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Volkswirtschaftliche Analyse: „Unvermögen“ in Österreich Erstellt für: Erste Bank & Sparkassen Erstellt von: Mag Birgit Fischer; MMag Agnes Streissler Datum: 23. Dezember 2011

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Volkswirtschaftliche Analyse:

„Unvermögen“ in Österreich

Erstellt für: Erste Bank & SparkassenErstellt von: Mag Birgit Fischer; MMag Agnes Streissler

Datum: 23. Dezember 2011

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Executive Summary 3

1. Fragestellung und Methodik 7Fragestellung 7

Methode 7

2. Financial Access - (Un)Vermögen an Teilhabe 9Zugangsprobleme zu Finanzdienstleistungen 10

Zugang zu Finanzdienstleistungen – wachstumsstärkend und verteilungsgerecht 11

Wie kann der Zugang zu Finanzdienstleistungen verbessert werden? 13Empfehlungen der Europäischen Kommission 13Verbesserungen im Umfeld der Finanzdienstleistungen 14

3. Mikrokredite – (Un)Vermögen an Zukunftschancen 17Mikrokredite als Hilfe zur Selbsthilfe 18

Wohlfahrtseffekte von Mikrokrediten 20Kurzfristige Effekte 20Langfristige Effekte 21

Wie können Mikrokredite verbessert und erweitert werden? 24

4. Financial Literacy – (Un)Vermögen an Wissen 28Financial Literacy als Teil der Allgemeinbildung 29

Mehr Wissens-Vermögen der Einzelnen nützt allen 30

Wie kann die Finanzielle Allgemeinbildung verbessert werden? 32

5. Unvermögen in Österreich 35Fragestellung 37

Was ist Armut und wer ist in Österreich arm? 38Armutsgefährdung und Deprivation – Definitionen 38Einkommensarmut in Zahlen 39

Vermögen in einkommensschwachen Gruppen 41

Finanzielle Ausgrenzungsprobleme österreichischer Haushalte 44Verschuldung und Überschuldung 44Ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten 45Schuldnerhaushalte in Österreich 47Wohin bei finanziellen Schwierigkeiten? 50

Financial Exclusion – Unvermögen an finanzieller Teilhabe 51Best Practices in Österreich im Bereich des Social Bankings 54

Mikrokredite- (Un) Vermögen an Zukunftschancen 55Best Practices in Österreich im Bereich Mikrokredite 56

Financial Literacy- (Un) Vermögen an Wissen 58Wie gut sind die ÖsterreicherInnen finanziell gebildet? 58Best Practices in Österreich zur Steigerung der Finanzkompetenz 59

Literatur 61

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Executive Summary

Geht‘s den Schwächsten gut, geht‘s uns allen gut…

‣ Der Zugang zu Finanzdienstleistungen für alle, die Ermöglichung von Mikrokrediten für Unternehmensgründungen und Investitionen und die Steigerung des Finanzwissens in der Bevölkerung bringen einen hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen.

‣ Ein erfolgreicher Weg aus der Armut durch Zugang zu Basis-Finanzdienstleistungen und Mikrokrediten bedeutet geringere Sozialausgaben und hat positive Effekte auf den Arbeitsmarkt: So zeigen Evaluierungen in Österreich und der EU, dass pro mikrokreditfinanzierter Neugründung ca 1,3 neue Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden und dass der Wirtschaftsstandort insgesamt durch diese Betriebsgründungen und die daraus resultierenden Abgaben und Steuern profitiert.

Armut, Armutsgefährdung und Überschuldung in Österreich

‣ Armutsgefährdung, finanzielle Schwierigkeiten und Verschuldung belasten nicht nur die einzelnen Betroffenen, sondern auch den Sozialstaat, den Wirtschaftsstandort und die Gesellschaft als Ganzes. 12 Prozent der ÖsterreicherInnen sind armutsgefährdet, 20 Prozent sind in ihrem Lebensstandard eingeschränkt und 29 Prozent geben an sich unerwartete Ausgaben nicht leisten zu können.

‣ In Österreich lassen sich sozioökonomische Risikogruppen identifizieren, die ein höheres Risiko von Armut, Überschuldung und finanziellen Schwierigkeiten haben: Mit einem statistischen Armutsrisiko von 20 Prozent gehören bildungsferne Schichten, AlleinerzieherInnen und Haushalte mit Migrationshintergrund zu den gefährdetsten Gruppen.

‣ Einkommensschwache und armutsgefährdete Gruppen haben dabei auch einen geringeren Zugang zu Basisfinanzdienstleistungen wie Konto oder Haushaltsversicherung: In Österreich haben ca zwei Prozent der Bevölkerung bzw 150.000 Personen kein Konto.

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Der Armut aktivierend entgegenwirken – auch durch Finanzdienstleistungen

‣ Dieses Unvermögen an finanzieller bzw gesellschaftlicher Teilhabe muss in Österreich, einem der „reichsten“ Länder der Welt mit einem gut ausgebauten Sozialstaat, verstärkt in das Bewusstsein der Bevölkerung und vor allem der Entscheidungsträger (Staat, Finanzdienstleister und Wirtschaft) rücken. Was sind die Ursachen, was kann vor allem dagegen getan werden? Einer der wichtigster Ansätze ist dabei sicherlich, schon im Vorfeld bereits präventiv der Armut entgegen zu wirken.

‣ Ein wichtiger wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ansatz dabei ist darauf zu achten, dass alle Menschen Zugang zu alltäglichen Finanzdienstleistungen haben und diese auch verstehen: Wer ein Konto hat, wer versichert ist, wer für Zukunftsprojekte Geld geliehen bekommt und wer die grundlegenden Zusammenhänge der Geldwirtschaft und ihrer Instrumente versteht, tut sich auch in anderen Belangen des Wirtschaftslebens leichter.

‣ Der Zugang zu Finanzdienstleistungen, wie einem Basiskonto, Versicherungsleistungen und Mikrokreditunterstützung, ist somit essenziell für die finanzielle Grundsicherung.

‣ Die Unterstützung einkommensschwacher oder armutsgefährdeter Personen mit Mikrokrediten ist eine Investition in deren Leistungsbereitschaft, verbessert die jeweilige Lebenssituation, schafft Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum.

‣ Besseres Finanzwissen trägt zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Geld bei, verringert daher Überschuldungsdynamiken, die zu hohen sozialen Kosten führen und finanziellen Schaden durch Zahlungsentgang anrichten. Somit ergeben sich neben persönlichen, auch positive volkswirtschaftliche Effekte wie Konjunkturimpulse, Struktureffekte und ein generell höheres Wohlstandsniveau.

Verantwortung der Banken: Social Banking (Basisfinanzdienstleistungen) stärken und ausbauen

‣ Banken müssen daher stärker als bisher Vertrauen auch bei der Gruppe der einkommensschwachen Haushalte aufbauen, am besten noch bevor diese in manifeste Armut hineinrutschen. Denn gerade rechtzeitige, beratende Begleitung hinaus aus der Verschuldungsfalle durch Überschuldung und Zahlungsrückstände könnte hier hohe positive Effekte erzielen.

‣ Andererseits haben meist diejenigen Haushalte, die bereits in Armut leben, gar keinen Zugang zu Finanzdienstleistungen (mehr) – hier braucht es seitens der Finanzinstitute Reaktivierungsmaßnahmen zur Wiedereingliederung in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben. Den Überblick über die Finanzsituation zu schaffen, ein Kontozugang, niedrige Kosten und Beratung in finanziellen Angelegenheiten sind hier

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wichtige Aufgaben. Dies passiert in Österreich unter anderem mit dem Zweite Sparkasse Konto der Erste Bank und Sparkassen, oder dem Neue-Chance Konto der BAWAG.

‣ Im Bereich der Mikrokredite besteht in Österreich seitens des BMASK die Initiative Personen ohne Eigenkapital oder Sicherheiten finanziell zu unterstützen. Mit Kleinstkrediten werden Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus unterstützt, die aktiv Arbeitsplätze schaffen. Seit Mai 2010 wurden 105 Kredite vergeben, wobei sich bereits jetzt, nach eineinhalbjähriger Laufzeit zeigt, dass aufgrund eingesparten Arbeitslosengeldes und regelmäßiger Ratenrückzahlungen die öffentliche Förderung sich zu etwa der Hälfte selbst finanziert (mit laufend verbessernder Relation).

‣ Nicht übersehen werden darf, dass auch ein Teil der einkommensschwachen Haushalte, wenn auch in geringem Ausmaß, Vermögen (Geld, Immobilien) hat. Verantwortungsvolles, nachhaltiges Bankgeschäft sollte gerade diese Zielgruppe dabei unterstützen ihr weniges Vermögen optimal zu verwalten.

‣ Unbedingt notwendig für die Wirksamkeit der genannten Maßnahmen: die Zusammenarbeit von Staat, Sozialeinrichtungen und Banken. Die Banken verfügen über den Erfahrungsschatz hinsichtlich des Umgangs mit Geld und werden von vielen Menschen als Anlaufstelle genutzt.Sozial verantwortungsvoll agierende Banken sollen dem Sicherheitsbedürfnis ihrer KundInnen entgegen kommen, indem sie rechtzeitig finanzielle Schwierigkeiten bei ihren Kunden identifizieren, sozial verantwortungsvolle Produkte anbieten, vertrauensvoll beraten und ihre Arbeit transparent machen.

‣ Auch und vor allem sozial benachteiligte Personen sollen also die Chance haben gemeinsam mit erfahrenen Partnern wie der Bank und der Beratungsstelle ihre finanziellen Angelegenheiten zu organisieren und zu regeln. Armut darf keine unumkehrbare Einbahnstrasse sein, sondern kann durch gemeinsames Handeln überwunden werden.

Bewusstseinsbildung statt Stigmatisierung: Vernetzt und zielgruppengerecht

‣ Die Inanspruchnahme von Sozialleistungen oder der Gang in den Sozialmarkt werden von den Betroffenen mit Scham und Hilflosigkeit erlebt. Das Tabuthema Armut muss daher einen anderen Stellenwert in unserer Gesellschaft bekommen und nicht ursachen- sondern lösungsorientiert diskutiert werden. Die Empfehlungen von OECD, EU und Sozialeinrichtungen hinsichtlich Social Banking, Finanzieller Partizipation und Financial Literacy sind in den nationalen Kontext zu stellen und daraus Maßnahmen zu entwickeln. Experten aus den verschiedenen Bereichen sollen ihre Erfahrungen, ihr Wissen und die Möglichkeiten zur Umsetzung der Maßnahmen bündeln um effektiv zu arbeiten.

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‣ Die Zusammenarbeit und Vernetzung von Beratungsstellen, Behörden und Finanzinstitutionen soll dazu beitragen, die von Armut bedrohten bzw in Armut lebenden Personen zu erreichen und ihnen die benötigten Informationen und Dienstleistungen zukommen zu lassen um nachhaltig einen Beitrag zur Verbesserung ihrer persönlichen Lebenssituation zu leisten. Dazu ist die finanzielle Grundbildung aller ein wesentlicher Bestandteil.

‣ Wichtig dabei: Es sind nicht nur die Einkommensschwächsten, die mangelhafte finanzielle Bildung haben. Gerade die Jüngeren weisen besondere Lücken in der finanziellen Allgemeinbildung auf (40 Prozent der Befragten der Erste Bank Studie zum Finanzwissen der ÖsterreicherInnen meinen, Kinder und Jugendliche würden zu wenig zum Thema Geld lernen). Auch hier haben die Banken eine hohe Mitverantwortung, diese Bildungslücken zu beseitigen. Maßnahmen wie Schulungen, Vorträge und die Breitstellung von Informationsmaterial sollen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Bildungseinrichtungen besonders viele Menschen aus allen Bevölkerungsschichten erreichen. Auch dies ist ein wesentlicher Beitrag dazu, finanzielle Probleme rechtzeitig zu erkennen bzw von vornherein zu vermeiden.

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1. Fragestellung und Methodik

Fragestellung

‣ Unvermögen in Österreich?Das Thema Geld ist in Österreich weitestgehend tabuisiert. Die Probleme, die aus Armut, finanzieller Ausgrenzung, finanziellem Unwissen und einem erschwerten Zugang zu Finanzmitteln, etwa bei Unternehmensgründungen, entstehen, bleiben damit vielfach verschleiert – diese Probleme werden in vorliegender Studie unter dem Schlagwort des „Unvermögens“ zusammengefasst.

‣ Social Banking / Mikrofinanzierung als eine der wichtigen Antworten daraufEin wichtiger Ansatz zur Verminderung dieses „Unvermögens“ liegt im social banking bzw in einem weiter gefassten Begriff der Mikrofinanzierung. Dieses umfasst folgende Bereiche:

- Basisfinanzdienstleistungen werden allen zur Verfügung gestellt- finanzielle Allgemeinbildung, und somit das Wissen über den Umgang mit Geld, werden

besser vermittelt.- Mikrokreditdarlehen geben Menschen aus prekären Existenzen die Chance aus eigener

Anstrengung heraus wieder den Einstieg ins Erwerbsleben zu schaffen

‣ Statistische Analyse und Volkswirtschaftliche EffekteWer aber genau sind die Zielgruppen für derartiges social banking in Österreich, was weiß man über ihr Finanzverhalten, ihre Zugangsmöglichkeiten, ihre finanzielle Situation? Und welche Auswirkungen hat es eigentlich Finanzinstrumente für diese Zielgruppen auszubauen und zu entwickeln – ist es nur eine Frage der sozialen Verantwortung oder können auch weiterreichende volkswirtschaftliche Effekte identifiziert werden?

Diesen Fragen wird in der vorliegenden Studie systematisch auf den Grund gegangen.

Methode

‣ LiteratursurveyIm ersten Teil des Working Papers wird die internationale Literatur zu Fragen des Finanziellen Zugangs, der Financial Literacy und der Mikrokreditfinanzierung in entwickelten Ökonomien in ihrer Relevanz für die österreichische Fragestellung reflektiert. Besondere Betonung liegt dabei auf der Frage, welche Bedeutung die jeweiligen Themen für die Volkswirtschaft insgesamt haben.

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‣ Volkswirtschaftliche Effekte müssen sinnvollerweise auf Mikroebene analysiert werdenDie EZB (2009, 7) weist richtigerweise darauf hin, dass viele Fragen der wirtschaftlichen Dynamik nur unzureichend beantwortet werden können, wenn nur volkswirtschaftliche Aggregate analysiert werden.So werden der private Konsum, das private Sparen und das Vermögen der Haushalte stark von individuellen Lebenseinkommenserwartungen sowie von demographischen und sozioökonomischen Indikatoren getrieben. Um daher ihre Entwicklungen und die Effekte von Mikrofinanzierung auf diese volkswirtschaftlichen Gesamtgrößen richtig einzuschätzen, bedarf es Mikrodaten über das einzelne Haushaltsverhalten.

‣ EU-SILC Sondererhebung zu FinanzverhaltenIm empirischen Teil werden daher die Österreich-Daten von EU-SILC auf die genannten Themen hin näher analysiert. Im Jahr 2008 gab es seitens EU-SILC eine Sondererhebung zu Verschuldung und Finanzverhalten der Haushalte. Diese wird hier genauer dargestellt – unter der Annahme, dass sich seither an den strukturellen Fragen nichts Wesentliches geändert hat, lassen sich daraus dann Handlungsempfehlungen ableiten.

‣ Struktur der ArbeitDas Paper, das somit eine Vielzahl von Aspekten umfasst, wurde schlussendlich so gegliedert, dass zunächst zu den drei Bereichen des social bankings internationale Erfahrungen, ökonomische Analysen, und in der Literatur genannte Handlungsempfehlungen dargestellt werden (Kapitel 2 bis 4). In Kapitel 5 wird dann für alle drei Bereiche zusammen auf die spezifische österreichische Situation eingegangen, anhand statistischer Analysen und best practices.

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2. Financial Access - (Un)Vermögen an TeilhabeIn Kürze zusammengefasst…

In OECD Ländern ist die finanzielle Infrastruktur (Banken, Versicherungen, etc) im Allgemeinen recht gut ausgebaut. Dennoch zeigt sich auch in diesen entwickelten Ökonomien, dass einzelne soziale Gruppen, wie einkommensschwachen Personen, AlleinerzieherInnen, MindestpensionsbezieherInnen und MigrantInnen, nur unzureichend am Finanzalltag teilhaben können, da ihnen die Basisinstrumente wie Konto oder Versicherung fehlen. Der Zugang zu solchen Finanzdienstleistungen ist aber notwendig für die Teilhabe am Wirtschafts- und Gesellschaftsleben. Dennoch haben laut EU-Kommission 30 Mio EU-BürgerInnen kein Girokonto.

Wird dieser Zugang ermöglicht oder erleichtert, entstehen für die Einzelnen Vorteile – etwa durch Entstigmatisierung bei der Arbeitsplatzsuche oder durch geringere Geldtransferkosten. Es werden aber auch der Sozialstaat und die Volkswirtschaft entlastet, indem finanzielle Teilhabe hilft, aus prekären Lebensumständen herauszufinden, womit wiederum hohe Sozialleistungen eingespart werden können. Der Wirtschafts- und Finanzstandort profitiert, indem der verantwortungsvollere Umgang jedes einzelnen mit Geld Stabilität für alle bedeutet. Die finanzielle Teilhabe aller ist somit ein wichtiger Schritt zur Armutsbekämpfung, wirkt wachstumsstärkend und ist verteilungsgerecht.

Nicht zu vergessen: Die flächendeckende Verbreitung von Basiskonten spart erhebliche Transaktionskosten im Geldverkehr – laut einer aktuellen Studie könnten in der EU so 220 bis 460 Mio jährlich eingespart werden.

Um den Zugang zu Finanzdienstleistungen zu verbessern braucht es kundInnennahe und zielgruppenspezifische Beratung (es macht jeweils einen Unterschied, ob Jugendliche, junge Familien, Arbeitslose, GründerInnen oder andere beraten werden) – persönlich und, wo angebracht, durch die Unterstützung neuer Medien. Es muss dabei klar sein, dass es sich vielfach um besonders betreuungsintensive KundInnengruppen handelt.

Auch die Zusammenarbeit von Politik, Finanzdienstleister und Beratungsstellen hat einen hohen Stellenwert.

Internationale Erfahrungen und Empfehlungskataloge weisen in die Richtung, dass das Angebot bestmöglich flächendeckend zur Verfügung gestellt werden sollte, keine Vorbehalte gegenüber bestimmter Gruppen bestehen sollten und sich die Finanzdienstleister einem (meist freiwilligen) Verhaltenskodex verpflichten sollten.

