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WISSEN TECHNIK · FORSCHUNG · UMWELT · MENSCH

ZAHL DES TAGES

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DIE RHEINPFALZ AM SONNTAG . , SEITE

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Klare Worte. Das ist das Dingvon Heino Stöver. Der Pro-fessor für sozialwissen-schaftliche Suchtforschung

an der Frankfurt University of AppliedSciences veröffentlicht seit Jahrenmit seinen Kollegen Bernd Werse undGerrit Kamphausen den AlternativenDrogen- und Suchtbericht. „In punctolegaler Drogen ist Deutschland einEntwicklungsland“, ärgert sich Stö-ver. Zu viele wichtige Themen wür-den von der Bundesregierung teilwei-se oder komplett vernachlässigt.

In der aktuellen Ausgabe bestreitenStöver und seine Mitautoren, dass dieRauschgiftkriminalität angestiegenist, wie das offizielle Lagebild desBundeskriminalamts nahelegt. Vonden 330.580 erfassten Delikten, gehees in 77 Prozent der Fälle um Mengen,die überwiegend zum Eigenbedarfbestimmt seien. So werde die Krimi-nalisierung der Konsumenten fortge-schrieben. Demgegenüber habe esbeinahe keinen Anstieg bei den ei-gentlichen kriminellen Machenschaf-ten gegeben wie die Einfuhr, denSchmuggel und gewerbsmäßigenHandel mit illegalen Substanzen.

Dass die Rauschgiftdelikte in derStatistik zugelegt haben, geht vor al-lem auf vermehrte Polizeieinsätze zu-rück, wie der Alternative Drogenbe-richt anhand der Großstädte Frank-furt oder Hamburg schildert. Hierwerde in den Stadtzentren immer öf-ter Wohnraum luxussaniert, die ge-wachsene Bevölkerungsstruktur zer-stört und den neuen Eigentümern ei-ne sichere Umgebung suggeriert, in-dem man die einschlägige Szene ver-dränge, die bislang zum Straßenbildgehörte und toleriert wurde.

Geschätzte 74.000 Alkohol- und110.000 Tabaktote stehen 1200 Men-schen gegenüber, die jährlich durchverbotene Drogen umkommen – inder Hälfte der Fälle wegen einer Über-dosis Heroin oder anderer Opioide,rechnet der Frankfurter Bericht vor.

In erster Linie ist es der Kampf vonPolizei und Justiz gegen den weit ver-breiteten Cannabiskonsum, den Stö-ver und seine Kollegen im Visier ha-ben. Rund 3 Millionen Erwachsene in

der Bundesrepublik – in der Regel un-bescholtene Bürger – nehmen min-destens einmal im Jahr Marihuanaaus Genussgründen zu sich. Nicht nurähnele das Vorgehen des Staates ei-nem Kampf gegen Windmühlen, dervon der gesellschaftlichen Realitätlängst überholt worden sei. Er trageaußerdem dazu bei, dass sich derSchwarzmarkt und seine Strukturenbehaupten könnten. Und es sei ge-fährlich für die Nutzer, warnen dieAutoren: Man wisse nie, welcherWirkstoffcocktail in dem Gras lauert,das man beim Dealer kauft.

So hat eine ganze Reihe von Studienin den vergangenen Jahren gezeigt,dass Marihuana über 100 Cannabi-noide enthält. Zuvor konzentriertesich die Forschung lange auf dieHauptkomponente THC, Tetrahydro-cannabinol. Seit Kurzem rückt abervor allem Cannabidiol (CBD) in denVordergrund. Es ist eine Art Gegen-

Das neue ReinheitsgebotMarihuana ist zur Alltagsdrogegeworden. Das Gras wird immerstärker, was das Suchtrisiko erhöht.Um Schlimmeres zu verhüten,sollte der Staat den Anbaulegalisieren und kontrollieren undnicht länger den Eigenbedarfkriminalisieren, fordern Forscher.Von Christian Gruber

spieler des THC: Während das THCGefühlsreize herunterdimmt und diePsyche verändert, weil sich Hirn-strukturen anpassen und Gedächtnis-inhalte entstehen, die auf das Ganzezurückwirken und sich nicht wiederrückgängig machen lassen, regt CBDdie emotionale Verarbeitung an unddämpft Ängste, wie Experimente be-legen. Vor allem THC steht in Ver-dacht, bei einigen eine Sucht auszulö-sen. CBD dagegen kann offenbar einergrößeren Abhängigkeit entgegenwir-ken und wurde auch schon in der The-rapie eingesetzt, zum Beispiel bei Al-koholkranken.

