View
214
Download
0
Category
Preview:
Citation preview
Theorie und Empirie desArbeitsmarktes
Wintersemester 2017/18
Inhaltsverzeichnis
1 Einfuhrung 1
1.1 Einige Besonderheiten von Arbeitsmarkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Fakten und Trends zu Lohndifferenzen, Erwerbsbeteiligung, Beschaftigung, Arbeitslosigkeit undaktiver und passiver Arbeitsmarktpolitik in den vergangenen Jahrzehnten . . . . . . . . . . . . . 3
1.3 Ausgewahlte Themen der Arbeitsmarktforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.4 Empirische Arbeitsmarktforschung und Mikrodaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2 Lohnunterschiede 17
2.1 Einfuhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.2 Humankapitaltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
2.3 Signalling-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
2.4 On-the-Job Search- und Matching-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.4.1 On-the-Job Search (Burdett, 1978): . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
2.4.2 Matching-Theorie (Jovanovic, 1979): . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
2.5 Diskriminierung am Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.5.1 Praferenzorientierte Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.5.2 Statistische Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.5.3 Institutionelle Theorien - Dualer Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2.5.4 Wie kann Lohndiskriminierung gemessen werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.6 Empirische Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2.6.1 Krueger and Pischke, 1992: Wage differential between Women and Men in East and WestGermany (1988) and the US (1989) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.6.2 Card, 1994: Using Geographic Variation in College Proximity to Estimate the Return toSchooling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
3 Arbeitsangebot 40
3.1 Einfuhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
3.2 Das Grundmodell des individuellen Arbeitsangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3.3 Arbeitsangebot und Anreizeffekte der Steuer- und Transfersysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.3.1 Progressive Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
i
INHALTSVERZEICHNIS
3.3.2 Versicherungsbedingte Transferleistungen fur temporare oder permanente Arbeitsunfahig-keit und bei Entlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
3.3.3 Transferleistungen nach Bedurftigkeitsprufung (Sozialhilfe, Arbeitslosengeld II) . . . . . . 48
3.3.4 Earned Income Tax Credit (EITC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
3.4 Haushaltsproduktion und Arbeitsangebot im Haushaltskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
3.4.1 Haushaltsproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
3.4.2 Arbeitsangebot im Haushaltskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
3.5 Empirie des Arbeitsangebots: Methoden und eine Beispielstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
3.5.1 Variablen: Mess- und Definitionsprobleme in Mikrodaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
3.5.2 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
3.5.3 Eissa und Liebman, 1996: Labour supply response to the Earned Income Tax Credit . . . 68
4 Mindestlohne 75
4.1 Einfuhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
4.2 Arbeitsnachfrage und Mindestlohne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
4.2.1 Vollkommene Konkurrenz auf den Arbeitsmarkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
4.2.2 Nicht-kompetitiver Arbeitsmarkt: Monopson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
4.2.3 Andere Ansatze zur Erklarung der Auswirkung von Mindestlohnen . . . . . . . . . . . . . 83
4.3 Empirische Studien zur Auswirkung von Mindestlohnen auf den Beschaftigtenstand . . . . . . . . 85
4.3.1 Card und Krueger, 1995: Employer Responses to the Minimum Wage: Evidence from theFast-Food Industry . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
4.3.2 Dickens, Machin, Manning, 1999: The Effect of Minimum Wages on Employment: Theoryand Evidence from Britain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
4.3.3 Mindestlohndebatte und Mindestlohnstudien fur Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 91
5 Arbeitslosigkeit 97
5.1 Einfuhrung - okonomische und statistische Abgrenzung von Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarktdyna-mik, stilisierte Fakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
5.2 Effizienzlohntheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
5.2.1 Ernahrungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
5.2.2 Shirking-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
5.2.3 Turnover-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
5.2.4 Adverse Selection-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
5.2.5 Gift-Exchange-Ansatz (Soziologischer Ansatz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
5.2.6 Alternativen zum Effizienzlohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
5.2.7 Empirische Implikation der Effizienzlohntheorien - “Wage Curve” . . . . . . . . . . . . . . 121
5.3 Insider-Outsider-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
5.4 Verhandlungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
5.4.1 Lohnbildung und Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
5.4.2 Streiks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes ii
INHALTSVERZEICHNIS
5.4.3 Calmfors und Driffill, 1988: Bargaining structure, corporatism and macroeconomic per-formance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
5.5 Makrookonomische Auswirkungen aktiver Arbeitsmarktpolitik (AAMP) . . . . . . . . . . . . . . 141
5.5.1 Einfuhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
5.5.2 Makroarbeitsmarktwirkungen der AAMP: Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
5.5.3 Makroarbeitsmarktwirkungen der AAMP: Empirie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes iii
Kapitel 1
Einfuhrung
1.1 Einige Besonderheiten vonArbeitsmarkten
Unterscheiden sich Arbeitsmarkte grundsatzlich von Markten fur
Guter und Dienstleistungen? Grundsatzliche Unterschiede sind:
• die gehandelte Einheit trifft selbst Entscheidungen und kann nur
gemietet und nicht gekauft werden,
• die Arbeitsleistung pro Stunde ist nicht fix. Arbeitnehmer konnen
die Arbeitsintensitat beeinflussen,
• es ist keine einfache Aufgabe, die Qualitat des Faktors Arbeit zu
beurteilen,
• nicht-pekuniare Faktoren spielen auf dem Arbeitsmarkt eine
besondere Rolle
– Arbeitsumgebung,
– spezielle Risiken wie Gesundheitsrisiken,
– Wahrnehmung einer fairen Behandlung,
– Flexibilitat der Arbeitszeit,
– personliche Faktoren (Familie, Zufriedenheit mit
Arbeitgeber/Arbeit),
1
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
• Arbeitsmarkte sind in hohem Maße reguliert.
Wegen dieser Besonderheiten spielen unterschiedliche Institutionen
eine wichtige Rolle am Arbeitsmarkt. Wir beobachten Institutionen,
die
• den Kontakt zwischen Kaufer (Arbeitgeber) und Verkaufer
(Arbeitnehmer) von Arbeit erleichtern (Arbeitsamter, private
Arbeitsvermittler),
• den Vertrag zwischen Kaufer und Verkaufer und damit die
Arbeitsbedingungen gestalten (Gewerkschaften,
Arbeitgeberverbande),
• die Absicherung der Arbeitnehmer gegen Unfalle am Arbeitsplatz,
Entlassung, unfaire Behandlung/Entlohnung, Arbeitslosigkeit
regeln (Gesetzgeber).
Die Grundannahmen zur Analyse von Entscheidungen auf
Arbeitsmarkten sind dennoch ahnlich wie fur Akteure auf anderen
Markten:
• Gewinnmaximierende Unternehmen entscheiden uber ihre
Arbeitsnachfrage,
• nutzenmaximierende Individuen entscheiden uber ihr
Arbeitsangebot.
Aber wir mussen uns damit auseinandersetzen, wie verschiedene
Sozialleistungen und Steuern, Verhandlungen zwischen den
Tarifvertragspartnern, staatliche Eingriffe/Regulierungen und
Arbeitsbedingungen verschiedener Art auf Arbeitsnachfrage und
-angebot, Lohnsatze, Beschaftigung, Arbeitsintensitat und
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 2
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
Arbeitslosigkeit wirken. Alle hier genannten Faktoren werden in der
Okonomie als Institutionen bezeichnet. Es handelt sich um gesetzliche
Regelungen oder sonstige Normen, die Ergebnis kollektiver
Entscheidungen sind. Institutionen implizieren daher
Nebenbedingungen (Einschrankungen) oder auch Anreize fur die
Entscheidungen einzelner Akteure. Fur die Arbeitsmarktanalyse
fuhren solche Institutionen dazu, dass ein Keil (wedge) zwischen dem
Grenzprodukt fur Arbeit und dem faktischen Lohn entsteht.
Warum existieren solche Institutionen:
1. Arbeitsmarkte sind unvollkommen und daher nicht effizient.
Institutionen konnen einen Beitrag leisten, dies zu beheben.
(Beispiel: monopsonistischer Arbeitgeber mit Lohnsetzungsmacht)
2. Verteilspolitische Erwagungen: Arbeitsmarkte fuhren zu einem
gesellschaftlich nicht akzeptablen Maß an Ungleichheit; eine
progressive Einkommensteuer und Transfers an
Niedriglohnarbeitnehmer konnten dem entgegenwirken.
3. Politikversagen: z.B., weil Interessengruppen Einfluss auf die
Politik nehmen und dafur sorgen, dass bestimmte Gesetze oder
Regeln ihnen Vorteile auf Kosten anderer verschaffen.
1.2 Fakten und Trends zu Lohndifferenzen,Erwerbsbeteiligung, Beschaftigung,
Arbeitslosigkeit und aktiver und passiverArbeitsmarktpolitik in den vergangenen
Jahrzehnten
Lohnunterschiede:
1. Lohne von qualifizierten Arbeitskraften sind in den vergangenen
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 3
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
Jahrzehnten in den USA relativ zu denen von unqualifizierten
Arbeitskraften stark angestiegen. Dies war in Deutschland bis
Mitte der 1990er Jahr oder Frankreich bis in die jungste
Vergangenheit nicht der Fall. In Deutschland gab es allerdings
insbesondere zwischen 1995 und 2015 einen Anstieg dieser
relativen Lohne.
2. Lohne von Mannern sind hoher als die von Frauen, Trend zur
Angleichung.
Erwerbsbeteiligung/Partizipation am Arbeitsmarkt:
Definition: Erwerbsquote/Partizipationsrate (labour force
participation rate, LFPR)
Prozentsatz der Bevolkerung, der Arbeit anbietet. Berechnet
als Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstatige +
Arbeitsuchende) an der Bevolkerung im erwerbsfahigen Alter
(15-64 Jahre)1
1. LFPRMen > LFPRWomen,
2. zunehmende Erwerbsbeteiligung der Frauen und abnehmende
Erwerbsbeteiligung der Manner,
3. unterschiedliche Erwerbsbeteiligungsmuster von Mannern und
Frauen im Lebenszyklus,
4. starke Unterschiede zwischen einigen Landern.
1Manchmal auch als Anteil an der Gesamtbevolkerung oder Bevolkerung im Alter von 0-64 Jahren berechnet.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 4
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
Beschaftigung:
1. Nach den 1970ern in Europa weit weniger starker Zuwachs als in
den USA (konjunkturell oder institutionell bedingt?).
2. In Deutschland stagnierte der Beschaftigtenstand nach der
deutschen Vereinigung im Jahr 1990 fur mehr als 10 Jahre. Erst
nach den Hartz-Reformen und damit nach dem Jahr 2003 erzielte
die deutsche Wirtschaft wieder deutliche Beschaftigungszuwachse.
Arbeitslosigkeit:
1. Starke Abnahme der Arbeitslosenquote in der Nachkriegszeit,
2. seit den 1970er Jahren steigt in vielen Landern die
Arbeitslosigkeit in Rezessionen an und verbleibt danach fur lange
Zeit auf dem erhohten Niveau (Persistenz der Arbeitslosigkeit
nach Schocks). Dies gilt vor allem fur Europa in den 1970er und
1980er Jahren, nicht aber fur die USA. Fur Deutschland kann in
jungster Zeit (nach den Hartz-Reformen) keine Persistenz der
Arbeitslosigkeit nach Schocks mehr konstatiert werden.
3. Die Arbeitslosenquote variiert zwischen Bevolkerungsgruppen:
Haufig ist sie fur junge Arbeitnehmer mit wenig Berufserfahrung
hoher als fur Arbeitnehmer mit Berufserfahrung. Ebenso ist sie
fur unqualifizierte Personen hoher als fur qualifizierte Personen; in
Deutschland war sie bis kurz nach der Jahrtausendwende fur
altere Arbeitnehmer besonders hoch.
4. Es gibt internationale Unterschiede in der Dynamik der
Arbeitslosigkeit: Zugangs- und Abgangsraten sind in den USA
sehr viel hoher als in den großen Volkswirtschaften Europas.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 5
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
Aktive und passive Arbeitsmarktpolitik:
Definition: Aktive Arbeitsmarktpolitik (AAMP)
Alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die darauf gerichtet
sind, die Arbeitsmarktperformance der an solchen Maßnahmen
teilnehmenden Arbeitnehmern zu verbessern (z.B.: Fort- und
Weiterbildungskurse, Lohnsubventionen).
Definition: Passive Arbeitsmarktpolitik (PAMP)
Monetare Unterstutzungsleistungen fur Arbeitslose
(Arbeitslosengeld I und II), fur Arbeitnehmer, die von
Arbeitslosigkeit bedroht sind (Kurzarbeitergeld) oder fur
Personen, die sich bereits vor dem gesetzlichen Rentenalter
vom Arbeitsmarkt zuruckziehen.
1. Hohe Ausgaben fur AMP in einigen skandinavischen Landern und
beispielsweise Belgien, Deutschland und Frankreich. Besonders
niedrige Ausgaben in Großbritannien, USA und Griechenland,
2. positive Korrelation der Ausgaben fur PAMP und AAMP mit der
Arbeitslosenquote,
3. die Leistungen bzw. Ausgaben solcher Maßnahmen pro
Arbeitslosen unterscheiden sich stark zwischen den entwickelten
Volkswirtschaften. Die angelsachsischen Lander geben weniger aus
als die europaischen Lander und zwar auch relativ, d.h., pro
Prozentpunkt Arbeitslosigkeit.
Exkurs: Einige wichtige Reformen der passiven und
aktiven Arbeitsmarktpolitik im Rahmen von Hartz I-IV
Reformen der aktiven und passiven Arbeitsmarktpolitik, die
(weitestgehend) von der Kommission fur moderne Dienstleistungen
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 6
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
am Arbeitsmarkt im Jahr 2002 entwickelt wurden. Peter Hartz - ein
ehemaliges Vorstandsmitglied der Volkswagen AG - war Vorsitzender
der Kommission. Das Reformpaket wurde sukzessive in den Jahren
2003 (Hartz I und II), 2004 (Hartz III) und 2005 (Hartz IV)
umgesetzt. Die Reformen zielten auf starkere Arbeitsanreize fur
Arbeitslose, eine professionellere Organisation der Bundesagentur fur
Arbeit und eine bessere Unterstutzung der Arbeitsuchenden durch
Agenturen fur Arbeit/Job Center.
(A) Reform der passiven Arbeitsmarktpolitik
(Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe)
Arbeitslosengeld I (Sozialgesetzbuch III)
• Fruhzeitige Meldepflicht einer bevorstehenden Arbeitslosigkeit
(Hartz I),
• strengere Zumutbarkeit von neuen Beschaftigungsverhaltnissen
(Hartz I),
• Verkurzung der Sperrzeiten (zeitweise Streichung des
Arbeitslosengeldes I, wenn Arbeitslose bestimmten Pflichten nicht
nachkommen, z.B. wegen zu geringer Intensitat der Arbeitsuche)
(Hartz I),
• Umkehr der Beweislast bei Sperrzeiten: In Folge der Reform
mussen Arbeitslosengeldempfanger und nicht die Arbeitsagentur
nachweisen, dass sie keine Pflicht verletzt haben (Hartz I),2
• Voraussetzung fur einen Anspruch auf ALG: Mindestens 12
Monate (sozial-)beitragspflichtige Beschaftigung in den zwei statt
wie zuvor drei Jahren (Rahmenfrist) vor Beginn der
Arbeitslosigkeit (Hartz III),3
2Zur Information: Die Hohe des Arbeitslosengeldes (ALG) betragt 67 % (63 %) des letzten Nettogehalts fur Eltern (kinderlosePersonen).
3Vor der Reform galten Sonderregelungen fur Saisonarbeiter und Wehr- und Zivildienstleistende, die in den 3 Jahren vor einer
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 7
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
• Kurzung der Dauer des Arbeitslosengeldbezuges fur altere
Arbeitnehmer (Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt gemeinsam
beschlossen mit Hartz III und IV).
– Fur Arbeitslose im Alter zwischen 45 und 54 Jahren wird die
Dauer des ALG-Bezuges auf maximal 12 Monate begrenzt.
Zuvor lag dieses Maximum bei 18 Monaten (45-46-Jahrige), 22
Monaten (47-51-Jahrige), 26 Monaten(52-54-Jahrige).
– Arbeitslose, die mindestens 55 Jahre alt sind, erhalten
maximal 18 Monate Arbeitslosengeld; zuvor waren es 26
Monate (55-56-Jahrige) bzw. 32 Monate (uber 56-Jahrige).
• Teilweise Rucknahme der Kurzung von der maximalen
Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I zum 1. Januar 2008, so dass
inzwischen fur Personen im Alter von 50 bis 54 Jahren bis zu 15
Monate Arbeitslosengeld I gezahlt werden kann; fur uber
57-Jahrige liegt die aktuelle maximale Bezugsdauer nun bei 24
Monaten.
Hartz IV: Arbeitslosengeld II (Sozialgesetzbuch II -
Grundsicherung fur Arbeitsuchende)
• Bedurftige Arbeitslose, die keinen Anspruch (mehr) auf ALG I
haben, aber auch ganz generell fur Haushalte, deren Einkommen
zu gering ist, um einen Mindestlebensstandard zu sichern:
seit 2005 Arbeitslosengeld II (ALG II), Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe wurden zusammengelegt,4
Arbeitslosigkeit mindestens 6 statt mindestens 12 Monate beitragspflichtig beschaftigt sein mussten, um Anspruch auf ALG zuerwerben. Diese Sonderregelungen wurden gestrichen.
4Die Arbeitslosenhilfe betrug zuvor 57 % (53 %) des letzten Nettoentgelts von Elternteilen (Kinderlosen). Das ALG II betragtfur Personen, die allein stehend oder allein erziehend sind oder deren Partner minderjahrig ist, 416 Euro im Monat (seit der letztenErhohung im Januar 2018). In Paarhaushalten mit 2 volljahrigen Partnern erhalt jeder Partner 374 Euro. Fur 18 - 24 jahrigeALG-II-Bezieher, die mit ihren Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind es monatlich 332 Euro. Weitere nicht volljahrige (14- 17 jahrige) erwerbsfahige Angehorige eines bedurftigen Haushaltes (Bedarfsgemeinschaft) erhalten 316 Euro. Fur jedes Kind imAlter von 6 bis 13 Jahren stehen der Bedarfsgemeinschaft noch einmal 296 Euro zu und fur jedes Kind im Alter von unter 6 Jahren240 Euro. Zusatzlich werden Unterkunfts- und Heizkosten vom Staat ubernommen. Vor dem Jahr 2011 erhielten Arbeitslose mitAnspruch auf ALG II, die zuvor ALG I bezogen haben, im Anschluss an das ALG I fur die Dauer von zwei Jahren einen Zuschlagzum ALG II. Er betrug im ersten Jahr nach dem Auslaufen des ALG-I-Bezuges fur Alleinstehende maximal 160 Euro, Ehepaareund unverheiratete Paare erhielten maximal 320 Euro im Monat. Fur minderjahrige Kinder kamen zusatzlich pro Kind 60 Eurohinzu. Im zweiten Jahr wurde der Zuschlag halbiert. Der Zuschlag wurde im Jahr 2011 abgeschafft.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 8
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
• Prinzip des Forderns:
– Anders als im fruheren System der Arbeitslosenhilfe mussen
alle erwerbsfahigen Mitglieder (mit Ausnahmefallen) eines
ALG-II-Empfanger-Haushaltes (Bedarfsgemeinschaft) der
Arbeitsvermittlung zur Verfugung stehen und sollen dazu
beitragen, dass der Haushalt weniger auf solche Leistungen
angewiesen ist,
– fur ALG-II-Empfanger gilt jede Stelle als zumutbar; sollte eine
zumutbare Stelle abgelehnt werden, kann das ALG II um bis
zu 30 % gekurzt werden, fur Personen, die junger als 25 Jahre
sind, kann es 3 Monate lang gestrichen werden.5
– Welche Anstrengungen ALG-II-Bezieher unternehmen mussen,
um eine Stelle zu bekommen und Fortschritte bei der
Reduzierung der Abhangigkeit von der
Arbeitslosenunterstutzungsleistung zu erzielen, wird von den
Job Centern in einer individuellen Vereinbarung
(Eingliederungsvereinbarung) schriftlich festgehalten.
• Prinzip des Forderns:
– Auf der anderen Seite sollen Job Center verstarkte
Anstrengungen unternehmen, die ALG-II-Bezieher bei der
Eingliederung in Arbeit und/oder Ausbildung zu unterstutzen.
– Dazu wurden beispielsweise Forderleistungen intensiviert (z.B.
vorubergehende Subventionierung von
Beschaftigungsverhaltnissen fur den Personenkreis oder
Weiterbildungsmaßnahmen).
– Auch die (individuell abgestimmte) Unterstutzung durch Job
Center soll in Eingliederungsvereinbarungen spezifiziert
werden.5Dies gilt ebenso, wenn ALG-II-Empfanger sich weigern, an einer Eingliederungsmaßnahme (Programme der aktiven Ar-
beitsmarktpolitik) teilzunehmen. Treten Verstoße innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr wiederholt auf, fallt auch die Leis-tungskurzung hoher aus.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 9
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
(B) Reform der aktiven Arbeitsmarktpolitik
• Einfuhrung von Personal-Service-Agenturen(PSA) zur
Vermittlung der Arbeitslosen in Zeitarbeit (I),
• Verringerung der finanziellen Unterstutzung von Teilnehmern an
Weiterbildungsmaßnahmen sowohl wahrend als auch im Anschluss
an die Maßnahme (I).6
• Ich- oder Familien-AG (verstarkte Forderung der Aufnahme
einer selbstandigen Tatigkeit fur Empfanger von
Arbeitslosenunterstutzung und Teilnehmer an
Arbeitsbeschaffungs- und Strukturanpassungsmaßnahmen). Nur
fur selbstandige Tatigkeiten mit geringen
Einkommenserwartungen fur die ersten drei Jahre Aufnahme der
Tatigkeit. Bereits Mitte 2006 wieder abgeschafft und durch eine
andere Form der Grundungsforderung ersetzt
(Grundungszuschuss) (I),
• Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und
Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM): Beschaftigungszeiten in
solchen durch Lohnsubventionen geforderten Jobs tragen nicht
mehr dazu bei, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu
erwerben. Beide Maßnahmen wurden im Reformprozess
zusammengelegt (III).
(C) Forderung der Beschaftigung von
Niedriglohnarbeitnehmern
• Teilweise Entlastung von Sozialabgaben fur Niedriglohnjobs
(sogenannte Minijobs und Midijobs) (II),7
6Die Bezugsdauer von Unterhaltsgeld wahrend der Weiterbildung fuhrt halftig zu einer Kurzung der Dauer des Anspruchs aufArbeitslosengeld bei anschließender Arbeitslosigkeit. Einfuhrung eines Bildungsgutscheins zur freien Wahl einer Weiterbildungs-maßnahme.
7Minijobs sind Jobs mit einem monatlichen Arbeitseinkommen bis zu 450 Euro (vor 1. Januar 2013 400 Euro). Als Midijobsgelten Jobs mit einem monatlichen Arbeitseinkommen von 450,01 bis 850 Euro (vor 1. Januar 2013 400,01 bis 800 Euro).
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 10
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
• Entlastung von Arbeitgebern im Bereich haushaltsnaher
Dienstleistungen: Arbeitgeber konnen die Lohnkosten fur
beschaftigte Arbeitnehmer teilweise steuerlich absetzen (II).
1.3 Ausgewahlte Themen derArbeitsmarktforschung
1. Wie konnen wir individuelle Lohnunterschiede (und damit auch
Ungleichheit) erklaren?
2. Was determiniert das individuelle Arbeitsangebot bzw. das
Arbeitsangebot von Haushalten (Lohne, Praferenzen, Steuer- und
Transfersysteme, Kombilohn)?
3. Was sind die Auswirkungen von Mindestlohnen auf die
Beschaftigungschancen unqualifizierter Arbeitskrafte?
4. Warum gibt es keine dauerhafte Marktraumung? Was erklart
Arbeitslosigkeit und warum sind bestimmte Gruppen von
Arbeitskraften starker von Arbeitslosigkeit betroffen als andere?
(Lohne, Konjunktur, institutionelle Regelungen und
Besonderheiten des Arbeitsmarkts, ...)
5. Wie beeinflusst die Arbeitslosenunterstutzung das Verhalten der
Akteuere am Arbeitsmarkt und wie wirkt sie sich auf die
Arbeitslosigkeit aus?
6. Tragt aktive Arbeitsmarktpolitik dazu bei, Arbeitslosigkeit
abzubauen und die Chancen der Arbeitslosen auf eine
Beschaftigung zu erhohen?
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 11
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
1.4 Empirische Arbeitsmarktforschung undMikrodaten
• Methoden (deskriptive Statistiken, Regressionen, Maximum
Likelihood Schatzungen, Matching-Schatzer, ...),
• Evaluationsproblem,
• Datenqualitat (Messfehler, unbeobachtbare Variablen).
Wichtige Quellen zu Arbeitsmarktdaten auf Makroebene
(Zeitreihen)
internationale Quellen:
• OECD Labour Force Statistics, OECD Employment Outlook,
OECD Webseite: http://www.oecd.org
• ILO Daten im Web: http://laborsta.ilo.org/
Deutschland:
• Amtliche Nachrichten der Bundesagentur fur Arbeit: Jahreszahlen
(Arbeitslosigkeit, aktive und passive Arbeitsmarktpolitik, ...)
• Statistisches Bundesamt: Fachserie 1, Reihe 4 (Erwerbstatigkeit),
Fachserie 16 (Verdienste und Arbeitskosten)
• aktuelle Arbeitsmarktdaten der Statistik der Bundesagentur fur
Arbeit im Web:
http://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Startseite/Startseite-
Nav.html
• aktuelle Daten des Statistischen Bundesamts im Web:
https://www.destatis.de/DE/Startseite.html
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 12
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
Mikrodaten (Haushalts- und Individualdaten):
1. Querschnittsdaten (cross-sectional data)
2. Paneldaten (panel data)
3. Ereignisgeschichten (Event history data, duration data)
Einige wichtige Mikrodatensatze:
• Panel Study of Income Dynamics (PSID)
• German Socio-economic Panel (GSOEP)
• Panel Arbeitsmarkt und soziale Sicherung (PASS)
• Luxemburg Income Study (LIS) und Luxemburg Employment
Study (LES)
• Administrative Sozialdaten (Beschaftigtenstatistik,
Leistungsempfangerstatistik - Grundgesamtheit)
Exkurs: Auswirkungen wirtschaftspolitischer
Maßnahmen: Das Evaluationsproblem
Evaluationsproblem: Formelle Darstellung
Beispiel: Auswirkungen einer Fortbildungsmaßnahme auf den Lohn
der Maßnahmeteilnehmer.
Angenommen, wir mochten beurteilen, ob sich die Teilnahme an einer
Fortbildungsmaßnahme auf den Lohn (w) von Personen auswirkt:
Di =
{1 Teilnahme an Fortbildung
0 keine Teilnahme an Fortbildung(1.1)
i: Person
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 13
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
Der erwartete Effekt der Maßnahme ist:
E(∆i) = E(wi|Di = 1)︸ ︷︷ ︸1
−E(wi|Di = 0)︸ ︷︷ ︸2
(1.2)
D.h., der Effekt ist der Lohn, der fur solche Individuen zu erwarten
ware, wenn sie an der Fortbildung teilnehmen, abzuglich des
erwarteten Lohns, wenn sie an der Fortbildung nicht teilnehmen.
In der Realitat konnen wir dies nie direkt messen: Entweder wir
beobachten, dass Individuen in der Fortbildung sind und kennen den
Lohn nach der Fortbildung aber nicht den Lohn, den sie erhalten
wurden, wenn sie diese Fortbildung nicht gemacht hatten. Oder der
umgekehrte Fall tritt ein. Dies ist das Evaluationsproblem.
Was wir messen konnen ist:
Große 1 als E(wi|Di = 1), der Durchschnittslohn von
Fortbildungsteilnehmern.
Aber Große 2 als E(wi|Di = 0), der Durchschnittslohn von
Fortbildungsteilnehmern, wenn sie nicht an der Fortbildung
teilgenommen hatten, ist unbeobachtbar.
Losung des Problems: Wir mussen die unbeobachtbare Große fur eine
geeignete Vergleichsgruppe messen.
• Experiment: Einfache Durchfuhrung in der Medizin; man wahlt
zufallig die Patienten aus, die eine Medizin bekommen (treatment
group) und diejenigen, die ein Placebo bekommen (control group).
So kann man den durchschnittlichen Krankheitsverlauf der
treatment und der control group vergleichen.
• Problematisch in der Okonomie: Wir konnen selten Experimente
durchfuhren und die Teilnahme bzw. Nicht-Teilnahme an einer
Fortbildung geschieht aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zufallig.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 14
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
Die Fortbildungsteilnehmergruppe unterscheidet sich in ihrer
Zusammensetzung systematisch von der Personengruppe der
Nichtteilnehmer. Daher konnen wir den Effekt der Fortbildung auf
die Durchschnittslohne nicht einfach als Differenz zwischen den
Durchschnittslohnen der Fortbildungsteilnehmer und den
Durchschnittslohnen der Nichtteilnehmer zu einem Zeitpunkt
nach der Fortbildung bestimmen. Die Lohne der Nichtteilnehmer
waren nicht reprasentativ fur Lohne der Fortbildungsteilnehmer,
wenn die Fortbildung gar nicht durchgefuhrt worden ware.
Alternativen:8
– Vorher-nachher-Vergleich:
E(∆i) = E(wi,t+s|Di,t = 1)− E(wi,t−τ |Di,t = 1), s, τ > 0
Lohn vor der Teilnahme zum Vergleich (schlecht, weil sich in
der Zwischenzeit die Lohne auch ohne Fortbildung geandert
haben konnten, z.B. durch Veranderungen im Arbeitsangebot
oder der Arbeitsnachfrage nach Personen aus der Gruppe, die
an Maßnahmen teilnimmt.
– Vergleich zwischen den Durchschnittslohnen der
Fortbildungsteilnehmer und den Durchschnittslohnen sehr
ahnlicher nicht an der Fortbildung teilnehmder Personen zu
einem Zeitpunkt nach Abschluss der Fortbildung (matching
estimator). Hierbei werden bestimmte Vergleichpersonen aus
allen in Frage kommenden Nichtteilnehmern so augewahlt,
dass sie reprasentativ fur Fortbildungsteilnehmer sind. Das ist
nur moglich, wenn ausreichend Informationen uber
Charakteristika solcher Personen vorhanden sind (Alter,
Ausbildung, Berufserfahrung, Erwerbsverlaufe und Lohne der8Selbst wenn wir ein Experiment durchfuhren, z.B. aus einer bestimmten Gruppe Arbeitslosen zufallig einige Personen auswahlen,
denen eine Arbeitsagentur eine Fortbildungsmaßnahme anbietet, dann ist damit noch nicht sichergestellt, dass diese Personen dasAngebot akzeptieren oder wenn sie es akzeptieren, die Fortbildung zu Ende fuhren. Ebenso wenig ist garantiert, dass diejenigenarbeitslosen Personen, denen die Fortbildung nicht angeboten wurde, nicht trotzdem versuchen, eine ahnliche Fortbildung zu machen;sie konnten dadurch ihre Chancen erhohen, einen gut bezahlten Job zu finden.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 15
KAPITEL 1. EINFUHRUNG
Vergangenheit, Haushaltscharakteristika), die die Lohnhohe
und auch die Wahrscheinlichkeit determinieren, an einer
Fortbildung teilzunehmen.
– Weitere Beispiele folgen in der Veranstaltung.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 16
Kapitel 2
Lohnunterschiede
2.1 Einfuhrung
Lohne variieren entsprechend der
• formalen Ausbildung
• Berufserfahrung, Betriebszugehorigkeitsdauer sowie der Anzahl
der Arbeitsplatzwechsel
• Praferenzen
• Berufe, Sektoren, personlichen Merkmale (z.B. wegen
Diskriminierung)
2.2 Humankapitaltheorie
Intuition: Individuen investieren in Ausbildung (formale und
on-the-job), um den Gegenwartswert (NPV) ihres Einkommens uber
die Lebenszeit zu maximieren. Entscheidungsvariable: optimale
Ausbildungszeit.