Eine wesentliche Ansprechpartnerin muss dabei die Hausbank sein – hier besteht ja bereits oft eine langjährige, vertrauensvolle Beziehung. Die rechtzeitige und umfassende Information bei finanziellen Problemen, Diskretion und eine unkomplizierte Kooperation mit anderen (Beratungs-) Einrichtungen sind hier wichtige Erfolgsfaktoren.

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Zugangsprobleme zu Finanzdienstleistungen

‣ Zugang zu Finanzdienstleistungen ist wesentlich für TeilhabemöglichkeitenDer Zugang zu Finanzdienstleistungen ist notwendig für die Teilhabe am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben jedes Bürgers. Der alltägliche Zahlungsverkehr sowie Lohnzahlungen und das Sparen laufen über das Girokonto auf der Bank. Fällt der Zugang zu dieser Dienstleistung weg, da das Konto entweder gar nicht vorhanden oder gesperrt bzw entzogen ist, werden alle Geldgeschäfte schwer zu organisieren und erheblich verteuert.

‣ Mangelnder Zugang in Entwicklungsökonomien …Ein erschwerter Zugang zu Finanzdienstleistungen besteht jedenfalls in Regionen mit schwacher Finanz-Infrastruktur und in Ländern mit generell schwachen Bankensystemen. Vielfach entstehen die Barrieren hier nicht erst aufgrund einer allfällig schwachen sozioökonomischen Situation der KundInnen, sondern weil die Menschen schlicht und einfach zu wenig über das Finanzsystem Bescheid wissen, und keine Finanzdienstleister in ihrer unmittelbaren Umgebung haben.

‣ … aber auch in OECD-LändernFür die OECD-Staaten gelten diese schlechten Vorbedingungen nicht: Diese Staaten verfügen über ein stabiles Bankensystem mit langer Tradition und ausreichend Erfahrung im Finanzgeschäft, die BürgerInnen verstehen diese Institutionen auch als wichtigen Teil des Systems.Zugangshindernisse gibt es aber dennoch: auf Grund der sozialen Stellung und/oder der Einkommenssituation. Finanzielle Ausgrenzung von Menschen mit niedrigen Einkommen (die häufig auch als „Risikokunden“ bezeichnet werden), lässt sich daher auch in Ländern mit hoher Finanzleistung und einem gut entwickelten Bankensystem identifizieren. Hier ist also der erschwerte Zugang zu Finanzdienstleistungen für einkommensschwache oder einkommenslose Personengruppen vor allem ein soziales Phänomen.

‣ Es geht nicht nur um Zugang, sondern auch um NutzungIn der Fachliteratur (Claessens, 2006) wird zwischen dem Zugang und der Nutzung von Finanzdienstleistungen unterschieden. So kann eben seitens der Anbieter scheinbar „unerwünschten“ Kunden der Zugang zu Finanzdienstleistungen verwehrt werden. Hier liegt es an den Finanzdienstleistern mögliche eigene Vorurteile zu überwinden und den Wert der Bearbeitung auch dieses Geschäftsfeldes und dieses Kundenkreises zu erkennen.

Die Frage der Nutzung von Finanzdienstleistungen hingegen geht von der Sicht des potenziellen Kunden aus: Finanzdienstleistungen werden nicht in Anspruch genommen, weil etwa die Gebühren als zu hoch empfunden werden, weil zu wenig Auswahlmöglichkeit zwischen einzelnen Leistungen und Dienstleistern besteht und KundInnen ein gewisses

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Misstrauen gegenüber dem Bankensystem hegen können (Claessens 2006, 214). Hier kann seitens der Bankdienstleister aktiv gegengesteuert werden um die Nutzung zu heben.

‣ In den wenigsten Ländern gibt es Regelungen für Basisfinanzdienstleistungen und Mikrofinanzierung

In Österreich gibt es ebensowenig wie in Deutschland und der Mehrzahl der anderen EU-Länder ein Gesetz, das den Zugang zu Finanzdienstleistungen garantiert bzw eine diesbezügliche Verpflichtung der Finanzdienstleister formuliert. In etwa der Hälfte der EU-Länder gibt es aber gesetzliche Regelungen über einen prinzipiellen Zugang zu Finanzdienstleistungen ebenso wie Regelungen für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe, die sorgfältige Information, Beratung und Betreuung und ausreichende Sicherheiten vorsehen.

Zu diesen Ergebnissen kommt eine von der EU Kommission beauftragte europaweit vergleichende Studie (FES 2006). Laut dieser Studie werden die Rahmenbedingungen vor allem in Belgien, Schweden und der Schweiz als gut beurteilt.

Zugang zu Finanzdienstleistungen – wachstumsstärkend und verteilungsgerecht

‣ Privater und gesellschaftlicher Nutzen eines verbesserten ZugangsWeltweit setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass ein verbesserter Zugang zu formellen Finanzdienstleistungen sowohl den privaten als auch den gesamtgesellschaftlichen Nutzen erhöht. Es hat sich gezeigt, dass eine Ausweitung der Zugangsmöglichkeiten das Wirtschaftswachstum erhöht und die Einkommensverteilung ausgleicht. Gerade ärmere Gruppen würden überproportional von derartigen Finanzmarktentwicklungen profitieren 1, ihre Möglichkeiten der wirtschaftlichen Teilhabe werden dadurch deutlich erhöht, was wiederum Einkommenssteigerung und wirtschaftliches Wachstum mit sich bringt (siehe auch Yunus 2008).

Auch die Europäische Kommission betonte im Rahmen ihrer Kampagne 2010 gegen Armut die Notwendigkeit grundlegender Dienstleistungen:

Viele Europäer - und vor allem die von Armut betroffenen Bürger – haben derzeit keinen Zugang zu den grundlegenden Finanzdienstleistungen, Einlagen- und Girokonten sowie Spar-, Kredit-, Versicherungs- und Zahlungsleistungen. Der Zugang zu Finanzdienstleistungen ist für die wirtschaftliche und soziale Integration der Bürger in der heutigen Gesellschaft unabdingbar. Er ist eine Grundvoraussetzung für Beschäftigung, Wirtschaftswachstum, Abbau von Armut und soziale Eingliederung. (Europäische Kommission 2010b).

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1 There is a growing recognition that increasing access to formal financial services has both private and social benefits. Extending the breadth of financial service availability in a given population causes economic growth and can improve income distribution. And the poor benefit disproportionately from financial development. (Weltbank 2005, 1)

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‣ Mangelnder Zugang erzeugt für die Einzelnen hohe Kosten ...Armut und die daraus resultierenden Zugangsbarrieren hindernMenschen daran, am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben voll integriert teilzunehmen: Ohne Basiskontoleistungen sind alltägliche Geldtransaktionen teurer (World Bank 2011, 10), da nicht nur Einkäufe, sondern beispielsweise auch Gebühren für Wasser und Strom mit Erlagschein zu entrichten sind. Dies kostet nicht nur Zeit, sondern meist auch zusätzlich höhere Bankgebühren.

Das Fehlen eines Gehaltskontos wiederum kann beispielsweise den Zugang zu einer Arbeitsstelle erschweren und erzeugt Stigmatisierung, beeinträchtigt damit ebenfalls (Wieder-)Einstieg und Teilhabe am Wirtschaftsleben.

‣ … deren Vermeidung im gesamtwirtschaftlichen Interesse ist ...Somit können mehrere positive Effekte durch die Ermöglichung eines verbesserten Zugangs zu Finanzdienstleistungen identifiziert werden:

- Die Bereitstellung eines Basiskontos für Menschen, denen ein „normales“ Konto verwehrt wird, bedeutet, sie in ihrem privaten als auch produktiven Leben zu unterstützen.

- Ein weiterer positiver Effekt der Partizipation am Finanzleben ist die Ermöglichung den verantwortungsvollen Umgang mit den eigenen Finanzen zu erlernen und zu verbessern.

- Zudem entspräche diese sozial verantwortliche Bereitstellung von Finanzdienstleistungen auch der gerade in letzter Zeit öfters formulierten Notwendigkeit der Rückbesinnung der Finanzdienstleister auf das traditionelle Bankgeschäft: Der Mensch und die Realwirtschaft stehen im Mittelpunkt, diese Strategie sichert zudem nachhaltig den Finanzstandort ab.

‣ … wie auch eine aktuelle EU-Studie zeigt2010 wurde im Auftrag der Europäischen Kommission eine Kosten-Nutzen-Analyse eines Basiskontos veröffentlicht (CSES 2010). Es wird dabei nach KonsumentInnen, Banken und anderen Stakeholdern unterschieden.

Für KonsumentInnen ist das flächendeckende Angebot angesichts der eben dargestellten Kosten jedenfalls mit hohem Nettonutzen verbunden. Die Kommission schätzt, dass dieser pro KonsumentIn bei 315 Euro im Jahr liegt: Den Kontoführungsgebühren steht an Nutzen gegenüber

- keine Scheckeinlösungsgebühren,- keine Barüberweisungsgebühren,- Diskont bei elektronischer Zahlungsweise- und online Diskonte.

Die wichtigsten „anderen Stakeholder“ sind Staat und Versorgungsunternehmen: Da diese bei Ein- und Auszahlungen ohnehin bereits die Infrastruktur des bargeldlosen Zahlungsverkehrs haben, gibt es kaum mehr Grenzkosten eines zusätzlichen Kundenkontos. Hingegen ist Barzahlung mit hohen (und aufgrund der Seltenheit steigenden) Transaktionskosten verbunden.

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In Summe wird in der CSES-Studie für die gesamte EU ein Nettonutzen von flächendeckenden Basiskonten für die Stakeholder zwischen 226 und 463 Millionen Euro geschätzt.

Wie kann der Zugang zu Finanzdienstleistungen verbessert werden?

Empfehlungen der Europäischen Kommission

‣ Die Europäische Kommission nennt Instrumente eines verbesserten Zugangs30 Millionen EU-BürgerInnen haben kein Girokonto. Angesichts dieser Tatsache hat die Europäische Kommission das Projekt FES (Financial education and better access to adequate financial services) ins Leben gerufen, im Rahmen dessen Strategien zur Verbesserung des Zugangs zu Finanzdienstleistungen erarbeitet werden sollen (Europäische Kommission 2011). Diese umfassen im Wesentlichen den (gesetzlich verankerten) Zugang zu einem Basiskonto sowie die (gesetzliche) Regelung für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe und die Ermöglichung der Verfügbarkeit von Sozialkrediten.

‣ Funktionen eines BasiskontosAls „Basiskonto“ wird dabei ein Konto mit grundlegenden Zahlungsfunktionen verstanden. Das heißt, es soll alle alltäglich notwendigen Dienstleistungen ermöglichen, wie kostenlose oder kostengünstige Transaktionen und eine Bankomatkarte, jedoch ohne Überziehungsmöglichkeit. Die Kommission beabsichtigt entsprechende Initiativen auch auf EU-Ebene zu fördern und zu unterstützen.

Best Practice 2: BelgienIn Belgien wird per Gesetz seit 2003 im Rahmen der Armutsprävention jeder/m BürgerIn ein Bankkonto mit Basisfunktionen zur Verfügung gestellt.Dieses war zunächst über einen freiwilligen Verhaltenskodex der Finanzdienstleister zu Mindestfinanzdienstleistungen geregelt. Bald zeigte sich aber, dass von Seiten der Anbieter offenbar zu große Vorbehalte gegenüber einkommensschwachen Personengruppen herrschten.Daher entschied man sich für eine verbindlichere Lösung und verabschiedete ein Gesetz über den Zugang zu Konten mit Basisfunktion.

2005 wurde dieses evaluiert: Die Zahl der Menschen ohne Zugang zu einem Basiskonto war um 75 Prozent gesunken – von 40.000 auf 10.000!2007 kam es abermals zu Reformen um die Informationstätigkeit zu erweitern, die Daten transparenter zu machen und bisher Ausgeschlossene, nämlich hoch überschuldete Personen,

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2 In internationalen Vergleichen werden regelmäßig auch die positiven Maßnahmen in Österreich erwähnt, die den Zugang zu Finanzdienstleistungen für Menschen mit niedrigem Einkommen schaffen. Diese werden im Österreich-Kapitel dieser Studie (Kapitel 5) eingehend dargestellt.

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ebenfalls in die Maßnahmen zu inkludieren.

Eine nachfolgende Evaluierung danach zeigte ein weiteres Erfolgsindiz: 93 Prozent der Auflösungen des Basiskontos erfolgten auf Wunsch des Kunden bzw weil zwischenzeitlich ein „normales“ Konto eröffnet werden könnte.Das Programm ist im übrigen ohne öffentliche Zuschüsse tragfähig.

‣ Verantwortungsvolle KreditvergabeLaut den Empfehlungen der Europäischen Kommission geht es bei der „verantwortungsvollen Kreditvergabe“ darum, Standards, Normen und Kosten für die Gewährung von Krediten festzusetzen sowie neue Registrierungssysteme, die auch die Finanzdienstleister erfassen, zu erstellen. KonsumentInnen sollen „faire“ Finanzprodukte angeboten bekommen.In der Folge müssen natürlich auch Sanktionsmaßnahmen bei Nichteinhaltung dieser Standards festgelegt werden.

Finanzgeschäfte erfordern ein gewisses Maß an Vertrauen zwischen Kreditnehmern und Finanzdienstleistern. Aus Sicht der Kommission sollte es daher Ziel sein, einen Verhaltenskodex für beide Seiten zu erstellen, um diese Vertrauensbasis und die Geschäftsbeziehung insgesamt positiv zu beeinflussen.

‣ Verbesserte Verfügbarkeit eines SozialkreditsSozialkredite, Mikrokredite, Kleinstkredite – sie alle sind Darlehen, die als Starthilfe für Personen mit eingeschränktem Zugang zu den regulären Finanzinstrumenten dienen sollen. Begleitet von Beratungseinrichtungen wird somit eine Hilfe zur Selbsthilfe geleistet. Notwendig dabei: die verbesserte Information über Finanzdienstleistungen und die beratende Begleitung während des finanzierten Projekts.Eine genauere Analyse hierzu findet sich in Kapitel 4 – Mikrokredite.

Verbesserungen im Umfeld der Finanzdienstleistungen ‣ Nicht nur Bank-, sondern auch Versicherungsleistungen bedenkenIn der Praxis zeigt sich, dass KundInnen von sozial motivierten Finanzprodukten, wie Basiskonten und Mikrokreditfinanzierungen, häufig auch hinsichtlich ihres Versicherungsschutzes und ihrer Versicherungsprodukte Unterstützung benötigen. So steht den wenigsten Personen in dieser Zielgruppe eine Unfall- oder Haushaltsversicherung oder gar eine Rechtsberatung zur Verfügung. Eine höhere Sicherheit und besser geregelte Verhältnisse in den persönlichen Lebensumständen stabilisieren aber auch die Finanzgebarung – und umgekehrt. Deshalb ist es durchaus auch im Sinne des Finanzinstituts derartige Produkte in einer Basisversorgung mit anzubieten.

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‣ Sparverhalten auch der schwächeren Einkommensgruppen fördernWenn Menschen mit niedrigen Einkommen zwar über kein übermäßiges Sparvolumen verfügen, so ist es doch sinnvoll und nachhaltig einem etwaigen Sparwillen auch dieser KundInnen entgegenzukommen und diesen zu fördern (man denke etwa an die gerade in Österreich beliebte Form des Bausparens). Durch kundenspezifisch angepasste Ansparmodalitäten können so auch KundInnen mit einem Basiskonto für zukünftige Projekte Geld ansparen.

‣ Information über (soziale) Finanzdienstleistungen verbessernDamit potenzielle KundInnen einen verbesserten Zugang zu niedrigschwelligen Finanzprodukten bekommen bzw diese in höherem Ausmaß nutzen, brauchen sie gute, glaubwürdige und umfassende Information.Ein wesentlicher Ansprechpartner ist hier die Hausbank – im Idealfall bereits vor Verlust eines Kontos. Auch regionale oder spezifische Beratungsstellen können eine wichtige Rolle spielen. Notwendig: Alle Erstanlaufstellen und die Anbieter von Finanzdienstleistungen müssen möglichst reibungsfrei und unkompliziert zusammenarbeiten.Diskretion muss hier selbstverständlich, ebenso wie im konventionellen Bankgeschäft, oberste Priorität haben: Gerade in einkommensschwächeren Gruppen kann die Auskunft über die persönliche finanzielle Lage rasch als unangenehm empfunden werden. Es muss daher auf eine gute Balance zwischen Vertrauen und Anonymität geachtet werden: Kundennahe Regionalbanken können einerseits als Anlaufstelle des Vertrauens anerkannt werden, jedoch kann es auch zu vermehrter Scheu führen, wenn KundInnen auf Grund persönlicher Bekanntschaft ihre Anonymität nicht gewahrt sehen.

‣ Sprach- und Kulturschwellen berücksichtigenIn vielen europäischen Ländern mit großer Zuwanderungsrate, wie Spanien und Frankreich, haben die Finanzdienstleister ihre Produkte auch auf die Bedürfnisse dieser Zielgruppe abgestimmt.Bei einkommensschwachen Personen mit Migrationshintergrund treten zusätzliche Barrieren auf: Unwissenheit über das ansässige Bankenwesen, Kulturunterschiede im Lebensstil und Umgang mit Geld sowie häufige Diskriminierung erfordern einen besonders sensiblen Umgang mit dieser Personengruppe. Das Bewusstmachen und Wissen über eventuelle spezielle Bedürfnissen oder kulturelle Unterschieden trägt oft schon dazu bei, den Zugang zu sozial motivierten Finanzprodukte zu erleichtern.

‣ Technologische Rahmenbedingungen schaffenDie Nutzung elektronischer und neuer Medien ist auch im Finanzdienstleistungssektor für (vor allem junge) KundInnen schon selbstverständlich geworden (siehe hierzu auch Streissler 2010, 26f). Das Internet bietet dem Bankinstitut die Möglichkeit sich zu präsentieren und seine KundInnen zu informieren. Dieser Anspruch sollte auch gegenüber KundInnen eines Basiskontos gelten.

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Dabei geht es weniger um die Kontoführung über das Internet, sondern vor allem um die Information über das spezielle Angebot eines Basiskontos. Gerade die elektronische Erstinformation, sofern diese nicht über eine Beratungsstelle läuft, ist für potentielle NutzerInnen eine diskrete und einfache Möglichkeit, sich einen Überblick zu schaffen (wobei dies stärker auf jüngere Erwachsene und Menschen mit höherem Bildungsniveau zutreffen dürfte). Zudem hebt die Präsenz im Internet das Angebot eines Basiskontos auf eine Stufe mit den „normalen“ BankkundInnen.

