Zivilgesellschaft und politische Kultur PD Dr. Silvia von Steinsdorff Vorlesung: Demokratien,...

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Zivilgesellschaft und politische

Kultur

PD Dr. Silvia von SteinsdorffVorlesung:

Demokratien, Autokratien, Grauzonenregime. Die politischen

Systeme in Ost- und Südosteuropa 26. Juni 2007

PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 2

Zusammenfassung Parteien(systeme) (1)

• Kritik in Westeuropa: Zuviel Bedeutung der Parteien als Gefährdung für die Demokratie (Stichworte: Parteienstaat, Kartellisierung)

• Kritik in Osteuropa: Zuwenig Bedeutung der Parteien als Gefährdung für die Demokratie (Stichworte: Pseudo-Parteien, Personalisierung)

• Parteien und Wahlen - relativ geringe Proportionalität- starke Fragmentierung/effektive Parteienzahl- teilweise extreme Volatilität

• Parteien in den Parlamenten- starker „Fraktionstourismus“- zerfallende Regierungskoalitionen, Minderheitenregierungen etc.- ineffiziente Arbeit der Parteien/Fraktionen in den Parlamenten

allenfalls langsame Stabilisierungstendenzen, nach wie vorwidersprüchliche Entwicklungen, demokratische Konsolidierung der Parteiensysteme mit wenigen Ausnahmen nicht abgeschlossen

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Zusammenfassung Parteien(systeme) (2)

Gründe für die Defizite• Sozio-kulturelle Erklärungsansätze

Cleavage-Theorie, Interessenstruktur• Institutionelle Begründungen

fluide Rahmenbedingungen; Informalität• Akteurs- und wählerzentrierte Erklärungen:

unklare Programmatik der Parteien; keine Programmparteien

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Gliederung

1. Zivilgesellschaft1.1 Definition und Abgrenzung der Begriffe1.2 Funktionen und Typen der Zivilgesellschaft1.3 Sozialkapital – ein geeigneter Gradmesser

derZivilgesellschaft?

2. Politische Kultur 2.1 Paternalismus und autoritäres Erbe2.2 Hang zur Informalität2.3 Institutionenvertrauen /

Demokratiezufriedenheit

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Zivilgesellschaft

• Ebene der „Verhaltenskonsolidierung“ (nach W. Merkel) Akteure Bevölkerung

• Oft schwer zu trennen Konzept der Zivilgesellschaft

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Definition und Abgrenzung der Begriffe (1)

Zivilgesellschaft:• Alle Formen der gesellschaftlichen

Selbstorganisation, die STAATSFERN geschehen (= nur Handeln)

• inhaltliche Ausrichtung am Gemeinwohl• gewaltfrei, im Idealfall den Prinzipien der

demokratischen Gesellschaftsordnung folgend (inklusiv, binnendemokratisch, transparent…) Mezo-Ebene

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Definition und Abgrenzung der Begriffe (2)

Politische Kultur:Summe der Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung im Bezug auf das politische Gemeinwesen(= Fühlen, Denken und Handeln) Mikro-Ebene

• Politische Kultur bestimmt mit über die Art und Weise, wie die Zivilgesellschaft funktioniert

• Wandel von politischer Kultur dauert länger als der Wandel der politischen/ökonomischen/sozialen Institutionen

• Jede Gesellschaft hat eine politische Kultur (patrimoniale, partizipatorische, autoritäre, demokratische…) Frage der Ausrichtung entscheidend

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Funktionen und Typen der Zivilgesellschaft

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Analytische Grundprobleme

• Wie bestimmt man den Typus der Zivilgesellschaft?

• Wie kann man „Art und Ausmaß“ der Zivilgesellschaft messen?

„Versuch, den Pudding an die Wand zu nageln“

Sozialkapital als Antwort

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Sozialkapital – ein geeigneter Gradmesser derZivilgesellschaft?

Robert Putnam 1993: “Making democracy work”• “Sozialkapital” als Erklärung der unterschiedlichen

Effizienz politischer Institutionen (Regionalverwaltungen) in Nord- und Süditalien

• Bestandteile von Sozialkapital:- Ausmaß von Vertrauen in die Mitbürger- Akzeptanz von Normen (Verhaltenserwartungen)- Grad der sozialen Vernetzung

• Messinstrumente:- Zeitungslektüre (Abonnements von Regionalzeitungen)- Vereinsmitgliedschaften- Wahlverhalten (Beteiligung bei Referenden)

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ABER…

• Auswahl geeigneter Messinstrumente von Land zu Land sehr verschieden Problem der Vergleichbarkeit