NPV =
T∑t=1
Bt − Ct
(1 + r)t(2.1)
17
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
NPV: Net present value, Bt: Benefits einer Ausbildung,
Ct: Ausbildungskosten, r: Zinssatz, t: Zeitperiode
T: Potentielle Anzahl von Jahren auf dem Arbeitsmarkt
Benefits einer Ausbildung:
• hohere Entlohnung als in unqualifizierten Jobs
• mehr Arbeitszufriedenheit
Kosten einer Ausbildung:
• direkte Kosten: Ausgaben fur Bucher, Schreibmaterial,
Studiengebuhren
• indirekte Kosten: entgangener Lohn
Einige Vorhersagen der Theorie:
• Je gegenwartsorientierter Individuen sind, desto weniger werden
sie in Humankapital investieren.
• Je alter Arbeitnehmer sind, desto weniger Zeit bleibt ihnen, in
Zukunft net benefits durch ein weiteres Ausbildungsjahr zu
erzielen. Daher werden sie umso weniger in zusatzliches
Humankapital investieren.
• Je hoher die Kosten der Ausbildung, desto geringer die Anzahl der
Auszubildenden.
• Je hoher die Lohne qualifizierter Arbeitskrafte im Vergleich zu den
Lohnen unqualifizierter Arbeitskrafte, desto großer der
Prozentsatz der Auszubildenden.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 18
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
Individuelle Verdienste hangen ab von:
• Zahl der Ausbildungsjahre (oder hochstem Abschluss) +
• Berufserfahrung (nicht-linear) +
• Betriebszugehorigkeitsdauer (nicht-linear) +
• Erwerbsunterbrechung (Zahl und Dauer) -
• individuelle naturliche Talente +
Herleitung einer individuellen Lohnfunktion
Die Ertragsrate (r∗) jeder in Humankapital investierten (Geld-)
Einheit sei konstant, so dass gilt:
r∗ =Y
pt · Ytbzw.
Y
Yt= r∗ · pt (2.2)
Yt: potentieller Lohn in einem Vollzeitjob im Jahre t
pt: Anteil der Zeit, die im Jahr t mit Ausbildung verbracht wurde
pt · Yt: Entgangener Lohn aufgrund der Ausbildung im Jahr t (Kosten
der Ausbildungsinvestition im Jahr t)
Y : Ableitung des potentiellen Lohns nach der Zeit (Steigerung des
potentiellen Lohns aufgrund der Ausbildungsinvestition im Jahr t)
Nach S Jahren Ausbildung gilt:
dln(Yt)
dt=
Y
Yt, und daher∫ S
0
Y
Ytdt =
∫ S
0
dln(Yt)
dtdt
= [ln(Yt)]S0 = ln[YS/Y0] = ln(YS)− ln(Y0), (2.3)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 19
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
Zudem gilt ∫ S
0
Y
Y (t)dt =
∫ S
0
r∗ptdt bzw. (2.4)
ln[YS/Y0] =
∫ S
0
r∗ptdt
Wahrend der formalen Ausbildung wird nicht gearbeitet pt = 1, daher
ln[YS/Y0] =
∫ S
0
r∗dt = [r∗t]S0 = r∗S. (2.5)
Aus den Gleichungen 2.3 und 2.5 folgt fur den potententiellen Lohn
eines Vollzeitbeschaftigten direkt nach Beendigung der formalen
Ausbildung:
YS/Y0 = exp[r∗ · S] oder (2.6)
YS = Y0 · exp[r∗ · S] = Y0 · exp[ ∫ S
0
Y
Y (t)dt]
Angenommen, nach Abschluss der formalen Ausbildung und dem
Einstieg ins Berufsleben nimmt der Anteil der Zeit, die noch mit
Fortbildung verbracht wird, px, linear mit der Berufserfahrung (x) ab:
px = p0 −p0T
· x =⇒ Y
Yx= r∗ · (p0 −
p0T
· x) (2.7)
p0: Konstante, T: Potentielle Anzahl von Jahren, in denen eine
Person nach der Vollzeitausbildung arbeiten kann
Das Lohnpotential, Yx, nach S Ausbildungsjahren und x Jahren
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 20
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
Berufserfahrung kann dann wie folgt hergeleitet werden:
ln[Yx/YS] =
∫ x
0
Y
Y (τ )dτ = r∗ ·
( ∫ x
0
pτdτ)
Yx/YS = exp[r∗ ·
( ∫ x
0
pτdτ)]
Yx = YS · exp[r∗ ·
( ∫ x
0
pτdτ)]
= Y0 · exp[r∗ · S
]· exp
[r∗ ·
( ∫ x
0
pτdτ)]
= Y0 · exp[r∗ · S + r∗ ·
( ∫ x
0
pτdτ)]. (2.8)
Das Integral in Gl. 2.8 ist:∫ x
0
pτdτ =
∫ x
0
(p0 −p0T
· τ )dτ
= [p0 · τ − p02 · T
· τ 2]x0
= p0 · x− p02 · T
· x2. (2.9)
Damit ware die Funktion fur das Lohnpotential nach x Jahren
Berufserfahrung:
Yx = Y0 · exp[r∗ · S + r∗p0x− r∗
p02 · T
· x2]. (2.10)
Das tatsachliche Lohneinkommen nach x Jahren Berufserfahrung
muss unter dem potentiellen Lohn bei Vollzeitarbeit liegen, da ein
Teil der verfugbaren Arbeitszeit in Ausbildung wahrend des
Berufslebens investiert wird. Es ergibt sich daher aus dem Produkt
zwischen dem Anteil der tatsachlichen jahrlichen Arbeitszeit an der
potentiell verfugbaren jahrlichen Arbeitszeit und dem potentiellen
Lohneinkommen bei Vollzeitarbeit:
wx = (1− px) · Yx. (2.11)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 21
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
Folglich konnen wir den Logarithmus der tatsachlich beobachtbaren
Lohne aus Gl. 2.11 wie folgt darstellen (Mincer 1974):
ln(wx) = ln(Yx) + ln(1− px)
= ln(Y0) + r∗S + r∗p0x− r∗p0
2 · T· x2 + ln(1− px).
(2.12)
Als okonometrische Spezifikation inklusive Storterm (u) ergibt sich
dann eine einfache lineare Regressionsgleichung:
ln(wx) = α + βS + γx + δx2 + u, (2.13)
so dass 4 Parameter α, β, γ und δ zu schatzen sind.
2.3 Signalling-Theorie
Intuition: Ausbildung erhoht uberhaupt nicht die Produktivitat der
Arbeitskrafte. Allerdings konnen Individuen durch Ausbildung
potentiellen Arbeitgebern demonstrieren/signalisieren, dass sie von
Natur aus talentierter und daher produktiver sind als andere.
Dadurch erhalten sie hohere Lohne als weniger talentierte Personen,
fur die eine Ausbildung nicht in Frage kommt.
Ein simples Modell - Annahmen:
• 2 Personentypen: talentierte/produktive und
untalentierte/unproduktive Individuen, die ihre Talente kennen.
• Die Arbeitgeber wissen, dass die Grenzproduktivitat talentierter
Personen hoch bzw. untalentierter Personen niedrig ist. Sie
konnen aber nicht ohne weiteres zwischen talentierten und
untalentierten Personen unterscheiden.
• Die jahrlichen Ausbildungskosten sind fur untalentierte Personen
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 22
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
hoher als fur talentierte Personen.
Folgen:
• Untalentierte Personen wurden im Falle einer Bewerbung bei
einem Arbeitgeber immer vorgeben, talentiert zu sein.
• Ohne die Moglichkeit zwischen produktiven und unproduktiven
Arbeitnehmern unterscheiden zu konnen, entlohnen die
Arbeitgeber nicht nach dem individuellen Grenzprodukt, sondern
der Durchschnittsproduktivitat der Belegschaft.
• Es besteht die Moglichkeit fur talentierte Personen ein
Ausbildungsniveau anzustreben, dass fur sie immer noch rentabel
ware, wenn sie entsprechend ihrer hohen Produktivitat entlohnt
werden. Fur Untalentierte ware wegen der hoheren
Ausbildungskosten, ein solcher Abschluss aber nicht mehr
rentabel. Daher werden sie sich gar nicht ausbilden lassen.
Hauptimplikation: Die Arbeitgeber konnen durch die
Ausbildung(slange) eines/r Bewerbers/in bestimmen, wie talentiert
diese Person ist und konnen sie entsprechend ihrer
Grenzproduktivitat entlohnen. Fur die talentierten Arbeitnehmer
kann es also rentabel sein, in Humankapital zu investieren, um den
potentiellen Arbeitgebern ihre individuellen Talente zu signalisieren.
Weitere Aussagen der Signalling-Theorie:
• Arbeitnehmer wissen nicht unbedingt, dass Ausbildung ihre
Produktivitat nicht erhoht. Aber sie wissen, dass sie zu einem
hoheren Lohn fuhrt als keine Ausbildung.
• Wenn die Ausbildungsjahre einen Signalwert haben, gibt es ein
gesellschaftlich optimales Signal (optimale Anzahl der
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 23
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
Ausbildungsjahre), uber das hinaus niemand gehen sollte. Folglich
kann eine Gesellschaft bis zu einem bestimmten Niveau durch
Humankapitalinvestitionen ihre Produktivitat erhohen. Wenn sie
weitere Humankapitalinvestitionen tatigt, resultieren daraus nur
hohere Kosten aber keinerlei zusatzliche Ertrage.
2.4 On-the-Job Search- undMatching-Theorie
2.4.1 On-the-Job Search (Burdett, 1978):
• Zentrale Annahme: Lohne sind stochastisch, d.h. sie variieren
auch fur Arbeitnehmer gleicher Qualifikation zwischen
verschiedenen Firmen.
• Verhalten der Arbeitnehmer: Sie suchen, selbst wenn sie bereits
beschaftigt sind, so lange nach einem Job wie die Suchkosten
niedriger sind als der erwartete Nettoertrag eines Jobwechsels.
• Implikation: Arbeitnehmer, die zu vergleichsweise niedrigen
Lohnen beschaftigt sind, suchen aktiv nach einem besseren Job
und werden daher nur kurz in ihrem Job bleiben. Arbeitnehmer,
die hingegen bereits vergleichsweise hohe Lohne erhalten, suchen
keinen alternativen Job mehr und bleiben daher lange in der
Firma.
• Wichtige Aussagen zu Lohnunterschieden:
– Arbeitnehmer mussten umso mehr verdienen, je ofter sie
bereits den Job gewechselt haben.
– In Querschnittsdaten beobachten wir, dass die Lohne von
Arbeitnehmern umso hoher sind, je langer sie Berufserfahrung
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 24
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
gesammelt haben und je langer sie bereits im Betrieb
gearbeitet haben. Allerdings ist der Grund dafur eben nicht
eine Akkumulation von generellem und spezifischem
Humankapital. Vielmehr liegt dies daran, dass Personen, die
lange im Berufsleben stehen, bereits einen hoch bezahlten Job
gefunden haben. Sie konnen durch weitere Jobwechsel ihre
Entlohnung kaum verbessern und verbleiben deswegen auch
vergleichsweise lange in ihrem Betrieb.
2.4.2 Matching-Theorie (Jovanovic, 1979):
• Zentrale Annahmen:
– Nicht Lohne sind stochastisch, sondern die Produktivitat
eines/r Arbeitnehmers/in an einem Arbeitsplatz ist
stochastisch.
– Firma und Arbeitnehmer wissen zunachst nicht, wie gut sie
zusammenpassen. Die Qualitat des “Matches” wird erst nach
Abschluss des Arbeitsvertrags erkannt.
• Implikation: Passen beide Seiten gut zusammen, kommt es zu
einer hohen Produktivitat und Entlohnung und einer
langerfristigen Bindung des Arbeitnehmers an das Unternehmen.
Stellt es sich heraus, dass das “Match” schlecht ist, ist die
Entlohnung niedrig. Dann werden Arbeitnehmer rasch den
Arbeitsplatz wechseln.
• Vorhersagen zu individuellen Lohnunterschieden:
– Positiver Zusammenhang zwischen Lohnen und der Anzahl der
Arbeitsplatzwechsel (und daher auch mit der Berufserfahrung).
– In Querschnittsdaten musste ein positiver (aber nicht kausaler)
Zusammenhang zwischen Lohnen und der Lange der
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 25
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
Betriebszugehorigkeit zu beobachten sein. Der Grund ist nicht
die Akkumulation von firmenspez. Humankapital, sondern dass
nur gute “Matches” von Bestand sind.
2.5 Diskriminierung am Arbeitsmarkt
Definition: Arbeitsmarktdiskriminierung
Arbeitsmarktdiskriminierung existiert genau dann, wenn zwei
Personen mit gleichen Produktivitatsmerkmalen
(Qualifikation, Berufserfahrung, Beruf, ...) eine
unterschiedliche Performance am Arbeitsmarkt aufweisen, die
sich aus nicht-produktivitatsrelevanten Charakteristika
(Geschlecht, Abstammung, Religion, Hautfarbe, ...) erklart.
Klassifikation: der Theorien:
1. Praferenzorientierte Theorien (Becker, 1971)
2. Statistische Diskriminierung (Phelps, 1972)
3. Institutionelle Theorien (Doeringer/Piore, 1971)
2.5.1 Praferenzorientierte Theorien
Intuition: Der Nutzen einer Personengruppe (diskriminierende
Gruppe) hangt negativ vom Kontakt mit einer anderen Gruppe ab.
Dementsprechend ist die diskriminierende Gruppe bereit, auf einen
Teil ihres Einkommen zu verzichten, wenn dafur kein Kontakt mit der
anderen Gruppe zustande kommt. Falls allerdings ein Kontakt
zustande kommt, wird die diskriminierende Gruppe eine
Kompensation durchsetzen.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 26
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
Taste-based theories:
• Arbeitgeberdiskriminierung
• Arbeitnehmerdiskriminierung
• Kundendiskriminierung
Zentrales Konzept: Diskriminierungskoeffizient (d), Beispiel der
Diskriminierung gegen Frauen:
• Ein chauvinistischer Arbeitgeber empfindet den Stundenlohn von
Frauen als wf · (1 + d), also um die Aversionskosten wf · dEinheiten hoher als ihren tatsachlichen Stundenlohn wf .
• Ein chauvinistischer Beschaftigter empfindet den eigenen
Stundenlohn als wm · (1− d), wobei wm · d wieder die
Aversionskosten misst.
• Ein chauvinistischer Kunde empfindet den Preis eines Gutes oder
einer Dienstleistung als P · (1 + d), wenn er bei einer Frau kauft.
P · d misst seine Aversionskosten.
Konsequenzen der Diskriminierung:
• Die Arbeitsnachfrage bei gegebenem Lohn ist fur die Gruppe,
gegen die diskriminiert wird, geringer als im Falle keiner
Diskriminierung. Daher kann auch ein Arbeitsmarktgleichgewicht
zustande kommen, bei dem der Gleichgewichtslohn dieser Gruppe
geringer ist, als der Lohn anderer Gruppen.
• Berufliche Segregation wird wahrscheinlich.
• Im Falle vollstandiger Konkurrenz werden diskriminierende
Unternehmen aus dem Markt gedrangt. Der Grund ist, dass nicht
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 27
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
diskriminierende Anbieter kostengunstiger und daher
preisgunstiger produzieren konnten. Dazu waren sie in der Lage,
wenn sie starker als diskriminierende Unternehmen, Personen aus
der Gruppe von Arbeitnehmern einstellen, gegen die diskriminiert
wird.
2.5.2 Statistische Diskriminierung
Intuition: Arbeitgeber konnen zweierlei Merkmale von Bewerbern
nicht einschatzen:
• Die tatsachliche Produktivitat und
• ob und wie schnell Bewerber, nachdem sie eingestellt wurden,
kundigen und die Firma verlassen.
Daher nutzen die Arbeitgeber beobachtbare Charakteristika der
Bewerber wie Qualifikationen, aber auch personliche Merkmale, von
denen sie glauben, sie seien mit diesen Großen korreliert.
Wie kommt es zu Diskriminierung?
• Angenommen, die Arbeitgeber haben in der Vergangenheit
beobachtet, dass verheiratete Frauen ihre Karriere ofter
unterbrachen als verheiratete Manner. Folglich nehmen die
Arbeitgeber an, dass die Fluktuationskosten (turnover costs)
verheirateter Frauen im Vergleich zu Mannern hoher sind und
bevorzugen mannliche Bewerber.
• Nehmen wir an, die Ausbildungsqualitat zweier Schulen einer
Stadt war fruher sehr unterschiedlich, aber sie hat sich in jungster
Zeit angeglichen. Ein lokaler Arbeitgeber kennt aber nur die
Performance von fruheren Abgangern der beiden Schulen. Daher
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 28
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
bevorzugt er immer noch Schulabganger derjenigen Schule, die
fruher ihre Schuler besser ausbildete als die andere.
Konsequenzen der statistischen Diskriminierung:
• Im Vergleich zu anderen Personen, ist die
Beschaftigungswahrscheinlichkeit und/oder der Lohn von
Personen, gegen die diskriminiert wird, niedriger.
• Self-fulfilling prophecy: Nehmen wir an, die Arbeitgeber zahlen
verheirateten Frauen einen geringeren Lohn als verheirateten
Mannern. Dann ist die Kundigungswahrscheinlichkeit dieser
Frauen auch hoher als fur Manner mit sonst gleichen Merkmalen.
Folglich beobachten die Arbeitgeber einen hoheren turnover bei
den Frauen, was sie dazu veranlasst, gegen Frauen zu
diskriminieren.
2.5.3 Institutionelle Theorien - Dualer Arbeitsmarkt
Zentrale Annahme: Die Unternehmen konnen zwar in Vertragen die
Arbeitszeit, nicht aber die tatsachliche Arbeitsleistung festlegen. Sie
versuchen, dieses Problem durch einen nicht-wettbewerblichen
Arbeitsmarkt und Diskriminierung zu losen.
Verhalten der Unternehmen: Sie schaffen zweierlei Arbeitsmarkte
bzw. Berufstypen, zwischen denen kaum Mobilitat herrscht:
1) Jobs im primaren Arbeitsmarkt sind charakterisiert durch:
• hohe firmenspezifische Qualifikation,
• hohe Lohne,
• gute Karriereaussichten,
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 29
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
• stabile Beschaftigungsverhaltnisse,
• gewohnlich in monopolistischen Industrien mit hohem
gewerkschaftlichen Organisierungsgrad.
2) Jobs im sekundaren Arbeitsmarkt : Gegenteil
• Arbeitnehmer im primaren Arbeitsmarkt werden wegen des hohen
Lohns und der Karriereaussichten eine hohe Leistung erbringen.
Hierzu tragt das Risiko bei, bei Versagen dauerhaft in den
sekundaren Arbeitsmarkt abzusteigen.
• Diskriminierung: Arbeitgeber nutzen gesellschaftliche
Ressentiments gegen bestimmte Minderheiten und Frauen mit
wenig kontinuierlicher Erwerbsbeteiligung. Sie sind dann vor allem
im sekundaren Arbeitsmarkt beschaftigt.
Antidiskriminierungspolitik:
1. Gleicher Lohn fur gleiche Arbeit (z.B.: USA, Equal Pay Act, 1963)
2. Affirmative Action
3. Comparable Worth (Gleicher Lohn fur vergleichbare Arbeit)
2.5.4 Wie kann Lohndiskriminierung gemessen werden?
Beispiel: Diskriminierung gegen Frauen.
Angenommen, wir hatten Individualdaten mit Informationen uber
Bruttolohne, Ausbildung, Berufserfahrung, Geschlecht, ...
(a) Dummyvariablenansatz:
Mit einer Regression werden die Parameter einer Lohngleichung fur
Manner und Frauen inklusive eines Parameters einer
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 30
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
Dummyvariablen fur das Geschlecht (female) geschatzt.
ln(w) = α + βS + γx + δx2 + ϕ′z + τ · female + u, (2.14)
female =
{1 fur Frauen,
0 fur Manner.(2.15)
z: Vektor weiterer erklarender Variablen (z.B.: Anzahl und Dauer der
Erwerbsunterbrechungen)
Geschatzte Hohe der Lohndiskriminierung (Lohndifferential fur zwei
Individuen, die sich nur bezuglich des Geschlechts unterscheiden,
nicht aber bezuglich der anderen Einflussvariablen):
τ = ln(wf)− ln(wm) und daher exp(τ ) =wf
wm(2.16)
f: Frau, m: Mann
Problematische Annahme: Der diskriminierungsbedingte Unterschied
in den logarithmierten Lohnen von Frauen und Mannern ist konstant
und damit unabhangig von Qualifikation und Berufserfahrung.
(b) Decomposition Analysis:
• Schritt 1: Wir schatzen (mittels OLS) die Parameter je einer
Lohngleichung fur Manner und Frauen, so dass fur jede
Einflussvariable ein unterschiedlicher Parameter fur Manner und
Frauen geschatzt wird.
ln(wm) = αm + βmS + γmx + δmx2 + ϕ′
mz + u, (2.17)
ln(wf) = αf + βfS + γfx + δfx2 + ϕ′
fz + u, (2.18)
• Schritt 2: Wir zerlegen die Differenz zwischen den
durchschnittlichen logarithmierten Frauen- und Mannerlohnen in
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 31
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
zwei Komponenten (Oaxaca-Zerlegung):
ln(wf)− ln(wm) = [ln(wf,m)− ln(wm)]︸ ︷︷ ︸A
+ [ln(wf)− ln(wf,m)]︸ ︷︷ ︸B
(2.19)
ln(wj) : durchschnittl. logarithmierter Lohn, j= Frau, Mann
ln(wf,m): hypothetischer (geschatzter) logarithmierter Lohn einer
Frau mit durchschnittlichen Produktivitatsmerkmalen der Frauen,
wenn sie entsprechend der Koeffizienten fur Manner entlohnt
wurde, d.h., wenn sie genau wie Manner behandelt wurde.
ln(wj) = αj + βjSj + γjxj + δjx2j + ϕ′jzj, j = m, f (2.20)
ln(wf,m) = αm + βmSf + γmxf + δmx2f + ϕ′mzf (2.21)
A: Lohndifferential aufgrund unterschiedlicher durchschnittlicher
Produktivitatsmerkmale von Frauen und Mannern
ln(wf,m)− ln(wm) = βm(Sf − Sm) + γm(xf − xm) + δm(x2f − x2m)
+ ϕ′m(zf − zm) (2.22)
B: unerklartes Lohndifferential zwischen Frauen und Mannern,
das auf Diskriminierung zuruckgehen konnte
ln(wf)− ln(wf,m) = αf − αm + (βf − βm)Sf + (γf − γm)xf
+ (δf − δm)x2f + (ϕf− ϕ
m)′zf (2.23)
2.6 Empirische Analysen
Angenommen, wir haben n Beobachtungen von Individuallohnen und
potentieller Determinanten der Lohne und wollen mit OLS folgende
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 32
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
(Stunden-)Lohngleichung schatzen:
ln(wi) = α + βSi + γxi + δx2i + ϕ′zi + ui, (2.24)
i = 1, ..., n
(2.25)
Nutzen wir hierzu Individualdaten, ist mit folgenden Verzerrungen
der Parameterschatzungen zu rechnen:
• Omitted variable bias wegen unbeobachtbarer Talente,
• Messfehler: die Anzahl der Ausbildungsjahre misst nur
unzureichend die Qualitat der Ausbildung. Daher (gegen 0)
verzerrte Schatzung des Ausbildungsparameters.
• Messfehler in der Lohnvariablen, weil wichtige Vergunstigungen
(Firmenwagen, Firmenwohnung ...) nicht mit dem Lohn erfasst
werden. Solche Vergunstigungen hangen moglicherweise positiv
mit der Qualifikation zusammen. Folge ist eine Unterschatzung
der Ertrage der Qualifikation.
• Selektivitatsbias
2.6.1 Krueger and Pischke, 1992: Wage differential
between Women and Men in East and West
Germany (1988) and the US (1989)
• Ziel: Lohndifferentiale zwischen Mannern und Frauen zu erklaren.
• Daten: Erhebung von Arbeiter- und Angestelltenhaushalten in
Ostdeutschland, Sozio-okonomisches Panel (Westdeutschland),
Current Population Survey fur USA (Ende der 80er Jahre).
• Methodik: Regression mit Dummy-Variablen-Ansatz
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 33
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
• Resultate:
– Return to schooling: Ein zusatzliches Jahr formale Ausbildung
erhoht den Lohn eines Arbeitnehmers in West- und
Ostdeutschland um 7,7 Prozent und in den USA um 9,9
Prozent.
– Der Lohn einer Frau betragt in diesen Landern 75 bis 80 %
Prozent des Lohnes eines vergleichbaren Mannes,
– Die Analyse zeigt auch, dass die Lohnunterschiede zwischen
Frauen und Mannern in Ostdeutschland fur Verheiratete
ahnlich sind wie fur Unverheiratete. In Westdeutschland und
den USA sind sie fur Verheiratete hingegen betrachtlich hoher
als fur Unverheiratete.
Tabelle 2.1: Lohn einer Frau in Prozent des Lohns eines vergleichbaren Mannes (Resultate be-rechnet aus Tabelle 3)
verheiratet unverheiratetOstdeutschland 78,7 82,3Westdeutschland 69,6 78,3USA 67,4 80,3
Exkurs: Eine weitere Moglichkeit, um Diskriminierung
nachzuweisen.
• Einige Studien nutzen fingierte Bewerbungen auf offene Stellen als
Feldexeriment, um durch das Antwortverhalten der Arbeitgeber
auf Diskriminierung schließen zu konnen.
• Beispielsweise haben Kaas und Manger (2011) Reaktionen der
Arbeitgeber auf Bewerbungen auf Praktikumsplatze fur Studenten
(BWL/Okonomie) ausgewertet, wobei fingierte Bewerbungen von
deutschen Staatsangehorigen mit Deutsch oder Turkisch
klingendem Namen mit jeweils ahnlichen Lebenslaufen verschickt
wurden.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 34
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
– Eine positive Ruckmeldung der Arbeitgeber gab es deutlich
seltener bei einem Turkisch klingendem Namen des Bewerbers
(14 % niedrigere Ruckrufwahrscheinlichkeit, Ruckruf im Sinne
einer Kontaktaufnahme nicht unbedingt bereits einer Zusage
seitens des Arbeitgebers).
– Die Autoren finden aber Evidenz dafur, dass der Effekt
verschwindet, wenn Empfehlungschreiben verfugbar sind
(spricht fur statistische Diskriminierung).
• Der Ansatz mit den fingierten Bewerbungen ist aber nicht
geeignet, um Lohndiskriminierung zu messen.
2.6.2 Card, 1994: Using Geographic Variation in
College Proximity to Estimate the Return to
Schooling
• Fragestellung: Erhohen Humankapitalinvestitionen unsere
Entlohnung oder ist der beobachtbare Anstieg von (individuellen)
Lohnen mit der Anzahl der Ausbildungsjahre auf andere Faktoren
zuruckzufuhren?
• Hintergrund: Viele Studien, die mit OLS den return to schooling
schatzen, zeigen, dass ein weiteres formelles Ausbildungsjahr mit
einem Lohnanstieg zwischen 5 und 15 Prozent assoziiert wird.
Nahezu kein Autor interpretiert dies jedoch als einen
Kausalzusammenhang. Zwei Grunde sind hierfur verantwortlich:
– Die Anzahl der Ausbildungsjahre sowie die Lohne hangen
positiv von unbeobachtbaren Fahigkeiten/Talenten der
Individuen ab. Da diese nicht messbar sind, wird ihr positiver
Effekt auf die Entlohnung durch den Effekt der Anzahl der
Ausbildungsjahre eingefangen. OLS uberschatzt dann den
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 35
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
return to schooling.
– Messfehler in den Ausbildungsvariablen bewirken, dass der
Zusammenhang zwischen Entlohnung und Ausbildungsjahren
verwischt wird. In diesem Fall unterschatzt OLS den
tatsachlichen return to schooling.
• Losung dieses Schatzproblems: Man ersetzt die gemessenen
Ausbildungsjahre in Regressionsgleichungen durch eine geschatzte
Ausbildungsvariable, die moglichst nicht mit unbeobachtbaren
Talenten oder Messfehlern in Zusammenhang steht
(Instumentalvariablenansatz, zweistufige Kleinstquadratmethode).
• Hierfur ist es notwendig, wenigstens eine Determinante
(Instrument) der Anzahl der Ausbildungsjahre zu kennen, die
nicht die Lohne direkt determiniert und nicht mit Talenten oder
Messfehlern in Zusammenhang steht. Card schlagt hierfur die
Entfernung zwischen dem Wohnsitz von Individuen und der
nachstgelegenen Universitat vor. Eine solche Variable steht im
National Longitudinal Survey of Young Men (USA, seit 1966) zur
Verfugung.
• Wichtigste Ergebnisse:
– Verschiedene OLS-Schatzungen deuten auf einen return to
schooling von 7,3 bis 7,5 Prozent hin.
– Unter Verwendung des Instruments “Nahe des Wohnsitzes der
Individuen zur nachstgelegenen Universitat” wird der return to
schooling hoher geschatzt: Er liegt zwischen 10 und 14 Prozent.
Allerdings unterscheiden sich diese Ergebnisse nicht signifikant
von den OLS-Schatzungen.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 36
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
Anhang:Instrumentalvariablenansatz/zweistufige
Kleinstquadratmethode
Beispiel Lohnregression: Wir mochten den Effekt der
Ausbildungsjahre (S) auf den logarithmierten Lohn, ln(w),
bestimmen. Im linearen Regressionsmodell wurden wir folgende
Gleichung verwenden:
ln(w) = β1 + β2 · S + x′ · β + u (2.26)
β2 : marginaler Effekt/Parameter der Ausbildungsjahre (return to
education)
x′ : Zeilenvektor weiterer Determinanten von ln(w)
β : Spaltenvektor der marginalen Effekte/Parameter der weiteren
Determinanten
u : Storterm, in dem alle Determinanten von ln(w) eingehen, die
nicht als Regressoren in dem Modell auftauchen. Dazu gehoren
individuelle Talente, von denen man erwartet, dass sie mit den
Ausbildungsjahren in einem systematischen Zusammenhang stehen.
Das Problem: Die Kleinstquadratmethode (OLS) nimmt an, dass
der Storterm mit keinem Regressor in einem systematischen
Zusammenhang steht. Wenn diese Annahme verletzt ist, ist der
Kleinstquadratschatzer der Parameter verzerrt (nicht
erwartungstreu).
Losung dieses Problems mit einem
Instrumentalvariablenansatz (zweistufige
Kleinstquadratmethode):
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 37
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
Dieser Ansatz nimmt an, dass ein Regressor (hier S) in Gleichung
2.26, der in einem systematischen Zusammenhang mit dem Storterm
u steht, durch folgende lineare Gleichung dargestellt werden kann:
S = α1 + α2 · z + x′ · α + ε (2.27)
z ist die sogenannte Instrumentalvariable (Instrument): Sie ist eine
Determinante von S, die keinen direkten Einfluss auf ln(w) hat und
daher auch mit dem Storterm u in Gleichung 2.26 in keinerlei
Zusammenhang steht (Es ist auch vorstellbar, dass mehrere solche
Variablen existieren.).
x′ : Zeilenvektor von Determinanten von S, die auch Determinanten
von ln(w) darstellen
α : Spaltenvektor der marginalen Effekte von x′ auf S
ε : Storterm der Regressionsgleichung fur S. Er enthalt wiederum
auch die individuellen Talente, daher gilt cor(ε, u) = 0. Wir nehmen
an, dass dieser Storterm mit keinem der Regressoren in Gleichung
2.27 in einem systematischen Zusammenhang steht.
Vorgehensweise der zweistufigen Kleinstquadratmethode:
1. Schritt: Wir schatzen die Parameter von Gleichung 2.27 mit OLS.
Auf Basis der Parameterschatzungen (α1, α2, α) dieser Gleichung
kann fur jede Beobachtung ein geschatzter Wert der
Ausbildungsjahre bestimmt werden:
S = α1 + α2 · z + x′ · α (2.28)
Wenn unsere Annahmen fur Gleichung 2.27 stimmen, dann steht
S in keinem systematischen Zusammenhang mit den
unbeobachtbaren Talenten und damit den Stortermen der
Gleichungen 2.26 und 2.27!
