Motivallianzen als Treiber des nachhaltigen Konsums

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Marketingmanagement

Marketing Review St. Gallen 4-2008

Das Angebot nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen ist aus unternehmerischer Perspektive nur dann sinnvoll, wenn es eine entsprechende Nachfrage erzeugt. Diese lediglich über eine ökologische oder sozialfreundliche Produkt-positionierung zu stimulieren hieße, wesentliche Marktchancen ungenutzt zu lassen. Es gilt konventionelle Bedürfnisse des Kunden mit Umwelt- oder Sozialaspekten zu verknüpfen. Die dazu notwendige ganzheitliche und differenzierte Charakterisierung des Verbrauchers kann über eine Ermittlung von Lebensstilsegmenten erreicht werden.

Im Rahmen der Klimawandeldebatte wird seit eineinhalb Jahren aus verschiedenen

Gesellschaftsbereichen erneut eine Forcie-rung des umweltfreundlichen Konsums ge-fordert. Einerseits ergreift der Gesetzgeber durch die Festlegung von städtischen Um-weltzonen oder die Förderung des Umstiegs auf alternative Energieträger die Initiative, das Konsumverhalten durch Auflagen, An-reize und Abgaben zu beeinflussen. Anderer-seits wird mehr eigenverantwortliches Han-deln der Bundesbürger erwartet. Eine Refle-xion theoretischer und empirischer Erkenntnisse zum Umwelt- und Ökomarke-ting zeigt seit Anfang der 80er Jahre, dass ei-ne deutliche Lücke zwischen Problembe-wusstsein und Handlungskonsequenzen be-

steht, wenn es um die Berücksichtigung umweltbezogener und sozialer Anforde-rungen im Konsumverhalten geht (zum Bei-spiel Monhemius 1993, S. 184 f.; BMU 2006, S. 14, 64; Bruhn/Kirchgeorg 2007, S. 94). Dieses Problem haben Unternehmen zu spü-ren bekommen, die Produkt- und Positionie-rungskonzepte allein auf umweltbewusste Segmente ausgerichtet haben. Der Anteil der umweltbewussten Konsumenten spiegelte sich nicht in den Marktanteilsentwicklungen der Anbieter wider. Öko-Marken verküm-merten in der Öko-Nische oder waren in ih-ren Wachstumspfaden begrenzt. Bereits An-fang der 90er Jahre haben Öko-Kollektionen den Bekleidungsmarkt zu erobern versucht. Allerdings konnten diese Textilien im bie-

deren „Öko-Look“ Handel und Konsumenten nicht überzeugen. Heute setzen Hersteller und Handelkonzerne wie H&M und C&A er-folgreich auf modische Kollektionen, die al-len Anforderungen an Öko-Textilien gerecht werden. Die Verbindung von modischem Outfit mit Nachhaltigkeitsanforderungen fin-det eine weite Marktakzeptanz. Diese Er-kenntnisse bestätigen, dass die Adressierung von Motivallianzen einen Ausweg aus der Ni-schenpositionierung ermöglicht, das heißt umweltbezogene und soziale Anforderungen werden mit den traditionellen Bedürfnissen und Motiven der Konsumenten verknüpft. Allerdings stellt hierzu die holistische und mehrdimensionale Analyse von Kundenseg-menten eine zentrale Voraussetzung dar. In

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Manfred Kirchgeorg | Gunther Greven

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diesem Zusammenhang haben Lebensstilty-pologien in der Marketingforschung und im Marketingmanagement in den letzten zwei Jahrzehnten eine besondere Verbreitung erfahren. Im Folgenden soll der Frage nach-gegangen werden, inwieweit Lebensstiltypo-logien einen Beitrag dazu leisten können, spezifische Erkenntnisse über nachhaltig-keitsorientierte Konsumstile sowie Positio-nierungsoptionen abzuleiten.

Bestehende Lebensstiltypologien im Vergleich

Lebensstile kennzeichnen menschliche Le-bensschemata anhand subjektiver Gestal-tungsfaktoren (zum Beispiel Bildung, Motiva-tion, Geschmack) sowie Gestaltungsmöglich-keiten aufgrund der sozialen Lage (Wiswede 2000, S. 50 f.). Angesichts des Bedeutungsver-lusts klassischer sozialer Koordinaten wie Schichten, Normen und Rollen gewann das Lebensstilkonzept in den 80er Jahren an Rele-vanz, da es in der Lage ist, unter Einbeziehung der dominanten subjektiven Gestaltungsfak-toren die unterschiedlichen Verteilungen von Stilisierungschancen und -willen in einer Ge-sellschaft darzustellen (ebd.).

