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Elmar Altvater: In der Schraubzwinge des GeldsystemsErnst Ulrich von Weizsäcker: Faktor 5 – Formel für ein nachhaltiges Wachstum
Irmi Seidl & Angelika Zahrnt: Pfade in die Postwachstumsgesellschaft
Septem
ber 1
0_28
. Jahrgang_19
,90 Euro_ISSN 093
3-57
22_ISBN 978
-3-865
81-227
-8_B 840
0 F
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Nach dem W
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01
22
politische ökologie121-122
Nach dem Wachstum
Mitherausgegeben von der Deutschen Gesellschaft
und dem European Support Centre des Club of Rome
4
Inhalt
Schrumpfungen
30 Simple Rezepte bringen‘s nicht
Wachstum und demografischer Wandel
Von Patrick M. Liedtke
33 Mehr als die Summe der einzelnen Teile
Stationäre Wirtschaft und Degrowth
Von Christian Kerschner
37 Ein Blumenstrauß von Strategien
Die Degrowth-Bewegung
Von François Schneider, Filka Sekulova
und Leida Rijnhout
41 „Eine Vision für die Zukunft fehlt“
Vom Wachsen und Schrumpfen in Rumänien
Ein Interview mit Calin Georgescu
Grenzen
14 Die Bedeutung der Grenzen
Globales Wachstum seit 1972
Von Jorgen Randers
18 In der Schraubzwinge
der Finanzmärkte
Wachstum und Geldsystem
Von Elmar Altvater
22 Das Grand Hotel Europa
vor dem Verfall
Wachstum und Gerechtigkeit
Von Michael Müller
26 Die Achterbahn ist entgleist
Wachstum, ökonomische Kennzahlen
und realer Wohlstand
Von Ian Johnson
politische ökologie 121 *Nach dem Wachstum
Nach dem Wachstum
Systemfehler
6 Einstiege
11 Geleitwort
Von Max Schön und Thomas Schauer
5
Inhalt
Spektrum Nachhaltigkeit
78 „Dschungelcamp“ statt Rucksackschule
Naturerfahrungen von Heranwachsenden
Von Gerhard Trommer
80 Auf dem Weg zur Reifeprüfung
Anpassung an den Klimawandel in
der Internationalen Zusammenarbeit
Von Alexander Fröde und Hinrich Mercker
82 Den Zehnten der Natur
Ökologische Nachhaltigkeit in den Wäldern
Von Ulrich Mergner
84 Nachhaltige Botschaften
aus der Flimmerkiste
Kommunikationsstrategien
Von Julia-Lena Reinermann
86 Zukunftsethik jenseits
von Angst oder Utopie
Das Prinzip Nachhaltigkeit aus
theologisch-ethischer Perspektive
Von Markus Vogt
Rubriken
3 Editorial
88 Reaktionen
89 Vorschau/Impressum
Grenzverschiebungen
44 Auf Sonnenfang
Umweltverträgliche Energie-
gewinnung in der Wüste
Von Max Schön
48 Was schrumpft bei Faktor 5?
Eine Energieeffizienzstrategie
Von Ernst Ulrich von Weizsäcker
51 Inspiriert von der Natur
Blue Economy
Von Gunter Pauli
55 Ökonomie für das Leben
Vorsorgendes Wirtschaften
Von Andrea Baier und
Adelheid Biesecker
Schubumkehr
60 Im Endlichen ankommen
Schrumpfung und Glück
Von Fred Luks
63 Pfade zu einem neuen Paradigma
Die Postwachstumsgesellschaft
Von Irmi Seidl und Angelika Zahrnt
67 Ökosozial statt marktradikal
Balanciertes Wachstum
Von Franz Josef Radermacher
Impulse
70 Projekte und Konzepte
74 Medien
politische ökologie 121 *Nach dem Wachstum
Wir danken der Deutschen Ge-
sellschaft und dem European
Support Centre des Club of
Rome für die inhaltliche und
finanzielle Unterstützung.