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 38
KAPITEL 2. LOHNUNTERSCHIEDE
2. Schritt: Wir ersetzen in Gleichung 2.26 fur jede Beobachtung den
Regressor S durch dessen Schatzwert S
ln(w) = β1 + β2 · S + x′ · β + u (2.29)
Dann schatzen wir fur diese Gleichung β2 mit der
Kleinstquadratmethode. Der Schatzer ist nun konsistent.1, 2
Wir konnen alternativ beim zweiten Schritt auch wie folgt vorgehen:
Wir ersetzen S in Gleichung 2.26 durch Gleichung 2.27:
ln(w) = β1 + β2 · [α1 + α2 · z + x′ · α + ε] + x′ · β + u (2.30)
Wenn wir diese Gleichung umformen erhalten wir:
ln(w) = β1 + β2 · α1 + β2 · α2 · z + x′ · [β + β2α] + u + β2 · εln(w) = β∗
1 + β∗2 · z + x′ · β∗ + u∗ (2.31)
Keiner der Regressoren in der letzten Gleichung sollte in einem
systematischen Zusammenhang mit dessen Storterm u∗ stehen. Daher
schatzen wir die Parameter der letzten Gleichung mit der
Kleinstquadratmethode und erhalten als Schatzer des Effekts von z:
β∗2 . Da β∗
2 = β2 · α2 konnen wir mit Hilfe der Ergebnisse aus dem
ersten Schritt auch einen konsistenten Schatzer fur β2 erhalten:
β2 =β∗2
α2(2.32)
1Die Eigenschaft der Konsistenz eines Schatzers ahnelt der Erwartungstreue (Unverzerrtheit). Erwartungstreue heißt, dass derErwartungswert eines Schatzers dem wahren Parameter entspricht und ist eine Eigenschaft, die unabhangig von der Große derStichprobe (n) erfullt ist. Konsistenz dagegen heißt, dass wir mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 erwarten konnen, dass der Schatzerdem wahren Parameterwert entspricht, wenn die Anzahl von Beobachtungen in der Stichprobe sehr groß wird (n → ∞). Jedererwartungstreue Schatzer ist konsistent, aber nicht jeder konsistente Schatzer ist erwartungstreu. Letzteres gilt fur die Schatzer derParameter des zweiten Schritts der zweistufigen Kleinstquadratmethode.
2Die Kleinstquadratmethode fuhrt in diesem zweiten Schritt allerdings nicht zu einer korrekten Schatzung der Standardfehlerder Koeffizienten und damit zu fehlerhaften t-Statistiken. Hierfur muss korrigiert werden.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 39
Kapitel 3
Arbeitsangebot
3.1 Einfuhrung
Was ist Arbeitsangebot?
• Makroebene: Summe der (jahrlichen) angebotenen Arbeitsstunden
der Personen im erwerbsfahigen Alter.
• Mikroebene: Summe der individuellen (jahrlichen) Arbeitsstunden
einer Person im erwerbsfahigen Alter.
Dimensionen des Arbeitsangebots einer Volkswirtschaft:
• Anzahl der Personen im erwerbsfahigen Alter (Mengendimension),
• Partizipationswahrscheinlichkeit dieser Personen
(Verhaltensdimension 1),
• Angebotene Zahl an Arbeitsstunden im Jahr
(Verhaltensdimension 2),
• Fahigkeiten und Ausbildung, die Individuen anbieten
(Qualitatsdimension),
• Leistung pro Arbeitsstunde (Intensitatsdimension).
40
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Was muss eine Theorie des Arbeitsangebots erklaren
konnen?
Empirische Beobachtungen (Industrielander):
1. Partizipationsrate (Erwerbsbeteiligung):
• LFPRMen > LFPRWomen,
• Trends: zunehmende Erwerbsbeteiligung der Frauen
(insbesondere verheirateter Frauen) und abnehmende
Erwerbsbeteiligung der Manner in den letzten Jahrzehnten,
• unterschiedliche Erwerbsbeteiligungsmuster von Mannern und
Frauen im Lebenszyklus,
• starke Unterschiede der Erwerbsbeteiligung zwischen einigen
Landern.
2. jahrliche Arbeitszeit:
• In vielen Landern: im Trend tendenziell abnehmende jahrliche
Arbeitszeit (auch in Deutschland).
• Gegensatz: Trend zu mehr Arbeitsstunden in den USA.
Grunde, um Arbeitsangebotsentscheidungen zu
analysieren:
• Arbeitsangebot ist ein Faktor, der das Produktionspotential einer
Volkswirtschaft beeinflusst,
• Wirtschaftspolitik braucht Informationen uber Auswirkungen von
Steuer- und Transferleistungen auf das Arbeitsangebot und damit
auf das Volkseinkommen und Nettosteueraufkommen,
• Arbeitsangebot ist das Gegenstuck zu Freizeit und damit das
Gegenstuck zu einer Determinante der individuellen Wohlfahrt,
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 41
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
• Armut tritt haufig bei Individuen oder ganzen Haushalten auf, die
sich dauerhaft vom Arbeitsmarkt zuruckziehen. Es ist wichtig zu
wissen, welche Anreizmechanismen dies verhindern konnten.
3.2 Das Grundmodell des individuellenArbeitsangebots
Annahmen:
A1. statisch
A2. Einpersonenhaushalt
A3. lineare, bindende Budgetbeschrankung
A4. keine Arbeitsnachfragebeschrankungen
A5. zwei Guter: Konsumbundel und Freizeit, beides seien normale
Guter
A6. wohlverhaltende Nutzenfunktion
Nutzenmaximierung
Max︸ ︷︷ ︸x,l
U(x, l), Ux, Ul > 0, Uxx, Ull < 0 (3.1)
unter der Nebenbed.: p · x = h · w + y0 = y (3.2)
wobei h = T − l (3.3)
U(.): Nutzenfunktion, x: Konsummenge,
l: Freizeit (+ Hausarbeitszeit), p: Konsumgutpreis,
h: Arbeitsstunden (Arbeitsangebot), w: Stundenlohn,
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 42
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
T: Maximal verfugbare Stundenzahl,
y0: Nichterwerbseinkommen (Vermogens- und Transfereinkommen),
y: gesamtes Einkommen (Nichterwerbs- und Arbeitseinkommen),
Normalisierung: p=1 ⇒ w:(Netto-)Reallohn pro Stunde.
2 Entscheidungen fur jedes Individuum:
• Partizipation oder keine Partizipation am Arbeitsmarkt,
• falls Partizipation: optimale Anzahl der angebotenen
Arbeitsstunden.
Reservationslohn
wr = wr(Praferenzen, y0︸︷︷︸+
) (normalerweise unbeobachtet) (3.4)
Erwerbsbeteiligungswahrscheinlichkeit
P (Partizipation) = P (w ≥ wr) (3.5)
= P ( w︸︷︷︸+
,Praferenzen, y0︸︷︷︸−
)
Angebotene Arbeitsstunden
h = h( w︸︷︷︸?
,Praferenzen, y0︸︷︷︸−
)
= h( w︸︷︷︸+
,Praferenzen, y︸︷︷︸−
) (3.6)
Lohne
w = w(Ausbildung(sjahre)︸ ︷︷ ︸+
, Berufserfahrung︸ ︷︷ ︸++−
, Talent︸ ︷︷ ︸+
, z) (3.7)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 43
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
z: Vektor weiterer erklarender Variablen (z.B. Geschlecht, Sektor, ...)
Effekte einer Lohnsatzanderung anhand der Slutsky-Gleichung:
∂h
∂w︸︷︷︸A
=∂h
∂w
∣∣∣U=U
+∂h
∂y· ∂y∂w
=∂h
∂w
∣∣∣U=U︸ ︷︷ ︸
B
+∂h
∂y· h︸ ︷︷ ︸
C
(3.8)
A: unkompensierter Effekt einer Lohnanderung auf die angebotenen
Arbeitsstunden
B: Substitutionseffekt = kompensierter Effekt einer Lohnanderung
(Kompensation fur Nutzenverlust oder -gewinn) auf die angebotenen
Arbeitsstunden
C: Einkommenseffekt einer Lohnanderung auf die angebotenen
Arbeitsstunden
Als Lohnelastizitat:
∂h
∂w· wh︸ ︷︷ ︸
A′
=∂h
∂w
∣∣∣U=U
· wh︸ ︷︷ ︸
B′
+∂h
∂y· yh· w · h
y︸ ︷︷ ︸C ′
(3.9)
A’: unkompensierte Lohnelastizitat des individuellen Arbeitsangebots
B’: Substitutionseffekt = kompensierte Lohnelastizitat
C’: Einkommenselastizitat des Arbeitsangebots * Anteil des
Arbeitseinkommens am Gesamteinkommen
Auswirkungen einer Erhohung des Stundenlohns auf das Arbeitsangebot:
1. Fur Personen, die keiner Erwerbstatigkeit nachgehen: positiver
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 44
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Substitutionseffekt, kein Einkommenseffekt.
• Da solche Personen nicht arbeiten, wird die Lohnerhohung
auch nicht ihr Einkommen steigern ⇒ kein Einkommenseffekt.
• Die Lohnerhohung bedeutet aber, dass der Konsum von
Freizeit teurer wird, so dass mehr Marktguter und weniger
Freizeit nachgefragt werden ⇒ das Angebot an Arbeitsstunden
bzw. ihre Partizipationswahrscheinlichkeit steigt aufgrund eines
Substitutionseffekts.
2. fur Personen, die bereits Arbeit anbieten: positiver Substitutions-
und negativer Einkommenseffekt.
• positiver Substitutionseffekt wie unter 1.
• Zudem impliziert fur Arbeitsanbieter eine Lohnerhohung auch
eine Erhohung ihres Arbeitseinkommens und damit ihres
Gesamteinkommens. Wenn Freizeit ein normales Gut ist, dann
steigt die Nachfrage nach Freizeit mit dem Einkommen; daher
sinkt das Arbeitsangebot und der Einkommenseffekt ist
negativ.
• ⇒ der Effekt einer Lohnerhohung ist wegen der beiden
gegenlaufigen Effekte a priori unbestimmt. Das
Arbeitsstundenangebot einer Person konnte beispielsweise bis
zu einem gewissen Nettolohn positiv, ab einer bestimmten
Lohnhohe allerdings negativ vom Lohn abhangen
(backward-bending labour supply).1
1Solange ein Arbeitsanbieter wenig arbeitet und relativ wenig Marktguter aber viel Freizeit konsumiert, ist der Substitutionseffekthoch, denn es bedarf nur wenig mehr Marktguter, damit die Person auf eine Stunde Freizeit verzichtet. Der Einkommenseffekt isthingegen gering, da eine Stundenlohnerhohung das Gesamteinkommen kaum erhoht, wenn eine Person nur wenige Stunden arbeitet.Umgekehrt verhalt es sich fur Arbeitsanbieter, die bereits viel arbeiten.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 45
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
3.3 Arbeitsangebot und Anreizeffekte derSteuer- und Transfersysteme
Budgetbeschrankung mit Steuern und Transfers:
Konsequenzen einkommensabhangiger Steuern und Transfers: Bei
gegebenem Bruttostundenlohn wird der Grenznettostundenlohn
abhangig von der Anzahl der angebotenen Arbeitsstunden (er wird
endogen).
x = (wh + y0)︸ ︷︷ ︸Bruttoeinkommen
− NT (wh, y0)︸ ︷︷ ︸Steuern abzgl. Transfers
= y (3.10)
NT(.): Nettosteuern (Steuern abzuglich Transfers) als Funktion von
Erwerbs- und Nicht-Erwerbseinkommen
Alternative Schreibweise fur die Budgetbeschrankung:
x = w∗(h) · h + y∗0(h) (3.11)
y∗0(h): Virtuelles Einkommen
w∗(h) = w ·(1− ∂NT
∂(wh)
): marginaler Nettostundenlohn und
Arbeitsstunden werden interdependent
3.3.1 Progressive Einkommensteuer
Angenommen, wir haben ein Einkommensteuersystem mit zwei
Grenzsteuersatzen und einem Grundfreibetrag (GB). Bis zum GB
unterliegt das Bruttoeinkommen keiner Steuer. Jeder Euro, der uber
den GB hinaus als Einkommen anfallt, unterliegt dem
Grenzsteuersatz t1, solange das Bruttoeinkommen nicht die
Einkommensgrenze, y1, ubersteigt. Jeder Euro, der uber y1 hinaus als
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 46
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Einkommen anfallt, wird mit dem Grenzsteuersatz t2 besteuert.
Zudem gebe es keine Transferleistungen.
Steuerlast =
0 falls wh+ y0 < GB,
t1 · [wh+ y0 −GB] falls GB ≤ wh+ y0 < y1,
t1 · [y1 −GB] + t2 · [wh+ y0 − y1] falls wh+ y0 ≥ y1.
(3.12)
Budgetbeschrankung:
x =
wh+ y0 falls wh+ y0 < GB,
wh+ y0 − t1 · (w · h+ y0 −GB) falls GB ≤ wh+ y0 < y1,
wh+ y0 − t1 · (y1 −GB)
−t2 · (w · h+ y0 − y1) falls wh+ y0 ≥ y1.
=
wh+ y0 falls wh+ y0 < GB,
GB + (1− t1) · (w · h+ y0 −GB) falls GB ≤ wh+ y0 < y1,
GB + (1− t1) · (y1 −GB)
+(1− t2) · [wh+ y0 − y1] falls wh+ y0 ≥ y1.
(3.13)
3.3.2 Versicherungsbedingte Transferleistungen fur
temporare oder permanente Arbeitsunfahigkeit
und bei Entlassung
Transfers werden in solchen Fallen in Hohe eines gesetzlich
festgelegten Prozentsatzes des letzten Lohneinkommens geleistet (z.B.
Arbeitslosengeld). Dieser Prozentsatz wird als Lohnersatzrate
(replacement rate) bezeichnet. Allerdings werden diese Transfers nur
gezahlt, solange die betroffenen Personen nicht (oder nur eine
begrenzte Anzahl von Stunden) arbeiten.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 47
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Konsequenz: Die Budgetrestriktion hat einen “spike”(stachelformig)
bei h = 0 Arbeitsstunden, da der gesamte Transfer (tr) wegfallt,
wenn gearbeitet wird. Klarer Anreiz nicht zu arbeiten.
x =
{y0 + tr falls h = 0,
wh + y0 falls h > 0.(3.14)
y0: Nichterwerbseinkommen ohne Transfereinkommen
3.3.3 Transferleistungen nach Bedurftigkeitsprufung
(Sozialhilfe, Arbeitslosengeld II)
Einige Transfers (z.B. fruher Sozial- und Arbeitslosenhilfe, heute
Arbeitslosengeld II) werden nach einer Bedurftigkeitsprufung gezahlt.
D.h., eine Person hat nur dann Anspruch auf diese Transfers, wenn
ihr Einkommen aus anderen Quellen einen bestimmten Grenzwert
unterschreitet. Das Niveau des Transfers hangt (oft) negativ von der
Hohe des sonstigen Einkommens einer Person ab.
Im Extremfall werden die Transfers ausgehend von einem maximalen
Transfer (trmax) fur jeden zusatzlichen Euro aus anderen
Einkommensquellen um denselben Betrag gekurzt. Folglich steigt bei
einer Erhohung des Arbeitsangebots das Nettoeinkommen solange
nicht, bis die Summe aus Arbeitseinkommen und anderen
Nichterwerbseinkommen den maximalen Transfer ubersteigt.
Beispiel einer Budgetbeschrankung bei voller Anrechnung des
Einkommens auf die Transferzahlung:
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 48
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
fur eine Person ohne Nichterwerbseinkommen:
x =
trmax falls h = 0,
wh + tr = trmax falls h > 0, wh < trmax,
wh falls h > 0, wh ≥ trmax.
(3.15)
fur eine Person mit Nichterwerbseinkommen:
x =
y0 + tr = trmax falls h = 0, y0 < trmax,
wh + y0 + tr = trmax falls h > 0, wh + y0 < trmax,
wh + y0 falls h > 0, wh + y0 ≥ trmax.
(3.16)
3.3.4 Earned Income Tax Credit (EITC)
Dieser Transfer versucht die Fehlanreize von 3.3.2 und 3.3.3 zu
beheben, in dem der Transfer nur dann gezahlt wird, wenn eine
Person auch arbeitet. Die Transferformel besteht dabei aus drei
Teilen, die die Budgetgerade modifizieren. Zur Vereinfachung
unterstellen wir hier eine Person, die keinerlei
Nichterwerbseinkommen (außer den EITC) erhalt, y0 = 0:
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 49
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
x =
0 falls h = 0,
wh+ t1 · wh falls h > 0, wh < y1,
wh+ tr falls h > 0, y1 ≤ wh < y2,
wh+ tr − t2 · (wh− y2) falls h > 0, y2 ≤ wh < y3,
wh falls h > 0, y3 ≤ wh.
(3.17)
=
0 falls h = 0,
(1 + t1) · wh falls h > 0, wh < y1,
wh+ tr falls h > 0, y1 ≤ wh < y2,
(1− t2) · wh+ tr + t2 · y2 falls h > 0, y2 ≤ wh < y3,
wh falls h > 0, y3 ≤ wh.
(3.18)
t1, t2 ∈]0, 1[, tr = t1 · y1 > 0
1. Wer nicht arbeitet, bekommt keinerlei Transfers vom Staat.
2. Wer arbeitet, aber nur ein Bruttoeinkommen unter der Grenze y1erzielt, erhalt fur jede Arbeitsstunde t1 · w als Transfer. D.h., der
Grenznettostundenlohn ist (1 + t1) · w > w und t1 ∗ 100 ist der
Prozentsatz, um den der Bruttostundenlohn erhoht wird.
3. Uberschreitet das Bruttoeinkommen die Einkommensgrenze y1und liegt es unter der Einkommensgrenze y2, bekommt der
Arbeitnehmer einen festen Transfer in Hohe von tr ausgezahlt.
4. Falls das Bruttoeinkommen auch die Einkommensgrenze y2uberschreitet, nicht aber eine letzte Einkommensgrenze, y3, so
wird der Transferbetrag tr fur jede weitere Arbeitsstunde um
t2 · w Einheiten gekurzt. Der Grenznettostundenlohn ist also
(1− t2) · w < w.
5. Sobald das Bruttoeinkommen y3 ubertrifft, erhalten Arbeitnehmer
keine Transferleistung mehr. Die Bruttoeinkommensgerade
entspricht dann der Budgetbeschrankung.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 50
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
3.4 Haushaltsproduktion und Arbeitsangebotim Haushaltskontext
3.4.1 Haushaltsproduktion
Guter und Dienste werden nicht nur am Markt produziert. Individuen
konnen durch Hausarbeit ebenso Guter und Dienstleistungen
erstellen. D.h., das Zeitbudget T wird auf Markt- und Hausarbeit
sowie Freizeit aufgeteilt. Modell von Gronau (1980):
Max︸ ︷︷ ︸c,l
U(c, l), Uc, Ul > 0, Ucc, Ull < 0 (3.19)
unter den Nebenbedingungen:
c = x + z, hmarket + hhome + l = T (3.20)
z = f (hhome), f′ > 0, f ′′ < 0
x = whmarket + y0
U(.): Nutzenfunktion, c: Gesamtkonsum,
x: konsumierte Marktguter, z: konsumierte Haushaltsprodukte,
f(.): Haushaltsproduktionsfunktion, l: Freizeit,
hmarket: Marktarbeitszeit (Arbeitsangebot),
hhome: Hausarbeitszeit, T: Maximal verfugbare Stundenzahl,
w: Stundenlohn, y0: Nichterwerbseinkommen.
3.4.2 Arbeitsangebot im Haushaltskontext
A1’. Mehrpersonenhaushalt
Relevante Themen:
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 51
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
• Arbeitsangebot und Spezialisierung der Haushaltsmitglieder auf
Hausarbeit und Marktarbeit,
• Besteuerung des Erwerbseinkommens der Haushaltsmitglieder und
der Haushaltsproduktion.
Modellansatze:
1. Individuelle Nutzenmaximierung, aber das Lohneinkommen des
Ehepartners wird als zusatzliches (exogenes)
Nichterwerbseinkommen betrachtet.
hf = hf [ wf︸︷︷︸?
, (y0 + wmhm)︸ ︷︷ ︸−
] (3.21)
hm = hm[ wm︸︷︷︸?
, (y0 + wfhf)︸ ︷︷ ︸−
] (3.22)
hf : Arbeitsstundenangebot der Ehefrau,
hm: Arbeitsstundenangebot des Ehemannes.
2. Maximierung einer gemeinsamen Familiennutzenfunktion
Max︸ ︷︷ ︸x,lm,lf
U(x, lm, lf), (3.23)
Ux, Ulm, Ulf > 0, Uxx, Ulmlm, Ulf lf < 0
unter den Nebenbedingungen:
x = wmhm + wfhf + y0
hj + lj = T, j = f,m (3.24)
lm,lf : Freizeit von Ehemann und Ehefrau
hf = hf [ wf︸︷︷︸?
, wm︸︷︷︸−
, y0︸︷︷︸−
], hm = hm[ wm︸︷︷︸?
, wf︸︷︷︸−
, y0︸︷︷︸−
] (3.25)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 52
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
3. Individuelle Nutzenfunktion und kooperative/nicht-kooperative
Spieltheorie
Arbeitsangebot der Haushaltsmitglieder und
Konjunkturschwankungen
Zwei gegenlaufige Effekte in einer Rezession
1. “added worker effect”: Wenn der/die Hauptverdiener/in eines
Haushaltes in einer Rezession arbeitslos wird, werden andere
nicht-partizipierende Haushaltsmitglieder versuchen, Arbeit
anzubieten, um den Einkommensausfall zu kompensieren. ⇒Erhohung des Arbeitsangebots.
2. “discouraged worker effect”:
Fur Arbeitssuchende/Arbeitslose gilt in der Rezession, dass wegen
der steigenden Arbeitslosigkeit, die Wahrscheinlichkeit einen Job
zu finden sinkt und die Lohne wegen des Uberschussangebots an
Arbeit zuruckgehen. Daher sinkt auch der erwartete Ertrag der
Arbeitsuche bzw. der erwartete Lohn. ⇒ Die Rezession bewirkt,
dass sich Arbeitnehmer vom Arbeitsmarkt zuruckziehen, wenn
ihre Reservationslohne nicht fallen. Ruckgang des
Arbeitsangebots.
Empirische Beobachtung: In den USA ist der added worker effect
gering. Die zunehmende Partizipation der Frauen am Arbeitsmarkt
lasst darauf schließen, dass vor allem junge, nicht-partizipierende
Haushaltsmitglieder in Rezessionen auf den Arbeitsmarkt stromen.
D.h., es gibt nur noch ein geringes Potential fur einen added worker
effect.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 53
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
3.5 Empirie des Arbeitsangebots: Methodenund eine Beispielstudie
Ziel: Zu ermitteln, in welchem Maße die Partizipationsentscheidung
und die individuelle (Jahres-)Arbeitszeit von folgenden Variablen
abhangen: Stundenlohn, Nichterwerbseinkommen und
Praferenzvariablen, Steuern, Transfers und Variablen, die mit der
Produktivitat im Haushalt korreliert sind.
3.5.1 Variablen: Mess- und Definitionsprobleme in
Mikrodaten
1. Arbeitsstunden:
• Nur gemessen fur Partizipanten, 0 fur Nichtpartizipanten.
• Sollte individuelle Arbeitszeit jahrlich oder wochentlich
gemessen werden? Erhebung einer Wochenarbeitszeit in einer
bestimmten Woche ist von Messfehlern behaftet. Sie ist ein
schlechtes Maß der jahresdurchschnittl. Wochenarbeitszeit, da
sie beispielsweise jahrlichen Urlaub, durchschnittl.
Uberstundenzahl oder Kurzarbeit nicht erfasst.
2. Lohne:
• Lohne in der Partizipationsgleichung sollten dem
durchschnittlichen marginalen Nettostundenlohn (bei 0
Arbeitsstunden) entsprechen.
• Wenn nur Bruttolohne beobachtet werden, muss eine genaue
Einkommensteuertabelle verwendet werden, um die
Grenznettolohne zu berechnen (aber: Diese Berechnung
erzeugt Messfehler, da Steuerhinterziehung nicht berucksichtigt
wird und/oder Angaben uber das Nichterwerbseinkommen mit
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 54
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Fehlern behaftet sind).
• Angenommen, wir haben nur Information uber die jahrlichen
Bruttolohneinkommen und die gesamte Jahresarbeitszeit der
Personen und errechnen hieraus die Stundenlohne. Folge:
Messfehler bei den Arbeitsstunden zogen Messfehler im
Stundenlohn nach sich. Wenn eine Person ihre
Jahresarbeitsstunden zu hoch angibt, dann wird der
Stundenlohn falschlicherweise zu niedrig ausfallen und
umgekehrt. Es entstunde eine “spurious negative correlation”
zwischen geleisteter Arbeitszeit und Stundenlohn.
• Lohne sind nicht der einzige Vorteil einer Arbeit. Nicht erfasste
zusatzliche nicht-monetare Entlohnung fuhrt zu weiteren
Messfehlern. Ebenso wenig reprasentiert der Lohn den
“sozialen Nutzen” aus Beschaftigung (z.B.: in Form von
sozialen Kontakten).
• Lohne konnen nur fur arbeitende Personen beobachtet werden.
Sie fehlen fur Nichtpartizipanten. Daher mussen zur
Modellierung des Einflusses der Lohne auf Partizipation und
Arbeitsstundenangebot Proxies fur die Lohnsatze benutzt
werden, wenn wir die Koeffizienten einer Arbeitsstunden- oder
Partizipationsgleichung schatzen.
3. Nichterwerbseinkommen:
• sind abhangig von Lohn und Arbeitsstunden und sind damit
endogen. D.h., auf der einen Seite determinieren die
Nichterwerbseinkommen die Arbeitsstunden, auf der anderen
Seite determinieren die Arbeitsstunden aber auch die Hohe der
Nichterwerbseinkommen (z.B. weil die Hohe von
Transferleistungen vom Arbeitseinkommen abhangt). Folge:
Das Nichterwerbseinkommen und der Storterm einer
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 55
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Arbeitsstundengleichung sind korreliert, so dass es zu einer
verzerrten Schatzung des Einflusses der
Nichterwerbseinkommen kommt.
• Es enthalt Einkommen anderer Familienmitglieder, die nicht
unabhangig von der Arbeitszeit des untersuchten
Familienmitgliedes sind ⇒ weitere Endogenitat.
3.5.2 Methoden
Um das Arbeitsangebotsverhalten von Individuen zu studieren, sind
lineare Regressionsmodelle nicht geeignet. Sie gehen davon aus, dass
wir fur alle Individuen die abhangige Variable (Arbeitsangebot) als
stetige Variable und zudem auch die erklarenden Variablen
beobachten. Mikrodaten der Arbeitsstunden und Lohne werden aber
eher wie folgt aussehen:
Tabelle 3.1: Beispiel - Angaben zu relevanten Variablen zur Schatzung von Arbeitsangebotsglei-chungen in einem Mikrodatensatz
Person(ennummer) erwerbsbeteiligt wochentliche StundenlohnArbeitsstunden
1 1 (Ja) 35,6 33,42 1 (Ja) 15,9 10,33 1 (Ja) 47 18,24 0 (Nein) 0 .... ... ... ...
Modellierung der
Partizipationsentscheidung/-wahrscheinlichkeit:
Die abhangige Variable “erwerbsbeteiligt” (Partizipation am
Arbeitsmarkt) ist keine stetige, sondern eine qualitative Variable mit
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 56
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
nur zwei moglichen Auspragungen 0 und 1. Die
Kleinstquadratmethode ist zur Analyse solcher Variablen ungeeignet.
Sie wurde Vorhersagewerte erlauben, die kleiner 0 oder großer als 1
sind.2 Fur ein Individuum, i, hatten wir folgende Gleichung:
yi =
{1 Partizipation falls y∗i = x′iβ + ui > 0,
0 keine Partizipation falls y∗i = x′iβ + ui ≤ 0.(3.26)
y∗: stetige, aber unbeobachtbare Variable; z.B.: potentieller
Marktlohn abzuglich Reservationslohn (w − wr)
x: Vektor der Einflussvariablen
u: Storterm - Zufallsvariable mit E[ui|xi] = 0, V [ui|xi] = σ2,∀iDie Wahrscheinlichkeiten am Arbeitsmarkt zu partizipieren bzw.
nicht zu partizipieren in Abhangigkeit von dem Determinantenvektor,
x, konnen dann fur ein Individuum wie folgt dargestellt werden:
P (yi = 1) = P (x′iβ + ui > 0) = P (ui > −x′iβ)
= 1− P (ui ≤ −x′iβ) = 1− F (−x′iβ) (3.27)
P (yi = 0) = 1− P (yi = 1) = F (−x′iβ) (3.28)
Im Falle einer um den Erwartungswert 0 symmetrisch verteilten
Zufallsvariablen u:
P (yi = 1) = 1− F (−x′iβ) = F (x′iβ) (3.29)
P (yi = 0) = F (−x′iβ) = 1− F (x′iβ) (3.30)
2Zudem wird die Annahme des linearen Regressionsmodells verletzt, dass die Varianz des Storterms fur alle Individuen gleichist (“Homoskedastie”). Dies hat zur Folge, dass Standardfehler der Koeffizienten nicht richtig geschatzt werden.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 57
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
F(.): Verteilungsfunktion der Zufallsvariable u, uber die wir eine
Annahme treffen, so dass wir den funktionalen Zusammenhang
zwischen der Partizipationswahrscheinlichkeit und den
Einflussfaktoren kennen (abgesehen von den Werten des
Parametervektors).
Der unbekannte Parametervektor, β, lasst sich mit Hilfe von
Individualdaten durch die Maximierung einer
Log-Likelihood-Funktion schatzen:
• Nehmen wir an, ein Mikrodatensatz von n Personen ließe sich in r
Partizipanten und n-r Nicht-Partizipanten unterteilen. Jeder der
i = 1, ..., r Partizipanten wird durch seine individuelle
Partizipationswahrscheinlichkeit P (yi = 1) reprasentiert.
• Umgekehrt konnen wir Nicht-Partizipanten (i = r + 1, ..., n)
durch die individuelle Wahrscheinlichkeit, nicht am Erwerbsleben
teilzunehmen, P (yi = 0), reprasentieren.
Eine Likelihood-Funktion ist die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte
Stichprobe von r Partizipanten und n-r Nicht-Partizipanten zu
beobachten. Falls die Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Individuen
voneinander unabhangig sind, entspricht sie dem Produkt aller
individuellen Wahrscheinlichkeiten:
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 58
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
L(β) = P (y1 = 1, y2 = 1, ..., yr = 1, yr+1 = 0, yr+2 = 0..., yn = 0)
= P (y1 = 1) · P (y2 = 1) · ... · P (yr = 1)
·P (yr+1 = 0) · P (yr+2 = 0) · ... · P (yn = 0)
=
r∏i=1
P (yi = 1) ·n∏
i=r+1
P (yi = 0)
=
r∏i=1
[1− F (−x′iβ)] ·n∏
i=r+1
[F (−x′iβ)] = L(β) (3.31)
L(.): Likelihood-Funktion
Wie nutzen wir diese Funktion, um den Parametervektor β und
damit die Wirkung der Einflussfaktoren auf die
Partizipationswahrscheinlichkeit zu bestimmen?
Maximum-Likelihood-Methode: Die Funktion L(β) stellt die
Wahrscheinlichkeit dar, dass wir diese bestimmte Stichprobe
beobachtet und damit bestimmte Kombinationen von Werten
(yi, xi), i = 1, ..., n beobachtet haben. Sie hangt von dem
unbekannten Parametervektor ab.
Was ware dann die beste Schatzung des “wahren” Parametervektors?
