Wissensspeicher Internet

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Vortrag bei Ringvorlesung "Internet Gesellschaft", Münster, Dezember 2007

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Wissensspeicher Internet …

„Web 2.0“ als globale Wissenswelt und kollektiver Wissensvorrat“

Tina Guenther, Ringvorlesung Internet Gesellschaft. Universität Münster. 12.12.07

Gliederung

1. Was ist „Web 2.0“?

2. Was ist Prodnutzung?

3. Der Wissensbegriff

4. Wissenstypen im Netz:

Content,

Code,

Metadaten

5. Bewerten und Verbessern

von Content, Code

und Metadaten

6. Wissen im Internet:

Eigentum oder

öffentliches Kulturgut??

7. Fazit: Banal, trivial,

redundant? Relevanz

im Netz

1. Was ist Web 2.0?

Technologie: Blogs, Wikiwebs, Podcasts, Videos,

Social Networking Sites, Bookmarking & Tagging,

AJAX, Folksonomy, CSS, Open APIs, Newsfeeds,

Usability, Mashups, Micro-Blogging

[z.B. Facebook; Twitter]

Öffentlicher Raum: An Demokratisierung,

freier Meinungsäußerung, offener Diskussion

und sozialer Partizipation orientierte Öffentlichkeit,

Sphäre der sozialen Bewegungen.

1. Was ist Web 2.0?

Geschäftsmodell: User generated content,

Provider-Modell, Nutzungsvertrag, Data Mining,

Suchmaschinen & Werbemarkt (z.B. Swikis).

Wissensarchiv: Content, Code und Metadaten

sind großteils frei und offen zugänglich, und (fast)

uneingeschränkt verfügbar, stets neu kombinierbar.

1. Was ist hier neu?

Kein diskreter Versionssprung, aber vier neue Merkmale:

1. Prodnutzung – Untrennbarkeit von Urheberschaft, Bewertung, Distribution und Verwendung von Inhalten – Informationen, Wissen und Wissensgüter (z.B. Software)

2. Social Production – kollaborative, heterarchische non-proprietäre und nicht-marktliche Erzeugung von Content, Code und Metadaten durch aktive Nutzer.

1. Was ist hier neu?

3. Flexibilität – Erzeugung neuer Web-Angebote

aus Content, Code und Metadaten aus diversen

Quellen. Rekombination vorhandener Information.

4. Von Gatekeeping zu p2p-Bewertung ex post –

Prodnutzung neuer Inhalte jenseits von Organisationen

und marktlichen Settings möglich (RSS, GPL usw.)

2. Was ist Prodnutzung?

„In the emerging social software, „Web 2.0“ environment,

the production of ideas takes place in a collaborative,

participatory mode which breaks down the boundaries

between producers and consumers and instead enables

all participants to be users as much as producers of

information and knowledge or what can be described as

produsers. These produsers engage not in a traditional

form of content production but are instead in involved in

produsage: the continuous building and extending of

existing content in the pursuit of further improvement. “

Bruns 2007, „The future is User-Led“, S. 1.

2. Was ist Prodnutzung?

Prodnutzer ist Hybrid aus Produzent und Nutzer: Ein

Prodnutzer erzeugt, kommentiert, verbessert, erweitert,

aktualisiert, empfiehlt oder kritisiert Informationen und

Wissen(-sgüter) und trägt zu ihrer (globalen) Distribution

bei. Produktion und Konsumption von Information, Wissen

und verwandten Gütern sind untrennbar verknüpft.

ProdusageContent Content

2. Was ist Prodnutzung?

1. Gemeinschaftsbasiert: Inhalte werden kollaborativ, heterarchisch & nicht-marktlich erzeugt und verbreitet (z.B. Empfehlung, Tausch).

2. Fluide Rollen: Rollen ergeben sich aus dem Prozess der Prodnutzung. Ein und derselbe Nutzer kann Autor, Herausgeber, Kritiker, Administrator, Verbreiter und Nutzer zugleich sein.

3. Unfertige Artefakte: Jeder Inhalt ist offen für Impulse und Verbesserungen durch die Prodnutzergemeinschaft.

4. Kollektives Eigentum, individueller Verdienst: Informationen, Wissen und verwandte Güter sind Gemeingut. Sie sind frei zugänglich und uneingeschränkt nutzbar. Verdienste um ihre Produktion werden individuell zugerechnet (GPL, CC versus ©).