Teil 6zu den
internationalenKlimaverhand-lungen
37politische ökologie 121 *Nach dem Wachstum
Schrumpfungen
öffentlichungen des Club of Rome erlebtdie Frage nach den Grenzen des Wachs-tums ein Comeback, denn heute wissenwir, dass ökonomisches Wachstum nichtdie Lösung, sondern vielmehr das Problemdarstellt. In Anbetracht des Wachstums,das inzwischen stattgefunden hat, reichteine einfache Begrenzung für die indus-trialisierten Länder jedoch nicht aus: DasSchlüsselwort heißt Degrowth.Degrowth lässt sich definieren als eingleichmäßiges Zurückfahren von Produk -tion und Konsum, was wiederum dasmenschliche Wohlergehen steigert und dielokalen und globalen ökologischen Bedin-gungen kurz- sowie langfristig verbessert.(1) Degrowth ist kein Zweck an sich, dieZiele sind Nachhaltigkeit, soziale Gerech-tigkeit und das menschliche Wohlergehen.
Wo Degrowth-Gedanken entspringen Einige Aspekte von Degrowth sind schonseit Jahrhunderten Teil philosophischer De-batten. Letztlich lassen sich die Wurzeln biszur Hybris-Kritik im antiken Griechenlandzurückverfolgen und Diogenes in seinemFass könnte als einer der ersten Degrowth-Unterstützer gelten. Das französische Wortfür Degrowth, „Décroissance”, tauchte inseiner modernen Bedeutung jedoch erst ineinigen französischen Veröffentlichungeninfolge des Berichts des Club of Rome undder Publikationen des Ökonomen NicholasGeorgescu-Roegen auf. (2) Als aktivisti-scher Slogan fanden Décroissance respek-tive „Decrescita” erst ab 2001 und beson-ders in Frankreich und Italien Verwendung.Zur Verbreitung der englischen Bezeich-
nung kam es schließlich mit der ersten De-growth-Konferenz 2008 in Paris, die aucheinen Startpunkt der akademischen und zi-vilgesellschaftlichen Debatte markiert.Die Quellen von Degrowth liegen in einerVielzahl von Bereichen, zu denen Anthro-pologie, die Frage nach der Bedeutungdes Lebens, Technologie- und Demokratie-kritik, radikale Ökologie, ökologische Öko-nomie und soziale Gerechtigkeit zählen.(3) Einige Anthropolog(inn)en äußertenbeispielsweise Bedenken hinsichtlich derKommerzialisierung menschlicher Bezie-hungen und postulierten, eine Geschenk-ökonomie, die soziale Bindungen aufbaut,entspreche wesentlich mehr der menschli-chen Natur als eine Marktökonomie. DesWeiteren wird nach der grundlegenden Be-deutung des Lebens gefragt: vor dem Hin-tergrund, dass nicht-materieller Austauschund eine „Poesie des Lebens” notwendigseien. Technologie- und Demokratiekritikzeigen indes auf, dass Wachstum und dietechnologische Entwicklung in der demo-kratischen Debatte nicht hinterfragt wer-den. Nach Ivan Illich zerstört Technologieab einer gewissen Schwelle weniger starktechnologisierte Alternativen und wirkt soursprünglichen Intentionen wie dem so-zialen und ökologischen Wohlergehen ent-gegen. (4)Dies führt eine weitere Quelle ein, nämlichdie Zerstörung von Ökosystemen durch Kli-mawandel, Verlust von Biodiversität, Ver-schmutzung und vielem mehr. GemäßGeorgescu-Roegen und der ökologischenÖkonomie lässt sich auch die Verknappungnatürlicher Ressourcen anführen, die fun-damental wichtig für die Erhaltung von
Die Degrowth-Bewegung
Die Versprechen von ökonomi-schem Wachstum und technologischerEntwicklung, Probleme wie Arbeitslosig-keit oder Umweltzerstörung zu lösen unddas gesellschaftliche Glück zu fördern,sind uneingelöst geblieben. Trotz üppigenWachstums bestehen die Probleme weiter,und allmählich kehrt die Diskussion überdie Bedeutung und die Implikationen vonWachstum zurück. 40 Jahre nach den Ver-
Sie kritisieren die Wachstums-
religion, starten Graswurzel-
Aktionen oder versuchen auf
politischer Ebene, die Ausbeu-
tung des Planeten einzudäm-
men – die Anhänger der De-
growth-Bewegung werben für
neue Paradigmen. Denn sie
glauben nicht daran, dass
Business as usual unter grünen
Vorzeichen soziale Gerech tig -
keit schafft.