Es ware ein Schatzer des Parametervektors der Einflussvariablen (β),
der die Wahrscheinlichkeit (bzw. die logarithmierte
Wahrscheinlichkeit) maximiert, genau die vorliegende Stichprobe zu
beobachten:
Max︸ ︷︷ ︸β
ln[L(β)] =
r∑i=1
ln[1− F (−x′iβ)] +
n∑i=r+1
ln[F (−x′iβ)] ⇒ β
(3.32)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 59
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Um diese Methode anzuwenden, bedarf es einer Annahme uber die
statistische Verteilung von u, so dass wir genau wissen wie die
Funktion F(.) aussieht. Zwei beliebte symmetrische Verteilungen
fuhren zum
1. binaren Logit-Modell: ui ist logistisch verteilt, dann gilt
P (yi = 1) = F (x′iβ) =exp(x′iβ)
1 + exp(x′iβ)(3.33)
P (yi = 0) = 1− P (y = 1) =1
1 + exp(x′iβ)(3.34)
2. binaren Probit-Modell: ui ist normalverteilt mit Mittelwert 0 und
Varianz σ2, ui ∼ N(0, σ2). Die Dichtefunktion einer
standardnormalverteilten Zufallsvariablen τ = uσ lautet
ϕ(τ ) =1√2π
· exp(τ 22
)(3.35)
und die Wahrscheinlichkeiten sind dann:3
P (yi = 1) =
∫ x′iβ/σ
−∞ϕ(τ )dτ = Φ
(x′iβ
σ
)(3.36)
P (yi = 0) = 1−∫ x′iβ/σ
−∞ϕ(τ )dτ = 1− Φ
(x′iβ
σ
)(3.37)
Interpretation von Schatzergebnissen dieser Modelle:
Ein Koeffizient bei einer OLS-Schatzung ist so zu interpretieren, dass
eine Erhohung des Wertes des zugehorigen Regressors, die abhangige
Variable um den Wert des Koeffizienten verandert. Diese Wirkung ist
bei OLS fur unterschiedliche Individuen gleich.3Bemerkung: Sowohl mit dem Logit- als auch im Probit-Modell wird nicht der Parametervektor β aus Gl. 3.26 geschatzt, sondern
ein skalierter Parametervektor. Im Probitfall ist beispielsweise β∗ =β
σder skalierter Parametervektor.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 60
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Fur die Koeffizienten, die sich aus einer ML-Schatzung fur Logit- oder
fur Probit-Modelle ergeben, ist dies nicht mehr der Fall. Wir konnen
das Vorzeichen eines Koeffizienten als positiven bzw. negativen Effekt
der zugehorigen Einflussvariablen auf die
Partizipationswahrscheinlichkeit der Individuen interpretieren. Aber
wir konnen anhand des Koeffizienten nicht langer aussagen, wie sehr
sich die modellierte Wahrscheinlichkeit fur den Durchschnittsburger
oder ein bestimmtes Individuum andert, wenn sich die zugehorige
Einflussvariable um eine Einheit erhoht.
Zur Darstellung von Großenordnungen der Auswirkung der
Veranderung einer erklarenden Variablen auf die
Partizipationswahrscheinlichkeit konnten wir
• die Charakteristika eines bestimmten Individuums (z.B. der
Durchschnittsburger, wenn die Werte aller Einflussvariablen gleich
dem Mittelwert gesetzt werden) festlegen. Danach konnen wir
– grafisch darstellen, wie stark die
Partizipationswahrscheinlichkeit mit einer Einflussvariablen
variiert,
– marginale Effekte (oder Elastizitaten) der verschiedenen
Einflussvariablen fur dieses Individuum bestimmen,
– absolute oder relative Partizipationswahrscheinlichkeiten fur
unterschiedliche Werte einer Einflussvariablen errechnen.
• Simulationen durchfuhren: Wir erhohen fur alle Individuen der
Stichprobe eine erklarende Variable um denselben Wert oder
Prozentsatz und berechnen fur jedes Individuum die vorhergesagte
Partizipationswahrscheinlichkeit und danach ihr
Stichprobenmittel. Diesen Mittelwert konnen wir dann mit der
durchschnittlichen Partizipationswahrscheinlichkeit vor der
Variablenanderung vergleichen.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 61
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Modellierung der angebotenen Arbeitsstunden
Wenn unsere abhangige Variable die angebotenen Arbeitsstunden
sind (y = h), haben wir wiederum eine Variable zu modellieren, die
nicht vollkommen stetig ist, da immer gilt h ≥ 0.
hi =
{h∗i = x′iβ + ui falls h∗
i > 0,
0 falls h∗i ≤ 0.
(3.38)
hi : Beobachtetes Arbeitsangebot eines Individuums (zensierte
abhangige Variable, da sie eine Untergrenze hat).
h∗i : gewunschtes optimales Arbeitsangebot (latente Variable; stetig,
aber nur teilweise beobachtbar).
Eine Schatzung der Parameter eines solchen Modells mit einer
Regression der gemessenen Arbeitsstunden auf die erklarenden
Variablen wurde in der Regel zu verzerrten Parameterschatzungen
fuhren. Der Grund ist, dass die abhangige Variable eine Untergrenze
hat. Dies hat zur Folge, dass die Annahme des linearen
Regressionsmodells verletzt ware, dass es keinerlei Korrelation
zwischen dem Storterm und den Regressoren geben darf.
Der Parametervektor, β, eines solchen Modells lasst sich wiederum
mit Hilfe einer Likelihood-Funktion schatzen, wenn wir eine Annahme
daruber treffen, wie die Zufallsvariable h∗i verteilt ist. Sie mag
beispielsweise normalverteilt sein, h∗i ∼ N(µi = x′iβ, σ
2). Dies
bedeutet fur den Storterm ui = h∗i − x′iβ ∼ N(0, σ2).
Nehmen wir wieder an, dass aus einer Stichprobe von n Personen r
Personen am Arbeitsmarkt partizipieren (also h∗i > 0) und n-r
Personen Nicht-Partizipanten sind (h∗i ≤ 0). Die Likelihood-Funktion
ware dann das Produkt der r Dichtefunktionen der Partizipanten
multipliziert mit dem Produkt der Wahrscheinlichkeiten nicht am
Arbeitsmarkt zu partizipieren der ubrigen n-r Personen:
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 62
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
L(β, σ2) =[ r∏
i=1
1
σ· ϕ
(hi − x′iβ
σ
)]·[ n∏i=r+1
P (hi = 0)]
=[ r∏
i=1
1
σ· ϕ
(hi − x′iβ
σ
)]·[ n∏i=r+1
Φ(−x′iβ
σ
)](3.39)
1σ · ϕ
(hi−x′iβ
σ
): Dichtefunktion der normalverteilten Arbeitsstunden4
Die unbekannten Parameter (β, σ2) konnen dann mittels
Maximum-Likelihood-Methoden (ML-Methoden) geschatzt werden:
Max︸ ︷︷ ︸β,σ2
L(β, σ2) ⇒ β, σ2 (3.40)
Die Koeffizienten eines solchen Modells sind genauso zu interpretieren
wie im Fall des linearen Regressionsmodells, solange wir Aussagen
uber Wirkungen der Regressoren auf die Arbeitsstunden eines zufallig
aus der Bevolkerung gewahlten Individuums machen mochten.
Wurden wir eine solche Arbeitsangebotsgleichung mit der
ML-Methode schatzen, konnten wir generell keinen Lohnsatz als
erklarende Variable in die Analyse aufnehmen. Wir konnen schließlich
Lohne nur fur die Personengruppe erheben, die tatsachlich Arbeit
anbietet. Fur die Nichtpartizipanten fehlen alle Lohnangaben. Daher
mussten anstelle von Lohnen beobachtbare Determinanten des4Ist eine Zufallsvariable wie h normalverteilt mit Mittelwert µ und Varianz σ2 dann lautet ihre Dichtefunktion:
f(h) = 1√2π·σ
· exp[− 1
2
(h−µσ
)2]Die Dichtefunktion einer standardnormalverteilten Zufallsvariable, z.B. τ = h−µ
σhingegen lautet:
ϕ(τ) = 1√2π
· exp[− 1
2τ2
]f(h) kann dann als die Dichte der Standardnormalverteilung dividiert durch σ dargestellt werden:
1
σ· ϕ(τ) =
1
σ· ϕ
(h− µ
σ
)=
1
σ
1√2π
· exp[−
1
2
(h− µ
σ
)2]=
1√2π
· σ · exp[−
1
2
(h− µ
σ
)2]= f(h)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 63
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Lohnsatzes als Regressoren verwendet werden.
Selektionsverzerrung und Korrektur
Lohnangaben fur Nichtpartizipanten sind zwangslaufig unbeobachtbar
und stehen somit in Mikrodatensatzen nicht zur Verfugung, um
Auswirkungen des Lohnes auf die angebotenen Arbeitsstunden zu
schatzen. Zwei naheliegende Auswege, welche von Studien der ersten
Generation okonometrischer Analysen des Arbeitsangebotsverhaltens
beschritten wurden, sind problematisch:
1. Regressionsschatzung des Einflusses des Lohnes auf die
angebotenen Arbeitsstunden, die ausschließlich die Angaben aller
arbeitenden Personen in der Stichprobe verwenden.
2. Regressionsschatzung einer Lohnfunktion mit Hilfe der Angaben
aller arbeitenden Personen der Stichprobe (z.B. mit
Lohnregression aus Kapitel 2 geschatzt). Auf Grundlage dieser
Funktion werden dann die Lohne derjenigen Personen
vorhergesagt, die nicht arbeiten. Damit werden die fehlenden
Lohnangaben fur Nicht-Partizipanten ersetzt. Danach konnte eine
Regression der Arbeitsstunden auf den Lohnsatz mit allen
Beobachtungen der Stichprobe erfolgen.
Problem:
Wir brauchen Parameterschatzwerte einer Lohngleichung, mit denen
der Lohnsatz einer zufallig ausgewahlten Person aus der Bevolkerung
im erwerbsfahigen Alter vorhergesagt werden kann. Mit einer linearen
Regressionsanalyse konnen diese Parameter aber nur fur die
Subgruppe geschatzt werden, die arbeitet und die womoglich keine
Zufallsauswahl der Bevolkerung im erwerbsfahigen Alter darstellt. Die
Koeffizienten einer Regression fur diese selektierte Subgruppe konnten
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 64
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
verzerrt sein (Selektivitatsbias).
Dieser Selektivitatsbias ist ahnlich zu interpretieren wie ein “omitted
variable bias”. D.h. es gibt eine (oder mehrere) unbeobachtbare
Variable(n), die den Lohn determinieren, aber in der Lohnregression
nicht berucksichtigt werden konnen. Diese unbeobachtbare Variable
ist generell fur rein zufallig ausgewahlte Individuen nicht mit den
Regressoren korreliert, dafur aber fur Personen aus der Gruppe von
Partizipanten am Arbeitsmarkt.
Formale Darstellung:
Nehmen wir an, eine abhangige stetige Variable (y∗2) (z.B. der
Lohnsatz) kann nur unter bestimmten Umstanden beobachtet
werden: Ob y∗2 beobachtet wird, hangt von den Werten einer anderen
stetigen Variablen (y∗1) ab. Diese beiden abhangigen Variablen seien
wiederum durch zwei zum Teil unterschiedliche beobachtbare
Vektoren erklarender Variablen z und x wie folgt determiniert:
Gleichung der Selektionsvariablen :
y∗1i = z′iα + vi. (3.41)
Gleichung der abhangigen Variablen, die wir erklaren wollen.
y∗2i = x′iβ + ui. (3.42)
v und u stellen die Storterme mit Erwartungswert 0 und konstanter
Varianz (σ2v, σ
2u) dar. v und u konnen korreliert sein. Wir beobachten
aber letztlich nicht die beiden stetigen Variablen y∗1 und y∗2 fur alle
Personen, sondern nur die Variablen y1 (z.B. ob oder ob nicht eine
Person am Arbeitsmarkt partizipiert) und y2:
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 65
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
y1i =
{1 falls y∗1i > 0,
0 falls y∗1i ≤ 0.(3.43)
y2i =
{y∗2i falls y∗1i > 0,
unbeobachtbar falls y∗1i ≤ 0.(3.44)
Angenommen, y2 sei der (logarithmierte) Stundenlohn. Ziel ist es, fur
die Gesamtbevolkerung eine Lohngleichung zu schatzen, so dass wir
fur ein zufallig ausgewahltes Individuum, i, den erwarteten Lohn
durch
E[y∗2i|xi] = E[x′iβ|xi] + E[ui|xi]︸ ︷︷ ︸=0
= x′iβ (3.45)
schatzen konnen. Um eine unverzerrte Schatzung der Parameter eines
linearen Regressionsmodells zu erhalten, muss der Storterm nicht
durch die Regressoren vorhersagbar sein. Dies kommt durch
E[ui|xi] = 0 zum Ausdruck und impliziert, dass es keine Korrelation
zwischen Storterm und Regressoren gibt.
Wir beobachten aber y∗2 nur fur Individuen, die arbeiten und fur die
daher gilt y∗1i > 0 oder y1i = 1. Deswegen ist der Erwartungswert fur
die beobachtbaren Werte von y∗2:
E[y∗2i|xi, y1i = 1] = E[x′iβ|xi, y1i = 1] + E[ui|xi, y1i = 1]
= x′iβ + E[ui|xi, y1i = 1]︸ ︷︷ ︸g(x′i)=0
(3.46)
Wir konnen fur die Gruppe von Personen, fur die y∗2 beobachtbar ist,
nicht von vornherein ausschließen, dass der Erwartungswert des
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 66
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Storterms systematisch mit den Regressoren zusammenhangt und
deswegen von 0 abweichen konnte. Daher kann fur diese Gruppe eine
(lineare) Regression von y2 auf x nun verzerrte Parameterschatzungen
liefern.
Falls die Storterme u und v normalverteilt sind, mit
E[ui|xi] = E[vi|zi] = 0,V [ui|xi] = σ2u, V [vi|zi] = σ2
v und zudem diese
beiden Storterme korreliert sind, mit dem Korrelationskoeffizienten ρ,
dann lasst sich die Gleichung 3.46 auch wie folgt schreiben:
E(y∗2i|xi, y1i = 1) = x′iβ +ρσuσv
· E(vi|zi, y1i = 1) (3.47)
Eine Selektionsverzerrung von Parameterschatzungen einer linearen
Regression von y2 auf x tritt genau dann auf, wenn die Storterme
korreliert sind und gleichzeitig der Erwartungswert des Storterms v
fur Partizipanten von 0 verschieden ist.
Wie konnten wir uns dies okonomisch vorstellen? Angenommen,
unbeobachtbare Talente determinieren nicht nur Lohne, sondern auch
die Entscheidung zu arbeiten. Sie hatte einen positiven Einfluss auf
den Lohn eines Individuums und sicherlich auch auf die
Wahrscheinlichkeit zu arbeiten, d.h., beide Storterme u und v sind
umso hoher, je hoher diese Talente und sind daher positiv korreliert.
Obwohl der Erwartungswert von v fur ein zufallig ausgewahltes
Individuum Null ist, wird er fur Partizipanten eher positiv sein, denn
gerade die besonders talentierten Personen werden arbeiten.
Die Selektionsverzerrung lasst sich durch verschiedene
Korrekturmethoden okonometrisch beseitigen. Beispielsweise kann ein
Proxy fur E[vi|zi, y1i] mit Hilfe der Koeffizienten einer
Partizipationsgleichung geschatzt werden und dann in der
Lohngleichung als Regressor verwendet werden
(“Heckman-correction”, Heckman, 1979). D.h., wir machen die
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 67
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
unbeobachtbare Variable E[vi|zi, y1i] beobachtbar.
3.5.3 Eissa und Liebman, 1996: Labour supply response
to the Earned Income Tax Credit
Hintergrund der Studie
• Earned Income Tax Credit steht vor allem armen
Personengruppen mit Kindern in den USA zur Verfugung. Er wird
nur gewahrt, wenn die Personen auch arbeiten.
• Der Tax Reform Act 1986 in den USA erhohte (ab 1987) den
Earned Income Tax Credit fur alleinstehende Mutter:
– 14 statt 11 % Zuschuss auf den Lohn in der ersten Region
(“phase-in region”), solange das Einkommen < 6080 Dollar
(zuvor < 5000 Dollar). D.h. maximal ein Zuschuss von 851
statt 550 Dollar.5
– Hinzu wurde der Abschlag “phase-out rate” von 12,22 auf 10
% reduziert.
• Folge: Personen mit einem Bruttoeinkommen von 11000 bis 15432
Dollar konnten zum ersten Mal diese Transferleistungen
bekommen.
• Erwartete Wirkungen auf das Arbeitsangebot alleinstehender
Mutter:
1. Nichtpartizipantinnen sollten einen hoheren Anreiz bekommen,
erwerbstatig zu werden.
2. Fur diejenigen, die arbeiten und sich in der phase-in region
befinden, ist unklar, ob das Arbeitsangebot ausgedehnt wird5Anmerkung: Dollarbetrage in Figure IV der Studie weichen hiervon ab, weil sie nicht nominal sondern in Preisen des Jahres
1992 dargestellt werden.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 68
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
oder nicht (Einkommens- und Substitutionseffekt sind
gegenlaufig).
3. Fur alle anderen sind negative Substitutions- und/oder
Einkommenseffekte zu erwarten, so dass mit einem Ruckgang
des Arbeitsangebots zu rechnen ist.
Schatzstrategie fur die Effekte -
Differenzen-von-Differenzen-Ansatz
Evaluationsproblem am Beispiel des Effektes der Reform auf die
Partizipationswahrscheinlichkeit alleinstehender Mutter (Gruppe A,
treatment group). Die Partizipationswahrscheinlichkeit ware also
unsere Outcome-Variable. Der Reformeffekt ware
∆ReformA = P (yA,t = 1|D = 1)− P (yA,t = 1|D = 0) (3.48)
D =
{1 von Reform betroffen,
0 von Reform nicht betroffen.(3.49)
P (yA,t = 1|D = 1): Partizipationsrate der Gruppe A im Jahr t nach
der Reform.
P (yA,t = 1|D = 0): Partizipationsrate der Gruppe A im Jahr t nach
der Reform, wenn die Reform gar nicht stattgefunden hatte.
Der zweite Term auf der rechten Seite der Gleichung ist fur die
Gruppe A unbeobachtbar, daher konnen wir den Effekt der Reform
des EITC nicht direkt messen. Wie konnten wir trotzdem den
Reformeffekt, ∆ReformA , schatzen?
Differenzen-von-Differenzen-Ansatz:
1. Wir bestimmen eine Gruppe von Frauen, die den alleinstehenden
Muttern moglichst ahnlich ist und von der Reform gar nicht
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 69
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
betroffen ist. Hier: alleinstehende kinderlose Frauen, die EITC
nicht erhalten (Gruppe B, control group).
2. Trotz der Ahnlichkeit weichen die durchschnittlichen
Partizipationsraten von Gruppe A und Gruppe B generell
voneinander ab, denn die beiden Gruppen sind schließlich nicht
identisch und verhalten sich unterschiedlich.
P (yA,t = 1|D = 0) = P (yB,t = 1|D = 0) (3.50)
P (yB,t = 1|D = 0): Partizipationsrate der Gruppe B zum
Zeitpunkt t.
Es ware also aussichtslos, den Reformeffekt dadurch zu schatzen,
dass wir einfach die unbeobachtbare Partizipationsrate der
Gruppe A, P (yA,t = 1|D = 0), in der obigen Gleichung durch die
Partizipationsrate der Gruppe B zum Zeitpunkt t ersetzen.
3. Veranderung der Partizipationsraten von Gruppe A und Gruppe
B uber die Zeit:
∆PA,t,t−τ︸ ︷︷ ︸beobachtbar
= P (yA,t = 1|D = 1)− P (yA,t−τ = 1|D = 0)
∆P ohne ReformA,t,t−τ︸ ︷︷ ︸
unbeobachtbar
= P (yA,t = 1|D = 0)− P (yA,t−τ = 1|D = 0)
∆PB,t,t−τ︸ ︷︷ ︸beobachtbar
= P (yB,t = 1|D = 0)− P (yB,t−τ = 1|D = 0)
Annahme: ∆P ohne ReformA,t,t−τ = ∆PB,t,t−τ (3.51)
t− τ : ein Zeitpunkt vor der Reform
Annahme: zeitliche Veranderungen (Trends) der
Partizipationsraten der beiden Gruppen waren ohne die Reform
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 70
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
gleich gewesen.
4. Der Reformeffekt lasst sich auch wie folgt darstellen:
∆ReformA = P (yA,t = 1|D = 1)− P (yA,t = 1|D = 0)
= P (yA,t = 1|D = 1)− P (yA,t−τ = 1|D = 0)
−[P (yA,t = 1|D = 0)− P (yA,t−τ = 1|D = 0)]
= ∆PA,t,t−τ −∆P ohne ReformA,t,t−τ (3.52)
Wenn wir also den letzten Term auf der rechten Seite durch den
Trendterm fur die Gruppe B ersetzen, bekommen wir eine
unverzerrte Schatzung des Reformeffekts, falls unsere Annahme
zutrifft:
∆ReformA = ∆PA,t,t−τ −∆PB,t,t−τ (3.53)
Wir schatzen den Effekt also dadurch, dass wir eine Differenz
zweier Differenzen bilden. Hierfur benotigen wir nur die
beobachtbaren Veranderungen der durchschnittlichen
Partizipationsraten der beiden Gruppen in dem gegebenen
Zeitraum.
5. Die Ergebnisse lassen sich nur als durchschnittlicher Effekt der
Reform auf diejenige Gruppe, die von der Reform betroffen ist,
interpretieren (average treatment effect on the treated). Sie sind
nicht ohne weitere Annahmen auf andere Gruppen zu ubertragen.
6. Die Annahme, dass ohne Reform die Trends fur beide Gruppen
gleich sind, lasst sich dadurch untermauern, dass dies in Perioden
vor und nach der Reform der Fall ist. Wichtig ist zudem zu
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 71
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
uberprufen, dass innerhalb des Untersuchungszeitraums [t, t− τ ]
keine der beiden Gruppen durch weitere Politikanderungen, die
jeweils nur eine der beiden Gruppen betrifft, ihr
Partizipationsverhalten andern.
7. Damit die Annahme gleicher Trends ohne Reform
∆P ohne ReformA,t,t−τ = ∆PB,t,t−τ
realistisch ist, sollten beide Gruppen auch die gleichen
Veranderungen wichtiger Determinanten der Partizipationsrate
zwischen den Zeitpunkten, t− τ und t, erfahren. Dies stellt sicher,
dass sich uber diesen Zeitraum auch die Outcome-Variable fur
beide Gruppen ohne Reform ahnlich entwickelt.6 Ist dies nicht der
Fall, muss der Differenzen-von-Differenzen-Ansatz fur
Veranderungen der beobachtbaren Einflussvariablen der Gruppen
A und B kontrollieren. Mit Hilfe dieser Ergebnisse, konnen wir
den Reformeffekt beispielsweise wie folgt schatzen:
∆ReformA
= P (yA,t = 1|D = 1, x = xA)− P (yA,t−τ = 1|D = 0, x = xA)
−[P (yB,t = 1|D = 0, x = xA)− P (yB,t−τ = 1|D = 0, x = xA)]
(3.54)
D.h., wir berechnen die Partizipationswahrscheinlichkeiten von
Gruppe A und Gruppe B zu beiden Zeitpunkten fur den
Mittelwert der Einflussvariablen der Gruppe A.
Daten, Schatzergebnisse
1. Mikrodaten uber alleinstehende Mutter und alleinstehende
kinderlose Frauen: Querschnittsdaten des March Current6Diese Annahme ware beispielsweise verletzt, wenn Mitglieder der Gruppe A am Ende dieses Zeitraums im Schnitt weniger
Kinder hatten als zu Beginn. Dann ware zu erwarten, dass ihre Partizipationsrate selbst ohne Reform starker gestiegen ware alsdie der Gruppe alleinstehender kinderloser Frauen.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 72
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
Population Survey der Perioden 1984 bis 1986 und 1988 bis 1990.
Erfasst demographische Informationen der Befragungsteilnehmer
fur das Vorjahr, so dass Informationen uber 3 Zeitpunkte vor und
3 Zeitpunkte nach der Reform vorliegen.
2. Effekt der Reform auf Partizipationswahrscheinlichkeit:
• geschatzte Partizipationsgleichung (Probit-Modell):
P (yit = 1) = Φ[α + x′itβ + γ0 · treatmenti + γ1 · post86t
+γ2 · (treatmenti · post86t)]
(3.55)
i: Individuum , t: Zeitpunkt, x: Kontrollvariablen,
treatment (kids) = 1, falls Mitglied der treatment group und
0 sonst,
post86t = 1, falls Beobachtung nach dem Jahre 1986 und 0
sonst,
treatmenti · post86t = 1 fur Mitglied der treatment group
nach dem Jahre 1986 und 0 sonst,
γ0: Parameter fur unterschiedliches Partizipationsverhalten der
alleinstehenden Mutter im Vergleich zu kinderlosen
alleinstehenden Frauen mit sonst gleichen Charakteristika
(voraussichtlich < 0),
γ1: Parameter fur die trendmaßige Veranderung der
Partizipationswahrscheinlichkeiten beider Gruppen unabhangig
von der Reform (voraussichtlich > 0),
γ2: Parameter der Interaktion zwischen Trend und treatment
group. Er misst, inwieweit sich zeitliche Trends der
Partizipationswahrscheinlichkeiten fur die treatment group
wegen der Erhohung des EITC von den Trends fur die control
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 73
KAPITEL 3. ARBEITSANGEBOT
group unterscheiden. Der Parameter sollte daher > 0 sein.
• Resultate: Treatment-Effekt ist positiv und stabil, d.h. der
Reform Act erhohte die Partizipationswahrscheinlichkeit der
alleinstehenden Mutter.
3. Jahresarbeitsstundengleichung
hit = α + x′itβ + γ0 · treatmenti + γ1 · post86t+ γ2 · (treatmenti · post86t) + uit (3.56)
γ2 misst den average treatment effect on the treated.
• Es wurden ausschließlich Beobachtungen von Personen
verwendet, die zu den verschiedenen Zeitpunkten partizipiert
haben.
• Resultate: Treatment-Effekt ist positiv, aber variiert sehr stark
fur verschiedene Gruppen von alleinstehenden Muttern
zwischen γ2 = 0, 126 Stunden und γ2 = 83, 83 Stunden
hoherem jahrlichen Arbeitsangebot aufgrund der Erhohung des
EITC.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 74
Kapitel 4
Mindestlohne
4.1 Einfuhrung
Definition: Mindestlohn - der niedrigste mogliche (Stunden-)Lohn, der
an bestimmte Arbeitskrafte bezahlt werden darf, die von der
Mindestlohnregelung betroffen sind. Sie werden entweder gesetzlich
festgelegt oder zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern
ausgehandelt. Im letzteren Fall werden gewohnlich nur Firmen
betroffen sein, die Mitglied im Arbeitgeberverband sind.
Der Mindestlohn ist ein Instrument der Arbeitsmarktpolitik, das aus
unterschiedlichen Grunden eingesetzt werden kann: So konnte es
damit bei Marktversagen (z.B. wegen besonderer Marktmacht der
Arbeitgeber) Wohlfahrtsgewinne durch Mindestlohne geben. Ferner
konnte Lohnungleichheit und Armut damit bekampft werden.
Zentrale Fragen:
• Fuhrt die Einfuhrung oder Erhohung von Mindestlohnen dazu,
dass Arbeitsplatze verloren gehen?
• Erreichen Mindestlohne das Ziel, Armut zu bekampfen?
75
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
Umverteilungsaspekte bei Einfuhrung/Erhohung von
Mindestlohnen
Wer sind die Verlierer bei der Einfuhrung/Erhohung von
Mindestlohnen?
• Konsumenten zahlen erhohten Preis fur bestimmte Produkte
(proportional zum Anteil der Lohnkosten der
Mindestlohnarbeitskrafte an den gesamten Produktionskosten).
• Anteilseigner in betroffenen Firmen mussen Renten mit
Mindestlohnempfangern teilen.
• Teilgruppe der Niedriglohnarbeitnehmer : Verlierer sind
diejenigen Niedriglohnarbeitnehmer, die entlassen werden und
entweder arbeitslos bleiben oder in Sektoren oder Firmen arbeiten
mussen, die von der Mindestlohngesetzgebung nicht betroffen
sind. Solche Firmen/Sektoren profitieren durch die
Mindestlohneinfuhrung von einem erhohten Arbeitsangebot an
unqualifizierten Arbeitskraften und konnen solche Arbeitnehmer
zu niedrigeren Lohnen als zuvor beschaftigen.
• Niedriglohnarbeitnehmer als Gruppe : Sollte die Lohnelastizitat
der Nachfrage nach solchen Arbeitnehmern kleiner -1 sein ⇒Mindestlohnerhohung fuhrt dazu, dass die Lohnsumme dieser
Gruppe von Arbeitskraften zuruckgeht.
• Wichtig: Angenommen, alle Niedriglohnverdiener verlieren
regelmaßig Jobs, werden zeitweise arbeitslos, finden aber
regelmaßig neue Mindestlohnjobs, dann werden alle
Niedriglohnverdiener von einer Mindestlohnerhohung profitieren,
wenn die Lohnelastizitat der Arbeitsnachfrage zwischen 0 und -1
liegt. Falls hingegen einige immer beschaftigt, andere haufig und
lange arbeitslos sind, werden letztere die Verlierer der
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 76
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
Mindestlohngesetzgebung sein.
Mindestlohne und ihre Ausgestaltung (in den USA)
• Mindestlohne werden nominal festgelegt als Stundenlohne.
• Inflation fuhrt zu sinkenden realen Mindestlohnen. Zudem sinken
sie relativ zu den Durchschnittslohnen aufgrund des
Produktivitatsfortschritts. Daher stehen die Gesetzgeber von Zeit
zu Zeit unter Druck, die Mindestlohne zu erhohen.
• Falls ein Mindestlohn fur eine Volkswirtschaft festgelegt wird,
werden die realen Mindestlohne von Region zu Region mit dem
Preisniveau variieren. Folge: unterschiedliche regionale
Beschaftigungseffekte. In den USA: Einige Bundesstaaten haben
eigene Mindestlohngesetzgebung.
• Covered versus uncovered sectors: Einige Sektoren oder Typen
von Firmen sind von der Mindestlohngesetzgebung ausgenommen
(in den USA z.B.: sehr kleine Firmen, Einzelhandel und einige
Dienstleistungssektoren).
Mindestlohne in Europa
• Mindestlohne werden nominal festgelegt als Stundenlohne oder
Monatslohne.
• Gesetzliche Mindestlohne: Deutschland (seit Januar 2015),
Estland, Frankreich, Irland, Luxemburg, Niederlande, Polen,
Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik,
Ungarn und Vereinigtes Konigreich (seit 1998).
• Von Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelte nationale
Mindestlohne: Belgien und Griechenland.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 77
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
• Von Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelte sektorale
Mindestlohne: Danemark, Deutschland (vor Januar 2015), Italien,
Osterreich, und Schweden. In Deutschland gab es allerdings
bereits vor Januar 2015 einige gesetzlich geregelte Mindestlohne
fur Berufsgruppen/Sektoren.
• Nur in ausgewahlten Niedriglohnsektoren: Vereinigtes Konigreich
(vor 1993).
• Mindestlohne variieren manchmal mit dem Alter der
Arbeitnehmer, mit Region, Beruf, Sektor, Betriebszugehorigkeit,
Firmengroße, Familienstand und Anzahl der Kinder.
• Je nach dem wie hoch die Mindestlohne relativ zum
Durchschnittsverdienst ausfallen, variiert der Anteil der
Mindestlohnarbeitnehmer an allen Arbeitnehmern. Franz (2013)
verdeutlicht das fur verschiedene Volkswirtschaften. In Frankreich
belief sich dieser Anteil im Jahr 2005 auf fast 17 %, wahrend er im
Vereinigten Konigreich bei weniger als 2 % lag. Fur
Vollzeitarbeitskrafte lag der Mindestlohn im Jahr 2005 in
Frankreich bei etwa 51 % und im Vereinigten Konigreich bei 45 %
des Medianlohns (Quelle: OECD.Stat Extracts).