3. Wissensbegriff

Zeitdiagnose „Wissensgesellschaft“: Wissen ist Triebkraft wirtschaftlicher Entwicklung. Wissen ist Produktionsfaktor, aber auch Eigentum (Schutzrechte) und Ware (kann man handeln). Unternehmen fordern Kompetenzen (Wissen kombiniert mit Fähigkeit zu professionellem Handeln).

Internet ist eine der Triebkräfte der Wissensgesellschaft. Wissen als Handlungskompetenz: Wissen ist mehr als

nur „verarbeitete“ oder „organisierte“ Information. Wissen als „Wissen von etwas“ oder „Kenntnis von etwas“ bleibt unbefriedigend. Wissen setzt Entdeckung und aktive Aneignung voraus. Wissen befähigt Akteure zum Handeln. Wissen ist unspezifisch (anwendungsoffen). Kompetenzen sind an Berufsrollen, Probleme, Aufgaben und Funktionen geknüpft (gerichtet).

3. Wissensbegriff

Lebensweltliches Wissen: Beruht auf Erfahrung, Praxistauglichkeit, natürlicher Anschauung, ist gemeinsam geteilt, wird nicht hinterfragt; daher schwer mitteilbar. Routinen erleichtern Alltag: Fertigkeiten, Gebrauchswissen, Rezeptwissen.

Expertenwissen: Vom Alltag entfernte „Sinnprovinz“, hoher Spezialisierungsgrad, theoretisch und methodisch fundiert. Exklusivität durch Bindung an formale Qualifikation akademische Disziplinen, Zugehörigkeit zu Professionen. Institutionelle Einbettung in Professionen und akademische Disziplinen und Institutionen. Professionelles Wissen verweist auf professionelles Handeln, beansprucht daher einen Marktwert.

3. Wissensbegriff

Internet bietet neuen, eigentümlichen Wissens-Mix:

Lebensweltliches Wissen versus Expertenwissen

Szenespezifische Kompetenzen (z.B. Schreiben,

Recherchieren, Editieren, Regie, Ton, Kamera & Schnitt,

Software entwickeln) versus berufsrelevante Kompetenzen.

Kompetenzaneignung und -transfer beim Prodnutzen!

Wissen mit dem Charakter geistigen Eigentums (kann auf

Märkten gehandelt werden, ist mit Schutzrechten verknüpft)

versus Wissen als Kollektivgut.

4. Wissenstypen I

1. Content: Jede Art der wahrheits- oder falschheitsfähigen

Aussage, jede teleologisch Aussage, jede normativ-

moralische oder expressive Aussage, welche von

Prodnutzern online publiziert wird. Formen: Text,

Datensätze, Foto, Audio, Video usw.

2. Code: Softwaretechnische Grundlagen, die die das

Publizieren und Verknüpfen von Content aus verschiedenen

Quellen ermöglichen. Weblogs, Wikis sowie die zu ihrer

Bedienung erforderlichen Werkzeuge Browser und RSS-

Reader basieren auf Algorithmen, die Programmabläufe

abhängig von Systemzuständen oder Aktionen der Nutzer

steuern.

4. Wissenstypen II

3. Metadaten: Daten, die Informationen über andere Daten

(v.a. Content) enthalten. Dazu gehören u.a. Bookmarks

(Lesezeichen) und tags (Schlagworte), aber auch Link-

Relationen (z.B. Strukturinformationen, Link-Relationen),

Statistiken, Rankings.

Metadaten ermöglichen die individuelle und kollektive

Wissensorganisation, (z.B. Sortieren, Empfehlen).

Wissensorganisation im Zuge täglicher Nutzungspraxis

wird als „folksonomy“ bezeichnet.

4. Wissenstypen III

Online-Angebot

CodeContent

Metadaten

Jedes Online-Angebot ist

die Kombination aus Content,

Code und Metadaten. Selbst

produziert oder aus diversen

Quellen kombiniert.

4. Wissenstypen IV

Online-Angebot

CodeContent

Metadaten

API-Key

API-Key„Content is King.“ war gestern. Die Maxime des neuen Netz lautet „Kontext is King.“.

Passwort

5. Content, Code, Metadaten Kritik

1. Content:

Kognitiv-instrumentelle Aussagen: Wahrheitsgehalt und Wirksamkeit eines Content (z.B. „Das Foto lügt!“).

An Handlungen und Handlungsnormen kann moralisch-praktische Kritik geübt werden (z.B. Beschimpfungen).

Ästhetische Kritik betrifft Angemessenheit von Wertstandards, (z.B. „Alle sollten bloggen.“).

Expressive Aussagen können Gegenstand von therapeutischer Kritik sein. Ebenso sind sie der Kritik im Hinblick auf Wahrhaftigkeit und Authentizität des Autors zugänglich.