Ein Blumenstrauß von Strategien
Von François Schneider, Filka Sekulova und Leida Rijnhout
38 politische ökologie 121 *Nach dem Wachstum
Institutionen, weitgehende institutionelleTransformationen und tiefgreifenden kul-turellen Wandel fordern, und anderen, diedavon ausgehen, dass eine entsprechendeAnpassung der Institutionen ausreicht.Und schließlich verläuft eine Grenze zwi-schen jenen, die auf Graswurzel- oder Poli -tikebene praktische Aktionen starten, undjenen, die lieber theoretische Analyse be-treiben und die Wachstumsreligion kriti-sieren.Die verschiedenen Strategien und Hinter-gründe tragen zur Fülle des Themas beiund zeigen, dass die Degrowth-Bewegungweit entfernt ist von einer Ideologie oderauch nur einem einheitlichen Konzept odereiner Richtlinie. Aus der Perspektive derökologischen Ökonomie betrachtet zeigtsich, dass sich die verschiedenen Degrowth-Strategien ergänzen. Unterstützer(innen)verschiedener Strategien arbeiten am Er-folg der einzelnen Phasen, die zu einer„starken Nachhaltigkeit” führen. Lokale Al-ternativen und Oppositionelle gehen voranmit konkreten Aktionen, um das aktuelleWachtumsdiktat zu brechen. Intellektuellearbeiten an der Befreiung aus der Wachs-tumsfiktion, die notwendig ist für den ge-sellschaftlichen Wandel. Politische Akteureim weitesten Sinne setzen sich mit dem Zieleiner gesamtgesellschaftlichen Transfor-mierung dafür ein, die Ausbeutung vonRessourcen und Menschen zu reduzieren.Zusammenfassend zielt Degrowth darauf
Ökosystemen und zukünftige Generatio-nen sind. (5) Außerdem die Zurückweisungder Annahme, dass sich natürliches durchmenschengemachtes Kapital substituierenlässt. Schließlich ist Degrowth- Aktivis t(in -n)en und -Forscher(inne)n auch die sozialeGerechtigkeit ein Hauptanliegen. Sie zei-gen sowohl die Probleme, die durch die An-ziehungskraft des Lebensstils der privili-gierten Weltklasse enstehen, als auch dieUnmöglichkeit, soziale Gleichheit herzustel -len, wenn der reiche Norden nicht seine di-rekte und indirekte Ausbeutung der globa-len natürlichen Ressourcen beendet. (6)
Grenzverläufe innerhalb der BewegungIn jeder Quelle für Degrowth wurden ver-schiedene Strategien entwickelt. Zum einengibt es die Debatte zwischen den Aktivis -t(inn)en, die auf Opposition setzen, und je-nen, die Alternativen entwickeln und för-dern. Dies betrifft zum Beispiel die Frage,ob man gegen Autos und eine autofixier-te Infrastruktur ankämpfen oder sich fürdie Förderung des Fahradfahrens und denAusbau des öffentlichen Verkehrswesensengagieren soll. Eine andere strittige, nichtnur in der Degrowth-Bewegung diskutier-te Frage besteht darin, ob man eher aufglobale oder auf lokale Veränderung set-zen sollte. Eine weitere große Debatte ent-spinnt sich zwischen Degrowth-Befürwor-ter(inne)n, die die Ablösung bestehender
Schrumpfungen
ab, einen Zustand starker Nachhaltigkeitzu erreichen. Nach diesem Prinzip muss dieglobale Ökonomie innerhalb der Grenzender Tragfähigkeit von Planet und Menschbleiben. In diesem Sinne arbeiten verschie-dene Akteure an der Erhaltung von Öko-systemen, an einer Steady-State-Wirtschaft(Nullwachstum) und an der Definition ei-ner stabilen Nachhaltigkeit in all ihren Di-mensionen, auch der sozialen. Welche Gruppen und Assoziationen findensich in der Degrowth-Bewegung? EinigeGruppen entwickeln Ideen und Diskurseüber Degrowth, andere sensibilisieren dielokale Öffentlichkeit und organisieren gro-ße Events, wieder andere fördern lokale Al-ternativen. Viele lokale Vereine verwendennicht explizit das Wort „Degrowth”, sondernarbeiten zu bestimmten verwandten The-men, wie zum Beispiel Wasserverbrauch, alternative Energien oder regionale undbiologische Landwirtschaft. Viele unterstüt -zen Öko-Effizienz aus umweltpolitischenGründen, aber oft ohne das Argument„Suffizienz” ausreichend anzuschneiden. Generell mangelt es an der Unterstützunggroßer politischer Parteien und Gewerk-schaften. Obwohl es individuelle Ausnah-men gibt, glauben viele von ihnen nachwie vor daran, dass ökonomisches Wachs-tum oder zumindest „begrenztes” oder grü-nes Wachstum alle Weltprobleme löst. DieKommunikation mit den Gewerkschaftenist jedoch, insbesondere beim Thema Ar-
Vom Wert des WartensDas Credo unseres Wirtschaftssystems »immer schneller, immer mehr« hat sich als
nicht zukunftsfähig erwiesen: Mit Hochgeschwindigkeit ist unser Finanzsystem in seine
größte Krise gefahren; die Menschen halten mit dem Tempo nicht mehr Schritt. Der Band
»Lob der Pause« liefert Denkanstöße, warum wir das Innehalten wieder schätzen sollten:
als Zwischenzeit fürs Nachdenken, Vordenken, Abschalten und Verarbeiten.