Wichtig: Auch wenn das Internet einen zunehmend wichtiger werdenden Informationskanal darstellt, darf es keinesfalls aus einziges Kommunikationsmedium verwendet werden. Nicht alle KundInnengruppen sind ans Internet angebunden bzw wissen es zu nutzen und gerade „schwierige“ Zielgruppen brauchen die persönliche, vertrauensaufbauende und -pflegende Ansprache.

‣ Vernetzung mit anderen AkteurenBei der Bereitstellung von Finanzdienstleistungen als Maßnahme gegen Verschuldung und Armut sind nicht nur die Finanzinstitute gefordert. Ebenso muss es Aufgabe der Politik sein, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Zivilgesellschaft mit ihren Hilfsorganisationen spielt beratend und unterstützend eine wichtige Rolle. Und natürlich braucht es Finanzdienstleister, die derartige niederschwellige, sozial motivierte Finanzprodukte anbieten.Je besser vernetzt diese Akteure zusammenarbeiten, um so höher wird auch der soziale und wirtschaftliche Nutzen dieser Maßnahmen sein.

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3. Mikrokredite – (Un)Vermögen an Zukunftschancen

In Kürze zusammengefasst...

Als Hilfe zur Selbsthilfe sind Mikrokredite (mit Kreditvolumen von weniger als 25.000 Euro) zu sehen, die der Existenzgründung und -sicherung dienen. Der Zugang zu diesen sozial motivierten Kleinstdarlehen gepaart mit der eigenen Leistungsbereitschaft ermöglicht prekarisierten Personen einen Neustart.

Mikrokredite erzielen Wohlfahrtseffekte für die Einzelnen, wenn dadurch die Unternehmensgründung realisiert werden kann, eine Weiterbildung finanziert wird oder eine wichtige Anschaffung wie ein Auto gemacht werden kann. Der Sozialstaat profitiert, wenn Menschen keine staatlichen Leistungen mehr in Anspruch nehmen müssen. Und positive Standorteffekte für Wirtschaft und Finanz ergeben sich aus Betriebsgründungen, der daraus folgenden Steuerleistungen und der positiven Beschäftigungsbilanz.

Fallbeispiele zeigen deutlich die positiven Auswirkungen von Mikrokrediten auf Wirtschaftsstandort und sozialen Zusammenhalt: Die Erfolgsquote, gemessen am dauerhaften Herauskommen aus der Arbeitslosigkeit durch das kreditfinanzierte Unternehmen, liegt bei ca 40 bis 50 Prozent. Pro erfolgreicher Neugründung aus der Arbeitslosigkeit entstehen zwei bis drei neue Arbeitsplätze, Mikrokredite stellen dabei insbesondere für Frauen ein wichtiges Unterstützungsinstrument bei der Gründung dar.

Mikrokredite können durch staatliche Programme zur Verfügung gestellt werden, aber auch durch Banken und Private, wie Organisationen und Vereine. Auch die Europäische Kommission hat im Rahmen des EFS-Konjunkturpaktes mehrere Programme ins Leben gerufen, die Mikrokredite in Kooperation mit Banken vergeben. Der Beitrag von social banking zur Bekämpfung von Armut, regionaler Diskriminierung und wirtschaftlichem Abstieg wird dabei besonders hervorgehoben.

Derartige Mikrokredite haben als Zielgruppe finanzschwache Menschen, die sonst keine Chance auf einen regulären Kredit bei der Bank hätten. Umso mehr sind auch in diesem Bereich die Regeln einer verantwortlichen Kreditvergabe sowie die umfassende Begleitung und Beratung der Kreditnehmer gefragt.Ein Kostenüberblick, ein Budgetplan sowie geringe Bearbeitungsgebühren sind Bestandteil sozialen Mikrokreditinstrumente, die auch flexibel auf Veränderungen des Marktes, aber auch der Kundenbedürfnissen und Rahmenbedingungen reagieren können müssen.Und schließlich gilt es die Programme regelmäßig hinsichtlich ihrer sozialen Ausrichtung und ihrer wirtschaftlichen Effektivität zu monitoren und evaluieren.

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Mikrokredite als Hilfe zur Selbsthilfe

‣ Was sind Mikrokredite?Mikrokredite sind Kleinstkredite für Menschen mit niedrigem Einkommen. Sie dienen der Existenzgründung- und Sicherung oder sollen helfen beispielsweise eine Aus- und Weiterbildung (mit) zu finanzieren. In der EU ist der Schwellenwert des Kreditvolumens, unterhalb dessen ein Kredit als Mikrokredit gilt, 25.000 Euro.

Niedriges Einkommen, ungesicherte Lebensverhältnisse hinsichtlich Wohnsituation oder Aufenthaltsstatus oder auch die Tatsache, dass man von Kreditinstituten bereits negativ registriert wurde (auf einer „Schwarzen Liste“ steht) – sie alle können dazu führen, dass der Zugang zu „normalen“ Krediten erschwert ist. Hier gibt es also einen weiteren Bedarf nach sozial motivierten Finanzprodukten.

‣ Hilfe zur SelbsthilfeMikrokredite können für die KreditnehmerInnen den Ausweg aus der prekären Lebenssituation und einen Neustart in ein geregeltes Leben bedeuten. Sie sind als Startunterstützung, als Hilfe zur Selbsthilfe zu sehen – letztendlich braucht es immer den eigenen Einsatz und die persönliche Anstrengung, um den Weg beispielsweise aus der Armut wieder herauszufinden.

‣ Als Instrument der Entwicklungshilfe ausgezeichnet, trotz ProblemeMikrokredite sind vor allem als Instrument der Entwicklungshilfe bekannt, nicht zuletzt durch Muhammad Yunus, der für den Aufbau der Grameenbank, die Mikrokredite an Arme in Bangladesh vergibt, den Friedensnobelpreis 2006 erhielt. Die mit der Zeit aufgetretenen und bekannt gewordenen Probleme wie parallele Mikro-Kreditaufnahmen bei mehreren Instituten, die Verringerung der lokalen Sparquoten und auch überhöhte Zinsen, zeigen die Notwendigkeit, Mikrokreditprogramme und -instrumente sehr genau zu monitoren und evaluieren.

‣ Aber auch in Europa als wichtiges Instrument vor allem für KMUs erkanntDie Europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt in allen europäischen Mitgliedstaaten Mikrofinanzierungsinstrumente für Kleinunternehmen und Arbeitslose zu etablieren um positive Beschäftigungseffekte zu erzielen und Arbeitsplätze zu schaffen.

Mikrokredit in Europa wird dabei vorrangig als Kleinstkredit an kleine und mittlere Unternehmen verstanden– 99,8 Prozent aller europäischen Unternehmen sind derartige KMUs (mit weniger als 250 Beschäftigten), 92 Prozent sind als Mikrounternehmen zu klassifizieren (mit weniger als zehn Beschäftigten).Insbesondere die Finanzkrise und die daraus resultierende Kreditklemmen und -verschärfungen haben die Notwendigkeit von Mikrokrediten gerade für diese Zielgruppe der KMUs deutlich vor Augen geführt:

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Zu den zentralen Problemen der KMU gehört ein eingeschränkter Zugang zu externen Finanzquellen. Dadurch sind ihre Möglichkeiten beeinträchtigt Investitionen zu finanzieren, Produktionskapazitäten zu erweitern sowie Produktivität und Löhne zu erhöhen. Der Mangel an Finanzmitteln wird häufig als Hindernis für das Wachstum von KMU genannt. (Brunner et al 2010, 7)

‣ Garantien und FondsUm die Mikrokredite zu fördern, gibt es mehrere Initiativen seitens der Europäischen Kommission, so zB JEREMIE (Joint European Resources for Micro- to Medium Enterprises) und JASMINE (Joint Action to Support Microfinance Institutions in Europe).

Weiters gibt es bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) im Rahmen des EFS-Konjunkturpaketes einen Fonds, der mit 500 Mio Euro ausgestattet ist, der der finanziellen Unterstützung zur Unternehmensgründung dienen und damit einen Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungssituation leisten soll. Mikrokreditinstrumente in den verschiedenen europäischen Ländern, so auch in Österreich, werden durch diesen Fonds unterstützt.

2011 wurde die European Progress Microfinance Facility ins Leben gerufen, wiederum mit EIB und EIF (Europäischer Investitionsfonds), der als speziellen Fokus Personen mit unzureichendem Zugang zu den Kreditmärkten hat. Er soll mit 100 Mio Euro dotiert werden (davon 60 Mio EUR aus dem Programm PROGRESS und 40 Mio EUR aus den Margen des EU- Haushaltsplans) und es wird erwartet, dass in den kommenden acht Jahren Mikrokredite an 45.000 europäische Kleinstunternehmen ausbezahlt werden (Europäische Kommission 2011a).

‣ Das European Microfinance Network - EMN2003 wurde das European Microfinance Network (EMN) in Frankreich gegründet, das seither die Mikrofinanzierung in der Europäischen Union durch Unterstützung bei Gründung von Mikrounternehmen fördert. Ziel ist es einen Beitrag zum Kampf gegen Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung zu leisten.Finanziell und sozial ausgegrenzten Menschen soll der Zugang zu Finanzdienstleistungen geöffnet werden um sie dabei zu unterstützen ihre Lebenssituation zu verbessern. Zusätzlich veranstaltet das Netzwerk Lehrgänge sowie Konferenzen und informiert auf einer umfangreichen Website (www.european-microfinance.org) über wichtige Themen des Finanzsektors.

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Wohlfahrtseffekte von Mikrokrediten

Kurzfristige Effekte

‣ KonjunkturimpulsWenn über staatliche Förderung und/oder verbesserte Rahmenbedingungen zusätzliche Kredite für neue Projekte vergeben werden, so wird dadurch zunächst einmal jedenfalls ein Konjunkturimpuls ausgelöst, der positiv auf Konsum und Volkseinkommen wirkt (siehe zB auch Buera et al 2011, 2): Neue Projekte und die sich daraus ergebenden Einkommen bringen eine Erhöhung der Steuereinnahmen (Fiskalischer Effekt) und führen zu einer Stärkung der niedrigeren Einkommen (Verteilungseffekt). ‣ Fiskalischer EffektZahlt es sich also aus, öffentliche Gelder in derartige Programme zu investieren? Die ökonomische Literatur ebenso wie die Veröffentlichungen der Europäischen Kommission weisen eindeutig in diese Richtung.Voraussetzung: Die Mehrzahl der Projekte ist erfolgreich, stellen also tatsächlich eine nachhaltige Gründung aus der Arbeitslosigkeit dar.Denn dann werden durch eine derartige Förderung gleichzeitig Kosten für den Sozialstaat (insbesondere in der Arbeitslosenversicherung) eingespart und höhere Steuereinnahmen erzeugt.

‣ VerteilungseffekteMikrokredite, die den Ausweg aus einer prekären Existenz bieten (etwa Gründungshilfen für Arbeitslose) haben damit sowohl kurz- als auch langfristig positive Verteilungseffekte im Sinne von vermehrter Teilhabemöglichkeiten.Zielgruppe von Mikrokrediten sind Einkommensschwächere – die öffentliche Unterstützung dieser Gruppe ist somit tendenziell eine Umverteilung von unten nach oben. Werden gleichzeitig Konsummöglichkeiten (durch stabilere und höhere Einkommen) und Produktionspotenzial (durch Aktivierung) in diesem Bereich gestärkt, so wirkt dies positiv auf das gesamtwirtschaftliche Wohlstandsniveau.

‣ Notwendige Voraussetzung: Keine VerdrängungseffekteBei der Beurteilung öffentlich geförderter Projekte muss bei Mikrokrediten ebenso wie bei jeder anderen Wirtschaftsförderung vor allem darauf geachtet werden, dass es zu keinen Verdrängungseffekten kommt – das heißt, dass durch das neue geförderte Projekt bereits am Markt ansässige, nicht-geförderte Unternehmen verdrängt werden. Es muss also unbedingt vermieden werden, dass durch die Förderung bestehende Unternehmen in finanzielle Bedrängnis kommen.

Anders als Mitnahmeeffekte (sprich: es wird etwas gefördert, was auch ohne Förderung zustande gekommen wäre) sind Verdrängungseffekte nicht nur ineffektiv, sondern sie erzeugen

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auch eine negative Dynamik, wenn Mikrokreditprogramme zu Lasten ansässiger Unternehmen gehen.

Langfristige Effekte

‣ Konjunktureffekte schwächen sich ab …Mittel- und langfristig schwächen sich die Konjunkturimpulse eines Mikrofinanzierungsprogramms ab, dennoch zeigen Buera et al (2011), dass die Gesamtproduktivität der Wirtschaft (also quasi der nicht-erklärbare Wachstumseffekt) weiterhin höher bleibt. Durch regionale Standortaufwertung und erhöhtes Angebot und somit gesteigerter Nachfrage bleibt ein nachhaltiger Mehrwert erhalten.

‣ … aber es sollte wesentliche Struktureffekte gebenVor allem aber sollten im Optimalfall Strukturveränderungen eingetreten sein.

Dies betrifft zum einen die Gründungsdynamik. Bereits 2003 stellte die Europäische Kommission (DG Enterprise 2003) fest, dass Mikrokredite eine Marktlücke abdeckten, wo bislang der Markt versagt hatte. So kann auch im Kleinstunternehmensbereich unternehmerische Initiative gefördert werden.

Zum anderen wird durch mikrokreditgeförderte Unternehmen auch das Humankapital erhöht: Auf jeden Fall bei den UnternehmerInnen selbst: Unternehmerische Kreativität ist ebenso gefragt wie die Kompetenzen der sorgfältigen Unternehmensführung – Humankapital, das auch in anderen Bereichen der Wirtschaft gut einsetzbar ist.

‣ Langfristige BeschäftigungseffekteDie bislang evaluierten Fallbeispiele in Europa zeigen positive Beschäftigungseffekte (wie zB beim Mikrofinanzierungsprojekt in Nordrhein-Westfalen, wo ca drei Vollzeitarbeitsplätze pro Neugründung geschaffen wurden – siehe Infobox).Über die Langfristigkeit dieser Beschäftigungsverhältnisse kann noch keine Aussage getroffen werden, da die Programme selbst noch nicht lange laufen.Die Bilanz ist aber positiv, da sie jedenfalls keine Arbeitsplätze vernichten (vorausgesetzt, es gab keine Verdrängung wie oben beschrieben).

‣ Output auf höherem NiveauLangfristig ist somit der Schluss zulässig, dass durch die allgemeine Output- und Wachstumssteigerung im Zweit- und Drittrundeneffekt auch Löhne (und damit Preise) etwas ansteigen werden, und dass damit das letztendliche Wohlstands-Niveau deutlich über dem ursprünglichen liegt. Dieser Produktionsanstieg bedeutet auch, dass die Beschäftigung höher ist und dass damit aufgrund der vermehrten und differenzierteren Beschäftigungsmöglichkeiten auch die natürliche Arbeitslosigkeit sinkt.

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‣ Eine vorsichtige Quantifizierung volkswirtschaftlicher EffekteWird mit einem Mikrokredit ein Unternehmen gegründet und wird angenommen, dass dadurch kein anderes, bereits bestehendes Unternehmen verdrängt wird, so entstehen positive Effekte für die Volkswirtschaft. Zum einem wird dadurch in dem Kleinunternehmen selbst Wertschöpfung und in vielen Fällen auch Beschäftigung generiert. Zum anderen gibt es auch zusätzliche Nachfrage für die Zulieferer und im Endeffekt können aufgrund gestiegener Einkommen zusätzliche Konsumimpulse entstehen.

Eine einfache Input-Output Schätzung für Österreich zeigt beispielsweise, dass ein Kreditvolumen von einer Million Euro für ca 50 kleine Handelsbetriebsgründungen (also 20.000 Euro für jedes dieser Start-Ups) über diese Multiplikatoreffekte das Bruttoinlandsprodukt mittelfristig um bis zu zwei Millionen Euro steigern würde, und somit eine Million Euro an zusätzlicher Wertschöpfung entstünde. Zusätzlich würden 20 Arbeitsplätze in der Wirtschaft geschaffen oder erhalten.

‣ Weitere positive Einzeleffekte: Frauen profitieren und Regionen werden gestärktDerartige Langfristeffekte sind aber nur sehr vage abschätzbar – es gibt zu viele unbekannte bzw schlecht erfassbare Einflussfaktoren um empirisch tragfähige Evidenzen liefern zu können. Dennoch finden sich zahlreiche (zum Teil nur qualitative) Belege für positive strukturelle Effekte: So sind etwa Mikrokredite auch in entwickelten Ländern offenbar ein Instrument um gerade für Frauen Gründungsvorhaben zu erleichtern (siehe auch Beispiel Nordrhein-Westfalen).

Außerdem dürfte es sich in vielen Fällen um Projekte und Kleinstunternehmen mit einer hohen regionalen Verbundenheit handeln. Gerade in strukturschwächeren Regionen können Mikrokredite daher einen Beitrag dazu leisten, auf niedrigschwelligem Niveau wirtschaftliche Aktivität und damit ein Aufschwungsklima zu begünstigen.

‣ Nicht nur die Volkswirtschaft, sondern auch die Gesellschaft profitiertNeben den rein volkswirtschaftlichen Effekten wird gerade in Europa aber auch dem Thema der „sozialen Teilhabe“ und der „fairen Verteilung“ ein relativ hoher Stellenwert eingeräumt und wirtschaftspolitische Bedeutung beigemessen. Damit werden Mikrokredite selbst dann, wenn sie im Einzelfall nicht den gewünschten betriebswirtschaftlichen Profit bringen, einen gesellschaftlichen Mehrwert erzeugen:

Microfinance targets some non-profit maximizing goals such as social inclusion, job creation, micro enterprises development and development of regions. (...) Microfinance programs in Western Europe are not and possibly will not become profitable but make economic sense. (...) Western European microfinance has, compared to developing and transitions countries, a strong focus on social inclusion and pays less attention or almost no attention to its profitability. (Evers et al. 2007, 10.)

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Nordrhein-Westfalen: Ein gut evaluiertes FallbeispielMeyer und Biermann haben in ihrer Studie 2010 das Mikrofinanzierungsprojekt in Nordrhein-Westfalen evaluiert. Die Evaluation zeigt die positiven Auswirkungen einer solchen Maßnahme:

Das Projekt dient zur „Ausschöpfung von Gründungspotenzialen“ und der „Unterstützung von Investitionen in bestehende Unternehmen“.In der Region war die Neugründungsquote, verglichen mit Gesamt- Deutschland, eher unterentwickelt, sodass dieses Pilotprojekt als wichtiger Antrieb gesehen wurde.

