Vom Wildrind zur Hochleistungskuh · 2020. 3. 6. · Paul Gimmler: Mellendorf, Band I: Das alte...

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Vom Wildrind zur

Hochleistungskuh

Vortrag am 4. März 2020

für die Historische AG Wedemark

Eckhard Martens und Heinz-Werner Reichenbach

Vom Ur zum

Hausrind

Das Hausrind oder schlicht Rind ist

die domestizierte Form des

eurasischen Auerochsen (Ur).

Es wurde zunächst wegen seines

Fleisches, später auch

wegen seiner Milch und seiner

Leistung als Zugtier domestiziert.

Ursprung

Heute geht man davon aus, dass die taurinen Hausrinder, welche in Europa und Nordamerika üblicherweise gehalten werden, ursprünglich aus Anatolien und dem Nahen Osten stammen, wo die eurasische Unterart des Auerochsen, B. p. primigenius, ebenfalls vorkam.

DNA-Untersuchungen ergaben, dass sich bereits die Ahnen der taurinen Rinder und der Zebus genetisch unterschieden und somit unabhängig voneinander domestiziert wurden.

Beginn der Milchwirtschaft

• Die Entwicklung der Milchwirtschaft

begann zunächst mit Ziegen und

Schafen, etwa vor 10.000 Jahren.

• sowie mit der Domestikation

von Auerochsen (Ur) vor etwa 8.500

Jahren vor allem in Südosteuropa.

Die kleinwüchsigen einfarbigen Buša-

Rinder stellen die ursprünglichste

Rinderform Europas

Boškarin ist eine alte

Landrasse in Kroatien

Dreinutzungsrasse: Milch, Fleisch, Zugtiere

Kühe zu Beginn des

19. Jahrhunderts

Rindviehhaltung in Mellendorf

1521 - 1802

Anzahl je

Rindviehhalter

1521

1589

1694

1770

1802

Anzahl der

Rinder 294 370 213 195 212

Anzahl der

Rindviehhalter 30 43 38 44 57

Durchschnitt je

Rindviehhalter 9,8 8,6 5,6 4,4 3,7

Paul Gimmler: Mellendorf, Band I: Das alte Mellendorf, 1970

Rindviehhaltung in Mellendorf

1521 - 1802

Hof Nr. 7 Nr. 15 Nr. 26

1521 19 18 22

1589 18 19 13

1694 9 14 (wüst)

1770 10 8 10

1802 8 6 9

Paul Gimmler: Mellendorf, Band I: Das alte Mellendorf, 1970

Viehhaltung in Mellendorf 1770

Zucht jährlich Verkauf jährlich

Kälber 108 Hornvieh 5

Lämmer 90 Kälber 90

Fercken 60 Schweine -

Füllen 2 Schafe -

Paul Gimmler: Mellendorf, Band I: Das alte Mellendorf, 1970

Mellendorfer Viehhaltung

Paul Gimmler: Mellendorf, Band I: Das alte Mellendorf, 1970

Auch in Mellendorf bildete in alter Zeit

die Viehzucht die Haupterwerbsquelle.

Die außerordentlich kleinen Ackerflächen,

die damals zu einem Hof gehörten,

hätten gar keine Existenzgrundlage

abgegeben.

Mellendorfer Wiesen

Paul Gimmler: Mellendorf, Band I: Das alte Mellendorf, 1970

„Sie werden alle nur einmal gemäht.

Bis alten Maytag wird im Frühjahr so

wie auch auf andern Wiesen das

gemeinschaftliche Vieh darauf geweidet.“

Pastor Hornbostel in „Corpus bonorum“

bzw. Pastor Rothe in seiner Neufassung

Mellendorfer Wiesen

Paul Gimmler: Mellendorf, Band I: Das alte Mellendorf, 1970

Der Besitz an Wiesen war für den einzelnen

Bauern von großer Bedeutung.

Der Umfang seiner Viehhaltung war von der

Überwinterungsmöglichkeit abhängig

und die war bedingt durch die Menge des zur

Verfügung stehenden Heues.

