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Praktikum und Ausbildung für Flüchtlinge Die Wirtschaft ist bereit, Flüchtlinge als Mitarbeiter in ihre Betriebe zu integrieren. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) für die Pfalz. Fast 60 Prozent der rund 1.500 Unternehmen gaben an, Flüchtlinge beschäftigen zu wollen – und zwar als Hilfs- und Fachkräfte, aber auch als Auszubildende. Damit kommen neue Aufgaben auf die Ausbilder, Ausbildungsbeauftragte und Personal- verantwortlichen zu. Speziell für sie bot der Arbeitgeberverband Chemie Rheinland-Pfalz das Seminar „Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten in Praktikum und Ausbildung” an. Als Referent konnte ein Ausbildungsverantwortlicher gewonnen werden, der Erfahrung in interkultureller Kommunikation mitbrachte. Auch ein Kommunikationsexperte war vor Ort und erklärte, wie Lernen funktioniert und wie man trotz Sprachbarrieren Wissen vermitteln kann. Eine Einführung in die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Einstellung von Migranten gab ein Referent des BAVC. Natürlich bot das Seminar des AGV Chemie wieder Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch und Berichte aus der Praxis. Stefanie Lenze | Chemieverbände Rheinland-Pfalz Viele Unternehmen wollen loslegen und Flüchtlingen eine Chance geben. INHALT Echte Erfahrungen Ein Flüchtling in Ausbildung berichtet Neues Lehren und Lernen Wie man Inhalte und Regeln am besten vermittelt Rechtliche Rahmenbedingungen bei der Einstellung von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Migranten Weiterführende Informationen festgehalten Die Veranstaltungen der Chemieverbände Rheinland-Pfalz 08 | 2016

Praktikum und Ausbildung für Flüchtlinge

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Page 1: Praktikum und Ausbildung für Flüchtlinge

Praktikum und Ausbildung für FlüchtlingeDie Wirtschaft ist bereit, Flüchtlinge als Mitarbeiter in ihre Betriebe zu integrieren. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) für die Pfalz. Fast 60 Prozent der rund 1.500 Unternehmen gaben an, Flüchtlinge beschäftigen zu wollen – und zwar als Hilfs- und Fachkräfte, aber auch als Auszubildende.

Damit kommen neue Aufgaben auf die Ausbilder, Ausbildungsbeauftragte und Personal-verantwortlichen zu. Speziell für sie bot der Arbeitgeberverband Chemie Rheinland-Pfalz das Seminar „Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten in Praktikum und Ausbildung” an.

Als Referent konnte ein Ausbildungsverantwortlicher gewonnen werden, der Erfahrung in interkultureller Kommunikation mitbrachte. Auch ein Kommunikationsexperte war vor Ort und erklärte, wie Lernen funktioniert und wie man trotz Sprachbarrieren Wissen vermitteln kann. Eine Einführung in die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Einstellung von Migranten gab ein Referent des BAVC. Natürlich bot das Seminar des AGV Chemie wieder Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch und Berichte aus der Praxis.

Stefanie Lenze | Chemieverbände Rheinland-Pfalz

Viele Unternehmen wollen loslegen und Flüchtlingen eine Chance geben.

INHALTEchte Erfahrungen Ein Flüchtling in Ausbildung berichtet

Neues Lehren und Lernen Wie man Inhalte und Regeln am besten vermittelt

Rechtliche Rahmenbedingungen bei der Einstellung von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Migranten