4.2 Arbeitsnachfrage und Mindestlohne
4.2.1 Vollkommene Konkurrenz auf den
Arbeitsmarkten
Simples Nachfrage-Angebotsdiagramm: Uberschreiten Mindestlohne
den marktraumenden Gleichgewichtslohn, dann wird bei deren
Einfuhrung
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 78
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
• die Arbeitsnachfrage sinken und weniger Personen einen hoheren
Lohn verdienen,
• Arbeitslosigkeit entstehen, die zum Teil aus entlassenen
Arbeitnehmern und zum Teil aus einem erhohten Arbeitsangebot
resultiert,
• der Nettobeschaftigungsverlust und die Arbeitslosigkeit umso
hoher sein, je hoher (dem Betrage nach) die Lohnelastizitat der
Arbeitsnachfrage.
Falls ein Sektor von Mindestlohnregelung unberuhrt
bleibt (Welch-Modell, 1976)
• Das Arbeitsangebot in dem von Mindestlohnregelungen
unberuhrten Sektor steigt um die Anzahl von Arbeitskraften, die
im vom Mindestlohn betroffenen Sektor den Arbeitsplatz durch
die Einfuhrung des Mindestlohns verlieren.
• Der Lohn im vom Mindestlohn ausgenommenen Sektor geht
zuruck, wahrend die Beschaftigung in diesem Sektor steigt.
• Der Nettobeschaftigungsverlust ist umso geringer, je
lohnelastischer (dem Betrage nach) die Arbeitsnachfrage im vom
Mindestlohn ausgenommenen Sektor (d.h. auch je großer dieser
Sektor). Er ist umso geringer, je weniger lohnelastisch das
Arbeitsangebot ist.
Falls der Mindestlohn generell gilt, werden sich immer
noch einige Firmen (die sonst nicht im Markt bleiben
konnten) nicht an die Mindestlohnregelung halten
• In diesem Fall knickt die negativ geneigte Arbeitsnachfragekurve
beim Mindestlohn ab und wird steiler.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 79
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
• Ein Teil der Beschaftigten wird zum Mindestlohn eingestellt.
• Firmen, die bei einer Entlohnung ihrer Arbeitskrafte zum
Mindestlohn nicht im Markt bleiben konnten, beschaftigen illegal
Personen zu einem Lohn w1 < Mindestlohn.
• Folge: Der negative Beschaftigungseffekt eines Mindestlohns bzw.
einer Erhohung des Mindestlohns wird abgeschwacht.
Weitere mogliche Folgen der Einfuhrung oder Erhohung
von Mindestlohnen
• Sektorshifts in der Guternachfrage:
– Relative Guterpreise andern sich, da verschiedene
Sektoren/Guter einen unterschiedlichen Prozentsatz
unqualifizierter Arbeitskrafte/Niedriglohnarbeitnehmer
beschaftigen. Dadurch beeinflusst eine Mindestlohnerhohung
ihre Lohnstuckkosten und Preise unterschiedlich. ⇒ Die
Nachfrage nach Produkten, deren Preis relativ geringer wurde,
mag steigen und daher ebenso die Beschaftigung im
zugehorigen Sektor.
– Angenommen, Mindestlohnerhohungen fuhren dazu, dass das
durchschnittliche Einkommen von unqualifizierten
Arbeitskraften steigt. Dadurch erhoht sich die Nachfrage nach
bestimmten Produkten, die von dieser Gruppe von
Arbeitnehmern besonders praferiert werden. Dies fuhrt
wiederum bei Firmen, die solche Produkte anbieten zu einer
Beschaftigungsexpansion.
• Spill-Over Effekte : Wenn Gewerkschaften dafur sorgen, dass die
Lohnunterschiede zwischen Empfangern des gesetzlichen
Mindestlohns und von Arbeitnehmern, die uber dem Mindestlohn
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 80
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
bezahlt werden, sich nicht wesentlich andern. Erhohung der
Mindestlohne fuhrt dann zu einem generellen Lohnanstieg und
daher einer verstarkten Beschaftigungsminderung.
• Mindestlohne haben besonders negative Beschaftigungsfolgen in
kleinen offenen Volkswirtschaften. Grund: Bei wettbewerblichen
Arbeitsmarkten ist der Beschaftigungsverlust bei Einfuhrung oder
Erhohung des Mindestlohns umso hoher, je hoher dem Betrag
nach die Lohnelastizitat der Arbeitsnachfrage. Diese ist aber
besonders hoch fur Firmen, deren Produkte einem starken
internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Allerdings ist der
Anteil der Niedriglohnarbeitnehmer in Europa vergleichsweise
gering in den Sektoren, die handelbare Guter anbieten.
4.2.2 Nicht-kompetitiver Arbeitsmarkt: Monopson
Monopson: Nur eine Firma als Nachfrager nach Arbeit auf einem
bestimmten Arbeitsmarkt bei vollkommener Konkurrenz am
Gutermarkt. Der Lohnsatz ist keine exogene Große fur diese Firma,
sondern bestimmt sich entsprechend einer aufwartsgeneigten
Arbeitsangebotsfunktion. Wenn der Monopsonist nicht diskriminiert,
zahlt er jedem Beschaftigten denselben Lohn, daher gilt:
• Die Lohne steigen fur alle Beschaftigten, wenn der Monopsonist
mehr Arbeit nachfragt. D.h., die Grenzkosten eines zusatzlich
Beschaftigten entsprechen nicht allein dessen Lohnsatz wie bei
vollkommener Konkurrenz, sondern auch der Lohnkostenerhohung
fur alle ubrigen Beschaftigten. Im Arbeitsmarktdiagramm liegt
daher die Grenzkostenkurve des Monopsonisten oberhalb der
Arbeitsangebotskurve und ist steiler.
• Der Gewinn des Monopsonisten wird maximiert, wenn das
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 81
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
Wertgrenzprodukt der Arbeit = Grenzkosten des Monopsonisten.
Beschaftigung und Lohn im Arbeitsmarktgleichgewicht des
Monopsons sind niedriger als im Konkurrenzgleichgewicht.
Folgen der Einfuhrung eines Mindestlohns
Falls der Mindestlohn zwischen dem Gleichgewichtslohn im Monopson
und dem hoheren Gleichgewichtslohn bei vollkommener Konkurrenz
liegt:
• Neue Grenzkostenkurve: Teilstuck 1 - Bei einer Beschaftigung von
0 bis zur Hohe des Arbeitsangebots beim Mindestlohn entspricht
der Mindestlohn den Grenzkosten (Horizontale). Ubertrifft die
Beschaftigung den Wert des Arbeitsangebots beim Mindestlohn,
so gilt wieder die ursprungliche Grenzkostenkurve.
• Lohn und Beschaftigung werden gleichzeitig steigen.
Ist die Monopsonsituation realistisch?
• Ein typisches Beispiel fur eine Monopsonsituation ware eine
abgelegene Bergarbeitersiedlung mit einem Arbeitgeber, was
heutzutage nicht haufig auftritt.
• Grunde fur Marktmacht der Arbeitgeber liegen aber auch in
modernen Volkswirtschaften vor. Moderne Arbeitsmarkttheorien
(Manning 2003a, 2003b) argumentieren wie folgt: Die Marktmacht
des Arbeitgebers entsteht durch segmentierte Arbeitsmarkte. Je
segmentierter, differenzierter und intransparenter der
Arbeitsmarkt ist, desto weniger relevante Jobangebote (offene
Stellen) stehen dem einzelnen Arbeitsuchenden zur Verfugung.
Wer also in einem engen Segment des Arbeitsmarkts einen Job
sucht, hat es mit wenigen Arbeitgebern zu tun, die daher auch
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 82
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
uber Marktmacht und damit Lohnsetzungsspielraume auf diesem
Arbeitsmarkt verfugen.
4.2.3 Andere Ansatze zur Erklarung der Auswirkung
von Mindestlohnen
Institutionelle Okonomen: (Kerr, Dunlop, Lester - social economics
revisionists)
• Nichtokonomische Faktoren wie Fairness beeinflussen Lohnsetzung
und Beschaftigung - solche Faktoren konnten zu einer “range of
indeterminacy” (Lester 1964) fuhren. Folglich gibt es ein Intervall
von Lohnsatzen, in dem Lohne variieren konnen, ohne große
Beschaftigungsschwankungen zur Folge zu haben.
• Hohere Lohne fuhren zu weniger Fluktuation der Belegschaft und
erhohen die Arbeitsproduktivitat, so dass die Einfuhrung von
Mindestlohnen nicht unbedingt mit einem Arbeitsplatzabbau
verbunden sein muss.
• Mindestlohne konnen das Management einer Firma dazu
bewegen, die Firma besser zu organisieren, was dann sowohl
Output als auch Beschaftigung steigert.
• Resumee: Die Einfuhrung oder Erhohung von Mindestlohnen
konnte in einigen Firmen zu Entlassungen, in anderen zu mehr
Beschaftigung fuhren.
Folgerung: Die verschiedenen theoretischen Ansatze zu Mindestlohnen
haben unterschiedliche Implikationen zur Wirkung einer Erhohung
oder Einfuhrung von Mindestlohnen auf die Beschaftigung von
Niedriglohnarbeitnehmern. Daher muss die Richtung der Wirkung
empirisch ermittelt werden. Wir werden spater zwei Beispiele hierfur
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 83
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
sehen. Allerdings kann mit den Ergebnissen empirischer Studien nicht
generell auf die Beschaftigungswirkungen von Mindestlohnen
geschlossen werden. Die Ergebnisse gelten nur unter den jeweiligen
Rahmenbedingungen. Daher ist es auch nicht uberraschend, dass
empirische Forschungsergebnisse teils fur negative, keine oder positive
Beschaftigungseffekte sprechen.
Bekampfen Mindestlohne effektiv die Armut?
• Moglicherweise, wenn durch die Einfuhrung oder Erhohung des
Mindestlohns der prozentuale Ruckgang der Beschaftigung von
Niedriglohnarbeitnehmern geringer ist als der prozentuale Anstieg
ihrer Lohne.
• Oft sind Jugendliche von Mindestlohnen betroffen, da sie wegen
der geringen Berufserfahrung noch sehr wenig verdienen. Sie leben
aber zum großen Teil in Familien, die ohnehin nicht arm sind
(geringer Effekt auf Armut).
• Armut wird vielfach dadurch ausgelost, dass kein Familienmitglied
eine Beschaftigung findet: Dann ist die Einfuhrung eines
Mindestlohns kontraproduktiv, wenn er zu verringerter
Beschaftigung fuhren sollte. Der Mindestlohn kommt nicht den
armen Familien zu gute, sondern schafft moglicherweise noch
mehr Armut.
• In Europa gilt: Mindestlohnarbeitnehmer leben haufiger in armen
als in reichen Haushalten, allerdings lebt immer noch ein
nennenswerter Teil auch in vergleichsweise reichen Haushalten.
Mindestlohne bzw. deren Erhohung sind daher als Instrument zur
Bekampfung von Armut nur teilweise effektiv, da sie nicht direkt
auf die armen Familien abzielen.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 84
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
4.3 Empirische Studien zur Auswirkung vonMindestlohnen auf den
Beschaftigtenstand
Unterschiedliche Untersuchungsansatze:
• Studien der Korrelation zwischen Beschaftigungsanderungen
und Mindestlohnveranderungen bzw. relativen Anderungen
des Verhaltnisses zwischen Mindestlohnen und
Durchschnittslohnen (oft Differenzen in Logarithmen).
Zeitreihenanalysen, Industriequerschnitts- oder
Industriepaneldatenanalysen, Analysen mit Betriebspaneldaten.
Zeitreihenansatz:
lt = β · wmin,t + z′t · γ + ut (4.1)
t: Zeitpunkt, wmin: Mindestlohn zum Zeitpunkt t,
l: Beschaftigung bestimmter demographischer Gruppen, aus denen
Niedriglohnarbeitskrafte typischerweise stammen (z.B.: junge
Arbeitnehmer unter 20 Jahren),
z: weitere Einflussvariablen (Variablen, die die allgemeine
Arbeitsmarktlage wie die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit
messen; Variablen, die messen zu welchem Teil der Arbeitsmarkt
uberhaupt vom Mindestlohn betroffen ist = coverage),
β: erfasst den Effekt der Erhohung des Mindestlohns um eine
Einheit auf die Beschaftigung.
• Naturliche Experimente : Unterschied der Beschaftigung vor und
nach einer Mindestlohnerhohung in einem Sektor/einer Region
(treatment group) wird verglichen mit der zeitgleichen
Beschaftigungsveranderung eines ahnlichen Sektors bzw. einer
angrenzenden Region (control group), die im gleichen Zeitraum
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 85
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
keine oder kaum eine Veranderung der Mindestlohne verzeichnete.
• Meyer and Wise (1983): Beschaftigungseffekt aus
Querschnittslohnverteilung errechnet, d.h. ohne (große)
Variation der Mindestlohne. Dies geht mit Hilfe von restriktiven
Annahmen:
– Eine Verteilungsfunktion der Lohnsatze wird angenommen, die
gelte, wenn es keine Mindestlohne gabe.
– Die Lohne von Arbeitnehmern, die mehr als den Mindestlohn
verdienen, andern sich nicht durch die Mindestlohne.
Dann konnen aus den beobachteten Lohnen oberhalb des
Mindestlohns die Parameter der Dichtefunktion bzw. der
Verteilungsfunktion geschatzt werden. Mit Hilfe dieser
Verteilungsfunktion kann dann vorhergesagt werden, wie viele
Personen den Mindestlohn oder weniger als den Mindestlohn
verdienen mussten, wenn es gar keinen Mindestlohn gabe. Zieht
man von dieser Zahl die tatsachliche Anzahl der
Mindestlohnempfanger ab, so erhalten wir den
Beschaftigungsverlust, den der Mindestlohn verursacht. (Elegant,
aber sehr empfindlich gegenuber einer Verletzung der
Verteilungsannahmen.)
4.3.1 Card und Krueger, 1995: Employer Responses to
the Minimum Wage: Evidence from the
Fast-Food Industry
Ziel der Studie
• Sie versuchen die Auswirkungen von Mindestlohnen auf die
Beschaftigung mit Hilfe eines naturlichen Experiments in den
USA zu untersuchen:
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 86
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
– April 1992: In New Jersey werden die Mindestlohne von 4,25
Dollar auf 5,05 Dollar erhoht.
– Im angrenzenden Bundesstaat Pennsylvania bleiben die
Mindestlohne unverandert bei 4,25 Dollar.
Datenerhebung fur
Differenzen-von-Differenzen-Ansatz
– Eigene Erhebung: 410 Fast-Food Restaurants werden als
wichtige Arbeitgeber von unqualifizierten Arbeitskraften in den
beiden Bundesstaaten einem Telefoninterview unterzogen, kurz
bevor der neue Mindestlohn eingefuhrt wird.
– In der Befragung wurden Informationen uber Lohne und
Anzahl der Beschaftigten erhoben.
– Etwa 10 Monate spater werden diese Restaurants ein weiteres
Mal befragt, um diese Daten erneut zu erfassen.
– Der Effekt der Mindestlohnerhohung auf die Beschaftigung
sollte sich mit Hilfe dieser Daten durch einen
Differenzen-von-Differenzen-Ansatz schatzen lassen. Unterstellt
wird, dass der Beschaftigungsanstieg in Fast-Food Restaurants
in beiden Bundesstaaten ohne die Mindestlohnerhohung gleich
hoch ware. Folge: Die Differenz aus dem tatsachlichen
Beschaftigungszuwachs in New Jersey (treatment group) und
dem Beschaftigungszuwachs in Pennsylvania schatzt den Effekt
der Mindestlohnerhohung auf die Beschaftigung in New Jersey.
Warum Fast-Food Restaurants?
– Gehoren zu den wichtigsten Arbeitgebern unqualifizierter
Beschaftigter.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 87
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
– Relativ homogene Firmen in Bezug auf: Arbeitsanforderungen,
Produktpalette und -preise.
– Halten sich weitestgehend an Mindestlohngesetze.
– Hohe Antworthaufigkeit bei Telefonumfragen.
– Hohe Fluktuation der Belegschaft, d.h. rasche Reaktion auf
Mindestlohnanderungen moglich (etwa 32 % verlassen den Job
innerhalb von 6 Monaten).
Resultate, die mit der Mindestlohnerhohung New
Jerseys in Verbindung gebracht werden
New Jersey Pennsylvania
- Startlohne 10 % gestiegen unverandert
- Beschaftigung leicht gestiegen Ruckgang
- Anteil der um 3 Prozentpunkte um 4,6 Prozentpunkte
Vollzeitbeschaftigten gestiegen gefallen
- Fast Food Preise leicht gestiegen unverandert
• Regressionsanalysen der Gleichungen:
∆Yi = a + b′ ·Xi + c ·NJi + εi oder (4.2)
= a∗ + b∗′ ·Xi + c∗ ·GAPi + ε∗i (4.3)
∆Y : abhangige Variable - Beschaftigungsanderung (relative)
eines Restaurants
X: Charakteristika des Restaurants (Restaurantkette)
NJ: Dummy= 1 falls das Restaurant in New Jersey liegt, = 0 fur
Pennsylvania
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 88
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
GAP =
0 falls das Restaurant in Pennsylvania liegt,
0 falls das Restaurant in New Jersey liegt, aber bei
der ersten Befragung w1 ≥ 5,05 Dollar
bezahlt wurde,
5, 05− w1 fur alle anderen New Jersey Restaurants.
(4.4)
c, c∗: Parameter, die angeben, in welchem Maße eine
Mindestlohnerhohung Beschaftigungsveranderungen auslost.
• Resultat der Regressionsanalysen: Die Schatzungen fur c und c*
sind positiv.
• Falls die absolute Beschaftigungsanderung als abhangige Variable
verwendet wird, sind die Schatzungen von c und c* an der Grenze
zur statistischen Signifikanz. Sie sind nicht signifikant, wenn als
abhangige Variable die relative Beschaftigungsanderung verwendet
wird.
• Ergebnisse einer zweiten Studie fur Texas sind ahnlich.
• Interpretation der Ergebnisse: Widerspruch zur vermuteten
Wirkung von Mindestlohnen auf Beschaftigung bei vollkommener
Konkurrenz.
Kritik an der Studie
• Ignoriert Beschaftigung in neueroffneten Fast-Food Restaurants.
Die Anzahl von Neueroffnungen in New Jersey mag geringer sein
als in Pennsylvania.
• Beschaftigungstrends der treatment und control group sind zwar
langfristig ahnlich, aber nicht unbedingt kurzfristig. Es mag
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 89
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
unbeobachtete kurzfristige Nachfrageschocks geben, die fur beide
Gruppen unterschiedlich sind. Somit ist der
Differenzen-von-Differenzen Ansatz fur diese Daten ungeeignet,
um den Effekt der Mindestlohnerhohung zu quantifizieren.
• Studie von Neumark und Wascher (1995): Sie versuchen mit Hilfe
von Daten aus Lohn- und Gehaltslisten von Fast-Food
Restaurants in New Jersey und Pennsylvania die Ergebnisse von
Card und Krueger zu uberprufen. Resultat: negative Auswirkung
der Mindestlohnerhohung New Jerseys auf die Beschaftigung.1
4.3.2 Dickens, Machin, Manning, 1999: The Effect of
Minimum Wages on Employment: Theory and
Evidence from Britain
Hintergrund der Studie
• Mindestlohne in Großbritannien (mit Unterbrechung) seit 1909
• Die Mindestlohne wurden von sektoral organisierten “Wage
Councils” festgelegt. Diese setzen sich jeweils aus einer gleichen
Anzahl von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern einer
Branche zusammen (+ bis zu 3 Regierungsvertreter).
• Mindestlohne waren bis 1986 differenziert nach Alter, Region,
Beruf,... Von 1986 - 1992 an, gab es nur noch einen Mindestlohn.
Datengrundlage und Schatzansatz
Panel verschiedener Wage Councils aus dem New Earnings Survey
(1975-1990), einer Befragung von Arbeitgebern. Es enthalt detaillierte1Card und Krueger (1998): Uberprufen die Ergebnisse erneut mit weiteren Daten aus Lohn- und Gehaltslisten von Fast-Food
Restaurants in New Jersey und Pennsylvania, die von einer anderen Datenquelle stammen und bestatigen ihre ursprunglichenResultate. Die Daten, welche Neumark und Wascher verwendeten, waren nicht reprasentativ fur die Restaurants.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 90
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
Informationen uber deren Beschaftigte, insbesondere, ob sie von Wage
Council Entscheidungen betroffen sind. Zusatzlich: Daten der
Employment Gazette - ein Survey, das Teilzeitarbeitskrafte besser
erfasst.
Ausgangsgleichung fur die Regressionsanalyse der logarithmischen
Beschaftigung:
ln(Ljt) = fj+δ1·ln(W ∗
jt
Wjt)+δ2·Time+δ3·ln(Salesjt)+δ4·Sector+ujt
(4.5)
j: Wage Council, t: Jahr, L: Beschaftigung,
f: Wage Council spezifischer Effekt,
Time: Makrotrends, Sales: realer Umsatz, Sector: sektorale Trends,W ∗
jt
Wjt: Mindestlohn relativ zu Durchschnittslohn
Resultate (Schatzgleichung ist die erste Differenz der obigen
Gleichung fur je zwei aufeinanderfolgende Jahre):
• δ1, die Elastizitat der Beschaftigung im Hinblick auf den
Mindestlohn relativ zum Durchschnittslohn ist nie negativ, in
einigen Spezifikationen sogar signifikant positiv.
• Interpretation: Widerspruch zu Vorhersagen des
Wettbewerbsmodells des Arbeitsmarkts.
4.3.3 Mindestlohndebatte und Mindestlohnstudien fur
Deutschland
Die Diskussion um Mindestlohne in Deutschland ist relativ neu und
wird angesichts der a priori unklaren Wirkungen auf den
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 91
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
Arbeitsmarkt nicht uberraschenderweise kontrovers gefuhrt.
Gesetzliche Mindestlohne wurden fur einige Sektoren (vor allem in
jungster Vergangenheit) eingefuhrt, wie der Mindestlohn fur
Briefsortierer und Briefzusteller zum 1. Januar 2008. Die
Mindestlohne in den verschiedenen Berufszweigen liegen nach
Angaben des Statistischen Bundesamts zwischen 8,60 und 14,60 Euro
pro Stunde in den neuen Bundeslandern und bei 8,60 bis zu 16,53
Euro pro Stunde in den alten Bundeslandern (inklusive Berlin).2 Mit
der Diskussion um die Mindestlohne entstanden auch einige
empirische Untersuchungen.
• Konig und Moller (2008) untersuchen mit Mikrodaten der
Beschaftigtenstatistik eine Situation, in der Mindestlohne im
Bauhauptgewerbe im September 1997 eingefuhrt wurden. In
Westdeutschland wurde damals ein Mindeststundenlohn von 16
DM (8,18 Euro) und in Ostdeutschland von 15,14 DM (7,74 Euro)
eingefuhrt. Die Autoren verwenden dabei ahnlich wie Card und
Kruger einen Differenzen-von-Differenzen-Ansatz. Die
Treatmentgruppe sind Arbeitnehmer im Baugewerbe, die
(aufgrund ihrer niedrigen Entlohnung) von der
Mindestlohneinfuhrung betroffen sind. Die Kontrollgruppe sind
Arbeitnehmer im Baugewerbe, die bereits vor der
Mindestlohneinfuhrung Stundenlohne erzielten, die etwas uber
dem Mindestlohn liegen. Ergebnis der Studie: In Westdeutschland
finden sie einen schwach statistisch signifikanten positiven
Beschaftigungseffekt der Mindestlohneinfuhrung. In
Ostdeutschland wirkt diese sich negativ auf die Beschaftigung aus.
• Der Sachverstandigenrat zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat sich in seinem2Die Angaben beziehen sich auf den Monat Dezember 2017. Angaben zu den Mindestlohnen in Deutschland und in Eu-
ropa sind auf der Webseite des Statistischen Bundesamtes erhaltlich (unter Themen - Verdienste und Arbeitskosten): htt-ps://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VerdiensteArbeitskosten/VerdiensteArbeitskosten.html
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 92
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
Jahresgutachten 2008/09 (Kapitel 5) ausgiebig mit der Studie von
Konig und Moller (2008) und einer Reihe weiterer aktueller
Studien beschaftigt, die ebenfalls mit Hilfe von Mikrodaten
Beschaftigungseffekte von Mindestlohnen in Deutschland
untersuchen. Z.B. kommt eine Studie des Deutschen Institut fur
Wirtschaftsforschung (DIW) zum Ergebnis, dass durch einen
Mindestlohn von 7,50 Euro etwa 260000 Jobs verloren gehen
(Muller und Steiner, 2008). Noch weit hohere Arbeitsplatzverluste
bei einem Mindestlohn in Hohe von 7,50 Euro pro Stunde finden
die Studien von Knabe und Schob (2008) - ifo Institut - und des
Rheinisch-Westfalischen Instituts fur Wirtschaftsforschung (RWI).
Diese zuletzt genannten Studien basieren im Gegensatz zu Konig
und Moller (2008) allerdings auf Simulationsrechnungen, die
Arbeitsnachfrageeffekte der Mindestlohneinfuhrung auf Basis eines
neoklassischen Arbeitsmarktmodells betrachten. Eine Situation, in
der eine Mindestlohneinfuhrung oder -erhohung keine oder gar
positive Beschaftigungswirkungen hatte, wird also von vornherein
ausgeschlossen.
• Im Jahr 2011 untersuchten verschiedene Forschungsinstitute in
Deutschland im Auftrag des Bundesministeriums fur Arbeit und
Soziales die Mindestlohnwirkungen in einigen Branchen, in denen
teils vor geraumer Zeit und teils erst in den letzten Jahren
Mindestlohne eingefuhrt wurden.3 Es ging unter anderem darum
zu untersuchen, ob durch die Mindestlohnregelungen in den
Sektoren netto Arbeitsplatze verloren gehen oder enstehen, und
ob die Wettbewerbsfahigkeit der untersuchten Wirtschaftszweige
beeintrachtigt wird:
– Maler- und Lackiererhandwerk3Die Abschlussberichte sind unter http://www.bmas.de/DE/Themen/Arbeitsrecht/Mindestlohn/evaluation-mindestloehne.html
verfugbar
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 93
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
– Dachdeckerhandwerk
– Abfallwirtschaft
– Elektrohandwerk
– Bauhauptgewerbe
– Pflegebranche
– Waschereidienstleistungen
– Gebaudereinigung
• Insgesamt finden die verschiedenen Studien haufig positive
Auswirkungen auf die Lohne in Ostdeutschland, nicht so sehr in
Westdeutschland. Uberzeugende Ergebnisse, die auf einen
Beschaftigungszuwachs oder -abbau wegen der Mindestlohne in
den jeweiligen Branchen hinweisen, werden selten vorgelegt
(haufig insignifikante Ergebnisse oder wenig robuste Ergebnisse).
• Es ging in den Studien allerdings nur um auf die Sektoren
beschrankte Wirkungen. In einigen Fallen (z.B. im
Wirtschaftszweig Waschereidienstleistungen) waren Mindestlohne
erst kurz vor der Durchfuhrung der Untersuchungen eingefuhrt
worden. In diesen Fallen konnte zum Zeitpunkt der Durchfuhrung
der Untersuchung nur fur sehr begrenzte Zeit das Geschehen nach
der Mindestlohneinfuhrung beobachtet/gemessen werden.
Beschaftigungswirkungen und Veranderungen der Lohnstruktur
aufgrund einer Mindestlohneinfuhrung konnten sich aber auch
langerfristig einstellen, wie z.B. durch veranderte Trends bei
Betriebsneugrundungen.
Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung sah die Einfuhrung
eines gesetzlichen Mindestlohns vor und im Sommer 2014 wurde ein
Mindestlohngesetz (zur Starkung der Tarifautonomie) verabschiedet,
das zum 1.1.2015 in Kraft getreten ist:
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 94
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
• 1. Januar 2015: Einfuhrung eines flachendeckenden gesetzlichen
Mindestlohns in Hohe von 8,50 Euro pro Stunde (brutto).
• Davon unberuhrt bleiben
– (teils) Entgelte von Praktikanten,
– Lohne von Beschaftigten wahrend ihrer Berufsausbildung im
Betrieb und in den ersten sechs Monaten einer Beschaftigung:
Lohne von Personen, die vor der Arbeitsaufnahme
langzeitarbeitslos waren,
– Mindestlohne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz in
verschiedenen Sektoren,
– aufgrund von Ubergangsregeln vor dem 1. Januar 2017 einige
weitere Sektoren, wenn in den Sektoren Gewerkschaften und
Arbeitgeber Mindestlohne von weniger als 8,50 Euro tariflich
bereits vor dem Jahr 2015 vereinbart haben.
• Die Hohe des gesetzlichen Mindestlohns soll in regelmaßigen
Abstanden von einer Kommission bestehend aus Gewerkschafts-
und Arbeitgebervertretern uberpruft werden. Wissenschaftler
(moglichst eine Frau und ein Mann) konnen als Sachverstandige
auf Vorschlag der Gewerkschaften und Arbeitgeber einbezogen
werden, ohne dass sie ein Stimmrecht erhalten. Die erste
Anderung des gesetzlichen Mindestlohns mit einer Erhohung auf
8,84 Euro pro Stunde (brutto) fand zum 1.1.2017 statt.
Muller und Steiner (2009) analysierten mit dem
Sozio-okononomischen Panel und einem Simulationsmodell Folgen der
Einfuhrung eines allgemein gultigen Mindestlohns von 7,5 Euro pro
Stunde (im Jahr 2008).
• 7,50 Euro je Stunde hatten damals etwa 52 % des
Medianstundenlohns entsprochen (8,5 Euro hingegen mehr als 58
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 95
KAPITEL 4. MINDESTLOHNE
% des Medianstundenlohns) und sogar mehr als 60 % des
Medianstundenlohns in Ostdeutschland.
• Die Einfuhrung wurde die Lohne von mehr als 97 % der
Arbeitnehmer im untersten Dezil der Lohnverteilung unmittelbar
beeinflussen. Sie wurde den Durchschnittslohn der Arbeitnehmer
im untersten Dezil der Lohnverteilung um 25 % von 6,02 auf 7,50
Euro pro Stunde erhohen, wenn keinerlei
Beschaftigungswirkungen auftreten/berucksichtigt werden.
• Veranderungen der Armutsquote (Armut wird definiert uber ein
Einkommen von weniger als 50 % des
Medianaquivalenzeinkommens): Der Anteil, der in Armut
lebenden Personen, bleibt nahezu unverandert (11,61 % nach statt
11,64 % vor der Mindestlohneinfuhrung), wenn nur direkte Effekte
unterstellt werden. Selbst ein Mindestlohn in Hohe von 10 Euro
pro Stunde wurde das kaum andern. Als Grund hierfur wird
angefuhrt, dass eher Haushalte im mittleren Bereich der
Einkommensverteilung von der Einfuhrung des Mindestlohns
profitieren. Es hangt aber womoglich auch damit zusammen, dass
Haushalte davon profitieren, die ALG II erhalten; soweit dies
Mehrpersonenhaushalte mit einem Erwerbstatigken sind, konnte
ihr ALG-II-Transferseinkommen durch die Mindestlohneinfuhrung
haufig reduziert werden und ihr Nettoeinkommen nahezu
unverandert bleiben.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 96
Kapitel 5
Arbeitslosigkeit
5.1 Einfuhrung - okonomische und statistischeAbgrenzung von Arbeitslosigkeit,
Arbeitsmarktdynamik, stilisierte Fakten
Warum ist Arbeitslosigkeit ein Problem?
• Sie bewirkt einen Verlust von Humankapital bei Betroffenen,
• verstarkt okonomische Ungleichheit in einer Volkswirtschaft,
• bewirkt psychische Belastungen bei Betroffenen,
• bedeutet Verzicht auf Produktion und daher Einkommen,
• impliziert fiskalische Kosten wie Ausgaben fur Arbeitslosengeld
und Einnahmeausfalle in Form von entgangenen Steuern und
Sozialversicherungsbeitragen.
