Zur Genese stochastischen Denkens Bernd Zimmermann Friedrich-Schiller-Universität Jena MNU Hannover...

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Zur Genese stochastischen

DenkensBernd Zimmermann

Friedrich-Schiller-Universität Jena

MNU Hannover 2002

MNU Hannover 2002 Prof. Dr. Bernd Zimmermann Friedrich-Schiller-Universität Jena

Gliederung• Einige Anmerkungen zur historischen

Genese stochastischen Denkens• Ein persönlicher Weg• Einige Unterrichtsvorschläge• Fokus: Sekundarstufe I; Vorbereitung von

Aufstellen und Testen von Hypothesen

MNU Hannover 2002 Prof. Dr. Bernd Zimmermann Friedrich-Schiller-Universität Jena

Zur historischen Genese

stochastischen Denkens

Literatur: • Robert Ineichen: Würfel und

Wahrscheinlichkeit. Spektrum 1996 • Ivo Schneider: Die Entwicklung der

Wahrscheinlichkeitstheorie von den Anfängen bis 1933. Wissensch. Buchgesellschaft 1988.

• Barth/Haller: Stochastik Leistungskurs. Ehrenwirth 1996.

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Zur historischen Genese

stochastischen Denkens

Zwei (nicht schnittfreie) Linien bis heute fundamental:

• Objektivistische (aleatorische) Linie: Glücksspiele/Würfelspiele; problem- und handlungsbezogen, eher praktisch

• Subjektivistische (epistemologische) Linie: Mutmassungen; Einschätzungen, begriffsorientiert, eher theoretisch

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Objektivistische Linie

• Pakistan, Ende 3. Jahrt. v. Chr.

Älteste bekannte Würfel:

• Mesopotamien, Anfang 3. Jahrtausend v. Chr.

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Brettspiel aus Ur/Mesop.

ca. 2500 v. Chr.

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„Würfel“ dazu von folgender Art:

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Achill und Ajax beim Würfelspiel ca. 530 v. Chr.

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Spiele mit „Astragalen“

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Astragale: Punkteverteilung

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Subjektivistische Linie - Stufungen der Wahrscheinlichkeit

• Jaina-Logik in Indien ca. 500 v. Chr.: sieben Modi (Möglichkeiten, „Grade der Sicherheit“) der Erkenntnis über Ereignisse

• Aristoteles: Topik• Karneades (ca. 200 v. Chr.) : 3 Stufen der

Glaubwürdigkeit• Quintilianus (ca. 100 n. Chr.) analog

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Kombinatorisches Denken• Veden (Indien), 800 v. Chr.; Verse, Medizin • Jaina (Indien) 500 v. Chr. Kombinations-

möglichkeiten philosophischer Basisdoktrinen

• Lullus 13. Jahrh., Lobpreisungen Gottes• Leibniz 1666 (Dissertatio de Arte

Combinatoria)

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Resümee: historische Genese

• Keine quantitative Erfassung von Wahrscheinlichkeiten• Keine explizite Formulierung des Gesetzes der Grossen

Zahlen• Keine idealtypischen Vorstellungen von

„gleichwahrscheinlich“ (vgl. Schüler!)• Lange Zeit Vorstellungen der Art „kein Zufall, sondern

Gottesfügung“ (vgl. „animistische“ Vorstellungen bei Grundschülern; Wollring)

• Länger als in anderen Bereichen der Mathematik kaum begriffliche und quantitative Ausschärfung

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Ars conjectandi: Die „Elemente der W.-

Rechnung“ von

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Einige erste didaktische Konsequenzen• Auch deswegen überwiegend problem- und

handlungsorientiert vorgehen• Verständnis für ggf. größere

Schwierigkeiten bei der Bildung stochastischer Begriffe und Modelle

• Genuin stochastisches Denken versuchen, an allgemeinere Heuristiken anzubinden.

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Ein persönlicher Weg zur Stochastik

• Erstbegegnung mit Stochastik: empirische Untersuchung zur Mathematikdidaktik

• Ein Jahr Studium einschlägiger Literatur (u. a. sechs Bücher zur Faktorenanalyse)

• Umfang und Ausmass der Verbreitung statistischer Verfahren wurde bewußt

• Zentral: Aufstellen und Testen von Hypothesen• Umfang und Ausmass der Nichtbeachtung von

Voraussetzungen für Verfahren und deren Missbrauch beeindruckend!