Eine ausreichende Finanzierung ermöglicht die Gründung an sich oft erst, sichert eine tragfähige Größe und erhöht die Überlebenswahrscheinlichkeit signifikant. (Meyer 2010, 7)

Gut 22 Prozent der Gründer, die externe Mittel einsetzen, haben einen Bedarf zwischen fünf- und zehntausend Euro, weitere elf Prozent einen Bedarf zwischen 10.000 und 25.000 Euro.Insgesamt liegt damit der externe Finanzierungsbedarf jeder dritten Gründung im Bereich der Mikrodarlehen.

Folgende positive Effekte konnten festgestellt werden: Durch die Mikrodarlehen konnten 203 Gründerinnen und Gründer bei ihrem Vorhaben entscheidend unterstützt werden. 102 Darlehen wurden mit dem Ziel ausgegeben, ein bestehendes junges Unternehmen zu festigen (Meyer 2010, 34).

Der überwiegende Teil (87 Prozent) der neu gegründeten Unternehmen sind „Sologründer“. Die restlichen 13 Prozent sind Teamgründungen oder Unternehmen, die Mitarbeiter beschäftigen. Hier entstanden pro Neugründung ca drei neue Vollzeit-Arbeitsplätze. Das sind somit über alle Gründungen zusammen im Durchschnitt pro Gründung 1,26 neue Arbeitsplätze.

Bemerkenswert ist die Frauenquote: Während im konventionellen Kreditbereich 26 Prozent der Instrumente von Frauen in Anspruch genommen werden, sind es beim Mikrokreditprogramm 40 Prozent. Dies dürfte sich auch daraus erklären, dass Gründungen von Frauen grundsätzlich einen geringeren Finanzierungsbedarf aufweisen.

44 Prozent aller DarlehensempfängerInnen (66 Prozent bei den Neugründungen) kommen aus der Arbeitslosigkeit. Es zeigt sich somit, dass diese benachteiligte Personengruppe als Zielgruppe gut erfasst wird und sich die gewünschten sozialen Effekte einstellen (Meyer 2010, 36).

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Wie können Mikrokredite verbessert und erweitert werden?

‣ Banken als wesentliche und verantwortungsvolle Treiber des MikrokreditsektorsMikrokredite müssen ganz wesentlich von Banken getragen sein (dies wird zB auch in dem Bericht der DG Enterprise 2010 betont): Banken sollten Mikrokredite als innovativen und profitablen Weg sehen Wirtschaft und Gesellschaft weiterzuentwickeln. Ziel sollte ein größerer und qualitativ besser entwickelter Mikrokreditsektor sein.

‣ Erfahrungen aus konventionellem Bank-Geschäft nützen ...Damit solche nachhaltige Dynamik in den Bereich der Mikrofinanzierung hineinkommt, müssen sich Banken, die dieses Geschäft traditionell beherrschen, aktiv daran beteiligen und ihre Erfahrungen aus der konventionellen Kleinunternehmensfinanzierung einbringen:

Der Bereich des Micro Lending spricht eine aktive Arbeitsmarktpolitik der Banken und Sparkassen an. Hier geht es darum, das Erlernen von Selbstständigkeit praxisorientiert zu begleiten, wozu die Erfahrung aus der KMU-Finanzierung eine wesentliche Grundlage bietet. In diesem Arbeitsbereich geht es auch darum, eine Koordination mit staatlichen Aktivitäten zu ermöglichen und staatliche Subventionen nicht als Ersatz sondern als Zugang zu wirtschaftlicher Aktivität zu nutzen. (Reifner 1997, 11)

‣ … aber zielgruppenspezifische Bewertungen vornehmenIm Kleinkreditbereich stoßen Banken mit den standardisierten Verfahren der Bewertung der Kreditwürdigkeit und -sicherheit rasch an Grenzen: Es fehlt an Informationen, der Aufwand des Sicherheitenmanagements ist im Vergleich zur Kreditsumme unverhältnismäßig groß.

Daher wird es seitens der Banken notwendig sein, neben diesen standardisierten Verfahren gerade im Mikrokreditbereich verstärkt auf qualitative Faktoren abzustellen: Es geht um die individuelle Beurteilung der Kompetenzen der potenziellen GründerInnen, um die Einschätzung der vorlegten Businesspläne und der Cash-Flow-Prognosen (siehe auch DG Enterprise 2010, 5). Die Geschäftsidee soll auf Umsetzbarkeit, Erfolgschance und Langlebigkeit untersucht werden. Hier lassen sich eventuelle Schwachstellen noch verbessern und wichtige Erfolgstipps eingebracht werden (ASB Schuldnerberatungen 2007b).

Die Abstimmung mit Wirtschaftsförderungsstellen und KMU-Förderern kann hier zusätzlich unterstützen (man denke etwa an das externe KMU-Ratingangebot von aws Austria).

‣ Niederschwelliger ZugangEs ist anzunehmen, dass ein Großteil der potenziellen MikrokreditkundInnen keine sehr großen Erfahrungswerte mit Finanzinstrumenten hat. Es müssen daher bei der Adressierung dieser Zielgruppe all jene Empfehlungen beachtet werden, die bereits bei den Fragen des „Zugangs zu Finanzprodukten“ (Kapitel 2) bzw die im folgenden Kapitel 4 zu „Financial Literacy“ angesprochen werden.

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Selbstverständlich müssen hier fast noch mehr als im konventionellen Bereich die Regeln der verantwortungsvollen Kreditvergabe, Transparenz- und Informationsgebote beachtet werden.

‣ Individuell angepasste Kreditraten und eine geringe BearbeitungsgebührKredite können für die KreditnehmerInnen teuer werden, vor allem, wenn es zu Zahlungsrückständen kommt.Daher ist bei den Rückzahlungsmodalitäten vor allem auch eines Mikrokredits darauf zu achten, dass der/die KreditnehmerIn einen Überblick über die monatlichen Kosten hat und diese in einem Budgetplan übersichtlich zusammengefasst sind. Ein standardisierter Zahlungsplan, den das Finanzinstitut zur Verfügung stellt, gibt Transparenz und hilft dem/r KundIn die Kreditbedingungen besser zu verstehen.Überdies wäre es auch wichtig die Bearbeitungsgebühren für die Kreditabwicklung möglichst gering zu halten (Zdrahal-Utbanek 2007, 9.)

‣ Beratung und Begleitung bei der ProjektumsetzungEs ist sinnvoll, begleitend zu einem Mikrokreditprogramm auch Betreuung und Beratung sowohl für die Geschäftsentwicklung selbst als auch beispielsweise für allfällige Behördenwege anzubieten.KreditnehmerInnen sollen nicht mit Schwierigkeiten oder Fragen allein gelassen werden – dies ist auch im Sinne der Finanzdienstleister, hilft es doch die Nachhaltigkeit der Existenzgründung abzusichern.

‣ Evaluation und MonitoringMikrofinanzprogramme sollten als dynamisches, lernendes Instrument konstruiert werden. Es ändern sich Gegebenheiten und Marktverhältnisse. Darauf sollte flexibel reagiert werden können. Dafür ist es aber erforderlich Mikrokredite laufend zu evaluieren: Was ist das selbstgesteckte Ziel, wie können die Effekte auf Mikro- und auf Makroebene bewertet werden, welche Zielgruppen, Branchen und Regionen werden erreicht, wie einfach ist der Zugang und dgl mehr?

Best Practice 3: Mikrokreditfonds in Deutschland(Quellen: www.optimist-mikrokredit.de; www.mikrokreditfonds.de)

Der Mikrokreditfonds Deutschland hat ein Finanzvolumen von ca 100 Millionen Euro und läuft bis Mitte 2017. Die Mittel stammen aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und Haushaltsmitteln der Bundesregierung. Eigentümer des Kreditfonds sind das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWI). Es wird eine Vergabe von ca. 13.000 Krediten deutschlandweit

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3 Im Kapitel 5 werden die österreichischen Best Practices im Bereich der Mikrofinanzierung vorgestellt.

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angestrebt – seit Anfang 2010 wurden bereits über 6.000 Kredite vergeben und damit die ursprüngliche Planung weit übertroffen.

Mit Hilfe des Mikrokreditfonds der Bundesregierung sollen die Engpässe kleiner Unternehmen bei der Kreditaufnahme beseitigt und der Zugang zu kleinen Unternehmenskrediten bis 20.000 Euro – bei Erstkrediten bis 10.000 Euro – bundesweit erleichtert werden. Die Zielgruppe der Initiative sind Kleinst- und Kleinunternehmen (KKU), die über ihre Hausbanken und Sparkassen üblicherweise keine Kredite erhalten. Junge Unternehmen sowie Unternehmen, die von Frauen oder von Personen mit Migrationshintergrund geführt werden, genießen bei der Kreditvergabe besondere Aufmerksamkeit.

Die persönliche, unbürokratische Betreuung der Kreditkunden steht im Mittelpunkt – nach dem Motto „Erst der Unternehmer, dann die Zahlen".

Der nominale Zinssatz beträgt derzeit 8,5 Prozent pro Jahr, es sind Annuitätendarlehen ebenso wie endfällige Kredite möglich, mit Laufzeiten von sechs bis 24 Monaten.

Zeitungsberichten zufolge (etwa Hamburger Abendblatt 29/09/2010 oder Spiegel online 11/11/2011) sind die Erfahrungen mit wenigen Ausnahmen sehr positiv. Und auch die Evaluierungen des Mikrokreditfonds belegen die positiven Effekte: Die zwischen 2005 und 2009 vergebenen 500 Kredite mit einem Gesamtvolumen von drei Millionen Euro haben eine Ausfallsquote von weniger als drei Prozent. Diese Ausfallsquote blieb auch nach der Neuregelung und Erweiterung 2010 konstant.

Die zusammenfassende Beurteilung laut Mikrokreditfonds:

Im Durchschnitt werden durch jeden Mikrokredit ca. 1,5 Arbeitsplätze geschaffen oder erhalten. Im Vergleich zu anderen Förderinstrumenten ist Mikrofinanz insofern sehr effektiv und fördert in besonderem Maße individuelles Engagement und Selbstverantwortung. (www.mikrokreditfonds.de)

Best Practice: Spanien – Mikrokredit für prekäre GründerInnenDas Mikrokreditprogramm in Spanien steht jenen Bürgern zur Verfügung, die nicht über einen Zugang zum Kreditvergabesystem verfügen, da sie nicht kreditwürdig sind. Um diese Menschen nicht aus dem klassischen Finanzsystem auszuschließen, haben sich die verschiedenen Sparkassen, private und öffentliche Kreditvergabeinstitute und soziale Organisationen zusammengeschlossen.

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Der Kredit richtet sich an benachteiligte Personen, wie Menschen über 45 Jahre, Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderung, AlleinerzieherInnen und MigrantInnen. Er dient der Existenzgründung, in Form eines Kleinunternehmens, das ein sicheres Einkommen und einen stabilen Arbeitsplatz bietet.

Der Beratung wird ein hoher Stellenwert eingeräumt, um den KreditnehmerInnen in Finanzfragen, aber auch in unternehmerischen Problemstellungen zur Seite zu stehen.

Die Studie "El impacto de los microcréditos en la vida de las empresarias españolas", die im Dezember 2007 von Women's World Banking durchgeführt wurde, hat festgestellt, dass jede Kreditvergabe 2,15 Arbeitsplätze schaffe.

Best Practice: Belgien – Sozialer KonsumkreditDas Beispiel Belgien zeigt, dass Mikrokredite nicht nur auf Unternehmensgründung selbst beschränkt sein müssen. In zwei belgischen Regionen gibt es für NiedrigeinkommensbezieherInnen die Möglichkeit, subventionierte Konsumkredite für vor-definierte Vorhaben zu bekommen: Dies kann vom Führerschein (um mobiler und daher beschäftigungsfähiger zu werden) bis hin zu einer Grundmöbelausstattung nach einer Trennung reichen.

Das Instrument soll Überschuldung vermeiden helfen, es wird auch hier der Beratung ein hoher Stellenwert eingeräumt und es wird jeweils auch gemeinsam nach Alternativen zu einem Kredit für die Problemlösung gesucht. Die KreditnehmerInnen müssen aktiv beim Antrag und bei der Erstellung eines Haushaltsplans mitarbeiten – insofern wird hier auch die Financial Literacy gefördert.

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4. Financial Literacy – (Un)Vermögen an Wissen

In Kürze zusammengefasst...

Das eigene verantwortungsvolle Geldmanagement und Vorsorgedenken sind grundlegend für die persönliche finanzielle Absicherung zB bei Weiterbildung, Wohnungsanschaffung und Pensionsvorsorge und damit wiederum von hoher Relevanz für die Volkswirtschaft, den Sozialstaat und den Finanzstandort.

Unklarheiten und Unwissen über Finanzprodukte und Zusammenhänge in der Geldwirtschaft führen zu einer größeren Scheu gegenüber Banken und deren Dienstleistungen. Somit werden Beratung, Hilfestellung und optimale Finanzlösungen nicht rechtzeitig oder gar nicht in Anspruch genommen bzw kann auch nicht zwischen guter und schlechter Beratung unterschieden werden.Viele Finanzprodukte sind in ihrer Komplexität nur sehr schwer zu verstehen und für viele Menschen nicht optimal auf ihre jeweilige Lebenssituation abgestimmt. Dies führt zu Fehlentscheidungen in Finanzfragen wie Vorsorge und Sparveranlagungen ebenso wie zur Selbstüberschätzung der eigenen Finanzkompetenz, was wiederum ein Übersehen oder Unterschätzen eigener finanzieller Risikosituationen nach sich ziehen kann.

Finanzielle Allgemeinbildung soll dazu befähigen, Finanzentscheidungen gewissenhaft treffen zu können um mögliche Risiken zu vermeiden. Sie soll als Teil des KonsumentInnenschutzes verstanden werden und durch die Kooperation verschiedenster Institutionen wie Banken, Bildungseinrichtungen und Beratungsstellen möglichst viele Zielgruppen erreichen.

Finanzielles Wissen hat aber nicht nur Konsumentenschutzaspekte, sondern bringt materielle Vorteile für jeden einzelnen und somit der Gesellschaft. Eine deutsche Untersuchung zeigt, dass finanzielle Fehlentscheidungen aufgrund mangelhafter Beratung bzw mangelhaftem eigenen Wissen jährliche Vermögensverluste von etwa einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes verursachen können.

Daher sollte Finanzwissen allen – und insbesondere einkommensschwachen – Personengruppen zur Verfügung stehen und daher Programme zur Wissensvermittlung, die die KundInnen in den Vordergrund stellen, dringend ausgebaut werden. Finanzielle Allgemeinbildung muss als lebenslanger Lernprozess begriffen werden, da je nach Lebenssituation andere Finanzfragen relevant sein können. Maßnahmen sollen bereits bei Kindern beginnen, um möglichst früh einen Grundstein zum verantwortungsvollen Umgang mit Geld zu legen. Projekte und Lehrinhalte müssen also zielgruppenspezifisch auf die verschiedenen Interessenlagen und sozioökonomischen Hintergründe ausgerichtet sein.

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Financial Literacy als Teil der Allgemeinbildung

‣ Definition von Financial LiteracyBeim Thema Finanzielle Allgemeinbildung, das im Englischen unter Financial Literacy bekannt ist, geht es um die Vermittlung von Bildung für Verbraucher, die helfen soll, das Finanzdienstleistungssystem funktionsgerecht und verantwortungsvoll zu nutzen.(FIS Money Advice 2001)

‣ Jede/r BürgerIn baucht Mindestmaß an Finanzieller Allgemeinbildung ...Finanzwissen und Finanzkompetenz sind also nicht nur für Investoren wichtig, sondern für alle BürgerInnen, die sich ein Eigenheim anschaffen, die Ausbildung der Kinder finanzieren oder das alltägliche Haushaltsbudget organisieren wollen, wie auch die OECD auf ihrer Website www.financial-education.org betont 4: Letztendlich geht es um die Verbesserung von finanziellem Wohlstand und finanzieller Absicherung.

Denn Finanzkompetenz schafft die Möglichkeiten, das eigene Geld sinnvoll und in jeweils optimaler Balance von Risiko und Rendite zu verwalten.

‣ … auch als Prävention gegen ArmutFehlt dieses Wissen, ist ein verhältnismäßiger Umgang mit den eigenen finanziellen Möglichkeiten nicht gewährleistet. Finanzielle Schwierigkeiten, Verschuldung oder Missmanagement können die Folge sein.Finanzielle Allgemeinbildung ist deshalb ein wesentlicher Beitrag zur Armutsprävention.

‣ Finanzwissen wird zunehmend komplexer ...Da die Finanzprodukte in den letzen Jahren immer komplexer und vielfältiger geworden sind, ist es für die KonsumentInnen nicht leicht die richtigen Entscheidungen passend zu ihrer jeweiligen Lebenssituation zu treffen.

‣ … zum Teil auch subjektiv falsch eingeschätztEs ist nicht einfach, sich Wissen über Finanzprodukte anzueignen, da die Komplexität der Thematik gewisse Vorkenntnisse notwendig macht.

Hinzu kommt, dass viele Menschen ihr eigenes Finanzwissen überschätzen. So zeigt eine deutsche Studie (Hummelsheim 2010, 5), dass nur etwa die Hälfte derer, die sich für gut informiert halten, tatsächlich ausreichende Grundkenntnisse aufweisen. Dies zeigt sich auch in

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4 Financial education is the process by which financial consumers/ investors improve their understanding of financial products and concepts and, through information, instruction and/or objective advice, develop the skills and confidence to become aware of (financial) risks and opportunities, to make informed choices, to know where to go for help, and to take other effective actions to improve their financial well-being and protection. (OECD-Website: www.financial-education.org)

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der OECD Survey (OECD 2005b): Befragt nach der Einschätzung ihrer eigenen finanziellem Allgemeinbildung bezeichnen sich viele oftmals besser informiert, als es tatsächlich der Fall ist. So zeigte etwa eine australische Erhebung, dass sich 67 Prozent der Befragten für finanziell kompetent hielten, aber nur 28 Prozent ein entsprechendes Beispiel richtig lösen konnten.

Das erweist sich hinderlich bei der Wissensvermittlung – da ja kein Wissensdefizit wahrgenommen wird, ist es auch schwieriger, den Menschen die eigentlich notwendige Bildung anzubieten und zukommen zu lassen.Ausserdem ist bei Abschluss eines Finanzgeschäfts nicht auszuschließen, dass Unklarheiten oder Missverständnisse unentdeckt blieben.

Einkommensschwächere Gruppen haben dabei tendenziell ein noch geringeres Informations- und Wissensniveau – dies zeigen Erhebungen aus den USA, Australien und Großbritannien (ebenfalls dargestellt in OECD 2005b, 43). Allerdings: Zu wenig Wissen über Finanzbegriffe und Finanzprodukte findet sich auch bei Angehörigen höherer Bildungsschichten (etwa aufgrund mangelnden Interesses).