Weiterführende Informationen

festgehaltenDie Veranstaltungen der Chemieverbände Rheinland-Pfalz

08 | 2016

Page 2: Praktikum und Ausbildung für Flüchtlinge

Echte ErfahrungenEin Flüchtling in Ausbildung berichtet

Matin ist seit einem Jahr in Ausbildung als Industriemechaniker bei Miche-lin in Bad Kreuznach. Auf dem Seminar berichtete er von seinen Erfah-rungen, die er seit seiner Ankunft vor vier Jahren gemacht hat, und von sei-nem nicht immer einfachen Weg in die Ausbildung. Angefangen beim Be-such der Schule, die er die ersten vier Monate ohne Erlaubnis besuchte, bis der Schulleiter ihn einschrieb – die ganze Zeit motiviert und unterstützt von seiner Betreuerin. Sie war es auch, die Matin bei der Bewerbung bei Miche-lin unterstützte. Dort fiel er durch seine offene Art und seinen Lernwillen Reiner Scheidt auf, dem Leiter der technischen Ausbildung. Nach einem Praktikum bei Michelin und dem Hauptschulabschluss konnte Matin am Start-Plus-Programm bei Michelin teilnehmen – und im Anschluss daran seine Ausbildung beginnen. Seine größte Herausforderung bleibt die Sprache. Auch die Regeln der Höflichkeit sind für ihn nicht immer zu durch-schauen – wie spricht man Menschen richtig an? Wie regelt man Fehler oder Kritik? Reiner Scheidt ist zuversichtlich, dass Matin die Probleme meis-tert: „Er bringt die besten Eigenschaften mit – er hat Wille und Biss, er denkt lösungsorientiert und bringt seine Ideen ein.”

Neues Lehren und LernenWie man Inhalte und Regeln am besten vermittelt

Jürgen Burberg ist seit über 30 Jahren Kommunikationstrainer. Für die Teil-nehmer fasste er die neuesten Erkenntnisse über gehirngerechtes Lernen zusammen. Gehirngerechtes Lernen ist besonders für das Lernen bei Er-wachsenen relevant. Denn sie müssen neu Gelerntes in ihr bestehendes Wissen integrieren. Werden die Inhalte so aufbereitet, dass sie möglichst leicht zu lernen sind, ist der Lernerfolg größer.

Wie man am besten lernt

„Die drei Merkmale effektiven Lernens,” erklärt Jürgen Burberg, „sind spielerischer Umgang, Spaß und die Möglichkeit, die Erfahrungen selbst zu machen.” Anders ausgedrückt: Das ideale Lernen läuft multisensorisch ab, bleibt frei von Störungen und ist mit positiven Emotionen verknüpft. Eine entspannte Lernsituation lässt Fantasie und Kreativität zu – und vor

allem spricht sie mehr als einen Sinn an. Inhalte, die akustisch und visuell vermittelt werden, speichert das Gehirn besser ab – schließlich hat es zwei sensorische Ankerpunkte. Außerdem wird neues Wissen besser erinnert, wenn es bei bestehenden Kenntnissen „andocken” kann. Ein an-derer bewährter Trick bindet neue Fakten in möglichst seltsame und damit „merk-würdige” Geschichten ein.

Lernen und Lehren mit Flüchtlingen

„Unsere Wahrnehmung der Welt ist verschieden. Jeder von uns hat sei-nen persönlichen Filter, mit dem er die objektive Realität wahrnimmt,” er-klärte der Kommunikationstrainer. „Daher ist meine Empfehlung, sich als erstes anzuhören, welche Erfahrungen die Flüchtlinge gemacht haben.” Welche Einstellungen, welche Werte haben die Menschen, die in den Betrieb kommen? Welches Vorwissen bringen sie mit, wie empfinden sie diese neue Welt? Jürgen Burberg plädierte für viel Toleranz und Empathie – und für Geduld. Er sehe durchaus die Gefahr, dass die Schritte der „strukturellen Integration” zu schnell gemacht werden und die persön-liche, emotionale und kulturelle Integration auf der Strecke bleibt. Daher spielt auch die Vermittlung von sozialen Regeln – die der Gesellschaft bis zu jenen im Betrieb – eine wichtige Rolle. Auf der einen Seite bedeutet das mehr Aufwand – auf der anderen Seite die Chance, sich das Selbst-verständnis im Ausbildungs betrieb bewusst zu machen.