Wer ist arbeitslos?
Okonomische Definition der Arbeitslosigkeit:
Personen, die nicht beschaftigt sind und zum herrschenden
Lohnniveau arbeiten wurden sowie aktiv nach Arbeit suchen.
97
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Statistische Abgrenzungen von Arbeitslosigkeit:
International Labour Organization (ILO): Arbeitslos sind Personen,
die keinen (bezahlten) Job haben, aber
• innerhalb von zwei Wochen (nach dem Labour Force Survey
Interview/Befragung) bereit sind eine Stelle anzunehmen
• und/oder in den vier Wochen vor dem Interview aktiv einen Job
gesucht haben.
In der Praxis gilt:
• Die Arbeitslosenzahlen der OECD oder die Erwerbslosen des
Mikrozensus (Statistisches Bundesamt) orientieren sich nahe am
Konzept der ILO.
• Bundesagentur fur Arbeit (BA)/amtliche Statistik der
Arbeitslosigkeit - registrierte Arbeitslose: Erwerbslose Personen,
die eine sogenannte zumutbare Beschaftigung annehmen wurden
und der Arbeitsvermittlung zur Verfugung stehen und einen Job
mit einer wochentlichen Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden
suchen. Personen werden aber nur dann als arbeitslos erfasst,
wenn sie sich bei einer Arbeitsagentur oder einem Jobcenter
registrieren lassen.
– Wenn erwerbslose Personen Anspruch auf Arbeitslosengeld
haben, registrieren sie sich auch bei einer Arbeitsagentur, wenn
sie derzeit nicht aktiv Arbeit suchen.
– Andererseits registrieren sich Arbeitslose, die aktiv nach
Stellen suchen, eventuell nicht bei den Agenturen, wenn sie
keinerlei Anspruch auf Arbeitslosenunterstutzung haben (z.B.,
Berufseinsteiger).
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 98
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
verdeckte Arbeitslosigkeit:
Teilnehmer an aktiven Programmen
(Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, berufliche Weiterbildung, ...) oder
passiven Programmen (Vorruhestand, Kurzarbeit) der
Arbeitsmarktpolitik waren womoglich ohne diese Programmteilnahme
arbeitslos. Sie konnen als verdeckt arbeitslos bezeichnet werden.1
Arbeitslosenquoten (u):
1. enge Definition
u =Anzahl der Arbeitslosen
Anzahl der abhangig zivilen Beschaftigen + Arbeitslose(5.1)
2. breite Definition2
u =Anzahl der Arbeitslosen
Anzahl der Erwerbstatigen + Arbeitslose(5.2)
Anzahl der Erwerbstatigen + Arbeitslose = Erwerbspersonen
(labour force)
Dynamik der Arbeitslosigkeit
Die Anzahl der Arbeitslosen oder die Arbeitslosenquote messen
Bestande und bilden nicht die Dynamik der Arbeitslosigkeit ab.
• Z.B. konnte eine jahresdurchschnittliche Arbeitslosenquote von 12
% dadurch zustande kommen, dass 12 % aller Erwerbspersonen
ein Jahr lang arbeitslos sind oder dass 48 % aller Erwerbspersonen
3 Monate lang arbeitslos sind.1Siehe beispielsweise die Definition und Berechnungen des Sachverstandigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung (Jahresgutachten 1998/99).2Anzahl der Erwerbstatigen=Anzahl der abhangig zivilen Beschaftigten+Selbstandige+mithelfende Familienan-
gehorige+militarisches Personal
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 99
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Unterschiede zwischen diesen beiden Fallen kommen durch die
Erfassung von Bewegungen (flows) am Arbeitsmarkt, den Zugangen
in und Abgangen aus Arbeitslosigkeit, zum Vorschein:
• Zugange in Arbeitslosigkeit: Zahl der Arbeitslosen, die innerhalb
eines Zeitraums arbeitslos werden.
• Abgange aus Arbeitslosigkeit: Zahl der Arbeitslosen, die innerhalb
eines vorgegebenen Zeitraums die Arbeitslosigkeit verlassen.
Von der Hohe dieser Bewegungen in und aus Arbeitslosigkeit ist die
okonomische Bewertung des Bestands an Arbeitslosen abhangig. Die
Erfassung dieser Stromgroßen erlaubt es zudem, das
durchschnittliche Risiko arbeitslos zu werden sowie die
durchschnittliche Dauer von Arbeitslosigkeit zu errechnen:
Zt = Z∗t ·R (5.3)
t: Jahr/Periode,
R: durchschnittliche Anzahl von Arbeitslosigkeitsspannen der
einzelnen arbeitslos gewordenen Personen innerhalb der Periode t,
Z∗t : Anzahl unterschiedlicher Personen, die innerhalb der Periode t
arbeitslos werden und damit innerhalb des Zeitraums mindestens eine
Arbeitslosigkeitsspanne (unemployment spell) beginnen.
Zt: Zugang an Arbeitslosen = Anzahl aller Arbeitslosigkeitsspannen
in der Periode t
Fur die Arbeitslosenzahl sowie Zugange in und Abgange aus
Arbeitslosigkeit gilt naturlich:
Ut = Ut−1 + Zt − At (5.4)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 100
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
wobei die Abgange innerhalb einer Periode t auch dargestellt werden
konnen als:
At = A∗t ·R (5.5)
A∗t : Anzahl unterschiedlicher Personen, die innerhalb der Periode t
aus dem Arbeitslosenpool ausscheiden,
At: Abgang von Arbeitslosen = Anzahl aller Arbeitslosigkeitsspannen,
die in der Periode t aus dem Arbeitslosenpool ausscheiden,
Ut: Anzahl der Arbeitslosen am Ende der Periode t.
Angenommen, die Zahl der Arbeitslosen sei stabil, Ut = Ut−1, d.h. der
Zugang ist ebenso hoch wie der Abgang, dann gilt:
Zt = At oder Z∗t ·R = A∗
t ·R (5.6)
Fur den Abgang aus Arbeitslosigkeit und den Zugang in
Arbeitslosigkeit gilt unter der obigen Annahme:
At = Zt = PA · 52Ut (5.7)
PA: Wahrscheinlichkeit, dass eine arbeitslose Person (innerhalb einer
Woche) aus dem Arbeitslosenpool ausscheidet.
Dauer der Arbeitslosigkeit: Wenn die Wahrscheinlichkeit, den
Arbeitslosenpool zu verlassen, konstant ist, dann ist die erwartete
Dauer der Arbeitslosigkeit (in Wochen) D = 1PA. Sowohl D als auch
PA lassen sich unter diesen Annahmen aus offiziellen Statistiken
errechnen.3
PA =Zt
52Ut⇔ D =
52Ut
Zt(5.8)
3Beweis: siehe Anhang 5.A
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 101
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Zudem ließe sich der Bestand an Arbeitslosen und die
Arbeitslosenquote wie folgt darstellen:
Ut =Zt
52·D =
Z∗t
52·R ·D
ut =Z∗t
52 · Labour Force︸ ︷︷ ︸risk
·R ·D (5.9)
risk: wochentliches Risiko, dass eine Person aus der Labour Force
arbeitslos wird.
Beveridge Curve und Mismatch
Die Beveridge Curve stellt eine negative Beziehung zwischen der
gesamtwirtschaftlichen Rate der offenen Stellen und der
gesamtwirtschaftlichen Arbeitslosenquote dar. Der negative
Zusammenhang kann als konjunkturelles Phanomen gesehen werden.
Je besser die Konjunktur, desto geringer ist die Arbeitslosenquote
und desto hoher ist die Anzahl an offenen Stellen. Ein Punkt auf einer
Beveridge Curve wird erreicht und ist stabil, wenn der Zugang in und
Abgang aus Arbeitslosigkeit gleich hoch sind. Gleichzeitig muss dies
auch fur den Zugang und Abgang der offenen Stellen gelten.
Die Beveridge Curve kann als Isoquante einer Produktionsfunktion
interpretiert werden:
• Inputs: Vakanzquote und Arbeitslosenquote.
• Output: Anzahl der Neueinstellungen relativ zu den
Erwerbspersonen = Neueinstellungsquote.
• Eine Verbesserung der Produktionstechnologie zeigt sich dadurch,
dass sich eine Isoquante fur eine bestimmte Neueinstellungsquote
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 102
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
nach innen verschiebt: Bei einer Reduzierung von mindestens
einem Inputfaktor kann der gleiche Output erstellt werden
(Verbesserung der Matchingtechnologie).
Dass bei einer gegebenen Arbeitslosenquote die Rate der offenen
Stellen positiv ist, konnte z.B. folgende Ursachen haben:
• Regionales Mismatch: regionale Ungleichgewichte am
Arbeitsmarkt. In einigen Regionen herrscht Uberschussnachfrage
nach Arbeit, wahrend in anderen Regionen ein Uberschussangebot
existiert. Wenn die Arbeitslosen aus letzteren Regionen nicht
hinreichend mobil sind, bleiben offene Stellen in Regionen mit
Uberschussnachfrage nach Arbeit unbesetzt.
• Qualifikatorisches Mismatch: Die Ungleichgewichte am
Arbeitsmarkt kommen zustande, weil eine Uberschussnachfrage
nach Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen besteht und
ein Uberschussangebot von Arbeitnehmern mit anderen
Qualifikationen. Ebenso konnten wir uns ein Mismatch in Bezug
auf Berufe vorstellen.
• Informationsprobleme, Suchprozesse: Generell benotigen
arbeitslose Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die offene Stellen
besetzen mochten, Zeit, sich gegenseitig zu finden und
Informationen zu sammeln. Daher werden bei jeder moglichen
Arbeitslosenquote auch offene Stellen unbesetzt bleiben.
Verschiebt sich die Beveridge Curve nach außen, ist dies ein Zeichen
dafur, dass der Arbeitsmarkt weniger effektiv funktioniert. Das
Ausmaß des Mismatch konnte aufgrund eines verstarkten
Strukturwandels oder wegen einer verringerten Mobilitat der
Arbeitnehmer zugenommen haben. Ebenso konnte, die Suchintensitat
und/oder -effektivitat der Arbeitslosen und/oder der Arbeitgeber
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 103
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
gesunken sein.
Beispiel fur einen Mismatchindikator:
MR =
I∑i=1
|u∗i − v∗i |, MR ∈ [0, 2] (5.10)
u∗i : Anteil der Arbeitslosen der Kategorie i an den gesamten
Arbeitslosen,
v∗i : Anteil der offenen Stellen der Kategorie i an den gesamten
offenen Stellen,
i = 1, ..., I konnten verschiedene Regionen oder verschiedene
Qualifikationen darstellen.
Nehmen wir das Beispiel Regionen, um die Interpretation
verschiedener Werte des Indikators zu erlautern. Es gibt uberhaupt
kein Mismatch, wenn fur jede Region i: |u∗i − v∗i | = 0. In diesem Fall
ist der Indikator 0. Gilt fur mindestens zwei Regionen |u∗i − v∗i | > 0,
dann ist der Indikator positiv. Je mehr Regionen solche Diskrepanzen
aufweisen und je hoher der Betrag dieser Differenzen, desto großer ist
der Grad des Mismatch.
Weitere empirische Fakten zur Arbeitslosigkeit
Deutschland:
• anhaltend hohere Arbeitslosenquote in den neuen im Vgl. zu den
alten Bundeslandern (Jan. 2018: 7,7 % versus 5,3 %, Quote
bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen)
• Dauer der Arbeitslosigkeit (nur alte Bundeslander)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 104
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
– Der Tendenz nach stieg die Dauer der Arbeitslosigkeit seit der
ersten Halfte der 1980er Jahre. Von der ersten Halfte der
1980er bis zur ersten Halfte des letzten Jahrzehnts ist sie fur
Manner um etwa 16 Wochen (um rund 87 %) und fur Frauen
um etwa 14 Wochen (um rund 58 %) gestiegen. Danach gab es
keine starken Veranderungen mehr.
• Die Beveridge Curve fur Westdeutschland hat sich in den letzten
Jahrzehnten zunachst nach außen verschoben; dies ist ein Hinweis
darauf, dass sich die Funktionsweise des Arbeitsmarkts
verschlechtert hat. Allerdings deuten Daten der jungeren
Vergangenheit (nach dem Jahr 2006) und aktuelle Untersuchungen
darauf hin, dass sie sich wieder nach innen verschiebt. Dies deutet
auf eine Verbesserung der Funktionsweise des Arbeitsmarktes hin,
was mit den Hartz-Reformen in Zusammenhang stehen kann.
• Regionaler Mismatch hat von Mitte der 1970er Jahre bis Ende der
1980er Jahre in Westdeutschland zugenommen und nimmt seither
der Tendenz nach wieder ab.
• Beruflicher Mismatch nahm von Mitte der 1970er Jahre bis Ende
der 1990er Jahre in Westdeutschland zu und erst in jungster Zeit
wieder ab.
• Fur Ostdeutschland gibt es keine langen Zeitreihen. Berechnungen
des Mismatchindikators fur die jungste Vergangenheit weisen auf
einen rucklaufigen regionalen Mismatch aber eher zunehmenden
beruflichen Mismatch hin.
Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich:
• Mitte der 1990er bis etwa zum Jahr 2000 teils starker Ruckgang
der Arbeitslosigkeit in einigen EU-Landern, nicht aber in
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 105
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Deutschland.
• Mogliche Ursachen: Neben einem konjunkturellen Aufschwung
womoglich die Tatsache, dass auf dem europaischen Arbeitsmarkt
zunehmend Teilzeit- und temporare Jobs entstehen, also Jobs
ohne große Arbeitsplatzsicherheit. Einige Lander der EU wie
Großbritannien oder die Niederlande fuhrten bereits in den 1990er
Jahren ahnlich wie Deutschland ab 2003 grundlegende Reformen
ihrer Arbeitsmarktpolitik durch mit dem Ziel, Arbeitslose
schneller in Arbeit zu integrieren.
• In der Rezessionsphase kurz nach dem Jahr 2000 stieg die
Arbeitslosenquote in der OECD insgesamt bis ins Jahr 2005 kaum
an. In einigen Landern war sie durchaus weiter rucklaufig
(Großbritannien) oder stabil (z.B. in Frankreich und Japan). In
anderen Landern aber kam es zu einem normalen konjunkturellen
Anstieg der Arbeitslosigkeit wie in den USA, Deutschland oder
Schweden. Im Aufschwung kehrte die Arbeitslosenquote aber
anders als in vielen fruheren wirtschaftlichen Aufschwungphasen
wieder in etwa auf das Niveau vor der Rezession zuruck.
• Weltwirtschaftskrise ab dem Ende des Jahres 2008 und
wirtschaftliche Erholung in den Jahren ab 2010: Wahrend der
Krise deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit in einigen
Volkswirtschaften. In den USA und Irland hat sich die
Arbeitslosenquote in einem kurzen Zeitraum etwa verdoppelt. In
Deutschland kam es dagegen nur zu einem geringen Anstieg der
Arbeitslosigkeit und im Jahr 2010 erreichte die Arbeitslosenquote
wieder ein Niveau, das niedriger lag als vor der Rezession und
inzwischen sogar deutlich darunter. Im Jahr 2011 setzte in
Deutschland ein deutlicher Ruckgang der Arbeitslosigkeit ein,
wahrend in vielen anderen OECD Landern die Arbeitslosigkeit
langsamer zuruckging und in einigen sogar noch weiter zunahm.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 106
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
– Die gunstige Entwicklung in Deutschland wird zum Teil auf ein
Horten von Arbeitskraften deutscher Unternehmen, auch
gestutzt durch Sonderregelungen zur “Kurzarbeit”,
zuruckgefuhrt: Wenn von der Krise betroffene Arbeitgeber ihre
Arbeitnehmer nicht entlassen, sondern weniger Stunden
arbeiten lassen, kann beantragt werden, dass die
Bundesagentur fur Arbeit die Beschaftigten fur den
Arbeitseinkommensausfall durch die verkurzte Arbeitszeit
teilweise kompensiert.
– Ein Faktor durfte das Arbeitskraftehorten in Deutschland mit
erklaren: Die Rezession traf vor allem exportorientierte
Unternehmen. Sie rechneten vermutlich damit, dass sich
mittelfristig wieder sehr gunstige Exportaussichten aufgrund
der Nachfrage aus den Schwellenlandern einstellen werden.
Hatten sie in hohem Maße eingearbeitete Mitarbeiter und
Fachkrafte entlassen, ware es fur sie womoglich auch mit hohen
Kosten verbunden gewesen, nach der Rezession wieder
geeignetes Personal zu finden.
– Ebenso durften die langfristigen Auswirkungen der
Hartz-Reformen einen Beitrag dazu geleistet haben, dass die
Arbeitslosenquote trotz Krise kaum anstieg und inzwischen
wieder rucklaufig ist.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 107
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Tabelle 5.1:Arbeitslosenquoten in ausgewahlten Landerna)
1995 2000 2005 2008 2010 2013 2016
Frankreich 9,6 8,0 8,5 7,1 8,9 9,9 10,1
Deutschland 8,1 7,8 11,2 7,5 7,0 5,2 4,1
Irland 12,2 4,3 4,3 6,4 13,9 13,0 7,9
Italien 11,7 10,6 7,7 6,7 8,4 12,1 11,7
Japan 3,2 4,7 4,4 4,0 5,1 4,0 3,1
Niederlande 7,2 2,9 4,7 2,8 4,5 7,2 6,0
Schweden 9,2 5,9 7,5 6,2 8,6 8,1 7,0
Großbritannien 8,6 5,6 4,7 5,6 7,8 7,5 4,8
Vereinigte Staaten 5,6 4,0 5,1 5,8 9,6 7,4 4,9
Eurpaische Union (27) . 9,2 8,9 7,0 9,5 10,8 8,5
OECD Gesamt . . 6,5 5,9 8,3 7,9 6,3
Quelle: OECDa) Angaben fur aktuellere Jahre lagen zum Zeitpunkt der Erstellung der Folien noch nicht furalle hier abgebildeten Lander(gruppen) vor.
Tabelle 5.2:Arbeitslosenquoten nach Altersgruppen im Jahr 2016
15-24 25-54 55-64
Frankreich 24.1 8.6 7.1
Deutschland 7.0 3.9 3.9
Italien 37.8 11.1 5.7
Japan 5.1 3.1 2.9
Niederlande 10.8 4.6 7.2
Schweden 18.9 5.5 5.3
Großbritannien 13.2 3.7 3.6
Vereinigte Staaten 10.4 4.2 3.6
OECD Gesamt 12.9 5.8 4.6
Quelle: OECD Employment Outlook 2017
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 108
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Tabelle 5.3:Arbeitslosenquoten nach Qualifikation im Jahr 2014 (25-64-Jahrige)
Geringere Sekundarbildung Hochschul-
Ausbildung Oberstufe ausbildung
Frankreich 14.0 8.8 5.7
Deutschland 11.4 4.3 2.3
Japana) . . 2.6
Schweden 13.1 4.6 4.0
Großbritannien 6.8 3.6 2.7
Vereinigte Staaten 9.2 6.0 2.7
OECD Gesamt 12.4 7.3 4.9
a) Getrennte Angaben fur geringere Ausbildung und Sekundarbildung Oberstufe liegen nicht vor.
Quelle: OECD Employment Outlook 2017
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 109
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Klassifizierung von Arbeitslosigkeit nach Ursachen:
saisonale Arbeitslosigkeit:
Ausgelost durch
• jahreszeitliche Schwankungen in Produktionsbedingungen und
Nachfrage (vor allem in Landwirtschaft, Baugewerbe, Tourismus,
Handel).
• Kundigungsregelungen (wenn Arbeitsvertrage nur zum
Quartalsende gekundigt werden durfen).
friktionelle Arbeitslosigkeit:
Entsteht dadurch, dass Arbeitsmarkte dynamisch sind.
• In jeder Periode kommen neue Personen auf den Arbeitsmarkt
und suchen einen Job. Andere wechseln den Job und sind daher
zeitweise arbeitslos.
• Zufallsschwankungen der Guternachfrage einzelner Firmen
veranlassen einige Firmen zu Entlassungen, andere zu
Neueinstellungen.
Es gilt generell: Arbeitslose mussen zunachst Information uber offene
Stellen gewinnen. Es vergeht daher Zeit, bis sie einen Arbeitsplatz
finden und wir haben Arbeitslosigkeit (Suchtheorie).
strukturelle Arbeitslosigkeit:
Entsteht aufgrund von Mismatch zwischen Anforderungsprofil der
offenen Stellen und Qualifikationsprofil der (arbeitslosen) Bewerber
oder aufgrund von regionalen Ungleichgewichten am Arbeitsmarkt.
Sie kann nur von Bestand sein, wenn die Lohne nicht flexibel sind und
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 110
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
die Kosten von Mobilitat zwischen Berufen und Regionen hoch sind.
Ursachen struktureller Arbeitslosigkeit mogen daher auch
institutionelle Bedingungen sein, die Mobilitat und Lohnflexibilitat
verhindern und/oder aber eine niedrige Rate der Schaffung neuer
Jobs bewirken (z.B. Kundigungsschutz).
konjunkturelle/zyklische Arbeitslosigkeit:
Arbeitslosigkeit, die dadurch entsteht, dass das Niveau der
gesamtwirtschaftlichen Guternachfrage zeitweise zu niedrig ist.
gleichgewichtige/optimale Arbeitslosigkeit:
Es gibt ein gleichgewichtiges oder optimales Lohnniveau, das hoher ist
als das Lohnniveau, das zu einer Raumung des Arbeitsmarkts fuhrt.
Es handelt sich hierbei also nicht um ein Gleichgewicht eines
Arbeitsmarkts bei vollkommener Konkurrenz. Stattdessen ist es ein
Gleichgewicht, das beispielsweise durch den Ausgleich der Interessen
von Gewerkschaften und Arbeitgeber entstehen kann oder auch in
Folge von Informationsmangeln uber die Leistung der Arbeitnehmer
am Arbeitsplatz (Effizienzlohne) oder durch suchtheoretische
Uberlegungen erklart werden kann.
5.2 Effizienzlohntheorien
Intuition: Die Leistung der Arbeitnehmer pro gearbeiteter Stunde ist
nicht exogen vorgegeben, sondern kann seitens des Arbeitnehmers
variiert werden.
• Arbeitnehmer werden umso mehr Leistung pro Stunde erbringen
je hoher ihre Entlohnung.
• Lohne sind daher fur eine Firma nicht allein ein Kostenfaktor,
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 111
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
sondern ebenso ein Instrument um Leistungsanreize zu setzen.
Unter diesen Umstanden kann es fur die Unternehmen
gewinnbringend sein, einen Lohn zu zahlen, der die Lohnkosten
pro Effizienzeinheit fur Arbeit minimiert und uber dem
marktraumenden Lohnsatz liegt.
• Folge ist, dass ein Uberschussangebot an Arbeit und damit
unfreiwillige Arbeitslosigkeit entstehen kann.
Grundmodell
Annahmen:
1. Die Leistung pro Beschaftigtem (e) steigt mit dem Lohnsatz.
2. Jeder Arbeitnehmer konnte bei irgendeiner anderen Firma zu
einem fixen Lohn (w) arbeiten. Folglich muss die Firma
mindestens einen Lohn in Hohe von w zahlen, um uberhaupt am
Markt zu bleiben.
3. Eine einzelne Firma hat keine Marktmacht auf dem Arbeitsmarkt.
Gewinnfunktion der Firma:
π(w,L) = f [e(w) · L]− wL, (5.11)
wobei:
f ′ =df
d(eL)> 0, f ′′ < 0, e′ =
de
dw> 0, e′′ < 0
f(.): Produktionsfunktion, e(.): Arbeitsleistung eines Beschaftigten,
L: Anzahl der Beschaftigten, eL: Arbeitsleistung der Belegschaft,
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 112
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
w: Lohnsatz.
Gewinnmaximierung Max︸ ︷︷ ︸w,L
π(w,L)
Bedingungen erster Ordnung:
∂π
∂w= f ′[e(w) · L] · e′(w)L− L = 0, (5.12)
∂π
∂L= f ′[e(w) · L] · e(w)− w = 0 (5.13)
Hieraus folgt fur die Lohnelastizitat der Effizienzeinheiten eines
Arbeitnehmers im Gewinnmaximum (Solow-Bedingung):
e′(w) · we(w)
= 1,
de
dw· w
e(w)=
dee(w)
dww
= 1 (5.14)
Implikationen der Bedingung:
• Gl. 5.14 besagt, dass die Firma den optimalen Lohnsatz so zu
wahlen hat, dass die Lohnelastizitat der Effizienzeinheiten eines
Arbeitnehmers = 1. Dies ist gleichbedeutend damit, dass die
Firma die Lohnkosten pro Effizienzeinheit minimiert. Liegt der
Lohn, den die Firma zahlt, auf einem Niveau, zu dem gilte′(w)·we(w) > 1, dann wurde die Firma den Lohn solange erhohen, wie
dies die Durchschnittsleistung der Arbeitnehmer prozentual
starker ansteigen ließe als den Lohnsatz.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 113
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
• Gl. 5.14 besagt auch, dass der gewinnmaximale Lohnsatz
unabhangig von der gewinnmaximalen Beschaftigung ist.
• Ist es fur viele Firmen optimal, einen solchen Effizienzlohn zu
bezahlen, der uber dem marktraumenden Lohn liegt, dann kommt
es zu Arbeitslosigkeit.
• Eine Rezession wurde den Effizienzlohn unberuhrt lassen,
stattdessen wurde mit einem Beschaftigungsabbau reagiert werden
(Bedingung 5.14 gilt auch bei Kostenminimierung, bei gegebener
Nachfrage).
Verschiedene Erklarungen fur Effizienzlohne:
1. Ernahrungsansatz
2. Shirking-Ansatz
3. Turnover-Ansatz
4. Adverse Selection-Ansatz
5. Gift-Exchange-Ansatz
5.2.1 Ernahrungsansatz
Intuition: Die Leistungsfahigkeit von Arbeitskraften hangt von deren
Ernahrungs- und Gesundheitszustand ab. In Entwicklungslandern
mag der marktraumende Lohn so niedrig sein, dass die Arbeitskrafte
sich keine Ernahrung leisten konnen, die ausreichend ware, um uber
den gesamten Arbeitstag Leistung zu erbringen. Ein Effizienzlohn
uber dem Marktlohn wurde die Ernahrung und auch die
Leistungsfahigkeit der Arbeitskrafte verbessern.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 114
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
5.2.2 Shirking-Ansatz
Intuition: Arbeitskrafte bestimmen ihre Arbeitsintensitat (in
bestimmten Grenzen) selbst und wollen moglichst wenig Leistung
erbringen. Ihr Nutzen hangt positiv von der Entlohnung, aber negativ
von dieser Leistung ab; sie mochten lieber Faulenzen als tatsachlich zu
arbeiten.
Die Arbeitgeber wollen auf der anderen Seite, dass die Arbeitnehmer
moglichst entsprechend der arbeitsvertraglichen Regelungen (intensiv)
arbeiten. Sie konnen aber die Leistung der Arbeitnehmer nicht
kostenfrei beobachten. Es existiert eine Informationsasymmetrie und
ein Principal-Agent Problem. Eine Uberwachung der Arbeitsleistung
ist mit Kosten verbunden, die im Falle einer vollkommenen Kontrolle
prohibitiv hoch werden.
Wichtige Implikationen:
• Angenommen, der marktraumende Lohn wird gezahlt, so dass
keine Arbeitslosigkeit in der Volkswirtschaft herrscht.
– Dann werden alle Beschaftigten die geringst mogliche Leistung
erbringen.
– Selbst wenn sie beim Faulenzen erwischt werden und deswegen
entlassen werden, ist dies keine echte Strafe. Bei
Marktraumung wurden entlassene Arbeitnehmer unmittelbar
in einer anderen Firma bei unverandertem Lohn Arbeit finden.
• Falls ein Effizienzlohn > marktraumender Lohn eingefuhrt wird,
entsteht gleichgewichtige Arbeitslosigkeit.
– Die Arbeitslosigkeit bewirkt, dass es nun tatsachlich ein Risiko
gibt, Einkommensverluste zu erleiden, dadurch dass
Arbeitnehmer beim Faulenzen erwischt und entlassen werden.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 115
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
– Je hoher der Effizienzlohn und die Arbeitslosenrate, desto
großer sind die erwarteten Einkommenseinbußen aufgrund von
Shirking und desto hoher wird die Leistung der Arbeitnehmer
ausfallen.
• Die gleichgewichtige Arbeitslosigkeit ist von Bestand, da die
Arbeitslosen auch keinen Arbeitsplatz finden konnen, wenn sie die
Effizienzlohne der Beschaftigten unterbieten. Der Grund ist, dass
Lohne unter dem optimalen Effizienzlohn die Firmengewinne
schmalern werden.
• Eine Einfuhrung oder eine Erhohung von Arbeitslosengeld
reduziert die Fahigkeit der Firma durch einen gegebenen
Effizienzlohn, Leistungsanreize zu setzen, da der
Einkommensverlust eines Arbeitnehmers im Falle einer
Entlassung sinkt. Um die Anreize unverandert zu lassen, mussten
sowohl der Effizienzlohn als auch die Arbeitslosigkeit steigen.
• Effizienzlohne sollten vor allem fur Arbeitskrafte mit Jobs relevant
sein, in denen a) die Arbeitsleistung einzelner Arbeitnehmer
besonders schwer zu kontrollieren ist, b) Faulenzen oder
mangelnde Sorgfalt der Arbeitnehmer hohe Kosten fur die Firmen
nach sich zieht.
– Das letztere Argument trifft vor allem fur Firmen mit sehr
kapitalintensiver Produktionstechnologie zu, da der Stillstand
bzw. eine Unterauslastung der Maschinen wegen Shirking die
Firmen besonders teuer zu stehen kommt.
– Folge: Arbeitnehmer im relativ kapitalintensiven
verarbeitenden Gewerbe sollten hohe Effizienzlohne erhalten,
wahrend ahnlich qualifizierte Arbeitnehmer im Handel oder
anderen eher arbeitsintensiven Dienstleistungssektoren
niedriger bezahlt werden.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 116
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
5.2.3 Turnover-Ansatz
Intuition: Unternehmen entstehen neben den direkten Lohnkosten
auch Kosten fur Bewerbungsgesprache, Einarbeitung und (spezifische)
Ausbildung von Arbeitnehmern. Ein Anstieg der Fluktuationsrate der
Belegschaft bedeutet also zum einen, dass diese zusatzlichen Kosten
pro Beschaftigtenstunde steigen, zum anderen wird die Belegschaft im
Schnitt unerfahrener und daher weniger produktiv werden.
Wichtige Implikationen:
• Zahlt eine Firma einen Effizienzlohn uber dem Durchschnittslohn
bei anderen Firmen, dann wurden Arbeitnehmer dieser Firma im
Falle einer Kundigung Einkommenseinbußen erleiden. Je großer
der relative Lohn, desto geringer wird die Neigung der
Belegschaftsmitglieder, den Betrieb zu verlassen.
• Ahnliche Auswirkung hatte die Entstehung von Arbeitslosigkeit,
wenn nicht-marktraumende Effizienzlohne von vielen Firmen
bezahlt werden. Arbeitslosigkeit ist also erneut ein Faktor, der
eine niedrigere Fluktuationsrate und damit auch eine hohere
Produktivitat der Unternehmen bedingt.
• Je mehr on-the-job Training in einer Firma vermittelt wird, desto
hoher die Verluste durch Fluktuation von Belegschaftsmitgliedern
und desto eher sind Effizienzlohne rentabel.
• Effizienzlohne mussten in erster Linie qualifizierte Arbeitskrafte
betreffen, da fur diese Arbeitnehmer ein vergleichsweise langes
on-the-job Training anfallt.
• Eine hohere Mobilitat der Arbeitnehmer wurde nach diesem
Ansatz zu hoheren Effizienzlohnen und hoherer Arbeitslosigkeit
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 117
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
fuhren (Gegensatz zum neoklassischen Modell, wo Mobilitat der
Arbeitskrafte eher zu Marktraumung fuhrt).