Aufgabe der Viehhaltung

Paul Gimmler: Mellendorf, Band I: Das alte Mellendorf, 1970

Aufgabe der Viehhaltung war es bis zur Mitte

des 18. Jahrhunderts gewesen, das vorhandene

Grünland in arbeitssparender Weise zu nutzen

und über den Stalldung die gesammelten Nährstoffe

dem Ackerland als Ersatz für die dem Boden entzogenen

Kräfte zuzuführen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts

lag die Hauptaufgabe …. mehr in der durch sie möglichen

Bodenertragssteigerung.

Dungerzeugung durch Viehhaltung

Hohe Getreidepreise

Gewinnverbesserung durch Düngung des

Ackerlandes

Ausdehnung der Viehhaltung über die

vorhandene Futtergrundlage

Dunganfall vom Rindvieh war nach Menge

und Qualität am besten

Zunahme des Rindviehbestandes um

annähernd 80 % vom Siebenjährigen Krieg

(1756 – 1763) bis zur Bauernbefreiung

(Mitte des 19. Jahrhunderts)

Paul Gimmler: Mellendorf, Band I: Das alte Mellendorf, 1970

Diele eines Hallenhauses

im Kreis Lüneburg 1935

Lage um 1800 im Gebiet

zwischen Aller und Elbe

• Im Herbst später Eintrieb

(bis zum Schnee)

• Im Frühjahr zu früh auf die Weide

• Milch reichte knapp für Kalb und Haushalt

• Fleischwachstum war kärglich

• Es sollte möglichst viel Stallmist als

Dünger erzeugt werden

• Sämtliches Rindvieh eines Dorfes wurde

auf der Allmende gehalten

Kuhweide und Bodengüte

„Unter einer „Kuhweide“ verstand man

die Futtermenge, die eine Kuh im Jahr

benötigt. Auf fruchtbarem, gut

bewässertem Boden wächst diese

Futtermenge auf einer verhältnismäßig

kleinen Fläche.

Auf sandigem Heideland muß dagegen

eine größere Fläche bewirtschaftet

werden…. “ Carz Hummel: Die Specialtheilung der Gemeinheiten, 1993

In „Resser Geschichten“

Strohfütterung im Winter

• Auf den Heideböden gab es eine

spitzrückige, schmalbrüstige Landrasse.

• Diese Tiere hatten ein schwaches

Fundament, einen dünnen Hals und

wogen nur 4 – 8 Zentner (200 – 400 kg).

• Nach der Strohfütterung im Winter waren

sie oft so schwach, dass sie auf

Schleppen auf die Weide gezogen

werden mussten.

Eigenschaften guter Milchkühe • ein schöner Hals, eine kleine Wamme (Fanon),

• ein etwas langer Kopf,

• ein dünnes und spitziges Horn,

• ein lebhaftes Auge,

• ein feines Haar,

• kurze und dünne Schenkel,

• sich hebende und runde Rippen,

• ein großer Körper,

• starke Lenden,

• breite und gleiche Hüften,

• ein hochstehender, lang herabhängender Schwanz,

• ein zartes, weites, gut gebautes, nicht sehr fleischiges

und nicht zu weisses Euter,

• ein zartes und reiches Haar,

• an beyden Seiten des Bauches schwellende Adern, die man leicht unter den

Fingern fühlen kann.

Oekonomische Encyklopädie von J. G. Krünitz

Landwirtschaftliche Reformen

im 19. Jahrhundert

• Ablösung der bäuerlichen Dienste

und Abgaben

• Verkoppelung und Gemeinheitsteilung

• Produktionstechnische Neuerungen

• Mehr Futter – mehr Vieh- mehr Stallmist

• Stallfütterung des Hornviehs

• Wechsel vom Getreide- zum Futterbau

• Import leistungsfähigerer Rassen

Melken um 1491

Handmelken 1935

Melken, Füttern und Ausmisten war meist Frauenarbeit.

Beim Melken auf der Weide

Aus: Trügkieken in use Wedemark

Eimermelkanlage

Rechnung vom 15.12.1955

Eimermelkanlage

Juni 2015 in Wettmar

Das erste umfassende Buch über Milchwirt-

schaft in Deutschland wurde von Benno

Martiny 1870 herausgegeben.