Der Hanf für den Hausgebrauchsollte also das richtige Mischungsver-hältnis von THC und CBD haben. Dasempfiehlt unter anderem ein vomBundesgesundheitsministerium fi-nanzierter Kurzbericht. Das Problemist: „Konsumierende in Deutschlandkönnen aufgrund des rechtlichen Ver-

bots kaum Informationen über denGehalt verschiedener Cannabinoidein ihrem Produkt ziehen“, stellt derFrankfurter Drogenbericht fest. Viel-mehr seien sie stark abhängig vondem, was auf dem Schwarzmarkt zu-fällig angeboten wird.

Ein Glücksspiel: Wie wissenschaft-liche Stichproben dokumentieren,steigt der THC-Gehalt in Marihuanaseit Jahrzehnten weltweit kontinuier-lich an, während der CBD-Gehalt ehergleich bleibt. Das heißt, das Risiko füreine Sucht und für psychische Proble-me wächst wahrscheinlich. Verlässli-che Daten, wie die Veränderung desCannabis mit dem Einstiegsalter undder Stärke und Dauer des Konsumszusammenhängen, fehlen. Das be-tont ein Bericht an die Expertenkom-mission der WHO. Hier braucht esForschung.

Etwas ändern an der Situationkönnte nur ein Art Reinheitsgebot für

Marihuana. Und das bedeutet: Legali-sierung und staatliche Kontrolle desVerkaufs. Wie so etwas aussieht,macht Kanada vor, das sich im Mo-ment auf den regulierten Handel mitCannabis zum Freizeitgebrauch vor-bereitet. Das Risiko für eine Marihua-na-Abhängigkeit, argumentiert dieRegierung in Ottawa, sei geringer alsdie Wahrscheinlichkeit einer Alko-hol-, Tabak- oder Opioid-Abhängig-keit. Zudem sei keine tödliche Über-dosis für Marihuana bekannt.

In Kanada gibt es über 100 lizen-sierte Produzenten, die ihre Canna-bis-Erzeugnisse an knapp 270.000 re-gistrierte Patienten per Post verschi-cken – zu medizinischen Zwecken.Ähnlich könnte das System auch fürden legalen Hausgebrauch aussehen.

Der Cannabis Act erlaubt den An-bau von maximal vier Pflanzen in deneigenen Wänden für den Eigenver-brauch, die allerdings nicht weiter-

verkauft werden dürfen. Das überden staatlich kontrollierten Versand-handel oder über spezielle Geschäftevertriebene Genuss-Marihuana sollähnlich viel kosten wie auf demSchwarzmarkt, um einerseits die ille-galen Kanäle trockenzulegen und an-dererseits das Verbreiten der Drogennicht weiter anzukurbeln.

Dass dieses Kalkül aufgeht, schei-nen erste Erfahrungen in den US-Bun-desstaaten Washington und Coloradozu belegen, wo Cannabis vor einigerZeit legalisiert wurde: Die Konsumra-ten sind zwar leicht geklettert, liegenaber im allgemeinen US-Trend – ob-wohl im Rest der Vereinigten StaatenMarihuana noch immer verboten ist.Wie Schülerbefragungen zeigen, istaber auch dort ohne weiteres an Grasheranzukommen.