‣ … und über einige Jahre auch von den Banken zu wenig beachtetAber nicht nur die KundInnen allein haben die Verantwortung für unzureichendes Wissen über Finanzdienstleistungen zu übernehmen. Während der Boomzeit der Finanzmärkte tendierten zahlreiche Banken dazu, ihre Produkte immer komplexer zu gestalten und haben sich andererseits zu wenig an der Bildung der Allgemeinheit in Sachen finanzielles Wissen beteiligt.

Mehr Wissens-Vermögen der Einzelnen nützt allen

‣ Wissen bringt mehr Sicherheit für alleAusreichendes Finanzwissen ist für jede/n einzelne/n notwendig, um eine sichere und nachhaltige Gebarung der eigenen Finanzangelegenheiten zu gewährleisten. Eine gute Finanzbildung der einzelnen trägt somit in Folge dazu bei, dass durch individuell verantwortungsvoll geführte Finanzen auch die Realwirtschaft, der Sozialstaat und der Finanzstandort profitieren.

‣ Finanzwissen ist gerade auch für Einkommensschwächere von BedeutungBezieherInnen geringerer Einkommen haben, wie dargestellt, spezielle Bedürfnisse hinsichtlich ihrer Finanzprodukte. Gleichzeitig ist bei ihnen tendenziell das Finanzwissen geringer ausgeprägt. Die Kombination aus geringem Wissen und geringem Einkommen kann dazu führen, dass sie nur Zugang zu sehr standardisierten, nicht bedarfsgerechten Instrumenten haben, und dies unter Umständen zu einem zu hohen Preis:

Any action to tackle the lack of financial literacy needs to take account of the fact that financial literacy and poverty are often considered to be interdependent. This is evident from the fact that lower income, poorer educated customers risk to get poorer quality

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advice, they usually have access only to standardised products which do not meet their needs well and are likely to pay more when applying for loans. (Habschick et al 2007, 7)

Ihr Finanzwissen zu erhöhen ist dabei nicht nur aus sozialen Motiven notwendig: Ein besseres Wissen über verschiedene Möglichkeiten und mögliche Risiken hilft, auch prekärere finanzielle Situationen besser steuern zu können. Weniger Menschen, die finanzielle Schwierigkeiten haben, bedeuten schlicht und einfach auch für den Sozialstaat weniger Kosten und Aufwand. Finanzielle Allgemeinbildung und damit ein ausreichendes finanzielles Vorsorgedenken sind somit aus individueller wie gesamtwirtschaftlicher Perspektive wichtige Investitionen in die Zukunft.

‣ Finanzwissen vermeidet unnötige volkswirtschaftliche VerlusteEine Studie des deutschen Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat ergeben, dass in Deutschland durch unsachgemäße Finanzvermittlung jährlich mehrere Milliarden Euro verloren gehen. Der Nutzen bzw die Kosten einer finanziellen Entscheidung wären von den meisten VerbraucherInnen kaum zu erfassen oder zu bewerten – man tendiert dazu, dem Berater die Entscheidung zu überlassen.

Ein unzureichendes Verständnis über Finanzgeschäfte führt zu Unsicherheiten und einem wenig rationalen Anlageverhalten der KundInnen. Die Studie zeigt, dass der deutschen Wirtschaft durch mangelhafte Finanzberatung ein jährlich geschätzter Vermögensschaden von 20 bis 30 Mrd Euro entsteht (Habschick et al. 2008, 10) – das wären etwa ein Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes.

‣ Vorsorge ist besser abgesichert ...Wenn die BürgerInnen mehr Eigenverantwortung für ihre Altersvorsorge, Gesundheit, Ausbildung übernehmen sollen, bedeutet dies vermehrt Auswirkungen auf das Risikoprofil der privaten Haushalte und damit auch auf die Stabilität des Finanzsystems. Grundlegend für mehr Eigenverantwortung ist die Bereitstellung von Wissen und Finanzielle Allgemeinbildung am gesamten Bildungsweg.

Die steigende Verschuldung von Privatpersonen, die Unfähigkeit ein ausgeglichenes Budget zu erstellen oder die Unkenntnis über einfache Abläufe im Finanzwesen verdeutlichen diese Probleme. Aber auch in Hinblick auf die Altersvorsorge gewinnt diese Thematik mit der steigenden Lebenserwartung an Dringlichkeit. Es wird immer wichtiger die eigenen Finanzen sorgfältig und vor allem langfristig zu planen, um auch im Alter noch über genügend finanzielle Mittel zu verfügen. (Stäheli 2008)

‣ … und unerwünschte Dynamiken können besser vermieden werdenEine Folge von verstärkten Finanzausbildung kann auch die Forderung nach mehr Transparenz bzw bessere Erklärungen bei Finanzbelangen sein. Diese Aufgabe muss qualitätsvoll von den einzelnen Finanzinstituten übernommen werden, da sie sonst zu einem interessanten Geschäft

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für wenig seriöse Beratungsunternehmen wird, mit zum Teil unangenehmen volkswirtschaftlichen Effekten:

Wie sich die mangelnde Finanzkenntnis weiterer Teile der Bevölkerung insgesamt auf die Stabilität des Finanzsystems auswirkt, ist offen. Es ist jedoch zu vermuten, dass durch „Herdenverhalten“ spekulative Blasen verstärkt werden, deren Platzen dann zu gravierenden Störungen der Volkswirtschaft führen können. (Stäheli 2008)

Wie kann die Finanzielle Allgemeinbildung verbessert werden?

‣ Wissensvermittlung soll Kunden und nicht Anbieter in den Vordergrund stellenSowohl OECD (2005b) als auch die Europäische Kommission 5 nennen eine Anzahl von Empfehlungen für eine verbesserte finanzielle Allgemeinbildung.

Vorrangig dabei: Die finanzielle Allgemeinbildung soll unverfälscht, ohne Eigeninteresse und gut koordiniert sowohl von öffentlichen als auch privaten Einrichtungen, angeboten werden. Und sie soll zielgruppenspezifisch sein, zugeschnitten auf verschiedene Personengruppen oder unterschiedliche Lebensumstände.

‣ Wissensvermittlung sollte auch als Teil des Konsumentenschutzes verstanden werdenDie Wissensvermittlung soll kostenlos und leicht zugänglich sein. Auch die Möglichkeiten des Internets sollten dabei ausgeschöpft werden.Bei einem Bankgeschäft liegt es vor allem in der Verantwortung der VertriebsmitarbeiterInnen und BankberaterInnen sich davon zu überzeugen, dass die Kundin / der Kunde die Informationen und Geschäftsbedingungen verstanden hat. Formulierungen sollten dementsprechend nicht zu kompliziert sein und generell sollte auf das „Kleingedruckte“ verzichtet werden (siehe auch OECD 2005b, 4).

Anstrengungen in Richtung vermehrter finanzieller Allgemeinbildung gehen daher eng einher mit Konsumentenschutz und der Regulierung und Kontrolle der Finanzinstitutionen.

‣ Wissensvermittlung soll bereits bei Kindern startenWissensvermittlung über das Thema Finanzen soll so früh wie möglich, am besten bereits in der Schule, starten. Auch Kinder und Jugendliche verfügen bereits über Taschengeld, ein Sparbuch oder eine Bankomatkarte, die einen verantwortungsvollen Umgang erfordern.

Financial education should start at school. People should be educated about financial matters as early as possible in their lives. (OECD 2005b)

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5 diese vor allem im Rahmen des bereits zitierten FES-Projekts „ Finanzielle Allgemeinbildung und verbesserter Zugang zu adäquaten Finanzdienstleistungen als Beitrag zur Prävention und Bekämpfung von Überschuldung“

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‣ Wissensvermittlung kann über unterschiedliche Ansätze erfolgenJe nach Interessenlage und Umfeld können unterschiedliche Anknüpfungspunkte gefunden werden, über die Finanzwissen vermittelt werden soll. In der Literatur finden sich dafür beispielsweise folgende inhaltliche und damit auch kommunikative Ansätze (Piorkowsky 2010, 9):

- Volkswirtschaftlich-makroökonomischer Ansatz: Märkte, Geld und Kredit, Institutionen der Marktwirtschaft, insbesondere des Finanzsektors

- Hauswirtschaftlich-mikroökonomischer Ansatz: Wirtschaften im Haushalt mit gegebenen Mitteln, Prävention der Verschuldung;

- Finanzwirtschaftlich-betriebswirtschaftlicher Ansatz: Geldmanagement, Vermögensaufbau, Risikovorsorge

‣ Evaluation und Vernetzung sind auch bei der Wissensvermittlung notwendigDie Evaluation der Programme, ihre stetige Anpassung und Weiterentwicklung sind notwendiger Bestandteil einer erfolgreichen Wissensvermittlung und -verbreitung, auch im Finanzbereich.

Ebenso ist auch hier eine gut funktionierende Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure, wie Beratungsstellen, Bildungseinrichtungen, Behörden und Finanzinstitutionen Voraussetzung des nachhaltigen Erfolgs.

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Best Practice 6: FrankreichIn Frankreich gibt es seit 2006 den gemeinnützigen Verein IEFP Institut pour l’éducation financière du public (Institut für finanzielle Allgemeinbildung). Auf seiner Website „La finance pour tous“ (Finanz für alle) informiert er über seine Bildungs- und Informationsprojekte.Vor der Gründung wurde umfassend erhoben, wie es um die finanzielle Allgemeinbildung der Bevölkerung steht, welche Personengruppen einen besonderen Bedarf an Finanzbildung haben, und welche Wissensinhalte sinnvoll wären. Der Verein erarbeitet und fördert darauf aufbauend Bildungs- und Informationsprojekte, veranstaltet Konferenzen und führt Evaluationen durch.Das Zusammenbringen der verschiedenen Stakeholder als Ansprechstelle ist unter anderem auch für die Ressourcenvergabe zielführend.

Best Practice: Nordrhein-WestfalenDas „Netzwerk Finanzkompetenz Nordrhein-Westfalen“ wurde 2006 vom Verbraucherschutzminister ins Leben gerufen und besteht aus mehreren Arbeitsgruppen, die für verschiedene Zielgruppen spezifische Programme entwickeln:

Allgemeinbildung für Grundschulkinder:Das Projekt „MoKi – Money & Kids“, bei dem Kinder zwischen sechs und zehn Jahren auf spielerische Weise den Umgang mit Geld und Konsum erlernen, erfüllt den Anspruch der möglichst frühen Bildungsförderung.Broschüren, Filme und Spielmaterialien zielen auf die Themen Taschengeld, Geldkreislauf, Wünsche, Werbung und ähnliches ab.

Allgemeinbildung für junge Familien:Besondere Bedürfnisse und Anliegen in Finanzfragen lassen sich bei jungen Familien identifizieren. Die eigene Existenzgründung stellt diese Personengruppe vor besondere finanzielle Herausforderungen.Um diese Zielgruppe umfassend auch mit Finanzbildungsprogrammen zu erreichen, hat sich die Zusammenarbeit mit Familienzentren, wo verschiedene Beratungsangebote genutzt werden können, als sehr effektiv erwiesen.

Allgemeinbildung für BerufsanfängerInnen:Der Start in das Erwerbsleben bedeutet oft, sich erstmals intensiver mit Finanzdienstleistungen auseinanderzusetzen. Das Führen eines Gehaltskontos, die finanzielle Starthilfe für den Berufseinstieg und der verantwortungsvolle Umgang mit den eigenen Finanzen stehen bei dieser Zielgruppe daher im Fokus.

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6 In Kapitel 5 werden die auch häufig als best practice genannten Aktivitäten zur finanziellen Allgemeinbildung in Österreich vorgestellt.

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5. Unvermögen in ÖsterreichIn Kürze zusammengefasst …

Um die Themen „Finanzzugang“, „Financial Literacy“ und Mikrokredite“ für Österreich statistisch zu analysieren wurden zunächst Daten vor allem der EU-SILC Sondererhebung zu Verschuldung und finanzielle Ausgrenzung ausgewertet:

‣ Eine Million Menschen in Österreich ist armutsgefährdet (mit einem Einkommen von weniger als 950 Euro im Monat pro Person), etwa 400.000 davon dauerhaft. Jeder fünfte österreichische Haushalt kann sich (zumindest phasenweise) nicht ausreichend am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltag beteiligen.

‣ Wer nur mangelhaft sozial und wirtschaftlich integriert ist, gerät leichter in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten. Nicht überraschend korrelieren daher finanzielle Schwierigkeiten mit niedrigem Einkommen, prekärem Erwerbsstatus, niedriger Bildung aber auch mit Sprach- und Kulturbarrieren.

‣ Die Schuldnerlandschaft hingegen ist deutlich heterogener: Kredite sind weitverbreitet, auch das Konto ist in fast jedem fünften Haushalt überzogen. In den unteren Einkommensgruppen zeigt sich jedoch eine geringere Kreditnutzung – sei es aus dem Wissen über das eigene Unvermögen einer regelmäßigen Rückzahlung oder aufgrund restriktiver Handhabung durch die Bank.

‣ Wenngleich die meisten Menschen in Österreich ein Konto haben, gibt es doch in zwei Prozent der österreichischen Haushalte kein Konto und in sechs Prozent keine Haushaltsversicherung – ärmere, sozial schwächere Haushalte sind dabei wieder überrepräsentiert. Dieser mangelnde Zugang wird auch von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Die öffentliche Meinung ist zu fast 90 Prozent dafür, dass Basisfinanzdienstleistungen zum Mindeststandard gehören und und entsprechend zu ermögliche sind.

‣ Dennoch haben auch ärmere Haushalte Vermögen: Haushalte mit einem Haushaltseinkommen von weniger als 1.000 Euro im Monat haben im Schnitt 146.000 Euro an Immobilienvermögen (mit einem großen Stadt-Land Unterschied).Die Hälfte der Haushalte mit einem Monatseinkommen von weniger als 750 Euro im Monat haben ein Nettogeldvermögen (also abzüglich Schulden) von mehr als 3.000 Euro. Finanzinstitute haben gegenüber dieser Gruppe eine besonders hohe Verantwortung, sie bei der Veranlagung und Absicherung dieser (wenn auch nur geringen) Vermögen gut und nachhaltig zu begleiten.

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Österreich zeichnet sich durch einige Best Practice Beispiele im Bereich des Social Bankings aus.

‣ Zu nennen sind hier zunächst die Zweite Sparkasse bzw das Zweite Chance Konto, die die Basisdienstleistungen von Girokonto und Sparbuch anbieten um so auch die Rückkehr in den „normalen“ Finanzalltag zu erleichtern.

‣ Finanzielle Ausgrenzung besteht aber auch, wenn einkommensschwache oder verschuldete Personen keinen Kredit mehr bei einer Bank bekommen. Daher wurde auf Initiative des BMASK und in Kooperation mit der Erste Bank & Sparkassen das österreichische Mikrokreditprogramm ins Leben gerufen. Über 100 Kredite wurden seit seinem Beginn 2010 vergeben, bereits heute finanziert sich das Programm zu etwa der Hälfte selbst. Es werden davon ca 1,26 neue Beschäftigungsverhältnisse pro Gründungsprojekt erwartet.

‣ Auch Bildung bzw Mangel an derselben ist hochkorreliert mit der Armutsgefährdung. Ein niedrigeres Bildungsniveau erhöht das Risiko eines erschwerten Zugangs zu Basisfinanzdienstleistungen wie einem Kontozugang oder Versicherungen sowie Verschuldung und finanziellen Schwierigkeiten. Bei einem Pflichtschulabschluss liegt die Armutsgefährdung bei 18 Prozent, bei Universitätsabschluss „nur“ bei 3 Prozent. Finanzbildung korreliert stark mit dem Bildungsniveau – daher sind Programme zur Stärkung der finanziellen Allgemeinbildung ein wichtiger Schritt zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Geld und wirken präventiv Armut entgegen.

Insgesamt gibt es also in Österreich in den Bereichen Finanzzugang, Mikrofinanzierung und Finanzbildung bereits einige gut funktionierende Best Practice Beispiele. Es wäre aber durchaus im Interesse aller (der KonsumentInnen, der Banken und des Wirtschaftsstandortes) diese noch auszuweiten (regional und auf mehr Zielgruppen) und auszubauen (mehr Anbieter und Geldmittel). Dazu zählen vor allem das Recht auf leistbare Basisfinanzdienstleistungen, ausreichende Mikrokreditprogramme und die Vermittlung von Finanzwissen allen zugänglich zu machen.

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Fragestellung

‣ Ein Porträt für Österreich ...Im Folgenden sollen nun die bislang dargestellten Themen „Finanzzugang“, „Financial Literacy“ und „Mikrofinanzierung“ im österreichischen Kontext betrachtet werden. Wo zeigen sich hier besondere Probleme, was kann als Best Practice Lösung gesehen werden, lassen sich Zusammenhänge zwischen Deprivation 7 und mangelndem Zugang zu Finanzdienstleistungen bzw mangelnden Finanzkenntnissen belegen?

‣ … mit folgenden Fragestellungen ...Zunächst ist es notwendig, darzustellen, welche Personengruppen in Österreich in Armuts- bzw Prekariatsbedingungen leben: Was ist Armut und wer ist arm?Auch ärmere Haushalte können Geld- und/oder Immobilienvermögen besitzen – wie sieht hier die Vermögenssituation aus?Welche Daten gibt es zu Finanzieller Ausgrenzung und Finanzieller Allgemeinbildung, insbesondere von ärmeren Haushalten?Und was kann letztendlich zur Beseitigung von Unvermögen in Österreich getan werden (hier fällt dann auch die Frage der Mikrofinanzierung hinein)?

‣ … und folgenden QuellenBei der statistischen Beschreibung der Fragen wurde vor allem auf EU-SILC zurückgegriffen, eine Erhebung, durch die jährlich Informationen über die Lebensbedingungen der Privathaushalte in der Europäischen Union gesammelt werden. Rund 4.500 Haushalte nehmen jährlich an dieser Erhebung teil, die Statistiken sind zum einen auf Haushaltsbasis, zum anderen auf Basis der in diesen Haushalten lebenden Personen ausgewertet.

Von besonderem Interesse für die Fragestellungen in der vorliegenden Analyse ist dabei eine 2008 durchgeführte Sondererhebung von EU-SILC über Verschuldung und finanzielle Ausgrenzung – ihre Ergebnisse werden im Detail dargestellt um Rückschlüsse auf die relevanten Zielgruppen von Mikrofinanzierungen ziehen zu können. Es wurde bei der Analyse dabei besonders auf jene Gruppen fokussiert, die sich im Erwerbsalter befinden, da diese Gruppe am ehesten von Dienstleistungen und Förderungen, die über rein sozialstaatliche Transfers hinausgehen, profitiert (anders gesagt: Hilfe zur Selbsthilfe funktioniert für diese Gruppen deutlich besser als für PensionistInnen).