K. A. Geißler
Lob der PauseWarum unproduktive Zeiten ein Gewinn sind
quergedacht Band 3, 109 Seiten, 8,95 EUR, ISBN 978-3-86581-200-1
Erhältlich bei www.oekom.de, kontakt@oekom.de
Die guten Seiten der Zukunft
39politische ökologie 121 *Nach dem Wachstum
Schrumpfungen
beitsteilung, ungemein wichtig. Zivilge-sellschaftliche Organisationen nehmeneine wichtige Rolle im gesellschaft lichenWandel ein. Aus diesem Grund werdenwir uns im Folgenden besonders auf die-sen wichtigen, in der Debatte jedochweitgehend fehlenden Akteur konzen-trieren.
Die Gier begrünenDie Arbeit von NGOs konzentriert sich zu-meist auf individuelle Verhaltensänderun-gen. Positive Botschaften zu verbreiten, istdas Gebot der Stunde. Indem sie für grüneund faire Produkte werben, versuchenNGOs, bei den Konsument(inn)en für eingutes Gefühl zu sorgen, damit diese wie-derum reinen Gewissens konsumieren. In-dividuelle Verhaltensänderung wird somitzum Heiligen Gral für eine nachhaltigeEntwicklung. Dies ist jedoch ein gefährlicher Trend, weiler die ökologische und soziale Bewegungentpolitisiert. Über Degrowth zu reden, istvielen NGOs zu politisch. Den Fokus auf in-dividuelle Verhaltensänderungen zu redu-zieren, kann jedoch in einem „Greeningthe Greed” resultieren, dem Begrünen derGier. Wir müssen andere fundamentaleProbleme unserer Wirtschaft diskutieren,die zu so massiven Problemen wie Um-weltzerstörung, Klimawandel, Finanzkrise,aber auch zu sozialen Belastungen undungleich verteiltem Wohlbefinden führen.Dies ist die große Herausforderung für dieDegrowth-Bewegung.Forschungen zeigen, dass ein auf Verhal-tens- oder Konsumveränderungen vereng-ter Fokus auch negative Effekte habenkann, etwa wenn Konsument(inn)en nichtmehr wissen, warum sie das eine Produktund nicht ein anderes konsumieren. Bei-spielsweise entschied die Regierung Ant-werpens, in ihren Büros und Kantinen nur
noch fair gehandelten Kaffee anzubieten.Doch eine Befragung zeigte, dass die meis-ten Konsument(inn)en den Hintergrundvon fairem Handel und den Unterschieddes fair gehandelten zum konventionellenKaffee gar nicht (mehr) kannten. Fair-Tra-de-Konsum allein verhilft nicht zu mehr Be-wusstsein, sondern unterminiert im Ge-genteil die Kritikfähigkeit hinsichtlich an-derer fundamentaler Punkte, in diesemFall zur Nord-Süd-Problematik.Im Allgemeinen könnte man sagen, dassdie Unterstützung grüner und/oder fairerProdukte nicht die mit Handel an sich ver-bundenen globalen Probleme und Hinter-gründe in Frage stellt. Und obwohl nichtsFalsches daran ist, bewussten Konsum zufördern, ist es schade, dass NGOs nicht da-rüber hinausgehen. Im Gegenteil weigernsie sich zumeist, ihre Zielgruppen darüberaufzuklären, was in unserem Wirtschafts-
system falsch läuft, weil sie vermuten, dassdie Botschaft zu negativ ausfällt und dasssie die Menschen nicht hören wollen.Davon abgesehen finden sie, die Bot-schaft, die die Degrowth-Bewegung mit-teilen will, sei für die meisten Organisatio-nen zu komplex. Aber ist diese Komplexi-tät der wahre Grund? Es gibt Zeichen, diedaran zweifeln lassen. Die Debatte zu De-growth ernst zu nehmen, bedeutet, die tra-ditionellen und vereinfachten Analysender durchschnittlichen NGOs auf den Kopfzu stellen. Zumindest in Europa werdengrößere NGOs immer mehr durch die Re-gierungspolitik kooptiert, sei es durch dieFinanzierung oder durch Konsensmodellewie das berühmte holländische „Polder-model”, in dem der Dialog zwischen NGOsund Regierung Teil des Politikprozesses ist.Theoretisch ist an dieser Art des Dialogsnichts Falsches, in der Praxis beobachten
„Die Degrowth-Bewegung zeigt, dass es unmöglich ist, soziale Gleichheit herzustellen, wenn der
