Zur Rolle zwischenmenschlicher Beziehungen bei der ......Ich hatte Glück und ward ein braves Kind...

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Harald Gündel Caritas - 9 / 2013

Harald Gündel Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Universitätsklinikum Ulm

Zur Rolle zwischenmenschlicher Beziehungen bei der transgenerationalen Weitergabe von

traumatischen Erfahrungen

Übersicht

§  Relationships as regulators

§  Transgenerationale Vererbung

§  Rolle zwischenmenschlicher Beziehungen

§  Zusammenfassung

 

I) Stress und Trauma – „relationships as regulators“

(Myron Hofer, 1982)

„social support/ buffering“ ~ intaktes Sozialgefüge

Prof. Dr. Stefan Reber; stefan.reber@uniklinik-ulm.de

Aus: Dietrich v. Holst, 1994, Biologie in unserer Zeit 24(4)

Soziale Beziehungen und Mortalität (Metaanalyse, n > 300.000; Holt-Lundstadt, 2010)

II) Transgenerationale Traumafolgen

Die Elbe bei Hamburg

Wolf Biermann

   In Hammerbrook erzähln die Trümmer unter dem Asphalt Vom Bombenteppich, Wasser brannte in dem Feuersturm Der Tod kam über uns mit menschgemachter Urgewalt Aus diesem Weltenende kroch ich raus, ein Menschenwurm. In jener Nacht fiel Schwefel aus den Himmeln in das Fleet Drei Männer brannten vor mir wie Heil-Hitler-Fackeln ab Das Dach von der Fabrik flog durch die Luft wie ein Komet Die Toten alle kleingebrannt fürs enge Massengrab. So kam es, daß die helle Nacht auch noch den Tag verschlang Am Mittag konnte ich im Qualm gar keine Sonne sehn. Ich hatte Glück und ward ein braves Kind mein Leben lang Genau auf sechseinhalb blieb meine Lebensuhr da stehn. Seit jenem Tag hat mir der Glücksgott meinen Stern bewahrt Doch blieb ich immer, in der Liebe wie im Hass, verflucht Durch allen Wandel bin und bleib ich auch mit weißem Bart Gebranntes Kind, das neugierselig nach dem Feuer sucht. (nach Vortrag Lamparter, 2012)

Zeitzeugen des „Hamburger Feuersturms” und ihre Familien –

Ein interdisziplinäres Projekt zur transgenerationalen Weitergabe traumatischer Kriegserfahrung

Ulrich Lamparter, Christa Holstein, Silke Wiegand-Grefe, Birgit Möller Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie

Linde Apel, Malte Thießen, Dorothee Wierling Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Doktoranden und Mitarbeiter:

Valeska Buder, Hela Hofer, Philipp von Issendorf, Mona Peter, Dorothea Mester, Veronique Sydow

Hamburger Feuersturm:

•  Englische, amerikanischer Bomberflotten Ende Juli 1943

•  35000 Toten und 125 000 Verletzten

•  Über zwei Drittel des Hamburger Wohnraums wurden zerstört

•  900 000 Hamburger mussten flüchten

Lamparter, 2012  

Lamparter, 2012

•  N = 146 leitfadengestützte Interviews mit den Zeitzeugen, ihren Kindern und Enkeln

•  Fragebögen:

Ergebnis: hoher Gesprächsdruck, in den Familien wurde eher wenig

gesprochen. Gefühl, letztlich damit allein geblieben zu sein Kaum ein bewusst reflektierendes Nachdenken ein aktives Aufsuchen von Wissen eine aktive Kontaktsuche mit anderen Betroffenen, keine kollektive Opferidentität, eher ein Erleben, mit Glück überlebt zu haben.“

Zentrale Ergebnisse

Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

ein Urerlebnis, das bis heute untergründig wirkt und Erlebensdispositionen schafft, die eine besondere Labilität in der 1. Generation bedingen.

tiefes inneres Verletzungsgefühl, das bewusst mehr oder weniger zugelassen wird.

vermehre Ängstlichkeit „Da sitzt etwas in mir, das nicht weggeht.“ Diese Traumatisierung bleibt erhalten auch bei

Betroffenen mit geglückter Verarbeitung.

Lamparter, 2012  

2. Generation

53 Zeitzeugen-Kinder 45 Personen interviewt (zwischen 55 und 65 J.) Über die Hälfte der Interviewten der zweiten Generation wusste nur sehr wenig über die Erlebnisse ihres Vaters oder ihrer Mutter überwiegend positive Beziehungen beschrieben. viel Kritik an den Eltern (Härte und mangelnde emotionale Akzeptanz)

Lamparter, 2012  

2. Generation

nur 3 Kinder beschrieben keinerlei Folgen für die eigene Erlebensstruktur. 15 Kinder beschrieben eher positive Folgen: Dankbarkeit, Fähigkeit zur Selbstbestimmung, Bedeutung von Handlungsfähigkeit, Pazifismus, Entwicklung von Werten. 21 Kinder beschrieben eher negative Folgen im Sinne einer vermehrten Ängstlichkeit: ungünstige Ahnungen, starke Reaktion auf bedrohliche Weltereignisse, Kriegsangst, Zukunftsangst. 6 Kinder beschreiben starke Ängste, die sich noch deutlich davon abheben:

Lamparter, 2012  

Mechanismen transgenerationaler Übertragung

Auch über soziale Normen und Überzeugungen (Soziokulturell) ⇒  Für Bewältigung gesellschaftlicher Diskurs nötig

(Bohlleber, 2009)

⇒  Soziale Anerkennung fördert posttraumatische Reifung

⇒  Unverarbeitete Traumata führen zu desorganisierter Bindung beim Kind (Angst, Ängstlichkeit)

Schechter, 2012

•  50% der dt. Bevölkerung mind. 1 traumat. Ereignis •  Kaum empirische Studien für deutsche

Kriegsgeneration •  Klinisch: Erhöhte allg. Labilität

•  Metaanalyse: Keine spezifische Psychopathologie bei Kindern von Holocaustüberlebenden in Metaanalyse (Barel, 2010)

Inhalte transgenerationeller Übertragung

III) Rolle der zwischenmenschlichen Beziehung in der Bewältigung von Traumata

Keilson (1979): 3. Phase eines Traumas (alle posttraumatischen Faktoren) ist die wichtigste für Heilung Resilienz: - Posttraumatisch soziale Netzwerke und Gemeinschaft - Anerkennung des individuellen Wertes

Zusammenfassung Ornstein: Entscheidend, dass Trauma nicht innerhalb der Kernfamilie:  ”the  atroci+es  survivors  suffered  were  not  commi+ed  by  primary  caregivers.”    (Held)    The  trauma  at  the  hands  of  the  enemy  does  not  have  the  same  consequences  as  trauma  afflicted  by  those  who  are  supposed  to  love  and  protect  a  child.  (Ornstein)  

Zusammenfassung Transgenerationale Vererbung ist wirksam Effekte eher subklinisch ⇒ Erhöhte seelische und körperliche Vulnerabilität bei neuen

Anforderungen im Lebenslauf

⇒ Psychologische Mechanismen gesichert

⇒ Vieles spricht für eigene neurobiologische Ebene (Wiederkehr des Lamarck´scher Gedanken) => Haltgebende zwischenmenschliche Beziehungen können heilen

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