalon nennt sie eine neue Madame de S´

vigne.e ´

Dieser Vergleich ist nicht zu hoch gegriffen.

1911 schliesst sie ihre buddhistischen Publika-tionen einstweilen mit einem ersten grossen Buchab: «Le Modernismebouddhiste et le Boud-dhisme du Bouddha»,das die Verbindung

zwischen modernemReformbuddhismusund der ursprünglichen

Lehre des Buddha her-stellt. Danach bricht sieauf, für ein paar Mo-nate, vielleicht ein Jahr,

wie das Ehepaar glaubt

oder zu glauben vor-gibt. Fast fünfzehn Jah-re sind es

geworden,

fast eine Reise ohneWiederkehr, AlexandraDavid-Neels eigentli-

ches Leben beginnt mit43. Sie ist vom «Reise-dämon», vom nomadi-schen Trieb, förmlichbesessen.

Zunächst geht dieReise wieder nach Cey-lon, wo sie bei demdeutschstämmigen

Mönch Nyanatiloka

ihre Kenntnis des The-ravada-Buddhismusvertieft. In Indien suchtsie von neuem dieTheosophische Gesell-schaft in Adyar beiMadras, dann dengrossen Sri Aurobindobei Pondicherry auf.Aber im sozial brutalzweigeteilten Kalkutta,dieser indischen Mons-trosität, die den My-

thos vom «heiligen In-dien» zur zynischen

Farce macht, stösst sie sich immer mehr am Kas-tensystem. Sie flieht in den Himalaja, nach Sik-kim. Von dort aus

liegt Tibet, das verboteneLhasa nicht just in Reich-, aber in Wanderweite,jedenfalls nach ihren Massstäben. Und das ist ihreigentliches Lebensziel. Zweimal stösst sie schonvon Sikkim aus nach Tibet vor, einmal nachShigatse, wo sie dem Pantschen Lama vorgestellt

wird. Doch der englische Resident in Sikkimweist sie wegen unerlaubten Grenzübertritts bei-zeiten nach Darjeeling

aus.

In Sikkim lernt Alexandra den Thronfolger,

den Prinzen Sidkeong, kennen. Er will den wun-dergläubigen, magisch veräusserlichten lamaisti-schen Buddhismus seines Volkes im Sinn des ur-sprünglichen Buddhismus reformieren. Er ist einaufgeklärter Aristokrat. Alexandras Weg von Cey-

lon nach Sikkim ist schlüssig. Aber Prinz Sid-keong stirbt zu früh. Über die Todesursachenwird gemunkelt. Auch unter Buddhisten gibt

esKirchen und Priester, die Pfründen zu verteidigen

haben . . . Ebenfalls noch in Sikkim w i rd Alexan-dra dem aus Tibet geflohenen Dalai Lama, es istder dreizehnte, der Vorgänger des jetzigen, der sie1962 in Frankreich aufsuchen wird, vorgestellt.

Die wichtigste Begegnung ist indessen die mitdem Gönpschen, dem Abt des Klosters Lachen.Hier erlebt Alexandra ihre wahre «initiation la-ma¨que». Dieser Mönch, Asket und Lehrer unter-iweist sie in zwei entsagungsreichen Jahren in deninneren, ernsthaften Sinn esoterischer Lehren destibetischen Buddhismus. Er gibt ihr ihren tibeti-schen Namen: «Leuchte der Weisheit», wennauch nicht deren «Ozean» wie der Dalai Lama istsie nun. Sie wird mit den Ritualen, den Mantrasund Mandalas, der üppigen Götter- und Bilder-welt, den Himmeln und Höllen des Lamaismus,

dieser katholischen Variante des Buddhismus, be-kannt, seinen magischen Praktiken, die für Wun-dergläubige sein sensationelles veräusserlichtesFaszinosum sind. Doch das Zentrum ihresLebens ist die Meditation. Und Meditation heissthier, nicht nur zu lernen, sich zu versenken, son-dern bei und mit den Dingen über den Dingen zusein, jederzeit und unter allen Bedingungen einengelassenen Beobachterstandpunkt von aussenohne Gier, Hass und Verblendung einzunehmen.

Die in ihren Lehrjahren erworbene Gelassen-heit w i rd sie in den nun folgenden Wanderjahren

öfters nötig haben. Sie begegnet im nepalesischen

Urwald einem Tiger­und schaut ihn an, bis ersich trollt. Sie gerät unter eine Horde Yogis, diesich von dem Verspeisen einer anerkannten Zau-berin besonders viel Energiegewinn versprechen­und nimmt ihnen mit Geduld und einem Ge-spräch unter lauter Erleuchteten den unvegetari-

schen Appetit. Aber selbst sie würde die Strapa-

zen dieser anderthalb Jahrzehnte nicht überstan-den haben, wenn sie nicht einen unersetzlichenBegleiter gehabt hätte. Es ist der 30 Jahre jüngere

Lama Yongden. Er ist genauso klein und genauso

zäh wie sie. In Sikkim lernt sie ihn, dessen Name«Ozean des Mitleids» ist, kennen. Und er w i rd ihrfortan bis zu seinem Lebensende zur Seite stehen,

als Diener, Koch, Wäscher, Schneider, Träger,alsExperte für Lamaismus, als Übersetzer und als

Sekretär.

Kein erotisches Verhältnis verbirgt sich hinterder Beziehung, sondern es ist das von Meisterin,Herrin und Jünger, schliesslich das von «Mutterund Sohn»: Yongden wird von Alexandra nachtibetischem Recht adoptiert. Aber diese Bezie-hung zwingt auch zu einem Blick auf die Schat-tenseiten dieser grossen Frau. Sie ist eine strenge

Herrin. Sie kommandiert Yongden rigoros herum.Manchmal schlägt

sie ihn sogar. Die buddhisti-

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02.12.00

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Alexandra David-Neel. (Bild Samten-Dzong, Fondation A. David-Neel)

Neue Zürcher Zeitung vom 02.12.2000

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