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7 Definition siehe nächste Seite.

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Was ist Armut und wer ist in Österreich arm?

Armutsgefährdung und Deprivation – Definitionen

‣ Wie wird Armutsgefährdung berechnet?Wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen (Median-)Einkommens als laufendes Einkommen hat, gilt in Österreich und auch nach der Definition der Europäischen Union als armutsgefährdet.

Dabei handelt es sich nur um das laufende Einkommen; Vermögensbestände, Vermögensauflösungen oder Schulden bleiben unberücksichtigt. Weiters wird das Haushaltseinkommen mittels einer Äquivalenzrechnung bestimmt.

Dauerhaft armutsgefährdet sind jene Haushalte, die über die vergangenen zwei bis drei Jahre armutsgefährdet waren.

‣ Was ist finanzielle Deprivation?Ein etwas anderes Armutskonzept stellt die finanzielle Deprivation dar: Hierbei wird weniger auf Einkommensarmut, sondern auf die Teilhabemöglichkeiten von Personen und Haushalten am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Alltagsleben abgestellt. Nicht die absolute Höhe des Einkommens steht im Vordergrund, sondern die Frage, ob bestimmte Deprivationsindikatoren zutreffen.

Infobox „Definition Deprivation“: Mindestlebensstandard in ÖsterreichIn Österreich 8 gilt ein Haushalt als depriviert, wenn er sich mindestens zwei der folgenden Ausgaben nicht leisten kann:- unerwartete Ausgaben zu tätigen,- Freunde zum Essen einzuladen, - jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine vergleichbare vegetarische Speise zu essen,- neue Kleider zu kaufen,- Zahlungen rechtzeitig zu begleichen,- die Wohnung angemessen warm zu halten- oder einen notwendigen Arztbesuch zu absolvieren.

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8 Die österreichischen Indikatoren unterscheiden sich geringfügig von jenen des Europäischen Eingliederungszieles.

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Grafik 1: Deprivation ist nicht gleich Armut, erzeugt aber dennoch Probleme

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depriviert und armutsgefährdet "nur" depriviert

Quelle: Till-Tenschert 2010, 194. Eigene Darstellung.Die Grafik stellt die Anteile der deprivierten Haushalte als Prozent an allen österreichischen Haushalten dar.

Insgesamt können also 20 Prozent der österreichischen Haushalte als zumindest phasenweise „finanziell depriviert“ bezeichnet werden, „nur“ sechs Prozent sind aber gleichzeitig auch armutsgefährdet.

Das größte Problem stellen „unerwartete Ausgaben“ dar: 29 Prozent aller Haushalte können sich diese nicht leisten. Acht Prozent der österreichischen Haushalte geben an, armutsgefährdet zu sein und sich unerwartete Ausgaben nicht leisten zu können.

Für sieben Prozent aller Haushalte ist laut dieser Erhebung das rechtzeitige Begleichen von Zahlungen ein Problem. Zwei Prozent der Haushalte sind sowohl armutsgefährdet als dass sie auch Schwierigkeiten beim rechtzeitigen Begleichen von Zahlungen haben.

Einkommensarmut in Zahlen 9

‣ Rund eine Million Menschen sind in Österreich armutsgefährdetDefinitionsgemäß waren in Österreich im Jahr 2008 (das ist das letzte vorliegende Erhebungsjahr) 12,4 Prozent der Bevölkerung bzw rund eine Million Menschen armutsgefährdet.

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9 Die Zahlen entstammen Till-Tenschert et al. 2010.

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Ein Einkommen von 11.406 Euro pro Person im Jahr stellt hier die Grenze zur Armutsgefährdung dar. Umgerechnet auf einen Monat entspricht das 951 Euro für einen Einpersonenhaushalt. Für jeden weiteren Erwachsenen im Haushalt werden 475 Euro, für jedes Kind 285 Euro hinzugerechnet (Statistik Austria, 2008).

‣ Besondere RisikogruppenDas Risiko armutsgefährdet zu sein ist ungleich verteilt in der Bevölkerung. Das größte Risiko der Armutsgefährdung findet sich in Haushalten mit Langzeitarbeitslosigkeit bzw wenn Sozialleistungen die hauptsächliche Einkommensquelle des Haushaltes sind. Hier betragen die Armutsgefährdungsquoten jeweils 43%.

AlleinerzieherInnenhaushalte, Haushalte mit Migrationshintergrund, Mehrkindfamilien und alleinstehende PensionistInnen haben ebenfalls mit jeweils über 20 Prozent besonders hohe Armutsrisiken.

‣ Working PoorDie wesentlichste Grundlage zur Armutsvermeidung ist die Erwerbsarbeit. Sie allein ist aber dennoch kein Garant dafür nicht arm zu sein. Working Poor ist auch in Österreich durchaus ein Problem. Wiederum gilt, dass unterschiedliche Gruppen unterschiedliches Risiko haben: Frauen sind armutsgefährdeter als Männer, vor allem aber sind Bildungsabschlüsse bzw. in weiterer Folge berufliche Stellung ausschlaggebend für das Armutsrisiko (siehe Grafik 2).

Grafik 2: Armutsgefährdungsquoten: Anteil der Personen (in Prozent), die in der jeweiligen Gruppe armutsgefährdet sind (2008)

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18

3 5

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Quelle: Till-Tenschert 2010, 180. Eigene Darstellung.

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‣ Dynamiken der ArmutsgefährdungEtwa fünf Prozent der Bevölkerung gelten als dauerhaft armutsgefährdet, in dem Sinn, dass sie im aktuellen Jahr (2008) und in mindestens zwei von drei vorhergehenden Jahren in einem armutsgefährdeten Haushalt leben.

Jüngere Menschen haben eine größere Wahrscheinlichkeit aus Armutsgefährdungen wieder herauszukommen. Ein Ausstiegsszenario durch Aufnahme einer neuen oder besser bezahlten Erwerbstätigkeit sowie Veränderungen der Haushaltszusammensetzungen ist in dieser Gruppe wahrscheinlicher (Till-Tenschert et al. 2010, 186).

Vermögen in einkommensschwachen Gruppen

‣ Können Einkommensschwache überhaupt Vermögen haben?Vermögen ist, bekanntermaßen, in allen OECD-Ländern sehr ungleich verteilt – im Durchschnitt besitzen die vermögendsten zehn Prozent der Bevölkerung weit über die Hälfte der Vermögen, das oberste Prozent zwischen zehn Prozent (Schweden und Italien) bis deutlich über 20 Prozent (USA). Die Frage nach Vermögen der einkommensschwachen Gruppen mutet daher fast zynisch an. Dennoch zeigt die Statistik, dass auch hier, wenn auch sehr geringe, Vermögenswerte vorhanden sind.

Fast alle österreichischen Haushalte besitzen zumindest ein wenig Geldvermögen – die Hälfte davon ein Geldvermögen von weniger als 24.000 Euro. Immerhin fast 60 Prozent der österreichischen Haushalte hat Immobilienvermögen, die Hälfte dieser Haushalte hatte im Jahr 2010 ein Immobilienvermögen von weniger als 218.000 Euro (Andreasch et al. 2010, 243).

‣ Statistische UngenauigkeitenZu all diesen Zahlen ist allerdings anzumerken: Die Statistik in Österreich lässt anders als in vielen anderen Ländern keine gesamthafte Darstellung zu – es können Geld- und Immobilienvermögen nur getrennt voneinander erfasst und analysiert werden. Ergänzende Informationen können Haushaltserhebungen liefern, die allerdings methodisch nicht ganz unstrittig sind (es sind sowohl Unter- als auch Überschätzungen möglich). Daher sollen auch die folgenden Daten, die den Analysen aus Sozialberichten und Österreichischer Nationalbank entnommen sind, der Darstellung von Relationen dienen, aber nicht als statistisch messgenau interpretiert werden.

‣ Die Hälfte aller einkommensschwachen Haushalte hat kein ImmobilienvermögenDie Österreichische Nationalbank hat 2008 in der Immobilienvermögenserhebung auch die Immobilienvermögen nach Einkommen erfasst (dargestellt in Andreasch 2010, 248ff): Als Haushalte mit niedrigem Einkommen wurden jene bezeichnet mit einem Medianeinkommen von 1.000 Euro. Auch in diesen Haushalten gibt es Immobilienvermögen, im Durchschnitt im Wert von 146.000 Euro. Der Median liegt allerdings bei 0, das heißt, die Hälfte dieser Haushalte

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hat jedenfalls kein Immobilienvermögen. Mietwohnungen sind die typische Wohnform in dieser Einkommensgruppen – fast zwei Drittel wohnen in Miete. 37 Prozent der Haushalte geben an, in ihren Wohnkosten eingeschränkt zu sein.

Auffallend: In Österreich gibt es, nicht überraschend, einen großen Unterschied zwischen Stadt und Land im Immobilienvermögen. So zeigen etwa Fessler et al (2009, 122), dass im untersten Einkommensviertel in Wien nur ca zehn Prozent der Haushalte Eigentum am Hauptwohnsitz halten, in den Bundesländern sind es hingegen über 45 Prozent!

‣ Selbst in armen Haushalten gibt es (wenig) GeldvermögenEtwas älter, aus dem Jahr 2006, sind die Umfragen der OeNB zur Geldvermögensverteilung. Auch hier gibt es in den unteren Einkommensschichten Geldvermögen – die Grafik stellt dies für die drei Einkommensgruppen unterhalb des Durchschnittseinkommens dar.

Grafik 3: Geldvermögen in einkommensschwachen Haushalten, 2006

6.912 3.775 4.477 2.942

16.082

8.753 8.480 6.550

43.385

23.341

28.662

16.049

0

5.000

10.000

15.000

20.000

25.000

30.000

35.000

40.000

45.000

Mittelwert Median Mittelwert Median

Bruttogeldvermögen Nettogeldvermögen

bis 749 Euro 750 bis 1.349 Euro 1.350 bis 2.249 Euro

Quelle: Beer et al. 2006, Tabelle 3. Eigene Darstellung.

Das mittlere Nettogeldvermögen in der untersten Einkommensgruppe beträgt fast 4.500 Euro, in der nächsten Gruppe (750 bis 1.349 Euro) 8.480 Euro. Da auch innerhalb dieser Einkommensgruppen die Vermögen ungleich verteilt sind, sind die zugehörigen Mediane deutlich geringer: In der untersten Einkommensgruppe haben die Hälfte aller Haushalte ein Nettogeldvermögen von weniger als 2.942 Euro.

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Das Bruttogeldvermögen in der untersten Einkommensgruppe beträgt im Mittel fast 7.000 Euro, in der nächsthöheren Gruppe 16.000 Euro. Dies sind Beträge, für die gute und sichere Veranlagungen bereits von hoher Relevanz sind.

‣ Mindestens ein Drittel des Bruttogeldvermögens sind KrediteEinem Teil dieses Bruttogeldvermögens stehen aber Kredite gegenüber – für Konsum und für Wohnkredite. Grafik 4 stellt diese Anteile in den drei betrachteten Einkommensgruppen einander gegenüber:

Grafik 4: Bruttogeldvermögen und Kredite, 2006

4%

31%

65%

Haushaltseinkommen bis 749 Euro: Bruttogeldvermögen � 6.912 Euro

Konsumkredit Wohnkredit Nettogeldvermögen

8%

39% 53%

Haushaltseinkommen 750-1.349 Euro: Bruttogeldvermögen � 16.082 Euro

Konsumkredit Wohnkredit Nettogeldvermögen

5%

29%

66%

Haushaltseinkommen 1.350-2.249 Euro: Bruttogeldvermögen � 43.385 Euro

Konsumkredit Wohnkredit Nettogeldvermögen

Quelle: Beer et al 2006, Tabelle 3. Eigene Berechnungen.

Auffallend: Während sowohl in der niedrigsten Einkommensgruppe als auch in jener nahe am Durchschnittseinkommen das Nettogeldvermögen zwei Drittel des Bruttogeldvermögens ausmacht, stehen in der Gruppe mit einem Haushaltseinkommen zwischen der absoluten Armutsgrenze und 1.349 Euro fast 40 Prozent des Bruttogeldvermögens Wohnkredite gegenüber und auch der Anteil der Konsumkredite ist in dieser Gruppe höher. Man könnte daraus schließen, dass diese Haushalte stärker als die anderen Gruppen nach einer Lebenseinkommenshypothese leben und davon ausgehen, dass ihre Einkommen in naher Zukunft ausreichend ansteigen werden um eine gegenwärtige höhere Verschuldung kompensieren zu können.

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‣ Auch die unteren Einkommensgruppen brauchen gute FinanzierungspartnerZusammenfassend: Nicht überraschenderweise sind die Vermögen in den unteren Einkommensgruppen nicht sehr hoch, sie sind auch innerhalb der Gruppen ungleich verteilt. Dennoch gibt es auch in diesen Gruppen nennenswerte Immobilien- und Geldvermögen, die eine gute Veranlagung bzw ein nachhaltiges Vertrauensverhältnis mit einem Finanzierungspartner notwendig erscheinen lassen.

Finanzielle Ausgrenzungsprobleme österreichischer Haushalte

Verschuldung und Überschuldung

‣ Verschuldung gehört zum KonsumentenverhaltenBei der hier verwendeten Definition von Verschuldung treffen juristische und sozialwissenschaftliche Auffassungen zusammen. Es besteht meist ein vertraglich geregeltes Rechtsgeschäft, das den Schuldner (Kreditnehmer) dazu verpflichtet, Kreditrückzahlungen an den Gläubiger (Kreditgeber) zurückzuzahlen.

Verschuldung ist bestimmt durch die Summe aller Geldforderungen gegen einen Schuldner. (Reifner, 1998, 30)

Verschuldet zu sein – formal oder durch informelle Familienkontakte – gehört zum normalen Konsumentenverhalten und ein gewisser Grad von Verschuldung ist für die Mehrheit der Haushalte unvermeidlich, insbesondere in den frühen Phasen ihres Lebenszyklus. (Korczak 2003, 13)

‣ Überschuldung heißt: problematische ZahlungsrückständeÜberschuldung hingegen weist auf einen Zustand hin, in dem der Schuldner Zahlungsschwierigkeiten hat. Dies ist der Fall, wenn nach Abzug der Lebenshaltungskosten keine Geldmittel mehr für die Rückzahlung zur Verfügung stehen. Von Überschuldung spricht man in der Literatur auch, wenn zur Schuldentilgung Einschränkungen in der Lebensführung gemacht werden müssen.

Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. (Insolvenzordnung, in Korczak 2003, 18)

Überschuldung ist die Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen, die zu einer ökonomischen und psychosozialen Destabilisierung von Schuldnern führt. Überschuldung bedeutet daher nicht allein, dass nach Abzug der fixen Lebenshaltungskosten der verbleibende Rest des monatlichen Einkommens für zu zahlende Raten nicht mehr ausreicht, sondern birgt massive soziale und psychische Konsequenzen in sich. (Korczak 2003, 21)

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Ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten

‣ Wer nicht ausreichend sozial und wirtschaftlich integriert ist, gerät auch rascher in finanzielle Schwierigkeiten

861.000 Personen in Österreich geben an, mindestens einmal in den vergangenen fünf Jahren ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten gehabt zu haben, das sind ca zehn Prozent der Bevölkerung. Nicht überraschend geben es signifikant mehr Personen mit niedrigem Einkommen an (19 Prozent).

Armutsgefährdung alleine erhöht allerdings noch nicht das Risiko in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten zu sein, Teilhabemangel (Deprivation) scheint hier ein wichtigerer Faktor zu sein: Nur elf Prozent jener Personen, die unter Einkommensmangel leiden, aber 28 Prozent der Personen mit „Teilhabemangel“ haben laut eigener Aussage „ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten“ 10 .

Grafik 5: Armut und Niedriges Einkommen und „Ernsthafte Finanzielle Schwierigkeiten“

0,0% 10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0% 70,0% 80,0%

Österreichischer Durchschnitt

hohes Einkommen

mittleres Einkommen

niedriges Einkommen

keine Armutslage

Einkommensmangel

Teilhabemangel

Manifeste Armut

Ernsthafte in letzten 5 Jahren Immer wieder kleinere Niemals finanzielle Schwierigkeiten

Quelle: EU-SILC Sondererhebung 2008. Eigene Darstellungen.

‣ Volle, unselbstständige Erwerbstätigkeit der beste Schutz vor finanziellen SchwierigkeitenVolle Erwerbstätigkeit schützt nicht völlig vor finanziellen Schwierigkeiten, diese Gruppe gibt jedoch am häufigsten an, niemals von finanziellen Schwierigkeiten bedroht zu sein. Auch ist die Intensität der finanziellen Schwierigkeiten geringer als bei der Gruppe der SozialleistungsempfängerInnen.

Erste Bank Unvermögen Seite 45

10 In der EU-SILC Erhebung werden folgende Begriffe verwendet:Einkommensmangel = Armutsgefährdung ohne feststellbare Merkmale finanzieller DeprivationTeilhabemangel = Finanzielle Deprivation ist feststellbar, keine ArmutsgefährdungManifeste Armut = Finanzielle Deprivation und Armutsgefährdung treten gemeinsam auf

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Selbstständige stehen auf Grund der Prekarität und Volatilität ihrer Einkommen deutlich öfter vor dem Problem finanzieller Schwierigkeiten und geben auch signifikant öfter als unselbstständig Erwerbstätige an, in den letzten fünf Jahren finanzielle Schwierigkeiten gehabt zu haben (andererseits geben gerade viele Selbstständige auch an, noch nie in finanziellen Schwierigkeiten gewesen zu sein – dies ist ein klarer Beleg für die Heterogenität dieser Gruppe: Sie reicht von ÄrztInnen und AnwältInnen bis hin zu SchmuckdesignerInnen und EnergetikerInnen).

Grafik 6: Finanzielle Schwierigkeiten und Erwerbsstatus nach EU-SILC 2008

0,0% 10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0% 70,0% 80,0%

Haushalte ohne Pension

Keine Erwerbstätigkeit

Teilweise Erwerbstätigkeit

Volle Erwerbstätigkeit

Unselbstständige Arbeit

Selbstständige Arbeit

Sozialleistungen

Ernsthafte in letzten 5 Jahren Immer wieder kleinere Niemals finanzielle Schwierigkeiten

Quelle: EU-SILC Sondererhebung 2008. Eigene Darstellungen.