5.2.4 Adverse Selection-Ansatz
Intuition: Arbeitnehmer sind nicht homogen, sondern unterschiedlich
produktiv. Die Arbeitgeber mochten vor allem uberdurchschnittlich
begabte Arbeitskrafte einstellen. Allerdings haben die Bewerber einen
Informationsvorsprung: sie kennen ihre Talente, die Arbeitgeber
kennen sie dagegen nicht. Es existiert abermals eine
Informationsasymmetrie.
Wichtige Implikationen:
• Angenommen, die Reservationslohne von Arbeitskraften hangen
positiv von ihren Talenten ab. Je niedriger also der Lohn eines
Stellenangebotes, desto unqualifizierter werden die Bewerber im
Schnitt sein (adverse Selektion). Die Durchschnittsproduktivitat
der Bewerber nimmt mit dem Lohn zu, und ein Effizienzlohn uber
dem durchschnittlich marktraumenden Lohn ware geeignet,
uberdurchschnittlich produktive Bewerber anzulocken.
• Die Effizienzlohne haben erneut Arbeitslosigkeit zur Folge, da
letztlich in der Wirtschaft ein Lohn uber dem marktraumenden
Niveau herrscht.
• Firmen werden arbeitslose Bewerber nicht einstellen, wenn diese
versuchen den Effizienzlohn zu unterbieten. Der Grund ist, dass
ein Bewerber dadurch dem Arbeitgeber sein geringes Talent
signalisiert.
• Bei negativen Guternachfrageschocks wurde eine Firma nicht die
Lohne kurzen, da dies dazu fuhren wurde, dass die
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 118
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
uberdurchschnittlich produktiven Arbeitskrafte die Firma
verließen.
5.2.5 Gift-Exchange-Ansatz (Soziologischer Ansatz)
Intuition: Die Normen von Arbeitnehmern/Arbeitsgruppen sind
entscheidend fur deren Arbeitsleistung. Werden sie dazu gezwungen,
unter Arbeitsbedingungen zu arbeiten, die sie als “unfair”einstufen,
erbringen sie eine niedrige Leistung relativ zum Lohn. Werden
hingegen “faire” Lohne bezahlt, kommt es zu einer eher
freundschaftlichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und
Arbeitgeber. Es kommt dabei also zu einer Art Austausch von
Geschenken: Das Geschenk der Arbeitgeber ist ein Lohn uber dem
Marktniveau, wahrend die Arbeitnehmer Leistung uber der Norm
erbringen. Folge ist erneut Arbeitslosigkeit.
Was determiniert einen fairen Lohn:
• Leistung, die der Arbeitnehmer uber der Norm erfullt
• Arbeitsnormen
• Lohn der ubrigen Arbeitskrafte
• Nutzen der Arbeitslosigkeit
• Anzahl der Arbeitslosen
• Lohn fruherer Perioden
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 119
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
5.2.6 Alternativen zum Effizienzlohn
Senioritatsentlohnung:
• Arbeitnehmer erhalten Einstiegslohne unter dem
durchschnittlichen Marktlohn (unter ihrem Wertgrenzprodukt).
Mit der Betriebszugehorigkeit steigt der Lohn und erreicht bei
langerer Betriebszugehorigkeit ein Niveau, das uber dem
durchschnittlichen Marktlohn liegt.
• Folge: Es besteht ein Anreiz fur die Arbeitnehmer in ihrem Job zu
bleiben, da sonst erneut zu einem niedrigen Einstiegslohn
gearbeitet werden muss. Faulenzen oder hohe Mobilitat der
Arbeitskrafte wurde also auch ohne Arbeitslosigkeit zu
Einkommenseinbußen fuhren.
• Fuhrt zu Moral Hazard Problem bei der Firma, da sie den Anreiz
hat, Personen zu entlassen, die so lange im Betrieb sind, dass sie
bereits uber ihrem Wertgrenzprodukt entlohnt werden. Allerdings
wurden solche Vertragsbruche die Reputation der Firma auf dem
Arbeitsmarkt beeintrachtigen.
Tournamententlohnung:
• Beschaftigte konkurrieren miteinander bezuglich ihrer
Arbeitsleistung und die/der Beste bekommt als Preis eine hohere
Entlohnung und Beforderung.
• Dies unterstellt allerdings, dass die Leistung der einzelnen
Arbeitnehmer exakt und kostengunstig zu messen ist.
Eintrittsgebuhren (entrance fees/performance bonds):
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 120
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
• Arbeitskrafte hinterlassen ein Pfand/Eintrittsgebuhr, wenn sie
beschaftigt werden. Sie verlieren es, wenn sie wegen Faulenzens
entlassen werden oder das Unternehmen vor Ablauf einer
festgesetzten Frist verlassen.
• Es kommt wieder zu einem Moral Hazard Problem, da nun die
Firma einen Anreiz hatte, Arbeitskrafte zu entlassen, um das
Pfand behalten zu konnen.
5.2.7 Empirische Implikation der Effizienzlohntheorien
- “Wage Curve”
Effizienzlohnmodelle besagen, dass die Leistung der Beschaftigten mit
der Arbeitslosigkeit und dem Effizienzlohnniveau steigt.
• Angenommen, Firmen in einem Arbeitsmarkt zahlen einen
Effizienzlohn, dann mussten Firmen bei einem nichtlohnbedingten
Anstieg der Arbeitslosigkeit (wie beispielsweise bei
Guternachfrageschocks) zu einem niedrigeren Lohn, die
Motivation/Leistung ihrer Belegschaft beibehalten konnen.
• Es gabe also einen inversen Zusammenhang zwischen
Lohnhohe und Arbeitslosigkeit - die sogenannte Lohnkurve (Wage
Curve).
Baltagi und Blien (1998) untersuchen die Frage, ob die Wage Curve
in Westdeutschland beobachtet werden kann. Ihre okonometrische
Analyse nutzt Lohn- und Arbeitslosigkeitsdaten aus 142 Regionen
wahrend der Jahre 1981 bis 1990. Die Ergebnisse sprechen fur die
Existenz einer Wage Curve.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 121
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
5.3 Insider-Outsider-Theorie
Intuition: Die Arbeitnehmer setzen sich aus drei unterschiedlichen
Interessengruppen zusammen:
1. Insider : Beschaftigte, die schon eingearbeitet sind,
2. Entrants : Beschaftigte, die sich noch in der Einarbeitungsphase
befinden,
3. Outsider : arbeitslose Personen
Nur die Insider haben ausreichend Macht ihre Interessen
durchzusetzen, dies gilt insbesondere in Hinblick auf Lohn und
Beschaftigungssicherheit.
Zwei Prozesse fuhren hier zu persistenter Arbeitslosigkeit:
1. Insidereffekt: Bei den Insidern handelt es sich um eine voll
eingearbeitete Belegschaft. Ohne hohe Kosten sind Insider nicht
durch Entrants zu ersetzen. Daher verfugen sie im Gegensatz zu
Entrants und Outsidern uber Verhandlungsmacht gegenuber den
Arbeitgebern und nutzen diese, um die Lohne entsprechend ihrer
Interessen festzulegen. Dabei haben sie
• ein Interesse, die eigene Beschaftigung zu sichern und dabei
moglichst viel zu verdienen,
• kein Interesse daran, die Beschaftigung von Entrants zu sichern
oder zusatzliche Outsider in der Firma zu beschaftigten.
Folge: In einer Rezession sind Insider bereit Lohneinbußen
hinzunehmen, um beschaftigt zu bleiben. Nach einer Rezession
werden sie die Lohne so setzen, dass keine Outsider eingestellt
werden.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 122
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
2. Outsidereffekt: Personen, die arbeitslos geworden sind, verlieren
bei andauernder Arbeitslosigkeit mit der Zeit
• Humankapital,
• den Anschluss an neue Entwicklungen bei
Produktionstechniken,
• Motivation zu arbeiten und grundsatzlich wichtige
Eigenschaften wie Punktlichkeit, Sorgfalt ....
Daher sind Outsider keine effektive Konkurrenz fur die relativ
produktiven eingearbeiteten Insider. Somit fuhrt Arbeitslosigkeit,
insbesondere wenn der Prozentsatz der Langzeitarbeitslosen hoch
ist, kaum zu einem Wettbewerb um Arbeitsplatze zwischen
Insidern und Outsidern. Folglich kommt es zu keinem
Lohnruckgang, der die Firmen dazu veranlasst, ihr Personal
aufzustocken.
Insidermacht entsteht durch bestimmte Kostenfaktoren, deren Hohe
zum Teil sogar von den Insidern beeinflusst wird:
• Kosten der Personalfluktuation: Einstellungs- und
Entlassungskosten,
• Kosten durch Verweigerung von Kooperation und Belastigung:
Insider konnen sich weigern, mit Entrants zu kooperieren
(beispielsweise sie richtig einzuarbeiten) und mogen zudem deren
Arbeit auch direkt storen. Dadurch konnen sie einen effektiven
Wettbewerb der Entrants mit den Insidern untergraben.
• Demotivationskosten: Arbeitsleistungsvariation infolge von
erhohter Fluktuation der Belegschaft durch verstarkten Austausch
von Insidern durch Outsider.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 123
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
– Bei steigender Fluktuation erhoht sich die Wahrscheinlichkeit,
in Zukunft den Job zu verlieren. Damit sinkt auch die
Wahrscheinlichkeit, in Zukunft fur hohe Leistung in der
Gegenwart belohnt zu werden. Daher wird die Leistung in der
Gegenwart reduziert.
– Allerdings sinkt das erwartete Einkommen eines
Arbeitnehmers bei einer hoheren Fluktuationsrate. Folglich
wird er in der Gegenwart mehr leisten als zuvor, um die
individuelle Entlassungswahrscheinlichkeit zu senken und dem
Ruckgang des erwarteten Einkommens entgegenzuwirken.
Die Insider-Outsidertheorie unterstellt, dass der erste dieser
beiden Effekte dominiert, also die Demotivation der Belegschaft
uberwiegt. In diesem Fall erzeugt die Firma durch erhohte
Fluktuation Kosten in Form von Produktivitatsverlusten.
Grundmodell
Gewinnmaximierung:
Max︸ ︷︷ ︸m−LI ,LE
π(m− LI , LE) = p · f (LI + LE)− wI · LI − wE · LE
−CI(m− LI)− CE(LE) (5.15)
I: Insider, E: Entrant, LI : Anzahl der beschaftigten Insider,
LE: Anzahl der beschaftigten Entrants, wi: Lohnsatz pro
Beschaftigten,
f (LI , LE) = f (LI + LE): Produktionsfunktion (f ′ > 0, f ′′ < 0);
Annahme: das Grenzprodukt der Arbeit von Insidern und Entrants
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 124
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
ist gleich hoch.
m: Anzahl der Insider, die in der Vorperiode beschaftigt waren,
m-LI : Anzahl der entlassenen Insider, p: Guterpreis,
CI(m− LI): Kosten der Entlassung von Insidern mit
CI(0) = 0, C ′I > 0, limLI−→mC
′I = cI ,
CE(LE): Kosten der Anwerbung und Einarbeitung von Entrants mit
CE(0) = 0, C ′E > 0,
Annahme: Entrants werden entsprechend ihres Reservationslohns
bezahlt.
Angenommen L∗I , L
∗E seien die gewinnmaximalen beschaftigten
Insider und Entrants.
Nebenbedingungen fur die Gewinnmaximierung:
m− L∗I ≥ 0 bzw. LI ≤ m (5.16)
LE ≥ 0 (5.17)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 125
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Bedingungen erster Ordnung:
∂π
∂(m− L∗I)
≤ 0 da m=const.:
∂π
∂(m− L∗I)
=∂π
∂(−L∗I)
= − ∂π
∂(L∗I)
⇒ ∂π
∂(L∗I)
≥ 0
∂π
∂L∗I
= p · f ′ − wI + C ′I ≥ 0,
∂π
∂L∗I
· (m− L∗I) = 0(5.18)
∂π
∂L∗E
= p · f ′ − wE − C ′E ≤ 0,
∂π
∂L∗E
· L∗E = 0 (5.19)
Aus diesen Bedingungen lasst sich herleiten:
p · f ′ − wI + C ′I ≥ 0 ∧ p · f ′ − wE − C ′
E ≤ 0
⇒ p · f ′ − wI + C ′I ≥ p · f ′ − wE − C ′
E
⇒ wI ≤ wE + C ′I + C ′
E (5.20)
Implikationen dieser letzten Bedingung:
• Setzen die Insider einen Lohn, der den Reservationslohn der
Entrants zuzuglich der Grenzkosten der Entlassung von Insidern
und Einstellung von Entrants ubersteigt, dann wird die Firma so
viele Insider entlassen und Entrants einstellen bis die obige
Bedingung der Gewinnmaximierung wieder gilt.
• Um die Insiderbeschaftigung der Vorperiode (m) zu sichern,
mussen die Insider ihren Lohn wie folgt setzen:
wI = p · f ′(m) + cI ≤ wE + cI + C ′E (5.21)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 126
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Schaubild 5.1: Insider und Entrant Nachfragekurven
6
-
WE
WE + C ′I + C ′
E
............................................................................................................................................
....................................................
..................................................
........................
.........................
...........................
............................
..............................
...............................
.................................
..................................
....................................
.....................................
.......................................
........................................
..........................................
...................................................................................................................................
...........................................................
.......................................................
...................................................
........................
.........................
..........................
...........................
............................
.............................
..............................
...............................
................................
.................................
.................................
Entrant Nachfragekurve: p · f ′(LE)− C ′E = W
Insider Nachfragekurve: p · f ′(LI) + C ′I = W
L (Anzahl der Beschaftigten)
L = LI + LE
WI ,WE
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 127
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Schaubild 5.2: Adverser okonomischer SchockInsider Nachfragekurve (ID)
6
-
WE
W 1I −
||
Ao
WE + C ′I + C ′
E
.............................................................................................................................................
...................................................
.................................................
.......................
.........................
..........................
...........................
.............................
..............................
...............................
.................................
..................................
...................................
.....................................
......................................
...................................................................................................................................
...........................................................
.......................................................
...................................................
........................
.........................
..........................
...........................
............................
.............................
..............................
...............................
................................
.................................
.................................
ID2
ID1
L (Anzahl der Beschaftigten)
L = LI + LE
WI ,WE
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 128
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Eine Rezession in Folge eines negativen Produktivitatsschocks oder
eines Preisanstiegs importierter Zwischenprodukte impliziert, dass das
Wertgrenzprodukt der Arbeit der Insider sinkt. Mogliche Reaktionen
der Insider auf einen solchen Schock:
1. Falls die Insider ihren Arbeitsplatz erhalten wollen, nehmen sie
eine Lohnsenkung hin, vorausgesetzt alle Insider haben das gleiche
Entlassungsrisiko.
2. Angenommen, nur einige Insider mussen die Entlassung furchten,
andere nicht,4 dann haben diejenigen Insider mit einer geringen
Entlassungswahrscheinlichkeit keinen Anreiz zur
Lohnzuruckhaltung. Daher bleiben die Lohne fix und die jungsten
Insider verlieren den Arbeitsplatz.
Im darauf folgenden Aufschwung, wenn die alte
Wertgrenzproduktskurve wieder gilt, sind folgende Szenarios denkbar:
1. Der Insiderlohn kehrt zum Niveau vor der Rezession zuruck, so
dass die Beschaftigung konstant bleibt.
2. (a) Angenommen, die verbliebenen Insider berucksichtigen noch
die Interessen der in der Rezession arbeitslos gewordenen
Insider (sie betrachten sie noch als Insider), dann werden sie bei
einer Verbesserung der Arbeitsmarktlage die Lohne konstant
halten, so dass die zuvor entlassenen Insider wieder eingestellt
werden. (wahrscheinliche Option nach kurzfristigen Schocks)
(b) Wenn hingegen entlassene Arbeitnehmer als Outsider
betrachtet werden, dann konnten die Insider, soweit ihr
Spielraum es zulasst, nun sogar Lohne aushandeln, die uber
dem Vorrezessionsniveau liegen. Grund ist, dass es weniger4z.B. wegen Senioritatsregelungen, die festlegen, dass die jungsten Arbeitnehmer zuerst zu entlassen sind, wahrend altere Ar-
beitnehmer weitgehend vor Entlassung geschutzt sind.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 129
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Insider gibt als vor der Rezession, so dass ihre Beschaftigung
bei einem hoheren Lohn vollkommen sicher ist.
Daher bleibt die in der Rezession entstandene Arbeitslosigkeit
auch im darauf folgenden Aufschwung (im Extremfall
unverandert) hoch - es kommt zu “persistenter”
Arbeitslosigkeit. (wahrscheinlich nach langfristigen Schocks)
Politik, um Arbeitslosigkeit zu verhindern/reduzieren:
• Da negative Schocks eine permanent hohere Arbeitslosigkeit nach
sich ziehen konnen, waren expansive Fiskal- und Geldpolitik
besonders effektiv, sollten sie solchen Schocks unmittelbar
entgegenwirken.
• Maßnahmen, die die Insidermacht schmalern, wie weniger
restriktive Kundigungsschutzregelungen.
• Maßnahmen, die Insider dazu bringen, die Interessen der
arbeitslosen Outsider wahrzunehmen: Beispielsweise uber
Arbeitnehmerbeitrage zur Arbeitslosenversicherung, die mit der
Hohe der Arbeitslosigkeit steigen.
• Verringerung von Markteintrittsbarrieren fur neue
Firmen/Arbeitsnachfrager.
• Maßnahmen, die die Produktivitat von Outsidern aufrecht
erhalten und verbessern (Fortbildungs- und
Umschulungsprogramme).
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 130
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
5.4 Verhandlungstheorien
Zielvariablen von Gewerkschaften
1. Eingriff in Betriebsprozeduren: Mitspracherechte bei Organisation
der Arbeitsablaufe, Einstellung von neuen Mitarbeitern,
Verteilung von Uberstunden auf Belegschaft ....
2. Kompensation - (Stunden)Lohn, Betriebsrenten, Urlaub ....
Maße fur Gewerkschaftsmacht
1. Betroffene Arbeitnehmer
• Prozentsatz der organisierten Arbeitnehmer
• Prozentsatz der Arbeitnehmer, fur die gewerkschaftlich
ausgehandelte Lohne gelten.
2. Zentralisierungsgrad der Gewerkschaften
• rivalisierende Gewerkschaften
• verschiedene Typen von Gewerkschaften in derselben Industrie
• Verhandlungsebenen (national, regional, oder auf
Betriebsebene)
3. Ausmaß, in dem der Arbeitsablauf in der Wirtschaft
beeintrachtigt wird durch
• Dienst nach Vorschrift
• Storen von Betriebsablaufen durch Einschrankung der
Arbeitsleistung
• Verweigerung von Uberstunden
• Streik (gemessen durch Arbeitsvolumen, das durch Streik
verloren geht)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 131
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
5.4.1 Lohnbildung und Gewerkschaften
Firmengewinn
π(L) = p · f (L)− w · L (5.22)
Gewerkschaftsnutzenfunktion
U = U( w︸︷︷︸+
, L︸︷︷︸+
) (5.23)
f(.): Produktionsfunktion, L: Beschaftigte, w: Lohn
p: Guterpreis (zur Vereinfachung p = 1)
(A) Monopolmodell:
Gewerkschaft setzt den Lohn, um ihren Nutzen zu maximieren. Die
Firma wird zu diesem Lohn so viele Arbeitnehmer beschaftigen bis
der Lohn dem Grenzprodukt der Arbeit entspricht. Das
Optimierungsproblem der Gewerkschaft ist dann:
Max︸ ︷︷ ︸w
U(w,L) unter der Nebenbedingung: f ′(L) = w (5.24)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 132
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Schaubild 5.3: Monopolmodell
6
-
L∗
W ∗ Ao
..................................................................................................
..............................................
.............................................
.......................
.........................
..........................
............................
.............................
...............................
.................................
..................................
....................................
.....................................
.......................................
........................................
..........................................
.............................................................................................................................................
...................................................
.................................................
.......................
.........................
..........................
...........................
.............................
..............................
...............................
.................................
..................................
...................................
.....................................
......................................
...................................................................................................................................
...........................................................
.......................................................
...................................................
........................
.........................
..........................
...........................
............................
.............................
..............................
...............................
................................
.................................
.................................
I1 I2 I3
Indifferenzkurven der Gewerkschaft
p · f ′(L) = W (Arbeitsnachfrage)
L
W
(B) Effiziente Verhandlungen - Nash bargaining model:
Das gewichtete Produkt des Gewerkschaftsnutzens und
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 133
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Firmengewinns wird maximiert:
Max︸ ︷︷ ︸w,L
[(U(w,L)− Umin)β · (π(L,w)− πmin)
1−β], 0 < β < 1 (5.25)
β : Gewichtungsfaktor5,
Umin : Mindestnutzen, den die Gewerkschaft zugrundelegt,
πmin : Mindestgewinn, den die Firma erzielen will.
Die pareto-optimalen Kombinationen konnen ebenso durch folgenden
Maximierungsansatz bestimmt werden. Die Gewerkschaft maximiert:
Max︸ ︷︷ ︸w,L
U(w,L) (5.26)
unter der Nebenbedingung: π∗ = f (L)− w · L
5Der Gewichtungsfaktor kann als ein Maß fur die Verhandlungsmacht der Gewerkschaft relativ zur Verhandlungsmacht desArbeitgebers interpretiert werden. Je hoher β ist, desto hoher ist die relative Verhandlungsmacht der Gewerkschaft. Daher fallt ihrNutzen auch umso mehr ins Gewicht, je hoher β. Der hier ausgeschlossene Grenzfall β = 1 wurde bedeuten, dass die Arbeitgeberseiteuberhaupt keine Macht und Einfluss auf w und L hat. Genau umgekehrt ware die Situation fur β = 0.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 134
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Schaubild 5.4: Modell effizienter Verhandlungen
6
-
Ao
.............................................................................................................................................
...................................................
.................................................
.......................
.........................
..........................
...........................
.............................
..............................
...............................
.................................
..................................
...................................
.....................................
......................................
...................................................................................................................................
...........................................................
.......................................................
...................................................
........................
.........................
..........................
...........................
............................
.............................
..............................
...............................
................................
.................................
.................................
I1 I2
......................
................................................................................. ............... ............... ............... ............... ................. .................. .................... ..................... .......................
...............................................
........................
......
............................
..............................
...............................
.................................
...................................
......................................
......................
................................................................................. ............... ............... ............... ............... ................. .................. .................... ..................... .......................
...............................................
........................
......
............................
..............................
...............................
.................................
...................................
......................................
Indifferenzkurven der Gewerkschaft
π2
π1
Isoprofitkurven der Firmacurves(π1 < π2)
p · f ′(L) = W
L
W
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 135
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Wichtige Implikationen:
• Firma wird mehr Arbeitnehmer beschaftigen als im
Monopolmodell.
• Firma wird mehr Arbeitnehmer beschaftigen als zum
ausgehandelten Lohnsatz gewinnmaximierend ware.
Kritik am Modell effizienter Verhandlungen:
• Selten wird in der Realitat zwischen Unternehmen und
Gewerkschaften der Beschaftigungsumfang in Tarifvertragen
vereinbart.
• Interesse der organisierten Arbeitnehmer besteht eher hinsichtlich
Sicherheit der Beschaftigung.
• Firma ware bei Guternachfrageschwankungen der
Anpassungsspielraum bei der Beschaftigung genommen.
• Arbeitsanreize gehen verloren (wegen Beschaftigungssicherheit).
Weitere potentielle Effekte von Gewerkschaften:
1. Gewerkschaften fuhren in gewerkschaftlich organisierten Sektoren
zu erhohten Lohnen. Dafur werden die Lohne in
nicht-organisierten Sektoren niedriger ausfallen. Grund ist, dass
ein Teil der Arbeitnehmer, der im Gewerkschaftssektor zum
erhohten Lohn keine Arbeit mehr findet, im nicht-gewerkschaftlich
organisierten Sektor zusatzlich Arbeit anbietet.
2. Alternativ: Um zu verhindern, dass sich die Arbeitnehmer im
nicht-gewerkschaftlich organisierten Sektor zu einer Gewerkschaft
zusammenschließen, erhohen die Arbeitgeber dort die Lohne
ahnlich wie im gewerkschaftlich organisierten Sektor.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 136
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
3. Wartearbeitslosigkeit: Dadurch, dass Lohne im gewerkschaftlich
organisierten Sektor hoher sind als in anderen Sektoren, kann es
fur die Arbeitnehmer rentabel sein, Jobs im gewerkschaftlich
organisierten Sektor zu suchen, ohne im nicht-gewerkschaftlich
organisierten Sektor beschaftigt zu sein. Dies gilt dann, wenn
arbeitslose Arbeitssuchende schneller als beschaftigte
Arbeitssuchende einen Job im Gewerkschaftssektor finden konnen.
4. Arbeitsnachfrageverschiebungen: Gewerkschaften bemuhen sich
darum, dass sich die Nachfrage nach (organisierter) Arbeit bei
gegebenem Lohn erhoht bzw. weniger lohnelastisch wird. In die
erste Kategorie fallen Kampagnen fur Produkte, die vom
gewerkschaftlich organisierten Sektor produziert werden.
Gewerkschaften setzten sich fur Handelsbeschrankungen ein
(zweite Kategorie).
5. Exit-Voice Ansatz: Gewerkschaften bewirken geringere Turnover
Costs
• Ohne Gewerkschaften werden (einzelne) Arbeitnehmer ihre
Bedenken und Vorschlage nicht dem Managment/Arbeitgeber
unterbreiten. Falls sie unzufrieden sind, verlassen sie die Firma
(exit).
• Gewerkschaften fungieren als Stimme (voice) der Belegschaft.
Sie diskutieren mit dem Management die Belange der
Belegschaft und arbeiten gemeinsam mit dem Management an
Verbesserungen des Arbeitsklimas. Dies erhoht die
Zufriedenheit der Belegschaft und senkt daher die Fluktuation.
Dadurch kann die Firma auch mehr in on-the-job Training der
Belegschaft investieren und die Produktivitat steigt.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 137
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
5.4.2 Streiks
Streiks erzeugen Kosten fur Arbeitgeber und Arbeitnehmer, da es zu
Produktionsausfallen und Lohneinbußen fur die vom Streik
Betroffenen kommt. Daher stellt sich die Frage, warum beide Seiten
nicht von vorneherein den Streik vermeiden?
• Um eine gute Verhandlungsposition nicht zu verlieren, mussen
Gewerkschaften von Zeit zu Zeit streiken, um den Arbeitgebern
ihre Macht zu demonstrieren.
• Streiks mogen ebenso dazu dienen, die Gewerkschaftsmitglieder
gegen den gemeinsamen Gegner, die Arbeitgeber, zu einigen.
• Streiks entstehen aufgrund einer Informationsasymmetrie.
Streiks und Informationsasymmetrie
Fur die Arbeitgeber/Manager gilt:
• Sie wissen zu jedem Zeitpunkt weit mehr uber den aktuellen und
kunftigen Gewinn der Firma als die Gewerkschaften.
• Zudem haben sie keinerlei Grund den Gewerkschaften mitzuteilen,
wenn die Gewinnlage gut ist, denn dann wurden diese hohere
Lohne fordern als sonst.
• Die Manager haben also einen Anreiz immer eine vergleichsweise
schlechte Gewinnlage vorzutauschen.
Die Rolle des Streiks: Der Streik ist das Instrument, mit dem die
Gewerkschaften die Arbeitgeber dazu bringen konnten, die
tatsachliche Gewinnlage zu signalisieren/aufzudecken:
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 138
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
• Bei guter Gewinnsituation/Absatzsituation werden
Produktionseinbußen wegen eines Streiks zu einem hoheren
entgangenen Gewinn fuhren als bei einer schlechten
Gewinnsituation. Im Falle eines Streiks lenken die Arbeitgeber
umso schneller ein, je hoher ihre Gewinne sind.
Folgerung: Je hoher in einer Wirtschaft die Unsicherheit uber die
Gewinnlage (je starker Zufallsschwankungen der Gewinne), desto
mehr und desto langere Streiks wird es geben.
5.4.3 Calmfors und Driffill, 1988: Bargaining structure,
corporatism and macroeconomic performance
Untersuchungsgegenstand
Welche Auswirkung hat der Zentralisierungsgrad der
Lohnverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern auf
Reallohne/Arbeitslosigkeit/Beschaftigung einer Volkswirtschaft?
Hypothesen
Es gibt einen umgekehrten U-formigen Verlauf des Zusammenhangs
zwischen dem Reallohn oder der Arbeitslosenrate einer
Volkswirtschaft und dem Zentralisierungsgrad:
1. Sehr dezentrale Lohnsetzung (auf Betriebsebene) fuhrt dazu,
dass Marktkrafte fur die Lohnfindung ausschlaggebend sind.
• Uberhohte Lohne wurden die Wettbewerbsfahigkeit eines
einzelnen Unternehmens beeintrachtigen und fur die
Belegschaft spurbare Beschaftigungseinbußen zur Folge haben.
Das wird die Belegschaft, die von einer Gewerkschaft vertreten
wird, nicht wollen.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 139
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
• Der firmenspezifischen Produktivitatsentwicklung wird im
ausgehandelten Lohnsatz Rechnung getragen werden.
• Es kommt also zu einem Lohnniveau mit vergleichsweise
niedriger Arbeitslosigkeit.
2. Mittlerer Zentralisierungsgrad : Finden Lohnverhandlungen auf
etwas zentralisierterer Ebene (z.B. fur einen ganzen Sektor) statt,
mussen mehr Firmen einer Industrie die ausgehandelten Lohne
bezahlen.
• Eine Lohnerhohung impliziert keine starken
Wettbewerbsnachteile fur eine einzelne Firma, da viele andere
Firmen, die dasselbe Gut produzieren, ebenso von der
Lohnerhohung betroffen sind.
• Eine einzelne Gewerkschaft (eines Sektors) konnte durch
Nominallohnerhohungen eine Reallohnerhohung bewirken,
denn ihr Einfluss auf das gesamtwirtschaftliche Preisniveau ist
gering. Ebensowenig hatte eine einzelne Gewerkschaft einen
hohen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit.
Daher wird sie bei der Lohnverhandlung hierauf kaum
Rucksicht nehmen und jede einzelne Gewerkschaft versucht
daher, hohe Lohnabschlusse herbeizufuhren.
• Da viele einzelne Gewerkschaften so handeln, kommt es zu
gesamtwirtschaftlich hohen Lohnen und niedriger
Beschaftigung bzw. hoher Arbeitslosigkeit.
3. Hoher Zentralisierungsgrad : Finden die Lohnverhandlungen auf
sehr zentralisierten Ebenen statt, wird die Gewerkschaft
potentielle Ruckwirkungen von Nominallohnerhohungen auf
Preise, Reallohne und Arbeitslosigkeit bei den Lohnverhandlungen
berucksichtigen. Daher wird es der Tendenz nach zu niedrigeren
Lohnabschlussen und Arbeitslosigkeit kommen, als bei mittlerem
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 140
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Zentralisierungsgrad.
Empirische Resultate
• 17 Volkswirtschaften wurden nach Zentralisierungsgrad gerankt
und es wurde gezeigt, inwieweit die Performance der
Volkswirtschaften, insbesondere im Hinblick auf Arbeitslosigkeit
und Beschaftigung, vom Zentralisierungsgrad abhangt.
• Mit Hinblick auf die Arbeitslosenrate und den Anteil der
Beschaftigten am Erwerbspersonenpotential weisen die Lander mit
sehr zentralisierten und sehr dezentralisierten Lohnverhandlungen
die beste Performance auf. Dies gilt ebenso fur die
Veranderungsraten dieser Großen (1963-73 gegenuber 1974-85).
5.5 Makrookonomische Auswirkungen aktiverArbeitsmarktpolitik (AAMP)
5.5.1 Einfuhrung
Definition: AAMP-Maßnahmen sind Maßnahmen,
• die Arbeitslose bei der Arbeitsuche unterstutzen,
• die das Humankapital der Maßnahmeteilnehmer verbessern
(Fortbildungsmaßnahmen),
• der Arbeitsbeschaffung oder sonstige Lohnkostenzuschusse.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 141
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEITTabelle5.4:
Ausg
ewahlt
eAAMP
Maßnahmenin
Deutsc
hland
Maßnahmety
pW
ichtigeM
erk
male
Ford
eru
ngderberu
flichen
-Fordertvorallem
geringqualifizierte
Arbeitslose,
Weiterb
ildung,FbW
(§§77-88SGB
III)
-teilweise
Ubernah
meder
Weiterbildungskosten
und
-Loh
nersatzleistung(A
rbeitslosengeld).