• In Transformationsgesellschaften muss Sozialkapital NICHT immer demokratieförderlich sein „dark sides of civil society“Einerseits: Systemwandel von innen funktioniert umso besser, je stärker die „strategische“ Zivilgesellschaft ist (Extremfall: Guerilla-Taktik)Andererseits: Nach dem Systemwandel muss sich die Zivilgesellschaft wandeln (von „strategisch“ zu „reflexiv“)

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Vereinsmitgliedschaften in MOE (2002)Vereine (%) Ehrenamt (%)

Estland 33,5 18,0

Litauen 18,6 15,8

Polen 25,0 13,9

Ungarn 30,8 15,4

Tschechien 60,2 33,2

Slowakei 65,0 51,4

Kroatien 43,1 23,6

Russland 31,5 7,8

Belarus 45,8 18,8

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Beispiele (1)

• Russland:„Gesellschaft als staatliche Veranstaltung“ Versuch, Zivilgesellschaft von oben zu schaffen und zu lenken Wie strategisch muss die Zivilgesellschaft agieren (Bürgerforum, Gesellschaftskammer…)?

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Beispiele (2)

• Tschechien:Glorifizierung der Zivilgesellschaft als Gegenkonzept zu den politischen Institutionen (Vaclav Havel) Übergang von der konstruktiven zur reflexiven Zivilgesellschaft kann nicht gelingen Gefahr für die demokratische Konsolidierung?

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Beispiele (3)

• Serbien:extrem leicht zu mobilisierende Gesellschaft hohes Maß an SozialkapitalPositiv: Absetzung des Regimes Milosevič 2000Negativ: Militarisierung der Gesellschaft im Vorfeld des Bürgerkrieges (Fussball-Fanklubs para-

militärische Gruppen)

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Politische Kultur

• Individuelle Ebene: nicht (nur) Handlungen Problem der Messung

• Umfragen- und Meinungsforschung methodische Schwierigkeiten in MOE- wenig strukturelle Vorkenntnisse über die Gesellschaften- starker Wandel wenig Aussagekraft- Begrifflichkeiten unklar (z.B. „Demokratie“)

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Paternalismus und autoritäres Erbe

• „Staatspaternalismus“ als Grundprinzip des Realsozialismus Versorgungsstaat, wenig Eigeninitative, egalitäre Wertordnung

• Hang zu autoritären Führungsstrukturen Dominanz der Exekutive Autorität von Polizei, Militär etc.

• „Die da oben – wir da unten“ Gegensatz Staat/Partei und Gesellschaft politische Ohnmachtsgefühle Doppeldenken (offiziell/privat)

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Informalität (1)

• Problematische DefinitionFormell = alle geschriebenen UND ungeschriebenen Regeln, Verhaltensmuster, feststehenden „Übungen“ (z.B. im Parlament)Informell = Verhaltensweisen, die formelle Regeln bewusst oder unbewust „umgehen“

Informalität ist zur Organisation sozialer Strukturen NOTWENDIG

Entscheidende Frage: Unterfüttern oder untergraben der formellen Strukturen?

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Informalität (2)

• Grundsätzlich: Wenn informelle Strukturen zu Funktionsäquivalenten formeller Institutionen werden, beginnt das Untergraben Klientelismus/Patronage Korruption

• In MOE:- Unsicherheit formeller Strukturen leistet der informellen Organisation Vorschub (gilt in allen Transformationsgesellschaften)- historische Tradition (Doppeldenken, „blat‘)- zentrale Frage: Vertrauen in formelle Institutionen (input- und output-Legitimation!)

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Institutionenvertrauen

• Grundsätzlich relativ niedrige Werte (im Vergleich zu Westeuropa)

• Regierungsinstitutionen (President, Regierung) vergleichsweise hoch

• Parlament genauso niedrig wie in Westeuropa

• Stellung der Medien und der Justiz von Land zu Land sehr unterschiedlich

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Demokratiezufriedenheit

• Problem der Fragestellung!• Im Vergleich zu Westeuropa erscheint

Autokratie in einigen Ländern als deutlich populärere Alternative

• Demokratiezufriedenheit generell nimmt leicht zu

• ABER: größere Skepsis gegenüber den Funktionsträgern (fehlende Professionalisierung, Korruption etc.) Übertragung auf die Institutionen‘!

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Fazit (1)

• Konzept der Zivilgesellschaft in MOE überstrapaziert?

• Auch Westeuropa sehr unterschiedliche Formen von Zivilgesellschaft pluralistische Demokratie basiert gerade auf dem Prinzip der Vielfalt/des Wettbewerbs gesellschaftlicher Interessen „DIE“ Zivilgesellschaft kann es eigentlich gar nicht geben

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Fazit (2)

• Gibt es „Demokratie ohne Demokraten“?

• Frage nach dem nötigen Zeitrahmen für den Wandel der politischen Kultur von parternalistischen Formen zu stärker liberalen/partizipatiorischen Formen BRD: rd. 20 Jahre!

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