‣ Finanzielle Schwierigkeiten werden offenbar auch nicht gerne zugegebenÜberraschenderweise geben im übrigen PensionistInnenhaushalte öfters als jüngere Befragte an, niemals finanzielle Schwierigkeiten zu haben. Dies mag auch dahingehend interpretiert werden, dass es sich bei EU-SILC eben um Eigenangaben der Betroffenen handelt und dass unter Umständen bei älteren Bevölkerungsgruppen eine höhere Schamgrenze besteht, finanzielle Schwierigkeiten zuzugeben.

‣ Wer bereits Schulden hat, kommt auch leichter in finanzielle Schwierigkeiten51 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind SchuldnerInnen. Obwohl Schulden also durchaus weit verbreitet sind, hat diese Gruppe eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit (15 Prozent) immer wieder kleinere oder ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten zu haben als der Durchschnitt.

‣ Bildungsmangel und Sprachbarrieren sind weitere RisikofaktorenAuffällig ist auch, dass die Wahrscheinlichkeit niemals finanzielle Schwierigkeiten zu haben mit dem Bildungsniveau steigt.

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Page 47: Unvermögen endversion

Personen mit Migrationshintergrund haben hingegen öfters finanzielle Schwierigkeiten, was nicht nur mit Sprachschwierigkeiten sondern auch mit Verständnisproblemen bei Finanzprodukten und unterschiedlicher Auffassung von Geldangelegenheiten im Allgemeinen zusammenhängen kann. (Studie zu Ethno-Banking in Österreich, FMVÖ 2011)

Schuldnerhaushalte in Österreich

‣ Häufigkeit von Schulden: Arme Haushalte haben seltener KrediteRund 46 Prozent der österreichischen Bevölkerung leben in Haushalten mit Kredit. Wer allerdings ein niedriges Einkommen oder bereits Einkommensmangel hat, hat dabei signifikant seltener einen Kredit (28 Prozent der Haushalte mit niedrigem Einkommen, 24 Prozent der armutsgefährdeten Haushalte) – wohl auch, weil dazu keine Möglichkeit besteht.

‣ Niedriges Einkommen führt zu KontoüberziehungPersonen, die ein niedriges Einkommen haben, überziehen signifikant öfter ihr Konto als der Durchschnitt (18 Prozent aller Haushalte haben überzogene Konten gegenüber 23 Prozent der Haushalte mit niedrigem Einkommen).Bei Personen, die richtiggehend einkommensarm sind, trifft das allerdings nicht (mehr) zu: Nur mehr 17 Prozent der Haushalte haben überzogene Konten. Dies dürfte ebenfalls an präventiven Vorkehrungen seitens der Bank liegen.

Grafik 7: Kredit bzw Kontoüberziehung nach Einkommens- und Armutslagen

0,0% 10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0% 70,0% 80,0%

Österreichischer Durchschnitt

hohes Einkommen

mittleres Einkommen

niedriges Einkommen

keine Armutslage

Einkommensmangel

Teilhabemangel

Manifeste Armut

mit Kontoüberziehung mit Kredit

Quelle EU-SILC Sondererhebung 2008. Eigene Darstellungen.

‣ Kredit und Kontoüberziehung: Unterschiedliche NutzungKredite sind weit verbreitet – wer einer sicheren, unselbstständigen Arbeit nachgeht, ist kreditwürdig und hat daher öfter einen Kredit als andere Gruppen (56 Prozent).

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Page 48: Unvermögen endversion

Das Konto hingegen wird von SozialleistungsbezieherInnen (mit 27 Prozent) häufiger überzogen als von Personen, deren Haupteinkommen aus der Erwerbsarbeit kommt. Wenn allerdings in einem Haushalt niemand einer Erwerbsarbeit nachgeht, so wird tendenziell das Konto seltener überzogen (14 Prozent der Haushalte haben überzogene Konten) – dies dürfte wiederum daran liegen, dass in diesem Fall kein Überziehungsrahmen mehr gewährt wird.

‣ Der Kredit als typisches Mittelschichts-FinanzierungsinstrumentIn Österreich leben 30 Prozent der Bevölkerung in Haushalten mit einem Eigenheimkredit. Diese Finanzierungsform ist vor allem für Familien mit Kindern eine wichtige Unterstützung bei der mittelfristigen Lebensplanung.Menschen mit niedrigem Bildungsstatus, mit Migrationshintergrund oder auch AlleinerzieherInnen haben hingegen weitaus seltener Kredite für Wohneigentum.

Kredite für Eigentums- oder Mietwohnungen sind auch bei Haushalten mit niedrigem Einkommen (12 Prozent) oder Einkommensarmut (13 Prozent) signifikant seltener.

Grafik 8: Kreditarten nach Einkommensquellen und Erwerbstätigkeit

0,0% 10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0% 70,0% 80,0%

Haushalte ohne Pension

Keine Erwerbstätigkeit

Teilweise Erwerbstätigkeit

Volle Erwerbstätigkeit

Unselbstständige Arbeit

Selbstständige Arbeit

Sozialleistungen

Konsumkredit Mietwohnung Eigentum

Quelle: EU-SILC Sondererhebung 2008. Eigene Darstellungen.

‣ Konsumkredite dienen dem Ausgleich von Einkommensschwankungen Grafik 8 zeigt auch die Inanspruchnahme von Konsumkrediten:

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Selbstständige nutzen mit 28 Prozent häufiger einen Konsumkredit als der Durchschnitt (22 Prozent) – dies dürfte wohl vor allem dem Ausgleich von Einkommensunregelmäßigkeiten und damit verbundenen Liquiditätsengpässen dienen.

Bei der Inanspruchnahme von Konsumkrediten gibt es in der Gruppe der niedrigen Einkommen keinen signifikanten Unterschied zum Durchschnitt. Wer allerdings in Einkommensarmut lebt, hat auch hier offenbar keinen Zugang mehr zu einem Konsumkredit und es sind daher die Take-Up-Quoten mit nur 10 Prozent signifikant niedriger als im Durchschnitt.

‣ Erwerbstätigkeit notwendig für KreditwürdigkeitDie teilweise Erwerbstätigkeit reicht aus um kreditwürdig zu sein: In allen drei Kreditkategorien gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen Haushalten ohne Erwerbstätigkeit und jenen mit Erwerbstätigkeit: So haben 22 resp 23 Prozent der Haushalte mit teilweise bzw voller Erwerbstätigkeit einen Konsumkredit, aber nur 11 Prozent der Haushalte ohne Erwerbstätige.

‣ Und wer hat Zahlungsrückstände...Ebenfalls erhoben wurde, welche Gruppen bei welchen Verbindlichkeiten Zahlungsrückstände haben. Wiederum zeigt sich das inverse Bild: Haushalte mit niedrigem Einkommen haben signifikant öfter Zahlungsrückstände bei Krediten als der österreichische Durchschnitt. Besonders auffällig ist dies bei den laufenden Wohnkosten und den sonstigen Rechnungen: Fünf Prozent der österreichischen Haushalte haben etwa Zahlungsrückstände bei den laufenden Wohnkosten, aber 14 Prozent der Haushalte mit niedrigem Einkommen haben hier Rückstände.

Haushalte wiederum, die bereits unter evidenter Einkommensarmut leiden, haben hingegen signifikant seltener Zahlungsrückstände: Nur ein Prozent in dieser Gruppe hat beispielsweise Rückstände bei den laufenden Wohnkosten. Dies dürfte mit einer strikteren Handhabung seitens der Banken zu tun haben.

‣ … und wie hoch sind diese?Wenngleich nicht eingebürgerte MigrantInnen mit 16 Prozent einen der höchsten Anteile von Haushalten mit Zahlungsrückständen aufweisen, so ist die Intensität ihrer Überschuldung geringer als für die anderen Gruppen.

Bei eingebürgerten MigrantInnen, bei AlleinerzieherInnen, bei Personen ohne Erwerbstätigkeit und bei allen einkommensschwachen und armen Gruppen betragen Rückstände hingegen in mehr als der Hälfte der Fälle mehr als 50 Prozent des laufenden Einkommens, in manchen Gruppen (insbesondere den einkommensschwachen) sind es bis zu 100 Prozent!!

‣ Kredite und Financial AccessDie Existenz oder Nicht-Existenz von Krediten sagt an und für sich noch nichts über die finanziellen Teilhabemöglichkeiten (financial access) des einzelnen Kreditnehmers aus.

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Die Tatsache aber, dass NiedrigeinkommensbezieherInnen und Personen, die in Armut leben, deutlich seltener Kredite haben, lässt sehr wohl Schlüsse auf die finanziellen Teilhabemöglichkeiten zu:

Ein Grund könnte nämlich sein, dass diese Personen wissen, dass die Verschuldung nicht rückzahlbar wäre. Sie „nutzen“ daher finanzielle Zugangsmöglichkeiten von vornherein weniger.Ein anderer Grund könnte aber sein, dass ihnen aufgrund ihrer Einkommens- und/oder sozialen Situation kein Kredit gewährt wird, sie daher keinen Zugang zu konventionellen Kreditinstrumenten haben.

Wohin bei finanziellen Schwierigkeiten?

‣ Mehr als ein Drittel gehen bei finanziellen Schwierigkeiten zu ihrer BankDie Hauptanlaufstellen bei finanziellen Schwierigkeiten sind der Freundes- bzw. Verwandtenkreis, die Bank oder eine Beratungsstelle. Insgesamt haben 36 Prozent derjenigen Personen, die überhaupt irgendeine Hilfe in Anspruch genommen haben, Hilfe bei der Bank gesucht.

‣ Kundennähe erhöht die Bereitschaft bei Schwierigkeiten zur Bank zu gehenDie Bereitschaft dazu ist in Wien einerseits (wo es sehr viele Bankfilialen gibt) und in weniger dicht besiedelten Gebieten andererseits (wo es meist ein großes Vertrauensverhältnis zur/m örtlichen BankberaterIn gibt) größer als in Regionen mit mittlerer Bevölkerungsdichte. Dies ist ein Argument für die Vertrauensbasis des so genannten proximity bankings (also der Bereitstellung kundennaher speziell abgestimmter Finanzprodukte verbunden mit zusätzlicher Beratung und sozialer Verantwortung).

‣ Beratungsstellen sind vor allem im städtischen Raum von RelevanzBeratungsstellen werden vor allem in Wien und dicht besiedelten Gebieten aufgesucht, was sicherlich auch mit der Existenz solcher Einrichtungen zu tun hat – schließlich befinden sich die insgesamt 27 Stellen der Schuldnerberatungen in den Bundesländern nur in größeren Städten.

‣ Für NiedrigeinkommensbezieherInnen ist die Bank offenbar nicht die erste Ansprechpartnerin

Wer ein niedriges Einkommen hat, sucht sich deutlich öfter Hilfe im Freundes- und Familienkreis bzw geht auch deutlich öfter zu einer Beratungsstelle. Die Bank hingegen ist nicht die erste Ansprechpartnerin (im Gegenteil: die Anteile liegen mit 32 Prozent, wenn auch nicht signifikant, unter dem Durchschnitt). Ebenso wenig suchen Personen mit Einkommensarmut die Bank auf um bei finanziellen Schwierigkeiten eine Vereinbarung zu suchen.Allerdings gehen diese Personen auch sehr wenig zu Beratungsstellen.Wer hingegen „nur“ unter Teilhabemangel, nicht aber unter Geldarmut leidet, geht signifikant häufiger zu einer Bank und zu Beratungsstellen, nimmt aber auch Hilfe im Freundeskreis in Anspruch.

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Grafik 9: Bei wem wird Hilfe gesucht ? - nach Einkommens- und Armutslagen

0,0% 10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0% 70,0% 80,0%

Österreichischer Durchschnitt

hohes Einkommen

mittleres Einkommen

niedriges Einkommen

keine Armutslage

Einkommensmangel

Teilhabemangel

Manifeste Armut

Beratungsstelle Vereinbarung mit Bank Freundes-/Verwandtenkreis

Quelle: EU-SILC Sondererhebung 2008. Eigene Darstellungen.

‣ Bankkunden kommen wiederAllerdings: 62 Prozent jener Personen, die sich schon einmal Hilfe bei finanziellen Schwierigkeiten geholt haben, sind SchuldnerInnen. Diese Gruppe sucht signifikant öfter eine Bank auf als der Durchschnitt.Dies könnte damit zusammenhängen, dass aufgrund des Kreditverhältnisses bereits ein Ansprechpartner zur Verfügung steht und ein Vertrauensverhältnis existiert.

Financial Exclusion – Unvermögen an finanzieller Teilhabe

‣ Das Fehlen einer Kreditkarte ist kein Indiz für mangelnde finanzielle Teilhabe ...Die EU-SILC Erhebung fragte das Vorhandensein von Basis-Finanzdienstleistungen ab: Haben die Befragten ein Konto, eine Kreditkarte oder eine Haushaltsversicherung?

Fast die Hälfte der Befragten gibt an keine Kreditkarte zu besitzen. Hier kann man also nicht von „finanzieller Ausgrenzung“ sprechen, obwohl NiedrigeinkommensbezieherInnen deutlich öfter angeben, keine Kreditkarte zu haben – offenbar gibt es abgesehen von sozioökonomischen Gründen noch mehr Motive, die gegen den Erwerb einer Kreditkarte sprechen.

‣ … das Fehlen von Konto oder Haushaltsversicherung aber sehr wohlFinanzielle Ausgrenzung lässt sich aber sowohl an der Frage des Kontos als auch der Haushaltsversicherung festmachen: Personen mit niedrigem Einkommen bzw die unter

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Einkommensarmut leiden, haben signifikant weniger Zugang zu diesen Basis-Finanzdienstleistungen als der österreichische Durchschnitt.

150.000 Personen bzw zwei Prozent der Bevölkerung leben in Haushalten ohne Konto. Am häufigsten ist dies bei PensionistInnenhaushalten der Fall. Aber auch Personen mit niedrigem Einkommen bzw die in manifester Armut leben, haben einen geringeren Zugang zu einem Konto.

Auch die Existenz einer Haushaltsversicherung ist klar einkommensabhängig. Sechs Prozent aller österreichischen Haushalte aber 21 Prozent der Haushalte mit niedrigem Einkommen haben keine Haushaltsversicherung. Ebenso „unter“versichert sind weiters tendenziell jüngere Personen (sieben Prozent), Haushalte mit Migrationshintergrund (21 Prozent) und AlleinerzieherInnen (13 Prozent).

Die Frage, ob jemand als Haupterwerbsquelle ein Einkommen oder Sozialleistungen bezieht, ist dabei ein signifikanter Hinweis für die Frage der finanziellen Ausgrenzung. Bereits eine teilweise Erwerbstätigkeit führt zu einem verbesserten Zugang zu Finanzdienstleistungen.

Grafik 10: Zugang zu Finanzdienstleistungen- nach Haupteinkommensquellen und Erwerbstätigkeit in Österreich

0,0% 10,0% 20,0% 30,0% 40,0% 50,0% 60,0% 70,0% 80,0%

Österreichischer Durchschnitt

hohes Einkommen

mittleres Einkommen

niedriges Einkommen

keine Armutslage

Einkommensmangel

Teilhabemangel

Manifeste Armut

Keine Kreditkarte Keine Haushaltsversicherung Kein Konto

Quelle: EU-SILC Sondererhebung 2008. Eigene Darstellungen.

‣ Finanzzugang wird in Österreich tendenziell schwieriger eingeschätzt als im EU-Vergleich ...

In einer Eurobarometer-Umfrage im Sommer 2010 (Europäische Kommission 2010a) wurde im Zusammenhang mit Armut und sozialer Ausgrenzung nach dem Zugang zu verschiedenen Finanzdienstleistungen gefragt:

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48 Prozent der österreichischen Befragten halten es für schwierig, eine Hypothek aufnehmen zu können, was in etwa dem EU-Durchschnitt (47 Prozent) entspricht.

Deutlich größere Unterschiede gibt es beim Zugang zu einem Kleinkredit: In Österreich halten 41 Prozent den Zugang für schwierig, im EU-Schnitt sind es nur 34 Prozent. Den besten Wert mit nur 12 Prozent hat hier Schweden.

Auf die Frage „Halten Sie es für schwierig eine Bank-Karte/Zahlungskarte zu bekommen“ antworten 23 Prozent der Befragten in Österreich mit „ja“, das sind um fünf Prozentpunkte mehr als im EU Durchschnitt. Auch die Möglichkeit des prinzipiellen Zugangs zu einem Bankkonto wird in Österreich von 23 Prozent als schwierig eingeschätzt, was sich deutlich vom EU-Mittelwert von 15 Prozent unterscheidet.

‣ … dabei wünschen sich mehr einen einfacheren ZugangGleichzeitig wurde auch im Eurobarometer 2010 abgefragt, wie wichtig der Zugang zu Finanzdienstleistungen eingeschätzt wird.Ein Konto bei einer Bank gehört für 14 Prozent aller EU-BürgerInnen zum akzeptablen Mindestlebensstandard, aber 26 Prozent aller ÖsterreicherInnen finden, dass eine Person / eine Familie sich die Kontoführung jedenfalls leisten können muss.

Die Idee zinsenloser Kredite für Arme wird EU-weit zu 56 Prozent unterstützt, in Österreich zu 67 Prozent. Dass Arbeitslose, die sich selbstständig machen wollen, ein Darlehen gewährt werden soll, wird zwar mehrheitlich befürwortet, der Zustimmungsgrad ist in Österreich aber geringer als im EU-Schnitt (65 Prozent in Österreich, 77 Prozent EU-weit).Sollten sich Bankinstitute verpflichten, jeder Person die Eröffnung eines einfachen Bankkontos zu ermöglichen? 79 Prozent der EU-BürgerInnen antworten hierauf mit ja, in Österreich sogar 87 Prozent.

‣ Handlungsbedarf gegeben ...Diese Darstellungen belegen alle, dass es in Österreich Defizite beim finanziellen Zugang gibt: Einkommensschwächere, prekärere Haushalte haben tatsächlich seltener Zugang zu Finanzdienstleistungen und dieses Faktum ist auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Die öffentliche Meinung ist aber im überwiegenden Ausmaß dafür, dass Basisleistungen zum Mindeststandard gehören und dass sie entsprechend zu ermöglichen sind.

‣ … und Kosten werden auch eingespartMenschen ohne Bankzugang haben erhöhte Kosten bei den Überweisungen wichtiger Zahlungen, wie Miete, Strom und ähnlichem. Jeder österreichische Haushalt macht im Jahr durchschnittlich 32 Zahlungstransfers. Wer kein Konto hat, muss diese Überweisungen jeweils extra zahlen – je nach Bank können diese Kosten pro Überweisung bis zu fünf Euro ausmachen.