Praktikum und Ausbildung für Flüchtlinge | Bad Dürkheim

Praktische Tipps für den Betrieb

Bebilderte Arbeitsblätter mit Werkzeugen in den entsprechenden Muttersprache ausgeben Einzelne Arbeitsschritte fotografieren und in einem Handout

ausgeben Naturwissenschaftliche und mathematische Regeln visualisieren

und so veranschaulichen Youtube-Tutorials nutzen

Die Seiten tauschen

Interkulturelle Kommunikation ist schwierig, denn es geht um mehr als das Lernen von Worten. Wenn soziale Regeln aus verschiedenen Kulturen aufeinander treffen, sind Missverständnisse vorprogrammiert. Wie sich das anfühlt, wollte Reiner Scheidt (im Hintergrund) den Teil-nehmern zeigen und ging mit ihnen auf „KultuRallye”. Das Spiel zeigt was passiert, wenn der gewohnte Gang des Alltags unterbrochen wird, die bewährten Regeln nicht mehr funktionieren – und man ohne gemeinsame Sprache zu einer Verständigung gelangen muss.

„Lernen sollte Spaß machen.” Jürgen Burberg

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Rechtliche Rahmenbedingungen bei der Einstellung von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Migranten

Lars Messerschmidt ist Referent für Tarifpolitik, Arbeitsrecht, Arbeits-markt beim Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC). Er brachte die Teilnehmer auf den aktuellen Stand der Rechtslage – inklusive derjenigen rechtlichen Sachverhalte, die (leider noch) unsicher oder uneindeutig sind. Zwei Dinge stehen allerdings fest. Erstens, dass einige rechtliche Rahmenbedingungen angepasst werden (müssen). Und zweitens, dass es einen erheblichen administrativen Aufwand bedeutet, wenn man einem Flüchtling den Einstieg in den Betrieb ermöglichen möchte.

Einige Grundlagen

Nach einer Erklärung der drei Status Asylbewerber, anerkannte Asylbe-rechtigte und Geduldete, ging Lars Messerschmidt auf die aktualisierte Liste der sicheren Herkunftsstaaten ein. Menschen aus diesen Herkunfts-staaten erhalten kein Bleiberecht in Deutschland – und dürfen demnach keine Beschäftigung aufnehmen. Auch erklärte Messerschmidt die Re-geln des Arbeitsmarktzugangs, wie das dreimonatige Beschäftigungsver-bot – also das Verbot jeglicher Eingliederung in den Betriebsablauf – so-wie auf die Schritte in den Arbeitsmarkt nach dem Wegfall dieser Wartefrist. So sind Formalia wie Vorrangprüfung, Arbeitsmarktprüfung und die Genehmigung der Bundesarbeitsagentur zu beachten.

Berufliche Ausbildung

Ausgenommen vom Beschäftigungsverbot ist die schulische Ausbildung für Flüchtlinge. Hier ist keine Genehmigung notwendig. Etwas anders verhält es sich wieder bei der beruflichen Ausbildung. Sie ist ab dem 4. Monat der Anwesenheit in Deutschland erlaubt. Gleichzeitig ist eine individuelle Beschäftigungserlaubnis notwendig, die man bei der Aus-länder behörde beantragt. Wer Geduldeten eine Ausbildung anbietet,

muss sich auf eine jährliche Beantragung der Aufenthaltserlaubnis ein-stellen – und darauf, dass diese Erlaubnis mit Beendigung der Ausbildung nicht mehr erteilt wird (1+1+1+0-Regelung).

Praktika

Wer Flüchtlingen einen Einblick in den Arbeitsalltag in Deutschland ge-ben möchte, hat bei einer Hospitation den geringsten Aufwand – hier sind keine Genehmigungen notwendig. Bei einem Praktikum von mehr als drei Monaten müssen die Ausländerbehörde und die Bundesagentur für Arbeit Zustimmung geben – und der Mindestlohn gezahlt werden. Eine Genehmigung der Ausländerbehörde allein reicht aus, wenn ein Betrieb einen Flüchtling ein Pflichtpraktikum, eine Berufsorientierung oder ein ausbildungsbegleitendes Praktikum ermöglicht. Das gleiche gilt für eine Einstiegsqualifizierung von sechs bis zwölf Monaten. Hier ermöglicht die Öffnungsklausel des Tarif vertrags einen größeren Anteil an Sprachförde-rung von bis zu 50 Prozent. Und bei der Bundesagentur für Arbeit kann man eine Förderung der Vergütung beantragen.