Er widmete sich der Praxis der Milchwirtschaft und

kaufte 1874 Gut Litzelhof bei Spittal in Kärnten und

bewirtschaftete es sechs Jahre. Dort gründete er eine

vorbildliche Milchviehzucht, in der die Kühe bei

370 bis 400 kg eine durchschnittliche Milchleistung von

2728 kg brachten, die Höchstleistung lag bei 3500 kg.

Die Erfahrungen daraus flossen in Leitfäden für die

Milchviehzucht, die Kennzeichnung von Zuchttieren und

die Zuchtbuchführung ein.

Spezialisierung der Milchwirtschaft

Spezialisierung der Milchwirtschaft

brachte einen Wandel:

früher Frauenarbeit, wurde zunehmend zur Männerarbeit, eine Entwicklung, die sich im frühen 20. Jahrhundert immer mehr verstärkte.

1873 wurde die Milchwirtschaft an der Hochschule für Bodenkultur in Wien als Vorlesungsgegenstand eingeführt, verbunden mit praktischen Übungen der Milchuntersuchungen, sowie der Butter- und Käseherstellung.

Jahr Stückzahl

1848 175.000

1873 190.000

1883 180.000

1900 226.000

Rindviehbestand im

Lüneburgischen im 19. Jahrhundert

Gottfried Seefeldt: Tierzucht und Tierhaltung im Lüneburgischen

vom Ende des 18. Jahrhunderts bis heute

Uelzen, 1999

50 Jahre Entwicklung in der Rinderhaltung Rassenverteilung im Landkreis Hannover

Schwarzbuntes Niederungsvieh 30 %

(friesischen Stammes)

Schwarzbunter Tieflandschlag 40 %

(Ostfriesen, Jeverländer,

Holländer)

Wesermarschschlag 30 %

(Langenhagen und Umgebung)

1950

um 1900

Kuh „Amsel“ 1939 prämiert,

zeigt das Zuchtziel der 1930er Jahre

Schwarzbunte Niederungskuh

etwa 1960

Jersey Kuh

„Pabst-Ideal“ geboren 1961 in den USA Besitzer Zentralbesamung Niedersachsen

Eine Kuh der Holsteiner Rasse

Jahr kg

vor 1850 500

1855 1.150

1900 2.165

1950 2.480

1990 4.700

2000 6.100

2007 7.000

2018 8.059

Entwicklung der Milchleistung

Aufzeichnungen zur Milchleistung gibt es seit 1853

Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung berechnet diesen Wert

aus der Anzahl der Milchkühe und der produzierten Milchmenge.

Leistung und Fütterung

• Eine moderne Kuh gibt pro Tag bis zu 50 Liter Milch. Die Urkuh gab

mit bis zu fünf Litern knapp 10 Prozent der heutigen Milchleistung.

Die Produktionsmenge ist also von 500 – 600 kg auf bis zu

12.000 kg im Jahr pro Kuh angestiegen.

• Zurückzuführen ist diese Steigerung auf Zucht, Forschung und

bessere Haltung, um die Milchleistung permanent zu optimieren.

Aus der Zucht gingen reine Milchkuh-Rassen hervor.

• Die Ernährung spielt ebenfalls eine große Rolle: In der Natur

fressen Kühe Gras und Klee, während Milchkühe heutzutage

zusätzlich Kraftfutter erhalten. Es wird Gras- oder Maissilage

gefüttert. Die Heufütterung hat nur noch geringe Bedeutung.

• Getreideschrot, Extraktionsschrote und Mineralfutter

werden zugefüttert.

Sechs 10.000 l Kühe 1974

Gottfried Seefeldt: Tierzucht und Tierhaltung im Lüneburgischen

vom Ende des 18. Jahrhunderts bis heute

Uelzen, 1999

Über Jahrzehnte ist die Milchleistung je

Kuh und Jahr ständig gestiegen.