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Auch Sozialleistungen werden zunehmend häufiger auf das Konto überwiesen statt bar ausgezahlt. Auch hierfür ist ein flächendeckendes Angebot notwendig, wie bereits in Kapitel 2 ausführlich dargestellt wurde.

Best Practices in Österreich im Bereich des Social Bankings

Die „Zweite Sparkasse“ für Menschen mit FinanzproblemenIm Jahr 2006 gründeten die Erste Bank & Sparkassen die „Zweite Sparkasse“ um ausgegrenzten Personen den Zugang zu Finanzdienstleistungen zu ermöglichen.

Die Zweite Sparkasse arbeitet mit sozialen Einrichtungen, wie der Caritas, und Beratungsorganisationen, wie der Schuldnerberatung, zusammen. Ziel ist die Schaffung einer finanziellen Basis für die Wiedereingliederung ihrer KundInnen in das reguläre Gesellschafts- und Geschäftsleben, die Stärkung ihrer Eigenverantwortlichkeit, die Bildung von Vertrauen in Banken und Sicherheit im Umgang mit Geld.

Bekommt also jemand bei einer Bank kein „normales“ Konto, sei es wegen zu hoher Schulden oder zu geringem Einkommen, steht ein Basiskonto der „Zweiten Sparkasse“ zur Verfügung. Das Angebot umfasst zusätzlich ein Sparkonto, eine Rechtsberatung, eine Unfallversicherung sowie eine Haushaltsversicherung.

Das Bankkonto ist für drei Jahre eingerichtet und ist kostenfrei, wobei ein kleiner Betrag vierteljährlich abgezogen, aber beiseite gelegt und als Sparguthaben nach drei Jahren ausbezahlt wird. Danach soll der/die Kunde/in finanziell soweit wieder alles geregelt haben, dass auf ein normales Konto umgestiegen werden kann. Bearbeitungsgebühren und sonstiger finanzieller Aufwand können dadurch gering gehalten werden, dass die Zweite Sparkasse mit freiwilligen MitarbeiterInnen arbeitet und die Erste Stiftung dieses Projekt unterstützt.

Die Zweite Sparkasse besteht nun seit fünf Jahren und kann auf erfolgreiche Zahlen verweisen: Aktuell betreut die Bank ca. 7.500 KundInnen mit Hilfe von ehrenamtlicher Mitarbeit von 430 Bankangestellten. 23 soziale Einrichtungen stehen den KundInnen und der Bank als Partner zur Seite.

Etwa 200 KundInnen konnten bereits auf ein „normales“ Konto wechseln, was belegt, dass das Ziel der Hilfe zur Selbsthilfe tatsächlich umsetzbar ist (siehe auch Wiener Zeitung 4. Oktober 2011).

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Das Neue Chance KontoDas Neue Chance Konto der Bawag PSK wurde im April 2009 als Mittel gegen soziale Ausgrenzung und Antidiskriminierungsmaßnahme eingeführt. Es kann in allen Postfilialen in Österreich, unter Vorlage eines Ausweises, beantragt werden und steht allen Personen zur Verfügung, die keinen Zugang zu einem anderen Konto haben. Das Guthabenkonto verfügt über keine Bankomat- oder Kreditkarten, auch um neuerlicher Überschuldung vorzubeugen. Funktionen wie Daueraufträge und e-banking stehen allerdings zur Verfügung. Für die Kontoführung wird eine Gebühr von 13,50 Euro pro Quartal eingehoben. Bemerkenswert: Um Stigmatisierung zu vermeiden haben diese Basiskonten dieselbe Bankleitzahl wie die „normalen“ Konten. 7.700 Personen in Österreich haben bis Ende 2010 ein derartiges Konto in Anspruch genommen.

Mikrokredite- (Un) Vermögen an Zukunftschancen

‣ Der Zugang zum Kreditmarkt als ErfolgschanceLaut Informationen des BMASK von Dezember 2011 erfolgen 18 Prozent der Unternehmensgründungen in Österreich aus der Arbeitslosigkeit und nur sechs Prozent davon sind nach fünf Jahren wieder von Arbeitslosigkeit betroffen. Eine Studie des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft 2006 hat zudem gezeigt, dass jede Gründung, die aus der Arbeitslosigkeit erfolgt, nach fünf Jahren bereits durchschnittlich 1,26 Vollzeitarbeitsplätze geschaffen hat.Die Förderung solcher Existenzgründungen wird daher als nachhaltig erfolgreiches Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik eingeschätzt.

‣ Sozialkredite Abgesehen von der Unterstützung bei der Unternehmensgründung gibt es auch vereinzelt Förderungen von Ausgaben für zB Weiterbildung und notwendige Anschaffungen, wie einem Auto um die Arbeit zu erreichen (siehe die entsprechenden Infoboxen weiter unten). Diese Förderungen decken meist aber nicht den Gesamtbetrag und so scheitert das Vorhaben oft an fehlenden eigenen finanziellen Mitteln. Hier kann die Hausbank mit bedarfsorientierten Angeboten einspringen. Diese Notwendigkeit der Kooperation zwischen Banken und anderen Organisationen wird auch von EMN betont:

In order for microfinance activity to expand, it is important that the partnership between non-banking organizations and banks be reinforced, and that the former are themselves able to grant microloans through borrowing from other financial institutions. (EMN 2011)

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‣ Banken als erfahrene KreditgeberKreditinstitute bzw Kreditvermittler haben gerade im Bereich des Social Bankings eine hohe Verantwortung gegenüber den in Not geratenen KreditnehmerInnen. Die Arbeiterkammer hat private Kreditvermittler getestet mit dem Ergebnis: Hohe Bearbeitungskosten, unseriöse Werbung, Intransparenz und sogar Rechtswidrigkeiten werden kritisiert. Deshalb rät die Arbeiterkammer, bei finanziellen Schwierigkeiten oder einem Kreditbedarf unbedingt die Hausbank bzw ein anderes seriöses Geldinstitut zu Rate zu ziehen.

‣ Faire Kredite – niedriges RisikoDie gemeinsame Verantwortlichkeit der KonsumentInnen und FinanzdienstleisterInnen sowie der nationalen Gesetzgebung sollte, laut Schuldnerberatung (ASB Schuldnerberatungen 2007b), durch die Einführung von gesetzlichen Regelungen auf nationaler Ebene gestärkt werden, die Standards, Normen und Kosten für die verantwortungsvolle Gewährung von Krediten festsetzen. Bislang gelten das Konsumentenschutzgesetz und die Vertragsbestimmungen der Bank als Basis für Kreditgeschäfte.

Neue Registrierungssysteme, die nicht nur das Interesse der Finanzdienstleister bedienen und die positive Registrierung von Gläubigern sowie ein Ranking der FinanzdienstleisterInnen enthalten, sind einzuführen um bestmögliche Transparenz zu gewährleisten.

Best Practices in Österreich im Bereich Mikrokredite

Mikrokredite für GründerInnenDas Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz startete 2010 ein Pilotprojekt, bei dem unter anderem beschäftigungslose oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Personen einen Mikrokredit erhalten um bei ihren Unternehmensgründungen unterstützt zu werden. Wenn eine „normale“ Kreditaufnahme bei der Bank aus Liquiditätsgründen nicht möglich ist, können Kleinkredite des BMASK weiterhelfen, die Geschäftsidee zu realisieren. Bei dem Programm wird auf die enge Zusammenarbeit mit anderen Akteuren großen Wert gelegt: Das AMS hat eine vermittelnde Aufgabe, die ÖSB Consulting GmbH berät die KundInnen bei der Erstellung eines Businessplans und die aws – Austria Wirtschaftsservice GmbH ist für die Kreditabwicklung zuständig. CARE Österreich betreut vor allem KreditnehmerInnen mit Migrationshintergrund.

Als „Zweite Chance“-Gründung steht diese Finanzierungsmöglichkeit Personen zur Verfügung, die von Armut betroffen oder bedroht sind. Auch bereits unternehmerisch tätige Personen können diese Kreditform zur Existenzsicherung in schwierigen wirtschaftlichen Situationen nutzen. Das Mikrofinanzierungsprojekt verfolgt also den Ansatz, durch frisches Kapital die Chancen für Menschen zu steigern sich als Unternehmer zu etablieren um so mittelfristig mehr Arbeitsplätze zu schaffen.

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Das Programm war zunächst auf Wien und die Steiermark begrenzt. Mit dem Projektpartner ERSTE Bank wurde eine Erweiterung zunächst auf Niederösterreich und das Burgenland möglich und seit Mai 2011 schließlich auf ganz Österreich.

Der Kredit läuft maximal fünf Jahre und ist auf Wunsch das erste halbe Jahr tilgungsfrei. Es fallen keine Bearbeitungsgebühren an und der Fixzinssatz ist die gesamte Laufzeit garantiert. Die Kreditbedingungen sind demnach einfach und transparent und die KreditnehmerInnen gut informiert.Die Beratung besteht kostenlos auch nach der Kreditvergabe weiter zur Verfügung.Die Wichtigkeit einer begleitenden Beratung in die und in der Selbstständigkeit wird auch von Schuldnerberatung (ASB Schuldnerberatungen 2007b) betont: Selbstständigkeit birgt einfach ein großes Überschuldungsrisiko, das es zu vermeiden gilt. Das Programm wird aus Fördermitteln der EU, dem Fonds für Mikrokredite, unterstützt.

Seit Projektstart 2010 wurden bis Ende November 2011 seitens des BMASK rund 1,2 Millionen Euro für 105 Mikrokredite aufgewendet. Die Erste Bank hat weitere 29 Mikrokredite zu den gleichen Konditionen, aber zu eigenen Lasten vergeben.Die durchschnittliche Kredithöhe beträgt 11.500 Euro bzw im Median 12.500 Euro.

Die Statistik zeigt ein hohes Interesse an diesem Programm: Fast 4.000 Anfragen langten diesbezüglich beim BMASK bislang ein.Von den genehmigten Krediten wurden 44 Prozent an Frauen vergeben, stärkst vertretene Altersgruppe sind mit 40 Prozent die 30 bis 39jährigen. Im Branchenvergleich ist vor allem der handel sehr stark vertreten, mit großem Abstand folgen Gastronomie sowie „Technik, EDV und neue Medien“.

Die Beschäftigungswirkung selbst ist noch nicht evaluiert. Da aber rund drei Viertel der MikrokreditnehmerInnen sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig machen, können eingespartes Arbeitslosengeld sowie Darlehens- und Zinsrückzahlungen gegengerechnet werden, um die Nettoförderaufwendungen zu errechnen: Diese belaufen sich auf 650.000 Euro – also fast die Hälfte des Kreditvolumens finanziert sich bereits im Erstrundeneffekt selbst, wobei sich diese Relation mit längerer Laufzeit und damit vermehrten Rückflüssen in den kommenden Jahren noch deutlich verbessern wird.

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Weiterbildungsdarlehen der BausparkasseDie Finanzierung einer Aus- oder Weiterbildung kann oft eine große Hürde bedeuten, ist aber für die berufliche Zukunft grundlegend. Die Investition in die eigenen Fähigkeiten und Leistungsbereitschaft unterstützt die Bausparkasse, die mit günstigen Konditionen und maßgeschneiderten Produkten weiterhilft. In Kombination mit möglichen Förderungen und der Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen werden Angebote optimal genutzt.

Wichtig für die DarlehensnehmerInnen sind: ein einfacher Zugang,eine umfassende Beratung, absolute Kostentransparenz und bedürfnisgerechte Angebote.

Die Erste Bank arbeitet mit dem Niederösterreichischen Hilfswerk bei der Ausbildung von PflegerInnen zusammen. Die Ausbildungskosten von ca 1500 Euro können mit einem Darlehen aufgebracht werden. Fehlende Eigenmittel sind so kein Hindernisgrund um sich beruflich weiterzubilden. Gesamtwirtschaftlich gesehen ist diese Unterstützung doppelt sinnvoll, da nicht nur einzelne durch ein neues berufliches Standbein profitieren, sondern auch weil damit dem immer größer werdenden Pflegebedarf entgegengesteuert wird.

Financial Literacy- (Un) Vermögen an Wissen

Wie gut sind die ÖsterreicherInnen finanziell gebildet?

‣ Unterschiedliche Aspekte der FinanzkompetenzFinancial literacy, also das Wissen und Verstehen von Finanzthemen, ist die Basis für financial capability, der Fähigkeit sich in Geldangelegenheiten praktisch und umsichtig zu verhalten. Diese Finanzkompetenz kann in vier Bereiche gegliedert werden: Umgang mit Geld, Zukunftsplanung, Entscheidungsverhalten, und die Inanspruchnahme von Beratung und Information.

‣ Neun von zehn ÖsterreicherInnen wissen über ihre eigene Finanzsituation BescheidDie Österreichische Nationalbank hat die Finanzkompetenz der ÖsterreicherInnen im Jahr 2004 durch GfK-Austria untersuchen lassen. Dabei gaben 90 Prozent der Befragten an, immer über ihre finanzielle Situation informiert zu sein. Die Gruppe der 18- bis 29jährigen hat hier einen leicht geringeren Wert als ältere Personen.Von Bildungsstand und Einkommenshöhe ist die Frage nach dem Wissen über die eigene Finanzsituation hingegen nicht abhängig. So geben 90 Prozent der Personen mit maximal einen Pflichtschulabschluss, sowie derer mit akademischen Abschluss an, immer über ihre finanzielle Situation Bescheid zu wissen. Vergleicht man die Einkommensklassen, so sinkt der Wert bei den Einkommen von 3.000 Euro und mehr, wo anscheinend das „Nichtwissen leistbar wird“.

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‣ Aber bei nur etwa der Hälfte der ÖsterreicherInnen gutes WirtschaftsbasiswissenDie Erste Bank und Sparkassen hat im September 2011 das Wirtschaftsbasiswissen der ÖsterreicherInnen abgefragt: Begriffe wie Inflation und Zinsen können von der Mehrheit der ÖsterreicherInnen richtig erklärt werden, ATX oder Bruttoinlandsprodukt können hingegen nur 40 bzw 45 Prozent der ÖsterreicherInnen erklären.Besonders auffallend und bedenklich: Alle Werte sind bei den Jungen (15- bis 29jährigen) deutlich niedriger als im Durchschnitt. Dementsprechend finden auch 40 Prozent der Befragten, dass Kinder und Jugendliche zu wenig zu dem Thema lernen.

‣ Generell fühlt sich ein Drittel gut informiert, aber 36 Prozent hätten gerne mehr WissenIn einer GfK-Umfrage im Juni 2011 gaben 32 Prozent der ÖsterreicherInnen an, generell gut in Finanzangelegenheiten informiert zu sein. Von den einzelnen Themen her meinten noch am meisten der Befragten (46 Prozent) über Sparen und Anlageformen gut informiert zu sein, während nur 28 Prozent sagten, in Sachen „Finanzieller Vorsorge“ gut informiert zu sein.36 Prozent gaben an, dass sie gerne mehr Information und Wissen hätten.

73 Prozent sagen, dass aus ihrer Sicht vor allem Banken und Finanzinstitute für die Vermittlung von Finanzwissen zuständig wären.

‣ Hausbank ist erste Ansprechpartnerin für FinanzwissenLaut der GfK-Umfrage ist für 58 Prozent die erste Anlaufstelle für Beratung und Information der Bankberater, 50 Prozent sagen, sie informieren sich als erstes im Freundes- und Familienkreis. 40 Prozent informieren sich über die Medien und 38 Prozent über das Internet.Auffallend: Im Jahr 2004 hatte 69 Prozent der Befragten angegeben, sich über die Hausbank zu informieren und ein knappes Drittel suchten Information im Freundes- und Bekanntenkreis.Wenngleich es sich um verschiedene und daher nicht ganz vergleichbare Umfragen handelt, könnte dies ein Hinweis auf einen Vertrauensverlust gegenüber den Banken sein.

Best Practices in Österreich zur Steigerung der Finanzkompetenz

„Sparefroh TV“ der Erste Bank und SparkassenDas Programm „Sparefroh TV“ adressiert das Problem, das insbesondere Kinder und Jugendliche eine sehr mangelhafte finanzielle Allgemeinbildung aufweisen.Es handelt sich dabei um ergänzendes Unterrichtsmaterial für die Schulen. Das Projekt wird auch seitens des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur unterstützt: Sparefroh, eine Figur, die seit den 1950er Jahren bekannt ist, erklärt Kindern in Lernepisoden den richtigen Umgang mit Geld. Die Lerninhalte sind dementsprechend kindgerecht aufgearbeitet und der Einsatz neuer Medien unterstützt zusätzlich die Wissensvermittlung.Die frühzeitige Beschäftigung mit Finanzthemen soll die Scheu davor nehmen und beim Erlernen eines verantwortungsvollen Umgangs mit Geld helfen.

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Ausbildung zum Finanz-Scout (Peer-Education)Die Schuldnerberatung Niederösterreich leitet dieses Projekt, das für Kleingruppen in einem Kurs von 12-16 Stunden gedacht ist. Die Gruppen sind dabei jeweils nach Alter bzw Interessenlagen möglichst homogen zusammengesetzt.Das Ausbildungsprogramm, das mehrere Themen wie Konsum aus psychologischer Sicht, Handykosten, Bankwesen und Autofinanzierung umfasst, soll zunächst die eigene Finanzkompetenz verbessern. Auch die Vor- und Nachteile von Finanzierung durch Leasing oder die Vorbereitung auf Kreditverhandlungen mit einer Bank werden besprochen.Nach der Finanz-Scout Ausbildung sollen die TeilnehmerInnen ihr erlerntes Fachwissen an Gleichaltrige bzw Gleichinteressierte weitergeben. Die Planung entsprechender Veranstaltungen und Projekte gehört ebenfalls zur Ausbildung. Das Programm ist ein wichtiger Beitrag zur Enttabuisierung der Themen Geld und Schulden.

Finanz- und Risikomanagement an den HandelsakademienDie Wirtschaftskammern der Bundesländer haben gemeinsam mit Kooperationspartnern aus dem Banken- und Versicherungswesen an den Handelsakademien die Initiative FiRi (Finanz- und Risikomanagement) gesetzt:In den 3., 4. und 5. Klassen der Handelsakademien wird mittels Seminaren, Praxisbeispielen und Referaten den Schülern und Schülerinnen praktisches Wissen aus dem Banken- und Versicherungsbereich nahegebracht.

Dies soll einerseits die Chancen der jungen Absolventinnen und Absolventen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen und sie auf Karrieren im Finanzwesen vorbereiten, soll aber gleichzeitig für alle das Grundwissen über Finanzmarkt-Zusammenhänge verbessern.

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