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So klappt’s: Qualitätsziele erreichen durch kontrollierte Absicherung

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Durch die zunehmende Komplexität mechatronischer Systeme fehlt bei der Absicherung der Qualitätsziele die Transparenz. Durch eine ebenenübergreifende Absicherungsplanung im System Heckzugang gelang es, die Absicherungsqualität zu erhöhen.

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22 Elektronik automotive Sonderausgabe BMW 7er www.elektroniknet.de

Wollte ein Kunde vor 15 Jah-ren die Heckklappe öff-nen, musste er nur mit sei-

nem Fahrzeugschlüssel das Schlossentriegeln und die Heckklappe vonHand öffnen. Die hierzu benötigtenKomponenten beschränkten sich aufwenige rein mechanische Teile wieSchloss, Scharnier, Federdämpfer undKlappe. Heute erwartet der Kundemehr Komfort wie das automatischeÖffnen und Verfahren der Klappe überseinen Funkschlüssel. In heutigen Sys-temen sind solche Funktionen nicht ineiner Komponente gebündelt, sondern

auf Komponenten verteilt. Im neuen7er spielen zum Beispiel etwa 30 teils mechanische, teils elektrischeBauteile zusammen, um die Heck-klappe automatisch zu verfahren (Bild 1).

Analog zur Komplexität der Syste-me wird auch die Entwicklung auf ei-ne Vielzahl von Verantwortlichen ver-teilt. Mit jedem Ansprechpartnererhöht sich auch die Anzahl der Kom-munikationsschnittstellen, was wie-derum die Koordination der erforder-lichen Entwicklungsaktivitäten er-schwert. Aus diesem Grund werden

seit 2005 im Fachbereich Karosseriekontrollierte Entwicklungsprozesseunterstützt. Für das Themengebiet Testund Absicherung wurde die Firma Be-rata beauftragt, die über langjährigeMethoden-, Tool- und Praxis-Erfah-rung verfügt.

� Der Absicherungsplan als Landkarte

Um einen Überblick über alle Ab-sicherungsaktivitäten rund um dieFunktion Heckzugang zu erhalten,wurde als zentrales Steuerungsinstru-ment die Absicherungsplanung einge-führt. Ziel der Absicherungsplanungist es, für einen identifizierten Projekt-umfang (Scope) alle benötigten Ab-sicherungsaktivitäten zu identifizierenund zu planen. Mit dem Absicherungs-plan (Bild 2) wird sichergestellt, dass� für den gesamten Projektumfang Ab-

sicherungsaktivitäten geplant sind –➀,� sensible Projektumfänge mit einer

ausreichenden Absicherungstiefeberücksichtigt werden – ➁,

Qualitätsziele erreichen durch kontrollierteAbsicherung

Durch die zunehmende Komplexität mechatronischer Systeme fehlt

bei der Absicherung der Qualitätsziele die Transparenz. Durch eine

ebenenübergreifende Absicherungsplanung im System Heckzugang

gelang es, die Absicherungsqualität zu erhöhen.

Von Ingmar Jung und Ralf Bongard

So klappt’s

Entwicklungsprozess IIII Teststrategien

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www.elektroniknet.de Elektronik automotive Sonderausgabe BMW 7er 23

Teststrategien IIII Entwicklungsprozess

� nicht benötigte Absicherungsredun-danzen vermieden werden – ➂,� und für die Absicherungsumfänge

ausreichend Produktspezifikationenvorliegen – ➃.

� Absicherungsaktivitäten von Beginn an

Kundenzufriedenheit ist ein zentralesZiel bei BMW. Ein Stellhebel ist derkontrollierte Absicherungsprozess,dessen Ziel die Verbesserung der ter-mingerechten Qualität ist. Die Imple-mentierung hat einen direkten Ein-fluss auf den Ressourcen-Einsatz. Daes eine zentrale Aufgabenstellung desProjektleiters ist, Ziele wie Kosten,Termin und Qualität in Einklang zubringen, dient ihm der Absicherungs-plan als Instrument, die Kosten undden Nutzen der geplanten Absiche-rungsaktivitäten unter Berücksichti-gung weiterer Projektziele abzuwä-gen.