Dieses Segmentierungskonzept birgt je-doch Schwächen und Schwierigkeiten in sich. Die Definition des Begriffs und so auch seine Anwendung ist uneinheitlich. Es besteht großer Interpretationsspielraum hinsichtlich wesentlicher Fragen, zum Beispiel nach den konstituierenden und beschreibenden Vari-ablen der Stile. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Aussagekraft der Typologien hin-sichtlich des Konsumverhaltens. Nicht alle Typologien beleuchten den Konsum in einer Form, die direkte Schlüsse für die Marktbear-beitung zulässt. Mit Blick auf die Identifikati-on von nachhaltigen Konsumstilen ist es je-doch notwendig, insbesondere die in diesem Kontext besonders relevanten Konsumfelder Bauen und Wohnen, Ernährung sowie Mobi-lität (Lorek 2003, S. 223) zu berücksichtigen.

Unter Berücksichtigung der oben aufge-zeigten Problemfelder sollen nun verschie-dene Profilierungsoptionen zur Förderung des nachhaltigen Konsums diskutiert werden. Der Begriff des nachhaltigen Konsums im weiteren Sinn umfasst Konsumhandlungen, die zu einer Verringerung sozial-ökologischer

Problemlagen beitragen, ohne neue Probleme zu erzeugen. Demnach wird bereits eine rela-tive Verbesserung im Vergleich zum Status quo als nachhaltiger Konsum bezeichnet (zur Differenzierung zwischen nachhaltigem Kon-sum im eigentlichen Sinn und im weiteren Sinn Belz/Bilharz 2007, S. 27 ff.). Zur Ermitt-lung von Bevölkerungsgruppen mit unter-schiedlich nachhaltigem Konsumverhalten werden im Folgenden bestehende Lebensstil-typologien anhand einer Meta-Analyse ver-glichen. Dabei sollen die zu untersuchenden Ansätze als Segmentierungsvariablen alle nachhaltigkeitsrelevanten Konsumbereiche enthalten, und so Rückschlüsse auf die Nach-haltigkeitsorientierung von Lebensstilen er-möglichen.

Als für die Analyse geeignete Ansätze wur-den die Typologien von Empacher/Götz/Schultz (2002) sowie von Kleinhückelkotten (2005) ausgewählt. Beide betrachten Lebens-stile mit besonderem Augenmerk auf nach-haltige Konsummuster, wählen jedoch eine unterschiedliche Methodik. Kleinhückelkot-ten (Ansatz 1) verwendet als Grundlage ihres Ansatzes die bestehende Sinus-Typologie. Diese definiert die einzelnen Lebensstile auf-grund ihrer sozialen Lage und Orientie-rungen. Nachhaltigkeitsbezogene Einstellun-gen sowie Daten zum beobachtbaren Konsumverhalten ergänzt die Autorin aus Untersuchungen Dritter, die ebenfalls auf Ba-sis der Sinus-Milieus erarbeitet wurden. Em-pacher et al. (Ansatz 2) erstellen hingegen ei-

ne vollständig neue Typologie auf Basis eige-ner Erhebungen. Im Ergebnis identifizieren beide Ansätze jeweils zehn Lebensstile. (siehe Abbildung 1).

Verbesserungspotenziale in allen Bevölkerungsgruppen

In einem qualitativen Vergleich der beiden Typologien mit besonderem Augenmerk auf die Charakterisierungen der einzelnen Le-bensstile zeigen sich, trotz der erwähnten me-thodischen Differenzen, Parallelen: Zunächst gelingt es keinem der Ansätze, ein Milieu konsequent nachhaltig agierender Konsu-menten zu identifizieren. Daraus lässt sich schließen, dass über alle Bevölkerungsgrup-pen hinweg Verbesserungspotenziale für den nachhaltigen Konsum existieren. Das Ergeb-nis verdeutlicht ebenfalls die Notwendigkeit einer differenzierten Marktbearbeitung zur Realisierung dieser Potenziale. Darüber hin-aus werden in beiden Ansätzen einzelne Kon-sumstile je nach Anschlussfähigkeit an das Nachhaltigkeitskonzept und basierend auf Ähnlichkeiten in den vorherrschenden Motiv-allianzen in jeweils vier übergeordnete Ziel-gruppen unterschiedlicher Nachhaltigkeitsaf-finitäten eingeteilt (Empacher et al. 2002, S. 136; Kleinhückelkotten 2005, S. 159 f.). Deut-liche Parallelen zwischen diesen Gruppenein-teilungen erlauben eine Fusion der Ergeb-nisse beider Ansätze aufgrund sorgfältiger,

Abb. 1 Lebensstileinteilungen nach Kleinhückelkotten und Empacher et al.