reiche Norden seine direkte und indirekte Ausbeutung natürlicher Ressourcen nicht beendet.”
_ Die Monarchie ist längst gestürzt – heute steht der Bürgerprotest vor anderen Herausforderungen.
Schrumpfen anstatt zu wachsen, fordert der gepinselte Schriftzug „Décroissance“ an der Julisäule in
Paris, einem Denkmal zu Ehren der Franzosen, die 1830 ihre Bürgerrechte verteidigten.
wir aber, dass die NGOs anfangen, sichselbst zu zensieren, um von ihrem offiziel-len Gegenpart ernst genommen zu wer-den. Dies ist ein bedeutender Grund fürdie Entpolitisierung zivilgesellschaftlicherBewegungen oder zumindest ihrer immerstärker nachlassenden Kritikfähigkeit. Um-weltpolitische NGOs und Gewerkschaftenglauben fest an grünes Wachstum undgrüne Jobs, und sehen in der nachhaltigenEntwicklung die Möglichkeit, Win-win-Si-tuationen zu schaffen. Das ist zweifelloseine gute Sache, doch sie wird nicht auto-matisch eine faire und nachhaltige Wirt-schaft schaffen.Der Großteil der NGOs, die im Bereichder internationalen Kooperation arbeiten,glau ben nach wie vor, dass wirtschaftli-ches Wachstum notwendig ist, um Armutzu bekämpfen. Je mehr wir produzieren,desto mehr von diesem akkumuliertenWohlstand können wir teilen. Dies wärewahr, wenn der Kuchen, also der Planet,mit uns wachsen würde. Die britischeNew Economy Foundation hat errechnet,dass wir wesentlich mehr als einen ein-zelnen Planeten bräuchten, um die Armutzu lindern; von der vollständigen Abschaf -fung ganz zu schweigen. (7)
Platz für Entwicklung im Süden Wenn wir all die Publikationen zum Zu-stand der Welt lesen, können wir nicht be-streiten, dass der Weg, den wir gehen,grundlegend falsch ist. Es gibt Systemfeh-ler in unserem Wirtschaftssystem, die wirnicht beseitigen werden, indem wir sie be-grünen. Einer dieser Fehler ist die Abhän-gigkeit von ökonomischem Wachstum, diein der Abhängigkeit von Öl, natürlichenRessourcen und übermäßigen Emissionenresultiert. Nur eine kleine Gruppe von Or-ganisationen und Wissenschaftler(inne)ntraut sich zu sagen, dass wir zur Vermei-dung weiterer sozialer und umweltpoliti-scher Katastrophen den Konsum und dieProduktion in den sich entwickelnden Staa -ten in absoluten Mengen erhöhen müs-sen. Der westliche Lebensstil basiert aufder Ausbeutung von Ressourcen, insbe-sondere denen aus den Ländern des Sü-dens. So nutzen wir zwar deren fruchtba-
re Böden, Luft, Wasser, Mineralien, Wälderund billige Arbeitskräfte, doch wir lassenihnen nicht genug übrig für ihre eigeneEntwick lung. Stattdessen hinterlassen wirihnen erodierte Böden, Verschmutzung,Wüsten, Gesundheitspro bleme, Korrupti-on und Konflikte. Ebenso wie in der Klima-debatte brauchen wir Schrumpfungs- undKonvergenzmodelle in der Debatte umdie faire und gleiche Nutzung natürlicherRessourcen. Um Platz für die sich entwi-ckelnde Welt zu schaffen, ist es unabding -bar, dass die industrialisierte Welt ihre Ab-hängigkeit von Wachstum und Konsum inFrage stellt.Glücklicherweise werden die alternativenStimmen lauter. Die Bewegung von Organi -sationen, Wissenschaftler(inne)n und pro-gressiven Think Tanks, die für Degrowtheintreten, wird größer. Ihr wichtigstes Zielist es, die Weltwirtschaft zurück in dieGrenzen der Tragfähigkeit des Planeten zuverweisen. Anstatt Business as usual untergrünen Vorzeichen fortzuführen, müssenwir uns darauf konzentrieren, den Reich-tum zu reduzieren, um Armut zu überwin-den und Wohlstand für alle zu erreichen.Vonnöten ist ein radikaler Paradigmen-wechsel im Denken und Handeln, den unsere Regierungen und natürlich unsereZivilgesellschaft als Vorbilder vorantrei-ben.