Diese Aussagen benötigt er bereitszu Beginn eines Projektes. Aus diesemGrund ist der Absicherungsplan in derfrühen Phase des Projektes zu erstel-len. Hierzu wurde das W-Modell ein-geführt, das in Anlehnung an das be-kannte V-Modell die Notwendigkeitder Planungsaktivitäten parallel zurProduktdefinition berücksichtigt undauch das Problem-Management als eigenständigen Prozess hervorhebt (Bild 3).

� Wer macht was, wann, wie und warum?

Zu Beginn des Projektes ist noch vorder Absicherungsplanung eine Ab-sicherungsstrategie festzulegen. Diesebeinhaltet die Festlegung aller Rand-bedingungen rund um den gesamtenAbsicherungsprozess. Der Scope legtden abzusichernden Umfang fest. Hier-bei ist auch von Interesse, in welcherUmgebung der Projektumfang inte-griert werden soll, aber auch wie dieinterne Struktur aufgebaut ist. Für je-den Projektbeteiligten muss ersichtlichsein, was er im Rahmen der Absiche-rung verantwortet; hierzu gehören ne-ben den Funktionen auch die Kompo-nenten und die Schnittstellen zur Um-welt.

Dreh- und Angelpunkt für jede Ak-tivität ist das angestrebte Ziel. Ist dasZiel nicht bekannt, können auch keineAktivitäten definiert werden. Folge istder ineffiziente Einsatz der Ressour-cen. Das übergeordnete Testziel ist dieVerbesserung der Produktqualität. Hierliefert die ISO IEC 9126 „software en-gineering – product quality“ ein geeig-netes Qualitätsmodell, das auch beimechatronischen Systemen seine Gül-tigkeit hat:� Funktion (Funktionslogik).� Zuverlässigkeit (Lebensdauer, Um-

welteinflüsse, Fehlertoleranz).� Benutzbarkeit (Bedienkomfort, Wer-

tigkeit).

� Wartbarkeit (Service, Wartung, Re-paratur, Analysefähigkeit).� Übertragbarkeit (Update, Austausch,

Rückwärtskompatibilität).� Effizienz (Ressourcen-Einsatz,

Stromverbrauch).

Die aufgeführten Qualitätsziele sindim Projekt zu detaillieren und zu prio-risieren. So kann in einem sicherheits-

kritischen System die Zuverlässigkeitim Vordergrund stehen, für eine PC-Applikation hingegen die Übertragbar-keit.

Bei der Absicherung steht eine Viel-zahl von Methoden zur Verfügung, diezur Verfolgung von Testzielen mehroder weniger geeignet sind. Die Test-methode hat direkten Einfluss auf diespätere Testdurchführung und -umge-bung. Eine vereinfachte Übersicht übermögliche Testmethoden liefert Bild 4.

In einem erstenSchritt wird zwi-schen statischenund dynamischenTests unterschie-den. Bei den sta-tischen Tests han-delt es sich um ei-ne häufig unter-schätzte Testme-thode, bei der derPrüfling ruht undeiner statischenAnalyse unterzo-gen wird. Der Vor-teil der Metho-de ist, dass dieseschon in sehrfrühen Phasen derProduktentwick-lung zum Einsatzkommen kann, z.B.I Bild 1. Blockschaltung einer mechatronischen Systemarchitektur.

Peripherie 2

Abt 1

Peripherie 1

Bus 1Bus 2Bus 3

Abt 2

Sensor 3

Modul 3

Steuergerät 4

Modul 1

Aktor 2

N.A.

Steuergerät 3

Modul 3

Sensor 2

Modul 1

Aktor 1

Modul 2

Steuergerät 2

Modul 2

Sensor Heck 1

Modul4

Aktor Heck 6

Modul 4

Mechanik Heck 3

Modul 4

Mechanik Heck 5

Modul 4

Karosserie 1

Modul 4

Karosserie 2

Modul 5

Mechanik Heck 2

Modul 4

Steuergerät Heck

Modul 4

Mechanik Heck 1

Modul 4

Mechanik Heck 4

Modul 4

Sensor 1

Modul 3

Steuergerät 1

Modul 2

I Bild 2. Der Absicherungsplan als Testlandkarte.