Lebensstile nach Ansatz 1(Kleinhückelkotten, 2005)

Lebensstile nach Ansatz 2(Empacher et al., 2002)

Postmaterialisten Die durchorganisierten Ökofamilien

Moderne Performer Die kinderlosen Berufsorientierten

Hedonisten Die jungen Desinteressierten

Experimentalisten Die Alltagskreativen

DDR-Nostalgische Die Konsumgenervten

Traditionsverwurzelte Die Ländlich-Traditionellen

Konsum-Materialisten Die schlecht gestellten Überforderten

Bürgerliche Mitte Die unauffälligen Familien

Konservative Die aktiven Seniorinnen und Senioren

Etablierte Die statusorientierten Privilegierten

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qualitativer Vergleiche der Zielgruppencha-rakteristika sowie der Identifikation von Schnittmengen nach dem Vorbild von Gieg-ler (1994, S. 269 f.; siehe Abbildung 2). In Ab-bildung 3 werden die resultierenden Ziel-gruppen jeweils kurz beschrieben.

Aktive, Aktivierbare und Passive richtig ansprechen

Um mögliche Wege zur Förderung nachhal-tigen Konsums in den einzelnen Segmenten abzuleiten, ist ein theoretisches Verständnis nachhaltiger Konsumhandlungen nötig. Letz-tere können als konative Dimension eines so genannten „sozialen Bewusstseins“ verstan-den werden. Weitere Komponenten dieses Konstrukts sind eine Wissensdimension (ko-gnitiv) und eine Einstellungsdimension im eigentlichen Sinn (affektiv) (Bruhn 1978, S. 48 ff.; Bruhn/Kirchgeorg 2007, S. 91). Nach Littig basiert umweltbewusstes Handeln auf den Wissens- und Einstellungskomponenten: Der Konsument muss einerseits um die Um-weltverträglichkeit einzelner Handlungen wis-sen und zu ihrer Durchführung in der Lage sein. Die umweltbewusste Einstellung, der An-spruch umweltbewusst handeln zu wollen, wird andererseits als motivierendes Moment der Handlung verstanden (Littig 1995, S. 78 f.).

Eine derartige Beziehung zwischen den ein-zelnen Dimensionen erscheint plausibel, ist jedoch nicht verallgemeinerbar. So kann der Konsument sehr wohl nachhaltig handeln, ohne eine entsprechende Motivation zu besit-zen bzw. um die ökologisch-sozialen Auswir-kungen seines Verhaltens zu wissen (Bruhn/Kirchgeorg 2007, S. 94). Dies ist relevant für Zielgruppen, die den Nachhaltigkeitsaspekt

ignorieren oder ablehnen. Umgekehrt rei-chen Wissen und eine nachhaltigkeitsorien-tierte Einstellung alleine in der Regel nicht aus, um erwünschtes Handeln hervorzuru-fen, da das Konstrukt in Konkurrenz mit zahlreichen anderen Motiven steht, die nach-haltiges Verhalten hemmen (zum Beispiel der Hang zu bequemem Konsum) (Littig 1995, S. 120; Empacher et al. 2002, S. 96). Im Ge-

Abb. 3 Charakterisierung der Konsumsegmente

Segment Charakterisierung

Nachhaltigkeitsorientiertes Segment • Verinnerlichung nachhaltiger Prinzipien• Empfänglichkeit für ideologische Hintergründe• Zumindest partielle Umsetzung der Prinzipien in

Alltagshandeln• I.d.R. hohe Ressourcenausstattung

Statusorientiertes Segment • Ökonomischer Erfolg• Aufgeschlossenheit für ökologische und ethische Fragen• Nachfrage nach hoher Qualität• Kein Verzicht auf erreichtes Konsumniveau• Durchgehend hohe Ressourcenausstattung

Traditionelles Segment • Sparsame, bescheidene Grundeinstellung• Orientierung an Gesundheit und regionalem Konsum–> Unbewusste Umsetzung nachhaltiger Prinzipien

Materialistisches Segment • Fehlendes Interesse für Ökologie• Ausgeprägte Konsumorientierung• Geringe Ressourcenausstattung