Änderungen durch das neue Integrationsgesetz

In einigen Agenturbezirken wird die Vorrangprüfung für drei Jahre ausgesetzt.

Beschäftigung in Zeitarbeit wird für diese drei Jahre möglich.

Die Altersgrenze von 21 Jahren fällt bei der Berufsausbildung weg.

Einführung der 3+2-Regelung, also eine Aufenthaltserlaubnis für Flüchtlinge in und nach der Ausbildung.

Gestaffelter Zugang zur Ausbildungsförderung des SGB III, zum Beispiel bei der Assistierten Ausbildung.

Einstiegsprogramme „Start in den Beruf”, „StartPlus” und „Pre-Start”

Die beiden Programme „Start in den Beruf” und „StartPlus” helfen Ju-gendlichen dabei, die Ausbildungsreife zu erlangen. Diese Programme können genutzt werden, um Flüchtlinge in eine Ausbildung zu bringen. Noch gibt es eine Altersgrenze von 25 Jahren, die aber nach einer Einzel-fallprüfung bei Flüchtlingen verschoben werden kann. Mit „Pre-Start” ist in der Chemie eigens ein neues Programm aufgesetzt worden, das mehr Flexibilität erlaubt. Damit werden Flüchtlinge, aber auch alle anderen jun-gen Erwachsenen, drei Monate lang auf die Start-Programme vorbereitet. Mehr Informationen gibt es beim BAVC.

08/2016

Lars Messerschmidt, BAVC

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Praktikum und Ausbildung für Flüchtlinge | Bad Dürkheim

IMPRESSUM Herausgeber: Chemieverbände Rheinland-Pfalz – eine Dachmarke von Arbeitgeberverband Chemie Rheinland-Pfalz e.V. und Verband der Chemischen Industrie e.V. Landesverband Rheinland-Pfalz e.V., Bahnhofstraße 48, 67059 Ludwigshafen, Telefon 06 21-520 56-0, Telefax 06 21-520 56-20, [email protected], www.chemie-rp.de, Redaktion: Stefanie Lenze, Fotos: Marcel Hasübert, mh-foto.de, Gestaltung: [email protected], Köln, Druck: Chroma Druck & Verlag GmbH, Römerberg-Berghausen, Auflage: 400, Stand: August 2016. Die Veranstaltung fand am 29. Juni 2016 in Bad Dürkheim.

„Das Seminar hatte viele interessante Ansatzpunkte. Es hat sich herauskris­tallisiert, dass man sich nicht ‚einfach so’ entschließen kann, Flüchtlinge in Aus­bildung zu nehmen. Es bedarf der Vorarbeit, es bedarf des Engagements. Das muss jedem, vom Ausbilder bis zur Führungskraft, bewusst sein.”Teilnehmer

Weiterführende Informationen

Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK): Flüchtlinge in Ausbildung und Beschäftigung bringen – Leitfaden für Unternehmen

Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK): NETZWERK Unternehmen integrieren Flüchtlinge

Bundesagentur für Arbeit: Beschäftigung von geflüchteten Menschen

BAVC: Integration von Flüchtlingen

Refugee-Guide: Tipps und Informationen für das Leben in Deutschland auf www.refugeeguide.de

„Wenn beide Seiten Engagement und Flexibilität zeigen, ist der Weg in die Ausbildung für Flüchtlinge möglich – auch wenn man den klassischen Weg dafür verlassen muss. Wer vorangeht und wer sich engagiert, der bekommt viel zurück.” Maximilian Kern