1

Testinstanz 2 Testinstanz 3

Testinstanz 4

Testinstanz 5

Testinstanz 1

Zulieferer

3

2

4Heck-zugang

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durch Review von Schaltplänen oderDurchführung von FMEAs (FailureMode and Effects Analysis). So kön-nen Fehler schon vor der Implementie-rung identifiziert werden.

Unter die dynamischen Tests fallenalle Methoden, bei denen der Prüflingmit Testparametern beaufschlagt unddie Reaktion als Kriterium für das Be-stehen des Tests herangezogen wird.Dabei muss es sich nicht ausschließ-lich um reale Prüflinge handeln. AuchSimulationsmodelle kommen vermehrt

zum Einsatz, mit denen das spätereVerhalten des Prüflings festgestelltwerden kann.

Ein weiteres Unterscheidungsmerk-mal sind die subjektiven und objek-tiven Testmethoden. Bei den objek-tiven Tests wird formal gegen beste-hende Spezifikationen geprüft, die sub-jektiven Testmethoden richten sich nachden Erfahrungen und Erwartungen derTester. Grundsätzlich sind alle Testme-thoden als gleichberechtigt zu sehen.Man kann den Prüfling wie einen viel-

seitigen Würfel sehen: Jede Testmetho-de betrachtet eine andere Seite.

Die Testinstanz ist die organisato-rische Einheit (Gruppe, Abteilung, Fir-ma), die einen definierten Umfang ab-sichert. In seltenen Fällen führt dasProjektteam oder die Entwicklungsab-teilung als einzige Testinstanz alleTestumfänge selber durch. Häufig sindPartner beteiligt, die im Rahmen derAbsicherungsplanung zu koordinierensind (Lieferanten, Umweltlabor, Zerti-fizierungsstellen).

Für alle Entwicklungsaktivitätenmüssen bei der Absicherung die rele-vanten Projektmeilensteine definiertwerden. Neben den Projektmeilenstei-nen, wie Projektphasen, die Eingangs-größen für die Absicherungsplanungsind, ergeben sich auch hieraus Ter-mine, die im Rahmen der Projektpla-nung berücksichtigt werden müssen.Alle aufgeführten Randbedingungensind unter Berücksichtigung weitererProjektziele – Termine und Ressour-cen – zu priorisieren. Durch dieseÜbersicht ist es dem Test-Manager desProjektes möglich, eine konkrete Ab-sicherungsplanung zu erstellen.

Hier handelt es sich nur um eineAuswahl von Randbedingungen, wiesie im Referenzprojekt Heckzugangund weiteren, bereits definierten Fahr-zeugfunktionen berücksichtigt wur-den.

� Testthemen-Generierungdurch Permutation

Die eigentliche Absicherungsplanungentsteht unter Zuhilfenahme der zu-vor definierten Absicherungsstrate-gie. Die möglichen Testthemen wer-

Entwicklungsprozess IIII Teststrategien

I Bild 4. Strukturierte Übersicht über Testmethoden.

Testmethoden

Statische Tests

Review FMEA InspektionObjektive Tests

(spezifikationsbasiert)

Black-Box-Test(anforderungsbasiert)

Rollen-Tests

Experten-Tests

Explorations-Tests

Subjektive Tests(erfahrungsbasiert)

Dynamische Tests

White-Box-Test(strukturbasiert)

I Bild 3. Das W-Modell für Absicherungs-Aktivitäten.