Abb. 2 Fusion der Lebensstiltypologien

* Anteil an der deutschen Bevölkerung (vgl. Sinus-Sociovision 2007, S. 9) ** Die Bürgerliche Mitte ist in allen Zielgruppen vertreten

Postmaterielle (10%*)

Experimentelle (8%)

Moderne Performer (10%)

Etablierte (10%)

Konservative (5%)

Traditionalisten (14%)

DDR-Nostalgische (5%)

Konsum-Materialisten (12%)

Hedonisten (11%)

Bürgerliche Mitte** (15%)

Durchorganisierte Ökofamilien

Alltagskreative

Kinderlose Berufsorientierte

Statusorientierte Privilegierte

Ländlich-Traditionelle

Unauffällige Familien

Aktive SeniorInnen

Junge Desinteressierte

Konsumgenervte

Schlecht gestellte Überforderte

Zielgruppe 1Nachhaltigkeits­

orientierteUmwelt­

orientierte

Zielgruppe 2Status­

orientiertePrivilegierte

Zielgruppe 3 Traditionelle Traditionelle

Zielgruppe 4 Materialisten Überforderte

Ansatz 1 (Kleinhückelkotten) Ansatz 2 (Empacher et al.)

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genzug können nachhaltigkeitskompatible Motive wie „Erhaltung der Gesundheit“ oder „Langlebigkeit von Produkten“ jedoch auch in Allianz zu vorhandenen sozial-ökolo-gischen Einstellungen treten bzw. diese sogar ersetzen, um so die Voraussetzungen für nachhaltigen Konsum in breiteren Bevölke-rungsschichten zu schaffen (Schäfer 2003, S. 64; Meffert/Kirchgeorg 1998, S. 283).

Ob die Ansprache einer Zielgruppe über das Nachhaltigkeitsbewusstsein zur Induk-tion nachhaltigen Verhaltens ausreichend ist oder ob sogenannte Motivallianzen hin-zugezogen werden müssen, hängt letztend-lich von der abgeleiteten Nachhaltigkeits-orientierung und der sozialen Lage der Kon-sumenten ab. Belz stellt eine Einteilung auf, nach der sich Konsumenten grob unter-scheiden lassen in sozial-ökologisch Aktive, Aktivierbare und Passive (Belz 2001, S. 79). Während die Akzeptanz von Mehrkosten nachhaltiger Produkte bei den Aktiven durch eine besondere Naturverbundenheit und einem damit verbundenen Umweltnut-zen möglich ist, wird dies in den weniger nachhaltigkeitsaffinen Gruppen schwieriger bis unmög-lich. Hier müssen Motivallianzen herangezogen werden, um nach-haltiges Verhalten zu verstärken bzw. zu erzeugen. Ansatzpunkte hierfür können über die in Abbildung 3 gekenn-zeichneten nachhaltigkeitsorientierten Le-bensstilsegmente abgeleitet werden.

Möglichkeiten zur Beeinflussung der Lebensstilsegmente

Das Segment der Nachhaltigkeitsorientierten ist als sozial-ökologisch aktiv zu bezeichnen. Seine Mitglieder sind offen für neue ökolo-gische Konzepte wie Car-Sharing (Nutzen-statt-Haben-Prinzip). Auch eine nachhaltige Positionierung konventioneller Produkte ist als Erfolg versprechend zu betrachten. Ein Hindernis für die volle Ausschöpfung des Nachhaltigkeitspotenzials ist der hohe Fami-lienanteil im Segment, der in Verbindung mit der Gleichberechtigung aller Haushaltsmit-glieder eine effiziente Organisation des All-tags erfordert. Daher müssen sich nachhaltige Produkte nahtlos in den Tagesablauf integrie-ren lassen. Hier ist ein großes Potenzial für

Bio-Convenience-Produkte zu sehen. Auf-grund der guten Ressourcenausstattung ist das Segment überwiegend in der Lage und willens, nachhaltigkeitsbedingte Preisauf-schläge zu bezahlen. Dafür informiert es sich genau über die konsumierten Produkte und verlangt nachhaltige Prozesse auch in der Lie-ferkette. Hier ist, ein entsprechendes Wettbe-werbsumfeld vorausgesetzt, ein Differenzie-rungspotenzial für Unternehmen zu erken-nen. Die Ansprache dieses Segmentes ist primär über argumentativ-informative Kom-munikation vorzunehmen, aber auch über moralische Appelle. Eine Verbindung von Nachhaltigkeit und weiteren Motiven ist nicht nötig, aber unter Umständen hilfreich. Ferner können Mitglieder des Segments aufgrund ihres großen Engagements und der überwie-genden Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Leitmilieus als Kommunikationssubjekte und Multiplikatoren aktiviert werden.