5. Content, Code, Metadaten Kritik

2. Code: Code ist im Hinblick auf seine Wirksamkeit kritisierbar. „Reliabilität“ bezieht sich auf Zuverlässigkeit & Stabilität einer Software. “Ökonomie“ bezieht sich auf Veränderbarkeit und Wiederverwertbarkeit einer Software für verschiedene Kontexte. „Ergonomie“ bezieht sich auf Wartungs- und Benutzerfreundlichkeit für technisch wenig versierte Nutzer. Schließlich ist Code im Hinblick auf seine „Akzeptanz“ durch potenzielle Nutzer kritisierbar.

Code kann aber explizit ‚nutzerunfreundlich‘ sein (z.B. Provider versus Nutzer); Funktionen können ‚überflüssig‘ oder ‚hinderlich‘ sein, Semantik des Code kann unverständlich sein.

5. Content, Code, Metadaten Kritik

3. Metadaten: Metadaten sind nur kritisierbar, wenn sie Konturen des Selbstverständlichen weit verlassen werden und sie nicht mehr an gemeinsam geteilte Ordnungen und Relevanzstrukturen anknüpfen.

Kognitiv-instrumentelle Kritik: Ein Objekt (z.B. Webseite, Video, Buch, Ort) durch Metadaten wird falsch beschrieben.

Moralisch-praktische Kritik: z.B. Person benennt vollkommen Fremde in ‚SNS‘ als Freunde.

Evaluative Kritik: z.B. Nutzer bewertet alle Orte, Bücher, Videos etc. mit der maximalen Punktzahl.

Therapeutische Kritik: z.B. Widersprüchliche Markierungen und Bewertungen eines Objekts durch eine Person.

6. Wissen – Eigentum versus Kulturgut

Wissen als Eigentum & Ware: Eigentum impliziert

Ausschließungs-, Verfügungs- und Schutzrechte für den

Eigentümer. Rechteinhaber überträgt Wahrnehmung von

Gewaltoptionen an Staat. Warencharakter eröffnet

Möglichkeit des Handels von Wissen und verwandten

Gütern (sowie Distributionsrechten) auf Märkten zu

bestimmten Preisen.

Kollektivgut: Öffentliches, frei zugängliches Gut; keine

Nutzungsbeschränkung. Daraus ergibt sich sein Wert. Als

Kollektivgüter bereitgestellte Wissen und verwandte Güter

bedürfen des Schutzes vor privater Aneignung.

6. Wissen – Eigentum versus Kulturgut

GPL: Orientiert sich am Kollektivgutmodell, dient dem Schutz des Wissens und der Wissensgüter vor privater Aneignung (Beispiel: Wikipedia, Open Source Software).

Creative Commons: Ausgangspunkt Urheberrecht. Im Interesse des Rechteinhabers werden Einschränkungen eingeführt. Öffentliche Aufführung und Distribution unter bestimmten Bedingungen: Namensnennung, kommerzielle Nutzung ausgeschlossen, ‚Share Alike‘ (Beispiel: CC, SC, CCMixter, CCLearn).

Freier Zugang und minimale Nutzungsbeschränkungen machen Internet zum globalen Wissensspeicher und öffentlichen Kulturraum.

7. Banal, trivial & redundant?

Junk- oder Bullshit-Content, ‚Klowände des Internet‘, fehlende

Professionalität der Inhalte, ‚Inkompetenz‘ der Prodnutzer,

so lauten häufig artikulierte Vorwürfe redaktioneller

Beiträge an die Prodnutzer-Community.

Andere Stimmen stellen Relevanz in Zweifel. Allerdings

unterliegen Beiträge im Internet anderen Relevanzkriterien

als Beiträge herkömmlicher Medien, die an massenhafter

marktförmiger Verbreitung orientiert sind.

7. Banal, trivial & redundant?

Relevanzkriterien, angeregt durch Schütz (1971):

Betroffenheit – was einen persönlich betrifft oder berührt

Nähe & Vertrautheit – das Unmittelbare aus dem Bereich

des Selbstverständlichen/Vertrauten

Thematische Relevanz – Themen, die einen interessieren

Interessenrelevanz – Vorhaben & Ziele, für die man eintritt

Nicht-Trivial: Erzeugung und Neukombination von Content,

Code und Metadaten zu neuen Medieninhalten und -genres,

Aneignung von Medienkompetenzen, Wiederbelebung der

Lese-Schreibkultur durch kompetente, kreative Nutzung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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