Eignungsfeststellungs-
und
-Bew
erbungstraining,
Uberprufungder
Arbeitsfahigkeitund
Tra
iningsm
aßnahmena(§§48-52SGB
III)
-bereitschaft,Schulungen(z.B.Softw
arekurse),
-fordertArbeitslose
undvonArbeitslosigkeitbedrohte
Personen.
Arb
eitsb
eschaffungsm
aßnahmen,ABM
b-
furTatigkeiten,die
zusatzlich
undim
offentlichen
Interessesind,
(§§260-271SGB
III)
-fordertvorallem
schwer
verm
ittelbareZielgruppen,
-Loh
nkostenzuschuss,ab
han
gigvonden
Ausbildungs-
erfordernissender
Tatigkeit900(keineAusbildung)
biszu
1300
Euro
(Hochschul-oder
Fachhochschulausbildung).
Struktu
ranpassungsm
aßnahmen,SAM
b.
-ForderungnurfurspezifischeTatigkeiten
(fruher
§§272-279,
415SGB
III)
(z.B.:Verbesserungder
UmweltundInfrastruktur),
-fordertvorallem
schwer
verm
ittelbareZielgruppen,
-fixer
Loh
nkostenzuschuss.
Arb
eitsg
elegenheitenc
-FurTatigkeiten,die
zusatzlich
undim
offentlichen
Interessesind,
(§16dSGB
II)
-fordertschwer
verm
ittelbareArbeitslosengeld
II-B
ezieher,
-die
Trager/Arbeitgeb
erbekom
men
ihre
Aufwendungenpau
schal
erstattet,
-geforderte
Personen
erhaltenentw
eder
einen
Loh
n(E
ntgeltvariante)
oder
ihrArbeitslosengeld
IIzuzuglich1bis2Euro
pro
Arbeitsstunde(M
ehraufwan
dsvariante
oder
auch
Ein-Euro-Job
).SonstigeLohnkostenzu
schusse
-Forderungder
Aufnah
meeiner
regu
larenBeschaftigu
ng,
(z.B.Eingliederungszuschuss)
-fordertvorallem
schwer
verm
ittelbareZielgruppen,
-Loh
nkostenzuschuss
(inder
Regel
biszu
50v.H
.).
Ford
eru
ngderAufnahmeselbstandiger
-Wenig
zielgruppenorientiert,Arbeitslosengeld
I-Bezieher
d,
Tatigkeiten(G
rundungszuschuß
-Arbeitslosengeld
zuzuglich300Euro.
-SGB
III§§
57und58)
aSie
wurden
imJahr200
9durchdie
Maß
nahmen
zurAktivierungundberuflichen
Eingliederung(§
45SGB
III)
ersetztundkonnen
weitereingesetzt
werden,oh
nedasswie
zuvor
viele
Details
der
Umsetzunggesetzlich
festgelegt
sind.
bIm
Jah
r200
4wurden
SAM
eingestelltundim
Jahr20
12au
chdie
ForderungdurchABM.
cNurfurArbeitslosengeld
(ALG)II-B
ezieher.Die
Entgeltvariante
wurdeim
Jah
r20
12durchdie
“ForderungvonArbeitsverhaltnissenersetzt”
(§16e
SGB
II).
dNurfurALG
I-Bezieher;furALG
II-B
ezieher
gibtes
andereMog
lichkeitzu
rForderungder
Aufnahmeeiner
selbstandiger
Tatigk
eit.
Quellen:Sozialgesetzb
uch
(SGB
III,Stand201
3;SBG
II,Stand20
13),FertigundSchmidt(200
0)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 142
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEITTabelle5.5:
Arbeitslose
nbestand
und
Zugangein
ausg
ewahlt
eMaßnahmenderAAMP
(inTsd
.)
Jah
r2010
2012
2014
2016
durchschnittl.Arbeitslosenbestand
3.239,0
2.897,1
2.898,4
2.691,0
Zugange
inForderungder
beruflichen
Weiterbildung
498,5
308,4
324,0
325,8
Eignungsfeststellungs-undTrainingsmaßn.a)
10,0
..
.Maßn.zurAktivierungundberufl.Eingliederung
1.620,7
1.112,6
1.246,1
1.532,5
Arbeitsbeschaff
ungsmaßnah
men
2,5
0,1
..
Arbeitsgelegenheiten
-in
der
Mehraufwan
dsvariante
660,4
342,9
260,7
219,7
-in
der
Entgeltvariante
80,4
7,7
..
ForderungvonArbeitsverhaltnissenb)
.3,7
8,3
6,3
Eingliederungszuschusse
252,4
153,0
158,1
161,2
a)Eignungsfeststellungs-undTrainingsmaß
nah
men
wurden
durchdie
Maß
nahmen
zurAktivierungund
beruflichen
Einglied
erungabgelost.Arbeitsbeschaff
ungsmaß
nah
men
wurden
imJahr201
2ab
geschaff
t.Anga
ben
furdas
aktuellste
Jahrsindvorlaufig.
b)Neu
eMaß
nah
me,
die
die
altenArbeitsgelegen
heiten
inder
Entgeltvariante
undden
hiernichtau
sgew
iesenen
Beschaftigu
ngszu
schuss
imApril201
2ersetzt
hat.
Quelle:Statistik
der
BundesagenturfurArbeit.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 143
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Was soll AAMP erreichen?
Im Gegensatz zu aktiver Nachfragepolitik sollte sie (strukturelle)
Arbeitslosigkeit abbauen, ohne dass starker Inflationsdruck entsteht
(vgl. z.B., Jackman et al. 1990; Layard et al., 1991). AAMP sollte
• die Arbeitsmarktperformance der Maßnahmeteilnehmer
verbessern
• und generell die Funktionsweise des Arbeitsmarkts verbessern.
• Der Fokus liegt gewohnlich auf bestimmten Zielgruppen mit einer
ungunstigen Arbeitsmarktperformance.
5.5.2 Makroarbeitsmarktwirkungen der AAMP:
Theorie
(A) Verbesserung der Matching-Effizienz 6
Erweiterte Beveridge-Kurve (Isoquante einer erweiterten
Matching-Funktion, die als Produktionsfunktion des Output
Neueinstellungen betrachtet wird):
• Inverser Zusammenhang von Vakanzquote (v, Input 1) und
Arbeitsuchendenquote (u, Input 2).7
• Arbeitsuchende sind Arbeitslose sowie AAMP-Teilnehmer, die
beide zur Besetzung regularer Stellen zur Verfugung stehen.
Interpretation einer erweiterten Beveridge-Kurve
• Kombinationen von v und u, bei denen Abgang und Zugang von
Vakanzen und Abgang und Zugang von Arbeitsuchenden jeweils6Eine ausfuhrliche Diskussion solcher Effekte findet sich zum Beispiel in Calmfors (1994).7Jeweils definiert als Anzahl der offenen Stellen bzw. Arbeitsuchenden relativ zur Anzahl der Erwerbspersonen.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 144
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
gleich hoch sind; die Anzahl der Neueinstellungen und die
Neueinstellungsquote (Output) sind konstant.8
• Verbesserte Matching-Effizienz: Bei gleicher v aber geringerer u
wird die gleiche Neueinstellungsquote erreicht. ⇒Beveridge-Kurve nach links (Schaubild 5.5).
Schaubild 5.5: Erweiterte Beveridge-Kurve (BK)
6
-
............................................
..........................................
..........................................
.........................................
........................................
.......................................
......................................
.....................................
.......................................
.........................................
...........................................
.............................................
...............................................
.................................................
...................................................
.....................................................
.......................................................
.........................................................
.........................................................
......................................................
.....................................................
....................................................
...................................................
.................................................
................................................
...............................................
..............................................
............................................
...........................................
...........................................
............................................
..............................................
................................................
.................................................
...................................................
....................................................
......................................................
.......................................................
.........................................................
...........................................................
............................................................
�
erwunschteAAMP Wirkung BK1
BK2Arbeitsuchendenquotea) (u)
a) Anzahl der Arbeitslosen und Maßnahmeteilnehmer relativ zurAnzahl der Erwerbspersonen
Vakanzquote (v)
(Intensivere) AAMP sollte die Matching-Effizienz erhohen (siehe
Schaubild 5.5), weil AAMP beispielsweise
• Arbeitsuchende bei der Stellenfindung unterstutzt
(Sucheffektivitat erhoht),8Weil wir zur Vereinfachung die Anzahl der Erwerbspersonen hier als unveranderlich annehmen. Dies ist naturlich nicht korrekt
und AAMP konnte diese Anzahl auch erhohen, wenn sie geeignet ist, Personen, die die Arbeitsuche aufgegeben haben, wieder insErwerbsleben zuruckzufuhren.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 145
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
• durch Fortbildung das Profil der Arbeitsuchenden dem
Anforderungsprofil der offenen Stellen angleicht (Beseitigung von
Mismatch)
• und durch subventionierte Beschaftigung der Kontakt zwischen
Arbeitsuchenden und regularen Arbeitgebern rascher hergestellt
wird.
Unerwunschte Wirkungen der AAMP (erweiterte Beveridge-Kurve
nach rechts):
• Locking-in Effekte : Im Vergleich zu Arbeitslosen haben
AAMP-Teilnehmer weniger Zeit und wegen ihrer Entlohnung oder
Lohnersatzleistung weniger Anreiz, eine regulare Beschaftigung zu
suchen.
• Ashenfelter’s Dip: Der Anreiz zur regularen Jobsuche sinkt fur
Arbeitslose schon kurz vor der AAMP-Teilnahme, falls die
Teilnahme (und die zugehorige Entlohnung/Lohnersatzleistung)
erwartet wird.
⇒ Nettoeffekt einer (intensiveren) AAMP auf die Matching-Effizienz
ist a priori unbestimmt.
(B) Das erweiterte Layard et. al (1991)-Modell
Gleichgewichtsmodell eines Arbeitsmarkts bei Arbeitslosigkeit.
Gleichgewicht impliziert nicht Marktraumung, sondern einen
optimalen Ausgleich der Interessen der wichtigsten Akteure am
Arbeitsmarkt.9
Das Reallohn-regulare Beschaftigungsquote-Diagramm (Schaubild9Siehe die zuvor erwahnten Modelle zu Gewerkschaften und Arbeitgebern oder die Effizienzlohntheorie.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 146
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
5.6) zeigt die Elemente dieses Modells und die erwunschte Wirkung
einer AAMP:10
• Grenzproduktentlohnung/negativ geneigte
Arbeitsnachfragefunktion (AF).
• Die Lohnsetzungsfunktion (LF) ist eine positive Relation zwischen
Reallohn und regularer Beschaftigung. Sie kann mit den zuvor
diskutierten Verhandlungsmodellen begrundet werden.
• Die negativ geneigte Beschaftigungsfunktion (BF) liegt links von
der AF-Kurve:
– Sie ist durch Arbeitsmarktfriktionen begrundet, so dass zu
jedem Lohn die Beschaftigtenquote geringer ist als die
Arbeitsnachfrage.
– Der horizontale Abstand zwischen AF- und BF-Kurve ist dann
die Vakanzquote (v).
• Der Schnittpunkt zwischen AF- und LF-Kurve bestimmt den
gleichgewichtigen Lohnsatz (w∗). Die gleichgewichtige
Beschaftigungsquote (b∗) ist dann zu diesem w∗ durch die
BF-Kurve determiniert.
Wunschenswert ware, dass AAMP alle drei Funktionen nach rechts
verlagert und dabei den Abstand zwischen BF-Funktion und
AF-Funktion verringert, d.h., bei gegebenem Lohnsatz
• steigt die Nachfrage nach regular Beschaftigten,
• sind die Gewerkschaften bereit mehr Beschaftigung bei gleichem
Lohn zu akzeptieren,10Die Quote der regular Beschaftigten (b) ist das Verhaltnis zwischen der Anzahl regular beschaftigter Personen und der Anzahl
der Erwerbspersonen einer Volkswirtschaft. Beschaftigte in AAMP-Maßnahmen werden also nicht im Zahler berucksichtigt. 1 − bentspricht der Arbeitsuchendenquote.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 147
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
• nehmen Arbeitsmarktfriktionen ab und sinkt die Vakanzquote.
• Folgen fur Gleichgewicht: b∗ ↑, w∗ unbestimmt.11
Schaubild 5.6: AAMP und das
erweiterte Layard et. al (1991)-Modell
6
-AFLF
.
..................................................
..................................................
.................................................
.................................................
.................................................
.................................................
.................................................
................................................
..................................................
.....................................................
.......................................................
BF Quote der regularBeschaftigtena) (b)
B
Aw∗
b∗
v∗� -A
-
-
-
AF: Arbeitsnachfragefunktion, LF: Lohnsetzungsfunktion,BF: Beschaftigungsfunktion
- : erwunschte AAMP Wirkung
a) Anzahl der regular Beschaftigten relativ zur Anzahl der Erwerbspersonen
Reallohn (w)
Wunschenswerte Wirkungen: Intensivere AAMP konnte
• durch Produktivitatseffekte das Grenzprodukt der Arbeit
erhohen =⇒ AF nach rechts,12
11AAMP sollte also die regulare Beschaftigungsquote erhohen. Naturlich ist dies eine enge Sicht des Zieles der AAMP. Letztlichkonnte AAMP auch dazu dienen, mehr regulare plus subventionierte Beschaftigung zu schaffen. Die subventionierte Beschaftigungsollte dann dazu beitragen, Langzeitarbeitslosigkeit oder die gesamte Beschaftigungsquote von Zielgruppen der AAMP zu vermeiden,in dem Zielgruppen haufiger subventionierte Tatigkeiten ausuben.
12Z.B. erhohen Fortbildungsmaßnahmen das Humankapital der Maßnahmeteilnehmer und damit der Erwerbspersonen insgesamt.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 148
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
• wie bereits besprochen die Matching-Effizienz erhohen =⇒ BF
ruckt naher an AF,
• zu Wettbewerbseffekten fuhren, wenn sie Outsider zu effektiveren
Konkurrenten der Insider werden lasst =⇒ LF nach rechts.
Mogliche unerwunschte Wirkungen: Intensivere AAMP konnte
• wegen Produktivitatseffekten auch dazu fuhren, dass bei
gestiegenen Effizienzeinheiten weniger Arbeitnehmer beim
gegebenen Lohn nachgefragt werden (Substitution) =⇒ AF nach
links,
• Mitnahmeeffekte hervorrufen, wenn Arbeitgeber durch AAMP
geforderte Personen einstellen, die sie sonst regular beschaftigt
hatten; bei gegebenem Lohn fallen regulare Arbeitsplatze weg =⇒AF nach links,
• zu Verdrangungseffekten fuhren, denn Arbeitgeber, die durch
AAMP subventionierte Arbeitnehmer einstellen, verdrangen
konkurrierende Unternehmen vom Markt, die nur regular
beschaftigen =⇒ AF nach links,
• Substitutionseffekte einleiten, bei denen Arbeitgeber durch
AAMP geforderte Personen fur bestimmte Tatigkeiten einstellen,
dafur aber die Beschaftigung in anderen Tatigkeiten reduzieren
=⇒ AF nach links,
• wie bereits besprochen die Matching-Effizienz senken =⇒ BF
entfernt sich von AF,
• verringerte Wohlfahrtsverluste bei Entlassung implizieren:
Geringere Einkommensverluste bei Entlassung starken die
Verhandlungsposition der Gewerkschaften. Daher wird bei
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 149
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
gegebener Beschaftigung ein hoherer Lohn gefordert =⇒ LF nach
oben bzw. links.
⇒ Der Nettoeffekt der AAMP auf alle Funktionen und das
Gleichgewicht (b∗,w∗) ist also unbestimmt.
5.5.3 Makroarbeitsmarktwirkungen der AAMP:
Empirie
Letztendlich konnen nur empirische Studien zeigen, wie sich AAMP
auswirkt. Denkbar sind folgende Ansatze:
1. Strukturelle Modelle schatzen die Verlagerung der einzelnen
Verhaltensfunktionen des erweiterten Layard et al. Modells durch
AAMP und idealerweise die Großenordnung aller zuvor erwahnten
(gegenlaufigen) Effekte der AAMP.
2. Modelle in reduzierter Form schatzen nur die Nettoeffekte der
AAMP auf b∗ bzw. u∗ = 1− b∗ sowie w∗ oder auf die
Matching-Effizienz.
Ansatz 2 dominiert die Literatur zur Makroevaluation der
AAMP-Wirkungen in Deutschland! Kommen wir zur Vorgehensweise
dieses Ansatzes:
(A) Erweiterte Beveridge-Kurve/Matching-Funktion:
Annahme: Matching-Funktion bei Cobb-Douglas Technologie,
homogen vom Grade 1:
H = α(AAMP ) · V β1 · Uβ2, β1, β2 > 0, β2 = 1− β1. (5.27)
H: Neueinstellungen (Output), V : Anzahl der Vakanzen (Input 1), U Anzahlder Arbeitslosen (Input 2),
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 150
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
AAMP : Intensitatsmaß der aktiven Arbeitsmarktpolitik,
α(AAMP ) : Parameter der Matching-Effizienz (Effizienz derProduktionsfunktion).
Dividiert man beide Seiten durch die Anzahl der Erwerbspersonen
(E), so erhalt man
H
E= α(AAMP ) ·
(VE
)β1 · (UE
)β2,h = α(AAMP ) · vβ1 · uβ2. (5.28)
h : Anzahl der Neueinstellungen relativ zur Anzahl der Erwerbspersonen(Neueinstellungsquote).
Durch Logarithmieren und Einfuhren eines Storterms erhalten wir
ln(h) = ln[α(AAMP )] + β1 · ln(v) + β2 · ln(u) + ε, (5.29)
ε : Storterm.
Der Parameter ln(α(AAMP )) kann sodann als lineare Funktionverschiedener Maßnahmeintensitaten der AAMP spezifiziert werden:
ln(h) = α0 +K∑k=0
αk · Ik︸ ︷︷ ︸ln(α(AAMP ))
+β1ln(v) + β2ln(u) + ε (5.30)
In Gleichung 5.30 stellt Ik ein Maß der Intensitat der
AAMP-Maßnahme des Typs k dar. αk ist der zugehorige Effekt.
Mogliche Maße fur Ik sind:
• Anzahl der Teilnehmer an Maßnahme k relativ zur Anzahl der
Erwerbspersonen oder der Arbeitsuchenden (Accommodation
Ratio),
• Ausgaben fur die Maßnahme k relativ zum (nominalen)
Bruttoinlandsprodukt.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 151
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Angenommen, es gebe nur einen AAMP-Typ:
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). Als Beobachtungen
verwenden wir Informationen aus Arbeitsamtsbezirken
(Regionaleinheit, i) zu verschiedenen Zeitpunkten (t).
ln(hi,t) = α0 + αABM · IABM,i,t + β1 · ln(vi,t−1) (5.31)
+β2 · ln(ui,t−1) + εi,t, i = 1, ..., n, t = 1, ..., T.
vi,t−1, ui,t−1: Vakanzquote und Arbeitsuchendenquote am Ende der Periodet− 1 (Beginn der Periode t) des Arbeitsamtsbezirks i,
IABM,i,t : Intensitat der ABM des Arbeitsamtsbezirks i wahrend der Periode t.
Eine Maßnahmeteilnahme kann geraume Zeit dauern (Regeldauer der
Teilnahme ist ein Jahr). Daher wirkt sich die ABM-Intensitat
womoglich auch zeitlich verzogert auf die Zielgroße aus. Annahme: bis
zu zwei Perioden verzogerte Wirkung.
ln(hi,t) = α0 + αABM,0 · IABM,i,t + αABM,1 · IABM,i,t−1
+αABM,2 · IABM,i,t−2 + β1 · ln(vi,t−1)
+β2 · ln(ui,t−1) + εi,t (5.32)
αABM,0 : zeitgleicher marginaler Effekt der ABM,
αABM,1, αABM,2 : um eine bzw. zwei Perioden verzogerter marginaler Effektder ABM.
Langfristiger (marginaler) Effekt : Eine (einmalige) Erhohung der
ABM-Intensitat wirkt sich erst nach zwei Perioden voll aus. Ihr
langfristiger Effekt ist dann die Summe des zeitgleichen Effektes und
der verzogerten Effekte:
αABM = αABM,0 + αABM,1 + αABM,2 (5.33)
(B) erweitertes Layard et al.-Modell
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 152
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Ebenso konnen wir die reduzierte Form des erweiterten Layard et
al.-Modells okonometrisch darstellen:
• Abhangige Variable ist die Arbeitsuchendenquote.
• Regressoren sind neben ABM-Intensitaten zeitlich verzogerte
Arbeitsuchendenquoten und andere messbare Einflussfaktoren.
ui,t = α0 + αABM,0 · IABM,i,t + αABM,1 · IABM,i,t−1 (5.34)
+αABM,2 · IABM,i,t−2 +
J∑j=1
γj · ui,t−j + x′i,tβ + εi,t
ui,t−j: um j Perioden verzogerte Arbeitsuchendenquote,
xi,t: weitere beobachtbare Faktoren, die die Arbeitsuchendenquotedeterminieren.
Der langfristige (marginale) ABM-Effekt ware hier:13
αABM =αABM,0 + αABM,1 + αABM,2
1−∑J
j=1 γj(5.35)
Die lineare Regressionsanalyse ist nicht geeignet, um die ABM-Effekte
konsistent zu schatzen. Der Storterm der Gleichung 5.34 mag wie
folgt zustandekommen:
εi,t = ε1,i + ε2,i,t (5.36)13Dabei wird wie zuvor unterstellt, dass im langfristigen Gleichgewicht zeitgleiche und zeitliche verzogerte ABM-Intensitaten
gleich hoch sind. Zudem gilt das Gleiche fur die zeitgleichen und zeitlich verzogerten Arbeitsuchendenquoten. Ein Gleichgewichtliegt dann vor, wenn sich die ABM-Intensitaten nicht mehr andern und alle Arbeitsuchendenquoten ihren Gleichgewichtswert (u∗
i )in der jeweiligen Region annehmen, d.h. es tritt keine zeitliche Variation mehr auf:
u∗i = α0 + αABM,0 · IABM,i + αABM,1 · IABM,i + αABM,2 · IABM,i +
J∑j=1
γj · u∗i + x′
iβ + εi
(1−J∑
j=1
γj) · u∗i = α0 + (αABM,0 + αABM,1 + αABM,2) · IABM,i + x′
iβ + εi
u∗i =
1
(1−∑J
j=1 γj)· [α0 + (αABM,0 + αABM,1 + αABM,2) · IABM,i + x′
iβ + εi]
du∗i
dIABM,i=
αABM,0 + αABM,1 + αABM,2
(1−∑J
j=1 γj)
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 153
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
ε1,i : regionenspezifischer Effekt, d.h. ein Storterm, der uber Regionen variiert,aber nicht uber die Zeit.
ε2,i,t : Storterm, der uber Zeit und Regionen variiert.
Daher gilt:
• cor(ui,t−j, ε1,i) > 0. Es wird also eine positive Korrelation
zwischen verzogert abhangigen Variablen und dem Storterm
geben.
• Wenn die AAMP einer Politikreaktionsfunktion folgt, die mit der
Arbeitsmarktlage der einzelnen Regionen variiert, dann gilt auch
cor(IABM,i,t−j, ε1,i) = 0.
Die Probleme lassen sich teilweise losen, wenn die Schatzgleichung in
erster Differenz verwendet wird.
∆ui,t = αABM,0 ·∆IABM,i,t + αABM,1 ·∆IABM,i,t−1
+αABM,2 ·∆IABM,i,t−2 +
J∑j=1
γj ·∆ui,t−j +∆x′i,tβ
+∆ε2,i,t (5.37)
∆ui,t = ui,t − ui,t−1, ...
Dies eliminiert den regionenspezifischen Storterm; der neue Storterm
ist allein die erste Differenz des zweiten Storterms in Gleichung 5.36.
Es bestehen aber weiter systematische Zusammenhange zwischen dem
neuen Storterm, ∆ε2,i,t, und einer verzogert abhangigen Variablen,
denn
cor(∆ui,t−1,∆ε2,i,t) = cor(ui,t−1 − ui,t−2, ε2,i,t − ε2,i,t−1)
= cor(ui,t−1,−ε2,i,t−1) < 0 (5.38)
Ebenso sind Korrelationen zwischen den ABM-Intensitaten und dem
Storterm ε2,i,t jeweils in ersten Differenzen denkbar: Die AAMP
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 154
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
konnte systematisch auf zeitliche Variation in unbeobachtbaren
Einflussfaktoren der Arbeitsuchendenquote mit Veranderungen der
ABM-Intensitat reagieren. Auch unter Verwendung von Gleichung
5.37 wurde die Kleinstquadratmethode die Parameter nicht konsistent
schatzen.
Um konsistente Schatzungen zu erzielen, werden
Instrumentvariablenschatzer14 und Generalisierte Momentschatzer
(Generalized Methods of Moments Estimator)15 verwendet.
Fur Deutschland wurden in jungster Zeit zahlreiche
Makroevaluationen der AAMP durchgefuhrt. Die Mehrzahl der
Studien analysiert drei Maßnahmen:
• Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM)
• Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM)
• Forderung der beruflichen Weiterbildung (FbW)
Die Ergebnisse dieser Studien zeigen
• fur SAM und FbW keine eindeutigen Effekte,
• fur ABM insignifikante oder signifikant unerwunschte Effekte.
Einige ausgewahlte Ergebnisse fur SAM, FbW und ABM
14Z.B. konnten als Instrumente fur die ABM-Intensitat die Anteile politischer Parteien in den Regionalparlamenten dienen, wennverschiedene Parteien unterschiedliche Praferenzen fur AAMP haben und daher deren Intensitat determinieren, aber womoglichkeinen direkten Einfluss auf die Arbeitsmarktsituation haben.
15Diese nutzen als Instrumentvariablen fur Regressoren in ersten Differenzen deren um zusatzliche Perioden verzogerte Absolut-werte.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 155
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Tabelle 5.6:
Langfristiger Effekt auf die Matchingeffizienz, (Elastizitaten regularer
Neueinstellungsquoten)a
Ost: Hagen (2003)b West: Hujer und Zeiss (2003)c
erste Differenz Schatzer Maximum Likelihood(Instrumentierung)
ABM -0.947 -0.163(-2.45) (-2.78)
SAM -0.189(-0.27) .
FbW 2.268 0.035(1.49) (0.94)
a unerwunschte Wirkung unterstrichen und t-Werte in Klammern.b Intensitatsmaße sind Anteile der Maßnahmeteilnehmer an den Arbeitsuchenden, Schatzung aufBasis von Quartalsdaten.c Intensitatsmaße sind Anteile der Maßnahmeteilnehmer an den Erwerbspersonen, Schatzung aufBasis von Quartalsdaten.
Tabelle 5.7:
Langfristiger Effekt auf die Arbeitsuchendenquotea,b
Ost Westerste Differenz Schatzer System Generalisierter(ohne Instrumentierung) Momentschatzer
ABM 0.0693 0.024(0.51) (0.02)
SAM -0.441 .(0.275)
FbW 0.214 -1.445(0.79) (-2.59)
a unerwunschte Wirkung unterstrichen und t-Werte in Klammern.b Marginaler Effekt des Anteils der Maßnahmeteilnehmer an den Arbeitsuchenden(Accommodation Ratio).Quelle: Hujer et al. (2002), Schatzung auf Basis von Quartalsdaten.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 156
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
Anhang 5.A: Beweis zur Bestimmung der Dauer der
Arbeitslosigkeit (Kapitel 5.1)
Dauer der Arbeitslosigkeit:
Angenommen, die Wahrscheinlichkeit, den Arbeitslosenpool zu
verlassen, PA ist konstant. Dann ist die erwartete Dauer der
Arbeitslosigkeit (in Wochen) eines Durchschnittsindividuums, i:
D = E(Di) =1PA.
Beweis:
Schritt 1: Erwartungswert von Di
Um zu beweisen, dass E(Di) =1PA, mussen wir zunachst die erwartete
Dauer der Arbeitslosigkeit berechnen, die sich gemaß der ublichen
Formel fur Erwartungswerte als eine unendliche Reihe darstellen lasst:
E(Di) = 1 · P (Di = 1) + 2 · P (Di = 2) + 3 · P (Di = 3) +
4 · P (Di = 4) + .... (5.39)
Wenn in jeder Woche der Arbeitslosigkeit, ein Arbeitnehmer die
Arbeitslosigkeit mit einer Wahrscheinlichkeit von PA verlasst, dann
gilt fur die Wahrscheinlichkeit,
1. in der ersten Woche die Arbeitslosigkeit zu verlassen
P (Di = 1) = PA,
2. in der zweiten Woche die Arbeitslosigkeit zu verlassen
P (Di = 2) = (1− PA) · PA, wobei (1− PA) die
Wahrscheinlichkeit ist, nicht bereits in der ersten Woche aus
Arbeitslosigkeit abzugehen,
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 157
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
3. in der dritten Woche die Arbeitslosigkeit zu verlassen
P (Di = 3) = (1− PA)2 · PA, wobei (1− PA)
2 die
Wahrscheinlichkeit ist, nicht vor der dritten Woche aus
Arbeitslosigkeit abzugehen.
4. Daher gilt generell also fur die Wahrscheinlichkeit, in der j-ten
Woche die Arbeitslosigkeit zu verlassen
P (Di = j) = (1− PA)(j−1) · PA.
Mit diesen Angaben lasst sich Gleichung 1 auch wie folgt schreiben:
E(Di) = PA + 2(1− PA) · PA + 3(1− PA)2PA +
4(1− PA)3 · PA + ...
= PA · [1 + 2(1− PA) + 3(1− PA)2 + 4(1− PA)
3 + ...]︸ ︷︷ ︸A
(5.40)
E(Di) = PA · A (5.41)
Schritt 2: Vereinfachung der Große A
Die Große A = [1 + 2(1−PA) + 3(1−PA)2 + 4(1−PA)
3 + ...] konnte
man auch wie folgt schreiben:
A = [1 + (1− PA) + (1− PA)2 + (1− PA)
3 + ...]
+ [(1− PA) + (1− PA)2 + (1− PA)
3 + ...]
+ [(1− PA)2 + (1− PA)
3 + ...]
+ ... (5.42)
oder auch als
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 158
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
A = [1 + (1− PA) + (1− PA)2 + (1− PA)
3 + ...]
+ (1− PA) · [1 + (1− PA) + (1− PA)2 + (1− PA)
3...]
+ (1− PA)2 · [1 + (1− PA) + (1− PA)
2 + (1− PA)3...]
+ ... (5.43)
Wir definieren eine weitere Große, B, als:
B = [1 + (1− PA) + (1− PA)2 + (1− PA)
3 + ...] (5.44)
dann folgt fur A:
A = B + (1− PA) ·B + (1− PA)2 ·B + ... (5.45)
durch ausklammern von B erhalten wir:
A = [1 + (1− PA) + (1− PA)2 + (1− PA)
3 + ...] ·B = B2
(5.46)
Schritt 3: Vereinfachung der Große B
Fur die Große B = [1 + (1− PA) + (1− PA)2 + (1− PA)
3 + ...] bleibt
noch zu beweisen, dass B = 1PA. Wir konnen zeigen, dass
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 159
KAPITEL 5. ARBEITSLOSIGKEIT
(1− PA)B = [(1− PA) + (1− PA)2 + (1− PA)
3 + ...]
folglich ist:
B − (1− PA)B = 1 =⇒ PA ·B = 1
=⇒ B =1
PA
=⇒ A = B2 =1
P 2A
=⇒ D = E(Di) = PA · A =PA
P 2A
=1
PA(5.47)
wzbw.
Wolff Theorie und Empirie des Arbeitsmarktes 160
Recommended