Das statusorientierte Segment ist stark be-sitzorientiert und damit weniger aufgeschlos-sen für nutzenorientierte Produktkonzepte. Es

legt jedoch hohen Wert auf ebenfalls nachhal-tigkeitsrelevante Dimensionen konventioneller Produkte: So kann die Orientierung des Pro-duktdesigns an Langlebigkeit und Reparatur-fähigkeit bei gleichzeitig hohem ästhetischem Wert (Prestige) und überzeugender Funktio-nalität als sinnvolle Kombination des Statusan-spruchs mit Nachhaltigkeitsaspekten gesehen werden. Die Empfänglichkeit des Segments für technische Innovationen macht auch einen stärkeren Einsatz von ressourceneffizienten Technologien denkbar. Angesichts einer Ab-grenzung von so genannten „Öko-Milieus“ sowie der Ablehnung einer Öko-Ideologie erscheint eine explizite nachhaltige Produkt-positionierung jedoch wenig Erfolg ver-sprechend.

Als sozial-ökologisch aktivierbare Grup-pe sind die Statusorientierten laut Belz am besten durch emotional-argumentative Kommunikation ansprechbar (Belz 2001, S. 88 f.). Anschlussfähig ist eine Thematisie-rung der gesellschaftlichen Verantwortung, in der sich die Statusorientierten durchaus

sehen. Hierbei kann es sowohl um die heu-tige Gesellschaft (eher sozialer Fokus) als auch um künftige Generationen gehen (eher ökologischer Fokus). In jedem Fall sind die Motivallianzen mit Langlebigkeit, Gesund-heit oder Prestige, teilweise auch mit Erleb-nis zu betonen. Eine hohe Beratungsaffinität bietet darüber hinaus gute Anknüpfungs-punkte zur Sensibilisierung am Point of Sale. Verfolgt man die erfolgreiche Positionierung der Marke „Frosch“ im Reinigungsmarkt seit den 80er Jahren, so wird deutlich, wie durch eine schrittweise Erweiterung der Positio-nierung (Umweltverträglichkeit verbunden mit Lebenslust, Lebensqualität und Haut-verträglichkeit) sowohl nachhaltigkeitsori-entierte als auch statusorientierte Segmente angesprochen werden können (u. a. Meffert/ Kirchgeorg 1998, S. 597 ff.).

Im Traditionellen-Segment führen Werte wie Sparsamkeit und Genügsamkeit von vorneherein zu einem niedrigen Ressourcen-verbrauch. Eine weitere Optimierung er-scheint schwierig, da Ethik- und Öko-Be-

wusstsein nur sporadisch vorhan-den sind. Weiterhin verhindert eine starke Innovationsresistenz die Akzeptanz technischer Neue-rungen, außer sie führen zu nied-rigeren Betriebskosten. Hier findet

sich ein Anknüpfungspunkt für spezielle Be-ratungsleistungen. Weitere nachhaltigkeits-bezogene Motivallianzen sind in starken Ori-entierungen an Haltbarkeit und Regionalität zu sehen, die jedoch heute schon gelebt wer-den und deshalb kaum noch Verbesserungs-potenzial bergen dürften.

Die starke Preisorientierung verbietet eine Verteuerung von Produkten aufgrund von nachhaltigkeitsbezogenen Modifikationen. Jedoch schaffen auch die übrigen Motive in diesem Segment kaum Preisspielräume. Wei-terhin ist ein hoher Distributionsgrad für das Segment essenziell, da kaum Umwege für spezielle Produkte gemacht werden.

In der Kommunikation sollte Wert auf Glaubwürdigkeit und leichte Verständlichkeit gelegt werden (zum Beispiel durch Labelling). Die übermäßige Betonung des Umweltaspekts ist zu vermeiden, da der Öko-Ideologie teilwei-se mit Misstrauen begegnet wird. Es kann je-doch versucht werden, durch eine emotionale Ansprache situatives Umwelt-Involvement zu schaffen (Schrader 2005, S. 68 f.).