Übersetzung: Philipp Gladiator
40
Schrumpfungen
politische ökologie 121 *Nach dem Wachstum
Wie macht Ihnen Schrumpfen Spaß?
a) Es verblüfft mich immer wieder, wie unterschied -
lich sich die Leute zu Schrumpfung positionieren,
wenn sie im Namen ihres Unternehmens oder ihrer
Partei oder ihres Verbands spre chen – und was sie
bei einem Bier oder einer Tasse Tee über Schrump-
fung sagen.
b) Weniger Autos auf den Straßen, kürzere Arbeits-
zeiten, weniger gemästete Tiere – Schrumpfung ist
etwas, wonach sich die Leute intuitiv sehnen.
c) „Jeder der glaubt, exponentielles Wachstum kön-
ne in einer begrenzten Welt endlos weitergehen,
ist entweder verrückt oder ein Ökonom.” (Kenneth
Boulding)
Zum Autor, zu den Autorinnen
a) François Schneider, geb. 1967, gründete 2006
die Forschungsgruppe Research and Degrowth.
Er hat die beiden wissenschaftlichen Konferenzen
zu Degrowth in Paris (2008) und Barcelona (2010)
initiiert und organisiert.
b) Filka Sekulova, geb. 1979, promoviert gera de
zur Ökonomie von Klimawandel und „Happiness“.
Bis 2008 hat sie die Kampagne World Bank Dis-
investment der Aktionsgruppe A SEED Europa ko-
ordiniert.
c) Leida Rijnhout, geb. 1961, ist Kulturanthropo-
login und war lange in der internationalen Ent-
wicklungszusammenarbeit tätig. Seit 2009 ist
sie Geschäftführerin der Northern Alliance for
Sustainability (ANPED).
Kontakt
François Schneider, Filka Sekulova
Institut de Ciència i Technologia Ambientals
Universitat Autònoma de Barcelon
E-08193 Bellaterra-Barcelona
E-Mail Francois@degrowth.net
Leida Rijnhout
The Northern Alliance for Sustainability
Fiennesstraat 77, B-1070 Brussels
Fon ++32/494/89 30 52
E-Mail leida@anped.org
Anmerkungen(1) Schneider, François/Kallis, Giorgos/Martinez-Alier, Joan: Crisis or Opportunity? Economic De -growth for Social Equity and Ecological Sustaina -bility. In: Journal of Cleaner Production 18/2010,S. 511-518.(2) Gorz, André (1977): Écologie et Liberté. Paris.Georgescu-Roegen Nicholas (1979): Demain la Dé -croissance: Entropie-Écologie-Économie. Paris.(3) Flipo, Fabrice: Voyage dans la Galaxie Décrois-sante. In: Mouvements 50/2007, S. 143-151.(4) Illich, Ivan (1973): Tools for Conviviality. London.(5) Georgescu-Roegen, Nicholas (1971): The EntropyLaw and the Economic Process. Cambridge.(6) Kempf, Hervé (2007): Comment les RichesDétruisent la Planète. Paris.(7) www.neweconomics.org
a) b) c)
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