Übergang vom Mehrnutzungsrind zum Milchrind

verstärkter Züchtungsfortschritt

Optimierung der Haltungsbedingungen

Optimierung der Fütterung

verbesserte veterinärmedizinische Betreuung

Übergang von der Einzeltierfütterung zur

Gruppenfütterung (Totalmischrationen)

steigende Arbeitsproduktivität

verbesserte Haltungsbedingungen

bessere Arbeitsbedingungen

geringerer Investitionsaufwand je

Tierplatz

Weshalb werden die Tierbestände

je Anlage immer größer?

Warum ist die Massentierhaltung für viele

Verbraucher ein rotes Tuch?

„Eine Ursache liegt in der Entfremdung. Eine

weitere darin, dass Landwirtschaft zu einer

Art Projektionsfläche der Antimoderne

geworden ist. Das heißt, viele Verbraucher

nehmen es den Bauern übel, wenn sie

betriebswirtschaftlich arbeiten, sprich:

technisch innovativ, effizient und

standardisiert.

Die Deutschen lieben Landwirtschaft, wenn

sie klein und kuschelig ist.“

Prof. Dr. Peter Kunzmann, TiHo Hannover

Spezialgebiet: Tierethik

Futtergang in einem 2.000er Stall

Melkkarussell in Russland

Betriebsgröße: 2.000 Kühe

Melkkarussell in Russland

Milchviehbetrieb in Ibsingen

Milchviehbetrieb in Plumhof

Side by Side Melkstand

2 x 16 Kühe

Entwicklung der Kuhzahlen in den Herden

mit mehr als 100 Tieren in Niedersachsen

2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019

344 391 454 482 533 562 589 589 590

Die Gesamtzahl der in Deutschland gehaltenen Kühe:

1992 5,4 Mio.

2019 4,1 Mio.

Rückgang 1,3 Mio. bzw. 24,2%

„Entwicklung der Struktur der Milchviehhaltung in Deutschland“ Johannes Meyer, Göttingen 2019

Nur eine Kuh, die sich

wohlfühlt, gibt auch viel Milch

Nur bei hohem Kuhkomfort und guter Pflege

der Tiere sind hohe Leistungen möglich.

Die Haltungsbedingungen für die Kühe

werden ständig verbessert:

• mehr Platz

• mehr Licht

• mehr Luft.

Milchkontrollverein Rodewald

Das beste Betriebsergebnis in 2016

lieferte Cord-Hinrich Backhaus aus

Plumhof ab. Er schaffte mit 198 Kühen

an 327 Melktagen eine

Durchschnittsleistung von 11.806

Kilogramm Milch je Kuh mit 3,79

Prozent Fett, 3,39 Prozent Eiweiß und

848 Fett-Eiweiß-Kilogramm.

HAZ 17.01.2017

Melkroboter

Automatisches Melksystem AMS

Molkereien in der Wedemark

Alte Molkerei in Mellendorf

(bis 1935)

Molkerei in Elze

(1924 bis 1934)

Molkerei Bremer in Bissendorf

(bis 1936)

Die Wedemärker Bauern gründeten mit ihren

Fuhrberger Kollegen 1934 eine Molkereigenossenschaft,

die in Mellendorf eine neue ganz neue Molkerei baute.

Die Milchverarbeitung wurde dort 1936 aufgenommen.

Neue Molkerei in Mellendorf

(1936 bis 1973)

Rund 750 Bauern lieferten täglich etwa 20.000 Liter Milch nach Mellendorf.

Dabei gab es etliche, die nur eine Kuh hielten und pro Tag lediglich

eine Kanne zur Abholung auf die Milchbank stellten.

Das ist in etwa die Menge, die ein Betrieb aus Plumhof

mit etwa 600 Kühen heute allein an einem Tag melkt.

Zahl der Milcherzeuger

in Deutschland

136.000

75.000

35.000 ???

10.000 ????

0

20.000

40.000

60.000

80.000

100.000

120.000

140.000

160.000

2000 2015 2030 2050

Milcherzeuger

Milcherzeuger

"Die Melkerin" Paulus Potter (1625 - 1654)

Das Gemälde hängt im Staatlichen Museum Schwerin.

Fidel Castro mit Ubre Blanca

Futteraufnahme: mehr als 230 kg/Tag

Milchleistung: 110 l/Tag 25.000 l Jahr

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