„Appelle an das Umweltbewusstsein zeigen nur in einzelnen Bereichen Wirkung, in

anderen verhallen sie ungehört oder wirken sogar kontraproduktiv.“

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Die Mitglieder des materialistischen Seg-ments unterliegen starken finanziellen Restrik-tionen. Kurzlebige und preisgünstige Güter dominieren den Konsum. Demnach beschrän-ken sich produktpolitische Handlungsspiel-räume auf Optimierungen, die sich nicht im Preis niederschlagen. Da die Materialisten nicht an ökologischen oder ethischen Themen interessiert sind bzw. diese sogar ablehnen (so-zial-ökologisch passiv), sollte auf eine Profilie-rung nachhaltiger Attribute verzichtet werden. Weiterhin dürfen produktpolitische Maßnah-men die Funktionalität der Produkte nicht be-einträchtigen. Auch hinsichtlich motivisch al-liierter Themen wie Gesundheit oder Qualität findet sich kaum ein Anknüpfungspunkt, da diese für das Segment von nachrangiger Be-deutung sind.

Distributionspolitisch kann eine nachhal-tigkeitsorientierte Optimierung der Logistik die Nachhaltigkeitsbilanz des Segments ver-bessern, ohne es mit der Thematik zu kon-frontieren. Höhere Kosten lassen sich jedoch nicht auf die Kunden überwälzen.

In der Kommunikation erscheint es viel versprechend, Mitglieder des Segments kon-kret auf Kombinationsmöglichkeiten von Sparsamkeit und umweltfreundlichem Ver-halten hinzuweisen (zum Beispiel ÖPNV-Angebote oder Strom sparendes Verhalten). Dabei sollte aus oben angeführten Gründen ausschließlich die Sparmöglichkeit themati-siert werden. Abseits der Motivallianz Spar-

samkeit können natürlich auch die jeweils so-zial- oder umweltfreundlichsten, nicht unter besonderem Nachhaltigkeitsfokus optimier-ten Produkte des günstigen Preisniveaus be-vorzugt beworben werden. Auf Makroebene kann eine langfristige Beeinflussung anderer, trendsetzender Milieus hin zu nachhaltigem Konsum ebenfalls zu positiven Effekten im materialistischen Segment führen.

Konsumbezogene Nachhaltigkeitsbilanz deutlich verbessern

Zusammenfassend zeigt die Abbildung 4 die zielgruppenbezogenen Positionierungsopti-onen zur Förderung nachhaltiger Konsumsti-le im Überblick. In Abhängigkeit vom Bran-chen-, Wettbewerbs- und Unternehmens-kontext sind diese Optionen entsprechend auszugestalten. Deutlich wird jedoch, dass in der gesamten deutschen Bevölkerung Poten-ziale bestehen, durch deren Ausschöpfung sich die konsumbezogene Nachhaltigkeitsbi-lanz deutlich verbessern lässt. Weiterhin wird erkennbar, dass Appelle an das Umweltbe-wusstsein nur in einzelnen Bereichen Wir-kung zeigen, in anderen jedoch ungehört ver-hallen oder sogar kontraproduktiv wirken. Positionierungsstrategien, die durch segment-spezifische Motivallianzen auf die Bedürf-nisse verschiedener Zielgruppensegmente ausgerichtet sind und nachhaltige Konsum-

stile unterstützen, können sowohl zur Wett-bewerbsprofilierung als auch zur Verbreitung entsprechender Konsumstile einen wesent-lichen Beitrag leisten.

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Giegler, H. (1994): Lebensstile in Hamburg, in: Dangschat, J./Blasius, J. (Hrsg.): Lebensstile in

Abb. 4 Zielgruppenbezogene Förderung nachhaltiger Konsumstile

Preisspielraum

Nicht wahrnehmbare ProduktoptimierungWahrnehmbare Produktoptimierung

Neue Produktkonzepte

Nachhaltigkeitsorientierte Statusorientierte Traditionelle Materialisten

Positionierung via NachhaltigkeitMotivallianzen unterstützend

Positionierung via MotivallianzenNachhaltigkeit unterstützend

Positionierung via klassische Preis­Leistung

Motivallianzen unterstützend

Positionierung via klassische

Preis­Leistung

Positionierungsoptionen Zielgruppen

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Prof. Dr. Manfred KirchgeorgInhaber des Lehrstuhls Marketingmanage-ment der HHL – Leipzig Graduate School of Management E-Mail: manfred.kirchgeorg@hhl.de

Dipl.-Kfm. Gunther GrevenWissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr-stuhl Marketingmanagement der HHL – Leipzig Graduate School of Management E-Mail: gunther.greven@hhl.de

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