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Kriz: Statistik in den Sozialwissenschaften

• Skalenniveaus

• Zu vielen Kapitel Zusatz: typische Fehler und Missbrauchsweisen

• Testen von Hypothesen

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Skalenqualität

• Nomínalskala• Ordinalskala• metrische

Skala

• Modalwert• Median• Mittelwert

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Einige typische Fehler• Repräsentativität nicht erfüllt!• Irrtumswahrscheinlichkeit nicht vorher festgelegt!• Scharfes ansehen der Daten, daran Hypothese

formulieren und anschließend mit diesen Daten testen! (Analogie zum Zirkelbeweis!)

• So lange einen Test mehrfach anwenden, bis sich per Zufall etwas „Signifikantes“ ergibt!

• Keine Unterscheidung zwischen Hypothesen-generierender und Hypoth.-testender Untersuchung.

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Mögliche Konsequenzen für den Unterricht

• Aufstellen und Testen von Hypothesen schon in der SI anlegen

• Verknüpfen mit weiteren wichtigen Denkmethoden (Heuristik)

• Bücher von Strick• Bücher von Engel• Riemerkonzept• Eingeflossen in eigene Schulbuchreihe

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Mögliche Erstbegegnung: Aufstellen und Testen von

Hypothesen (MN7)

Vor dem jeweils nächsten Wurf darf sich jeder Spieler einen von den drei Würfeln aussuchen.

MN 7

„Mensch ärgere dich nicht - Strategie“ I:

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Etwas „eindringlicher“: Aufstellen und Testen von Hypothesen MN 7

„Mensch ärgere dich nicht - Strategie“ II:

a) Stellt Prognosen für die Häufigkeiten von Augenzahlen für jeden Würfel auf. Begründet diese genau.

b) Prüft eure Prognosen.

c) Gegeben eine Tabelle mit absoluten Häufigkeiten von 1 bis 6 beim Quader. Vergleicht mit euren Ergebnissen.

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Idee der Stichprobe und der „Hochrechnung“ (MN 7)

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Aufstellen u. Testen von Hypothesen:

Ist die Euromünze unfair??MN 10

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Testen der Hypothese: Euromünze ist unfair

• Münze 10-, 50- oder 100-mal werfen und „hinsehen“?• Wie entscheiden? • Wann entscheiden? Unterschied zwischen Aufstellen und Testen von H.!• Entscheidungskriterium: Z. B. bei 10 Würfen (kleine Zahlen meistens

günstig!) eine Seite mindestens 8- oder höchstens 2-mal werfen? • Wie ist es dann bei 50 oder 100 oder 1000 Würfen?• Idee: Normierung des Kriteriums!• Nur im „Normalfall“(=HN=H0=fair) hat man Informationen: p(Z)=p(W)=1/2

• P(k=0; 1; 2; 8; 9; 10| H0)= ist berechenbar (Einzelwahrscheinlichkeiten berechenbar, dabei Binomialverteilung nur implizit).

Ein möglicher Weg zur Gewinnung des Verfahrens: bottom up

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Testen der Hypothese: Euromünze ist unfair

• Annahme: H0 (p(w)=p(z)=1/2) ist richtig.• Hierzu (möglichst klein; z. B. 0,05 oder 0,01) VOR dem

Experiment vorgeben!• Zu vorgegebenem n und Ablehnungsbereich bestimmen (für n=10

und =0,05 ist das: k1 oder k9).• Versuch durchführen.• Prüfen: liegt Ergebnis innerhalb oder ausserhalb des

Ablehnungsbereiches?• Wenn innerhalb (z. B. 9mal Zahl): H0 verwerfen, also Münze unfair!

Die Durchführung des Verfahrens: top-down

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Q2 („Münze fair“=H0) falsch

Q2 H0 gilt, p= 21

ba2 gekürzt =0,05; n=10

Experiment um k zu best. k im Ablehnungsbereichb

a nicht gekürztBeweis

Q2

H0 weniger glaubwürdigWiderspruch

H0 abgelehnt

• Annahme:

• Vermutung:

• Zusätzl. Vorauss.:

Dadurch mehr Informationen!• Gedankenexperim.:

• Endergebnis:

• Folgerung:

• Ergebnis:

Widerspruchs-beweis

Hypothesentest

Analysis;

Rückwärtsarbeiten

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Anschlussproblem:

Können Buchautoren hellsehen?

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Probleme bei empirischen Studien:

Beispiel PISA• Gute Ergebnisse in Finnland

• Hypothese: Erreichte PISA-Leistung L korreliert mit der Zahl der Mücken M positiv!

• H0=r(L;M)0• H0 sollte man doch bei so

grossem M ablehnen können!

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Glaube nur der Statistik, die du selbst

gefälscht hast!

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