Syst

em System-Definition

Test-Planung

Subsystem-Definition

Test-Planung

Subs

yste

mKo

mpo

-ne

nte

Mod

ul

Komponenten-Definition

Test-Planung

Modul-Definition

Test-Planung

Problem-Eliminierung

Test-Durchführung

Problem-Eliminierung

Test-Durchführung

Problem-Eliminierung

Test-Durchführung

Problem-Eliminierung

Test-Durchführung

I Absicherungsplanung nach Qualitätszielen (MS: Meilenstein; T-Instanz: Testinstanz)

Scope (Was) Ziel (Warum) Testmethode (Wie) Testinstanz (Wer) Termine (Wann) Testthema

Heckklappe öffnen/ Funktion Black-Box-Test T-Instanz 1 MS 1, MS 3 Überprüfen der spezifizierten Funktionslogik

schließen/stoppen White-Box-Test T-Instanz 1 MS 2, MS 4 Vermessen der Reaktionszeiten der Systemkomponenten

Experten-Test T-Instanz 2 MS 1 – MS 4 Überprüfen, ob die Funktion den Erwartungen entspricht

Zuverlässigkeit White-Box-Test T-Instanz 3 MS 2, MS 4 Lebensdauertest durch Prüfen der Systemkomponenten auf Abrieb

Black-Box-Test T-Instanz 3 MS 2, MS 4 Überprüfen der Klappenfunktion, wenn Fahrzeug tordiert ist

Benutzbarkeit Experten-Test T-Instanz 3 MS 3 Subjektive Bewertung der Haptik der Bedienelemente

Review T-Instanz 2 MS 4 Review der Bedienungsanleitung

Wartbarkeit Experten-Test T-Instanz 4 MS 3 Bewertung von Montage und Demontage bei Reparatur

Übertragbarkeit Review T-Instanz 2 MS 1 Prüfen auf produktlinienübergreifendes Bedienkonzept

Effizienz White-Box-Test T-Instanz 5 MS 2 Identifizieren von elektrischen Bauteilen mit niedrigem Wirkungsgrad

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Teststrategien IIII Entwicklungsprozess

den durch Permutation der Absiche-rungskriterien identifiziert. Der Pro-jekt-Scope wird so aus Sicht der prio-risierten Qualitätsziele betrachtet, zuderen Überprüfung mehrere Testme-thoden möglich sind. Wenn mehrereTestinstanzen in der Lage sind, denProjekt-Scope nach einer Testmetho-de zu prüfen, kann dieser noch auf dieTestinstanzen aufgeteilt werden. Auchist eine Testinstanz-Zuweisung in Ab-hängigkeit der Projektphasen denk-bar, z.B. in der Konzeptphase nur sub-jektive Tests innerhalb des Projekt-teams und in der Serienentwicklungobjektive Tests durch ein externesTest-Haus. Am Beispiel des Heckzu-gangs (Tabelle) wird die Methodikverdeutlicht.

� Der Absicherungsplan als Prüfauftrag

Jedes einzelne Testthema ist nun ge-nauer zu spezifizieren. Zum einen diePrüfumgebung:

� Wie muss die Prüfumgebung ausse-hen?� Unter welchen Umweltbedingungen

ist zu testen?� Wie müssen die Prüflinge konfigu-

riert sein?

Auch müssen die Anforderungenan die eigentliche Testdurchführung

spezifiziert sein, um einen möglichsteindeutigen Vereinbarungsstand mitden verschieden Testinstanzen zu ge-währleisten. Abhängig davon, wieviel eigene Erfahrung die Testinstanzin die Ausplanung und Durchfüh-rung der Tests einbringt, kann dieSpezifikation noch detaillierter erfol-gen. sj

MSc. (akkr) Ingmar Jungstudierte Elektrotechnik an der FH Münchenund ist seit vier Jahren bei BMW tätig. Seit En-de 2006 ist er verantwortlicher Test-Managerfür die E/E-Umfänge im Fachbereich Entwick-lung Karosserie.

Dipl.-Ing. Ralf Bongardstudierte Elektrotechnik an der UniversitätHannover. Er ist für die Firma Berata tätig undberät seit Ende 2006 bei BMW den Fachbe-reich Entwicklung Karosserie als Prozess- undMethodenberater für Test-Management.