Hauptsächlich probieren Amerika-ner, die älter als 26 Jahre sind und bis-her auf Hanf verzichtet haben, das le-gale Cannabis, allerdings auch einkleiner Prozentsatz der 12- bis 17-Jäh-rigen. Sie schlüpfen irgendwie durchdie Maschen, denn eigentlich wirddas Alter der Kunden vor der Abgabekontrolliert, um Minderjährige zuschützen. Rückläufig ist der Konsumbei den 18- bis 25-Jährigen. Unabhän-gig davon zeigen die Statistiken, dassder Gebrauch von Marihuana in deneinzelnen US-Bundesstaaten undLandkreisen höchst unterschiedlichist, egal ob die Droge dort erlaubtwurde oder nicht.

Ob man das amerikanische Experi-ment schon heute als Erfolg wertenkann, bezweifelt der SuchtforscherWolfgang Sommer vom ZI Mann-heim. Dafür sei der Zeitraum einfachzu kurz. „Und gerade die Erfahrungenin Holland haben gezeigt, dass mansich dort noch ganz andere Problemeeingefangen hat mit härteren Dro-gen.“ Die Legalisierung von Marihua-na stoße außerdem auf ganz prakti-sche Schwierigkeiten, gibt Sommerzu bedenken. So lasse sich beim Alko-hol die Fahrtüchtigkeit wegen derkonstanten Abbaurate mit juristi-schen Grenzwerten ganz gut abschät-zen. Beim THC dagegen, das über Tageim Körper bleibe, sei das im Momentnicht möglich.

Hinzu kommt, dass niemand wisse,wie das optimale Mischungsverhält-nis für die Substanzen THC und CBDim Cannabis aussehe, was eine staat-lich kontrollierte Marihuana-Abgabeerschwere. Auch hier braucht es nochForschung. Sommer: „Die meistenKonsumenten suchen schon nach denhöheren THC-Gehalten, um einenKick zu bekommen. Die Produzentenhaben sich dem durch die entspre-chenden Züchtungen angepasst undbis zu 4-fach erhöhte THC-Werte her-vorgebracht.“

Trotzdem ist auch Sommer über-zeugt, dass eine Legalisierung denSchwarzmarkt weitgehend lahmle-gen und der Großteil der Cannabis-nutzer sich mit dem zufrieden gebenwürde, was dann offiziell angebotenwird. Insgesamt schließt sich derstellvertretende wissenschaftlicheDirektor der Psychopharmakologieam Mannheimer ZI den Schlussfolge-rungen der Frankfurter Kollegen an.

„Wenn man bedenkt, dass 80 bis 90Prozent der jungen Erwachsenen undder Erwachsenen in Deutschland Al-kohol trinken und davon 10 bis 15Prozent abhängig werden mit Men-gen, die bei den Männern 60 bis 100Gramm am Tag erreichen, dann ist dieAlkoholsucht sicher das massivereProblem in dieser Gesellschaft“,meint Sommer. „Krebskranke haben– alle Krebsarten zusammengenom-men – eine verringerte Lebenserwar-tung um zehn Jahre“, so der Forscher.„Bei Vieltrinkern sind es 22 Jahre. ObCannabis das Leben verkürzt, darüberwissen wir zu wenig.“

Name: rws__wiss. Erstellt von: gruberc PDF erstellt 07.09.2018 15:15:47 DLayName: gch_hanfAusgabe ras-ws Ressort wiss () Erscheint am , .

MISCHUNGTHC und CBD sind diewichtigsten Wirkstoffeim Cannabis: THC stehtim Verdacht, die Psychezu verändern und dieSuchtgefahr zu erhö-hen, CBD wirkt offen-bar angstlösend undkann einer größerenAbhängigkeit entge-genwirken. Der Hanffür den Hausgebrauchsollte also das richtigeMischungsverhältnisvon THC und CBDhaben, fordern Wissen-schaftler. Das Problem:Auf dem deutschenSchwarzmarkt weißkeiner, was er beimDealer bekommt.

FOTO: IMAGO

Geschätzte 3 MillionenMarihuana-Nutzer gibt esin Deutschland – die meis-ten unbescholtene Bürger.

74 000 Alkoholtote stehen1200 Menschen gegen-über, die jährlich durchverbotene Drogen sterben.

Erlaubter Hanfanbau kannden Schwarzmarkt aus-trocknen. Polizeieinsätzekönnen das nicht.

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